Der Kirche ist stärker von der Gnosis geprägt, was zum Teil stimmt, aber nur zum Teil. In der östlichen Kirche gab es ebenfalls einige hervorragende Theologen. Man kann daher nicht generell behaupten, dass die gesamte erste Christenheit von der Gnosis beeinflusst war.
Denn die erste Christenheit war vor allem die östliche Christenheit – also Kleinasien, Ägypten, Israel und ähnliche Regionen. Die anderen Regionen kamen erst viel später hinzu. Hier lag das ursprüngliche Christentum. In der Diskussion wird dies oft vereinfacht dargestellt.
Ich glaube daher, dass man weder generell argumentieren kann, der Nestle-Aland sei der einzig inspirierte Text, noch dass der Textus Receptus der einzig mögliche sei. Bei den einzelnen Textstellen, die man bespricht, muss man immer wieder neu prüfen, welcher Text hier näher am Original liegt.
Manchmal wird auch der Textus Receptus befürwortet. Dabei wird oft betont, dass bestimmte Bibelstellen in dieser Übersetzung viel klarer und deutlicher sind. Das Argument lautet, dass der Text des Textus Receptus verständlicher sei. Doch dieses Argument sagt nichts darüber aus, wie der ursprüngliche Text tatsächlich war.
In der Textkritik gilt gerade das Gegenteil als Kriterium: Die deutlicheren Texte stammen oft aus einer späteren Zeit. Man geht davon aus, dass kaum jemand bewusst einen klaren Text unverständlicher machen würde. Vielmehr passiert es in der Geschichte häufig, dass jemand einen Text nicht versteht und ihn deshalb so umschreibt, dass er einfacher und klarer wird.
Daher könnte es sogar ein Argument sein, dass die Texte, die für uns heute deutlicher sind, eher hinterher verändert wurden. So einfach lässt sich das also nicht entscheiden.
Ich selbst würde aber nicht sagen, der Text sei vollkommen falsch. Ich habe meine Bibel gerade nicht dabei, aber ich lese momentan die Schlachter 2000. Diese Übersetzung finde ich durchaus gut, auch wenn ich an einigen Stellen nicht mit der Wahl bestimmter Textvarianten übereinstimme.
Vielleicht machen wir irgendwann einmal ein Seminar über Bibelübersetzungen, um solche Themen ausführlich zu besprechen. Es gibt da einiges zu sagen, denn es gibt zwei große Linien bei Bibelübersetzungen – sowohl in Bezug auf die Ideologie als auch auf die dahinterstehenden Überzeugungen.
Die einen vertreten, dass die Übersetzung möglichst textgenau sein muss. Das heißt, sie wollen den ursprünglichen Text möglichst genau in die andere Sprache übertragen. Die anderen vertreten die Auffassung, dass die Übersetzung äquivalent sein soll. Damit meinen sie, dass der Sinn der Aussage möglichst genau wiedergegeben werden soll, auch wenn die Worte nicht wortwörtlich übernommen werden.
Beide Ansätze sind nicht ganz falsch, haben aber auch ihre Schwächen.
Man merkt schnell, dass eine rein wörtliche Übersetzung nicht immer möglich ist. Für bestimmte Begriffe gibt es im Deutschen kein passendes Wort. Deshalb muss man Kompromisse eingehen. Im Extremfall entstehen dann Übersetzungen wie die Konkordante, die sehr genau sein wollen, aber oft unverständlich bleiben. Man weiß dann kaum noch, was genau gemeint ist.
Wer eine andere Sprache gelernt hat, weiß, dass man nicht immer wortwörtlich übersetzen kann. Es gibt Wortbilder und grammatikalische Konstruktionen, die in der Zielsprache gar nicht vorkommen. Das ist der Schwachpunkt der wortgetreuen Übersetzung.
Der Schwachpunkt der sinngemäßen Übersetzung ist meiner Meinung nach noch größer. Hier muss ich darauf vertrauen, dass der Übersetzer den wirklichen Sinn wirklich verstanden hat. Ich muss glauben, dass er alles mit dem Sinn Erforderliche richtig erfasst hat.
Das bedeutet aber auch, dass der Übersetzer mir die Deutungsmöglichkeiten nimmt. Er lässt nur noch die Deutung zu, die er selbst erkannt hat. Das ist eine größere Gefahr.
Gerade deshalb mögen viele Menschen die äquivalenten Übersetzungen, weil sie so einfach zu lesen sind. Die ursprüngliche Bedeutungsvielfalt wird eingeebnet, plötzlich ist alles klar.
Man fragt sich dann, warum andere Übersetzungen es so kompliziert machen. Das liegt daran, dass der ursprüngliche Text viel mehr Interpretationsmöglichkeiten offenlässt.
Ich würde daher sagen: Lieber lässt man dem Bibelleser diese Vielfalt und hilft ihm, herauszufinden, was alles im Text steckt. Als dass man von vornherein die Deutung einschränkt, indem man sich nur auf den Sinn konzentriert, den man selbst erkannt hat.
Am idealsten wäre natürlich eine Mischung aus beiden Ansätzen. Die meisten Bibelübersetzungen versuchen genau das. Auch die Schlachterübersetzung ist so eine Mischung, ebenso die Lutherübersetzung. Sie neigen eher zur wortgetreuen Übersetzung, bringen aber auch sinngemäße Elemente ein. Anders geht es ja kaum.
Zu den Übersetzungen, die als relativ wortgetreu gelten, gehören zum Beispiel die Zürcher Bibel, die in der reformierten Kirche verbreitet ist, die Schlachterübersetzung, die Lutherübersetzung und die Elberfelder Übersetzung. Man könnte sagen, sie orientieren sich stark an diesem Ansatz.
Auch die ältere Einheitsübersetzung ist relativ gut. Die wurde von Katholiken und Protestanten gemeinsam herausgegeben. Die älteren Ausgaben sind ausgewogen, die neueren weniger, weil die katholische Kirche ihr Vetorecht genutzt hat und die Übersetzung nach katholischen Gesichtspunkten umgestaltet hat. Deshalb sind die neueren Ausgaben weniger empfehlenswert.
Die Genfer Übersetzung ist in dieser Hinsicht ebenfalls nicht schlecht. Ältere Übersetzungen wie die Albrecht-Üderbrunnen-Übersetzung waren etwas stärker sinngemäß, aber längst nicht so weit wie heutige sinngemäße Übersetzungen.
Zu den sehr sinngemäßen Übersetzungen gehören zum Beispiel die Hoffnung für alle, die Neues Leben Übersetzung oder die Gute Nachricht Übersetzung – besser gesagt Übertragungen. Diese wollen den Sinn möglichst verständlich wiedergeben.
So ist es also: Es gibt sinngemäßere und wörtlichere Übersetzungen.
Ich bin nie auf die Idee gekommen, dass eine Übersetzung „vorwärts“ sei. Normalerweise denkt man: Bibel ist Bibel. Aber manchmal hilft es, die Perspektive des Übersetzers zu verstehen.
Gerade bei Bibelübersetzungen wie der „Bibel in gerechter Sprache“ oder der „Volksbibel“ wird einem klar, dass es nicht nur um Übersetzung geht. Vielmehr wird oft eine bestimmte theologische Sichtweise hineingelegt.
Das erlaubt dem normalen Christen kaum noch, selbst zu überlegen, was Gott eigentlich sagen wollte. Der Herausgeber hat die Deutung bereits vorgegeben.
Das ist meiner Meinung nach sogar gefährlicher, als wenn man denselben Text hätte und sich unabhängig davon eigene Gedanken machen kann.
Na gut, jetzt sind wir schon mittendrin. Ich möchte noch etwas weiter über die Kirchengeschichte sprechen. Zuerst will ich bei der anglikanischen Kirche noch ein bisschen mehr über ihre Entstehung erzählen. Danach werde ich noch etwas zur Gegenreformation sagen.
Die Geschichte der anglikanischen Kirche geht ebenfalls auf die Reformationszeit zurück. Die anglikanische Kirche meint die Kirche von England, von der sie ausgeht. Sie geht zurück auf Heinrich VIII.
Heinrich VIII. lebte in der Zeit der Reformation, also auch zur Zeit Luthers. Genauer gesagt im Jahr 1535. In der Zwischenzeit waren bereits einige Schriften Luthers und anderer Reformatoren nach England gelangt. Diese wurden dort gelesen, diskutiert und zum Teil übersetzt. Einige lagen auf Latein vor, sodass die gebildete Bevölkerung sie ohnehin lesen konnte. So verbreiteten sich die Ideen der Reformation auch in England.
Heinrich VIII. hatte sich bis 1535 eher als Verteidiger des Katholizismus einen Namen gemacht. Er erhielt sogar vom Papst einen Orden als Auszeichnung für seinen Einsatz als Kämpfer für den „wahren Glauben“. Seine Probleme entstanden jedoch durch seine vielen Ehefrauen.
Beim ersten Versuch, sich von seiner Ehefrau zu trennen, spielte die katholische Kirche noch mit. Sie erklärte die Ehe einfach für ungültig. Nach katholischer Lehre darf es keine Ehescheidung geben, das gilt bis heute. Man kann sagen, dass die katholische Kirche hier in gewisser Weise biblisch handelt. Allerdings gibt es immer einen Ausweg: Man erklärt eine Ehe für ungültig.
