Ja, ich habe am Sonntag schon ein bisschen verraten, worum es heute hauptsächlich geht. Es handelt sich um eines der großen Rätsel und Geheimnisse des Neuen Testaments: An wen ist eigentlich der Epheserbrief geschrieben?
Ja, es steht sogar darüber. Ich kann das noch einmal aufschlagen. Epheser Kapitel 1: Paulus, Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen, den Heiligen und Treuen in Christus Jesus, die in Ephesus sind, Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Der Brief ist also an die Gläubigen in Ephesus geschrieben, und jetzt könnten wir nach Hause gehen. Das wäre heute einer der kürzeren Vorträge. Na ja, vielleicht doch nicht ganz.
Denn auch wenn ich glaube, dass der Brief letztendlich an die Epheser gerichtet ist, bleibt vieles an dieser Stelle doch ein wenig rätselhaft. Ich werde den Abend nutzen, um euch Probleme zu präsentieren, die ihr bisher noch nicht hattet. Diese werde ich dann auch nur teilweise auflösen.
So ist es manchmal.
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Paulus und der Gemeinde in Ephesus
Die Frage ist, welches Verhältnis der Autor eigentlich zu seinen Empfängern hatte, das heißt, welches Verhältnis Paulus zu den Geschwistern in Ephesus hatte.
Dazu möchte ich mit euch einige Stellen aus der Apostelgeschichte lesen. Es ist oft so, dass man, wenn man Briefe im Neuen Testament behandelt, in der Apostelgeschichte beginnt. Viele dieser Briefe sind auf die eine oder andere Weise in die Apostelgeschichte eingebettet. Sie gehören zu der Geschichte des Wortes Gottes in den ersten Jahren, zur Ausbreitung der Gemeinde, zur Definition der Gemeinde und zur Abgrenzung der Gemeinde vom Judentum. Vieles aus diesen Briefen ist Missionsgeschichte und gehört daher auch in diesen Kontext.
Paulus war in Ephesus. Ich möchte heute ein paar Stellen dazu mit euch lesen. Die ersten zwei von drei Teilen dieses Vortrags werden im Wesentlichen daraus bestehen, dass wir uns Dinge aus der Apostelgeschichte anschauen und immer wieder einen Vers oder zwei aus dem Epheserbrief dazu nehmen.
Wir fangen an in Apostelgeschichte 19, Vers 8: „Er ging aber, also Paulus, in die Synagoge und sprach freimütig drei Monate lang, indem er sich unterredete und sie von den Dingen des Reiches Gottes überzeugte.“
Paulus war also vorher schon kurz in Ephesus, darauf kommen wir gleich noch zurück. Aber hier kommt er für längere Zeit nach Ephesus. Wir werden gleich sehen, wie lange. Die ersten drei Monate war er in der Synagoge. Das hat er oft so gemacht: Er ging zu den Juden, zu denen, die vorbereitet waren, zu den Juden selbst in den Städten, in denen sie wohnten, und auch zu vielen Menschen aus den Griechen, aus den Nationen, aus den Heiden – wie er sie immer nannte – aus verschiedenen Völkern. Diese Menschen waren oft frustriert von ihren seltsamen Gottesbildern, die sie von ihren Vorfahren überliefert bekommen hatten. Sie fanden den Gott Israels attraktiv.
So hat Paulus es an verschiedenen Stellen gemacht, auch hier in Ephesus. Er ging in die Synagoge, dorthin, wo sich die Juden trafen. Dort steht, dass er drei Monate lang freimütig von den Dingen des Reiches Gottes sprach – drei Monate lang.
In Vers 9 heißt es: „Als aber einige sich verhärteten und nicht glaubten und vor der Menge übel redeten von dem Weg, trennte er sich von ihnen und sonderte die Jünger ab.“ Das waren die, die wirklich lernen wollten und sich bekehrt hatten. Mit ihnen unterredete er sich täglich in der Schule des Tyrannus.
Dies geschah zwei Jahre lang, sodass alle, die in Asien wohnten, sowohl Juden als auch Griechen, das Wort des Herrn hörten.
Die geographische und historische Einordnung von Ephesus
Jetzt müssen wir kurz einen Schritt zurückgehen und überlegen, wo Ephesus überhaupt liegt. Es liegt offensichtlich in Asien. Nach unserem heutigen Verständnis ist Asien ziemlich groß. Es beginnt irgendwo knapp hinter Istanbul – eigentlich liegt Istanbul selbst schon auf der asiatischen Seite – und erstreckt sich bis nach Japan und Indonesien. Das ist eine enorme Fläche.
Damals wurde der Begriff „Asien“ nicht so verwendet oder war nicht so gebräuchlich wie heute. Wenn Paulus oder Lukas von Asien sprechen, meinen sie meistens die römische Provinz Asien, auch Asia genannt. Das entspricht der heutigen Westtürkei, und Ephesus war die Hauptstadt dieser Provinz.
Wenn ihr also mal wieder in der Westtürkei seid, sei es am Strand, auf einer Durchreise oder einer Kreuzfahrt, würde ich euch empfehlen, einen Abstecher nach Ephesus zu machen. Ephesus ist eine der besterhaltenen Städte aus dieser Zeit. Zwar sind es Ruinen, aber sehr viel wurde ausgegraben. Man kann noch gut sehen, wie die Straßen aussahen, wie das Abwassersystem funktionierte und wie die Badezimmer gestaltet waren. Auch das riesige Amphitheater mit seiner beeindruckenden Akustik kann man heute noch erleben. Es lohnt sich wirklich.
Ephesus war also die Hauptstadt der Provinz Asien, wie die Römer sagen würden. Zu dieser Provinz gehörten auch die Städte, denen die sieben Sendschreiben am Anfang der Offenbarung adressiert sind. Ephesus wird dort als erstes erwähnt. Das sind die größeren Städte, die zu dieser Provinz gehörten.
Im Text haben wir gelesen, dass es in der Synagoge zu Konflikten kam und viele gegen Paulus Stimmung machten. Daraufhin verließ Paulus die Synagoge, nahm aber diejenigen mit, die wirklich interessiert waren und sich schon bekehrt hatten. Für sie richtete er eine Art Bibelschule ein, die er zwei Jahre lang täglich abhielt.
