
Wir können es ja grob versuchen, denn ich merke schon, dass du auch sehr in die Tiefe und in die Weite gehen kannst. Deshalb sollten wir vielleicht nicht zu lange bei einer Frage verweilen – nicht länger als eine halbe Stunde. So schaffen wir glatt zwei Fragen.
Ich freue mich auf jeden Fall sehr, dass du heute da bist. Das war gerade schon spannend zu hören: Du hast gerade einen Vortrag zum Thema „Vorbilder der Missionsgeschichte“ gehalten. Manche unserer Zuhörer kenne ich vielleicht gar nicht. Vielleicht sagst du zuerst ein paar Worte zu dir: Wer bist du, was machst du, woher kommst du?
Das ist ja nicht ganz so einfach zu beantworten, weil es darauf ankommt, was die Zuhörer gerade interessiert. Ich könnte sagen, wo ich geboren bin, wo ich gelebt und bin aufgewachsen, welche Länder ich bereist habe, was ich im Alltag gerne tue, ob ich Sport mag oder nicht, was ich gerne esse und so weiter. Aber ich vermute, das ist gar nicht der Kern der Sache.
Das Zentrum wäre erst einmal: Ja, ich bin Christ. Das finde ich immer wieder eine ganz wichtige Sache. Ich habe mich als Jugendlicher entschieden, mit Jesus zu leben – mit 14 Jahren – und bin dabei geblieben. Es freut mich sehr, dass es diese Kontinuität gegeben hat. Das hat mein Leben sehr geprägt. Es hat mitbestimmt, was ich studiert habe, was ich heute arbeite und mache, wen ich geheiratet habe und womit ich meine Freizeit verbringe. Das hat also eine ganz wichtige Rolle gespielt.
Was sonst noch mitbestimmt war, ist sicherlich die Zeit im Studium. Dort habe ich auch meine Frau kennengelernt. Neben Theologie habe ich noch vergleichende Religionswissenschaft, Ökologie und Philosophie studiert. Daneben habe ich verschiedene Berufserfahrungen gesammelt und so weiter.
Jetzt arbeite ich schwerpunktmäßig als Lehrer an der Bibelschule Brake, was ich sehr gerne tue. Mit großer Begeisterung finde ich das immer wieder eine tolle Sache. Daneben habe ich noch einige andere Projekte, die fast alle mit dem Glauben zu tun haben. Immer wieder habe ich neue Ideen – manchmal für Buchprojekte, manchmal für Internetprojekte, manchmal für andere Sachen.
Meistens habe ich mehr Ideen, an denen ich arbeiten möchte, als mir die Zeit dafür bleibt.
Ja, den Eindruck habe ich bei dir auch. Du bist überall aktiv, machst so viel – die Bibelschule, die ganzen Bücher. Da fragt man sich generell, wie solche Leute das alles irgendwie hinbekommen.
Genau, das frage ich mich manchmal auch. Manchmal denke ich: „Boah, heute habe ich wieder gar nicht so viel geschafft, wie ich eigentlich schaffen wollte.“ Meistens liegt das daran, dass ich mir zu viel vornehme. Dann denke ich ganz optimistisch: Wenn die Zeit jetzt super läuft, dann schaffe ich das. Doch dann kommt plötzlich etwas dazwischen.
Zum Beispiel gestern: Da ruft mich jemand an, hat eine persönliche Frage. Zack, zwei Stunden bin ich im persönlichen Gespräch. Und ich denke mir, das ist auch wichtig. Ich will diese Flexibilität haben, wenn ich den Eindruck habe, dass das gerade dran ist, dass es notwendig ist. Dann sage ich nicht am Telefon: „Passt mir nicht, ich habe etwas anderes geplant, ruf später an.“ Das geht eben nicht immer.
Oder letzte Woche gab es eine Anfrage per E-Mail. Jemand hatte ein Buch von einem Professor aus Köln gelesen, einem Geschichtsprofessor. Der hatte die These aufgestellt, Jesus sei gar nicht am Kreuz gestorben. Sondern er hätte nur einen Herzkasper gehabt, wäre in den Scheintod gefallen. Das Ganze wurde medizinisch plausibel erklärt.
