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Christen brauchen einander

14.10.1984Epheser 4,1-6

Ich möchte Sie heute Morgen herzlich begrüßen. An diesem strahlenden Herbstmorgen freuen wir uns darüber, dass uns Gott einen Ruhetag schenkt. Noch wichtiger ist jedoch, dass er uns heute Morgen in der Gemeinschaft seines Volkes erquicken will.

Ich habe darüber nachgedacht und möchte Ihnen heute die Bedeutung dessen näherbringen, dass Gott seine Gemeinde in dieser Welt hat. Ich grüße Sie mit einem Wort des Paulus aus dem Kolosserbrief, in dem er die Größe Jesu beschreibt.

In Jesus ist alles geschaffen, das Sichtbare und das Unsichtbare. Es sind Throne, Herrschaften, Mächte oder Gewalten – alles ist durch ihn und zu ihm hingeschaffen. Er ist vor allem, und alles besteht in ihm.

Doch nun kommt der entscheidende Punkt: Er ist das Haupt der Gemeinde. Er, der Herr Jesus, will heute Morgen zu uns sprechen. Wir sollen nichts mehr sehen als ihn und nichts mehr hören als seine Stimme.

Gemeinschaft und Gottes Gegenwart im Gottesdienst

Wir wollen nun gemeinsam das Lied von der Gemeinschaft singen, das uns Graf Zinzendorf gegeben hat: Herz und Herzverein zusammen, 217, die Verse 1 bis 3 und den fünften Vers.

Wir wollen beten: Ewiger Gott, unser himmlischer Vater, wenn wir uns heute Morgen versammeln, bringt jeder seine eigenen Lasten und Nöte mit. Oft sind wir gar nicht frei, dein Geschenk zu entdecken – dass du uns in eine große weltweite Bruderschaft hineinstellst. Dass die, die jetzt neben uns sitzen oder stehen, Menschen sind, an denen deine Gnade mächtig geworden ist. Durch die du uns stärken willst.

Mach uns dieses wunderbare Geschenk deiner Gemeinschaft noch viel größer, damit wir es auch über Ländergrenzen hinweg und auf anderen Kontinenten entdecken. Wenn sich heute Morgen dein Volk versammelt – in all den Ländern, oft unter schwerer Bedrängnis, verfolgt und geächtet – so wirkst du doch in den Menschen, Herr. Tu auch dies bei uns und gib uns neues Leben, neue Aufbrüche, damit wir Täter deines Wortes sind und selbst hier in unserem Land dein herrliches Evangelium weitersagen.

Wir wollen dir heute Morgen aber auch all das bringen, was uns Not macht, was uns belastet und beschwert. Wir wollen es dir in der Stille sagen: Du, Herr, bist nahe allen, die zerbrochene Herzen haben, und hilfst denen, die ein zerschlagenes Gemüt besitzen. Amen.

Jetzt hören wir unseren Jogenchor:

Und seh doch, wer hat es schon, man muss gerecht durch seinen Sohn. Er hat uns alle hereingeladen, und keiner soll mehr draußen stehen. Liebe, es gibt neue Lampen an, dass das Westen hinterkommt. Freude, es ist jetzt höchste Zeit, Freude, komm auf, wir stellen bereit!

Begegnung mit Gästen und Missionsarbeit heute

Wir können heute keine Missionsmartinee abhalten, weil der große Saal durch das Treffen der Prägitzergemeinschaft belegt ist. Dennoch wollen wir es so gestalten, dass wir die Zeit im Gottesdienst teilen. Ich werde die Predigtzeit verkürzen.

Wir freuen uns, dass Dr. Taylor und seine liebe Frau heute bei uns sind. Wolfgang Mertes von der Überseeischen Missionsgemeinschaft wird für ihn übersetzen. Es ist wichtig, dass wir mitten im Gottesdienst hören, wie Gott heute in unserem Jahrhundert seine Apostelgeschichte schreibt. So werden wir etwas über den Lauf des Evangeliums erfahren und dadurch gestärkt.

Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundeskanzler Helmut Kohl ist gerade von einer sehr erfolgreichen Reise aus China zurückgekehrt. Es besteht kein Zweifel, dass dieser Besuch dazu beitragen wird, das gegenseitige Verständnis sowie den Handel zu fördern. Deshalb überrascht es heute nicht, dass viele Menschen hier in Deutschland ihre Augen nach China richten.