Ich vermute, dass nicht alle Teilnehmer Vollzeit dabei waren, aber viele nahmen sich regelmäßig Zeit, um teilzunehmen. Es waren nicht nur Menschen aus Ephesus selbst, sondern offensichtlich auch aus der ganzen Provinz. Diese brachten das Gelernte immer wieder mit nach Hause. Vielleicht studierte oder arbeitete der eine oder andere in Ephesus und war Wochenendpendler oder Ähnliches. Diese Gemeinschaft verbreitete sich in der gesamten Provinz, mit Ephesus als Zentrum für zwei Jahre.
Es gibt eine Überlieferung, die besagt, dass die Schule in den heißen Mittagsstunden eine Siesta einlegte, wie es im Orient üblich war. In dieser Zeit durften die Christen die Räume nutzen. Das bedeutet, dass die Schulungen nicht den ganzen Tag stattfanden, sondern nur zu bestimmten Zeiten, wenn die anderen Siesta hielten. Ob das stimmt, ist allerdings unklar, da es nur eine Überlieferung ist.
Wir wissen nicht genau, wie viele Stunden pro Woche unterrichtet wurde, aber sicher ist, dass es eine tägliche Schulung gab. In Apostelgeschichte 19,20 heißt es: „So wuchs das Wort des Herrn mit Macht und nahm Überhand.“ In meiner Übersetzung steht auch: „Es erwies sich als mächtig.“
Als diese Zeit erfüllt war, nahm Paulus sich in seinem Geist vor, nach Mazedonien und Achaia zu reisen, und dann nach Jerusalem zu gehen. Er sagte: „Nachdem ich dort gewesen bin, muss ich auch Rom sehen.“ Das bedeutet, er hatte innerlich beschlossen, dass seine Zeit in Ephesus dem Ende entgegengeht.
Er plante eine weitere Reise durch Griechenland. Dabei wollte er die Gemeinden besuchen, die er gegründet hatte, wie Philippi, Thessaloniki und Beröa in Mazedonien. Anschließend wollte er in den Süden nach Achaia reisen, um Geschwister in Athen und vor allem in Korinth zu besuchen. In Korinth hatte er zuvor eine Gemeinde aufgebaut und war anderthalb Jahre tätig gewesen.
Nachdem er diese Gemeinden besucht hatte, plante er, nach Jerusalem zu fahren und von dort aus nach Rom weiterzureisen. All das ist auch passiert, wenn auch etwas anders, als er es sich wahrscheinlich vorgestellt hatte. Letztlich war er zwei Jahre in der Nähe von Jerusalem gefangen und kam als Gefangener nach Rom – nicht als freier Missionar. Aber das war sein Plan gegen Ende seiner Zeit in Ephesus.
In Apostelgeschichte 19,22 wird berichtet, dass Paulus zwei seiner Diener, Timotheus und Erastus, nach Mazedonien sandte. Er selbst blieb noch eine Weile in Asien, vermutlich die meiste Zeit in Ephesus. Zuvor hatte er mindestens drei Monate in der Synagoge gelehrt und dann zwei Jahre die Bibelschule abgehalten.
In Apostelgeschichte 20,1 wird ein Tumult im Amphitheater erwähnt, den viele kennen. Nachdem der Tumult aufgehört hatte, ließ Paulus die Jünger zu sich kommen, ermahnte sie, nahm Abschied und reiste nach Mazedonien.
Ich weiß nicht genau, wie viel Zeit zwischen diesen Ereignissen verging, aber Paulus brach nun wirklich auf. Seine Zeit in Ephesus war zu Ende, und er begann seine geplante Reise durch Nordgriechenland.
Das war also grob die Zeit, die Paulus in Ephesus verbracht hat – eine relativ lange Zeitspanne. Wir werden gleich noch auf einige Punkte aus dieser Zeit zurückkommen.
Die Rückkehr und der Abschied von Ephesus
Einige Zeit später, nämlich genau nach seiner Reise durch Griechenland, geschah Folgendes. Wir wissen nicht genau, wie viel Zeit vergangen ist. Wenn wir jedoch Kapitel 20, Verse 2 und 3 weiterlesen, erfahren wir mehr:
„Als er aber jene Gegenden durchzogen und sie mit vielen Worten ermahnt hatte, also Mazedonien, das ist Nordgriechenland, kam er nach Griechenland, das in diesem Fall der Süden ist. Nachdem er sich dort drei Monate aufgehalten hatte und als er nach Syrien abfahren wollte, wurde durch die Juden ein Anschlag gegen ihn verübt. Daraufhin entschloss er sich, durch Mazedonien zurückzukehren.“
Ursprünglich wollte er also wahrscheinlich direkt mit dem Schiff von Griechenland nach Jerusalem fahren. Nach dem Anschlag und etwas Unsicherheit über den Sinn dieser Reiseroute nahm er jedoch den Umweg über Mazedonien in Kauf, was eine längere Landstrecke bedeutete.
Aus diesen Versen geht hervor, dass er zwischendurch mindestens drei Monate vermutlich in Korinth war. Wie lange es gedauert hat, bis er wieder in der Nähe von Ephesus vorbeikam, wissen wir nicht genau. Ich würde schätzen, es waren etwa sechs Monate, aber es könnte auch ein Jahr gewesen sein. Reisen dauerten damals eben länger als heute. So erhalten wir eine ungefähre Vorstellung von den Zeitspannen zwischen den einzelnen Ereignissen.