Derjenige, der mir schrieb, ist gläubig, kommt aber durch das Buch ins Zweifeln. Er findet die Argumente im Buch so gut, dass er sich fragt: Könnte das nicht wahr sein? Da denke ich mir, okay, das ist eine wichtige Sache. Ich möchte diesem Bruder eine Antwort geben und ihm helfen.
Also habe ich mich wieder zwei Stunden hingesetzt, um zu recherchieren: Was hat der Autor, also der Historiker, für Argumente vorgebracht? Und wie kann ich darauf hilfreich antworten? Dann habe ich ihm meine Antwort geschickt. Heute hat er mir zurückgeschrieben, dass es ihm geholfen hat und die Dinge jetzt klarer sind.
Da würde ich sagen: Okay, die Zeit hat sich gelohnt. Aber das kostet natürlich auch. Ich finde es richtig gut, dass du das ansprichst. Das finde ich stark und vorbildlich – gerade bei Männern wie dir, die sehr im Dienst stehen oder viel zu tun haben, wie Pastoren oder Bibelschullehrer, die nebenbei noch gefühlt fünf Projekte haben. Dass man trotzdem noch flexibel bleibt für Gott.
Das ist gerade das Interessante: Man kann im Dienst betriebsblind werden.
Hundertprozentig. Ich weiß nicht, wir hatten mal darüber gesprochen, dass man vielleicht darum betet, sich im Geist wandeln zu lassen und sich leiten zu lassen. Aber dann schaut man morgens auf den Kalender: „Okay, ich habe jetzt bis 16 Uhr das, dann den Termin, dann noch den nächsten, dann Kirche und abends noch das.“ Und dann wundern wir uns manchmal, warum wir nichts erleben oder wie auch immer.
Dabei lassen wir Gott gar keinen Platz. Gott möchte manchmal dazwischenfunken.
Ich bin schon dafür, den Tag zu organisieren. Ich stehe nicht morgens auf und weiß nicht, was ich tun soll. Aber im konkreten Fall sollte ich auch entscheiden können: Diese Sache kann aufgeschoben werden. Da fällt nicht gleich jemand tot um, wenn ich das nicht mache. Und dann sollte ich die Freiheit haben, zu spüren, was jetzt von Gott dran ist.
Gleichzeitig sollte ich auch merken, wo nur ein Zeitfresser ist, der mir Zeit wegnimmt und nicht sein muss. Dafür braucht es die Verbindung zu Gott. Im Moment kurz zu beten und zu sehen: Wo ist jetzt eine Antwort? Soll ich das jetzt machen oder nicht?
Da stimme ich dir vollkommen zu: Diese Flexibilität brauchen wir.
Ich finde die übrigens auch bei Jesus spannend. Zum Beispiel, als er die Frau am Jakobsbrunnen trifft. Er richtet sein Angesicht nach Jerusalem, ist mit den Jüngern unterwegs und will dorthin. Plötzlich trifft er die Frau am Jakobsbrunnen, redet mit ihr und plant um.
Dann bleibt er mehrere Tage in Sychar und unterrichtet die Leute, weil sie gerade offen sind. Da würde ich sagen: Ja, genau so ist es. Jesus hatte einen Plan, aber wenn etwas anderes Wichtiges dazukommt, ist er bereit, den Plan zu ändern.
Ich glaube, das sollten wir auch tun. Ich bemühe mich darum. Ich weiß nicht, ob es immer klappt, aber manchmal habe ich den Eindruck: Genau, jetzt hat es geklappt.
Manchmal ist es am Ende des Tages natürlich auch unbefriedigend, weil ich im Kopf habe, dass ich eigentlich noch dies und das erledigen wollte, aber nicht dazu gekommen bin. Dann muss ich mich bewusst daran erinnern: Ja, aber da war diese wichtige Sache, und das war auch wichtig. Und das andere kann auch mal einen Tag warten.
Jetzt, wo du sagst, dass Jesus, wie in allem, das perfekte Vorbild ist, habe ich mir das auch einmal gedacht. Das war bei einer anderen Szene. Ich weiß nicht genau, was das war.
