
Herzlich willkommen zum Podcast der EFH Stuttgart. Unser Podcast möchte zum praktischen Christsein herausfordern und zugleich zum theologischen Denken anregen.
Am Mikrofon hört ihr Thomas Powileit, und mir gegenüber sitzt wieder Timo Weber aus Luxemburg.
Timo, heute wollen wir uns mit einem ganz besonderen Thema beschäftigen: dem Gewissen. Unser Gewissen ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Manche Menschen haben ein „Briefwagengewissen“. Das bedeutet, ihr Gewissen schlägt schon bei kleinsten Dingen an. Zum Beispiel, wenn man im Einkaufswagen eine vergessene Münze findet und sie mitnimmt, meldet sich später vielleicht das Gewissen.
Andere Menschen haben ein Gewissen wie eine Kartoffelwaage. Da denkt man sich manchmal: „Hey, dass du da kein schlechtes Gewissen hast, das finde ich komisch.“ Christen mit einem Kartoffelwaagen-Gewissen haben tatsächlich kein schlechtes Gewissen bei Dingen, bei denen mein Gewissen schon längst reagiert hätte.
Aber mein Gewissen kann nicht nur in der Empfindlichkeit unterschiedlich sein. Manchmal habe ich auch eine ganz andere Sichtweise auf eine Sache, je nachdem, aus welcher Kultur ich komme. Ich sehe die Situation dann mit ganz anderen „Gewissensaugen“, so nenne ich das mal. Das kann es sehr schwierig machen, sich mit anderen zu verstehen.
Timo, du hast dich mit diesem Thema intensiver beschäftigt. Du hast das Buch von Jason George gelesen, das „Mit anderen Augen“ heißt. Wir werden es in den Shownotes verlinken. Wie kommt es eigentlich, dass wir bei Ungerechtigkeit so unterschiedlich auf unser Gewissen reagieren? Und welche verschiedenen Kulturbrillen gibt es denn überhaupt, Timo?
Ja, ich möchte mit einem kleinen Beispiel beginnen. Ich habe einige Jahre als Polizist in Luxemburg gearbeitet. Dabei wurden wir manchmal zu Unfällen gerufen. In der Regel, wenn eine deutsche Person beteiligt war, wusste ich schon fast, wie das Gespräch beginnt. Es begann ungefähr so: „Schreiben Sie ins Protokoll, dass der andere schuld ist, weil er den Fehler gemacht hat.“
Bei Luxemburgern konnte das Gespräch etwa so beginnen: „Es ist egal, was du ins Protokoll schreibst. Du kannst die Wahrheit oder eine Lüge reinschreiben, mir ist das egal. Hauptsache, niemand aus meiner Familie, niemand im Dorf und keine meiner Freunde bekommt es mit.“
Was man hier beobachten kann, ist, dass zwei Gruppen aufeinandertreffen, die jeweils eine Ungerechtigkeit erlebt haben. Irgendjemand ist bei diesem Unfall ja schuld. Doch sie sehen die Situation mit unterschiedlichen Augen.
Nehmen wir zuerst den Luxemburger. Er kommt aus einer sogenannten Schamkultur. Schamkulturen verbinden wir oft eher mit arabischen Ländern. Dort gibt es häufig solche Schamkulturen, zum Beispiel sieht man das auch bei arabischen Clans. Dort geht es oft um das Wort „Ehre“. Man muss die Ehre der Familie oder das Ansehen der Familie verteidigen.
In Luxemburg ist es ähnlich: Man muss die Ehre, das eigene Ansehen, nicht verlieren. Das bedeutet, es geht darum, dass die Fassade nach außen schön aussieht. Was dahinter passiert, ist egal, solange es niemand mitbekommt.
In einer Ehre- oder Schamkultur geht es also darum, dass das Äußere gut dasteht.
Im Gegensatz dazu steht die Schuldkultur, die man mehrheitlich bei Deutschen beobachten kann. Natürlich sind nicht alle Deutschen gleich, und es gibt auch Vermischungen, aber mehrheitlich legen die Deutschen Wert auf Gerechtigkeit im Sinne von Schuld und Unschuld.