Relativ nah bei Ephesus, nämlich in Milet, beschloss er, eine Weile zu bleiben. Er schickte Boten und ließ die Ältesten der Gemeinde in Ephesus zu sich nach Milet kommen. Die Leute, die gerade im Ältestenkurs mitmachen, kennen diese Stelle wahrscheinlich im Schlaf. In Apostelgeschichte 20, ab Vers 17 heißt es:
„Von Milet aber sandte er nach Ephesus und ließ die Ältesten der Versammlung herüberrufen.“
Das geschah ungefähr zwischen einem halben Jahr und einem Jahr, nachdem er selbst Ephesus verlassen hatte. Er fasste seine Zeit in Ephesus folgendermaßen zusammen, als er zu den Ältesten sprach. Ich lese ab Vers 18:
„Als sie aber zu ihm gekommen waren, sprach er zu ihnen: Ihr wisst, dass ich vom ersten Tag an, als ich nach Asien kam, die ganze Zeit bei euch gewesen bin, dem Herrn dienend mit aller Demut und mit Tränen und Versuchungen, die mir durch die Anschläge der Juden widerfuhren. Wie ich nichts zurückgehalten habe von dem, was nützlich ist, dass ich es euch nicht verkündigt und euch gelehrt hätte, öffentlich und in den Häusern, indem ich sowohl Juden als auch Griechen die Buße zu Gott und den Glauben an unseren Herrn Jesus bezeugte.“
Das ist sein Rückblick auf diese Zeit. Er betont, dass er alles gelehrt hat, dass er es öffentlich und auch in den Häusern getan hat und dass er es mit großem Einsatz tat.
In Vers 27 sagt er: „Denn ich habe nicht zurückgehalten, euch den ganzen Ratschluss Gottes zu verkündigen.“
Und in Vers 31 fordert er die Ältesten auf: „Darum wacht und denkt daran, dass ich drei Jahre lang Nacht und Tag nicht aufgehört habe, jeden mit Tränen zu ermahnen.“
Dieser Vers ist besonders interessant, weil er uns zeigt, dass unsere vorherige Rechnung von mindestens zwei Jahren und drei Monaten wahrscheinlich zu kurz war. Er spricht von drei Jahren. Wo auch immer das restliche Dreivierteljahr liegt – ob es noch etwas Zeit zwischen seiner Tätigkeit in der Synagoge und dem Beginn der Schule des Tyrannus gab oder ob die zwei Jahre in der Schule des Tyrannus nur gerundet waren und es eher zwei bis drei Monate mehr waren – jedenfalls ergibt sich in der Summe eine Dauer von ungefähr drei Jahren.
Warum erwähne ich das? Wenn man an einem Ort so intensiv ist, wie er es war, dann ist das bemerkenswert. Er war mindestens zwei Jahre lang jeden Tag mit den Geschwistern zusammen, die etwas lernen wollten. In Vers 31 heißt es, dass er drei Jahre lang Nacht und Tag nicht aufgehört hat, jeden mit Tränen zu ermahnen. Das bedeutet, er stand nicht nur vor einer anonymen Menge und hielt Vorträge, sondern hatte intensiven Umgang mit vielen Einzelnen. Er nahm am Leben der Gemeinde teil, ermahnte sie mit Tränen – er war wirklich mitten in der Gemeinschaft.
Wir müssen daraus schließen, dass die Gemeinde in Ephesus vielleicht die Gemeinde ist, die er am besten kannte. Drei Jahre war er sonst in keinem Ort. Es war eine intensive, persönliche Zeit mit täglichen Begegnungen. Die Formulierung „Tag und Nacht“ bedeutet wahrscheinlich nicht, dass er jeden Tag und jede Nacht Besucher hatte, sondern dass es zu verschiedenen Tageszeiten intensive persönliche Gespräche gab.
Das heißt, er muss die Menschen sehr gut gekannt haben, als er sie zurückließ. Wahrscheinlich kannte er keine andere Gemeinde besser als die in Korinth, wo er immerhin anderthalb Jahre war – was ebenfalls eine sehr intensive Zeit war – und vielleicht seine Heimatgemeinde in Antiochien, wo er lange lebte, bevor er in den Missionsdienst ging.
Die Unpersönlichkeit des Epheserbriefs im Vergleich zu anderen Paulusbriefen
Jetzt kommen wir zum Epheserbrief und machen eine verblüffende Feststellung. Ich weiß nicht, wer von euch den Epheserbrief im Vorfeld drei- oder viermal gelesen hat, aber dieser Brief wurde etwa drei bis vier Jahre nach der Begegnung mit den Ältesten in Milet geschrieben. Paulus reiste von dort relativ schnell nach Jerusalem, wo er verhaftet wurde. Insgesamt war er dort zwei Jahre in Haft und anschließend noch einmal zwei Jahre in Rom. In dieser zweiten Haftzeit wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit der Epheserbrief verfasst.
Das bedeutet, zwischen der Begegnung in Milet und der Abfassung des Epheserbriefs liegen etwa drei bis vier Jahre. Seit Paulus in der Gemeinde in Ephesus war, sind wahrscheinlich nicht mehr als fünf Jahre vergangen – also ungefähr fünf Jahre. Wenn wir diesen Brief lesen, fällt auf, dass es kaum einen Brief im Neuen Testament gibt, der weniger persönlich ist. Das ist erstaunlich. Es gibt am Ende keine Grüße, keinen einzigen Namen aus Ephesus in diesem ganzen Brief. Keine persönlichen Grüße, gar nichts.
Im Vergleich dazu ist der Römerbrief ein sehr persönlicher Brief. Er wurde in der Zeit zwischen Paulus’ Abschied aus Ephesus und seiner Begegnung mit den Ältesten geschrieben, also in einem Zeitraum von einem halben bis dreiviertel Jahr. In Kapitel 16 finden sich viele Namen, und ein großer Teil davon sind Leute in Rom, die Paulus kennt und die er grüßt. Es ist fast ein „Fasten“-Kapitel voller Grüße. Paulus war noch nie in Rom, aber er war drei Jahre in Ephesus.
Im Zwillingsbrief, dem Kolosserbrief, ist es auch nicht so persönlich. Paulus schreibt in Kapitel 2, Vers 1: „Denn ich will, dass ihr wisst, welch großen Kampf ich um euch und die in Laodizea habe, und so viele mein Angesicht im Fleisch nicht gesehen haben.“ Das bedeutet, er war noch nie in Kolossä. Der Brief wurde zur gleichen Zeit geschrieben, und wir können verstehen, dass er nicht so persönlich ist. Aber selbst im Kolosserbrief kommen am Ende, ab Vers 10, persönliche Grüße vor. Paulus grüßt Mitarbeiter und Menschen in Kolossä, auf die er Bezug nimmt.