Gestern konnte ich in Marburg bei der SMD-Konferenz, der Studentenmissionskonferenz, vor 500 Studenten sprechen. Dort wurde mir die Frage gestellt: Wie ist die Gemeinde Jesu in China in letzter Zeit so gewachsen? Vor etwa dreißig Jahren gab es wahrscheinlich mehr als fünfzig Millionen Christen dort.

Es gibt viele verschiedene Gründe für die Stärke der Gemeinde Jesu in China heute. Die Studenten fragten mich gestern, welche Lektionen wir in Deutschland von ihnen lernen können. Ich habe diese Frage sehr gerne beantwortet, denn oft denken wir im Westen, dass nur wir ihnen Lektionen erteilen können, nicht umgekehrt. Doch es gibt viel, was wir hier im Westen von unseren Brüdern und Schwestern in China lernen können.

Ihre Liebe zum Wort Gottes, ihre Kraft im Gebet und die Art und Weise, wie die Gemeinschaft in der Familie und im Wort Gottes gegründet ist, sind beeindruckend. Als keine Missionare in China wirken konnten, als die Kirchen geschlossen waren und auch keine Pfarrer predigen durften, ist die Gemeinde Jesu in China trotzdem gewachsen. Die Liebe in der Gemeinschaft und auch das Leiden für den Herrn Jesus haben dazu beigetragen.

Wahrscheinlich ist das Leiden für Jesus Christus einer der wichtigsten Gründe für das Wachstum der Gemeinde Jesu in China heute.

Zeugnis einer Glaubensschwester in China

Nachher in der Predigt wird Pfarrer Schäffbuch über einen Text im Epheserbrief predigen. Dieser Brief ist aus dem Gefängnis entstanden – was für ein Schatz, der aus der Erfahrung im Gefängnis hervorgegangen ist.

Im vergangenen Sommer hatte ich das Privileg, eine liebe christliche Schwester zu treffen, die intensiv für den Herrn Jesus gelebt hat und um ihres Glaubens willen an Jesus Christus sehr gelitten hat. Zwei Stunden lang durfte ich dort sitzen und ihrem Zeugnis von Gottes Gnade zuhören.

Sie hatte unter Universitätsstudenten gearbeitet und ihren Einfluss im Bereich Shanghai war umfangreich. Die Regierung mochte diesen Einfluss nicht. Eines Nachts klopfte es an ihrer Tür – es war die Polizei. Sie steckten sie ins Gefängnis.

Als sie auf die Straße kam, begann sie zu singen. Während sie die Straße entlanggeführt wurde, sang sie: „Im Kreuz, im Kreuz soll mein Ruhm sein für immer.“ Der Polizist fragte sie: „Sind Sie übergeschnappt?“ Sie antwortete: „Nein, Herr, ich bin Christin.“

Sie wurde ins Gefängnis gebracht, und man versuchte, sie dazu zu bringen, ihren Glauben aufzugeben. Sie sagten: „Wir sind Marxisten, wir glauben nicht, dass es einen Gott gibt. Das Christentum ist eine westliche Religion, die nehmen wir nicht an.“ Sie wollten nicht, dass sie betet.

Ich glaube, sie dachten, Christen müssten beim Beten die Hände in einer bestimmten Haltung halten. Deshalb banden sie ihr die Hände hinter dem Rücken zusammen, in der Annahme, dass sie so nicht mehr beten könne. Sie sagte: „Ja, Bruder, ist es nicht so, dass wir als Christen überall und in jeder Verfassung beten können?“

Ich wusste, dass hier eine Person war, die die Gegenwart Gottes richtig gespürt und erlebt hatte. Immer wieder hörte ich bei meinen Besuchen in China, dass wohl der wichtigste und wertvollste Bibelvers, den sie besonders während der Zeit der Kulturrevolution erfahren haben, Psalm 23, Vers 4 war: „Auch wenn ich durch das Tal des Todes gehe, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir; dein Stecken und Stab trösten mich.“

Diese Schwester erzählte weiter, dass sie vor Gericht gebracht wurde. Sie war die einzige Frau unter den Gefangenen und wurde zweimal verhandelt. Sie wurden jeweils zu zweit mit Handschellen zusammengebunden. Man wollte diese Schwester mit einem älteren Mann zusammenschließen. Sie zog ihren Arm weg und sagte: „Nein, ich möchte nicht mit diesem Mann zusammengebunden sein.“ Dann banden sie sie mit einem jungen Mann zusammen.