Wenn etwas Ungerechtes geschieht, stellt sich die Frage, wer schuld ist – die Regierung, die Presse, Christen, die „Bösen“ oder Kriminelle. Es geht immer um die Frage von Schuld und Unschuld.
Das ist eine zweite Kulturform, in der man aufwachsen kann.
Eine dritte Kulturform findet man oft im asiatischen und afrikanischen Raum. Diese Kultur ist geprägt von Angst und Macht. Man kann sie am besten an Religionen erklären, in denen es um Geister geht.
In solchen Kulturen haben die Menschen Angst vor Geistern. Sie beten zu einer Gottheit, um eine Macht hinter sich zu haben, die ihnen ihre Angst nimmt. Das ganze Leben wird definiert durch Angst und die Suche nach einer Macht, die Schutz bietet.
Laut dem Buch von Jason George – viele Soziologen haben das beobachtet, er hat es nicht selbst erfunden – gibt es also drei Formen von Kulturen in der Welt: die Schuld- und Schuldkulturen, die Scham- und Ehrenkulturen sowie die Angst- und Machtkulturen.
So ist auch mein Gewissen logischerweise geprägt.
Was empfindest du denn selbst als vorteilhaft an den jeweiligen Kulturen? Oder anders gefragt: Was ist deiner Ansicht nach in der jeweiligen anderen Kultur sozusagen besser? Wenn ich mal so fragen darf.
Ja, das ist eine schwierige Frage. Ich meine, wenn man in einer Schuld- und Schuldkultur lebt, dann ist der Vorteil vielleicht, dass man sehr direkt reden kann. Es ist nicht so wichtig, ob das Ansehen der anderen Person verletzt wird. Das Ansehen definiert sich vielmehr darüber, ob du deine Unschuld beweisen kannst. Deshalb kannst du relativ direkt sprechen.
Eine Scham-Ehre-Kultur hat den Vorteil, dass, wenn du einen Fehler gemacht hast, du es nur schaffen musst, dass niemand davon erfährt. Das klingt vielleicht etwas negativ, aber das wäre vielleicht der Vorteil dieser Kultur.
In einer Angst-Macht-Kultur ist der Vorteil, dass, wenn ich nur Macht hinter mir habe, die stark ist, dann ist die Angst weg.
Was man bei meiner Antwort auch ein bisschen heraushören kann, ist, dass eigentlich alle drei Kulturen auch Nachteile haben. Denn ich habe immer in meinem Leben, ich selbst und eigentlich jeder Mensch, in irgendeiner Form mit Schuld zu kämpfen. Ich habe in irgendeiner Form mit Angst zu kämpfen und in irgendeiner Form schäme ich mich auch immer für Dinge in meinem Leben.
Es ist also nicht nur vorteilhaft. Diese Kulturbeobachtung beschreibt eigentlich etwas, worin ich aufwachse, was einfach da ist. Es geht dabei nicht direkt darum, ob es richtig oder besser oder falsch ist, sondern es ist eine Beobachtung, wie wir durch unsere Kultur beeinflusst werden.
Das heißt, die Menschen sind einfach ganz unterschiedlich geprägt. Jeder Mensch ist geprägt, und man kann ihn vielleicht einer dieser drei Kulturen zuordnen.
Ich meine, ich als Deutscher und auch aus meiner Erfahrung bin natürlich eher schuldorientiert aufgewachsen. Aber ist das nicht doch die Kultur, die der Bibel am nächsten ist? Und kommen die anderen Kulturen überhaupt in der Bibel vor, wie Scham oder Angst und Macht?
Alle Kulturen kommen in der Bibel vor. Deine Unterstellung, dass die Bibel am ehesten der Schuldkultur entspricht, ist jedoch eine falsche Behauptung. Diese Sichtweise resultiert wahrscheinlich daraus, dass du aus Deutschland kommst und die deutsche Theologie stark von Luther geprägt ist. Luther selbst war stark von seiner eigenen Kultur beeinflusst, in der Schuld und Unschuld eine zentrale Rolle spielten.