Die Jünger waren irgendwie den ganzen Tag mit Jesus unterwegs oder sie fuhren gerade über den See. Irgendwo stand dann, dass Jesus fragen wollte, wie die Reisen bei ihnen gelaufen sind oder wie es mit den Reden war.
Ich stelle mir das so vor, dass sich der Meister jetzt mit seinen Schülern zurückzieht. Es entsteht eine gute Atmosphäre der Reflexion, in der man ankommen kann. Jeder berichtet, man stärkt sich gegenseitig – so ein bisschen Hauskreis-Feeling.
Ich kann mir richtig vorstellen, wie ich als Jünger darauf gebrannt hätte, dass das jetzt passiert. Dann kommen plötzlich irgendwelche Leute. Ich kann mir innerlich vorstellen, wie man als Jünger denkt: „Jetzt komm, wir wollen doch jetzt unsere Zeit haben!“ Und Jesus? Man sieht ihm gar nicht an, dass er gestresst oder genervt ist oder aus dem Konzept gerät.
Ich weiß nicht, ob er das Gespräch mit den Jüngern später nachgeholt hat. Auf jeden Fall merkt er in dem Moment, dass jetzt etwas anderes dran ist. Dann kümmert er sich um die Menschen.
Das ist wahrscheinlich eine große Herausforderung für jeden von uns. Dem einen fällt das etwas schwerer, weil es Menschen gibt, die sehr gut organisiert und auch perfektionistisch sind. Die müssen lernen, dass gute Vorbereitung super ist, aber man immer offen bleiben muss, dass Gott dazwischen sprechen kann.
Jakobus sagt das ja auch: Man soll nicht sagen: „Im nächsten Jahr werden wir das und das tun.“ Sondern man soll sagen: „Wenn Gott will, werden wir das und das tun.“ Also klar, wir planen auch langfristig. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Gott immer noch das Recht hat, dazwischenzugrätschen.
Er kann etwas verändern und uns plötzlich vor Herausforderungen stellen, die gerade dran sind. Das kann dazu führen, dass ein Tag oder sogar ein ganzes Jahr anders läuft, als wir es uns vorgestellt haben. Das muss nicht unbedingt negativ sein.
Zum Beispiel habe ich manche Dinge während Corona als positiv erlebt. Die Zeit hat mich gezwungen, vieles neu zu denken und anders zu machen. Plötzlich war mein ganzer Terminkalender über den Haufen geworfen. Alle Einladungen und Termine fielen weg.
Ich habe nicht einfach nur zu Hause gesessen und den Kopf in den Sand gesteckt, weil alles so schlimm war und hoffte, es geht bald vorbei. Stattdessen habe ich gebetet und überlegt: „Was ist jetzt dran?“
Plötzlich gab es viele Dinge, die ich tun konnte, für die ich vorher keine Zeit hatte. Dafür war ich manchmal sogar Gott dankbar. Sehr dankbar, dass er es so gemacht hat.
Natürlich haben manche Leute unter der Situation gelitten, und manchmal war es auch nervig. Aber zu sehen, dass Gott nicht entglitten ist, sondern dass alles im Plan Gottes enthalten ist, hat mir geholfen.
Ich habe überlegt, was Gott mir dadurch Positives vermitteln kann. So habe ich plötzlich einige Dinge entdeckt, die ich heute noch lese, jetzt wo du das so sagst. Dass das alles irgendwie seinen Sinn hatte.
Ich lese gerade „Gott im Leid begegnen“ von Tim Keller. Im ersten Teil vergleicht er verschiedene Kulturen und stellt heraus, dass das Christentum am sinnvollsten ist.
Buddhisten und Stoiker sagen ja einfach: Akzeptiere das Leid, es ist wie es ist. Ein emotionsloser Logos regiert den Kosmos, und man soll das einfach hinnehmen. Aber diese Haltung befriedigt die Menschen nicht.
Im Christentum haben viele Menschen Zuflucht gefunden. Tim Keller sagt ganz konkret: Leid hat einen Sinn. Das ist für mich eines von vielen Beispielen, was Corona vielleicht doch für einen Sinn gehabt haben könnte.
