
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Amen!
Liebe Gemeinde, liebe Gäste, liebe Zuschauer am Livestream,
wir stehen am Beginn einer Predigtreihe zum Epheserbrief. Unser Pastor Matthias Lohmann hat vergangene Woche über das erste Kapitel des Epheserbriefes gesprochen, insbesondere über die ersten beiden Verse. Dabei wurden auch grundlegende Aspekte dieses Briefes behandelt.
Heute darf ich über den Abschnitt von Vers 3 bis 14 predigen. Dies ist unser Predigttext, den wir bereits in der Textlesung gehört haben.
Bevor wir in den eigentlichen Text einsteigen, zwei Vorbemerkungen.
Die erste Vorbemerkung betrifft die Struktur des Textes. Ich habe hier eine ganz moderne Bibel mitgebracht, die Basisbibel. Ich weiß nicht, ob sie jemand kennt. Sie ist noch nicht so lange auf dem Markt und wurde speziell für Menschen angefertigt, denen das Lesen schwerfällt.
Der Display auf dem Smartphone hat ja nicht viel Platz, daher passen nicht viele Sätze darauf. Deshalb sind die Sätze in der Basisbibel sehr kurz gestaltet. Ein Satz hat maximal sechzehn Wörter und einen Nebensatz. Das Konzept ist gar nicht schlecht für Menschen, denen das Lesen schwerfällt.
Aber diese Basisbibel sollte für Jünger Jesu, die länger unterwegs sind in der Nachfolge, nicht die Standardbibel sein. Sie verkürzt einige Dinge doch sehr stark. Gott möchte, dass wir seine Gedanken nachdenken, und er mutet uns dabei manchmal sehr viel zu. Bibelleser wissen das.
Der Text, den Andi eben in der Textlesung vorgelesen hat, also die Verse drei bis vierzehn, ist im Original ein einziger Satz. Das ist nicht nur der längste Satz der Bibel, sondern, soweit ich weiß, der längste Satz, der in der Antike im Griechischen überhaupt gefunden wurde.
Die Basisbibel macht aus diesem einen Satz 26 Sätze. In der Lutherbibel, die hier ausliegt, sind es immerhin noch sechs Sätze. Im Original ist es ein sehr weit verzweigter Satz. Wir wollen zumindest versuchen, den Gedankengang, den Paulus dort formuliert hat, nachzuverfolgen.
Eng damit verbunden ist die zweite Vorbemerkung: Unser Predigttext ist von enormer Dichte. Das habt ihr gemerkt, als Andi den Text vorgelesen hat. Dranzubleiben und das zu verstehen, ist gar nicht so einfach.
Martin Lloyd Jones, der berühmte Arzt und Prediger, durch den Gott in London, in England und weit darüber hinaus ein geistliches Erwachen geschenkt hat, war der Meinung, zu diesem Text von heute 23 Predigten halten zu müssen. Er hat also 23 Predigten zum heutigen Predigttext gehalten.
Ich habe mal so ein bisschen nachgerechnet: Ich predige ungefähr einmal im Jahr hier in der Gemeinde. Einige wissen vielleicht, wie alt ich bin. Ich könnte den Rest meines Lebens an diesem Text bleiben, so viel steckt da drin.
Aber natürlich haben wir heute nicht die Möglichkeit, uns alles so im Detail anzuschauen. Wir müssen uns auf wesentliche Dinge konzentrieren. Das heißt, wir können einige Sachen, die sehr interessant und komplex sind, nur kurz streifen.
Zwei Beispiele möchte ich ganz kurz erwähnen, bevor wir in den Text einsteigen. Manche oder viele Leute und vielleicht sogar einige von euch haben Fragen zur Dreieinigkeit. Das ist ja gar nicht so einfach zu verstehen. Da ist ein Gott in drei Personen: Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Wenn du bisher gedacht hast, du bist der Einzige, der damit irgendwie nicht so ganz klarkommt, dann lass dir sagen, dass viele das nicht ganz verstehen. Ich selbst verstehe das auch nicht erschöpfend. Dieser Text aus Epheser 1 sagt sehr viel über die Dreieinigkeit und das Verhältnis der drei göttlichen Personen zueinander. Aber wir können das hier nur am Rand streifen, weil uns einfach die Zeit dafür fehlt.
Ein zweites Beispiel: Unser Abschnitt spricht auffallend intensiv über das Thema Erwählung und Vorherbestimmung. Ich weiß, dass einige von euch da schon mit den Augen rollen, schon allein, wenn sie die Begriffe „Vorherbestimmung“ oder „Erwählung“ hören. Das ist auch nicht ganz so einfach. Aber ich werde dazu etwas sagen, weil Paulus hier ausdrücklich intensiv darüber spricht. Mir ist klar, dass das, was ich sage, nicht erschöpfend sein kann und dass wir das vielleicht an anderer Stelle oder im persönlichen Gespräch vertiefen müssen.
