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Emerging Church - Ähnliche Begriffe

27.10.2012

Liebe Geschwister,

es gibt einen humorvollen Bericht über eine angebliche Umfrage der UNO. Dabei soll man, so heißt es, ganz unterschiedlichen Ländern jeweils die gleiche Frage vorgelegt haben.

Die Frage lautete: „Teilen Sie uns bitte Ihre ehrliche Meinung zur Lösung der Nahrungsmittelknappheit im Rest der Welt mit.“ Man könnte meinen, das sei ein klar verständlicher Satz, eine eindeutige Frage.

Und wie waren die Reaktionen aus aller Welt? In Osteuropa wussten die Teilnehmer nicht, was „ehrlich“ heißt. In Westeuropa verstanden die Teilnehmer der Umfrage nicht, was „Knappheit“ bedeutet. In China wussten die Leute nicht, was eine „Meinung“ ist. Im Nahen Osten war unklar, was eine „Lösung“ sein soll. Und in den USA wussten die Teilnehmer nicht, wo der „Rest der Welt“ liegt.

Die Herausforderung der Verständigung durch Sprache

Diese nette kleine Geschichte ist ein gutes Beispiel für Vorurteile. Sie zeigt aber auch, wie schwierig es manchmal ist, sich durch Sprache eindeutig zu verständigen.

Miteinander zu reden und Worte auszutauschen heißt noch lange nicht, dass man sich auch wirklich verständigt hat oder sich versteht. Das wissen die Menschen seit Jahrtausenden. Die Kommunikationstheorie lehrt uns seit Jahrzehnten, dass vom Sender bis zum Empfänger viel verloren gehen kann. Die Ursache dafür liegt in der Regel darin, wie wir Menschen mit Sprache umgehen.

Wir drücken uns unklar aus, wir verschleiern, wir missverstehen, wir hören nicht genau hin und so weiter.

In unserer Epoche der Postmoderne ist dieses Misstrauen aber nochmals verschärft, ja radikalisiert worden. Die These lautet nun: Es liegt nicht an uns, die wir kommunizieren, wenn man sich nicht versteht. Sondern es liegt an der Sprache selbst. Die Sprache kann keine Verständigung leisten. Sie kann keine Eindeutigkeit gewähren. Es ist nicht möglich, Wahrheit begrifflich eindeutig auszudrücken.

Man redet dann von propositionaler Wahrheit, also von Wahrheit, die in Begriffen eindeutig festgelegt und kommuniziert werden kann. Und das sei nicht möglich.

Diese Skepsis gegenüber der Sprache gehört zu den zentralen Glaubensbekenntnissen der Postmoderne. Dahinter steckt natürlich die noch viel weitergehende Skepsis, dass es überhaupt keine objektive, verbindliche Wahrheit gibt.

Der biblische Glaube lebt jedoch davon, dass der lebendige Gott sich selbst und seine Wahrheit durch Sprache eindeutig offenbart hat. Propositionale Wahrheit ist Offenbarung.

Die biblische Grundlage der Wahrheit und Offenbarung

 2. Timotheus 3,16 lautet zum Beispiel: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben.“ So übersetzt man das am besten wörtlich. Sie ist darum nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Korrektur und zur Erziehung des Menschen im Dienst Gottes.

Oder wenn unser Herr sagt: „Die Schrift kann nicht gebrochen werden“ (Johannes 10,35). Oder wenn wir im Hebräerbrief lesen: „Nachdem Gott vor Zeiten auf mancherlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er zuletzt geredet durch seinen Sohn“ (Hebräer 1,1). Er hat klar geredet und dafür gesorgt, dass dies auch verbindlich in der Bibel uns offenbart und überliefert wird.

Deshalb konnten die Reformatoren von der claritas scripturae sprechen, von der Klarheit der Schrift. Sie wussten wohl um den Unterschied zwischen innerer und äußerer Klarheit. Die innere Klarheit, also was das für uns persönlich bedeutet, dass es uns im Herzen erreicht, kann nur der Heilige Geist schenken.

Die äußere Klarheit, dass die Aussage der Schrift selbst erst einmal eindeutig ist, können wir getrost voraussetzen. Diese ist gegeben mit der biblischen Offenbarung. Darum konnte Luther sagen: „Der Heilige Geist ist der allereindeutigste Schreiber.“

Natürlich ist unser Denken seit dem Sündenfall sehr anfällig für Irrtum, das wissen wir. Aber das liegt nicht an der Sprache selbst, sondern an unserem Herzen. Die Sprache ist durchaus fähig, Wahrheit auszudrücken. Das gilt erst recht für Gottes Wort. Es gibt Eindeutigkeit.

Gott hat sich in seinem Wort eindeutig erklärt und verbindlich inhaltlich festgelegt, damit wir ihn hören und verstehen können – trotz aller Irrtumsfähigkeit unseres, auch vom Sündenfall gekennzeichneten, begrenzten Verstandes.

Deswegen lohnt es sich, die Bibel zu lesen und Antworten von ihr zu erwarten – im Gegensatz zu dem, was McLaren behauptet hat, wie wir gerade von Bruder Walter gehört haben.

Die Postmoderne stellt nun dieses Bollwerk der biblischen Überzeugung in Frage. Dort, wo man im Namen des Christentums den Pakt mit der Postmoderne sucht, wie in der Emerging Church, wird man früher oder später in diesen Strudel natürlich mit hineingerissen.

Die Auswirkungen der Postmoderne auf die biblische Wahrheit

Es ist ganz zwangsläufig so, dass diejenigen, die sich der Postmoderne und ihrem Denken anpassen, nicht mehr von verbindlicher Wahrheit sprechen können. Für sie verliert die Sprache auch jegliche Eindeutigkeit. Deshalb ist eine gewisse Diffusität ein weiteres typisches Merkmal der Emerging Church. Das ist für sie natürlich auch bequem, denn wenn man sie auf eine bestimmte Aussage festnageln will, sagen sie oft: „Na ja, das hat der gesagt, das sehe ich nicht so.“

Man kann sich dann immer wieder wegducken und sagen: „Das ist nun nicht gerade meine Position, wir sind ja eine offene Bewegung.“ Das wird zum Teil auch taktisch genutzt. Hilfreich ist in solchen Fällen immer die Gegenfrage: „Grenzt du dich denn dann von dem ab, was der Kollege da möglicherweise gesagt hat?“

Die Emerging Church erweckt den Eindruck, man würde auf festgelegte Lehre verzichten. Das wäre für sich genommen schon schlimm genug. In Wirklichkeit ist ihr Zugang aber noch viel aggressiver, wie auch Bruder Walter deutlich gemacht hat. Man ersetzt die biblische Lehre durch eine Vielzahl anderer Lehren – und genau darin liegt das Problem.

