Was Freude macht
Der Mann hat Karriere gemacht, liebe Gemeinde. Leider wissen wir über diesen farbigen Nubier nicht sehr viel. Aber wir können doch annehmen, dass er ein hochintelligenter Beamter auf der Finanzbehörde war. Dort stieg er unaufhaltsam aufs vom Regierungsrat zum Oberregierungsrat, dann zum Regierungsdirektor und Oberregierungsdirektor, ja bis zum Ministerialdirigent im nubischen Finanzministerium. Und als der Sessel des Finanzministers frei wurde, berief Königin Kandaka von Kusch eben diesen Aufsteiger in ihr Kabinett. Vom Boy zum Boss, mit diesem Titel hätte man heute diese Geschichte eines Senkrechtstarters in der Regenbogenpresse vermarktet. Doch, der Mann hat Karriere gemacht und das hat Spaß gemacht.
Dann ein weiteres. Der Mann hat Geld gemacht. Kubische Könige waren sagenhaft reich und brauchten deshalb verlässliche Lordsiegelbewahrer. Einer, der über tausende von Barren Gold zu wachen hatte, musste vor Bestechlichkeit geschützt werden. Deshalb wurde er sicher nicht mit A16 plus Ministerialzulage besoldet, sondern nach Auskunft von Kennern mit unbezahlbaren Edelsteinen. Die Tausendmarkscheine gehörten bei ihm zum Kleingeld und die Hunderter zum Trinkgeld. Im Gegensatz zum Wasser, das immer nach unten fließt, fließt das Geld leider immer nach oben. Finanzielle Sorgen kannte er nicht. Doch, der Mann hat Geld gemacht und das hat zufrieden gemacht. Und noch eines:
Der Mann hat Urlaub gemacht. Für ein paar Wochen verabschiedete er sich von ihrer Exzellenz, überließ die Akten seinem Stellvertreter, ließ seine Nobelkarosse vorfahren, verlud Koffer und Kisten und donnerte aus der Residenz hinaus, 1500 Kilometer ging es in Richtung Norden, über Berge und Täler hinweg, durch Steppen und Wüsten hindurch, an Palmen und Kakteen vorbei. Auch wenn Schotterstraßen den Bandscheiben arg zusetzten, weil Stoßdämpfer noch nicht erfunden waren, so dämpfte das die Reiselust nicht. Einmal im Jahr Tapetenwechsel, einmal im Jahr darf man alles hinter sich lassen, einmal im Jahr geht es aus grauer Städte Mauern hinaus in die schöne Welt. Doch, der Mann hat Urlaub gemacht und das hat Lust gemacht.
Aber, und das ist die Frage heute Morgen, hat das alles auch Freude gemacht? Verstehen Sie, Freude, wirklich Freude? Freude ist mehr als Spaß haben, denn wenn die Karriere aus ist, ist auch der Spaß aus. Freude ist mehr als zufrieden sein, denn wenn das Geld aus ist, ist auch die Zufriedenheit am Ende. Freude ist mehr als Lust verspüren, denn wenn der Urlaub aufhört, hört auch die Lust auf. Echte Freude ist unabhängig von Erfolgsleitern, Gehaltskonten und Urlaubstagen. Volle Freude hat die Marke indenthran, das heißt lichtecht, farbecht, kochecht. Wirkliche Freude kann man durch nichts auslöschen, weder durch Schmerz, noch durch Trauer, noch durch Tod. Freude auch im Leide. Genau die aber ist dem Herrn Schatzminister aus Nubien begegnet. Bei ihm ist sie zu entdecken. "Er zog seine Straße fröhlich."
Was also hat ihm Freude gemacht? Das ist die entscheidende Frage, die in diesem Reisebericht auf dreifache Weise beantwortet wird, nämlich Gottes Wort lesen, Gottes Wort lieben und Gottes Wort leben.
1. Gottes Wort lesen, ...
..., das hat Freude gemacht. Aber zuerst widerfuhr ihm noch tiefes Leid. Als er endlich am Ziel seiner Reise, dem Jerusalemer Tempel angekommen war, ließ man ihn die mosaische Bestimmung wissen: "Es soll kein Verschnittener in die Gemeinde Gottes kommen." Das klang damals so hart wie heute die Losung: Ausländer raus! Traurig, verlassen, enttäuscht mag er vor den Toren gestanden sein, als ihm einer den seelsorgerlichen Rat gegeben hat, doch ein Jesajarolle zu kaufen. Dieser Prophet enthält nämlich die in der ganzen Bibel einzige Stelle, wonach auch der Verschnittene noch Hoffnung haben kann. So ersteht also unser Afrikaner keinen billigen Kitsch am Tempelkiosk, wie es viele Heilige-Land-Fahrer mit nach Hause zu bringen pflegen, sondern eine wertvolle Buchrolle, die sich nur Menschen mit großem Geldbeutel leisten können. Dann bestieg er wieder seinen Karren und ratterte Richtung Heimat. Unterwegs entrollte er seine Neuanschaffung und begann bei Kapitel 5 laut zu lesen: "Er ist wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird." Der Mann stockte und fragte sich: Wer wird geschlachtet? Dann las er weiter: "Er ist wie ein Lamm, das zur Schur geschleppt wird." Der Mann hielt inne und fragte sich wieder: Wer wird geschoren? Dann las er noch einmal: "Er ist wie einer, der ungerecht verurteilt wird." Der Mann schaute auf und fragte sich zum dritten Mal: Wer wird verurteilt?