Es gab verschiedene Regeln dafür. Zum Beispiel wurde eine Ehe annulliert, wenn sie nicht fruchtbar war oder wenn das Paar nie zusammen geschlafen hatte. Letzteres lässt sich natürlich kaum überprüfen, doch wenn man behauptete, es sei so, wurde die Ehe für ungültig erklärt. Das ist nicht dasselbe wie eine Scheidung, sondern bedeutet, dass die Ehe von Anfang an als nichtig galt.
Heinrich VIII. heiratete daraufhin erneut. Später verliebte er sich in ein anderes Fräulein und wollte sich wieder trennen. Das war der katholischen Kirche zu viel, und sie untersagte ihm die Trennung. Heinrich VIII. hielt nicht viel von der Kirche. Deshalb gründete er seine eigene Kirche. Den Erzbischof von Canterbury, den höchsten Vertreter der katholischen Kirche in England, setzte er nun als oberste Instanz seiner neuen anglikanischen Kirche ein.
Hier zeigt sich, dass die Reformation in England ganz andere Ursachen hatte als in allen anderen Ländern. In den meisten Ländern waren es religiöse Motive, die zur Reformation führten. In England waren die Ursachen hingegen rein persönlicher Natur.
Das zeigt sich auch darin, dass die anglikanische Kirche am wenigsten durchstrukturiert war im Vergleich zu anderen Kirchen. Es war eher eine Reformation von oben nach unten: Der König beschloss, etwas anderes zu machen, und die Bevölkerung folgte.
Dies führte dazu, dass in der anglikanischen Kirche viel mehr katholische Elemente erhalten blieben. Wenn man heute den Erzbischof von Canterbury betrachtet oder einen katholischen Gottesdienst sieht, merkt man, dass die anglikanische Messe der katholischen Messe noch viel näher ist als die evangelische oder besonders die reformierte Kirche. Die reformierte Kirche hat am wenigsten katholische Elemente übernommen. Die anglikanische Kirche nimmt eine Zwischenposition ein zwischen der evangelisch-lutherischen und der katholischen Kirche und enthält noch einige katholische Lehren.
Der damalige Erzbischof Cranmer erarbeitete eine neue Kirchenverfassung. Diese bezog sich vor allem auf Details, etwa den Gottesdienst, das Verständnis vom Abendmahl, die Ethik und weitere Aspekte. Die Kirchenlehre, also die Dogmatik, blieb zu diesem Zeitpunkt weitgehend katholisch.
Unter der Königin Maria, die 1553 den Thron bestieg – Heinrich VIII. war bereits gestorben –, kam es dann zur Gegenreformation. Maria, später „die Blutige“ genannt, regierte nur fünf Jahre, wollte aber den Katholizismus in England wieder einführen. Das führte zu heftigen Auseinandersetzungen. Reformierte flüchteten unter anderem nach Genf, wo Calvin wirkte, sowie nach Deutschland.
Nach diesen fünf Jahren wurde Maria abgesetzt. Ihre Nachfolgerin wurde Königin Elisabeth, die von 1558 bis 1603 regierte. Sie prägte die anglikanische Kirche in der Form, wie wir sie heute kennen. Das Ganze wurde nun theologisch durchdacht. Theologen aus Deutschland, der Schweiz und Frankreich wurden eingeladen, um bei der Reformationsarbeit zu helfen.
Es wurde das sogenannte Common Book of Prayer herausgegeben, ebenso die neununddreißig Artikel. Diese bilden die glaubensmäßigen Grundlagen, also das Glaubensbekenntnis und die Bekenntnisschriften der anglikanischen Kirche.
Diese Entwicklung war ein Hin und Her: Zuerst wurde die Kirche pragmatisch getrennt, ohne inhaltliche Veränderungen. Dann erfolgte der Versuch, zum Katholizismus zurückzukehren. Schließlich festigte Königin Elisabeth die anglikanische Kirche systematisch.
In der anglikanischen Kirche gibt es bis heute drei große Gruppen, die sich im 17. Jahrhundert herausbildeten.
Da ist zunächst die High Church, die Hochkirche. Diese ist stark katholisch geprägt. Hier spielt die Liturgie eine große Rolle. Wert wird gelegt auf die Kleidung der Priester, den Ablauf des Gottesdienstes und ähnliche Dinge.
Dann gibt es die Broad Church, die sich im 17. und besonders im 18. Jahrhundert entwickelte. Diese Gruppe ist eher wissenschaftlich und liberal eingestellt. Hier steht nicht das Festhalten an Traditionen im Vordergrund, sondern Offenheit für Bibelkritik. Heute ist das die stärkste Fraktion in der anglikanischen Kirche.
Schließlich entstand im 17. Jahrhundert die Low Church. Das sind die Erweckten. Zu dieser Gruppe zählt unter anderem John Wesley. Aus der Low Church entstand später der Methodismus. John Wesley war ein Erweckungsprediger, der viele Menschen zur Umkehr führte.
Die methodistische Kirche entstand später als eigenständige Kirche aus dieser Bewegung.
Das ist die Geschichte der anglikanischen Kirche.
Jetzt haben wir eigentlich alle großen Gruppen der Reformation kurz besprochen. Wir haben mit den Vorreformatoren begonnen. Das sind diejenigen, die evangelische Ideen hatten, aber in der katholischen Kirche geblieben sind. Dazu gehören John Wycliffe, Jan Hus und Giacomo Savonarola. Diese drei habe ich vorgestellt, es gab natürlich noch andere.
Dann haben wir uns mit der evangelisch-lutherischen Reformation beschäftigt. Evangelisch meint hier lutherisch. Danach haben wir die reformierte Reformation betrachtet, die stark von Zwingli und Calvin geprägt wurde.
Anschließend haben wir uns mit dem sogenannten linken Flügel der Reformation auseinandergesetzt. Darunter versteht man einerseits die Radikalen in der Reformation. Das sind diejenigen, die eine soziale Revolution anstoßen wollten, wie zum Beispiel Karlstadt oder Thomas Münzer. Dazu gehören auch die Zwickauer Propheten oder Ulrich von Hutten. Diese Personen wollten unter anderem Krieg führen, um soziale Veränderungen durchzusetzen.
Zum linken Flügel der Reformation gehören auch die sogenannten Täufer beziehungsweise Wiedertäufer. Diese sind am ehesten mit einer Freikirche vergleichbar, wie wir sie heute kennen. Sie wurden größtenteils verfolgt. Unter den Täufern gab es zwei große Ausrichtungen: Die einen, die wir heute als sektiererisch empfinden, waren stark endzeitlich ausgerichtet und hatten falsche Prophetien. Die anderen überlebten eher, waren etablierter und gründeten Gemeinden, die teilweise bis heute bestehen. Sie überlebten vor allem in den Gebieten Deutschlands, in denen die Fürsten ihnen Freiheit eingeräumt hatten.
In der Zeit nach der Reformation gab es dann eine zweite Generation von Reformatoren. Sie versuchten, vieles von dem, was ihre Lehrer gelehrt hatten, zu festigen. Das führte unter anderem dazu, dass ausführlichere Dogmatiken entstanden, also dass die Inhalte genauer aufgeschrieben wurden. Man sprach dann von der Orthodoxie. Orthodox bedeutet eigentlich „Doxa“, also Gott richtig loben, oder man könnte sagen „rechtgläubig“. Es gab die lutherische und die reformierte Orthodoxie. Diese versuchten, die Ansätze der Reformatoren bis ins Detail durchzudenken. Hier entstanden die ausführlichen Dogmatiken.
Eine der ausführlichsten Dogmatiken der lutherischen Reformation im 17. Jahrhundert ist der sogenannte Huttorus Redivivus. Dieses Werk wurde über zweihundert Jahre als Grundlage der lutherischen Dogmatik genutzt. Es gab auch noch andere wichtige dogmatische Werke dieser Zeit.
Aus dieser Zeit stammt auch die heute bekannte Inspirationslehre. Dabei wurde erstmals genau definiert, was man unter Inspiration versteht. Das bedeutet nicht, dass Christen vorher nicht an die Inspiration glaubten. Im Mittelalter war es mehr oder weniger selbstverständlich, dass die Bibel inspiriert ist. Niemand hätte darüber gestritten. In der Zeit der Reformation und des Humanismus wurde die Offenbarung der Bibel durch den Menschen und sein Forschen infrage gestellt. Deshalb wurde hier erstmals ausführlich und detailliert aufgeschrieben, was genau unter Inspiration zu verstehen ist.
Die lutherische Orthodoxie ist in mancher Hinsicht herausfordernd und vorbildlich. Zum Beispiel führten sie sehr genaue Bücher darüber, welche Eigenschaften Gottes an welcher Stelle der Bibel genannt werden, wie man diese interpretiert und versteht. Das sind ausführliche Diskussionen über manche Themen, mit denen wir uns bisher vielleicht noch nicht beschäftigt haben. Wenn man spezielle Fragen hat, empfehlen sich gerade diese Dogmatiken der lutherischen und reformierten Orthodoxie.
