“Wir möchten gern ein Pfand, einen Beweis, ein Wunderzeichen von dir sehen.” Diese Bitte verbindet uns alle. Und Jesus verweigert sie: kein Wunderzeichen, aber das Jonazeichen. Was ist das? Konrad Eißler meint: Es ist ein Wasserzeichen, ein Fischzeichen und ein Lebenszeichen. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]

Dass wir uns recht verstehen, liebe Gemeinde, denen geht es nicht um ein Abzeichen. Abzeichen gibt beim Wanderverein, den Bergstiefel in Silber für 30jährige Vereinstreue, oder beim Gesangverein, den Violinschlüssel in Gold für 50jährige Mitgliedschaft. Wir haben ja eine bestimmte Schwäche für schöne Abzeichen auf der Brust, aber im Reich Gottes gibt es keine Abzeichen. Das wissen Schriftgelehrte und Pharisäer und deshalb bitten sie nicht: “Meister, wir möchten gern ein Abzeichen von dir sehen.” Denen gebt es auch nicht um ein Glückszeichen. Glückszeichen gibt es am Autokühler, das Hufeisen von Opas Karrengaul, oder an der Sporttasche, das Maskottchen in weichem Plüsch. Wir kennen ja eine bestimmte Vorliebe für nette Glückszeichen im Leben, aber im Reich Gottes gibt es keine Glückszeichen. Das wissen Schriftgelehrte und Phariser auch und deshalb bitten sie nicht: “Meister, wir möchten gern ein Glückszeichen von dir sehen.” Denen geht es erst recht nicht um ein Sternzeichen. Sternzeichen gibt es am Himmel, den Steinbock oder Schützen, und im Horoskop, die Jungfrau oder den Wassermann. Wir kennen ja ein bestimmtes Interesse für alte Sternzeichen in der Welt, aber im Reich Gottes gibt es keine Sternzeichen. Das wissen Schriftgelehrte und Pharisäer ganz genau und deshalb bitten sie nicht: “Meister, wir möchten gerne ein Sternzeichen von dir sehen.” Die Leute wollten ein Wunderzeichen, das diesen Jesus unzweideutig als den Christus ausweist. Wohl haben sie seine Worte gehört, wie er tröstlich zu sich eingeladen hat, aber das ist noch lange kein Pfand für seine Gottesherrschaft. Zu viel andere Worte dringen ebenso an ihr Ohr. Wohl haben sie seine Taten gesehen, wie er den Sturm auf dem Meer gestillt hat, aber das ist noch lange kein Beweis für seine Messianität. Zu viel andere Stürme konnten ungebremst weitertoben. Wohl haben sie seine Heilungen erlebt, wie ein Gelähmter putzmunter nach Hause marschierte, aber das ist doch noch lange kein untrügliches Zeichen für seine göttliche Abstammung. Zu viel andere Kranke sind auf ihrem Schragen liegengeblieb­en. Und wer auch an unserer Wortinflation leidet und sich zwischen den großen und lauten Kraftsprüchen nicht mehr zurechtfindet, der bittet mit diesen Männern: “Meister, wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen, dass wir keinem Spruchbeutel nachgelaufen sind.” Und wer auch an unseren Lebensstürmen leidet und selbst wie eine Nussschale hin- und hergeworfen wird von den Wellen, der bittet mit diesen Männern: “Meister, wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen, dass wir keinem Scharlatan aufgesessen sind.” Und wer auch an unserem Krankenhaus Erde leidet und mit diesem riesigen Spital nicht mehr fertig wird, der bittet mit diesen Männern: “Meister, wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen, dass nicht alles Lug und Trug ist, woran wir bisher geglaubt haben.” “Wenn sich doch ein Wunder unter uns zeigte”, sagt Pfarrer Bratt in Björnsons Drama ‘Über die Kraft’, “ein so großes, dass alle, die es sehen, glauben müssten. Die Enttäuschten, die Unterdrückten, die Leidenden, sie kröchen herbei, jeder aus seinem Dorf, seiner Hütte, seinem Bett. Aber sie würden nicht allein bleiben. Alle, die Wahrheit suchen, würden ihnen folgen, die tiefen Frager und die hohen Geister. Nicht der Wahrheitsdrang, nicht die Glaubensfähigkeit fehlt ihnen, sondern einzig und allein das Wunder, das Zeichen.” Doch, diese Bitte verbindet uns alle: Meister, wir möchten gern ein Pfand, einen Beweis, ein Wunderzeichen von dir sehen.” Und Jesus winkt ab. Wunder führen nur zur Ver­wunderung und nicht zum Glauben. Jesus sagt nein. Wunder schaffen nur Bewunderer und keine Nachfolger. Jesus verweigert die Bitte: Kein Wunderzeichen, aber das Jonazeichen. Das Jonazeichen sollt ihr haben. Das Jonazeichen sollt ihr sehen. Das Jonazeichen soll genügen. Was ist das? Erstens ist es …