Nun aber zum Text. Worum geht es? Es handelt sich um ein gewaltiges Lob für den geistlichen Segen, den Gläubige dadurch empfangen haben, dass sie mit Jesus Christus verbunden sind. Es ist ein gewaltiges Gebet, das Paulus hier spricht. Die Formulierung „in Christus“, „in ihm“ und „in dem Geliebten“ kommt elfmal in diesem Text vor. Paulus möchte uns deutlich machen, wer wir sind und was wir sind. Unsere Identität, das, was uns ausmacht, wird durch unsere Beziehung und unser Sein in Christus bestimmt.
Wir haben alles, was wirklich zählt vor Gott, durch Christus empfangen. Paulus möchte uns zum Staunen bringen über die Gnade Gottes und das Erlösungswerk. Er möchte uns dazu ermutigen, dass wir, weil Gott in Christus alles für uns getan hat, ein Leben zu seiner Herrlichkeit und zu seinem Lob führen.
Ich werde diese Segnungen, von denen Paulus spricht, als Gliederungspunkte für meine Predigt nehmen. Der erste Punkt wird sein: Durch den Vater erwählt, der zweite Punkt: Durch den Sohn erlöst, und der dritte Punkt: Durch den Geist versiegelt.
Bevor wir jetzt einsteigen, bete ich noch:
Vater im Himmel, wir danken dir an diesem Erntedankfest für das tägliche Brot, das du uns gibst. Du bist so gut zu uns, und wir preisen dich auch für die Gabe des Heiligen Geistes, der uns hilft, dich und deinen Willen immer besser zu verstehen. Danke, dass dein Geist uns zeigt, dass wir Jesus brauchen – jeden Tag. Hilf uns, der Wahrheit, der Kraft und der Schönheit deines Evangeliums immer mehr zu vertrauen. Lass uns reifen in der Hoffnung auf Christus, damit er unser Denken und Handeln immer fester prägt. Amen.
Wir steigen ein mit dem ersten Punkt: Durch den Vater erwählt.
Paulus eröffnet seinen langen Satz mit den Worten, die ich schon erwähnt habe, einem Lobpreis: "Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch – oder in – Christus." Beide Übersetzungen sind möglich. Wir können auch sagen: "Gepriesen sei Gott für die Fülle des geistlichen Segens, durch die wir Anteil haben an der himmlischen Welt, durch Christus."
Liebe Geschwister, was Paulus hier im Epheserbrief macht, ist, dass er die Leser und Hörer mit hineinnehmen will in die Anbetung Gottes. Wir merken, dass das, was Paulus hier schreibt, etwas ist, das aus seinem Herzen kommt. Gleich werden wir uns damit beschäftigen, wie Paulus diesen geistlichen Segen konkret begründet. Er tut das ausführlich.
Doch an dieser Stelle wollen wir einmal innehalten und darüber staunen, wie der Apostel unseren himmlischen Vater hier in den Mittelpunkt stellt und ihn erhebt. Wenn wir begreifen, was Jesus für uns getan hat, dann kommen wir nicht daran vorbei, Gott wirklich anzubeten. Dann staunen wir, dann jubeln wir, und oft fehlen uns die Worte, um vor Gott, dem Vater, das auszudrücken, was wir sagen wollen.
Wenn wir das Alte und das Neue Testament lesen, werden wir merken, dass das Lob Gottes die höchste Form des Gebets ist. Bitte versteht mich nicht falsch: Wir dürfen betend klagen, wir bitten um die Vergebung unserer Sünden, wir beten für andere, wir tun also Fürbitte. All das ist angemessen und wichtig. Aber doch stiftet uns das, was uns Christus gegeben hat, dazu an, Gott zu loben und ihn zu preisen. Das ist aus christlicher Sicht die höchste Form des Gebets.
Ich muss euch bekennen, dass das bei mir nicht immer der Fall ist. Wenn ich mich morgens mit meiner Tasse Kaffee hinsetze, um meine Bibel zu lesen, habe ich so ein kleines Ritual. Ich nehme immer den gleichen Sitzplatz, wenn ich zu Hause bin, natürlich, eine Tasse Kaffee, meine Bibel und einen Bibelleseplan. Dann fange ich an zu lesen. Doch nicht immer ist das von einer anbetenden Haltung geprägt. Diese fehlt mir manchmal.