Allerdings hatten sie auch Schwachpunkte. Sie konzentrierten sich sehr stark auf die reine Lehre, vor dem Hintergrund der Bekenntnisschriften von Luther, Calvin und Zwingli. Dadurch gerieten sie in Einseitigkeiten. Die Lehre wurde betont, dabei aber das Leben etwas vernachlässigt. Als Antwort darauf entstand der Pietismus, der das Leben im Glauben wieder betonen wollte und nicht nur die wahre Lehre.
Auf der anderen Seite führten die lutherische und reformierte Orthodoxie auch zu Extremen, die die Reformatoren selbst nie formuliert hatten. Zum Beispiel gab es im Luthertum den sogenannten synergistischen Streit. Dabei ging es um die Frage, welche Bedeutung die Werke für das Heil haben. Luther hatte gesagt: „Nur aus Gnade allein“, also keine Werke. Nun wurde diskutiert, ob die Entscheidung des Menschen auch ein Werk sei. Manche argumentierten, wenn die Entscheidung ein Werk ist, dann hätte man sich selbst etwas zum Heil beigetragen. Die Antwort war meist: Nein, auch die Entscheidung ist kein Werk. Denn der Mensch ist von Natur aus gefallen und kann von sich aus nichts Gutes tun.
Es wurde eine Lehre entwickelt, dass es eine Vorabgnade gibt. Gott gibt dem Menschen also eine Gnade, damit er überhaupt erkennen kann, wer Jesus ist und wie die Errettung geschieht. Diese Lehre lässt sich auch biblisch begründen, zum Beispiel mit der Aussage Jesu: „Niemand erkennt den Vater außer dem Sohn und wem der Sohn ihn offenbart“ (Matthäus 11,27). Das heißt, der Mensch kann sich nicht bekehren, wenn Gott nicht zuerst den ersten Schritt macht. Somit ist die Entscheidung des Menschen kein Werk, sondern Gott ist schon vorher am Wirken.
Diese Diskussion zeigt, dass der Mensch von sich aus nichts Gutes tun kann. Es gibt biblische Argumente dafür. Allerdings führt diese Sicht auch zu Problemen, denn man könnte den Eindruck gewinnen, dass Werke unterbewertet werden. In der Bibel spielen Werke durchaus eine Rolle.
Das führte zum majoristischen Streit, der auf den Theologieprofessor Georg Major zurückgeht. Er war ein Schüler Melanchthons, eines Mitarbeiters Luthers. Major meinte, dass gute Werke sogar schädlich für die Seligkeit seien. Warum? Wenn jemand gute Werke tut, könnte er sich darauf etwas einbilden und nicht mehr allein auf die Gnade vertrauen. Es wäre besser, wenn keine guten Werke da wären, dann wäre die Gnade umso größer.
Das ist ein konsequentes Weiterdenken der lutherischen Lehre „nur die Gnade“. Luther selbst hat das nie so gesagt. Diese Übersteigerung entstand in der lutherischen Orthodoxie. Man kann sagen, das ist Irrlehre. Gute Werke sind nicht schädlich für den Glauben, sondern notwendig. Der Glaube bringt gute Werke hervor, sie sind die Früchte des Glaubens. Fehlen sie, sollten wir Zweifel haben, ob die Person überhaupt gerettet ist.
Es gab auch den antinomistischen Streit, der die Frage behandelte, wie Gesetz und Evangelium zueinander stehen. Einige Schüler Luthers, wie Johann Agricola, behaupteten, man solle den Menschen nur das Evangelium predigen und nicht das Gesetz. Das Evangelium solle im Mittelpunkt stehen, nicht die Drohung mit dem Gesetz. Reue und Buße würden durch die Gnade geweckt, nicht durch das Gesetz. Die Gerichtspredigt habe in der Gemeinde keinen Platz mehr.
Das ist eine Überspitzung. Luther selbst sagte, dass der Mensch erst durch das Gesetz erkennen muss, wer er ist, und dann das Angebot Jesu, der vergibt und erneuert, annehmen soll. Agricola und andere überspannten das und sagten, das Gesetz sei überflüssig. Diese Bewegung nennt man antinomistisch, also gegen das Gesetz gerichtet. Ähnliche Ansätze finden wir heute auch.
Ein weiterer Streit drehte sich um Andreas Osiander, einen Prediger und Reformator aus Nürnberg und später Königsberg. Er war von Luther geprägt und vertrat die Auffassung, dass die Versöhnung mit Gott nicht auf Golgatha geschieht, sondern durch den innewohnenden Christus im Herzen des busfertigen Sünders.
Das heißt, Jesus vergibt die Sünde nicht dadurch, dass er am Kreuz gestorben ist, sondern dadurch, dass er in den Menschen einzieht und ihn von innen heiligt und rein macht. Diese Lehre gibt es auch heute noch. Osiander sagte, durch die Annahme des Evangeliums empfange der Gläubige eine göttliche neue Natur, das „innere Wort“, in dem Christus wohnt. Deshalb sei die Rechtfertigung des Sünders keine Rechtsprechung vor Gericht, sondern eine Erneuerung im Menschen selbst.
Das bedeutet, es gibt keine juristische, gesetzliche Rechtsprechung vor Gott. Der Mensch sagt Ja zu Jesus, Jesus kommt in ihn hinein und verändert ihn innerlich, sodass er rein und heilig wird, so wie Gott ihn ursprünglich in der Schöpfung gedacht hat.
Die Gegenpartei behauptete genau das Gegenteil: Rechtfertigung sei eine gerichtliche Gerechtsprechung. Die Gefahr bei Osianders Lehre ist, dass der Tod Jesu entleert wird. Wenn Jesus dadurch gerecht macht, dass er in uns wohnt, stellt sich die Frage, warum er überhaupt am Kreuz sterben musste. Diese Lehre hat mystische Züge, wie sie auch in Teilen der charismatischen Bewegung zu finden sind. Dort wird gesagt, Christus und der Christ würden identisch, sie würden eins. Deshalb könnten sie der Natur genauso befehlen wie Jesus, weil Jesus in ihnen wohnt.
Die Gefahr besteht darin, dass die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch verloren geht. Die Bibel macht diese Unterscheidung an vielen Stellen deutlich. Außerdem wird der Tod Jesu dadurch entwertet, wenn man sagt, das Wesentliche geschieht nicht am Kreuz, sondern in der Identifikation mit Jesus.
Im Calvinismus gab es ebenfalls Streitigkeiten, etwa um die Abendmahlsauffassung. War das Abendmahl nur ein Symbol oder auch ein Zeichen? Calvin beschäftigte sich damit. Später ging man davon aus, dass derjenige, der daran glaubt, im Abendmahl Gemeinschaft mit Christus hat. Es hängt also nicht an der Materie, sondern an der Beziehung des Menschen zu Gott, die im Abendmahl zum Ausdruck kommt.
In den reformierten Kirchen stellten die Schüler Calvins und Zwinglis Glaubensbekenntnisse auf, darunter die Confessio Gallica für Frankreich, die Confessio Helvetica für die Schweiz und den Heidelberger Katechismus für die deutschsprachigen Länder.
Es gab auch Auseinandersetzungen um die Prädestinationslehre. Die Schüler Calvins überspitzten diese Lehre, indem sie besonders die doppelte Prädestination betonten. Das heißt, sie konzentrierten sich darauf, dass Menschen zur Hölle erwählt werden. Bei Calvin finden wir Ansätze davon, wobei er mehr die notwendige Konsequenz der Erwählung zum Heil betonte. Wenn Gott die einen zum Heil erwählt, sind die anderen zum Verderben erwählt.
Calvin bezieht sich auf Bibelstellen wie Jeremia 18,6 („Was kann der Töpfer mit seinem Töpferwerk machen? Einen Topf zur Ehre oder zur Unehre“). Gott entscheidet, wofür er einen Menschen erwählt und bestimmt.
Calvin legte mehr Wert darauf, dem Gläubigen zu zeigen, dass er von Gott erwählt ist. Das Heil hängt nicht allein von der menschlichen Entscheidung ab, sondern vom Willen Gottes. Deshalb warnte er davor, mit Ungläubigen über die Prädestinationslehre zu sprechen. Er nannte sie ein „tödliches Labyrinth“ für den Verstand. Der Mensch könne die Prädestination nicht begreifen, sondern nur als Wahrheit von Gott offenbart akzeptieren.
Calvin sagte, wenn er einen Menschen trifft, der Gott nicht kennt, soll er ihn direkt zu Christus führen und nicht über Prädestination reden. Wenn der Mensch zum Glauben kommt, kann man ihm sagen: „Siehst du, du bist erwählt, Gott hat dich schon vorher erwählt.“
Aus dieser Perspektive ist die Prädestinationslehre eher eine Lehre für Gläubige, um ihnen die Größe Gottes vor Augen zu führen und zu zeigen, dass ihr Heil nicht nur in ihrer Entscheidung, sondern im Willen Gottes begründet ist.
Diese Lehre wurde später stark ausgebaut, und das ist das, was man heute manchmal mit Calvinismus bezeichnet. Diese Ausprägungen stammen vor allem von seinen Schülern, nicht von Calvin selbst.
Man stritt auch darüber, wann die Erwählung stattgefunden hat. Dabei gab es den Supralapsarismus und den Infralapsarismus. „Lapsus“ bedeutet Sündenfall, „Supra“ heißt vor und „Infra“ nach dem Sündenfall.