Wenn ich mir die Bibel hingegen genauer anschaue, fällt auf, dass die meisten Ereignisse geografisch in einer bestimmten Region spielen. Heute nennt man diese Länder Syrien, Libanon, Jordanien, Israel und Ägypten. Das sind mehr oder weniger arabische Länder, wobei Israel dazwischenliegt mit den Juden. Diese Region ist eher als Schamkultur zu verstehen.
Der geografische Kontext der Bibel ist also überwiegend eine Schamkultur. Wenn man die Bibel mit offenen Augen liest, bemerkt man, dass es sehr oft um Ehre geht – um Gottes Ehre, um die Ehre anderer oder darum, dass Menschen sich nicht zu Jesus bekehren, weil sie dann keine Ehre mehr in der Synagoge vor den Juden hätten.
Gleichzeitig spricht die Bibel aber auch über Schuld. Wenn man zum Beispiel den Römerbrief liest, ist das Thema Schuld sehr präsent. Wer das nicht erkennt, hat gewissermaßen eine Sonnenbrille auf. Auch das Thema Angst findet sich in der Bibel. Ein bekannter Vers ist Johannes 16,33, wo in manchen Übersetzungen steht: „In der Welt habt ihr Angst.“ Die Antwort darauf ist, dass man der großen Macht, also Jesus, vertrauen soll.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Obwohl die Bibel überwiegend in einer Schamkultur entstanden ist und die meisten Ereignisse in einer Region spielen, die von Schamkultur geprägt ist, finden wir in der Bibel Antworten und Ereignisse, die alle drei Kulturen – Scham, Schuld und Angst – betreffen. Die Bibel kennt also alle drei Kulturen.
Wenn wir in Deutschland Menschen mit dem Evangelium erreichen wollen, sagen wir in Predigten oft sehr schnell: Du bist ein Sünder, du musst zu Jesus umkehren. Das ist grundsätzlich richtig, aber manche Menschen in unserem Kontext können damit wenig anfangen. Das liegt vielleicht daran, dass sie nach Deutschland eingewandert sind und aus einem Scham-Ehre- oder Angst-Macht-Umfeld stammen.
Wie kann man in solchen Fällen das Evangelium weitersagen? Wichtig ist, dass wir die Bibel nicht verdrehen und das wahre Evangelium verkünden. Jason George beschreibt in seinem Buch das sogenannte 3D-Evangelium. Die Bibel gibt uns Antworten auf die Probleme von Schuld, Scham und Angst.
Nehmen wir mein Beispiel: Ich komme nach Deutschland und höre in einer Predigt, dass ich ein Sünder bin und verloren gehe, wenn ich so weiterlebe. Als christlich Aufgewachsener spricht mich das an. Aber wenn ich einen Schulkameraden mitnehme, denkt der vielleicht: „Ich bin kein Sünder, woher willst du das wissen? Du hast es nie gesehen.“ Dahinter steckt das Ehre-Scham-Denken: Wenn du es nicht siehst, ist es nicht geschehen.
Wie erreiche ich diese Person? Ich erzähle das Evangelium praktisch. Zum Beispiel beginne ich damit, ihm zu sagen: „Du bist ein guter Mensch, in deinem Leben läuft vieles gut. Du hast vielleicht ein schönes Auto, ein großes Haus, bist verheiratet und hast Kinder. Du arbeitest für den luxemburgischen Staat und verdienst gut.“ Dann frage ich: „Aber wie sieht es hinter der Tür bei dir aus?“ Oder noch allgemeiner: „Wie sieht es hinter den Türen in Luxemburg aus?“ Das „Du“ spricht eher eine Schuldkultur an. Wenn ich es allgemein formuliere, kann er über seinen Nachbarn nachdenken.
Dann kommt die nächste Frage: Hinter den Türen gibt es Scheidungen, wenn man die Statistiken betrachtet. Das weiß er. Es gibt Probleme in den Ehen, Streit mit den Kindern, Drogen- und Alkoholmissbrauch. Auch das ist ihm bekannt. Nun merkt er: „Stimmt, nicht alles sieht so schön aus hinter den Türen.“ Aber er weiß immer noch nicht alles.