Als sie zum Gerichtssaal gebracht wurden, wandte sie sich an den jungen Mann und begann, mit ihm zu sprechen. Sie fragte: „Wer sind Sie?“ Er antwortete: „Ich bin Student an der Fudan-Universität, nur noch einen Monat bis zum Abschluss.“ Sie sagte: „Ich bin Christin.“ Er erwiderte: „Auch ich bin Christ. Mein Vater ist Pastor.“

In dieser kurzen Zeit nutzte diese Glaubensschwester die Gelegenheit, um diesen jungen Bruder in Christus zu stärken: „Habt keine Angst, steht fest für Jesus Christus!“ Der Polizist sah, wie sie zusammen sprachen, sagte: „Ihr dürft nicht reden!“ und trennte sie.

Dann wurde sie mit einem anderen Mann zusammengebunden. Als sie mit ihm sprach, stellte sie fest, dass auch er Christ war. Ich glaube, an diesem Tag hatten sie alle Christen zusammengebracht. Auch hier konnte sie die Gelegenheit nutzen, um diesen Mann aus dem Wort Gottes zu trösten und zu stärken.

Dann wurde sie vor den Richter geführt. Wahrscheinlich erinnern Sie sich an die Verse am Ende des sechsten Kapitels der Apostelgeschichte. Dort heißt es, dass das Gesicht des Stephanus aussah wie das Gesicht eines Engels. Er stand vor dem Hohen Rat, ohne Furcht, nur mit Frieden.

Diese Erfahrung hatte auch diese Glaubensschwester. Der Richter schaute sie an und fragte: „Warum lachen Sie?“ Sie antwortete: „Mein Herr, ich lache nicht.“ Es war einfach der Friede, der aus ihrem Gesicht strahlte. Dann sagte sie zum Richter: „Sir, ich sehe eine andere Vision. Nicht von mir, Sir, die vor Ihnen steht, sondern von Ihnen, Sir, die vor dem Richter aller Erde steht.“

In diesen Momenten sprach sie furchtlos von Jesus Christus und dem kommenden Gericht. Ohne Furcht vor dem, was ihr passieren könnte, forderte sie den Richter auf, Jesus Christus als seinen persönlichen Heiland anzunehmen. Sie hatte eine solche Liebe und ein solches Verlangen, dass der Mann, der sie verfolgte, Jesus Christus persönlich kennenlernen sollte.

An diesem Tag bekamen die Gefangenen den Urteilsspruch auf einem Stück Papier. Dieser war in einem Umschlag versiegelt. Sie nahm das Urteil und musste zurück ins Gefängnis. Sie steckte das Kuvert unter ihr Kopfkissen und schlief ein, ohne es zu öffnen.

Am nächsten Morgen bemerkte der Gefängnisaufseher, dass sie den Umschlag noch nicht geöffnet hatte, und wurde wütend. Sie sagte mir: „Wissen Sie, ich hatte keine Angst. Ich war in Gottes Händen und konnte ruhig schlafen.“

Ihr Urteil lautete sieben Jahre Arbeitslager, das später auf vierzehn Jahre verlängert wurde. Doch jetzt konnte ich diese Glaubensschwester treffen, die nun frei war, zurück vom Arbeitslager. Sie wohnte im Haus eines gläubigen Arztes. Was für ein Segen war dieses Zeugnis dieser Christin für mich!

Ich erfuhr auch einiges über diesen Arzt. Er sagte: „Heute werden wir als Ärzte in China ganz neu respektiert in der Gesellschaft. Weil das so ist, möchte ich den Vorteil, den ich dadurch habe, nutzen, um diese Glaubensschwester aufzunehmen und ihr eine Heimat zu bieten.“

Ein Mitarbeiter, ein Arzt – sie sind bereit, für Jesus Christus zu leiden. Das ist einer der Gründe, warum sich das Evangelium Jesu Christi heute in China so schnell verbreitet.

Wir könnten diese Menschen mit den Worten des Schreibers des Hebräerbriefes bezeichnen als solche, deren die Welt heute nicht wert ist. Aber wir können auch von ihnen lernen. Wie Paulus dem Timotheus schrieb, sollen wir auch unseren Teil des Leidens für die Sache Jesu Christi auf uns nehmen.

Herausforderungen und Hoffnung für die Gemeinde

Vor einigen Jahren habe ich am Büchertisch sehr das Buch von Doktor Gustav Weth empfohlen: Chinas Rote Sonne. Dieses umfassende Werk endet sehr deprimierend. Es beschreibt, wie diese Gemeinde in der letzten Trübsal nur noch mit dem verglichen werden kann, was in der Offenbarung steht.