Beim Bibellesen entstehen Fragen. Verwechseln wir es nicht mit Asterixlesen, wo selbst Analphabeten keine Probleme haben. Wer noch nie Fragen über der Bibel hatte, hat sie noch nie richtig gelesen. Nur dürfen wir sie nicht begraben, sondern sie müssen besprochen werden. Und Gottes Regie wird dafür sorgen, dass im richtigen Augenblick der richtige Gesprächspartner zur Verfügung steht, wie damals, als plötzlich ein Anhalter an der öden Straße nach Gaza auftauchte. Der Engel des Herrn hatte diesen Philippus genau an dieser Stelle postiert und der Geist des Herrn hatte ihm klargemacht: Jetzt nichts wie ran und mit dem Leser Kontakt halten. Tatsächlich wird er heraufgewunken. Philippus stieg in die Kutsche und sofort steigt er auch in den Text ein: Schaf und Lamm, das sind Bilder für Jesus, meinen Herrn und Heiland.
Gott kommt nicht wie ein Elefant, der alles zertrampelt. Gott kommt nicht wie ein Löwe, der alles zerreißt. Gott kommt nicht wie ein großes Tier, vor dem man Reißaus nehmen müsste, obwohl wir uns mit unserem schuldbelasteten Leben am besten gar nicht blicken ließen, Gott kommt in Jesus wie ein Wollschaf, das Wärme gibt, Liebe schenkt, Vertrauen gewinnt und dann noch bereit ist, stellvertretend für uns in den Tod zu gehen. Kein unfasslicher Gott mehr, sondern ein Gott zum Anfassen, einfach unfasslich. Dieses Wort vom Schaf hat dem Minister aus der Welt der Wölfe Eindruck gemacht. Dieses Wort vom Lamm hat diesem Minister in der Welt der Löwen Mut gemacht. Dieses Wort der Bibel hat ihm einfach Freude gemacht.
Warum bleiben wir mit unseren Fragen und Problemen so allein? Warum laden wir uns nicht den Philippus auf das Zimmer, der sich in der Schrift auskennt und schon länger hineingehört hat, oder warum lassen wir uns nicht als Philippus auf das Zimmer laden? Warum drücken wir uns oft genug um die wichtigsten Fragen des Lebens herum, anstatt den nächsten Hauskreis oder die nächste Bibelstunde aufzusuchen? Jedem soll über der aufgeschlagenen Bibel im Zweier- oder Vierer- oder Zehnerkreis das auch aufgehen: Gott kommt in Jesus wie ein Wollschaf, damit wir uns nicht in die Wolle kriegen müssen, sondern in Frieden mit Gott und in Frieden untereinander leben können. "Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt." Gottes Wort lesen, das macht Freude. Und
2. Gottes Wort lieben, ...
... das hat Freude gemacht. Gemütlich schaukelt der Wagen durch ein wasserführendes Wadi, so nach dem Takt: "Hoch auf dem gelben Wagen, sitz ich beim Schwager vom, hurtig die Rosse, sie traben..." Aber plötzlich werden die Bremsen angezogen. Ein Ruck geht durch die Reise bzw. Lesegesellschaft. Die Räder stehen still. Der Spitzenpolitiker zeigt hinüber zu dem Flusslauf. Will er seinem Anhalter die Schönheit afrikanischer Landschaft zeigen? Oder will er auf einen seltenen Vogel im Schilf aufmerksam machen? Oder will er gar ein kühlendes Bädchen nehmen? Nichts von alledem. "Was hindert's, dass ich mich taufen lasse?", fragt er. Was hindert's, dass ich mich hineinbinden lasse? Was hindert's, dass ich mich hineinnehmen lasse? Dem Nubier war ja über der Bibel nicht nur das Auge geöffnet und das Interesse geweckt, sondern auch die Liebe entzündet worden. Und Liebe zielt immer aufs Ganze.