Wir müssen uns nicht darüber freuen. Aber zu merken, dass Gott etwas erreichen will und dafür offen zu sein, kann solche Phasen im Leben bereichernd machen.
Sie sind einerseits mühsam, aber zugleich bereichernd. Wenn wir am Ende zurückblicken, können wir vielleicht sogar sagen: „Wow, das war eine segensvolle Zeit mit Gott.“ Auch wenn wir sie uns nicht ausgesucht haben.
Wenn Gott uns gefragt hätte, hätten wir wahrscheinlich dankend abgelehnt. Aber er hat sie uns zugemutet.
Solche Erfahrungen sind vergleichbar mit dem Auszug aus Ägypten, wie wir ihn in der Bibel lesen. Im Nachhinein lässt sich das alles schön lesen und man denkt: „Wow, was für eine Erfahrung!“
Manna vom Himmel, Wachteln vom Himmel, Wolkensäule, Feuersäule – das ist beeindruckend. Aber zwischendrin war es richtig mühsam: Bedrohung durch andere Völker, Hunger, Angst vor der Zukunft.
Wenn du zurückblickst, merkst du: Das war eine Zeit, in der Israel Gott ganz besonders hautnah erlebt hat. Weil sie immer wieder darauf angewiesen waren.
Noch ein, zwei persönliche Dinge. Mit dir ist man ja so schnell im Thema, Michael, aber uns interessieren noch zwei, drei andere Sachen.
Die eine Sache ganz kurz: Es kursieren Gerüchte, du seist mit Otto Walkes verwandt. Stimmt das? Kannst du dazu etwas sagen?
Jetzt könnte ich verschiedene Antworten geben. Erstmal könnte ich sagen: Über Adam sind wir ja mit allen verwandt. Also bin ich auch mit dem großen Napoleon und was weiß ich noch alles, nur viele, viele Ecken entfernt. Aber das ist wahrscheinlich nicht das, was du meinst.
Genau, ich meine das andere. Du meinst etwas direkter.
Etwas direkter, das stimmt. Und zwar ist Otto Walkes, den einige hier als Komiker, Unterhaltungskünstler und für seine Komödien kennen, der Cousin meiner Mutter. Das heißt, meine Mutter ist mit ihm zusammen in Emden aufgewachsen. Meine Mutter kommt aus Emden, und dort waren beide auch zusammen in einer Gemeinde.
Otto Walkes war als junger Mann in der Baptistengemeinde in Emden, hat dort die Jugendgruppe besucht, hat gläubige Eltern und hat das Evangelium gehört – unter anderem auch durch meine Mutter und andere Verwandte. Er kommt also aus einem frommen Hintergrund.
Allerdings hat er sich als junger Mann davon distanziert und dann seine Karriere gemacht. Er ist von Emden nach Hamburg gezogen, wo er heute prinzipiell noch wohnt. Man muss schon sagen, dass er sich vom Glauben distanziert hat. Das war in den Anfangsjahren noch deutlich krasser.
In den Anfangsjahren hat er sich auch richtig lustig gemacht, zum Beispiel in seinen Auftritten, über Glaubenssachen. Das hat er in den letzten Jahren nicht mehr getan. Da ist das wohl abgearbeitet, und er muss sich nicht mehr so davon distanzieren.
Insofern stimmt das also: Ja, wir sind etwas näher verwandt als nur über Adam und Eva. Etwas näher als ich zum Beispiel.
Ja, genau, richtig.
Du bist auch Autor. Übrigens, passenderweise liegt hier gerade dein Buch „Helden des Glaubens“ auf dem Tisch. Du hast ja drei Bände geschrieben. Ich mache schon mal kurz Werbung dafür: Du beleuchtest viele Biografien in einem Band. Du fängst, glaube ich, immer im zweiten Jahrhundert an und gehst bis zum zwanzigsten Jahrhundert. Also es sind sozusagen Kurzbiografien.
Das ist ja bewusst der Gedanke dahinter, denn viele Leute haben nicht die Energie, Kraft oder Zeit, sich ausführlich mit den einzelnen Lebensgeschichten zu beschäftigen. Es ist nicht so einfach, wie es in der Bibliothek vielleicht den Anschein hat. Die Biografien sind keine naturwissenschaftlichen Abhandlungen, sondern es geht um gläubige Menschen, deren Glaube in ihrem Leben und Arbeiten eine Rolle gespielt hat. So können wir ermutigt werden.