Wenn ich dann meine Liste mit Fürbitten aufschlage, um für andere zu beten, ist das manchmal so, als würde ich eine Liste abarbeiten, als betete ich nur ab. Es ist immer noch besser, als wenn ich die Fürbitte vernachlässigen würde, und ich mache es dann eben. Doch oft fehlt die anbetende Haltung.
Was der Apostel Paulus hier machen möchte, ist, uns zu ermutigen, wirklich von Herzen Gott in unserem Leben in den Mittelpunkt zu stellen und ihn zu preisen – mit Lob, Danksagung und Anbetung. Weißt du, was es bedeutet, einfach mal nur in der Gegenwart Gottes zu sein, sich an ihm zu freuen und ihn anzubeten?
Noch einmal: Wenn wir begreifen, was Gott alles für uns in Christus getan hat, dann können wir gar nicht anders. Dann gehört dieses Lob zum Leben dazu. Dann ist uns die Anbetung des Vaters ein tiefes Bedürfnis.
Noch ein kurzes Wort, bevor wir im Text weitergehen, zu der Formulierung "geistlicher Segen". Da ist ja ausdrücklich von geistlichem Segen die Rede. Was ist damit gemeint?
In der Bibel steht der geistliche Segen nicht notwendigerweise im Widerspruch zum irdischen Segen. Aus dem geistlichen Segen, den Gott aus dem Himmel schenkt, fließt manchmal auch irdischer Segen. Besonders im Alten Testament finden wir dafür viele Beispiele.
Doch es ist gefährlich zu meinen, dass aus geistlichem Segen zwingend auch irdischer Segen folgt. Warum ist das so gefährlich? Nun, weil es uns schnurstracks zum Wohlstandsevangelium führt. Wenn ich geistlich bin, wenn ich unter Gottes Segen stehe, dann bin ich immer gesund, materiell gut aufgestellt und erfolgreich in meiner beruflichen Karriere.
Ihr Lieben, darum geht es hier nicht. Gesundheit, beruflicher Erfolg, genug Geld – das haben alles auch Menschen, die Jesus überhaupt nicht kennen. Paulus schreibt hier aus dem Gefängnis. Im sechsten Kapitel spricht er davon, dass er an Ketten gefesselt ist.
Paulus beschreibt hier den geistlichen Segen: Gott schenkt durch seinen Sohn und durch seinen Geist etwas, das die Welt überhaupt nicht kennt und nie verstehen wird. Dieser geistliche Segen ist viel tiefer und reicher als alles, was die Welt uns geben kann.
Das wird deutlich, wenn wir weiterlesen. Ich lese die Verse 4 bis 6. Ich lese jetzt nach einer etwas moderneren Übersetzung, die nicht die Basisbibel ist. Diese Übersetzung ist angelehnt an die neue Genfer Übersetzung. Das hilft uns, den Text vielleicht besser zu verstehen.
Denn in Christus hat er uns schon vor der Erschaffung der Welt erwählt, mit dem Ziel, dass wir ein geheiligtes und untadeliges Leben führen – ein Leben in seiner Gegenwart und erfüllt von seiner Liebe. Von Anfang an hat er uns dazu bestimmt, durch Jesus Christus seine Kinder zu werden. Das war sein Plan, so hatte er es beschlossen. Und all das soll zum Ruhm seiner wunderbaren Gnade beitragen, die er uns durch seinen geliebten Sohn erwiesen hat.
Hier geht es ans Eingemachte. Paulus lobt Gott, weil er seine Kinder in Christus schon vor der Erschaffung der Welt erwählt hat. Von Anfang an hat er sie dazu bestimmt, durch Jesus seine Söhne und Töchter zu werden.
Ich habe eingangs erwähnt, dass Epheser 1 im Blick auf die Dreieinigkeit ein ganz wichtiger Text ist. Hier haben wir einen solchen wichtigen Punkt. Schon vor der Grundlegung der Welt gab es eine Art Konzil zwischen Gott dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Diese drei Personen des einen Gottes haben über den Erlösungsplan beraten.
Der Vater plante die Erlösung. Der Sohn erklärte sich bereit, diesen Plan mit seiner Menschwerdung umzusetzen. Der Heilige Geist willigte ein, den Menschen das klarzumachen und dazu beizutragen, dass sie verstehen und erkennen können, was Christus für sie getan hat.
Manche von uns haben vielleicht die Vorstellung, das Evangelium sei eine Art Notplan oder Plan B. Die Menschen sind, wie im dritten Kapitel des ersten Buches Mose berichtet wird, in Sünde gefallen. Gott war darüber nicht überrascht, sondern wusste es von Anfang an. Er hat nicht erst überlegt, was nun zu tun sei, um die Menschen aus diesem Schlamassel zu befreien.