Es gibt kein lehrmäßiges Vakuum. Zu behaupten, man könne auf Lehrsysteme verzichten, ist entweder Betrug oder Selbstbetrug. Es geht nicht darum, ob man Lehre hat, sondern welche.

Wenn John MacArthur zu Recht sagt, die Emerging Church Bewegung habe überhaupt keine Lehre, dann meint er das im Hinblick auf die biblische Lehre. Da stimmt das. Sie hat überhaupt keine biblische Lehre und kann zu keinem der biblischen Lehrpunkte etwas Verbindliches sagen – das ist richtig.

Aber sie knüpft stattdessen ein anderes, alternatives und gegen die Bibel gerichtetes Lehrsystem an. Emerging Church bedeutet also nicht Verzicht auf Lehre, sondern die Einführung einer neuen Lehre. Dies erfolgt in der Regel nicht mit offenem Visier, sondern auf schleichendem Wege.

Dabei bedient man sich ganz gezielt jener Sprache, von der gleichzeitig behauptet wird, sie könne keine eindeutigen Aussagen machen. Inwiefern man dabei nur die anderen austrickst oder auch sich selbst, vermag ich nicht immer zu sagen.

Wie geschieht das nun? Die neue Lehre wird auf dem Weg einer allmählichen Umdeutung zum Teil mit vertrauten Begriffen eingeführt. Langfristig geht es dabei um eine Veränderung unseres Denkens. Man will, dass wir anders „ticken“, um es auf Deutsch zu sagen.

Das hat auch mein Vorredner ja schon immer wieder deutlich werden lassen.

Beispiele für die Umdeutung zentraler Begriffe

Viele wohlmeinende Geschwister merken gar nicht, was hier passiert, weil ihnen viele der Begriffe ganz vertraut vorkommen, zum Beispiel Reich Gottes. Natürlich spricht der Herr Jesus vom Reich Gottes, aber was meint er damit?

Oder Inkarnation. Klar, zu Weihnachten sprechen wir von der Inkarnation: Gott kam ins Fleisch, er wurde Mensch. Das kennen wir doch.

Und missional – na ja, das klingt immerhin so ähnlich wie missionarisch. Und missionarisch wollen wir alle sein.

Versteht ihr? Im Folgenden möchte ich nun an einigen Beispielen zeigen, wie diese Umdeutung funktioniert. Dabei nehme ich noch einmal einiges auf von dem, was Bruder Walters uns schon dargelegt hat. Es ist im Grunde genommen eine Unterstützung und Verstärkung dessen, was wir hier gehört haben, ergänzt durch einige andere Beispiele.

Ich denke, es ist sinnvoll, diese komplexe Systematik der Emerging Church hier ruhig in zwei Vorträgen zu entfalten.

Einige Beispiele:

1. Veränderung des Verhältnisses zwischen Gemeinde und Welt

Erstens: Was wird verändert?

Die Emerging Church verändert grundlegend und radikal das Verhältnis zwischen Gemeinde und Welt. Die Welt wird nicht mehr als Gegenüber zur Gemeinde verstanden, wie es unser Herr lehrt, wenn er sagt: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich“ oder wenn er erklärt, dass Satan der Fürst dieser Welt sei. Zwar ist die Welt gestört, das stimmt, aber im Prinzip stellt sie einen positiven Raum dar. Ähnlich kann man das bei Tobias Falk nachlesen, etwa in dem Aufsatzband „Transformationen“, Band zwei. Die Welt ist gestört, aber im Prinzip ist sie der Ort, an dem jederzeit das Reich Gottes durch Taten sozialer Gerechtigkeit gebaut werden kann.

Wir hören: Gott ist am Werk, und wir als Christen sind eingeladen, daran mitzuwirken – auch gemeinsam mit Nichtchristen. Denn auch Nichtchristen können am Reich Gottes mitbauen. Deshalb sollen wir bei unseren sozialen Aktionen auch Nichtchristen ruhig beteiligen. Nicht in erster Linie, weil dies eine gute Möglichkeit wäre, sie zu evangelisieren, sondern weil sie durch soziale Aktionen ebenfalls das Reich Gottes mitaufbauen können.

Wir wissen jedoch, dass unser Herr sich anders geäußert hat. Er sagte: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Johannes 18,36).

Nun bekomme ich eine Anweisung von der Regie: Ich soll die Mikrofone weiter runterdrehen. Das mache ich doch glatt. Wir transformieren jetzt die Mikrofone – ist das so gut? Wenn jemand mich nicht versteht, soll er es ruhig sagen, denn Sprache muss verstanden werden.

Unser Herr sieht es anders. Jetzt fällt der Erste vom Stuhl. Er sagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Oder: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber Schaden an seiner Seele nimmt?“ Wir könnten auch sagen: „Wenn er die ganze Welt transformierte, aber Schaden an seiner Seele nimmt.“ Unser Herr hat uns weder den Auftrag gegeben noch verheißen, dass wir diese Welt schrittweise in sein Reich verwandeln – nirgendwo.

Noch ist der Fürst dieser Welt Satan (Johannes 12,31; 14,30; 16). Und dessen Gesandter, sagt die Bibel, wird auftreten mit dem Anspruch, die Welt global zu befrieden. Das ist die Botschaft des Antichristen und sein Auftrag. Erst Jesus wird bei seiner Wiederkunft sein sichtbares Reich hier auf dieser Erde bringen. Bis dahin ist dieses Reich in den Herzen seiner Nachfolger und in seiner Gemeinde.

Die Emerging Church verwischt diesen Unterschied zwischen Gemeinde und Welt immer mehr. Das wird dadurch verschleiert, dass man die Welt schon ansatzweise als das Königreich Gottes bezeichnet – auch dort, wo Menschen nicht an Jesus glauben.

Das geht so weit, wie wir bei Rob Bell lesen. Er sagt zum Beispiel: Für Jesus waren Himmel und Hölle Realitäten im Hier und Jetzt, also nicht im Jenseits. „Für Jesus lautete die Frage nicht“, sagt Rob Bell, „wie kommt man in den Himmel, sondern wie bringt man den Himmel hierher.“ Es geht um die Verbesserung dieser Welt hier und jetzt. Jesus’ Ziel ist nicht, in den Himmel zu kommen, sondern den Himmel hierher zu holen. Wie will man das deutlicher sagen?