Bisher sind drei Bände erschienen, und ich arbeite jetzt am vierten Band.
Wow, du machst sogar einen vierten Band?
Ja, es gibt noch einige ganz tolle Persönlichkeiten. Man könnte wahrscheinlich noch einige Bände füllen. Ich habe noch ein paar Ideen und recherchiere immer weiter. Es gibt viel, viel mehr Menschen, bei denen ich denke, dass es sich lohnt, über sie zu schreiben. Aber ich muss eine Auswahl treffen. Dabei achte ich auch auf eine gewisse Verschiedenartigkeit.
Ich habe zum Beispiel Personen aus Deutschland, der Schweiz, Skandinavien, England, Amerika und Indien aufgenommen. Das soll auch deutlich machen, dass der christliche Glaube international ist. Christlicher Glaube ist nicht nur an eine Konfession gebunden. Es gibt nicht nur Mennoniten, die gläubig sind, sondern auch viele andere Menschen, die gläubig sind.
Dabei ist es spannend zu sehen, wie Menschen aus unterschiedlichen Konfessionen wirklich Jesus nachfolgen wollten – aus verschiedenen Jahrhunderten und Nationalitäten. Das finde ich eine ganz tolle Sache, weil es so vor Augen führt, wie breit das Reich Gottes angelegt ist – sowohl über die Zeit hinweg als auch über die Nationalitäten hinweg.
Neben dem Schreiben liest du ja auch viel, und du hast mit Sicherheit schon einiges gelesen. Du sagst, du liest sogar immer noch viel. Wie viele Bücher würdest du grob sagen, hast du in deinem Leben gelesen? Vielleicht nicht auf zehn oder hundert genau, aber hast du da eine ungefähre Vorstellung?
Nö, null Ahnung. Also, es sind viele. Und jetzt kommt es ja immer darauf an, was ich als Buch zähle. Im Augenblick bin ich gerade dabei, eine Autobiografie von Peter Cartwright zu lesen. Das sind vierhundert Seiten, relativ eng geschrieben. Das ist natürlich ein bisschen mehr.
Dann gibt es andere Bücher, die lese ich relativ schnell. Manche lese ich auch, weil mich jemand fragt: „Michael, was denkst du dazu?“ Ich schaue mir das Buch an, blättere ein bisschen darin und merke dann, dass ich nicht jede Seite lesen muss. Trotzdem weiß ich, was der Autor sagen möchte. Also ist das Lesen unterschiedlich intensiv.
Bei manchen Büchern lese ich auch nicht alles, sondern nur die Kapitel, die mich interessieren. Aber es sind wirklich sehr viele Bücher.
Über viele Jahre hinweg hatten wir ein großes Bauernhaus, als die Kinder klein waren. Dort hatte ich das Privileg, eine ganze Bibliothek einzurichten – einen großen Raum nur für Bücher. Das war ein Traum. Ja, das war wirklich eine tolle Sache.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich ungefähr zwölftausend Bücher. Nicht alle in diesem Raum, aber insgesamt. Als die Kinder alle groß waren, das ist jetzt etwa fünf Jahre her, sagte meine Frau: „Michael, das ist alles zu groß.“ Da hat sie irgendwie recht, muss ich sagen. Wir brauchen zu zweit kein so riesiges Haus mehr.
Also sind wir umgezogen. Das bedeutete, ich musste mich von mehr als der Hälfte meiner Bücher trennen. Das war eine richtig schwere Angelegenheit und hat mir sehr wehgetan.
Deshalb hat sich meine Büchersammlung jetzt sehr reduziert. Wenn du jetzt bei mir zu Hause wärst, würdest du sehen: Mein Büro ist jetzt im Kellerraum, nicht mehr im Haus. Dort stehen immer noch viele Bücher. Auch mein Büro an der Bibelschule ist voll mit Büchern.
Aber es sind eben keine zwölftausend mehr, sondern insgesamt vielleicht noch viertausend oder fünftausend – irgendwas in der Größenordnung.