Wenn die Erwählung vor dem Sündenfall gewesen sei, hätte Gott den Sündenfall eingeplant. Die Menschen im Paradies standen automatisch in Kontakt mit Gott und waren eins mit ihm. Das hätte Auswirkungen auf die Bewertung des Sündenfalls.
Befürworter argumentieren mit Epheser 1,4: Gott wählt vor Anbeginn der Welt. Gegner sagen, mit „Welt“ sei hier nicht die geschaffene Welt gemeint, sondern die Welt in ihrem jetzigen Zustand, also die gottlose Welt nach dem Sündenfall. Die Erwählung hätte dann zwischen Sündenfall und der jetzigen Welt stattgefunden.
Wenn die Erwählung erst nach dem Sündenfall stattgefunden hätte, wäre die Allwissenheit Gottes eingeschränkt. Er wäre vom Sündenfall überrascht worden und müsste danach handeln. Das wäre problematisch und schwer mit manchen Bibelstellen zu vereinbaren.
Wahrscheinlich können wir hier keine hundertprozentig genaue Antwort geben. Ich tendiere dazu zu sagen, dass die Erwählung wahrscheinlich vor dem Sündenfall war. Das heißt nicht, dass Gott den Sündenfall eingeplant hat, aber er wusste davon und hat deshalb schon erwählt. Die Epheser-Stelle ist dafür am plausibelsten.
Theologisch ist beides etwas problematisch, und es gibt Argumente für beide Seiten. Vielleicht habt ihr euch noch nicht intensiv damit beschäftigt, aber man merkt, dass es gute Argumente für beide Positionen gibt.
Es gab auch Streitigkeiten um die Frage, ob Jesus seine göttlichen Eigenschaften auf der Erde abgelegt hat oder ob er sie einfach nicht gebraucht hat. Das war ein Streit zwischen zwei Universitäten. Die eine Schule nennt man die Schule der Krypsis, die andere die Schule der Kenosis.
Krypsis bedeutet „verborgen“. Diese Schule sagt, Jesus war ganz Gott und hatte alle göttlichen Eigenschaften, hat sie aber verborgen und nicht gebraucht.
Die Kenosis-Schule sagt, Jesus hat viele göttliche Eigenschaften im Himmel gelassen, als er auf die Erde kam. Er ist über das Wasser gegangen und hatte somit einige göttliche Eigenschaften, aber nicht alle.
Zum Beispiel wird argumentiert, dass er nicht allwissend war, weil er den Zeitpunkt seiner Wiederkunft nicht kennt, sondern nur Gott. Außerdem wandte er sich bei vielen Wundern an Gott und bat ihn, zu handeln, wie bei der Speisung der Fünftausend.
Die Kenosis-Anhänger sagen, Jesus hat für die Zeit seines irdischen Lebens bestimmte göttliche Eigenschaften im Himmel gelassen. Die Frage ist, warum das wichtig ist.
Sie sagen, nur so hätte er wirklich ernst gemacht mit dem Menschwerden. Wäre er die ganze Zeit mit allen göttlichen Eigenschaften gewesen, wäre er nie richtig Mensch geworden. Stellen wie im Hebräerbrief („Er ist ganz wie wir geworden“) würden dann nicht stimmen.
Jesus hat geweint, war müde, hungrig und hat Schmerzen empfunden. Das sind Eigenschaften, die wir nicht mit Gott verbinden, auch die Sterblichkeit. Gott kann nicht sterben. Wie kann Jesus sterben, wenn er gleichzeitig ewig unsterblich ist? Das ist ein logisches Problem.
Deshalb sagen die Kenosis-Leute, Jesus hat bestimmte göttliche Eigenschaften im Himmel gelassen.
Ich will euch nicht nur für die Kenosis-Position werben. Es gibt auch Argumente für die Krypsis, also dass Jesus alle Eigenschaften hatte, sie aber nicht immer eingesetzt hat.
Zum Beispiel hat Jesus alle Dinge im Einklang mit dem Willen Gottes getan. Das kann man sowohl für die Kenosis- als auch für die Krypsis-Position deuten.
Der Ausgangspunkt des Streits ist, dass Jesus auf der Erde wie ein Mensch empfunden und gehandelt hat. Die Frage ist, wie wir das erklären: Konnte er nicht oder wollte er nicht? Hatte er die Eigenschaft, hat sie aber nicht eingesetzt? Beides ist möglich.
Argumente für die Krypsis sind zum Beispiel, dass Jesus göttliche Fähigkeiten hatte, die über das Menschliche hinausgehen, wie die Macht, Sünden zu vergeben. Auch die Bibel sagt, Gott ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit. Wie kann Jesus dann plötzlich nicht mehr Gott sein, wenn er bestimmte Eigenschaften aufgibt? Das ist ein Argument gegen die Kenosis.
Es gibt Bibelstellen, die andeuten, dass Jesus konnte, aber nicht immer handelte. Zum Beispiel als der Teufel sagt: „Du sprichst zu den Steinen“ – der Teufel geht davon aus, dass Jesus es könnte. Jesus verneint das nicht.
Das Ganze ist eine interessante und wichtige Frage. Ich vermute aber, dass wir keine eindeutige Lösung finden werden. Es ist eine Frage, die Gott uns offenlässt. Wir müssen uns damit anfreunden, dass wir es nicht ganz genau wissen.
Wir wissen, dass Jesus Gott war und göttliche Eigenschaften hatte. Ob er alle hier auf der Erde hatte und nicht einsetzte, oder ob er einige im Himmel ließ, wissen wir nicht genau. Das werden wir vielleicht im Himmel erfahren.
Was wir hier auch merken, ist, dass solche Fragen zu großen Themen werden können, die Kirchenspaltungen und Gemeindespaltungen verursachen. Das gab es damals. Menschen stritten sich heftig und spalteten Gemeinden wegen einer wichtigen, aber unklaren Frage.
Beide Seiten haben gute Argumente und stützen sich auf die Bibel. Beide Seiten enthalten keine Irrlehre, aber beide sind unbefriedigend und haben Schwachpunkte. Wahrscheinlich müssen wir sagen: Unsere Erkenntnis ist Stückwerk.
Gut, dann kommen wir jetzt zur Gegenreformation. Gegenreformation nennt man die Antwort der katholischen Kirche auf die Reformation.
Zuerst einmal frage ich euch: Was würdet ihr in dieser Situation tun? Nehmen wir an, du wärst zu diesem Zeitpunkt Papst oder Päpstin. Was würdest du tun, um mit der Reformation fertigzuwerden?
Man könnte natürlich ganz schnell sagen: „Na ja, ich würde mich bekehren, evangelisch werden.“ Das nehmen wir mal aus dieser Reaktion heraus, denn als Papst wärst du dann ja nicht mehr Papst, sondern würdest rausfliegen oder vielleicht sogar umgebracht werden. Also das geht nicht. Aber was würdet ihr als Reaktion auf die Reformation tun? Bitte Vorschläge! Versetzt euch einen Moment in die Situation: Du bist Papst, was würdest du tun?
Aha, das ist schon mal ein guter Weg. Wie kann man das machen? Vielleicht Prediger in die Länder schicken, die den katholischen Glauben mehr predigen. Also nicht nur in Italien, sondern auch anderswo.
Ja, genau, durchaus. Das hatte man damals auch gemacht. Es gab Predigerorden, die besonders mobilisiert wurden, um der einfachen Bevölkerung das Wort Gottes näherzubringen. Unter anderem legte man mehr Wert darauf, das in der einheimischen Sprache zu tun. Sozusagen das, was die Evangelischen auch getan haben – denselben Weg zu wählen, die Bevölkerung zu mobilisieren, aber jetzt mit katholischen Inhalten. Das ist ein Weg.
Wenn wir die Gedanken weiterverfolgen: Kirche attraktiver machen – wie könnte das sonst noch aussehen?
Na, „vorbei“ ist auch daneben, also so nah wie möglich dran, aber trotzdem nicht identisch.
Genau, ja, das wäre durchaus eine Möglichkeit. Das wäre eine andere Strategie, nicht nur attraktiver machen, sondern auch bestimmte Lehren oder Überzeugungen übernehmen. Dazu kommen wir vielleicht gleich noch. Bleiben wir erst mal bei dem Aspekt, die Kirche attraktiver zu machen. Wie kann man katholische Arbeit attraktiver gestalten? Jugendarbeit wäre jetzt schon sehr modern gedacht, klar, könnte man machen. Damals war es bestimmt auch irgendwie möglich. Oder soziale Einrichtungen, guck mal, was wir machen und so weiter.
Das stimmt, ja, mit dem Sozialen, das stimmt. Bezahlen? Ja, diesmal nicht mit Geld, sondern gratis. Oder Preise senken? Ja, aber nein, diese Ideen sind gut, also schenken, warum nicht? Den Leuten etwas schenken, genau, könnte auch irgendwas anderes sein. Man könnte auch mit Kinderarbeit oder Sozialarbeit arbeiten. Sozialarbeit war die katholische Kirche schon immer stark gewesen, auch im Mittelalter, und klar, das hat man da auch intensiviert.