Gottes Pläne sind jedoch ganz anders. Gott öffnet Türen und wirkt auf unerwartete Weise. So hat er das Werk der China Inland Mission gesegnet, auch wenn er die Türen in China verschlossen hat. Heute sind dort wieder fast tausend Mitarbeiter in Ostasien tätig. Wir beten für sie und schließen sie auch in die Fürbitte der Gemeinde ein.

Wir hören noch einmal den Jugendchor. Sie hat sich mir schwach gezeigt, und da hörte ich dich noch. Als ich dann angefangen habe zu singen, sagtest du mir, dass das, was mir das Ende schien, der Anfang bei dir sei.

  1. Als es dir noch zu leben gehört, mach daraus, was du willst. Du hast es nicht verkehrt.
    Wenn du ganz unten bist, ziehst du mich hoch. Wenn niemand dir hilft, dann höre ich dich doch. Amen.

Der Winkler, sagst du zu mir, dass das, was wir lassen gescheit, der Anfang bei dir ist.

Das können Sie ja übertragen auf das, was Gott auch dort in China tut. In diesen Sackgassen, wo man nicht mehr weiterweiß, will er auch in ihrem Leben seine Macht offenbar machen.

Aufruf zur Einheit und Gemeinschaft in der Gemeinde

Nun lesen wir Epheser 4, Verse 1-6 in den ausgelegten Bibeln im Neuen Testament, Seite 204:

 Epheser 4,1-6:
So ermahne ich euch nun, der Gefangene im Herrn, dass ihr euer Leben führt, wie es der Berufung entspricht, durch die ihr berufen seid. In aller Demut und Sanftmut ertragt einander in Geduld in Liebe und bemüht euch um die Einigkeit im Geist. Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allen und durch alle und in allen ist.

Liebe Schwestern und Brüder, das, was wir gerade gehört haben, ist wichtig: den Ausblick auf jenen Tag zu haben, wenn wir vor dem Richterstuhl Christi stehen. Wir haben das oft gehört, wie auch in Russland die Christen gerne die Gelegenheit nutzen, vor den Ungläubigen zu sagen: „Ich muss Sie warnen, nicht Sie mich. Sie leben falsch!“

Wir haben einen so großen Auftrag, dass wir uns niemals vor den Mächtigen dieser Welt ducken müssen. Aber ich möchte Sie bitten, noch ein anderes Bild vor Augen zu haben. Ich hoffe ja, dass Ihr Leben mit Jesus völlig geklärt ist, sodass am Jüngsten Tag nichts mehr an Anklage gegen Sie vorgebracht werden kann – auch nichts, was im Verborgenen war. Dass das Gericht für Sie erledigt ist, Sie hindurchgehen dürfen, und dann werden wir stehen in der Schar vor dem Thron Gottes.

Das ist ja in der Offenbarung beschrieben: Aus allen Stimmen und Völkern und Nationen und Sprachen werden sie dort zusammenstehen – manche von uns werden dabei sein. Diese werden nicht einmal mehr ein Jahr warten müssen, bis sie bei dieser Versammlung sind. Und manche müssen vielleicht bloß noch zwei Jahre warten – das ist ein ganz nahes Datum.

Obwohl ich mich jung fühle mit meinen grauen Haaren im Bad, weiß ich doch, dass das Datum näher ist, als wir ahnen. Dann will uns Jesus dort haben. Das ist das Ziel Jesu: diese Gemeinde zu bauen aus all den Völkern, die ihn preisen und rühmen.

Wenn wir uns heute Morgen versammelt haben, dann ist das ein Stück Einübung schon für jenen Chor, wo wir einmal dabei sein werden. Und das ist Jesus wichtig: dass wir uns sammeln als Gemeinde durch die Welt.

Ich finde es so schön, wenn immer wieder in unseren Gottesdiensten zum Ausdruck kommt, wie Christen aus anderen Nationen, Ländern und Sprachen kommen – so schwer das manchmal auch mit dem Hören ist. Ich denke, der Teufel hat alles Interesse daran, die Gemeinde zu zerstören. Darum bringt er oft Christen gegeneinander auf. Darum macht er so viele Spaltungen, und so viele Christen lassen sich davon mitbeeinflussen.