Da ist die nächste Frage: Du hast so viel im Kopf, also so viel, was du liest. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich dich das erste Mal kennengelernt habe, aber auf jeden Fall Philipp Braun – der ist ja jetzt bei euch. Ich habe mit ihm zusammen mal bei euch reingeschnuppert für zwei, drei Tage. Da war ich bei dir in Kirchengeschichte in der dritten Klasse. Du hast über Nationalismus und Rationalismus gesprochen – gepredigt, sage ich schon –, also geredet, gelehrt, also Hanak, liberale Theologie, David Strauss und so, Hegel und ja. Du standest da zwei Stunden ohne Skript, und im Gottesdienst auch wieder. Wie machst du das? Wie merkst du dir das alles?
Ja, hier kommen wahrscheinlich zwei Sachen zusammen oder noch viel mehr. Also die eine Sache ist einfach Erfahrung. Das ist ganz klar, wenn ich jetzt schon seit sehr, sehr vielen Jahren unterrichte. Eigentlich habe ich angefangen, mich in der Gemeinde zu engagieren und richtig mitzuarbeiten, als ich gläubig geworden bin, das heißt mit 14 Jahren.
Wenn ich mich zurückerinnere, ich glaube, ich hatte dann in der Gemeinde die erste Predigt gehalten, worüber ich bis heute staune, dass die Gemeinde so mutig gewesen war, mich da dran zu lassen. Ich glaube, ich war sechzehn oder so.
Da hattest du deine erste Predigt. Krass!
Ja, genau. Wo ich sage, das würde ich mir wirklich überlegen. Aber irgendwie haben die Gemeinden, die Ältesten, gedacht: Ja, der Michael kann das. Die haben etwas in mir gesehen.
Ja, und dann habe ich schon zu dem Zeitpunkt, ich war auch 16, 17 oder so, die Leitung des Büchertisches in der Gemeinde übernommen. Und zwar, weil ich damals schon viel gelesen habe. Ich habe gedacht, okay, das kann der Michael machen. Da war immer ein Bruder, der hat doch darauf geschaut, dass das alles gut gelaufen ist und so.
Also das heißt, ich habe im Laufe der Zeit viel Erfahrung sammeln können. Das ist eine Sache. Und glücklicherweise habe ich viele Sachen behalten, also nicht alles wieder vergessen, was ich da mal gelernt habe. Das ist ein Vorteil.
Also das ist die eine Sache. Eine andere Sache – das kann man ja trainieren, indem man sich einfach einsetzt und Sachen merken will und systematisch daran arbeitet. Das ist eine Sache.
Und eine andere Sache, die kann man halt nicht lernen – das ist einfach Begabung. Da muss ich sagen: Ja, okay, ich glaube schon, ich habe eine gewisse Begabung, mehr Sachen merken zu können, auch Zusammenhänge herstellen zu können, die Sachen nicht so schnell zu vergessen. Und das hat nicht jeder.
Wenn man es nicht hat, soll man es nicht probieren zu machen. Dann gibt es nur ein großes Durcheinander.
Wenn man merkt, dass man die Begabung hat, dann sollte man das trainieren und einsetzen, weil man das für seinen Dienst und für die Ehre Gottes und was weiß ich da alles einsetzen kann. Dann kann das eine große Hilfe sein.
Toll, das machst du auf jeden Fall.
Ich probiere das, ja. Ä…
Ich überlege gerade, was ich dich als nächstes fragen wollte. Genau, eine Frage, die uns erreicht hat. Das ist jetzt ein bisschen ein bunter Mix. Ich frage mich noch, ob wir zum Schwerpunkt Kirchengeschichte mit Schwerpunkt Mission kommen.
Eine Frage war: Inwiefern sollen wir Werbung benutzen, um zu evangelisieren? Also Dinge sagen wie: „Jesus wird dich heilen, die Depression, die Ängste, die Sorgen nehmen dich von deinen Lasten frei“, also Dinge, die gut und richtig sind. Aber inwiefern sollte das Mittel der Evangelisation sein oder auch nicht?