Gott ist anders als wir Menschen. Er hat ein anderes Verhältnis zur Zeit. Zwar ist er in Jesus in die Geschichte und damit in die Zeit eingetreten, doch zugleich ist er Schöpfer. Er steht über der Zeit und hat in einem Moment Zugriff auf die gesamte Geschichte. Ein Tag ist vor ihm wie tausend Jahre.
Schon bevor Gott die Welt geschaffen hat, wusste er, dass die Menschen sich von ihm abwenden würden. Ihm war klar, dass Adam und Eva der Stimme der Schlange im Garten Eden mehr vertrauen würden als ihm. Deshalb beschloss er, einen Ausweg aus diesem Schlamassel zu schaffen.
Der Vater wird jemanden schicken, der der Schlange den Kopf zertritt. Er wird jemanden senden, der Sühnung und Erneuerung schafft. Er wird jemanden beauftragen, den Tod zu besiegen und die Menschen aus der Herrschaft der Sünde herauszuholen und in die Freiheit zu führen.
Der Vater hat von Anfang an Jesus dazu bestimmt, Menschen zu seinen Söhnen und Töchtern zu machen. Er will sie aus der Knechtschaft der Sünde in die Freiheit führen.
Nehmen wir uns noch etwas Zeit für den Ausdruck „in der Liebe“ in Vers 4. Die Art und Weise, wie Paulus das hier sagt, ist sehr aufschlussreich. Das „In-der-Liebe-Sein“ bestimmt meiner Meinung nach das Heiligsein und das Untadeligsein näher. Es beschreibt die Art und Weise, wie Christen in der Welt leben.
In Kapitel 5, auf das wir in einigen Wochen noch zu sprechen kommen, wird uns Paulus dazu aufrufen, in der Liebe zu wandeln. Jesus sagt im Johannesevangelium, Kapitel 13: „Ich gebe euch ein neues Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. So sollt ihr euch untereinander lieben. An eurer Liebe zueinander wird die Welt erkennen, dass ihr meine Jünger seid.“
Aus christlicher Sicht ist hier etwas bedeutsam: Liebe ist mehr als ein Gefühl. Liebe ist ein Handeln, das sich am Willen Gottes und am Wohl des Nächsten orientiert. Das „In-der-Liebe-Sein“ findet seinen angemessenen Ausdruck darin, dass wir unter der Herrschaft Jesu heilig und untadelig unterwegs sind.
Das ist ein wichtiger Punkt. Ich kann mir vorstellen, dass für einige die zurückliegenden Jahre mit der Corona-Pandemie sehr herausfordernd gewesen sind. Doch wenn man nach vorne schaut, entwickelt sich manchmal der Eindruck, dass die größeren Krisen noch vor uns liegen.
Wir haben nicht nur eine Energiekrise, sondern steuern auf eine Rezession zu. Es gibt Kriegsgeschrei in Europa und eine tiefe, abgrundtiefe moralische Krise, auch im Westen. Ich weiß nicht, wie die nächsten Jahre werden, aber es könnte sein, dass sie noch herausfordernder werden als die letzten beiden Jahre.
Wir sind jedoch aufgerufen, eine andere Gemeinschaft zu sein als die Welt. Wir sind berufen, Kinder Gottes zu sein, die einander lieben und die man daran erkennt, dass sie trotz der Schwierigkeiten, trotz Spaltungen und Streit füreinander sorgen.
Das wird sehr herausfordernd werden.
Dabei müssen wir aufpassen: Dieses Vollkommensein und Makellossein heißt nicht, dass einer von uns schon vollkommen ist in der Nachfolge. Paulus erwähnt dieselben Begriffe noch einmal im Kolosserbrief, Kapitel 1, Vers 22: heilig und untadelig. Dort macht er deutlich, dass wir durch Jesus vor dem Vater untadelig und heilig dargebracht sind.
Also sind wir vollkommen vor Gott dem Vater durch unsere Verbindung mit Christus, in Christus. Wir sind nicht in uns selbst vollkommen, sondern in Christus. Das ist ganz wichtig, so zu sehen und zu unterscheiden.
Gleichzeitig darf uns das nicht davon abhalten, danach zu streben, in der Erkenntnis und in der Liebe zu wachsen. Wir sollen danach trachten, dass die Erlösung, die Gott der Vater uns durch Christus geschenkt hat, auch sichtbar wird in unserem Leben.
Das führt uns zum nächsten Abschnitt: „Durch den Sohn erlöst“, die Verse 7 bis 10. Dort lesen wir Folgendes:
In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade, die er uns reichlich hat widerfahren lassen in aller Weisheit und Klugheit. Gott hat uns das Geheimnis seines Willens nach seinem Ratschluss wissen lassen, den er zuvor in Christus gefasst hatte, um die Fülle der Zeiten heraufzuführen, auf dass alles zusammengefasst würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist, durch ihn.