Wenn das stimmte, wäre es natürlich wichtiger, diese Welt zu verbessern, als die Gemeinde unseres Herrn zu bauen. Dieser Grundgedanke begegnet uns an allen Ecken und Enden. Er wird unter anderem mit der Inkarnation begründet. Man sagt: Gott wurde Mensch, und deswegen soll sich die Gemeinde in die Welt hinein inkarnieren.

Dabei begeht man jedoch einen grundsätzlichen Denkfehler. Inkarnation bedeutet für Gott, dass er in die Welt hineinkommt, aber nicht in der Welt aufgeht. Gott kümmert sich um die Welt, aber er passt sich nicht dieser Welt an – das ist Inkarnation. Gott kommt als Gott in die Welt und bleibt Gott in der Welt.

Wenn wir von Inkarnation sprechen, heißt das: Wir gehen auf die Welt zu, bringen ihr das Evangelium, versuchen sie zu verstehen, zu ergründen und mit dem Wort Gottes zu bewerten. Aber wir lassen uns nicht von der Welt in einem gemeinsamen Prozess die Bewertungen diktieren.

Ich möchte das noch mit einem kleinen Zitat verdeutlichen, wie Inkarnation von Fabian Vogt definiert wird. Er ist einer der Vordenker dieser Bewegung. Er drückt es folgendermaßen aus: „Ich könnte die Emerging Church auch als Inkarnationstheologie bezeichnen, da sie nach der Menschwerdung der Kirche fragt, nach ihrem ‚der Welt gleich werden‘, um so das Reich Gottes mitten unter den Menschen bauen zu können.“

Also: Die Gemeinde muss der Welt gleich werden, um das Reich Gottes bauen zu können. Das ist theologischer Unfug hoch drei, entschuldigen Sie bitte. Aber so wird es hier behauptet. Letztlich wird eine Symbiose, ein Zusammenfließen von Gemeinde und Welt angestrebt. Die kategoriale, grundlegende Trennung zwischen Gemeinde und Welt wird aufgehoben.

In der Emerging Church ist das Reich Gottes nicht exklusiv, sondern inklusiv. Noch einmal Vogt: Er sagt, die Emerging Church werde ein integraler Bestandteil der Gesellschaft sein, also gewissermaßen ganz in die Gesellschaft hineingehen. Als Weggefährte der Gesellschaft wird sie Gottes Verheißung mitten im Alltag leben – nicht als Gegenüber, nicht als Boten des Himmels und der Ewigkeit, sondern als voll integrierter Teil dieser Welt.

Dann ist es auch ganz klar – das können wir hier nicht ausführlich behandeln, aber ich bitte Sie, darauf zu achten –, dass sich durch diese Umarmung der Welt das Verhältnis zu den Religionen fundamental ändert. An dieser Stelle wäre etwa mit Johannes Reimer sehr intensiv zu diskutieren und an der Art und Weise, wie er den Islam darstellt.

Fassen wir zusammen: Die Emerging Church verändert radikal das Verhältnis zwischen Gemeinde und Welt. Dabei ist es nicht mehr gefährlich, zur Welt zu gehören, weil der Weg aus der Welt ja nicht in die Hölle führt. Das vermindert zwangsläufig auch die Dringlichkeit unseres missionarischen Auftrags.

2. Veränderung des Verhältnisses zwischen Evangelisation und sozialer Verantwortung

Und das ist das Zweite, was ich feststellen will: Zweitens verändert die Emerging Church das Verhältnis zwischen Evangelisation und sozialer Verantwortung. Das zeigt sich, wie Bruder Walter bereits vorgeführt hat, in dem Begriff „missional“. Dann sagt man: „Ja, natürlich, wir wollen nicht nur verkündigen, sondern auch unsere soziale Aufgabe wahrnehmen.“

Mit diesem „sondern auch“ ist aber eigentlich „vor allem“ gemeint. Das wird an all diesen Formulierungen deutlich: nicht „sondern auch noch zusätzlich“, sondern „vor allem“. Johannes Reimer wird nicht müde zu sagen, dass die Krise der Evangelikalen, wie er sie sieht, in einem einseitigen und falschen Verständnis von Mission gründet, das sich einseitig auf Evangelisation konzentriert hat.

Die Emerging Church lehrt nun, dass Jesus Christus diese Welt in sein Reich umgestalten will – wir haben das gehört unter dem Stichwort Transformation. Es geht also nicht in erster Linie darum, dass die Gemeinde unseres Herrn gebaut wird, sondern darum, dass diese Welt immer mehr nach seinen Vorstellungen von Gerechtigkeit erneuert wird.

Dafür ist unter der Leitung von Tobias Feix eigens ein Studiengang am Marburger Bibelseminar eingerichtet worden, der den Titel Gesellschaftstransformation trägt. Die biblische Perspektive ist eine andere. Sie sagt: Ja, wir nehmen als Christen unsere soziale Verantwortung wahr. Das ist die zwangsläufige Folge der Bekehrung.

Wie viel haben Christen zur Verbesserung der sozialen Verhältnisse beigetragen? Wir haben gerade den Hinweis auf die Biografie von William Wilberforce bekommen. Aber es gibt eine ganz klare Hierarchie, ein klares Prioritätenkonzept: Vorrangig ist die Verkündigung des Evangeliums. Denn vorrangig besteht die Not des Menschen darin, dass er von Gott getrennt ist und darum auf ewig verloren, ein Kandidat der Hölle, wenn er nicht durch Christus gerettet wird.

Sie erinnern sich wahrscheinlich noch an das Grubenunglück in Chile, wo am 5. August 2010 plötzlich 33 Bergarbeiter in 700 Meter Tiefe vermisst wurden. Nun gab es viele Wünsche und Anliegen, die wichtig waren: warme Kleidung, Nahrung, frisches Trinkwasser – alles wichtig. Aber ein Anliegen überstrahlte alles andere: Rettung raus aus dieser Höhle. Darum wurde auch sofort mit den Suchbohrungen begonnen.

