Einführung in das Thema Gottes Charakter
Der Genozid an den Kanaanitern – Fünf Perspektiven
Theologie, die dich im Glauben wachsen lässt, Nachfolge praktisch, dein geistlicher Impuls für den Tag. Mein Name ist Jürgen Fischer, und heute geht es um einen Gott der Geschichte: El-Nekamah, den Gott der Rache. Das war unser Thema gestern.
Mir ist bewusst, dass Rache im einundzwanzigsten Jahrhundert zwar die meisten Actionfilme antreibt, aber ansonsten nicht sonderlich angesagt ist. Rache ist als Begriff negativ besetzt. Das liegt daran, dass er mit Aspekten wie Willkür und dem ganz offensichtlichen Leid für Unbeteiligte verknüpft ist.
Dem Begriff fehlt es an Notwendigkeit – die Idee, dass Rache als Gottes Reaktion auf das Böse im Leben eines Menschen oder eines Volkes eine bewahrende, dem moralischen Verfall entgegenwirkende und damit die ganze Welt beschützende Funktion besitzt. So ein Gedanke ist dem modernen Menschen völlig suspekt.
Deshalb stellen auch Christen die Notwendigkeit von Gottes Rache immer mehr in Frage. Rache wird zu einer fragwürdigen Angelegenheit, die Gottes Würde irgendwie nicht zu entsprechen scheint.
Diese Überlegung gewinnt leider noch dadurch an Fahrt, dass auch unter Christen der Ewigkeitsaspekt des Lebens verloren zu gehen scheint. Wenn das Ziel im Leben nicht mehr darin besteht, das ewige Leben zu finden und Teil des Reiches Gottes zu werden, sondern wenn es jetzt auch Christen darum geht, im Hier und Jetzt möglichst viel Glück und Spaß zu finden, dann muss ein Gott der Rache so etwas wie der ultimative Spaßverderber sein.
Die Bedeutung von Gottes Rache und Gericht
Und wenn man so denkt, gehen mit diesem Denken natürlich auch andere Aspekte verloren. Um nur einen letzten zu nennen: Mit der Idee, dass Rache etwas Wichtiges, etwas Wertvolles ist, womöglich das Vorrecht dessen, der wirklich gut ist, geht auch die Vorstellung verloren, dass Gott uns dadurch ehrt, dass er uns als Werkzeuge seines Gerichts verwendet.
Schon Paulus fragt die Christen in Korinth völlig verwundert: Wisst ihr nicht, dass wir Engel richten werden? Ehrlich gesagt möchte ich gar nicht wissen, wer das heute noch weiß, geschweige denn, wer schon einmal in Ruhe über diesen Aspekt nachgedacht hat. Es ist ein großes Vorrecht, dass Gott uns als Werkzeuge seines Gerichts verwendet und was das über uns aussagt.
Aber verlassen wir die Idee, dass Gott ein Gott der Rache ist, und wenden uns einem anderen Aspekt zu. Gott ist nämlich auch ein Gott der Geschichte. Als Gott der Geschichte ist er derjenige, der sich überlegt, welches Volk wo leben darf.
Wir denken vielleicht, dass Völker eben dort leben, wo sie wollen. Aber als Christen wissen wir, dass dem nicht so ist. Wenn es um die Geschichte der Völker geht, hat Gott massiv seine Hand im Spiel.
Gottes souveräne Lenkung der Völker
Aber hören wir Paulus auf dem Areopag, Apostelgeschichte 17,26-27:
Aus einem einzigen Menschen hat er alle Völker hervorgehen lassen. Er hat bestimmt, dass sich die Menschen über die ganze Erde ausbreiten und hat festgelegt, wie lange jedes Volk bestehen und in welchem Gebiet es leben soll.
Mit allem, was er tat, wollte er die Menschen dazu bringen, nach ihm zu fragen. Er wollte, dass sie, wenn irgend möglich, in Kontakt mit ihm kommen und ihn finden.
Hier in Apostelgeschichte 17 steht, dass Gott festgelegt hat, wie lange jedes Volk bestehen und in welchem Gebiet es leben soll. Unser Gott ist also der Gott hinter der Veränderung von politischen Landkarten, der Gott der Völkerwanderungen, aber auch der Gott der Vertreibungen.
Und er ist das, weil Völker in seiner Geschichte eine Funktion haben. Sie sind der Rahmen, den er eingesetzt hat, um Menschen die Möglichkeit zu geben, nach ihm zu fragen.
Der Zweck der Völkerexistenz
Und wie es im Text heißt: „und ihn zu finden.“ Die Existenz eines Volkes besteht also nicht in der Steigerung des Bruttosozialprodukts, nicht in der Sicherung von Frieden und Wohlstand und auch nicht in der Bewahrung von Kultur und Sprache.