Dann kann man sagen: In der Bibel steht, dass Gott alles sieht. Jemand aus einer Schamkultur könnte denken: „Okay, aber wenn Gott alles sieht, ist das egal, denn ich sehe ihn ja nicht, und die anderen auch nicht.“ Hier kann man mit einer Stelle wie Offenbarung 20 antworten. Dort wird beschrieben, dass es irgendwann ein großes Gericht geben wird, bei dem alle alles sehen. Wenn du dich auf dieser Erde nicht mit deinem falschen Handeln auseinandergesetzt hast, wird es dann sehr peinlich, weil die ganze Welt es sehen wird.
Dann stelle man sich die Frage: Wie wäre es, wenn du es jetzt bekennst – vor Gott, der es als Einziger mitbekommt? Vielleicht erzählst du es deinem Freund, dass du mit Gott gesprochen hast. Die Schande bleibt so in einem kleinen Kontext. Die Person merkt: „Vielleicht kann ich einen Kontext finden, in dem ich nicht entehrt werde, sondern Ehre von Gott bekomme.“ Und sie erkennt, dass die Ehre, die Gott gibt, einen ganz anderen, langfristigen Stellenwert hat.
So kann man dann Schritt für Schritt auch die Fragen nach Schuld und Angst angehen.
Wenn ich zum Beispiel eine Angstkultur anspreche, beginne ich nicht mit der Schuldfrage, denn die ist dort oft irrelevant. Das Problem sind die Geister. In einer Geisterkultur, also einer Kultur, die Geister stärker wahrnimmt, würde ich Bibelstellen vorlesen, die von Geistern handeln und zeigen, wie Jesus darauf reagiert. Jesus muss nicht weglaufen, weil er die Macht hat, die Geister zu besiegen. Das spricht jemanden aus einer Scham- oder Schuldkultur oft weniger an.
Es geht also darum, herauszufinden, welche biblische Geschichte oder welches Ereignis für welche Kultur eine Antwort gibt. Menschen, die im deutschsprachigen Raum aufgewachsen sind, kennen meist gut die Bibelstellen, die Schuld thematisieren. Wenn ich aber einem Freund oder Arbeitskollegen aus einer anderen Kultur begegne, sollte ich neu in der Bibel forschen: Welche Antworten gibt es für andere Kulturen?
Die Bibel hat für diese drei Kulturen eine Antwort, weil sie eben ein 3D-Evangelium ist.
Wie findet man das heraus? Das heißt, man lernt Leute kennen. Gibt es Indikatoren, an denen man erkennt, dass jemand zum Beispiel stark mit Angst oder Macht denkt?
Ich würde sagen, ich kann keine speziellen Fragen nennen. Aber grundsätzlich sollte man Menschen erst einmal in ihrer Lebensrealität abholen. Wie macht man das? Indem man zuhört, Freund wird oder bei Arbeitskollegen einfach mal fragt: „Was machst du so im Leben? Was ist dir wichtig? Wie stehst du zu Religion und Glauben?“ Dann hört man genau hin, was diese Leute sagen.
Wenn ich zum Beispiel jemanden frage: „Ist Gott für dich relevant?“ und die Antwort lautet: „Nein, Gott gibt es nicht.“ Und wenn ich dann frage: „Bist du dir bewusst, dass du gestern unserem Arbeitskollegen das und das angetan hast?“ und die Antwort ist: „Ist doch egal, hat ja keiner gesehen.“ Dann höre ich schon heraus, dass Gott für diese Person nicht relevant ist und es ihr egal ist, wenn niemand etwas mitbekommt.
Wenn die Antwort hingegen wäre: „Ja, Gott spielt schon eine Rolle, aber der Schlag war jetzt nicht so fest, den ich dem Kollegen gegeben habe“, dann geht es eher um Schuldgefühle. Denn hier wird abgewogen, ob das Verhalten wirklich schlimm war oder nicht.