Rettung war vorrangig. Deshalb gab es am 23. August, 18 Tage später, den ersten Freudenschrei, als die Retter am Bohrgerät den Zettel fanden, auf dem stand, dass alle 33 noch leben. Dann konnten sich die Eingeschlossenen in einen Hohlraum flüchten, von wo aus sie einer nach dem anderen gerettet wurden.

Das ist ein gutes Beispiel. Es zeigt, dass diakonische soziale Aktion auf der einen Seite und Evangelisation auf der anderen nicht gleich wichtig sind. Soziale Hilfe hat Vorrang? Dann hätte man gesagt: „Na ja, wir müssen den Eingeschlossenen das Leben in der Grube etwas leichter machen.“

Die Logik der Emerging Church wäre gewesen: Wir transformieren die Grubenhöhle und schicken so viel Material, dass sie das zum Naherholungsgebiet umgestalten können. Das wäre die Logik gewesen. Aber die Bibel weist diese Irrlehre scharf zurück, dass soziale Hilfe genauso wichtig sei wie die Verkündigung des Evangeliums.

Wenn wir etwa den Titusbrief studieren, sehen wir, dass sogar die Wahrnehmung der sozialen Verantwortung letztlich im Dienst der Evangelisation steht, der Verkündigung des Evangeliums. Selbst gute Werke sind nach dem Titusbrief evangelistisch.

Die Emerging Church hat diese biblische Reihenfolge dekonstruiert und in ihr Gegenteil verkehrt. Deswegen wird hier eine Gegenlehre verbreitet. Leider müssen wir sagen, dass diese Gewichtsverlagerung schon lange vor der Emerging Church begonnen hatte.

Man kann das zurückführen auf die Lausanner Verpflichtung von 1974, an der John Stott und Billy Graham in herausragender Weise mitgewirkt haben. Viel Gutes ist in dieser Lausanner Verpflichtung gesagt worden. Aber unter Punkt 5 – und das war damals 1974 heftig umkämpft – zur sozialen Verantwortung der Christen heißt es schon:

„Wir bekräftigen, dass Evangelisation und soziale wie politische Betätigung gleichermassen zu unserer Pflicht als Christen gehören.“ Das entscheidende Wort, um das lange gekämpft wurde, ist hier „gleichermassen“. Damit wurde die absolute Vorrangigkeit der Evangelisation in diesem Programmpapier zur Evangelisation relativiert.

Schon 1974 wurde bekräftigt, dass Evangelisation und soziale wie politische Betätigung gleichermassen zu unserer Pflicht als Christen gehören. Dieses falsche Denken hat sich weiter ausgeweitet. Eine weitere Zuspitzung dieser Tendenz gab es 2010 beim inzwischen dritten Lausanner Kongress in Kapstadt. Dort wurde die starke Bedeutung der sozialen Veränderung noch kräftiger formuliert.

Man konnte meinen, dass bereits etliche Emerging Church-Strategen möglicherweise daran mitgewirkt und mitformuliert hatten. Also: Das ist das Zweite. Die Emerging Church verändert radikal das Verhältnis zwischen Evangelisation und sozialer Verantwortung der Christen.

3. Veränderung des Verhältnisses zwischen Bibel und Verkündigung

Dann gibt es ein drittes Emerging Church, das das Verhältnis zwischen Bibel und Verkündigung radikal verändert.

Früher galt – und ich hoffe, für uns gilt das noch heute –: Die Bibel ist die objektive Quelle der Wahrheit. Sie gibt uns den Inhalt unserer Verkündigung vor. Die Bibel sagt uns, wie wir zu lehren haben, und verpflichtet uns auf einen ganz bestimmten, definierten Inhalt der Evangelisation.

Die Emerging Church dagegen sagt: Ja, es gibt keinen objektiven Maßstab endgültiger Wahrheit. Es gibt nicht die große Meta-Erzählung, so wie man es nennt, also keine übergeordnete Konzeption, wie Geschichte zu verstehen und zu deuten ist. Es gibt keine übergeordnete Konzeption, wie der Mensch zu bewerten und einzuordnen ist. Es gibt nicht die große Gesamtschau, wie die Bibel sie uns in ihrer heilsgeschichtlichen Darlegung vermittelt.

Stattdessen müssen wir Erfahrungen austauschen, und da kann jeder gleichberechtigt mitreden. Wir müssen die Kultur sprechen lassen. Dabei ist auch wieder eine Teilwahrheit enthalten: Klar müssen wir unsere Kultur kennen, wir müssen die Menschen verstehen, ihre Sprache und ihre Denkformen verstehen.

Aber die Kultur hat kein Mitspracherecht bei der Definition der Wahrheit. Wir müssen die Kultur ganz klar analysieren, um zu sehen, in welchem Umfeld die Menschen leben, wie sie denken und von welchen Ideologien sie beeinflusst werden. Doch wir begegnen dieser Kultur dann mit der vorgegebenen Wahrheit, wie sie uns objektiv offenbart ist in der Heiligen Schrift in klarer Sprache.

Verstehen Sie, es sind immer Teilwahrheiten bei dem, was die Vertreter der Emerging Church sagen. Natürlich müssen wir kulturelle Exegese betreiben. Das haben die Wachsamkeitsmissionare und Evangelisten seit Jahrhunderten getan; das ist nichts Neues. Man kann also sagen: Was daran gut ist, ist nicht neu, und was daran neu ist, ist nicht gut.

Die Bibel hat eine ganz klare hierarchische Zuordnung. Sie gibt vor, was die inhaltliche Füllung des Evangeliums bedeutet. Wir studieren unsere Kultur, um zu verstehen, wie die Menschen denken, und um ihnen umso besser die biblische Wahrheit nahebringen zu können. Aber die biblische Wahrheit ändert sich nicht. Sie wird von der Kultur nicht um ein Jota verändert.

Hier drei Beispiele radikaler Denkveränderung.

Versteht, liebe Geschwister, wir sollen in unserem Denken verändert werden. Das geschieht schleichend. Es rinnt in kleinen Rinnsalen oft in die Gemeinden und Gemeinschaften hinein. Es zieht Kreise: Veränderung des Verhältnisses von Gemeinde und Welt, Veränderung des Verhältnisses von Evangelisation und sozialer Verantwortung, Veränderung des Verhältnisses zwischen Bibel und Verkündigung.

Tja, und dann geht es weiter. Infolge dieser Umwälzung werden weitere evangelikale Vertreter in diesen Transformationsprozess hineingezogen, mit dem unser Denken verändert werden soll. Diese werden nach außen hin gar nicht zur Emerging Church gerechnet und zählen sich selbst wahrscheinlich auch nicht dazu.