Das, was Jesus wollte – ein Zeugnis vor der ungläubigen Welt –, kann in dieser Welt nur so bruchstückhaft und kümmerlich erscheinen: das große Geschenk der Gemeinde.

Als Jesus vor seiner Hinrichtung stand, in jener Nacht, hat er gebetet, dass sie alle eins sind. Das wusste Jesus: Wir sind ganz komplizierte, ichsüchtige Leute, bei denen jeder nur in seine Richtung rennt. Jeder nimmt seinen Jesus und sieht nur seine Sache. Er sieht die Brüder und Schwestern nicht, ob das nationale Verblendung ist oder ichsüchtige Verblendung.

Was gibt es für Frommenwahn in der Spaltung der Gemeinde Jesu! Und Jesus hat gebetet: „Herr, mach sie doch eins, so wie Jesus mit dem Vater eins ist und wie Gott in Jesus wirkt.“ Dass wir so als Christen eins sind über die ganze Welt hinweg.

Darüber möchte ich heute predigen: Christen brauchen einander.

Die Notwendigkeit der gegenseitigen Unterstützung

Wir können nicht leben ohne die Christen aus China, Malawi und Mali. Ebenso wenig können wir ohne die Schwestern und Brüder in den anderen Gruppen der Baptisten, Methodisten und der Heilsarmee leben. Wir brauchen einander – mein erster Punkt – weil wir zur Gemeinschaft berufen sind.

Wenn ich über dieses Thema spreche, denke ich, dass es für viele von Ihnen etwas völlig Neues ist. Sie sind hierher gekommen, um eine Predigt zu hören. Sie rechnen vielleicht gar nicht damit, dass Sie durch den unbekannten Menschen, der neben Ihnen auf der Bank sitzt, heute gesegnet werden. Oder durch die Menschen, die Sie später im Vorbeigehen grüßen und die vielleicht dieselbe Straßenbahn benutzen. Gott schenkt uns ein ganz großes, kostbares Geschenk mit der Gemeinschaft.

Ich möchte heute Morgen nicht mit der Einsamkeit des Menschen begründen, warum Gemeinschaft so wichtig ist. Das könnten wir tun – es wäre eine interessante Predigt. Man könnte sagen, wie einsam der moderne Mensch in unserem Jahrhundert ist. Das ist ein Zeichen dafür, wie die Lebenskräfte des Menschen zerfallen. Er kann nicht einmal mehr mit anderen zusammenleben, selbst wenn wir so dicht beieinander wohnen, etwa in Hochhäusern oder im Straßengetümmel.

Der Mensch ist einsam, wo er lebt – im Großraumbüro oder in der Telefonzelle. Er hat niemanden, mit dem er reden kann. Gerade deshalb müsste uns in der Christengemeinde das Geschenk der Gemeinschaft umso größer werden.

Ich treffe heute viele Menschen, die auch in unseren Gottesdiensten waren und sich plötzlich zurückziehen, für sich leben. Darum sagt Paulus aus der Gefangenschaft heraus in diesem Brief: „Ich ermahne euch!“ Das ist eine Christenpflicht – die Bruderschaft zu suchen, unsere Gefühle wieder zu wecken. Vielleicht hat man gar keine Lust dazu. Doch Paulus ermahnt uns, dass wir unser Leben so führen, wie es unserer Berufung entspricht – dem Ruf Jesu, der an uns persönlich erging.

Damit ist es aber nicht erschöpft. Jesus hat uns das Evangelium eröffnet, damit wir die Bruderschaft der Christen darstellen, untereinander die Gemeinschaft stärken, füreinander da sind, einander helfen und erquicken.

Wen wollen Sie heute Morgen stärken? An wem haben Sie einen Menschen, den Sie hoffentlich nicht losgeworden sind, um eine Predigt zu hören? Sie werden von Gott gebraucht. Gott will Ihnen heute Menschen vor Augen führen, die Sie stärken – wie ein Glied das andere trägt, hebt und stärkt.

Ich wundere mich nicht, dass viele auch bei den Christen sagen: „Ich weiß gar nicht, was Gott für mich hat, welchen Auftrag er für mich bereitet.“ Das liegt daran, dass wir die ganz nächsten Verpflichtungen einfach nicht sehen und an ihnen vorübergehen. Wir wollen immer große Dinge tun. Es ist schön, wenn sich heute jemand für den Weltmissionsdienst berufen fühlt.