1. Ein Wasserzeichen

Erinnern wir uns also an diesen kleinen Propheten. Jona ist im Schiff. Seine Reise geht von Jafo nach Tarsis. Das Boot gleitet durch die Wellen. Auf einmal kommt Sturm auf. Wasser schlagen über Bord. Segel zerfetzen im Wind. Die Angst geht um wie ein Gespenst. Und immer wenn die Angst umgeht, wird nach dem Schuldigen gesucht. Der Kapitän kann wirklich nichts dafür, dass der Kahn so wackelt, und die Matrosen sind völlig schuldlos an dieser Misere, und der Zahlmeister wäscht erst recht seine Hände in Unschuld. Aber Jona ist schuld. Jona ist verantwortlich. Jona ist der Sündenbock. Die Besatzung macht kurzen Prozess und verurteilt ihn zum Tode. Rohe Hände fassen zu und werfen ihn über die Reling. Dann ist von Jona nichts mehr zu sehen.

So wie bei Jesus. Er ist auf dem Meer der Zeit. Seine Reise geht von Galiläa nach Judäa. Das Lebensschiff gleitet durch die Wellen von Moden und Meinungen. Und auf einmal kommt Sturm auf. Menschen blähen sich auf. Seine Haut zerfetzt unter den Peitschenhieben. Die Angst geht um und damit die Suche nach dem Schuldigen. Der Hohepriester kann wirklich nichts dafür, dass das Volk so tobt, und die Hohepriester sind völlig schuldlos an diesem Desaster und ein Pilatus wäscht seine Hände in Unschuld. Aber Jesus ist schuld. Jesus ist verantwortlich. Jesu ist der Sündenbock. Die Menschen machen kurzen Prozess und verurteilen ihm zum Tode. Rohe Hände fassen zu und nageln fest. Dann ist von Jesus nichts mehr zu sehen.

Liebe Freunde, wir möchten gern eine Erhöhung sehen und erleben seine Erniedrigung. Wir möchten gern seinen Aufgang sehen und erleben seinen Untergang. Wir möchten gern seine Aktion sehen und erleben seine Passion. Gott führt in die Tiefe, das ist das Wasserzeichen: Gott führt in die Tiefe. An Jesus ist das abzulesen, der sich diesen Weg nach unten gefal­len ließ und an all seinen Nachfolgern auch: an Johannes, der einer üblen Laune einer Prinzessin zum Opfer fiel, an Jakobus, der unt­er dem Schwert des Herodes sein Leben ließ, an Paulus, der römischen Henkern nicht entkommen konnte, an Polykarb, der in Smyrna seinen Kopf nicht durch Widerruf aus der Schlinge zog, an Johannes Hus, der aufrecht zum Scheiterhaufen marschierte, an Dietrich Bonhoeffer, der von guten Mächten wunderbar geborgen einer schrecklichen Staatsmacht widerstand. Nicht jeder wird diesen schwersten Weg antreten müssen, aber für jeden gilt: “Nur wer sein Leben verliert, der wird es finden.” Wenn also Wellen hochgehen, Brecher über uns­eren Köpfen hereinschlagen und wir diese Sturmzeichen fürchten, so können wir wissen: nicht Sturmzeichen, sondern Wasserzeichen. Und wenn Schmerzen kommen, Geschwüre in unserem Leib festgestellt werden und wir vor diesen Krankheitszeichen zittern, so können wir auch wissen: nicht Krankheitszeichen, sondern Wasserzeichen. Und wenn Kräfte schwinden, Herzschläge schwächer und schwächer werden und wir vor diesen Todeszeichen erschrecken, so können wir erst recht wissen: nicht Todeszeichen, sondern Wasserzeichen. Gott führt in die Tiefe. Das Jonazeichen, das uns durch Jesus gewährt wird, ist zuerst ein Wasserzeichen. Dann ist es …

2. Ein Fischzeichen

Erinnern wir uns wieder an diesen kleinen Propheten. Jona ist im Meer. Der Mann ist versunken und kann gar nicht mehr auftauchen. Der Fall Jona ist ad acta gelegt. Immer ist das so. Wer versinkt, ist vergessen. Das Meer gibt seine Opfer nicht wieder. Der Mensch geht zur Tagesordnung über. Aber der Herr steht nicht machtlos am Ufer. Auch das größte Meer, und so hat es einer formuliert, ist nur eine Lache in seiner Hand. Keine Tiefe ist für ihn unerreichbar. Deshalb kommt dort auch kein Hai, der mit Schiffbrüchigen Schluss macht, sondern ein Wal, der ihm für drei Tage und drei Nächte Schutz gewährt. Jona ist auch im Meer nicht unterhalb oder außerhalb von Gottes Machtbereich.

So wie Jesus. Er ist am Karfreitag im Meer des Todes. Der Sohn Gottes ist versunken und kann gar nicht mehr auftauchen. Der Fall Jesus ist ad acta gelegt. Immer ist das so. Wer verstirbt, ist vergessen. Der Tod gibt seine Opfer nicht wieder. Wir müssen zur Tagesordnung übergehen. Aber der Herr steht nicht machtlos am Rande des Lebens. Auch das Todesmeer ist nur ein Tropfen in seiner Hand. Keine tiefste Tiefe ist für ihn unerreichbar. Deshalb kommt dort nach drei Tagen nicht das Ende, sondern die Wende, Jesus ist auch im Todes­meer nicht unterhalb oder außerhalb von Gottes Machtbereich.

