Liebe Gemeinde,
ein ganz besonderer Gruß gilt allen Angehörigen, die im vergangenen Jahr Menschen verloren haben, die ihnen viel bedeutet haben. Es ist für uns Pfarrer ein großes Vorrecht, dass bei Trauergesprächen zur Vorbereitung der Beerdigung so viel Persönliches von den Angehörigen geteilt wird.
Sehr oft hören wir dabei auch Aussagen, mit denen wir nicht gerechnet haben. Zum Beispiel erzählen Eltern, wie sehr sie sich auf den Ruhestand gefreut hatten. Sie wollten noch viel gemeinsam reisen. Doch dann hat der Vater eine Routineuntersuchung machen lassen, und plötzlich kam das schlimme Urteil des Arztes. Danach ging alles sehr schnell, und das Sterben setzte rasch ein.
Unvorhergesehenes im Leben und Glauben
Unvorhergesehenes
Als mein Vater einst verhältnismäßig jung, mit 57 Jahren, im Sterben lag, hat er mich zu sich kommen lassen. Er sagte, er sei zuständig für das baden-württembergische Berufs- und Fachschulwesen. Bei seiner Beerdigung würden viele Direktoren und Lehrer kommen. Er bat mich, ihnen zu sagen, dass wir nicht nur zum Sterben berufen sind, sondern durch Jesus zum ewigen Leben eingeladen sind.
Doch als mein Vater starb, war Hochsommer, viele fehlten, und kaum ein Direktor oder Lehrer war anwesend. Unvorhergesehenes, selbst wenn es gut gemeint war.
Heute sollen wir in diesem Gottesdienst ganz neu hören, ganz, ganz neu verstehen: Vor uns steht nicht nur das Sterben. Wir sind zum Leben eingeladen, zur Gemeinschaft, zur ewigen Gemeinschaft mit Jesus.
Dem Herrn Jesus war es wichtig, dass uns das ganz klar ist. Deshalb hat er das Gleichnis formuliert, das heute in den Gemeinden unseres Landes der Bibelabschnitt ist, der uns besonders wichtig gemacht werden soll: das Gleichnis von den fünf törichten und den fünf klugen Jungfrauen.
Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen als Einladung zum Leben
In unserem Gottesdienstprogramm ist es abgedruckt, und wir können mitlesen: Jesus sprach: „Das Himmelreich wird gleichen zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und hinausgingen, um dem Bräutigam entgegenzugehen.
Fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug. Die törichten Jungfrauen nahmen ihre Lampen, aber kein Öl mit. Die klugen hingegen nahmen Öl in ihren Gefäßen zusammen mit ihren Lampen.
Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Um Mitternacht aber erhob sich ein lautes Rufen: ‚Siehe, der Bräutigam kommt, geht hinaus, ihm entgegen!‘
Da standen alle Jungfrauen auf und machten ihre Lampen fertig. Die törichten aber sprachen zu den klugen: ‚Gebt uns von eurem Öl, denn unsere Lampen verlöschen.‘
Die klugen antworteten und sprachen: ‚Nein, sonst würde es für uns und für euch nicht genug sein. Geht aber zum Kaufmann und kauft für euch selbst.‘
Als sie hingingen, um zu kaufen, kam der Bräutigam. Die, die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen.
Später kamen auch die anderen Jungfrauen und sprachen: ‚Herr, Herr, tu uns auf!‘
Er antwortete aber und sprach: ‚Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Darum wachet, denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.‘
In der Bibel ist der Bräutigam immer ein Bild für Jesus. Schon Johannes der Täufer hat vom Bräutigam gesprochen. Die Braut ist die Gemeinde Jesu.
Die Bedeutung des Gleichnisses für den Glauben und das Leben
Einst, als ich Mitarbeiter in der Sonntagsschule der Kinderkirche war, hatte ich manchmal die Sorge, wie ich die 15 Minuten, in denen ich die Geschichte erzählen sollte, überbrücken könnte.
So beschrieb ich zum Beispiel, wie die Hochzeitstische gedeckt waren und die Tafeln beinahe unter köstlichen Speisen zusammenbrachen. Ich denke, den jungen Bussen lief dabei das Wasser im Mund zusammen.