Im Epheserbrief gibt es das nicht. Im gleichen Zeitraum, vielleicht mit ein paar Monaten Abstand, wurde wahrscheinlich der Philipperbrief geschrieben. Die Gemeinde in Philippi kannte Paulus. Er war nie so lange dort wie in Ephesus. Beim ersten Mal musste er relativ bald wieder weg, weil er vertrieben wurde. Auf der Reise war er sicher ein bisschen in Philippi; wie viele Wochen, wissen wir nicht genau. Wenn man alles zusammennimmt, kommt man auf maximal ein paar Monate.
Was die persönliche Note in diesem Brief betrifft, ist das eine ganz andere Dimension. Ich lese einfach mal ein paar Verse aus Philipper 1, Vers 3: „Ich danke meinem Gott bei all meiner Erinnerung an euch, bei all meiner Erinnerung an euch.“ Das Persönliche, die persönliche Erinnerung, ist immer präsent. Paulus betet in jedem Gebet mit Freuden für sie wegen ihrer Teilnahme am Evangelium vom ersten Tag an bis jetzt. Er ist in guter Zuversicht, dass der, der ein gutes Werk in ihnen angefangen hat, es bis zum Tag Jesu Christi vollenden wird.
Er sagt weiter: „Es ist für mich recht, dass ich dies über euch alle denke, weil ihr mich im Herzen habt – sowohl in meinen Fesseln als auch in der Verteidigung und Bestätigung des Evangeliums. Ihr alle seid meine Mitteilnehmer der Gnade; denn Gott ist mein Zeuge, wie ich mich nach euch allen sehne mit dem Herzen Christi Jesu.“ Er meint das persönlich, oder?
Dann frage ich mich: Eine Stadt, in der Paulus drei Jahre war und intensive, versöhnliche Beziehungen mit vielen hatte – warum schreibt er so einen Brief wie den Epheserbrief? Ich meine, zwei Beispiele aus dem Epheserbrief: Epheser 3,2 ist ein schwieriger Satz, den wir irgendwann anders zerlegen werden. Paulus beginnt den Satz in Vers 1, den er wahrscheinlich nie richtig beendet, weil er in Vers 14 einen anderen Gedanken verfolgt, der ihm wichtig ist, bevor er den Satz zu Ende bringt.
Ich lese trotzdem mal Vers 1: „Deshalb ich, Paulus, der Gefangene Christi Jesu für euch die Nationen.“ Dann folgt: „Wenn ihr nämlich gehört habt von der Verwaltung der Gnade Gottes, die mir in Bezug auf euch gegeben ist, dass mit der Offenbarung das Geheimnis kundgetan worden ist, wie ich es zuvor in kurzem beschrieben habe.“ Daraus könnt ihr beim Lesen merken, dass Paulus ein Verständnis vom Geheimnis des Christus hat.
Ich würde so etwas nie an Leute schreiben, die ich zwei bis drei Jahre unterrichtet habe. „Ihr habt davon gehört. Ihr könnt beim Lesen merken, dass ich etwas vom Evangelium verstanden habe.“ Hallo? Normalerweise haben die das erlebt, die haben nicht nur davon gehört, würde ich denken. Die wissen das, sie müssen es nicht „beim Lesen merken“, würde ich denken. Paulus schreibt zu Leuten, als wären das Menschen, die ihn kaum persönlich kennen.
Ein weiteres Beispiel aus Epheser 1,15: „Weshalb auch ich, nachdem ich gehört habe von dem Glauben an den Herrn Jesus, der in euch ist, und von der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt.“ Das ist andersherum dasselbe. Natürlich kann man das so formulieren. Zu den Philippern sagt er: „Bei der Erinnerung an euch.“ Hier sagt er: „Weil ich davon gehört habe, dass ihr glaubt.“
Ja gut, vielleicht hat er gehört, dass sie immer noch glauben. Aber es ist schon erstaunlich.
Die Anfänge der Gemeinde in Ephesus und die Rolle von Johannes dem Täufer
Noch etwas wundert mich, was vielleicht nicht ganz so offensichtlich ist: Sie richten sich nicht so sehr auf die Frage.
Ich werde heute, glaube ich, ein paar Dinge sagen, die nicht so offensichtlich sind. Ihr müsst dann selbst nachdenken, ob ihr das glaubt oder nicht.
Wir gehen zurück in die Zeit des Apostels Paulus in Ephesus. Apostelgeschichte 18,19 beschreibt seine erste Begegnung mit dieser Stadt und den Menschen dort. Paulus war unterwegs mit Priscilla und Aquila, mit denen er schon in Korinth zusammengearbeitet hatte. Dort heißt es: „Sie kamen aber nach Ephesus.“ Priscilla und Aquila ließen sich dort nieder. Paulus selbst suchte wahrscheinlich zunächst eine Herberge oder Unterkunft. Er aber ging in die Synagoge und unterredete sich mit den Juden.
Als ihn diese baten, längere Zeit zu bleiben, willigte er nicht ein. Stattdessen nahm er Abschied von ihnen und sagte: „Ich muss unbedingt das zukünftige Fest in Jerusalem halten. Ich werde, wenn Gott will, wieder zu euch zurückkehren.“ Danach verließ er Ephesus.
Dies war sein erster kurzer Aufenthalt in Ephesus. Wie wir gerade gesehen haben, war er zuerst in der Synagoge.
Wir bleiben noch in Ephesus, während Paulus inzwischen woanders ist. Wir schauen auf Aquila und Priscilla. Apostelgeschichte 18,24 berichtet von einem gewissen Juden namens Apollos, der aus Alexandrien stammte. Er war ein beredter Mann und sehr bewandert in den Schriften. Apollos kam nach Ephesus. Er war im Weg des Herrn unterwiesen und sprach mit großer Begeisterung und Geist. Sorgfältig lehrte er über Jesus, obwohl er nur die Taufe des Johannes kannte. Er begann freimütig in der Synagoge zu predigen.
Als Priscilla und Aquila von ihm hörten, nahmen sie ihn zu sich und erklärten ihm den Weg Gottes genauer. Wie viel Apollos zu diesem Zeitpunkt vom Evangelium verstand – also vom Evangelium, das mit Jesus zu tun hat, der auf dieser Erde war und wirklich gestorben ist – oder inwieweit er es nur mit den Verheißungen des Alten Testaments verknüpfte, die er kannte, wissen wir nicht genau. Fest steht aber, dass er das Wort Gottes predigte und den Gläubigen sehr hilfreich war. Und wo tat er das? Natürlich in der Synagoge, bei den Juden, die wahrscheinlich am offensten für die Erwartung eines Messias waren.