Eine Sache ist zum Beispiel auch dieses hier: Ihr seht jetzt mal eine Kirche aus Frankreich, aus Paris. Das Bild nehme ich einfach mal dazu. Was man nämlich auch getan hat, ist ein Kirchenbauprogramm initiiert. Das ging oft darum, zu zeigen, wie toll die Kirche ist. Gerade in Regionen, in denen die katholische Kirche kämpfen musste, baute man prächtige neue Kirchengebäude, um zu zeigen: Seht ihr, wie toll der katholische Glaube ist? Manche Leute imponiert das auch.
Zum Teil wirkt das ja bis heute nach, zum Beispiel in Bayern. Große Teile Bayerns oder auch Vorarlbergs in Österreich waren ja von der Reformation erreicht, viele Leute hatten sich bekehrt. Gerade in der Zeit nach der Reformation wurden in vielen Dörfern große Kirchen gebaut, oft Barockkirchen. Dort wollte man die Pracht und Größe der katholischen Kirche den Menschen vor Augen führen. Das ist ein Weg.
Bis heute sind manche Menschen beeindruckt, wenn sie die Kunstwerke und großen katholischen Kirchen sehen. Und die sind ja auch vielfach beeindruckend, das kann man neidlos eingestehen. Es wäre eine Geschmacksfrage, welchen Stil man lieber mag – Barock oder Gotik –, aber das sind Kunstwerke. Sofern sie zum Lob Gottes gebaut werden, kann man einen Eindruck von der Größe Gottes bekommen, wenn man am Kölner Dom oder anderswo steht. Das macht schon Eindruck.
Das haben sie benutzt, um Menschen durch diese Größe, Macht und Herrlichkeit der Kirche zurückzugewinnen. Der Eindruck für die Menschen der damaligen Zeit in diesen Kirchen war noch viel größer als heute bei uns, denn wir sind voll von Bildern und Erlebnissen. Stellt euch vor, ihr kommt euer Leben lang nicht aus eurem Dorf heraus. Es gibt keinen Kassettenrekorder, keinen CD-Player, kein Radio und gar nichts. Dann geht ihr in eine Kirche wie den Kölner Dom.
Ihr seht die bunten Fenster, die intensiv leuchten. Ihr kennt keine elektrische Beleuchtung, das Licht kommt von außen. Ihr seht den Priester in Samt und Seide, mit Gold und all dem Schmuck. Diese riesige Halle war das größte Gebäude, das die Leute je gesehen hatten. Man kann sich vorstellen, welch Eindruck das auf viele Menschen gemacht haben muss. Durch solche Kirchenbauten und Schmuck konnte man Leute für den katholischen Glauben zurückgewinnen.
Das war einer der Wege, die man probiert hatte. Noch eine Idee: Wir sind erst mal noch beim Aspekt, die Kirche attraktiver zu machen, also dass es für die Menschen schön erscheint, da reinzugehen. Ein Weg, die eigene Kirche attraktiv zu machen, sei, die andere schlechtzumachen. Das wäre eine neue Strategie. Die werden wir auch noch besprechen: Nicht nur die anderen schlechtmachen, das stimmt auch, aber das wäre noch ein anderer Punkt.
Erst mal: Wie kann man das eigene positiv darstellen, attraktiv machen? Ein paar Punkte haben wir jetzt. Fällt noch etwas ein?
Ja, das haben sie zum Beispiel auch getan, indem sie, da war ja von Geschenken die Rede, insbesondere Leuten, die gebildet oder talentiert waren, eine gratis Ausbildung angeboten haben. Also: „Weißt du was? Bist du ein junger Mann aus Bauern- oder Handwerkerstand, intelligent, dann komm zu uns an unsere katholische Hochschule. Bei uns bekommst du dein Studium gratis.“ Das war häufig die einzige Chance, überhaupt eine Ausbildung zu machen.
Wenn man erst mal drei, vier Jahre studiert hatte, immer unter Katholiken, war die Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass man der katholischen Lehre gegenüber offener steht oder sich ihr anschließt. Also sind das auch Geschenke.
Was sie auch gemacht haben: Sie haben gratis Seelsorger an weltliche Herrscher vermittelt. Das hatte doppelten Zweck. Einerseits konnte man moralisch auf die Herrscher einwirken. Andererseits gab man ihnen günstige Konditionen.
Was meine ich damit? Ein Herrscher fällt immer wieder in Sünde, macht Sachen, die nicht in Ordnung sind. Als Herrscher ist die Versuchung größer als bei einem einfachen Bauern. Besonders die Jesuiten, die in dieser Zeit entstanden sind, machten sich als Seelsorger einen Namen. Sie entwickelten eine sogenannte kasuistische Ethik.
Diese wurde eine oder zwei Generationen später von Blaise Pascal scharf angegriffen. Er lieferte die beste Auseinandersetzung mit dieser kasuistischen Ethik bis heute. Die Jesuiten waren stark in der Kasuistik. Kasuistik heißt, man geht nicht nur nach einzelnen Prinzipien der Bibel, sondern bewertet jeden Einzelfall.
Heute tendiert man wieder etwas stärker in Richtung Kasuistik, also: „Bei deinem Fall ist Stehlen generell verboten, aber in deinem Fall konntest du gar nicht anders.“ Das ist nicht ganz falsch, aber man kann es schnell überspitzen. Dann findet man für jede Situation eine gute Erklärung, die sogar geistlich klingt.
Ihr könnt euch vorstellen, ein Herrscher hört das viel lieber, als wenn sein Beichtvater ihm immer sagt: „Du machst es falsch, du musst umkehren, Sünde und so.“ Viel besser ist es, wenn gesagt wird: „Ja, du konntest ja nicht anders, du armer Kerl.“ Das hört man lieber.
Blaise Pascal erwähnt ein Beispiel, das ich euch vielleicht noch nicht genannt habe: Ein Angestellter beleidigt seinen Fürsten. Der Fürst ist aufgebracht, nimmt sein Schwert und haut ihm den Kopf ab. Danach kommt ihm Reue, und er denkt: „Ich muss zum Beichtvater, ich habe jemanden getötet.“
Der Beichtvater könnte sagen: „Du böser Sünder, kehre um, tue Buße.“ Der jesuitische Beichtvater macht etwas anderes: Er fragt, warum er ihn getötet hat. „Weil er mich beleidigt hat.“ „Also ist das gar nicht so schlimm, denn die Beleidigung hat deinem Körper oder deiner Seele geschadet?“ „Der Seele.“ „Und als du ihn getötet hast, was hast du ihm geschadet?“ „Seinen Körper.“ „Was ist wichtiger?“ „Die Seele.“ „Also hat er dir größeren Schaden zugefügt als du ihm. Du bist sogar gnädig gewesen, dass du ihm nur den Körper geschädigt hast.“
Hört sich das nicht wie ein Adeliger an? Da denkt der nächste gleich: „Ja, gleich wie du bist!“ und haut ihm den Kopf ab. So haben sie es auch gemacht, nicht immer so radikal, aber das ist das, was Blaise Pascal in seinen Lettres Provinciales beschreibt. Das sind reale Zitate aus Handbüchern für Seelsorge unter Adligen, die von den Jesuiten benutzt wurden.
So hat man versucht, die eigene Lehre attraktiver zu machen: Nicht so streng, du musst nicht auf so viel verzichten. Die Evangelischen verbieten dir alles, da hast du ja gar keinen Spaß mehr. Aber bei uns kannst du geistlich super sein und trotzdem noch bestimmte Sachen tun, die du gerne tun willst. Das war ein Weg, den man gewählt hat.
Neben dem, die eigene Sache attraktiver zu machen, gab es natürlich die Möglichkeit, die anderen schlechter zu machen. Das hat man auch getan, zum Beispiel in Flugblättern. Man verbreitete Biografien von Reformatoren, in denen alle möglichen Lügen standen, um den Leuten zu sagen, wie unmoralisch, schlimm und böse sie seien.
Ich habe euch schon erwähnt: Bei Calvin gab es den ehemaligen Karmelitermönch Bolseck, der aus Genf vertrieben wurde, später zum Katholizismus konvertierte und eine Biografie über Calvin schrieb, voll von Lügen. Es wurde behauptet, er habe unzüchtig gelebt, sei ein Fresser gewesen und vieles mehr, was nachweislich falsch ist. Diese Polemik griff die katholische Kirche begierig auf.
Bolseck wurde zwar von den Reformierten herausgeschmissen, konnte aber in der katholischen Kirche Karriere machen. Das hat man bis ins 19. Jahrhundert so gemacht: Zahlreiche Bücher von katholischer Seite griffen die Evangelischen polemisch und direkt an. Das war mehr für die breite Bevölkerung.
Es gab auch intellektuelle Auseinandersetzungen. Man versuchte, mit Disputationen an Universitäten zu kämpfen. Dafür schickte man hochgebildete Katholiken, vorzugsweise Jesuiten, die stark im Bereich Bildung und Politik arbeiteten. Dort versuchte man, die Anhänger der Evangelischen zurückzugewinnen.
Das war Polemik, Angriffe auf die anderen. Man griff Streitpunkte auf, machte sich über Extrempositionen lustig. Das hat man ebenfalls gemacht.
Wir hatten hier vorne noch einen anderen Vorschlag: Dein Vorschlag war, die Kirche billiger zu machen. Aber da war doch noch jemand, der hatte von euch doch noch einen Vorschlag? Na gut, sonst suchen wir einfach weiter, fällt uns bestimmt noch etwas ein.