Doch die alltägliche Berufung dürfen Sie dabei nicht vergessen. Wer hier steht, soll leben, wie es seiner Berufung entspricht – ein wirksames Glied des Leibes Christi, der Gemeinde, zu sein, in aller Demut, Sanftmut und Geduld.

An dieser Haltung zerbricht die Gemeinschaft des Leibes Christi oft. Denn so viele stolze Menschen sind dazwischen. Sie kennen doch auch den Spruch: Wenn jemand in der Gemeinde fragt: „Wo braucht man mich?“ und man antwortet: „Das kommt nur einmal in der Bibel vor, der Herr bedarf seiner – und das war ein Esel.“ Der Herr braucht uns gar nicht? Was für ein Stolz ist das!

Heute Morgen um acht waren wieder ein paar Frauen drüben in der Küche und haben das Essen für das Prägitzer-Treffen vorbereitet. Und wenn es nur darum geht, ein paar Tische für den Straßeneinsatz zu tragen und ins Auto zu verladen – man braucht sie. Das sind keine großen Aufgaben, die wir haben. Aber die Gemeinschaft lebt davon, dass man einander trägt.

Durch Krankenbesuche, durch das Hingehen, durch Gespräche und Zeit füreinander, in aller Demut, Sanftmut und Geduld trägt man einander in Liebe. Das Vorbild Jesus steht uns ja vor Augen.

Beispiel für gelebte Gemeinschaft und Demut

Ich möchte Ihnen ein Beispiel erzählen von dem Minister von Seckendorf im letzten Jahrhundert. Er war ein Mann, der sich sehr treu zur Gemeinschaftsbewegung gehalten hat. Er ging gern hinaus in die Gemeinschaftsstunde nach Fellbach. Wenn dann einer der Brüder in der damaligen Hochachtung zum Herrn Minister „Exzellenz“ sagte, konnte er antworten: „Die Exzellenz habe ich draußen am Gardrobenhagen abgehängt, ich will Bruder sein. In aller Demut und Sanftmut.“

Einmal kam sein Ministersekretär herein und sagte: „Ich habe Schwierigkeiten. Da sind so schlecht gekleidete Leute draußen im Vorzimmer, und die lassen sich nicht abweisen. Sie haben bloß Lederhosen an.“ Der Minister fragte: „Woher sind sie?“ Die Antwort lautete: „Von Fellbach.“ Daraufhin sagte er: „Entschuldigung, die Fellbacher heute sind natürlich besser gekleidet.“ Dann sagte er zu seinem Sekretär: „Lass doch die Brüder rein.“

Verstehen Sie, was Bruderschaft am Leib Christi bedeutet? Dass wir uns freuen, wenn wir sie sehen, egal woher sie kommen. Dass wir zusammengehören, so wie es uns ist, wenn wir in Bethesda eine der lieben Methodistenschwestern treffen. Oder wenn wir den Bruder von der Heilsarmee heute Mittag um fünf Uhr beim Dienst grüßen. Dass wir zusammengehören, so wie wir uns auch heute Morgen grüßen.

Dabei geht es nicht um Neigung oder darum, ob uns das passt. Es geht darum, dass uns der Herr einen Dienst gibt.

Die Bedeutung der Einigkeit im Geist

Dann ist Einigkeit nötig. Das Erste war, dass wir zur Gemeinschaft berufen sind. Jetzt ist Einigkeit erforderlich. Das ist heute ein aktuelles Thema unter den Christen. Wie kann man das zusammenbinden? In der Bibel steht nie ein Wort darüber, dass man Vereinheitlichung machen soll.

Es besteht oft das Missverständnis in den Organisationen, als ob man alles uniformieren müsse und alle einem Kommando folgen sollten. Das ist jedoch nicht der biblische Ton. Es gibt verschiedene Gruppen und Kreise. Immer wieder haben die freien Gruppen und freien Missionswerke die trägen Kirchen überholt und waren in ihrem Dienst weit voraus.

Heute gäbe es keine vernünftige Studentenmission, wenn wir nicht unsere kleinen Gruppen hätten. Und was wirkt der offene Abend gerade durch seine freie Struktur? Gerade weil er nicht unter der Macht der Landeskirche steht und nicht der Verwaltungsgewalt unterliegt. Es ist auch mein Bemühen, in unserer Gemeinde so viel wie möglich frei zu organisieren, damit die Gaben sich ungehemmt entwickeln können.