Doch ich habe ihnen wohl das Entscheidende schuldig geblieben: Das große Erschrecken, das es geben kann, wenn unser lieber Herr Jesus zu Menschen, die doch zu ihm gehören wollten, die sich aufgemacht haben, ihm zu begegnen, die ihre Lampen geputzt hatten, sagt: „Nein, nein, ich kenne euch nicht.“
Das ist unvorstellbar erschreckend. Menschlich gesehen würde es uns natürlich leichtfallen zu sagen, so ernst meint es Herr Jesus nicht. Doch er hat es so klar gesagt: Ihr müsst dafür sorgen, dass ihr wirklich dabei seid, wenn das große Fest beginnt.
Es soll doch bei keinem von uns dazu kommen, dass Jesus zu mir sagt: „Du nicht, du gehörst nicht dazu.“
Vorhersehbarkeit und Vorbereitung auf das Kommen Jesu
Manches, was wir als unvorhergesehen betrachten, ist gar nicht so unvorhersehbar. Stellen wir uns einmal hinein in die von Jesus sparsam geschilderten, skizzierten zehn Damen vom Empfangskomitee.
Zuerst die fünf, die Jesus als töricht bezeichnet. Vielleicht wirken sie ein bisschen naiv oder vordergründig. Sie werden gesagt haben: „Entschuldigung, wir konnten doch nicht damit rechnen, dass sich das Kommen des Bräutigams so lange hinzieht. Da kann wirklich kein Mensch mit rechnen.“
Die klugen Damen hingegen werden gesagt haben: „Wir wollen uns ja nicht loben, wir sind auch eingeschlafen. Aber ein bisschen haben wir auch mit der Möglichkeit gerechnet, dass sich das länger hinziehen könnte. Deshalb haben wir noch etwas Ersatzöl in unserem Fläschchen mitgebracht.“
Wir bezeichnen manchmal viel zu rasch etwas als unvorhergesehen, obwohl es durchaus vorhersehbar ist, denke ich. Die meisten von uns, vielleicht besonders die jungen Leute, haben es noch nicht erlebt. Bei Nachbarn oder Familienmitgliedern kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem wir die Übersicht über unsere Geldgeschäfte verlieren.
Wir merken, dass wir unsere vollgestopften Schubladen im Schreibtisch und in den Schränken endlich mal sortieren und ordnen müssten. Doch plötzlich kommt der Augenblick, an dem wir es nicht mehr können, weil die Kraft dazu nicht mehr vorhanden ist.
Die Schwäche des Glaubens im Alter und im Sterben
Darüber möchte ich nicht sprechen, und es soll auch nicht unkeusch klingen. Doch was man im Laufe eines langen Lebens erlebt, besonders bei guten, mitchristlichen Freunden, die einem Vorbild waren, zeigt, wie schwach man werden kann – so sehr, dass die Lampen verlöschen.
Erst vor weniger als acht Tagen hat mir jemand gesagt: „Rolf, ich bringe nicht einmal mehr das Vaterunser zusammen.“ Von einem persönlichen Gebet aus dem Herzen ganz zu schweigen. Oder ich selbst, der ich mein Leben lang gerne mit dem Losungsbuch, täglicher Bibellese und Gesangbuchstrophen gelebt habe, kann plötzlich auf all das verzichten und vermisse es nicht einmal besonders.
Besonders erschreckend ist es, wenn aus dem Mund frommer Menschen, die sich ihr Leben lang so in der Zucht gehalten haben, dass kein böses Wort über ihre Lippen kam, plötzlich Worte, Begriffe und Bilder aus den Abgründen ihrer Seele kommen. Man hat durch Selbstbeherrschung all das in den Keller der Seele zurückgedrängt, doch jetzt kommt es ohne Damm hoch.