Das ist schon zwischen uns Menschen so. Wenn ein junger Mann ein Mädchen liebt, dann genügt es ihm doch nicht, errötend ihren Spuren zu folgen und über Kilometer hinweg sie anzuhimmeln: "Dein ist mein ganzes Herz und soll es ewig bleiben." Nein, der junge Mann will es dem Mädchen sagen. Er will ihr seine Liebe zeigen. Er will für immer mit ihr zusammen sein. Und das soll doch nicht nur zwischen uns Menschen, sondern auch zwischen uns und Gott so sein. Wenn einer seinen Herrn liebt, dann kann ihm doch kein frommer Gedanke genügen, den er am Heiligen Abend bei der Christmette verschwendet. Dann kann ihm doch kein süßer Blick genügen, mit dem er ab und zu nach oben himmelt. Dann kann ihm doch kein warmes Gefühl genügen, das ihm in der Brustgegend zu schaffen macht. Der Glaubende will es Gott sagen. Er will ihm seine Liebe zeigen. Er will für immer mit ihm zusammen sein. Liebe zielt immer auf das Ganze. Deshalb stieg unser Mann in den Fluss hinab. Mit dem kurzen Bekenntnis auf den Lippen: "Ich glaube, dass Jesus Christus Gottes Sohn und mein Herr ist", hat er ganze Sache gemacht. Und dieser Taufakt unter freiem Himmel hat Freude gemacht.
Beruhigen wir uns nicht mit unserer Taufe, die wir vor 17 oder 70 Jahren über uns ergehen ließen. Sie war ein Angebot Gottes. Sie war eine Chance Gottes. Sie war eine ausgestreckte Hand. Kindertaufe bleibt ein Schlag ins Wasser, wenn wir nicht an einem Kilometerstein unseres Lebens anhalten und in Gottes Hand einschlagen: "Bei dir Jesu will ich bleiben, stets in deinem Dienste stehen." Es ist eine Sache, von diesem Jesus zu hören, von diesem Jesus zu lesen, von diesem Jesus zu sprechen. Und es ist eine andere Sache, mit diesem Jesus zu reden, mit diesem Jesus zu leben, mit diesem Jesus zu sterben. Der namenlose Afrikaner hat diesen Unterschied gemerkt. Ob es uns auch noch aufgeht? Gottes Wort lieben, das macht Freude. Und
3. Gottes Wort leben, ...
..., das hat Freude gemacht. Als der Urlauber nach wochenlanger Abwesenheit seinen Fuß wieder auf die Straße der königlichen Residenz setzte, war es das alte Pflaster. Und als er nach tiefen Eindrücken wieder an seinen Schreibtisch kam, da stapelten sich die alten Aktenstücke. Und als er nach unvergesslichen Stunden sich bei Ihrer Exzellenz zurückmeldete, da war es die alte Heidin, die mit dem Christentum überhaupt nichts am Hut hatte. Gott hat ihn also nicht ins Schlaraffenland weggeschickt, sondern ins Mohrenland zurückgeschickt.
Keinem bleibt die alte Welt erspart, die alles andere als ein christliches Abendland oder ein christliches Morgenland ist. Wir hätten das gerne. Wir wünschten uns das. Wir rechnen damit. Aber Christsein geschieht auf dieser waidwunden, zerrissenen, umkämpften Erde. Ein blauer Himmel über uns, eine rosarote Landschaft um uns, ein sicherer Boden unter uns ist uns nicht verheißen. "In der Welt habt ihr Angst", sagt Jesus, und: "Ihr werdet hören von Krieg und Kriegsgeschrei."
Wenn dem farbigen Minister das alles aber keine Bange und Sorge gemacht, sondern Freude gemacht hat, dann deshalb, weil er jetzt mit Gottes Wort lebte. Und so stelle ich mir das noch einmal vor: Morgens, wenn er seinen Terminkalender überflog: "Meine Zeit steht in deinen Händen." Vormittags, wenn er wichtige Entscheidungen zu treffen hatte: "Nicht mein, sondern dein Wille geschehe." Nachmittags, wenn Katastrophenmeldungen auf den Tisch flatterten: "Seid getrost, ich habe die Welt überwunden." Abends, wenn er den Tag überdachte: "Herr, sei mir gnädig nach deiner Güte und tilge alle meine Sünde." Rund um die Uhr mit Gottes Wort leben, an der alten Schule, in der alten Fabrik, auf dem alten Bau, dann bleibt die gute Nachricht brandneu. Mit der Bibel weiß ich jeden Augenblick: Der, der mich auf die Füße gestellt, lässt mich nicht auf den Kopf fallen, denn was er zusagt, das hält er gewiss. Gottes Wort leben, das macht Freude. Doch, er zog seine Straße fröhlich.
Wie ziehen Sie? Was wartet auf Sie? Welche Strecke haben Sie zu bewältigen? Egal, was auch kommen mag, auf die Freude müssen Sie nicht verzichten.
Amen
[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]