Dann kam Paulus zurück. In Apostelgeschichte 19,1-7 geschieht etwas Erstaunliches, das oft nicht mit unserer Vorstellung von Kirchengeschichte übereinstimmt, weil wir jemanden unterschätzen. Es heißt: Während Apollos in Korinth war, kam Paulus, nachdem er die oberen Gegenden durchzogen hatte, nach Ephesus herab. Dort fand er einige Jünger und fragte sie: „Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, nachdem ihr gläubig geworden seid?“
Sie antworteten: „Wir haben nicht einmal gehört, ob der Heilige Geist da ist.“ Paulus fragte weiter: „Worauf seid ihr denn getauft worden?“ Sie sagten: „Auf die Taufe des Johannes.“ Paulus erklärte ihnen, dass Johannes mit der Taufe der Buße taufte und dem Volk sagte, sie sollten an den glauben, der nach ihm käme – das ist Jesus. Als sie das hörten, wurden sie auf den Namen des Herrn Jesus getauft. Es waren insgesamt zwölf Männer.
Wir sollten uns das einmal vorstellen: Paulus kommt als Missionar in eine Stadt und findet einen Hauskreis von Leuten, die schon fast bekehrt sind und denen er nur noch ein paar Dinge sagen muss. Zwölf junge Männer – das ist der Grundstock für eine Gemeinde. Zwölf Männer mit einer alttestamentlichen Grundausbildung, die von Johannes dem Täufer geprägt waren. Übrigens unterschätzen wir Johannes den Täufer oft. Seine Auswirkung war groß. Es gab offensichtlich viele Gruppen von Menschen, die von ihm geprägt waren, überall dort, wo Juden im Mittelmeerraum verstreut lebten. Diese Gruppen existierten lange parallel zum Christentum und zur ursprünglichen Ausbreitung des Christentums.
Paulus fand also zwölf solcher Männer in Ephesus. Er zeigte ihnen, dass Jesus, von dem sie sicher gehört hatten, die Erfüllung der Verheißungen war. Jesus war die Erfüllung dessen, was Johannes angekündigt hatte. Diese Männer bekehrten sich richtig und bildeten wahrscheinlich den Grundstock der Gemeinde und der Gruppe, die sich später in der Schule des Tyrannus traf.
Wir haben bereits gelesen, dass Paulus ab Apostelgeschichte 19,8 drei Monate in der Synagoge lehrte. Es gab viel Widerstand und Auseinandersetzungen.
Meine Erwartung ist, dass nun eine Gemeinde entsteht, die wie viele andere Gemeinden im Neuen Testament aus Menschen besteht, die sich aus dem Judentum bekehrt haben, und aus solchen, die aus dem Heidentum kamen. Eine Grundlage der damaligen Gemeindebewegung war, dass Menschen, die durch das Alte Testament vorgeprägt waren und Wurzeln im Glauben an denselben Gott hatten, oft positiv die Gemeinden mitprägten.
So konnten Gemeinden schnell selbständig starten, weil sie Menschen hatten, die wirklich Grundlagen besaßen – Wurzeln im Glauben an den lebendigen Gott.
Ich habe von Missionaren gehört, zum Beispiel aus Spanien, die berichten, dass sich dort zwar Leute bekehren, diese aber so sehr von ihrem Leben in der Welt geprägt sind und oft so zerbrochen, dass die Hoffnung auf eine selbständige Gemeinde eher auf die nächste Generation gesetzt wird. Denn diese neue Generation wächst in gläubigen Elternhäusern auf. Die Missionare hoffen, irgendwann überflüssig zu werden.
Ich glaube, dass damals die Menschen, die schon geprägt waren und ein Fundament hatten, auch ein Fundament für die Gemeinde bildeten. So konnte sich vieles entwickeln. Viele Menschen, auch aus dem Heidentum, die sich zuvor für das Judentum interessiert hatten, konnten sich bekehren.
Die Entwicklung der Gemeinde und die Herausforderung des Epheserbriefs
Aber wie sieht es vier Jahre später aus? Vier oder fünf Jahre nachdem Paulus aus dieser Gemeinde abgereist war, schreibt er den Epheserbrief. In Epheser 2,11-12 heißt es: „Deshalb denkt daran, dass ihr einst die Nationen im Fleisch wart, die vorholt genannt werden von der sogenannten Beschneidung, die im Fleisch mit Händen geschieht. Ihr wart zu jener Zeit ohne Christus, entfremdet vom Bürgerrecht Israels und Fremdlinge bezüglich der Bündnisse der Verheißung, ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt.“
Das ist verblüffend, oder? Eine Gemeinde, die damit angefangen hat, dass Paulus in der Synagoge geredet hat, und dass zwölf junge Männer eine Grundlage der Gemeinde bildeten, die offensichtlich aus dem Judentum kam. Paulus hat noch einmal drei Monate in der Synagoge gesprochen und danach drei Jahre lang Juden und Griechen Glauben und Buße bezeugt. Und plötzlich schreibt er einen Brief, in dem es so wirkt, als wären sie alle Heiden.
Im Epheserbrief gibt es eigentlich keine Andeutung, dass zu dieser Zeit ein wesentlicher Anteil von Judenchristen in der Gemeinde war. Langsam fragt man sich: Sind es dieselben Epheser? Ist es dieselbe Gemeinde, in der Paulus fünf Jahre zuvor war und der er jetzt einen Brief schreibt? Ist es tatsächlich dieselbe Gemeinde?
Ein Ausdruck, der zur Verwirrung beiträgt, ist, dass es einzelne alte Handschriften gibt, in denen das Wort „Ephesus“ in Vers 1 nicht vorkommt. Daher gibt es die gängige Theorie, dass Paulus den Brief so unpersönlich gehalten hat, weil er ihn vielleicht von vornherein als Rundbrief gedacht hatte. Wie das funktionieren soll, ist unklar. Vielleicht ließ Paulus einige Abschriften dieses Briefes anfertigen, schrieb bei einer Abschrift „Ephesus“ hinein und gab seinen Boten den Auftrag, mit den Briefen zu verschiedenen Gemeinden zu reisen. Dort sollte dann jeweils der jeweilige Ortsname, zum Beispiel Smyrna, eingetragen werden.