Wir spüren hoffentlich die Dichte dieser wenigen Sätze. Da steckt so viel drin, das ist gewaltig und nicht einfach zu verstehen. Ich möchte bei Vers 10 starten und diesen Vers noch einmal nach der neuen Genfer Übersetzung wiederholen:
„Unter ihm, Christus, dem Oberhaupt des ganzen Universums, soll alles vereint werden, das, was im Himmel und das, was auf der Erde ist.“
Worum geht es hier? Der Vers setzt voraus, dass der Haushalt der Welt – was für Betriebswirte wörtlich Ökonomia bedeutet – in eine große Unordnung geraten ist. Adam und seine Nachfahren haben nicht unter der Herrschaft Gottes gelebt. So ist die gesamte Welt aus den Fugen geraten, sie ist zersplittert.
Der erste Adam, der die Menschheit repräsentiert hat, war ein untreuer Verwalter. Er hat die Welt in die Gottesferne, in die Finsternis und in die Verlorenheit geführt, sodass wir von Geburt an als Nachkommen Adams unter der Knechtschaft der Sünde leben.
Als die Zeit erfüllt war, hat Gott, der Vater, seinen Erlösungsplan, den er schon mit dem Sohn und dem Heiligen Geist vor der Grundlegung der Welt beschlossen hatte, öffentlich gemacht und eingelöst. Das, was bisher ein Geheimnis war, wird nun reichlich für alle sichtbar in Weisheit und Klugheit bekannt gemacht.
Es geht natürlich um den geliebten Sohn, der sich vom Vater in die Welt senden ließ. Im Unterschied zum ersten Adam, dem untreuen Verwalter, tritt er hier als der treue Verwalter auf. Jetzt, da die Zeit gekommen ist, wird Christus die aus den Fugen geratene Welt wieder zusammenbringen, Himmel und Erde wieder zusammenfügen und die Ordnung wiederherstellen.
Jesus Christus bringt Erlösung und Erneuerung. In Vers 7 heißt es:
„Durch ihn, der sein Blut für uns vergossen hat, sind uns unsere Verfehlungen vergeben; durch ihn sind wir erlöst.“
Diese Erneuerung, das Zusammenbringen von Himmel und Erde, kann Jesus nur bringen, weil er sich selbst dem Vater untergeordnet hat und sich hat senden lassen als Erlöser. Nur weil er Vergebung bringt, kann er Erlösung schaffen.
Wir dienen deshalb einem gekreuzigten König. Er hat die Schuld der Welt auf sich genommen, die ganze Sünde, und ist jetzt unser König. Wir dienen ihm.
Im Unterschied zu den alttestamentlichen Opfern, die immer wiederholt werden mussten, reicht dieses eine Opfer, das Jesus am Kreuz gebracht hat. Das Blut Jesu reicht ein für allemal. Wenn wir uns an den Vater wenden und aufrichtig um Vergebung unserer Sünden bitten, dann wird er sie wirklich vergeben, weil der Sohn dafür gesühnt hat.
Was ist das für eine Botschaft? Gerade der, der weiß, dass er Sünder ist, kann hier aufatmen. Und gerade der, der weiß, dass er unverzeihliche Dinge getan hat, die nicht mehr zu reparieren sind, kann am Kreuz Vergebung und Frieden für seine Seele finden.
An dieser Stelle möchte ich eine kurze Episode aus meinem Leben erzählen: In den 90er Jahren war ich, damals noch verhältnismäßig jung, Reiseleiter für eine große christliche Reisegruppe durch Russland, also Moskau und Sankt Petersburg. Ich war ein bisschen überfordert mit der Situation, aber naja, es war halt so.
Zusammen mit einem Freund leitete ich dort die Gruppe. Wir erlebten sehr verrückte Dinge, die man in Russland erleben kann. Dabei habe ich Hedwig kennengelernt. Hedwig war damals schon um die achtzig Jahre alt.
Auf dem Flug von Moskau nach Sankt Petersburg saß sie vor mir im Flugzeug. Wir haben damals zum Scherz gesagt, dass die Airline, mit der wir geflogen sind, die „Never Come Back Airline“ sei. Viele Dinge liefen da nicht reibungslos.
Tatsächlich ist beim Start der Sitz von Hedwig vor mir zusammengebrochen. Ich habe den ganzen Flug über mit meinem Nachbarn Hedwig gestützt, sodass wir heil in Sankt Petersburg ankamen.