4. Infragestellung zentraler Begriffe und Identitäten

Darum nun mein viertes Beispiel:

Inzwischen wird der Begriff Missionar in Frage gestellt. Innerhalb der Deutschen Missionsgemeinschaft (DMG) wird sogar darüber diskutiert, ob man den Begriff noch beibehalten soll, wie deren Direktor sagt. Es geht also an die Sprache, es geht an die Begriffe. Man sagt zwar, es sind doch nur Begriffe, aber es geht um Mehrheitsbegriffe. Wer besetzt diese Begriffe? Wer definiert sie?

Faktum hat am 9. September 2011 – eine Form von 9/11 – ein Interview mit Detlef Blöcher, dem Direktor der Deutschen Missionsgemeinschaft, geführt. Dort sagt Faktum: „Doktor Blöcher, Mission scheint anrüchig geworden. Die Verantwortlichen von Missionswerken diskutieren laut über das Wort Missionar. Das aus Ihrem Vokabular zu streichen und durch Begriffe wie interkulturelle Mitarbeiter oder Ähnliches zu ersetzen. Gibt es auch innerhalb der DMG eine interne Namensdiskussion?“

Blöcher antwortet: „Das können Sie alles nachlesen. Ich wundere mich, dass das so wenig Diskussion ausgelöst hat. Es sollten noch mehr Leute Faktum lesen.“ Er sagt weiter, auch sie diskutieren diese Frage. Es gilt stets abzuwägen, ob ein Begriff, der in der Alltagssprache eine andere Bedeutung bekommen hat, verteidigt werden kann, indem man dessen eigentliche Bedeutung neu vermittelt, oder ob er durch einen besseren Begriff ersetzt werden muss.

Wer sagt denn, dass Missionar in der Alltagssprache eine andere Bedeutung bekommen hat?

Nächstes Beispiel: Zunehmende Infragestellung des Begriffs Evangelikal.

Selbst die Evangelikalen nennen sich immer seltener Evangelikal. Michael Diener, der Doppelvorsitzende sowohl des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes als auch der Deutschen Evangelischen Allianz – ein alter Studienkumpel aus Krelinger Zeiten – wird nicht müde zu sagen: „Wir wollen so evangelikal wie nötig, aber so evangelisch wie möglich sein.“

Martin Lloyd-Jones und andere hatten gesagt: Wer wirklich evangelisch ist, der muss auch evangelikal sein. Das setzt Diener nicht mehr voraus. Evangelikal meint eigentlich im besten Sinne evangelisch, weil es dem Evangelium und der Verbindlichkeit des Wortes Gottes verpflichtet ist.

Dahinter klingt an: Wir wollen einerseits unser Profil bewahren – evangelikal so weit wie nötig –, aber andererseits so evangelisch wie möglich sein. Wir wollen so weit kooperieren wie möglich, auch mit jenen, die nicht evangelikal sind.

In das gleiche Schofarhorn hat nun auch der zweite Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz hineingeblasen. Präses Eckhart Vetter hat das Fastwort gleich gesagt: Die Allianz sei mit dem Stichwort „evangelisch“ vollkommen ausreichend definiert.

Der erste Vorsitzende sagt es immer wieder, jetzt sagt es auch der zweite Vorsitzende. Die Deutsche Evangelische Allianz steuert offensichtlich darauf zu, in Zukunft nicht mehr nur mit dem Begriff evangelikal verbunden und konnotiert zu werden.

Hier wird an den Begriffen gedreht, hier wird an der Schraube der Begriffe gedreht. Es geschieht eine schleichende Umdeutung.

5. Umdeutung von Bibelkritik und Aufklärung

Nächstes Beispiel:

Die Bedeutung der Bibelkritik, der historisch-kritischen Methode und der Aufklärungsphilosophie wird umgedeutet. Ich nenne jetzt keine Namen, aber es geschah in diesem Jahr, im September, bei der Jahrestagung eines großen Gemeinschaftsverbandes, der früher als Flaggschiff bibeltreuer Theologie galt. Dort fand ein öffentlicher Vortrag statt, deshalb darf man daraus zitieren. Meine Tochter hat mir die entscheidende Passage von der CD noch einmal abgeschrieben.

Ich nenne auch nicht den Namen des Referenten, weil er, denke ich, für viele hier steht. Er sagte bei dieser Jahrestagung im September: Glauben wir Männer auf der Kanzel wirklich noch, dass wir nachhaltig prägen mit unserer Verkündigung? Johannes Klingel, nach dem, was Bruder Walter gesagt hat, Verkündigung, Lehre – was bewirkt das? Entschuldigung, wenn ich nicht die Hoffnung hätte, dass Gott sich zu seinem Wort bekennt und dadurch Menschenherzen verändert, also prägt, dann will ich von heute auf morgen aufhören zu predigen.

Dann geht es an die Umdeutung der Aufklärung. Ich lese meinen Ausschnitt aus dieser Rede vor: Vor der Epoche der Aufklärung war die Bibel unumstritten das Buch göttlicher Offenbarung – das war zum Beispiel die Periode der Reformation. Und jetzt sagt der Referent: Im Zuge der Aufklärung wurde die Bibel in den wissenschaftlichen Wettbewerb gezogen. Das war für die Kirche ein Schrecken. Sie hat versucht, das Buch zu schützen, aber es war gut, es war an der Zeit und es war nötig.

Aber das Entscheidende an der Aufklärung ist nicht, dass die Bibel in den wissenschaftlichen Wettbewerb gezogen wurde, sondern dass die Bibel atheistischen Maßstäben unterworfen wurde. Das war das Entscheidende an der Aufklärungstheologie. Und das war weder gut noch nötig.

Dann fährt er fort: Wir haben keinen Grund, heute diese Zeitepoche zu beklagen. Oh doch, lesen Sie mal Francis Schaeffer, was die Aufklärung getan hat, um das Verständnis von Wahrheit zu zerstören. Ohne die Aufklärung hätte es auch keine Postmoderne gegeben. Jetzt können Sie in meinem Buch Evangelisation der Postmoderne ein bisschen nachstudieren.

Dieser Bruder aber sagt: Wir haben keinen Grund, diese Zeitepoche zu beklagen. Und dann kommt wieder so ein trickreicher Satz mit der Vermischung von Wahrheit und Lüge. Er sagt: Die Bibel ist nicht ein heiliges und antastbares Buch, vom Himmel gefallen wie das Buch Mormon, sondern es ist ein Buch, das den Zugriff der Wissenschaft nicht scheuen muss.