Was könnte man noch machen? Knapp daneben, ja genau, das ist auch ein Punkt, den ich noch aufgreifen wollte: Reformen übernehmen. Das hat man auch getan, und zwar im Konzil von Trient, dem sogenannten Tridentinischen Konzil.
Es gab mehrere Sitzungsperioden, hier ist ein Bild davon. Dort saßen sie zusammen in der Kirche und verhandelten über geistliche Dinge. Das Konzil von Trient dauerte von 1545 bis 1563, in mehreren Sitzungsperioden. Weil es in der katholischen Kirche verschiedene Machtinteressen und konkurrierende Orden gab, zog sich das ziemlich lange hin.
In dem Konzil wurden viele Punkte festgelegt, die heute als typisch katholisch gelten, die vorher offiziell noch nicht geregelt waren. Man strebte Erneuerung der katholischen Kirche an, und zwar in evangelischer Sicht. Manche evangelische Überzeugungen wurden übernommen, weil man erkannte, dass man Fehler gemacht hatte. Aber auf die Position der Evangelischen wollte man nicht eingehen.
Auf der anderen Seite wollte man die eigene Tradition festigen. Zum Beispiel wurde in der ersten Sitzungsperiode festgelegt, dass die Apokryphen zum Kanon der Bibel dazugehören. Das war vorher nicht so deutlich gesagt worden. Luther ließ sie zwar noch drin, wenn auch nicht gleichberechtigt, Calvin war strenger und schmiss sie ganz raus.
Es wurde erklärt, dass neben der Heiligen Schrift auch die Tradition der Kirche eine normative Grundlage der Lehre ist. Das war vorher nicht so genannt worden. Luther sagte nur „die Schrift“. Er wandte sich gegen die katholische Praxis, dass Tradition, also Auslegung und Lehre, eine große Rolle spielen. Konzilien waren vorher nicht so reflektiert worden. Jetzt wurde festgelegt: Auch die Tradition ist verpflichtend für Katholiken.
Das gilt bis heute. Dogmen, die von der Kirchenleitung beschlossen werden, sind verpflichtend, genauso wie die Bibeltexte. Deshalb fällt es manchmal schwer, wenn man heute mit katholischen Theologen arbeitet, die auf einer anderen Grundlage arbeiten. Wenn du immer mit der Bibel kommst, sagen sie: „Die Bibel ist wichtig, aber nicht allein. Gott führt seine Gemeinde weiter, auch durch Kirchenlehrer, Bischöfe und Päpste, mit dem Heiligen Geist, sodass sie Wahrheit aufgeschrieben haben.“ Das wird hier lehrmäßig festgelegt.
Darüber hinaus wurde der Index eingeführt, der Index der verbotenen Bücher. Den gibt es bis heute in der katholischen Kirche. Dort werden alle Bücher aufgeführt, die ein Katholik nicht lesen soll. Damals konnte man das noch stark durchsetzen, in Klöstern, Bibliotheken und Universitäten. Heute ist das schwieriger. Die Kirche kann es fordern, aber kaum jemand kennt den Index, und noch weniger halten sich daran.
Damals war das ein wichtiges Instrument. Damit wurden beispielsweise alle Bücher von Luther und Calvin auf den Index gesetzt und verboten. Jeder Katholik, der sie las, hatte schon ein schlechtes Gewissen, weil ihm gesagt wurde, das sei schädlich für sein Heil. Das erhöhte die Hürde, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, stärker als ein einfaches „Wir sind nicht der Meinung“ heute.
Das Konzil von Trient führte auch dazu, dass Missstände wie die Ablasspredigt oder Bestechungsgelder beim Papst abgeschafft wurden. Ich habe erwähnt, dass vorher auch Päpste durch Bestechungsgelder gewählt wurden – das wurde abgeschafft. Auch der Ablasshandel, bei dem Ablässe für Sünden verkauft wurden, die noch gar nicht begangen waren, wurde verboten. Das war vorher nie legitim eingeführt, aber geduldet. Man sagte: Das ist falsch.
Ich habe euch auch gesagt, dass der Ablasshändler Tetzel ins Gefängnis kam. Weil das Konzil sagte: Das ist Irrlehre, so sehen wir das nicht. Der Grundsatz, dass es Ablass gibt, besteht bis heute in der katholischen Kirche, aber ohne die Exzesse, die vor der Reformation üblich waren. Das ist ein Ergebnis des Konzils von Trient.
Es gab noch weitere Dinge, die detailliert besprochen wurden.
Dann habe ich euch den Ignatius von Loyola vorgestellt, der die Societas Jesu, also die Jesuiten, gründete. Er wurde 1491 in Spanien als Sohn einer Adelsfamilie geboren. Er war Soldat und wurde 1521 im Krieg gegen die Franzosen schwer verwundet. Im Krankenhaus und zu Hause las er zahlreiche Heiligenlegenden, die ihn stark ansprachen.
Er fühlte sich berufen und widmete sein Leben Maria. 1522, in der Zeit der Reformation, bekam er Visionen von Gott und Maria. In diesen Visionen wurde ihm mitgeteilt, dass Gott ihn gebrauchen will. Er schrieb diese Visionen in seinem sogenannten Exerzitienbuch auf, das bis heute bei den Jesuiten benutzt wird.
Das Buch ist eine Anleitung zur Meditation und inneren mystischen Begegnung mit Gott. Es umfasst verschiedene Stufen über mehrere Tage. Zum Beispiel am ersten Tag: Nur in sich hineinhören, wo Schuld im Leben ist, und dann Gott die Schuld bekennen. Am nächsten Tag die Größe Gottes vor Augen stellen. Viele der Dinge darin sind nicht grundsätzlich falsch, aber stark katholisch geprägt.
Diese Exerzitien sollen bis heute Jesuiten regelmäßig durchführen, nicht jede Woche, aber mindestens einmal im Jahr. Sie dienen der inneren Reinigung und Hinwendung zu Gott.
Ignatius studierte danach in Paris Theologie, etwa zur Zeit Calvins. Er wollte sich dem Papst unterstellen und entweder eine Pilgerfahrt nach Jerusalem machen oder sich für die Verteidigung des katholischen Glaubens einsetzen.
Die Pilgerfahrt war damals nicht möglich, da das Heilige Land muslimisch besetzt war und Krieg herrschte. Er kam nach Rom und wurde 1540 vom Papst Paul III. mit seinen Freunden als Orden anerkannt. Er wurde General des Ordens.
Wer Mitglied werden wollte, musste erst studiert haben, möglichst Theologie und ein anderes Fach. Es gab eine zweijährige Probezeit und danach eine fünfzehnjährige Schulung bis zur Priesterweihe. Jesuitenpriester waren im Durchschnitt mindestens 45 Jahre alt.
Man kann davon ausgehen, dass es eine Elitegruppe war – gut ausgebildete, ausgewählte Leute. Das ist bis heute so. Es gibt die Professen, die Vollmitglieder sind, und solche, die noch in der Ausbildung sind oder noch nicht geweiht. Das gilt bis heute.
Jesuiten sind stark im Bereich Wissenschaft und Bildung tätig. Sie unterhalten zahlreiche Universitäten weltweit. Wichtige Posten im Vatikan, wie der Leiter des päpstlichen Sternobservatoriums oder die Leitung der Gregorianischen Hochschule, sind von Jesuiten besetzt.
Wegen ihres großen Einflusses wurden sie im 18. Jahrhundert in vielen Ländern Europas verboten. Die Politik fürchtete, dass sie zu viel Einfluss gewinnen. Im 19. Jahrhundert wurden sie wieder zugelassen und erlebten eine Renaissance.
Heute sind die Jesuiten ein einflussreicher Orden, unter anderem aufgrund ihrer Größe und der vielen Intellektuellen, die an wichtigen Positionen stehen. Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Jesuiten, die als Professoren an Hochschulen arbeiten oder im Journalismus tätig sind. Sie sind nicht nur im Kloster, sondern auch im Alltag aktiv.
Diese Leute bilden den Kern der Organisation. Daneben gibt es Leute in Ausbildung, Weggehende und Mitarbeiter. Volljesuiten kümmern sich nicht um Haushaltsführung; dafür gibt es Laienbrüder, die nicht Vollmitglieder sind, aber bei den Jesuiten wohnen und kochen, putzen usw.
Jesuitenkonvente haben große Bibliotheken und Räume für Treffen und Diskussionen. Dort sind oft zehn bis zwanzig gut gebildete Leute versammelt, meist Professoren. Das ist anregend und ermöglicht die Koordination gemeinsamer Aktionen.
Die Jesuiten wollen nicht aus Prinzip gegen die Evangelischen kämpfen, sondern weil sie überzeugt sind, dass die katholische Kirche die wahre Kirche ist. Die Evangelischen sind aus ihrer Sicht Irrlehrer. Deshalb wollen sie die Kirche gegen Irrlehren reinigen – mit guter Motivation, aber dennoch Irrtum.
Die Jesuiten führten die intellektuelle Auseinandersetzung der Gegenreformation an. Im 16. und 17. Jahrhundert waren sie als Berater an Fürstenhöfen und als Erzieher sehr geschätzt. Sie boten kostenlose Erziehung an: „Wir erziehen deine Kinder.“
Das war klug gedacht, denn wenn der Fürst evangelisch war, aber sein Hof katholisch, konnte das Land wieder katholisch werden. So rekatholisierten sie einige Länder.