Wir haben uns dann besser kennengelernt. Hedwig war Missionarin, sprach sehr viele Sprachen und war eine ganz treue Beterin. Ich habe selten Menschen getroffen, die so konsequent gebetet haben.
Wir haben uns als Familie mit ihr angefreundet. Später ist sie dann in unsere Nähe gezogen, in ein Altersheim, weil sie keine engen Verwandten mehr in Deutschland hatte. Ihre Verwandten waren überall auf der Welt verstreut.
Wir haben sie ab und zu besucht. Eines Tages hörte ich ihre Stimme auf dem Anrufbeantworter: „Ron, ruf mich bitte zurück.“ Das hatte sie noch nie gemacht. Ich hatte natürlich immer viel zu tun und habe nicht sofort zurückgerufen, jedenfalls einige Tage nicht.
Nach ein paar Tagen habe ich dann endlich im Altersheim angerufen. Man sagte mir, dass Hedwig verstorben sei. So war das.
Hedwig lag im Sterben und wollte, dass ich ihr in dieser wirklich schwersten Stunde beistehe. Sie hatte ja niemanden. Sie wollte, dass ich mit meiner Frau dabei bin, um sie zu trösten.
Ihre Zusage war: „Ja, Christus wartet auf dich, er hat dich erlöst, und was auch immer du jetzt erlebst, er wartet. Du wirst ihn gleich sehen, du bist gleich in der Herrlichkeit.“
Aber jetzt war es zu spät. Das kann man nicht mehr reparieren. Es gibt viele Dinge, die man irgendwie noch wieder gut machen kann, aber in diesem Fall war es nicht mehr möglich.
Ich wusste, ich hatte total versagt, wirklich total versagt. Ich hätte versuchen können, mir das selbst zu verzeihen, aber das ist ja nur ein psychologischer Trick.
Doch ich weiß, dass das Blut Jesu reicht. Bei ihm ist Vergebung. Er deckt das nicht nur zu, sondern hat für meine Übertretungen bezahlt.
Wenn der Satan zu mir kommt, der Ankläger, wenn er anklopft und sagt: „Hey Ron, ich zeige dir, wer du eigentlich bist, was für ein Versager du bist“, dann weiß ich:
„Ja, ich habe furchtbar versagt, das ist unverzeihlich. Aber Gott hat mir durch seinen geliebten Sohn wunderbare Gnade erwiesen. Jesus hat sein Blut für mich vergossen, er hat bezahlt. Seine Gnade reicht für mich. Du kannst wieder verschwinden, Jesus ist Sieger.“
Kommen wir zum dritten Punkt, „durch den Geist versiegelt“, das sind die Verse 11 bis 14. Ich möchte die Worte noch einmal vorlesen:
„In ihm sind auch wir zu Erben eingesetzt worden, die wir dazu vorherbestimmt sind, nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt, nach dem Ratschluss seines Willens, damit wir zum Lob seiner Herrlichkeit leben, die wir zuvor auf Christus gehofft haben. In ihm seid auch ihr, die ihr das Wort der Wahrheit gehört habt, nämlich das Evangelium von eurer Rettung. In ihm seid auch ihr, als ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem Heiligen Geist, der verheißen ist, welcher das Unterpfand unseres Erbes zu unserer Erlösung ist, damit wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlichkeit.“
Hier nennt Paulus einen weiteren Grund dafür, warum wir alle geistlichen Segnungen durch Christus empfangen haben: Er hat uns ein unvergängliches Erbe geschenkt. Die Wiederholung von „in ihm“, das heißt in Christus, zeigt, dass dieser Abschnitt strukturell mit Vers 7 und 13 verbunden ist. Durch die Verbindung mit Christus werden wir Gläubige in die Familie Gottes aufgenommen. Durch ihn sind wir Erben der Segnungen und Verheißungen des Vaters geworden.
Ich habe bisher unterschlagen, dass wir in Vers 5 ein Wort finden, das man eigentlich mit „Adoption“ übersetzen sollte. „Wir sind dazu bestimmt, Gottes Söhne und Töchter zu sein“ heißt wörtlich: „Wir sind zur Sohnschaft oder zur Adoption bestimmt.“ Manche mögen diesen Begriff nicht, aber er ist wichtig, da er bestimmte juristische Aspekte beinhaltet. Mit einer Adoption entstehen Erb- und Unterhaltsansprüche, und gleichzeitig erlöschen die Rechte und Pflichten gegenüber der Herkunftsfamilie.