Das Ganze läuft also darauf hinaus, im Gespräch zuzuhören und Fragen zu stellen. Diese müssen nicht unbedingt spezifisch sein. Mit der Zeit entdeckt man, worauf die Person Wert legt. So kann man herausfinden, ob sie eher von Scham, Schuld oder Angst beschäftigt ist.
Als Deutscher bin ich es gewohnt, die Wahrheit sehr direkt zu sagen. Du hast vorhin zu Recht gesagt, dass man nicht alle über einen Kamm scheren kann. Es gibt Menschen, die direkter sind, und andere, die nicht so direkt sind.
Allerdings kann ich mir durch diese Direktheit oft die Türen bei anderen Kulturen zuschlagen. Wie sagt man denn in anderen Kulturen die Wahrheit? Die Wahrheit bleibt ja die Wahrheit. Man kann nicht darum herumreden oder die Leute belügen.
Hast du da Erfahrungen, bei denen du denkst: „Das will ich ihm doch sagen, weil er die anderen immer wieder verletzt“?
Ich nehme jetzt ein Beispiel: Viele Moslems kommen aus arabischen Ländern und haben daher oft eine Schamkultur. In einer Schamkultur darf man die Wahrheit sagen, aber nicht direkt ins Gesicht. Vor allem darf man die Person nicht vor den Kopf stoßen.
Das bedeutet: Wenn ich zum Beispiel in einem Glaubensgespräch mit einem Moslem bin und verschiedene Dinge zwischen der Bibel und dem Koran vergleiche, würde ich in einer Schuldkultur sagen: „Guck, hier steht es so, dort steht es so, das, was du gesagt hast, ist falsch.“ Das ist die Wahrheit ganz klar ausgesprochen, und der andere versteht direkt, was gemeint ist.
Bei einer Person aus einer Schamkultur würde ich eher sagen: „Guck, ich habe das entdeckt, und dann habe ich das entdeckt. Wie denkst du darüber?“ Wenn die Person zurückhaltend antwortet, werde ich nicht sagen: „Du musst jetzt eine Antwort geben.“ Denn damit dränge ich zwar eine Antwort, aber die Wahrheit sage ich eher in Form von Fragen.
Warum? Weil sich eine Person in einer Schamkultur zuerst zurückziehen und darüber nachdenken muss. Sie wird später, wahrscheinlich wenn sie angesprochen oder bewegt ist, zu mir zurückkommen und sagen: „Hey, das hat gestimmt, was du gesagt hast.“
In einer Schamkultur geht es vor allem auch darum, dass man nicht die ganze Zeit direkt ist, sondern im Allgemeinen spricht. Wenn man so mit Leuten umgeht, bringt das weniger Schwierigkeiten. Die eine Person weiß natürlich, worüber man redet, aber man hat es nicht direkt gesagt, also nicht in der Du-Form.
Wenn ich Scham- und Schuldkultur als Vergleich nehme, geht es nicht darum, die Wahrheit nicht zu sagen, sondern darum, wie man sie ausdrückt. Man sagt sie nicht direkt zur Person, sondern umschreibt die Situation. Man vermeidet die Du-Form. Wenn man zwei Wahrheiten miteinander vergleicht, stellt man sie eher als Frage dar, statt als absolute Wahrheit: „So ist es, und jetzt musst du es annehmen.“
Man passt die Art also auf jeden Fall an. Man kann die Wahrheit sagen, man muss sie nur anders ausdrücken. Im Grunde bleibt es aber trotzdem die Wahrheit.
Ja, die biblische Wahrheit, die wir lehren, ist immer wieder ein Hinweis auf Gottes Heilsgeschichte – das ist logisch. Was muss ich also beachten, wenn Zuhörer mit anderen, ich nenne es mal Gewissensohren, zuhören?