In der Bibel steht nur etwas von der Einigkeit im Geist. Diese Einigkeit äußert sich nicht darin, dass jeder irgendeine Sondergabe des Geistes erkennen muss. Es gibt Gruppen, die sagen, erst wenn du in Zungen redest und meine Visionen siehst, sind wir eins. Nein, der Geist macht uns das Wort lebendig und macht Jesus groß. Das ist das Zentrum des Wirkens des Heiligen Geistes, und darin sind wir miteinander verbunden.

Das schließt uns zusammen, auch wenn wir unterschiedliche Musikstile haben und verschiedene Empfindungen mitbringen. Einigkeit tut not. Am schönsten können wir das praktizieren, wenn wir uns zum Austausch im Wort und im Gebet treffen.

Vor ein paar Tagen kam ein schöner Bericht, wie man es in Tübingen wieder gemacht hat, mitten im Jahr in der Evangelischen Allianz. Dort kamen alle zusammen, die Jesus angehören und das Wort Gottes unverkürzt hören wollen. Gemeinsam haben sie das Wort ausgelegt und das Abendmahl gefeiert.

Wir gehören zusammen, liebe Schwestern und Brüder. Das ist die innerste Gemeinschaft, die wir haben. Diese Gemeinschaft entsteht nicht durch Kaffee trinken oder Spaziergänge. Das sind alles nur Folgen der innersten Gemeinschaft.

Wenn Sie Gemeinschaft in unserer Gemeinde suchen, dann suchen Sie jemanden, mit dem Sie beten können und der mit Ihnen das Wort der Bibel liest. Aus dieser Gemeinschaft entsteht das Gefühl der Verbundenheit. Anders wächst das nie.

Bemüht euch, die Einigkeit im Geist zu wahren durch das Band des Friedens.

Die Taufe als Grundlage der Einheit

Und dann steht da noch ein Wort von der Basis. Von der Basis, auf der alles geschieht. Es ist ja tragisch, dass Christen gerade das, was als Basis gilt, immer wieder als Grund für ihre Zerteilung benutzen.

Da steht eine Taufe. Neulich hat ein Mann ganz aufgeregt aus Mannheim bei mir angerufen und gefragt: Warum brauchen wir denn überhaupt eine evangelische Allianz? Er sagte: Was raten Sie uns? Dann meinte er, die Leute müssten nur sein Tauferständnis übernehmen, dann wären wir alle eins. Das ist immer die Lösung – dass jemand seine Erkenntnis aus der Schrift hat.

Da steht doch eine Taufe. Seien Sie ganz gewiss: Egal, wie Sie getauft sind, ob als Erwachsener oder als Kind, es kann alles nur auf den einen Kreuzestod Jesu hinweisen, den Sie im Glauben annehmen.

Sie können Jordanwasser nehmen, sich im Hallenbad taufen lassen oder im Fluss – es kann alles nur auf das Kreuz Jesu hinweisen, der für Sie starb und in dessen Tod Sie hineingetaucht werden. Das ist die Basis: das Opfer Jesu, egal nach welchem Ritus und wie Sie das tun.

Ein Glaube, eine Hoffnung, ein Herr, ein Gott – dass dieser Gott überall und in allen wirkt. Das stärkt uns.

Und dass Gott so viele Leute in unserer Stadt hat, und dass wir zusammengehören und hineingebunden sind, das sollen Sie neu erkennen als das große Geschenk: der eine Gott, der mächtig ist und in allen wirkt.

Da sitzen heute Morgen neben Ihnen Leute, die von sich sagen können: Nicht ein spezieller Ritus ist mir eigen, nicht ein besonderes Fündlein in der Bibel, über das man sich zerstreiten kann, sondern Jesus starb für meine Sünden. Er ist meine Gerechtigkeit an jenem Tag des Gerichts, und ich gehöre ihm mit meinem ganzen Leben.

Und da gibt es nur noch eine Gemeinde Jesu aus allen Nationen, Stämmen und Völkern.

Dankbarkeit für gelebte Einheit und Gemeinschaft

Ich möchte Ihnen allen danken, dass ich in dieser Gemeinde sein darf. Gott hat uns in den letzten Jahren eine wunderbare Einheit und Gemeinschaft geschenkt, die auf seinem Wort gründet. Ich lade Sie ein, dabei zu sein und die Hände weit auszustrecken – zu Schwestern und Brüdern in aller Welt. So können wir erfahren, welch ein großer Schatz es ist, dass wir schon hier in dieser Welt Gemeinde Jesu darstellen dürfen. Wir sind ein Zeugnis vor der ungläubigen Welt, ein kleiner Vorgeschmack vom Himmel. Amen!