Außerhalb Europas waren die Jesuiten maßgeblich an Missionen beteiligt. Die Evangelischen betrieben im 16. und 17. Jahrhundert kaum Missionsarbeit; sie konzentrierten sich auf Überleben und Durchsetzung.
Die katholischen Jesuiten betrieben Weltmission. Sie missionierten früh in China, Japan und Südamerika. In Japan gab es im 17. Jahrhundert die größte Erweckung durch Jesuitenmissionare: Hunderttausende bekehrten sich.
Das endete, als ein japanischer Herrscher das Christentum als Bedrohung empfand und eine grausame Christenverfolgung startete. Tausende wurden getötet, zum Beispiel lebendig in Vulkan-Schlote geworfen. Das war ein harter Rückschlag.
Die Jesuiten boten den Missionierten Schutz und Ausbildung, oft vorbildlich im Vergleich zu anderen. Trotz Fehlern und katholischer Lehre gab es viele, die wirklich zum Glauben kamen.
Wir müssen bedenken, dass auch Luther, Calvin, Zwingli und Hus Katholiken waren, bevor sie reformierten. Wycliffe war ebenfalls Katholik und gläubig. Daher steckt in der Missionsarbeit auch Positives.
Neben der Mission betrieb man die Gegenreformation auch mit der Inquisition. Die Inquisition richtete sich zunächst gegen Hexen, Zauberer und dergleichen, dann auch gegen Evangelische.
In katholischen Gebieten wurden evangelische Anhänger als Irrlehrer verfolgt und hingerichtet, insbesondere viele Hugenotten. Es gab etwa zehn Hugenottenkriege bis Ludwig XIV., der dann alle Evangelischen entweder tötete, rekatholisierte oder vertrieb.
Tausende Hugenotten flohen nach Deutschland, viele erkennt man noch am Namen. In Bad Karlshafen gibt es ein Hugenottenmuseum, das diese Flucht dokumentiert. Auch in der Schweiz wurden Hugenotten aufgenommen, unter anderem von Calvin.
Das geschah über Jahrzehnte, manchmal mit Gewalt. Politische Exzesse gab es. Ein Beispiel ist die Bartholomäusnacht, die von Katharina de’ Medici initiiert wurde.
Sie wollte eine Einigung zwischen Protestanten und Katholiken durch eine Heirat ihrer katholischen Tochter mit einem protestantischen Adeligen erreichen. Nach der Hochzeitsfeier wurden alle führenden Hugenottenführer nach Paris eingeladen, um mitzufeiern.
In der Nacht ließ sie Truppen losschicken, die alle Hugenotten massakrierten. Das war die Bartholomäusnacht. Der König wurde verschont, aber er konnte wenig tun. Alle führenden Köpfe der Reformation waren tot.
Dass danach das Vertrauen gegenüber den Katholiken gering war, ist verständlich. Die Bartholomäusnacht forderte Tausende Tote. Von Paris aus versuchte man, in einem Zug auch alle anderen Köpfe der Reformation in Frankreich zu töten.
Das waren politische Verschwörungen und Gewaltakte, keine offiziellen Kriege, sondern fast terroristische Übergriffe.
Ein weiterer großer Konflikt war der Dreißigjährige Krieg. Hier habe ich ein Bild vom Friedensreiter von Münster aus dem Jahr 1648, dem Ende des Krieges.
Der Dreißigjährige Krieg dauerte tatsächlich 30 Jahre, eine Fortsetzung von Glaubenskriegen, zum Beispiel in den Niederlanden. Die Niederlande waren reformiert und gehörten zu Spanien. Der spanische König nahm die Unabhängigkeitsbestrebungen nicht hin.
Die Freiheitskriege in den Niederlanden dauerten von 1566 bis 1609. Auch der Freiheitskampf der Schotten fiel in diese Zeit.
In Deutschland war ein Großteil der Bevölkerung evangelisch. Man schätzt, dass 1570 etwa 70 % der Deutschen evangelisch waren. Auch in Frankreich waren etwa ein Drittel evangelisch vor der Gegenreformation.
Große Teile Österreichs, zum Beispiel Vorarlberg, die Steiermark und Salzburg, waren evangelisch und wurden unterdrückt oder vertrieben.
Der Dreißigjährige Krieg begann 1618 und dauerte bis 1648. Es gab Auf und Ab. Die böhmischen Stände erhoben sich, wollten unabhängig werden, weil sie zu Österreich gehörten. Österreich war katholisch und wollte sie rekatholisieren.
Es kam zum Krieg, die evangelische Seite verlor. Böhmen wurde rekatholisiert, ebenso Teile der Pfalz. Dann griff der dänische König Christian IV. ein, wurde aber von Wallenstein und Tilly geschlagen. Schiller schrieb ein Drama über Wallenstein.
Der Kaiser Ferdinand forderte große Gebiete von den besiegten Protestanten zurück und ließ Calvinisten verfolgen.
Um 1636 sah es so aus, als hätten die Protestanten endgültig verloren. Dann kam als Retter der schwedische König Gustav Adolf. Ihm ist ein Werk in der evangelischen Kirche gewidmet, das Gustav-Adolf-Werk, das sich um Evangelische in der Diaspora kümmert.
Er kam fast wie ein Befreier vom Himmel. Wer rechnete schon mit dem schwedischen König? Schweden war klein und militärisch wenig bedeutend. Aber Gustav Adolf war ein militärisches Genie.
Fast ganz Deutschland war von den Katholiken erobert. Innerhalb von zwei Jahren schlug er sie zurück, 1631 und 1632. Nach seinem Tod konnten die Katholiken wieder angreifen.
Dann unterstützte der französische König die Protestanten, obwohl er katholisch war. Er fürchtete, dass ein vereintes katholisches Deutschland, Spanien und Österreich zu mächtig wäre und Frankreich einklemmen könnte.
Er wollte die Uneinigkeit Deutschlands erhalten und unterstützte deshalb die Evangelischen aus politischen Gründen, nicht aus Glaubensgründen.
Das führte dazu, dass die Kräfte in Deutschland ausgeblutet wurden. Nach 30 Jahren Krieg kam man zur Ausgangslage zurück.
Die Friedensverhandlungen dauerten Wochen in Osnabrück und Münster. Dort kann man heute noch den Friedenssaal besichtigen. Die Vertreter der Kriegsparteien residierten monatelang in der Stadt. Sie schickten Boten, da sie nicht direkt miteinander sprachen.
Dann wurden Friedensreiter ausgesandt, die den Frieden verkündeten. Für die Menschen damals war das kaum vorstellbar, eine große Erleichterung.
Stellt euch vor, ihr lebt 30 Jahre lang nur im Krieg. Manche erinnern sich nur an Krieg. Der Krieg war überall, nicht nur an der Front. Deutschland war ein Schlachtfeld.
Landknechte kamen zu Bauernhöfen und fragten: „Bist du evangelisch oder katholisch?“ Sagtest du „evangelisch“, wurde abgebrannt und geplündert. Sagtest du „katholisch“, kam der evangelische Haufen und machte dasselbe.
Am Ende war Deutschland total verwüstet. Es gab massenhaft Tote und große Frustration. Viele wollten nichts mehr von evangelisch oder katholisch hören. „Was bringt mir der richtige Glaube? Die Evangelischen massakrieren die anderen genauso wie die Katholiken.“
Viele Landsknechte schafften nur noch Geld in die eigene Tasche. Am Ende kämpfte der katholische König sogar gegen die Katholiken.
Die Leute hatten nach dem Krieg die Nase voll. Der Dreißigjährige Krieg war in Deutschland eine der größten Katastrophen der Geschichte.
Man sieht das heute noch, wenn man in Städte wie Lemgo geht. Viele Häuser wurden danach neu gebaut, weil ganze Städte abgebrannt waren.
Familienforschung endet oft um 1630, weil Kirchenbücher verbrannt oder geplündert wurden.
Das war eine wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Katastrophe. Die Kirchen hatten danach einen schlechten Ruf.
In der breiten Bevölkerung war es egal, ob man katholisch oder evangelisch war. Hauptsache, man hatte zu essen und es ging einem gut.
Die Frömmigkeit war bei vielen erst einmal ausgelöscht.
Danach begannen verschiedene Gruppen mit geistlicher Erneuerung, zum Beispiel der Pietismus. Der begann um 1660 in Frankfurt, also etwa 20 Jahre nach Kriegsende.
Das war eine große geistliche Erneuerung, auf die wir hier nicht näher eingehen.
Der Dreißigjährige Krieg war eine große Katastrophe. Ein Mittel, mit dem man gegen die Evangelischen kämpfte, war eben der Krieg.
Noch ein paar Fragen? Oder ist damit alles gesagt?
Das war ein großer Durchgang durch die Reformationsgeschichte.
Man hat das damals natürlich nicht so gesagt. Heute ist es ähnlich: Wenn ein Krieg geführt wird, sagt man nicht: „Wir wollen politischen Einfluss“, sondern: „Wir wollen Demokratie bringen“, „Freiheit bringen“, „Gerechtigkeit bringen“ oder so.