Die Lampen verlöschen. Wir können erleben, dass Menschen, die in brennendem Glauben standen, fröhlich waren und andere eingeladen und animiert haben, mit Jesus zu rechnen, plötzlich von zersetzenden Zweifeln befallen werden: Stimmt denn das alles? Hat Beten überhaupt einen Wert? Gibt es überhaupt Gott? Ist das mit Jesus nicht bloß eine Erfindung?
Die Lampen verlöschen. Bin ich für diesen Ernstfall vorbereitet?
Gerade vor acht Tagen konnte ich Abschied nehmen von einem Sterbenden, der nach schweren Schlaganfällen auf der Intensivstation lag – in einem unaussprechlichen Frieden. Ich dachte: So möchte ich einmal sterben, so vorbereitet sein, auch für den Ernstfall, wenn Herz und Gedanken schwinden, und wissen, ich bin in Jesus geborgen.
Ich habe mit dem Sterbenden gesungen. Ich weiß nicht, ob er es noch gehört hat, aber ich möchte Ihnen raten: Singen Sie auch bei Menschen, von denen wir meinen, sie lägen im Koma und hörten nichts mehr, die vertrauten Lieder mit ihnen!
Ich habe gesungen: „Ich wähle mich zum Paradies und lass mich bis zur letzten Reise an Leib und Seele krönen. So will ich Dir und Deiner Ehe allein und sonst niemandem mehr hier und dort ewig dienen, berufen nicht bloß zum Hochzeitsmahl, sondern zu priesterlicher Aufwartung vor dem Thron Gottes. Da möchte ich dabei sein, und im Frieden dein, o Herr mein, lass sie ihm nicht meine Straßen“, wie wir es später beim Abendmahl singen werden.
Die Herausforderung des Glaubens in schwierigen Zeiten
Es ist vorhersehbar, dass vieles kommen kann, was uns den Glauben nimmt. Ich habe zum letzten Sonntag kurz angedeutet, dass dies mein Eindruck ist: Die Luft wird dünn im Alter, die Luft für den Glauben.
Natürlich haben wir in Korntal an der Stirnseite unseres Saals das große Wort: „Siehe, ich komme bald, ja, ich komme, Jesus.“ Aber bewegt uns das wirklich persönlich? Dass ich, wenn du, o Lebensfürst, prächtig wiederkommen wirst, dir mag entgegengehen und vor dir bestehen, vor dir gerecht bestehen?
Wenn das nicht kommt – dass der Herr Jesus kommt und seine Welt in Besitz nimmt und das riesengroße Wirrwarr unserer Zeit in Ökonomie und Politik in seine gute Hand nehmend ordnet – wenn das nicht kommt, dann lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot. Was brauchen wir denn?
Sind wir bereit für den Ernstfall? Werden unsere Lampen verlöschen? Werden wir einschlafen? Werden wir bereit sein? Wie können wir durchhalten? Bereit sein ist alles.
So war es an die Mauern mancher Häuser in den letzten Kriegsjahren des Zweiten Weltkriegs an die Wand gepinselt. Gemeint waren die Hacken und die Äxte und Wasser und Sand, bereit gegen Feuer und Brand. Helfen kann nur Wasser und Sand. So war auch eine Inschrift: Gott sei Dank vorbei.
Aber dieser andere Ernstfall, der auf unsere Stärken zugeht und noch mehr auf den Zeitpunkt, dass Jesus wiederkommt – und ob ich dann zu denen gehören kann, die voll Freude ihm entgegengehen – dieser Ernstfall kommt erst recht.
Vertrauen auf Gottes Kraft und Gnade in der Schwäche
Einer, der mir im Glauben ein Vorbild war, und das schon von den frühen Tagen der Jugendarbeit an, hat mir erst jüngst gesagt: „Rolf, ich kann nur noch beten: Lass mich dein sein und bleiben, du treuer Gott und Herr! Punkt!“
Das ist nicht mein Glaube, nicht meine Erfahrung, nicht meine Bibelkenntnis. Diese können schrumpfen, sie können wie Sand in den Fingern zerrinnen. Aber dass der Herr Jesus das Wunder tut, das er in jedem Gottesdienst tun will – jedes Mal, wenn wir im Gebet ihn anrufen –, dass er uns zuteilt, was wir nicht haben, wenn es in uns leer ist, dass er uns gibt, was er allein geben kann.