Ein Volk – und von mir aus auch ein Land – ist dazu da, den Rahmen für die Begegnung seiner Einwohner mit dem lebendigen Gott zu schaffen. Aber was, wenn das nicht mehr der Fall ist? Was, wenn ein Volk Sünde auf Sünde häuft, sich immer weiter von der Anbetung des lebendigen Gottes entfernt und selbst womöglich zur Gefahr für andere wird? Für andere Völker, deren moralischer und geistlicher Verfall noch nicht so weit fortgeschritten ist – was dann?
Dann müssen wir eine ganz wichtige Lektion lernen. Sünde ist nicht nur eine Sache zwischen mir und Gott. Natürlich ist die Sünde, die ich tue, immer zuerst eine Sünde zwischen mir und Gott. Aber dann sieht Gott mich eben nicht nur als Einzelperson an, sondern auch als Teil einer Familie und als Teil eines Volkes.
Die Schuld meiner Sünde liegt auf mir, aber gleichzeitig wird sie auch meiner Familie und meinem Volk angerechnet.
Gottes Geduld und das Ende der Gnade für ein Volk
Wenn wir diesem Gedanken folgen, stoßen wir auf einen äußerst interessanten Vers im ersten Buch Mose, Kapitel 15. Dort schließt Gott mit Abram einen Bund und beschreibt ihm die Zukunft des Volkes Israel.
In 1. Mose 15,13-14 heißt es:
„Und er sprach zu Abram: Ganz gewiss sollst du wissen, dass deine Nachkommenschaft Fremdling sein wird in einem Land, das ihnen nicht gehört. Sie werden ihnen dienen und unterdrückt werden vierhundert Jahre lang. Aber ich werde die Nation richten, der sie dienen, und danach werden sie mit großer Habe ausziehen.“
Was Gott hier Abram beschreibt, ist die Zeit Israels in Ägypten, eine Zeit der Sklaverei, die vierhundert Jahre dauert.
Weiter heißt es in 1. Mose 15,16:
„Und in der vierten Generation werden sie hierher zurückkehren, denn das Maß der Schuld des Amoriter ist bis jetzt noch nicht voll.“
Hört ihr das? „Denn die Schuld des Amoriter...“ Die Amoriter stehen hier stellvertretend für alle Kanaaniter, die in dem Land leben, in dem Israel als Volk wohnen sollte.
Denn die Schuld der Amoriter ist bis jetzt noch nicht voll. Merkt ihr, Gott ist nicht ungerecht. Er löscht die Kanaaniter nicht einfach aus, nur weil er Platz für das Volk Israel braucht. Ganz im Gegenteil: Er lässt sein Volk Israel vierhundert Jahre warten, und das unter schwierigen Bedingungen. Er lässt sie warten, bis die Schuld der Amoriter voll ist.
Erst nach diesen vierhundert Jahren, wenn die Schuld wirklich voll ist, haben die Kanaaniter als Volksgruppe vor ihrem Schöpfergott das Recht auf Weiterexistenz verloren.
Gottes Recht und Gerechtigkeit in der Geschichte
Darf Gott das? Ja, natürlich. Er ist Gott, und es ist seine Welt. Er darf die Geschichte der Welt so lenken, dass möglichst viele Menschen die Chance haben, ihn zu finden.
Wenn das bedeutet, dass manche Völker es mit ihrer Sünde übertreiben und Gott sie deshalb auslöscht, dann müssen wir das akzeptieren. Wir akzeptieren es, weil Gott nicht grundlos grausam ist. Obwohl er völlig im Recht ist, ist er nicht ungerecht. Er wartet wirklich lange und gibt einem Volk viel Zeit, um seine völlige moralische Verdorbenheit umfassend zu zeigen.
Für die Amoriter gibt es ein „zu spät“, aber Gott selbst hat am Tod des Gottlosen keinen Gefallen. Immer wieder müssen wir betonen, dass Gott gnädig, barmherzig und langsam zum Zorn ist. Er freut sich über den Sünder, der Buße tut.
Wenn jedoch die Buße ausbleibt – über Jahrhunderte hinweg – dann ist Gott bereit, ein Volk für seinen Götzendienst zu richten. Er richtet, weil er die ganze Welt im Blick hat und weiß, was es braucht, damit möglichst viele Menschen ihn, den lebendigen Gott, finden können.
Praktische Anregungen zum Abschluss
Was könntest du jetzt tun? Du könntest Apostelgeschichte 17,26 und 27 auswendig lernen.
War das alles für heute? Wenn du noch nicht regelmäßig in der Bibel liest, dann fang doch heute damit an.
Der Herr segne dich, erfahre seine Gnade und lebe in seinem Frieden. Amen.