An der Bibelschule, an der ich war, hatten wir einen Lehrer, der aus Japan kam oder deutsch war, aber 26 Jahre als Missionar in Japan gearbeitet hatte. Dort herrscht eher eine Angstmachtkultur. Wenn ich mich richtig erinnere, hat er in den ersten zehn Jahren vor allem die typische deutsche Schuld-Unschuld-Evangelisationsmethode angewandt, wie ich sie jetzt einmal nenne. Das hat die Japaner jedoch nicht bewegt.
Dann hat er, soweit ich mich erinnere, durch Freunde, andere Missionare und Japaner entdeckt, dass es bei ihnen eher um Angst und Macht geht. Daraufhin hat er das Evangelium ganz anders zu erzählen begonnen. Zum Beispiel benutzte er einen Flyer, der dunkel, schwarz und weiß gestaltet war. In Deutschland würde man sagen, das ist doch nicht attraktiv. Aber das entspricht der Lebensrealität, die die Japaner im religiösen Bereich empfinden: dunkel, schwarz und weiß – es geht um Dunkelheit und Licht.
Er begann zu erklären: Bei der Schöpfung gab es einen Geist, einen bösen Geist, der Teufel heißt. Das würden wir in der westlichen Schulkultur nicht so stark betonen, dass es ein Geist ist, der in der Schlange steckt und so weiter. Für die Japaner ist das jedoch wichtig. Zum Beispiel sieht man auf den Bildern, die dort verwendet werden, ständig Kreise um die Personen herum. Warum? Weil Geister um sie schweben.
Er stellte also vielmehr diese unsichtbare Welt in den Vordergrund bei der Verkündigung des Evangeliums und der Heilsgeschichte. Das ist ein gutes Beispiel, um zu erklären: Wenn ich die Heilsgeschichte in unterschiedlichen Kulturen erkläre, muss ich im Bibeltext nachschauen, auf welche Dinge ich einen Akzent lege.
Natürlich kann ich auch einfach die Bibel vorlesen und hoffen, dass Gott wirkt, ohne etwas zu erklären. Aber wenn ich erkläre, würde ich in einer deutschen Kultur immer wieder die Schuldpunkte herausnehmen: Du bist schuldig, Gott stirbt für dich, dadurch ist die Schuld bezahlt.
In einer Angstkultur würde ich hingegen immer wieder betonen: Schau, hier hat diese Person in der Bibel Angst. Was macht sie? Sie betet zur größten Macht, die es gibt, nämlich zu Gott, und das schenkt Befreiung.
Oder in einer Scham- und Ehrekultur würde ich sagen: Schau, hier schämen sich Adam und Eva. Wie werden sie wiederhergestellt zur Ehre? Indem Gott ihnen Kleider gibt.
So kann man bei der Heilsgeschichte manchmal mehr das betonen, was zuerst einmal für diese Kultur ansprechend ist. Die anderen Aspekte können dann später betont werden.
Ja, vielen Dank, Timo, das war sehr spannend zu entdecken. Selbst in Europa gibt es verschiedene Kulturen und auch unterschiedliche Wahrnehmungen und Gewissen. Es ist gut, das zu wissen und sich zu fragen: Was kommt beim Zuhörer wirklich an durch das, was ich sage?
Es geht also nicht nur darum, was ich sage, sondern auch darum, was tatsächlich ankommt. Wenn mein Verhalten und mein Reden durch die kulturelle Brille des Gegenübers gesehen werden, kann natürlich etwas ganz anderes ankommen, als ich es gemeint habe.
Dieser Podcast sollte uns dabei helfen, sensibler dafür zu werden, dass Menschen Dinge ganz anders verstehen können, als wir sie gemeint haben.
Ja, und es war wieder der Podcast der Evangelischen Freikirche Evangelium für alle in Stuttgart. Wir hoffen, dass ihr einen Impuls für euch mitnehmen konntet, wie ihr mit Christen umgehen könnt, die ganz unterschiedliche Gewissen und vor allem kulturelle Sichtweisen haben.
Wenn ihr Fragen habt, über die wir sprechen sollen, oder Anmerkungen zum Podcast, dann schreibt uns doch unter podcast@efa-stuttgart.de.
Wir wünschen euch Gottes Segen, bis wir uns wiederhören.