Grammatisch ist es so, dass auch bei den Handschriften, in denen der Name fehlt, eigentlich ein Name stehen müsste. Zwar gibt es keine Lücke in den Abschriften, aber grammatisch gehört der Name hinein. Die Formulierung ist nicht so angelegt, dass man ihn weglassen kann, ohne einen Fehler zu machen. Es muss also ursprünglich etwas gestanden haben oder so gedacht gewesen sein.
Montags und donnerstags glaube ich diese Theorie, aber heute ist Dienstag.
Was für mich gegen die Rundbrieftheorie spricht, ist unter anderem, dass es genau nur diese zwei Versionen gibt: eine mit und eine ohne Stadtnamen. Von den vielen Handschriften, die existieren, gibt es keine, in der ein anderer Stadtnamen auftaucht. Wenn es wirklich ein Rundbrief gewesen wäre, hätte ich erwartet, dass zumindest eine Handschrift eine andere Stadt erwähnt.
Es gibt außerdem viele Argumente, warum jemand den Brief für seine Arbeit, zum Beispiel in Ägypten, wo viele dieser alten Handschriften gefunden wurden, verwendet und dabei den Stadtnamen weggelassen haben könnte. So sollten sich die Leser direkt angesprochen fühlen und nicht denken, der Brief sei an eine andere Stadt gerichtet. Es gibt also verschiedene Möglichkeiten, warum der Stadtname fehlen kann – nicht nur die Rundbrieftheorie.
Ich glaube immer noch, dass, auch wenn der Name nicht in allen Handschriften steht, doch genügend Hinweise dafür sprechen, dass dieser Brief wirklich an Ephesus geschrieben wurde.
Aber warum erzähle ich das alles? Meine Zeit ist fast um.
Wenn diese Beobachtung stimmt, dass Paulus fünf Jahre zuvor drei Jahre in dieser Gemeinde war und jetzt einen Brief schreibt, als würde er die Gemeinde kaum kennen, spricht das dafür, dass es in diesen vier oder fünf Jahren große Umbrüche gegeben hat.
Paulus hat das angedeutet. Eine schwierige Stelle findet sich in Apostelgeschichte 20,25: „Und nun siehe, ich weiß, dass ihr alle, unter denen ich das Reich gepredigt habe, mein Angesicht nicht mehr sehen werdet.“
Wenn man den 2. Timotheusbrief liest, der ebenfalls nach Ephesus geschrieben wurde, hat man den Eindruck, Paulus war noch einmal in Ephesus oder zumindest sehr nahe, nicht weiter weg als Milet. Trotzdem sagt er dort, dass er davon ausgeht, von den Leuten, die er nach Milet geschickt hat, niemanden mehr persönlich zu sehen.
Auch das spricht, egal wie man den Vers genau versteht, dafür, dass es relativ kurz nach Paulus’ Weggang aus der Gemeinde große Umbrüche gab.
Meine Theorie ist also, dass Paulus, als er den Brief schrieb, nur noch sehr wenige Leute in dieser Gemeinde persönlich kannte. Es wirkt so, als sei der jüdische Kern, der aller Wahrscheinlichkeit nach am Anfang da war – auch wenn er nicht explizit erwähnt wird – zu dieser Zeit nicht mehr vorhanden. Vielleicht waren viele der Menschen, mit denen Paulus am intensivsten gearbeitet hatte, nicht mehr in der Gemeinde.
Der Tumult in Ephesus und die gesellschaftlichen Spannungen
Ich möchte noch eine Stelle mit euch lesen, die ich einfach interessant finde: Apostelgeschichte Kapitel 19.
Dieser Tumult – ihr kennt diese Geschichte, viele von euch kennen sie – spielt sich in Ephesus im Amphitheater ab. Paulus wurde dorthin hingeschleppt. Die Silberschmiede hatten ein Problem, weil die christliche Mission so ein Ausmaß erreicht hatte, dass ihr Geschäft zu Schaden kam.
Ich weiß nicht, ob das wirklich real war oder nur Panikmache. Wirtschaftsinteressen kann man immer ein bisschen hochspielen. Aber egal: In diesem Amphitheater standen die Leute, die einen schrien dies, die anderen das, und die meisten wussten nicht einmal, warum sie überhaupt dort waren.
Dann kommt eine ganz interessante Stelle, und man fragt sich, warum Lukas sie schreibt, denn eigentlich löst sie nur etwas aus. Da steht: „Sie zogen aber Alexander aus der Volksmenge hervor, den die Juden vorschoben. Alexander aber winkte mit der Hand und wollte sich vor dem Volk verantworten. Als sie aber erkannten, dass er ein Jude war, erhob sich eine Stimme aus aller Munde und sie schrien etwa zwei Stunden: ‚Groß ist der Artemis von Ephesus!‘“ (Apostelgeschichte 19,33).
Ich frage mich, was Alexander eigentlich sagen wollte. Wollte er etwas für die Christen sagen? Das wäre ungewöhnlich, wenn er ausdrücklich als Jude bezeichnet wird, der von den Juden vorgeschoben wird. Wollte er etwas gegen die Christen sagen, dann haben die Leute, die hier den Aufstand angezettelt haben, das offensichtlich nicht erkannt. Sonst hätten sie ihn ja reden lassen – sie waren ja auch gegen die Christen. Wir werden es nie erfahren, was er sagen wollte, zumindest nicht auf dieser Erde.
Interessant ist, dass es wahrscheinlich so war, dass die Heiden, die Verehrer dieses Götzenbildes – ob wirklich oder nur aus wirtschaftlichen Gründen – offensichtlich das Christentum nach wie vor als Teil des Judentums betrachteten und eigentlich als jüdische Gruppe ansahen.
Ich habe mich gefragt, ob das hier ein Ausdruck von einem größer werdenden Antisemitismus ist. Das ist jetzt ein bisschen Spekulation, aber es könnte eine Erklärung sein, warum Judenchristen eventuell in dieser Gemeinde selten geworden sind. Wenn sie Druck von der Gesellschaft, also von der heidnischen Gesellschaft, bekommen, wie es sich hier andeutet, und gleichzeitig Druck von der jüdischen Gesellschaft, weil sie als Christen die Synagoge verlassen haben, dann kann es sehr schwierig für sie gewesen sein, in dieser Stadt zu bleiben, wo diese zwei Faktoren zusammenkamen.