Ich glaube, es ist durchaus erlaubt, so etwas zu sagen. Zum Teil gibt es ja auch biblische Aussagen, die das bestätigen. Allerdings sollten wir uns von der Idee freimachen, dass das Menschen in erster Linie dazu bewegt, Christ zu werden. Denn dann werden wir hinterher ganz viele falsche Bekehrungen haben.
Das ist genau dasselbe wie schon zur Zeit Jesu. Als Jesus die Fünftausend gespeist hat, war große Begeisterung. Aber was war mit den Leuten am nächsten Tag, als sie wieder Brot hatten? Da sagt Jesus: „Nein, jetzt gibt es nicht mehr.“ Und was passiert dann? Alle sind weg, es ist nicht mehr interessant.
Oder als er die zehn Aussätzigen heilte. Das ist doch ganz typisch: Die zehn Aussätzigen sind geheilt, alle sind begeistert, einer kommt und sagt danke, aber keiner bekehrt sich, keiner kehrt um.
Viele Leute haben den Eindruck, wenn ich alles Mögliche verspreche, dann werden die Leute Christen. Nein, die Leute wollen gerne reich werden, gesund werden, glücklich sein und was weiß ich. Aber Christ werden heißt ja gerade, ich muss mich demütigen.
Der Kern der Botschaft der Bibel ist ja genau das Gegenteil: Wie ich mein Leben mache, und jetzt kommt Gott und segnet das noch ab und gibt mir Erfolg. Und das tut ja gerade weh.
Da sollten wir, glaube ich, aufpassen. Selbst bei den Dingen, wo die Bibel uns deutlich sagt, dass Gott uns segnen will, dass er auch eingreift, heilt und unsere Sorgen abnimmt, gilt das. Allerdings müssen wir aufpassen, dass wir den anderen Teil dessen, was auch in der Bibel steht, nicht weglassen.
Da sagt Jesus deutlich: „Mich haben sie verfolgt, euch werden sie auch verfolgen.“ Zum Beispiel. Oder: „Selig seid ihr, wenn sie euch um meines Namens willen verfolgen.“ Und so weiter. Da gibt es viele solcher Aussagen.
Wenn wir uns das Leben der ersten Jünger anschauen, dann wurde keiner von ihnen reich. Keiner von ihnen hat endlos lang gelebt. Nur Johannes ist alt geworden, die anderen sind alle relativ früh gestorben.
Da merken wir, dass das nicht so ist, wie es manchmal dargestellt wird. Es wird manchmal geschönt, und das kann hinterher wie Bauernfängerei wirken. Das heißt, wir versprechen den Leuten etwas, und sie erleben es hinterher nicht so. Sie halten uns für Betrüger oder sind von Gott enttäuscht.
Oder sie folgen Gott nur, weil er ihnen irgendwelche Geschenke gibt. Wenn die Geschenke nicht mehr kommen, werfen sie es über Bord. Das ist kein stabiler Glaube.
Der stabile Glaube soll ja auch gerade aushalten, wenn es mal im Leben schiefgeht, wenn Verfolgung kommt, wenn Leiden da sind, wenn du krank wirst, wenn du alt wirst, wenn es nicht so läuft. Das ist ganz normal im Leben der Christen mit drin.
Christen sind nicht durchschnittlich wesentlich älter oder gesünder als andere Leute. Wir haben mit ganz ähnlichen Dingen zu kämpfen wie ein ungläubiger Mensch auch. Jetzt sollen wir aber unterschiedlich damit umgehen. Das ist der entscheidende Punkt.
Ich kenne verschiedene Christen aus Gemeinden, die regelmäßig predigen: „Wenn du nur glaubst, wirst du immer gesund werden.“ Das Fatale ist, dass das auch in diesen Gemeinden nicht klappt. Die Leute werden nicht älter oder gesünder als andere.
Nur wird immer so getan, als ob es so ist. Dann wird jede Erholung von der Grippe gefeiert als Heilung Gottes. Ich finde es zwar toll, wenn man Gott die Ehre gibt, aber vielleicht sollte man auch ein bisschen auf dem Boden bleiben.