Liebe Freunde, ich weiß, wie schwer diese Botschaft zu fassen ist. Sie will uns partout nicht in den Kopf. Sie verlangt geradezu ein “Fortissimo des Glaubens”, das kaum einer vorweisen kann. Trotz­dem ist es seit Ostern ganz wahr geworden: Gott führt durch die Tiefe, das ist das Fischzeichen: Gott führt durch die Tiefe. Schon Jona konnte ein Liedlein davon singen: “Du warfst mich in die Tiefe mitten im Meer, dass die Fluten mich umgaben. Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt.” David stimmte einen Psalm an: “Deine Güte ist groß gegen mich. Du hast mich errettet in der Tiefe des Todes.” Paulus fasste es in die hymnischen Worte: “Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Mächte noch Gewalten, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.” Und die frühen Christen in Rom kratzten gerade das Fischzeichen als ihr Erkennungszeichen in die Felswände der Katakomben, weil sie diese Erfahrung gemacht hatten: Gott führt durch die Tiefe. Man muss gar nicht buchstäblich im Meer versinken, um das zu erfahren, wie einem zumute ist, wenn die Wellen überm Kopf zusammenschlagen. Der junge Luther hat es in der Klosterzelle erlitten: “Die Angst mich zur Verzweiflung trieb, dass nichts als Sterben bei mir blieb, zur Hölle musst’ ich sinken.” Und vermutlich sitzt jetzt nicht nur einer in dieser Kirche, dem das Wasser bis zum Halse steht, mehr, dem die Wogen des Schmerzes und der Verzweiflung den Boden unter den Füßen weggerissen haben. Aber genau denen wird mit dicken, unübersehbaren Strichen das Fischzeichen vor Augen gemalt: Gott führt durch die Tiefe. Das Jonazeichen, das uns durch Jesus gewährt wird, ist das Fischzeichen. Schließlich ist es …

3. Ein Lebenszeichen

Erinnern wir uns noch einmal an diesen kleinen Propheten. Jona ist in der Stadt. Ninive gehört zu den Ballungszentren, wo sich Lust und Last und Liebe und Leere ballt. Nicht umsonst wird sie die mörderische Stadt genannt. Dort fängt Jona zu predigen an. Sein heißes Thema lautet: Tut Buße und glaubt! Die Tiefe der Sünde muss nicht euer Schicksal sein! Und die Leute taten Buße. Und die Leute kehrten um. Und die Leute von Ninive glaubten an Gott.

So wie bei Jesus. Er ist in der Stadt. Kapernaum und Bethsaida und Jerusalem und Beirut und Rom und Paris gehören zu den Ballungszentren, wo sich Fäuste ballen und oft genug geballte Ladungen hochgehen, Städte bekommen einen mörderischen Charakter. Dort fängt Jesus an zu predigen. Sein heißer Atem spürt man ihm ab: Tut Buße und glaubt an das Evangelium. Die Tiefe der Sünde ist nicht euer Schicksal! Und Paulus kehrte um. Und Petrus tat Buße. Und viele Leute unserer ninivitischen Welt glaubten an Gott.

Liebe Freunde, auch wenn nach gängiger Meinung der Begriff Buße längst in die Klamottenkiste gehört und der Bußprediger nur noch eine Rolle im kirchlichen Gruselkabinett spielt, so ist nach biblischer Meinung Rettung aus der Tiefe nur durch Buße und Umkehr möglich. Alle Selbsterlösungsversuche, so alt wie die Menschen selbst, nur immer neu verpackt, heute im Einwickelpapier von New Age, alle Selbsterlösungsversuche sind Imitationen eines Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Wasser ziehen wollte. Gott führt durch Buße aus der Tiefe, das ist das Lebenszeichen: Gott führt aus der Tiefe. Gewiss ist es groß, wenn Gott aus der Examensnot herausführt und alle Ängste überwinden hilft, nur werden immer wieder neue Examen kommen und mich in die Prüfung stellen. Gewiss ist es noch größer, wenn Gott aus der Krankheitsnot herausführt und alle Nöte beiseite schiebt, nur werden immer neue Krankheiten kommen und mich dem Grab näher bringen. Deshalb ist es doch am größten, wenn Gott aus der Sündennot herausführt und alle Schuld am Kreuz vernichtet, weil dann nichts, aber auch gar nichts mehr geschehen kann, was mich seinen Händen entreißt. “Kann uns doch kein Tod nicht töten, sondern reißt / unseren Geist / aus viel tausend Nöten.” Gott führt aus der Tiefe.

Das Jonazeichen, das uns durch Jesus gewährt wird, ist das Lebenszeichen und das Fischzeichen und das Wasserzeichen, nämlich Gott führt in die Tiefe, Gott führt durch die Tiefe und Gott führt aus der Tiefe. Mehr als dieses Zeichen brauchen wir nicht.

Amen