In den meisten Städten war es nur ein Faktor: Entweder waren sie als Juden verschrien, wie Priscilla und Aquila, die als Juden Rom verlassen mussten, ein paar Jahre vorher, oder sie wurden von der heidnischen Gesellschaft abgelehnt, oder sie waren von den Juden abgelehnt. Aber hier scheinen diese Punkte zusammenzukommen.
Vielleicht ist das ein Argument, eine wilde Theorie, warum viele von den ursprünglich Verantwortlichen, gerade diejenigen, die im Judenchristentum verwurzelt waren, schon in den Anfangsjahren diese Gemeinde verlassen haben.
Es ist übrigens ganz interessant, dass Paulus im Römerbrief Priscilla und Aquila grüßen lässt, mit denen er in Ephesus angefangen hatte. Sie hatten inzwischen eine Hausgemeinde in Rom. Sie müssen also entweder noch vor Paulus oder wenige Monate nach ihm Ephesus verlassen haben – als Judenchristen.
Der Römerbrief entstand nämlich zwischen diesen zwei Ereignissen: Paulus’ Abschied von Ephesus und sein Treffen mit den Ältesten von Ephesus. Priscilla und Aquila waren zu dieser Zeit schon wieder in Rom. Das wäre eine mögliche Erklärung, muss aber nicht richtig sein. Nur damit wir irgendein Bild vor Augen haben.
Egal, was wahr ist: Eines glaube ich ist sicher. Paulus schreibt an die Epheser als eine Gemeinde, die hauptsächlich aus Heidenchristen besteht. Und er schreibt an die Epheser vom Grundtenor her als an eine Gemeinde, an Geschwister, die – ich formuliere es mal so – relativ unsicher sind.
Die geistliche Situation der Gemeinde und die Botschaft des Epheserbriefs
Man liest oft, dass der Epheserbrief die Spitze der Geistlichkeit darstellt. Es heißt, wir sitzen mit Christus in den himmlischen Orten. Um sich das überhaupt vorstellen zu können, muss man ja schon ziemlich geistlich sein. Man läuft hier auf der Erde herum und fühlt sich innerlich gleichzeitig irgendwo im Himmel, sitzt zur Rechten Gottes auf dem Thron.
Man hat den Eindruck, wenn die Epheser so einen Brief bekommen, dann müssen sie auf einem geistlichen Niveau sein, das irgendwie zwei Ligen über mir liegt. Ich spiele Oberliga Hessen, und die spielen mal mindestens Champions League. Ich frage mich, ob das wirklich stimmt oder ob diese Stellen nicht viel einfacher gemeint sind, als sie auf den ersten Blick wirken.
Vielleicht schreibt Paulus hier gar nicht zu hypergeistlichen Menschen, die uns weit überlegen sind, sondern zu Menschen, deren Unsicherheit er spürt. Überleg mal: Wenn das, was ich gesagt habe, halbwegs zutrifft – was, wie gesagt, nur eine Theorie ist – dann ist es eine Situation, in der innerhalb von zwei Jahren alle bisherigen Ältesten aus verschiedenen Gründen wegfallen. Die Hälfte stirbt, die andere Hälfte zieht weg. Nur noch zwei oder drei gestandene Familien bleiben in der Gemeinde.
Plötzlich müssen Brüder Verantwortung übernehmen, die bisher einfach gewohnt waren, irgendwo zu sitzen und zuzuhören. Das würde eine Gemeinde prägen und extrem verändern. Ich habe das Gefühl, wenn ich den Epheserbrief lese, dass es genau so eine Situation ist.
Paulus beginnt seinen Brief mit einem großen Satz. Und es geht nicht nur darum, die Epheser irgendwohin zu heben, zu einem Ort, den nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Er fängt seinen Brief mit dem Satz an: „Ihr seid gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Orten.“
Ihr fühlt euch vielleicht unfähig, wisst nicht, ob ihr den Herausforderungen gewachsen seid. Ihr seid unsicher, ob ihr wirklich etwas wert seid im Reich Gottes. Trotzdem seid ihr gesegnet – mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Orten.
Habt ihr das Gefühl, nicht so viel zu wissen wie andere? Ihr seid gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Orten. Habt ihr das Gefühl, dass andere mehr Erfolg haben, mehr Gemeindewachstum erleben, dass die Leute mehr auf sie schauen und ihr Wort mehr gilt? Ihr seid gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Orten.
Oft vergleichen wir uns ja. Aber wenn du die Versuchung hast, dich mit anderen zu vergleichen, sagt Paulus dir, sagt den Ephesern, sagt jedem einzelnen Gläubigen: Wenn du wirklich gläubig bist, bist du gesegnet. Du musst dich nicht vergleichen, nicht neidisch sein, nicht denken, du seist weniger wert. Du bist gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Orten.
Manchmal geht es uns auch in unserer Umgebung so. Wenn ich manchmal meine Kollegen reden höre, die ihre Häuser bauen, tolle Reisen machen und viel Geld investieren, dann denke ich manchmal: Wo stehe ich da? Dann fällt mir dieser Satz ein: „Gerald, du bist gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Orten.“
Ich glaube, Paulus hat das nicht einfach in den Epheserbrief geschrieben, weil er dachte, die Epheser bräuchten das nicht. Ich habe diesen ganzen Vorsprung gemacht, weil ich glaube, dass genau diese Leute diesen Satz hören und brauchen.
In Epheser 2,19 sagt er zu Menschen, die sich vielleicht manchmal minderwertig fühlen, weil sie nicht aus einem gläubigen Elternhaus kommen. Sie denken: „Ich habe die Grundlagen nicht, ich weiß so vieles nicht, man kann mich leicht aufs Glatteis führen.“ Sie haben nicht das Bibelwissen, das sie eigentlich bräuchten. Sie sind geprägt von anderen Dingen und haben manchmal das Gefühl, einen Gaststatus im Reich Gottes zu haben. Dass die Juden die eigentlichen sind und sie nur Gäste.