Was bedeutet das? Gott erinnert uns durch Paulus daran, dass wir nach dem Vorsatz seines Willens dazu bestimmt sind, Kinder und seine Erben zu sein. Wir stammen eigentlich von Adam ab und gehören also zu der Familie, die unter dem Zorn Gottes steht. Der Römerbrief spricht das sehr deutlich an. Er sagt sogar, dass die Kinder Adams Feinde Gottes sind.
Dann sagt Paulus im Römerbrief: Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus, als wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist. Vielmehr nun, da wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt sind, werden wir von seinem Zorn gerettet werden. Das ist so eine wunderbare Botschaft: Jesus starb für Sünder, Jesus starb für Gottlose.
Lass mich an dieser Stelle mal ganz persönlich werden: Wenn du noch nicht an Jesus glaubst, dann ruft dich Gott jetzt. Gott wartet darauf, dass du dich an ihn wendest im Gebet. Und dass du erkennst, dass du verloren bist, dass du einen Retter brauchst und dass Jesus Christus allein, der für dich Schuld bezahlt hat, in der Lage ist, dich zu retten. Gott erweist seine Liebe darin, dass er dich retten will.
In Jesaja 55,7 sagt Gottes Wort: „Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum Herrn, so wird er, der Herr, sich erbarmen, und unser Gott, bei dem ist viel Vergebung.“
Im Epheserbrief macht Paulus also deutlich: Wenn du zu Christus kommst, dann kannst du Vergebung deiner Sünden empfangen. Aber er sagt darüber hinaus noch: Gott vergibt dir nicht nur, sondern er macht dich zu einem Familienmitglied. Wer glaubt, ist ein Kind Gottes und gehört zur Familie Gottes.
Deine geistlichen Verbindlichkeiten gegenüber deiner alten Adamsfamilie sind erloschen. Du lebst jetzt nicht mehr unter der Herrschaft der Sünde, sondern im Glauben. Du hast die Botschaft der Wahrheit gehört, du hast sie angenommen, du bist Träger des Heiligen Geistes. Gott hat dir sein Siegel aufgedrückt. Du bist sein Eigentum. Und weil du zu Gott gehörst, wirst du auch als Erbe eingesetzt.
Bei diesem Erbe gibt es zwei Aspekte: den gegenwärtigen und den zukünftigen. Der Heilige Geist ist gewissermaßen eine Anzahlung. Luther hat das mit „Unterpfand“ übersetzt, und den haben wir jetzt schon bekommen. Also ist ein Kind Gottes Kind Gottes, weil es den Heiligen Geist empfangen hat.
Meine Frau und ich waren im Sommer in Tirol wandern. Das war sehr schön. Oberhalb von 2000 Metern oder schon etwas weiter unten trifft man dann diese Rinder oder auch andere Tiere, die eine Marke im Ohr haben. Sie haben ein Brandzeichen, das zeigt, was für ein Tier das ist und manchmal auch, zu wem sie gehören.
Und wenn du ein Kind Gottes bist, dann hat dir sozusagen Gott der Vater ein Brandzeichen aufgedrückt, ein Siegel gegeben – den Heiligen Geist. Du darfst die Gewissheit haben, dass du zum Volk Gottes gehörst. Du darfst die Gewissheit haben: Ich bin ein Kind Gottes, Gott ist mein Vater.
Wer am Bibel-Entdecken-Kurs teilnimmt, der weiß, dass ich gerne Hausaufgaben verteile. Ich gebe euch auch heute eine Hausaufgabe mit: Schlagt zu Hause am Sonntag, also heute, den Galaterbrief auf und schaut mal in Kapitel 4, die Verse 4 bis 7, nach. Dort sagt Paulus ungefähr dasselbe: Der Heilige Geist ist gegeben, und er ruft in uns: „Abba, lieber Vater.“
Da taucht auch diese Sohnschaft wieder auf. Das ist ein hochinteressanter Text, der sich sehr deckt mit dem, was Paulus hier sagt. Die Bibelausleger streiten sich darum, was damit eigentlich gemeint ist. Geht es um die Beziehung, um die liebevolle Beziehung zum Vater, oder geht es mehr um die juristischen Aspekte?
Es geht um beides. Wir als Kinder Gottes sind Erben. Uns ist etwas versprochen worden, was Gott uns tatsächlich geben wird. Und der Geist bewirkt in uns eine ganz persönliche, vertrauensvolle Beziehung zu Gott, dem Vater.
Ich komme zum Schluss. Wir haben einen sehr langen Lobpreis von Paulus studiert. Es gibt nicht nur Gründe für diesen Lobpreis, sondern ihr habt es gemerkt: Er möchte uns mit hineinnehmen. Er möchte seine Leser und Hörer dazu anstiften, selbst Menschen zu sein, die Gott, den Vater, loben und preisen.