Das ist ein Durcheinander. Die Bibel ist ein heiliges Buch. Wir als Malachi-Kreis sagen: Die Bibel ist ein heiliges Buch. Wir sagen als Malachi-Kreis: Die Bibel ist ein unantastbares Buch in ihrer Wahrheit, weil es das Wort des heiligen Gottes ist. Wir sagen damit nicht, dass die Bibel vom Himmel gefallen wäre, wie der Koran. Wir vergleichen die Bibel nicht mit dem Buch Mormon. Und wir sagen auch nicht, dass die Bibel den Zugriff der Wissenschaft scheuen muss, weil sie sich ihm überlegen erweisen wird.

Aber dieser Referent packt Richtiges und Falsches, Wahrheit und Lüge aufs Engste in einen Satz. Und am Ende sagt er – nicht am Ende, sondern im nächsten Satz –: Gott hat sich Menschen gegenüber offenbart, die das Empfangene dann dokumentiert haben. Nein, Gott hat sich nicht nur Menschen gegenüber offenbart, die dann alleine weitergeschrieben haben. Das ist das alte bibelkritische Konzept der Personalinspiration, sondern Gott hat sein Wort offenbart. Gott hat das Ergebnis, das dann Schrift wurde, offenbart. Davon gilt die Inspiration.

Hier wird also unter der Hand die Verbalinspiration ersetzt durch die Personalinspiration. Und schauen Sie mal: Das hätte auch einer unserer historisch-kritischen Professoren sagen können, in Göttingen oder in Tübingen. Die einzelnen Dokumente sind durch eine komplizierte Geschichte zusammengekommen, von inspirierten und begabten Köpfen tradiert und dann zu einem Kompendium göttlicher Offenbarung zusammengefügt worden. Das ist alles halb richtig und halb falsch. Wer die Geschichte der historisch-kritischen Theologie dahinter kennt, der muss sich deutlicher ausdrücken.

Dann kommt der Höhepunkt, würde ich sagen: Die historisch-kritische Methode, sagt der Redner, war eine Idee zur wissenschaftlichen Beweisführung für die Zuverlässigkeit der Heiligen Schrift. Entschuldigung, aber ich glaube, das muss man nicht kommentieren. Die historisch-kritische Methode war ein ideologischer Angriff auf den göttlichen Anspruch der Heiligen Schrift.

Dann wird zugegeben: Na ja, es gab so ein paar Dinge, die über das Ziel hinausgeschossen sind, klar, aber eigentlich ist die historisch-kritische Methode kein Problem – das ist die Message. Und deswegen sollte man doch ganz geduldig miteinander reden.

Dann wird das alles gleichwertig nebeneinander gestellt. Es heißt: Wenn wir Spannungen nicht lösen können und sich das konservative und das postmoderne Lager unversöhnlich gegenüberstehen, dann sollen wir einfach noch keine Stellungnahme abgeben und sagen, wir diskutieren noch.

Merken Sie: Äquidistanz. Das postmoderne Lager, das konservative Lager – alle haben in gleicher Weise Anteil am Wahrheitsanspruch. Und wenn das nun schon mal so ist, kann der Redner dann fortsetzen und sagen: Ich träume, dass Bruder Josef Ratzinger und ein Jesusfreak zusammen mal die Bibel lesen.

Ist Josef Ratzinger ein Bruder? Wenn Paulus das ernst gemeint hat, was in Galater 1 steht, dann kann jemand, der wirklich das glaubt, was die römisch-katholische Kirche lehrt, der von Herzen glaubt, dass nämlich Christus allein nicht genügt, dass der Glaube allein nicht genügt – es steht immer noch die Verdammung des Trienter Konzils im Raum. Und der Papst steht dafür, dass wer lehrt, dass wir allein durch das Vertrauen auf Christi Opfer gerechtfertigt werden, verdammt sei. Kann jemand, der dahinter steht, ein Bruder sein?

Verstehen Sie, hier wird mit Wahrheit gespielt wie mit Dominosteinen. Mal die Volksbibel, mal die Lutherbibel, als ob das gleichwertig sei. Und dann geht es noch weiter, den Satz darf ich uns nicht ersparen: Oder Margot Käßmann trifft sich zum Bibelgespräch mit Alexander Seibel, sagt er dann. Also, ich meine, ich würde Margot Käßmann mal gönnen, ein Bibelgespräch mit Alexander Seibel zu führen, weil sie dabei sicherlich viel lernen würde.

Aber verstehen Sie, was hier suggeriert wird? Hier wird suggeriert, na ja, Sie haben alle irgendwie Anteil an der einen großen Wahrheit, und Sie müssen miteinander reden. Dabei wird verkannt, dass genauso wie Alexander Seibel ein Kämpfer für die unverbrüchliche, irrtumslose Wahrheit der Heiligen Schrift ist, Margot Käßmann sich seit Jahren, seit Jahrzehnten dadurch hervorgetan hat, unter anderem, dass sie massive Irrlehren in das Volk hineingetragen hat.

Und hier wird getan, als sei das alles irgendwie gleichwertig und man müsse ja nur miteinander reden.

Verstehen Sie, der Bruder Josef Ratzinger? Was hier geschieht auf der Jahrestagung eines der Gemeinschaftsverbände, die früher einmal als eines der Flaggschiffe der Evangelisation und der Bibeltreue gegolten haben? Ich weiß nicht, ob dieser Jahresverband damit glücklich war mit diesem Vortrag, aber ich will damit nur zeigen, was hier geschieht, liebe Geschwister.

Das sind nicht nur ein paar emergente Radikalinskis aus Amerika, sondern dieses Denken, diese Veränderung, diese Manipulation unseres Denkens greift immer tiefer in unsere eigenen Kreise hinein.

Ich möchte das an dem letzten Beispiel deutlich machen: Wir haben jetzt also gesehen, es wird radikal verändert das Verhältnis zwischen Gemeinde und Welt, radikal verändert das Verhältnis zwischen Evangelisation und sozialer Verantwortung, radikal verändert das Verhältnis zwischen der Heiligen Schrift und unserer Verkündigung.

Es wird herumgedoktert und herumdiskutiert am Begriff des Missionars. Das offensive Bekenntnis zu dem, was wir mal als evangelikal definiert haben, wird immer dezenter in den Hintergrund gerückt.