Doch Paulus sagt in Vers 19: „So seid ihr nun nicht mehr Fremdlinge und ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.“ In Vers 18 heißt es: „Denn durch ihn haben wir beide den Zugang durch einen Geist zum Vater.“
Ihr seid keine Gäste. Ihr seid nicht weniger wert und nicht weniger fähig, Verantwortung zu tragen als Leute, die vielleicht mehr Grundlagen und tiefere Wurzeln haben als ihr. Wahrscheinlich waren sie durch vieles zusätzlich verunsichert, weil es schon eine Weile her war.
Ich möchte diese zwei, drei Stellen noch mit euch lesen.
Die Verhaftung Paulus und die Folgen für die Gemeinde
Apostelgeschichte 21, Vers 27: Paulus ist in Jerusalem. Als die sieben Tage des Gelübdes fast vollendet waren, sahen ihn die Juden aus Asien im Tempel. Diese Juden, die Paulus aus der Gegend von Ephesus kannten, wo er einige Monate zuvor unterwegs war, brachten die ganze Volksmenge in Erregung. Sie legten die Hände an ihn und schrien: „Männer von Israel, helft! Dies ist der Mensch, der überall alle lehrt, gegen das Volk, das Gesetz und diese Städte.“
Zudem behaupteten sie, Paulus habe auch Griechen in den Tempel geführt und dadurch die heilige Stadt verunreinigt. Sie hatten zuvor Trophimus, den Elfresser, mit Paulus in der Stadt gesehen und vermuteten, dass Paulus ihn in den Tempel gebracht habe. Wahrscheinlich war Trophimus, nachdem Paulus verhaftet worden war, irgendwann nach Ephesus zurückgekehrt und hatte erzählt, dass Paulus wegen ihnen, wegen ihm persönlich, im Gefängnis sei. Die Juden wollten sie nicht haben und lehnten sie mit aller Gewalt ab. Das Volk Gottes, an den sie glaubten, wollte sie nicht anerkennen.
Inzwischen, als der Brief geschrieben wurde, war Paulus fast vier Jahre im Gefängnis. Die Gläubigen fühlten sich vom Volk Gottes nicht angenommen und wussten nicht, ob sie wirklich dazugehören. Im Epheserbrief Kapitel 3, Vers 13 schreibt Paulus: „Deshalb bitte ich, dass ihr nicht mutlos werdet durch meine Drangsal für euch.“ Er spricht genau diese Situation an. Paulus hat die Befürchtung, dass die Gläubigen verunsichert und frustriert werden, weil er verhaftet wurde. Sie könnten denken, dass Paulus wegen ihnen im Gefängnis ist, weil er ihnen den Zugang zum Reich Gottes, zum Himmel und zu Gott selbst ermöglichen will.
Paulus ermutigt sie: „Seid nicht mutlos, denn das ist eure Ehre.“ Gott investiert seine besten Leute in sie. Es ist nicht so, dass sie ein schlechtes Gewissen haben müssten oder das Gefühl, niemand wolle sie. Gott investiert seine besten Leute in sie. Paulus wird vier Jahre im Gefängnis verbringen, damit sie die Botschaft hören können, weil er ihnen die Botschaft gebracht hat. Gott investiert in sie, weil sie ihm wichtig sind. Das finde ich beeindruckend.
Im letzten Vers, Epheser 5,1, schreibt Paulus: „Seid nun Nachahmer Gottes als seine geliebten Kinder und wandelt in Liebe, wie Christus uns geliebt hat und sich selbst für uns hingegeben hat.“ Paulus sagt hier, was er oft betont: „Ihr seid Kinder Gottes, lebt wie Gott, seid Nachahmer Gottes und repräsentiert die Familie Gottes.“
Interessanterweise fügt er ein Wort hinzu, das an dieser Stelle nicht unbedingt nötig ist, weil es den Sinn verstärkt: „als geliebte Kinder.“ Er möchte den Ephesern damit sagen: Egal wie sehr ihr durchgeschüttelt seid, egal wie unsicher ihr euch fühlt, egal ob ihr denkt, ihr seid unterlegen oder ob ihr glaubt, nichts beizutragen zu können oder nicht fähig zu sein, Verantwortung zu übernehmen – ihr seid gesegnet mit jeder geistlichen Segnung.
Ihr seid geliebte Kinder, habt Zugang zum Vater und seid Mitbürger der Heiligen sowie Hausgenossen Gottes. Wenn du dich manchmal unsicher fühlst, ob du wirklich dazugehörst und etwas beitragen kannst, dann ist der Epheserbrief dein Brief.
Die Struktur des Epheserbriefs als Wegweiser
Ich habe euch versprochen, eine Struktur des Epheserbriefs zu geben. Diese ist einfach.
In den ersten drei Kapiteln geht es darum, wer Gott ist und vor allem, wer wir sind – wer wir für Gott sind.
Ab Kapitel 4, Vers 1 heißt es: „Ich ermahne euch nun, ich der Gefangene im Herrn, dass ihr würdig wandelt der Berufung, mit der ihr berufen worden seid.“ Ab diesem Kapitel geht es darum, wie wir auf dieser Erde leben sollen. Das Wort „wandeln“ kommt dabei fünfmal vor.
Im Angesicht dieser grandiosen Berufung – was Gott aus uns gemacht hat – wird gefragt, wie wir ganz praktisch auf dieser Erde leben sollen.
Wenn du möchtest, kannst du im dritten Teil ab Kapitel 6, Vers 10 noch den Abschnitt nehmen, der von der Waffenrüstung und dem Kampf handelt. Wahrscheinlich gehört dieser Teil zum zweiten Abschnitt, aber du kannst auch drei Teile daraus machen.
Watchmenie hat den Brief in drei Teile eingeteilt:
- Sitze: Kapitel 1, Vers 3
- Wandle: Kapitel 4, Vers 1 bis Kapitel 6, Vers 9
- Stehe: Kapitel 6, Vers 10 bis zum Ende
Das war die Einleitung. Ein bisschen lang geworden, sorry. Nächstes Mal fangen wir dann wirklich mit Kapitel 1 an, aber ein bisschen aus Kapitel 1 haben wir schon behandelt.