Das war damals genauso. Politiker sagten nicht: „Wir wollen mehr Einfluss“, sondern: „Wir müssen gegen die bösen Ketzer kämpfen, die den Leuten das Heil wegnehmen.“
Katholisch und evangelisch wurde großer Wert beigemessen. Faktisch spielte das aber eine untergeordnete Rolle.
In den ersten Jahrzehnten des Krieges gehörten die einen zu den Evangelischen, die anderen zu den Katholiken. Im Laufe des Krieges wurde das immer weniger wichtig.
Die Mischung entstand auch, weil Landesherren über die Religion bestimmten. Die Regel war „cuius regio, eius religio“ – wessen Land, dessen Religion.
Die Landesherren waren gleichzeitig politische und religiöse Herrscher. Deshalb griff man auch mit kriegerischen Mitteln durch.
Ja, genau, der schwedische König schickte Truppen und kämpfte gegen katholische Fürsten in Deutschland.
Im Laufe der Jahre zersplitterten die Heere in kleinere Gruppen, was die Lage unberechenbar machte.
Ich glaube, generell sollte die Kirche besser darauf verzichten, politisch aktiv zu sein, weil sie sonst politische Fehler mitmacht, die sie erst später erkennt.
Wenn wir als Leiter einer Gemeinde auftreten und sagen, „Lohnnebenkosten sollen gesenkt werden“, ist die Frage: Womit kann ich das biblisch begründen?
Wenn sich das als falsch herausstellt, macht das die Gemeinde unglaubwürdig, weil die Leute alles in einen Topf werfen.
Deshalb würde ich sagen: Kirche und Gemeinde sollten sich nicht politisch einmischen.
Die andere Seite ist, dass Christen sich engagieren sollten, auch einzelne Mitglieder der Gemeinde.
Sie müssten aber deutlich machen: Wir sprechen nicht als Gemeindeleiter, sondern als Christen, die mitgestalten wollen, wie die Welt aussehen soll.
Da gibt es konkrete Forderungen, für die man sich einsetzen kann – aber nicht als Gemeinde, sondern als einzelne Christen.
Zum Beispiel, wenn diskutiert wird, ob die Ehe abgeschafft wird – das wird vielleicht irgendwann kommen –, dann ist unser Interesse klar: Die Ehe soll als schützenswert erhalten bleiben.
Oder wenn Freikirchen verboten werden sollen, weil sie angeblich die Gesellschaft stören – dann sollten wir uns für Religionsfreiheit einsetzen.
Auch bei Abtreibung oder gegen Ausländerfeindlichkeit sollten Christen sich engagieren.
Die Gemeinde sollte aber vom Staat getrennt sein.
Diese Probleme hatte die evangelische und katholische Kirche, die näher beim Staat waren. Sie waren oft mit den Fehlern des Staates verbunden, zum Beispiel im Zweiten Weltkrieg, wo manche deutsche Christen enge Verbindungen zum Nationalsozialismus hatten.
Da sollten wir sagen: Finger weg.
Aber Christen sollten nicht unpolitisch sein, besonders in einem Staat, der Verantwortung von uns fordert.
Wenn ich nichts tue, bin ich mitverantwortlich für die Folgen des Nichtstuns.
Das gilt in allen Lebensbereichen.
Wenn ich die Möglichkeit habe, politisch etwas zu tun, und es nicht tue, nehme ich meine Verantwortung nicht wahr.
Deshalb sollten wir das wahrnehmen, aber deutlich trennen von christlichem Engagement.
Das ist auch nicht unmöglich. Im Alltag trennen Menschen ihre Mitgliedschaften.
Zum Beispiel sind Leute in einer Partei, aber im Fußball unterstützen sie unterschiedliche Vereine. Das kann man auseinanderhalten.
So sollten wir das auch machen.
Wir sollten nicht sagen: Die freie evangelische Gemeinde sagt, du musst CDU wählen oder SPD oder Grüne.
Bei einzelnen Entscheidungen sollten wir ethisch begründen, als Christen oder Bürger.
Die Gemeinde kann Stellung nehmen, wenn es eine biblische Grundlage gibt, zum Beispiel bei Abtreibung.
Politik ist aber komplexer, manche Dinge sind Ermessensfragen.
Ein Christ kann sich engagieren, aber nicht als Gemeindeglied, sondern als Christ und Bürger.
Zum Beispiel: Ich finde es ungerecht, dass Arbeitslose wenig Geld bekommen. Wenn ich das ändern will, kann ich das als Christ tun.
Aber ich sollte das deutlich trennen: Das ist mein privates Engagement, nicht das der Gemeinde.
Das gilt bei klaren biblischen Themen.
Die Gemeinde kann Stellung beziehen, aber unabhängig von Parteien.
Die Gemeinde sagt: „In der Sache stehen wir so“, aber nicht: „Diese Partei oder jene Partei.“
Ein Christ kann sich in einer Partei engagieren, darf aber nicht vergessen, dass das nicht der Hauptauftrag ist – außer man macht es beruflich.
In Parteien gibt es Kompromisse und Machtkämpfe. Das ist nie reines Evangelium.
Die Gefahr besteht, dass man zu schnell versucht, Gemeinde und Politik zu vermischen.
Es ist gut, wenn Christen Politik machen. Das können wir uns nur wünschen.
Aber das ist nicht Gemeinde, und es gelten andere Prinzipien.
Ich kenne Christen, die sich engagiert haben und nach ein paar Jahren frustriert aufgegeben haben, weil es so viel Klüngel, Korruption und Intrigen gab.
In der Politik läuft vieles mit nicht ganz sauberen Methoden.
Als Christ muss man sich darüber im Klaren sein, wie weit man gehen will und was man nicht tun darf.
Das heißt auch, man muss die Grenzen der Karriere kennen.
Damals war das in der Kirche noch möglich. Hoffentlich heute nicht mehr.
Ich werde jetzt abschließen.
Ich wollte euch noch ein paar meiner Bücher anbieten. Ich glaube, ihr kennt sie fast alle.
Hier habe ich etwas über Gender-Mainstreaming, die Geschlechterpolitik in der EU und Deutschland. Ich schreibe darüber, was der Hintergrund ist, wie es entstanden ist, was es bedeutet.
Dann habe ich etwas über alternative Heilmethoden und chinesische Medizin.
Über die charismatische Bewegung gibt es Band eins und zwei. Das war Thema der letzten Abendbibliothek im letzten Frühjahr – Geschichte und Lehre der charismatischen Bewegung. Ein zweiter Band ist in Vorbereitung.
Ein weiteres Buch behandelt moderne Medizin und Ethik.
Ende letzten Jahres habe ich auch etwas über Atheismus veröffentlicht. Leider habe ich kein Exemplar mehr im Büro, aber ich kann es empfehlen, falls ihr mit Leuten zu tun habt, die diese Argumente benutzen, oder euch selbst informieren wollt.
Wer Interesse an diesen Büchern hat oder sie nicht kennt, kann gerne reinschauen.
Das neue Buch habe ich gerade dem Verlag geschickt. Es wird erst noch redigiert und braucht ein paar Wochen bis zum Druck. Ich hoffe, es ist fertig, wenn die Konferenz der Bibelschule stattfindet, aber sicher ist das nicht. Verlage planen langfristig.
Ich wollte schon vor eineinhalb Monaten fertig sein, aber es hat sich verzögert. So ist das beim Bücherschreiben manchmal.
Ich muss sagen, es gefällt mir bisher. Vielleicht ändert sich das noch.
Falls ihr mehr von Calvin lesen wollt, jetzt im 500-jährigen Jubiläumsjahr, empfehle ich mein Buch.
Etwa die Hälfte des Buchs behandelt sein Leben, die andere Hälfte seine Theologie.
Dabei geht es mir nicht darum, wie böse Calvin war, sondern um seine Schwerpunkte.
Die lagen nicht primär bei der Prädestinationslehre, sondern zum Beispiel bei der Lehre über die Bibel und die Kirche, also über die Gemeinde.
Das spielte eine viel wichtigere Rolle. Gerade in der Konfrontation wird man oft an Stellen festgemacht, die in Calvins Leben selbst keine große Rolle hatten, sondern erst bei späteren Calvinisten.
Das habe ich leider noch nicht im Buch.
Es gibt einiges Herausforderndes, das uns auch ermutigen kann.
Gut, ich werde jetzt beten und euch in den Abend entlassen.
Vater im Himmel, wir danken dir für das Jahrhundert der Reformation und für all die Menschen, die du gebraucht hast.
Wir danken, dass sie in Widerstand, Angst und Ungewissheit treu bei dir blieben und dass wir heute auf ihnen aufbauen können.
Wir bitten dich, dass du uns immer wieder ihr Zeugnis in Erinnerung rufst, besonders die, die sich positiv nach dir ausgerichtet haben.
Gib uns Mut, in unserer Zeit an der Gemeinde zu arbeiten, in der Welt zu leben und auf dich hinzuweisen, damit Gemeinde bei dir bleibt und nicht verfälscht oder traditionalisiert wird.
Wir bitten dich auch für diejenigen, die damals danebenlagen, oft mit guter Motivation.
Warn uns davor und zeig uns, wo wir in Gefahr stehen, Ähnliches zu tun.
Begleite uns im Alltag und zeig uns unsere Aufgaben, die du uns gibst. Amen.