Das Lob konzentriert sich zunächst auf den Vater, dann auf den Sohn und schließlich auf den Heiligen Geist. Zunächst wird Gott, der Vater, gepriesen für seine wunderbare Errettung, die er geschaffen hat. Er ist die Quelle, der Ursprung allen Segens, den wir genießen. Er hat uns erwählt, vorherbestimmt, adoptiert, erlöst, vergeben und durch seinen Geist versiegelt. Diese Segnungen sind Teil seines souveränen Planes.
Der Vater wirkt all diese Dinge auf uns verborgene Weise, nach seiner Absicht und seinem Plan. Und das alles geschieht zum Lob seiner Herrlichkeit.
Der Lobpreis konzentriert sich dann auf das Werk seines Sohnes, Christus. Christus ist der Raum, in dem göttlicher Segen gespendet wird und in dem wir Gottes Segen empfangen. Das Heil, das wir Christen besitzen, ist tief verankert in dem, was Jesus getan hat. Diese Betonung wird dadurch unterstrichen, dass Paulus elfmal davon spricht, „in Christus“ zu sein.
Der geistliche Segen, den wir besitzen, ist auf diese Verbindung mit Christus zurückzuführen. Unsere Rettung liegt nicht in uns, sondern in ihm. Er ist vollkommen. Er ist unsere Gerechtigkeit und unsere Heiligung. In ihm haben wir Vergebung unserer Sünden. Zu ihm können wir täglich kommen mit unserem Versagen. Jesus ist unser Fürsprecher bei dem Vater, und der Vater vergibt uns gern.
Lass mich an dieser Stelle sagen: Wenn du mit Sünde kämpfst, bist du nicht allein. Aber höre nicht auf zu kämpfen. Verstecke das nicht vor Gott, versuche nicht, allein damit fertig zu werden, und laufe schon gar nicht weg. Öffne dich vor deinem himmlischen Vater, der dich durch Christus sieht, der dich durch Christus liebt und der dir gern vergibt. Er will dir helfen – auch durch die Gemeinde – weiterzukommen, Sünde zu überwinden und Fortschritte zu machen. Komm also zum Kreuz.
Schließlich wird das Wirken des Heiligen Geistes in diesem Abschnitt deutlich gemacht. Alle Segnungen, die erwähnt sind, sind Gaben des Heiligen Geistes. Der Geist bringt uns das geistliche Leben und befähigt uns zur Nachfolge und zum Dienen. Darüber hinaus werden diejenigen, die an Christus glauben, mit dem Heiligen Geist versiegelt.
Der Heilige Geist schenkt uns die Gewissheit, dass wir zu Gott gehören. Dieser Geist ist die Anzahlung für die Teilhabe an Gottes Neuerschöpfung.
Merkt ihr, Paulus will uns mit hineinnehmen in die Anbetung Gottes: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus.“
Diese dankbare, anbetende Haltung ist das Alleinstellungsmerkmal der Christen. Sie beten Gott an – auch dann, wenn es schwere Zeiten sind. Gott weiß, was dich bewegt. Er kennt deine Sorgen, zum Beispiel, dass du dich vielleicht sorgst um Familienmitglieder, die Christus nicht kennen. Dass du nicht weißt, wie du deine Heizungsrechnungen im kommenden Winter bezahlen wirst. Dass du vielleicht mit Krankheit kämpfst und keiner sieht, wie sehr dich das in Anspruch nimmt und was es kostet.
Christus kennt das, er weiß das. Und du darfst zu ihm kommen mit Gebet, mit Klage, mit Trauer. Du kannst vor den Thron kommen und all das ausbreiten. Aber das, was da immer noch ist, was da mehr ist als Fürbitte und mehr als Klage, das ist die Anbetung Gottes. Der Lob, der Dank, den wir zum Ausdruck bringen.
Christen wissen, dass sie eine Bestimmung haben. Sie leben nicht ziellos, sondern führen ein Leben in der Kraft des Heiligen Geistes und in der Liebe zur Ehre Gottes. Wir strecken uns danach aus, dass in unserem Leben sichtbar wird, was Christus für uns bewirkt hat als Gottes Eigentum.
Amen!
Unser Vater im Himmel, wir haben allen Grund, dich zu loben. Wir danken dir, dass du uns dazu bestimmt hast, deine Söhne und Töchter zu sein. Wir sind froh, dass du uns durch Jesus die Botschaft der Wahrheit, das Evangelium unserer Rettung, gebracht hast. Durch deinen Sohn sind unsere Verfehlungen wirklich vergeben, durch sein Blut sind wir erlöst. Danke, dass wir eine sichere Hoffnung haben und ein unvergängliches Erbe auf uns wartet.
Amen.