Der schwäbische Liederdichter Philipp Friedrich Hiller hat die Strophe gedichtet:
„Herr, du kennst meine Schwäche,
nur deiner harre ich.
Nur deiner harre ich,
nicht das, was ich verspreche,
was du sprichst, tröstet mich.“
Wenn die Luft dünn wird, wenn der Glaube verdunstet, lösen sich auch viele der großen Versprechungen auf: dass ich durch dick und dünn dem Herrn Jesus folge, dass er mit mir rechnen kann, dass ich mich, mag kommen was da wolle, an Jesus halten will, dass ich mich vor ihm niederwerfe und ihn lobe.
Auch wenn es ans Sterben geht, ist uns nicht mehr so sehr zum Loben zumute. Da bringen wir gerade noch über die Lippen: „Herr, hilf!“ Wenn alles bricht, dann: „Jesus, lass mich nicht.“ Das ist das Einzige, was uns noch zuteilwerden kann.
Jeder unserer schönen Gottesdienste hat ja darin sein Gewicht, dass uns die paar Tropfen neues Glaubensöl zuteilwerden, damit wir wieder eine Woche bestehen können. Wenn alles bricht: „Jesus, lass mich nicht.“
Die kulturelle Bedeutung des Gleichnisses und die persönliche Hoffnung
Wo immer das Gleichnis des Herrn Jesus von den fünf törichten und fünf klugen Jungfrauen erzählt oder gelesen wurde, ist es Teil unserer abendländischen Kulturgeschichte geworden. Wenn man nur an die Bilder denkt, an die großen Triptichen und an die Kathedralen, stellt sich immer die Frage: Was ist mit dem Öl gemeint?
Ist es das Glaubensöl? Ist damit meine Treue gemeint, meine Bibelkenntnis, mein Durchhaltevermögen oder meine Erfahrung?
Ich habe mich auch ganz neu gefragt, und mir ist folgende Antwort geworden: Ich möchte mir angewöhnen, noch viel mehr vom Herrn Jesus zu erwarten. Ich wünsche mir, dass er mir zuteilt, meinen Ersatztank zu füllen.
So wie Paul Gerhardt es gehalten hat – und mit ihm Hunderttausende von Christen –, dass er mein Regierer werde durch die Welt bis zum Himmelstor. Dass er mein Herz erfülle mit dem hellen Glaubenslicht, das die Macht des Todes zerbricht und selbst die Macht der Hölle stillt.
Wenn mein Können und mein Vermögen nichts vermögen, wenn ich am Ende bin mit meiner Glaubenserfahrung und meiner Bibelkenntnis, wenn mein Können und mein Vermögen nichts mehr helfen können, dann kommt mein Gott und legt mir sein Vermögen bei.
Wachsamkeit und Zuversicht im Glauben
Wenn bei uns die Lampen verlöschen wollen und die große Schläfrigkeit über uns kommt, dann schlafen wir alle ein.
Wissen Sie, wie das ist mit der Schläfrigkeit, sogar vor dem Fernsehen? Man bekommt die Bilder mit, aber kann fünf Minuten später nicht mehr sagen, was überhaupt gezeigt wurde. So gehen wir doch auch im Gottesdienst aus. Wir waren da, doch wenn Sie sich fragen würden, was gut war, was schön war oder worum es ging – ob es um Gott ging oder Ähnliches – dann sind alle schläfrig und schlafen ein!
Wenn der Herr Jesus das sagt, dann kennt er uns. Aber er will dafür sorgen, dass wir es erfahren und dass das unsere Gewissheit wird: Jesus lässt mich ewig nicht los. Dies ist meine Zuversicht.
Jesus lässt mich ewig nicht los – dies ist meine Zuversicht. Darauf möchte ich ganz neu bauen. Mein Vertrauen setze ich nicht auf das, was ich mitbringe, sondern auf das, was er mir in diesen Tagen, die er mir gewährt hat, noch zuteilt – bis aufs Sterbebett.
Du bist mein! Amen!