Wir erleben eine Neudeutung der Aufklärung als eine Bewegung, die eigentlich die Zuverlässigkeit der Heiligen Schrift verteidigen wollte oder zumindest die Bibelkritik innerhalb der Aufklärung sei ein verdienstvolles geistliches Unternehmen gewesen.

Dabei wird unter der Hand die Bedeutung dessen, was das Wort Gottes sein will, verändert.

Ein weiteres Beispiel, ein weiteres Feld, auf das diese Veränderung greift, ist die Neubewertung der Sexualethik. Wir sollen ganz anders mit diesen Fragen umgehen.

Ist Ihnen das damals aufgefallen, als es die Diskussion gab über das Problem, dass wir einen Bundespräsidenten haben, der in wilder Ehe in seinem Präsidentenpalast lebt? Da hat mancher Christ sich zu Wort gemeldet, und dann hat der Gnadauer Präses wohl gemeint, in einer großzügigen Geste den Bundespräsidenten – also so von Präses zu Präsident – verteidigen zu müssen. Er hat in einem IDEA-Beitrag kritisiert:

Zitat: „Es sei einseitig, dass diejenigen, die die persönlichen Verhältnisse von Politikern anprangern oder gegen liberale Gesetzgebungen im Bereich der Homosexualität protestieren, bisher kaum dadurch aufgefallen wären, dass sie sich auch für die Bewahrung der Schöpfung oder gegen unmenschliche Bedingungen bei der Herstellung ihrer Textilien eingesetzt hätten.“

Das ist schon eigentümlich.

Und ich frage mich: Warum sollten wir als Evangelikale die 397. Stellungnahme zur Bewahrung der Schöpfung oder zur gerechteren Herstellung von Textilien veröffentlichen? Das machen schon Greenpeace, Brot für die Welt, Kirchentag und Frau Käßmann. Bruder Ratzinger vielleicht nicht.

Jetzt Zitat Bruder Ratzinger: „Es ist doch nur eine kleine Minderheit, die sich in unserer Gesellschaft für das biblische Verständnis von Ehe, Familie, Erziehung und Sexualität einsetzt.“

Und dann kommt der alleroberste evangelikale Repräsentant und sagt: Leute, ihr habt euch immer mit der Sexualethik beschäftigt, kümmert euch mal mehr um die Textilien. Das kann ja auch was mit Sexualethik zu tun haben.

Aber ich habe mich gefragt: Wo wird unsere Stimme wohl nötiger gebraucht? Wozu ist mehr Mut, wozu ist mehr Anpassungsverweigerung erforderlich?

Spurgeon hat zu Recht gesagt: Wir müssen Gottes Wahrheit dort verteidigen, wo sie gerade am meisten angegriffen wird.

So will man uns verunsichern: Leute, seid nicht zu eng!

Dann kommen solche Hämmer wie diese Information, dass Brian McLaren jetzt im September mitgewirkt hat an der Zeremonie zur homosexuellen Verheiratung seines eigenen Sohnes. Das ist in der New York Times fast jubilierend beschrieben worden, was da stattgefunden hat in Maryland.

Letzte Woche hatte ich das Vorrecht, in Österreich evangelisieren zu dürfen mit wunderbaren Geschwistern, die sich mit großer Leidenschaft dort in diesem katholischen Land für die Ausbreitung des Evangeliums einsetzen.

Da kamen wir auch auf diese Sache mit Brian McLaren zu sprechen, und einer der führenden Brüder sagte dort: Na ja, aber damit haben die sich doch nun endgültig entlarvt. Also das wird doch wohl jedem klarmachen, wie problematisch die Emerging Church Bewegung ist.

Ich wollte den lieben Bruder nicht betrüben, aber ich habe gedacht: Na, freu dich mal nicht zu früh. Wer vom Emerging Church Gedankengut erst mal erfasst ist, der wird früher oder später auch die groben Irrlehren nicht mehr als solche erfassen.

Und ich weiß, ich sage das wieder ohne Namensnennung: Einem der führenden deutschen Evangelikalen wurde diese Meldung über Brian McLaren vorgelegt mit dem Hinweis: Wenn Interesse, hier diese Meldung.

Er hat darauf reagiert: Kein Interesse. Er habe daran kein Interesse. Und er fügte einen Artikel bei, dieser Mail, in dem er ein sehr differenziertes, wie er meint, Verhältnis zur Homosexualität formuliert.

Da haben Sie wieder dieses „Ja, aber, ja, natürlich, man will die biblische Position nicht aufgeben“, wird dort gesagt.

Aber dieser evangelikale Funktionär sagt: Ich bin ausgetreten aus dem Chor der Empörten, die sich darüber aufgerichtet haben, dass in der sächsischen Landeskirche Homosexuelle empfangsbereit leben. Wer sich darüber aufregt und empört, das ist nicht mein Ding. Ich bin aus dem Chor dieser Empörten ausgetreten.

Dann berichtet er von einem Homosexuellen in diesem Artikel und sagt, auf den trifft nicht zu, was Paulus in Römer 1,26 sagt. Er ist auch kein Knabenschänder gemäß 1. Korinther 6,9.

Tja, und wenn man dann die Bilanz zieht, das sagt er nicht, bleibt keine neutestamentliche Stelle mehr übrig nach seiner Auffassung, die man gegen praktizierte Homosexualität anwenden kann.

Liebe Geschwister, hier vollziehen sich dramatische Veränderungen mitten hinein in die Kreise, in denen wir uns selbst noch teilweise aufhalten und bewegen und denen wir vertrauen oder vertraut haben.

Das zeigt nicht den schlechten Willen dieser Geschwister. Ich bin überzeugt, dass sie alle guten Willen haben.

Aber es zeigt die geradezu dämonische Wirrkraft dieses Gedankengutes, das sukzessive in kleinen Schritten, im Spiel mit Begriffen, Schrittchen für Schrittchen, Scheibchen für Scheibchen unser Denken verändert, verwirrt, uns Begriffe klaut, andere Begriffe umdeutet und uns von der Bibel und der göttlichen Wahrheit wegführt, ohne dass wir es merken.

Deswegen brauchen wir wirklich den Schutz unseres Herrn, dass er uns durch diese Herausforderung, der die Gemeinde Jesu immer ausgesetzt war – aber die sicherlich auch besonders subtil ist – hindurchführt.