Nun singen wir das Lied der Gemeinschaft von Philipp Friedrich Hiller, Nr. 469, die Verse 8, 9 und 10. Danach wollen wir beten.

Liebe Herr, du stärkst uns so, auch durch die Berichte von Christen in fernen Ländern, die oft unter Druck stehen. Manchmal fällt es uns schwer, die Bruderschaft wahrzunehmen, gerade weil wir viele im Gottesdienst nicht kennen. Hilf uns, Brücken zu schlagen und das Geheimnis deines Leibes zu entdecken, in dem ein Glied dem anderen dient und einer dem anderen hilft.

Du kannst uns auch helfen, über unsere persönlichen Eigenarten hinwegzusehen. Wir sind manchmal so verschlossen, und das ist nicht Demut, sondern falsche Scheu. Wir öffnen uns nicht vor dem anderen, auch nicht mit dem Leid, das wir haben. Zeige uns jetzt, wie wir miteinander die Lasten teilen können und andere das Tragen übernehmen.

Hilf uns auch auf dem Nachhauseweg, dass wir miteinander reden. Lass uns überall in unserer Stadt Gemeinschaften gründen, in denen wir dein Wort lesen und miteinander beten. So können wir zueinander finden als deine Leute, die allein du verbindest – du als Meister und wir alle als Brüder.

Heute möchten wir auch Fürbitte tun für das große Werk der Überseeischen Missionsgemeinschaft und für all die Kirchen und Gemeinden dort in China. Die Zahl von fünfzig Millionen Bekennern deines Namens ist kaum zu fassen. Doch du kannst in jedem Einzelnen wirken und sie stärken, damit sie zu einem lebendigen Zeugnis werden.

Gib auch bei uns einen solchen Aufbruch, neues Leben. Erwecke deine Gemeinde, damit noch viele zum Glauben an dich kommen und viele hinzugetan werden zu deiner Gemeinde.

Lasst uns gemeinsam beten:

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Sie können gerne stehenbleiben, es ist nicht mehr viel, was wir sagen müssen. Den rötlichen Notizenzettel hinten müssen Sie mitnehmen. Er läuft gerade aus, aber darauf steht alles Wichtige.

Herr Mertes hat von der Überseeischen Missionsgemeinschaft die schönen Chinakalender mitgebracht. Das ist hilfreich, weil Sie so immer wieder zur Fürbitte erinnert werden. Es sind große, schöne chinesische Wandbilder.

Wolfgang, was kosten die großen Kalender?

880 und 820, und die Lesezeichen?

Gut, das muss auch Monika wissen. Die liegen hinten hier auf dem Simpsons-Tisch, das ist am Ausgang. Dort können Sie sie in Ruhe ansehen und dann am Büchertisch bezahlen.

Am nächsten Samstag findet ein Treffen des Schwarzen Kreuzes statt. Das Thema lautet „Straffälligkeit als Flucht in die Scheinwirklichkeit – seelische Hintergründe der Kriminalität“. Joseph Schocki aus Celle wird sprechen. Nur wenige aus unserer Gemeinde sind in der Arbeit des Schwarzen Kreuzes tätig. Es ist eine ganz wichtige Aufgabe, wenn man nur einen Menschen aus diesem ewigen Kreislauf herausführen darf.

Sie fragen sich vielleicht: Wo darf ich dienen? Es sind gläubig gewordene Christen im Gefängnis. Ich möchte Sie herzlich zu diesem Treffen einladen, nächsten Samstag von 14.30 Uhr bis 18.00 Uhr.

Wenn Sie noch keine Aufgabe haben, nicht überall schon eingebunden sind und sagen: Ich suche, wo Gott mich braucht – dann rufe ich Sie heute!

Unser Opfer heute ist für die Arbeit der Überseeischen Missionsgemeinschaft bestimmt. Was wird dort an Schriften nach China geschickt? Welche Unterstützung kann gegeben werden? Was geschieht im gesamten ostasiatischen Raum?

Unheimlich viel läuft dort! Wir dürfen diese Arbeit stützen, mittragen und helfen, damit sie noch besser geschehen kann.

Schlusssegen und Verabschiedung

Wir wollen uns nun unter den Segen Gottes stellen.

Herr, segne uns und behüte uns.
Herr, lass dein Angesicht über uns leuchten und sei uns gnädig.
Herr, erhebe dein Angesicht auf uns und gib uns deinen Frieden.