Er soll uns helfen, die Zusammenhänge zu durchschauen. Deshalb bin ich Bruder Walter so dankbar für die Sachinformationen, die er über seinen Blog Monat für Monat zur Verfügung stellt.

Wir brauchen aber noch etwas. Wir brauchen – ach, das ist eine wahre brüderliche Dienstleistung, ganz herzlichen Dank, das ist auch eine gute soziale Tat – wir brauchen Gottes Weisheit, dass er uns mit seinem Heiligen Geist lehrt, die Geister zu unterscheiden und zu bewerten, alle Entwicklungen auf der Basis des Wortes Gottes.

Wir brauchen dringender den Helm, was Paulus in 2. Korinther 10,5 sagt, dass wir gefangen nehmen alles Denken unter dem Gehorsam gegenüber Jesus Christus.

Das heißt nicht, dass wir das Denken zurückstellen, das heißt nicht, dass wir das Denken vernachlässigen oder gar ausschalten, sondern dass wir lernen, sauber zu denken, klar zu denken, im Gehorsam gegenüber Christus zu denken.

So bekommen wir Durchblick.

Und das ist keine Geschichte, die nur im Oberstübchen stattfindet, und das hat nichts nur mit Intellektualität oder Ausbildung zu tun. Das ist ein geistlicher Prozess, ein geistlicher Kampf, der hier zu kämpfen ist.

Der Herr will uns Durchblick schenken, und deswegen brauchen wir Gebet und das Mühen um ein tieferes Verständnis seines Wortes.

Wir sollen diese Konzepte im Licht der Heiligen Schrift lernen zu verstehen und zu bewerten.

Und wir sollen das bitteschön nicht tun mit dem Bewusstsein: Na ja, uns kann ja nichts passieren, wir sind die großen Durchblicker und haben die Weisheit mit Löffeln gefressen und hätten es nicht nötig, bewahrt zu werden.

Liebe Geschwister, eines der häufigsten Gebete, das ich bete, ist, dass der Herr mir diakritische Vollmacht, diakritischen Durchblick schenken möge, dass er mich davor bewahre, Veränderungen und Zusammenhänge zu verkennen, falsch einzuschätzen und in meinem Leben daraus falsche Entscheidungen zu treffen.

Lasst uns alle so beten!

Dann dürfen wir darauf vertrauen, dass der Herr uns durchbringt.

Wir wollen auch für die Geschwister beten, über deren Weg wir uns große Sorgen machen.

Wir wollen für sie beten und, wo es die Möglichkeit gibt, mit ihnen sprechen.

Manche sagen dann: Nee, das lohnt sich nicht, die sind ja so festgelegt in ihrem System, Systemdiskussionen lohnen sich nicht.

Nach Emerging Church Lehre lohnen sie sich nicht. Klar, wenn man nicht an die Wahrheit glaubt, lohnt es sich nicht, über Wahrheit zu diskutieren.

Aber wir wollen beten, wir wollen ringen, und wir wollen wirklich die, die uns anvertraut sind, gründlich unterweisen – in den Familien, in den Gemeinden, in den Schulen.

Wir wollen die Schriften von Bruder Walter lesen, wir wollen uns informieren.

Und wir wollen das bitteschön nicht tun mit zusammengebissenen Zähnen, nicht mit der geballten Faust in der Tasche, sondern mit gefalteten Händen.

Wir wollen sagen: Herr, wir brauchen es, dass du uns selbst behütest, dass du uns selbst festhältst.

Und wo wir uns in irgendwelche Irrtümer verstricken, da lass es uns bitte rechtzeitig merken und schick uns Brüder, die uns das sagen und die uns da wieder raushilfen.

Aber wir wollen auch die uns Anvertrauten klar und eindeutig führen im Wissen darum, dass wir selber darauf angewiesen sind, dass unser Herr uns führt und festhält.

Ermutigung und Zuspruch für die Gemeinde

Darum schließe ich mit einem Zuspruch, den unser Herr uns gegeben hat, in Lukas 12,32. Dort sagt er zu seinen Jüngern und zu uns: "Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es hat eurem Vater gefallen, euch das Reich zu geben."

Das ist doch interessant. Das Reich wird nicht von uns aufgerichtet. Es wird auch nicht durch unseren Einsatz für soziale Gerechtigkeit herbeigeführt – so sehr Christen sich auch in ihrem Umfeld für soziale Gerechtigkeit einsetzen. Das ist ganz zwangsläufig.

Das Reich wird uns gegeben von unserem Vater. Er ist der, der über uns wacht, und deswegen brauchen wir uns nicht zu sorgen. "Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es hat eurem Vater gefallen, euch das Reich zu geben."

Wenn du zu Jesus gehörst, gehörst du schon jetzt in sein Reich hinein. Du gehörst schon jetzt als Glied seiner Gemeinde zu diesem Herrn. Im Gegensatz zur Welt wirst du diese Welt um Christi willen lieben. Du wirst dich für Menschen einsetzen, damit sie den Weg aus der Welt heraus in die Gemeinde Jesu finden.

Du darfst in der Gewissheit leben, dass unser Herr wiederkommt. Dann wird er mit Macht endgültig sein Reich aufrichten, und niemand wird ihm widerstehen können.

Wir wollen noch beten: Lieber Jesus Christus, wir sind so angewiesen darauf, dass du uns in diesen Zeiten wirklich festhältst, so wie deine Gemeinde zu allen Zeiten darauf angewiesen war.

Wir bitten dich, dass du uns Durchblick schenkst – nicht damit wir Recht haben oder uns überlegen fühlen können, sondern weil es um dich geht, um deine Wahrheit. Herr, bewahre uns vor Irrtum. Wenn wir uns verstricken, dann hole uns bitte wieder zurück und lass uns das erkennen.

Herr, wir bitten dich für die Geschwister, bei denen wir mit Schmerzen erkennen müssen, dass sie sich selbst auf gefährliche Wege begeben haben. Sie locken auch ohne es zu wollen viele andere in diese verkehrten Wege und Schluchten hinein.

Herr, wir bitten dich, dass du ihnen wehrst. Wir bitten dich, dass du uns Weisheit gibst, ihnen in Liebe und Wahrheit zu begegnen. Herr, halte uns fest, unsere Familien und unsere Gemeinden. Erbarme dich.

Hab Dank für diese wunderbare Zusage, dass wir uns nicht zu fürchten brauchen, weil du treu bist. Herr, dir sei alle Ehre. Amen.