Viele Leute, die total ungläubig sind, werden von Krebs geheilt. Bei manchen Krebsarten ist die Heilungsquote 80 Prozent, egal ob du gläubig bist oder nicht. Klar, du kannst mitbeten, das ist super. Aber ich würde realistischer bleiben und Leuten nicht den Glauben verkaufen als das, was er nicht ist.
Der christliche Glaube ist keine Heilungsreligion, keine Reichtumsreligion oder Glücksreligion. Ich glaube, dass Gott das Leben erfüllen wird wie nichts anderes. Aber erfüllen heißt nicht, dass ich dabei immer zufrieden bin, ständig lache oder dass alles gelingt, was ich anpacke.
Deshalb würde ich warnen, so stark damit zu werben. Es kann eine ganz falsche Motivation auslösen oder Enttäuschung verursachen. Und es ist nicht das, was Jesus gepredigt hat.
Bei Jesus ist eher die Botschaft: Erkenne, dass du schuldig bist. Oder manchmal auch ganz harte Sachen, wie beim reichen Jüngling: „Gib alles weg und folge mir nach.“ Der war hinterher nicht reicher, sondern viel ärmer, hätte er es gemacht.
Dann sind wir auch schon wieder beim Prosperity Gospel. Oder Zachäus: Er war superreich, wurde gläubig, und Jesus musste ihm nicht sagen, dass er alles weggeben soll. Aber einen großen Teil gab er weg für die Armen und zahlte zurück, was er betrogen hatte.
Da zeigt uns Jesus: Deine Gesundheit und dein Reichtum sind okay, wenn du sie hast. Aber das ist nicht das, was wirkliche Erfüllung und inneren Frieden gibt.
Auf jeden Fall nehme ich aus deiner Antwort mit: Weniger solche Versprechen in erster Linie nennen, wenn man mit Nichtchristen spricht.
Was du meintest, ist mir auch bekannt: diese Art der Bibelauslegung oder Predigt. Ich finde das so hart, weil ich das Gebet und den Glauben liebe zu betonen. Das ist super wichtig, und wir unterschätzen das.
Jesus selbst sagt: Du brauchst nur einen Glauben wie ein Senfkorn. Andererseits vom Pferd zu fallen und zu sagen: „Leute, ihr müsst nur glauben, dann werdet ihr gesund“, das finde ich hart.
Vor allem, was machst du dann, wenn Schwester XY oder Bruder so und so nach einer Zeit immer noch krank sind? Was machst du dann als Prediger oder Ältester? Da kommt regelmäßig der Vorwurf: „Du glaubst zu wenig.“
Dann musst du denen ja sagen: „Entschuldigung, du glaubst gar nicht genug.“ Das ist hart und nicht geistlich.
Der Grund, warum wir leiden, kann ganz unterschiedlich sein. Denken wir nur daran, als Jesus zu den Blindgeborenen kam. Da fingen die Leute an zu rätseln: Wer hat gesündigt? Er oder die Eltern? Oder hat der Blinde zu wenig geglaubt?
Gar nichts davon. Der Blinde hatte nicht zu wenig geglaubt und war auch nicht sündig. Er war einfach blind, damit Gott ein großes Wunder tun kann.
Die Ursachen für Leiden können ganz unterschiedlich sein. Sie müssen nicht Sünde sein, können es aber natürlich auch.
Deshalb sollten wir darauf achten, und ich glaube, wir sollten den Leuten nicht zu viel versprechen.
Aber genau wie du sagst, was ich schon immer wieder tue, auch bei Leuten, die nicht gläubig sind: Wir können Gott unsere Sorgen sagen, und das kann allein schon erleichtern.
Das Gebet macht einen Unterschied, ganz klar. Manchmal erleben auch ungläubige Leute, dass Gott eingreift – vielleicht anders, als sie es sich vorstellen. Und manchmal passieren wirkliche Wunder.
Aber ich pushe sie nicht erst auf. Ich mache keine riesigen Versprechungen, hinterher sind sie enttäuscht.
Ich sage ihnen: Gott ist unser Vater, und wir können ihm unsere Sorgen sagen. Er hört zu.
In meinem eigenen Leben habe ich immer wieder erlebt, wie Gott Wunder getan hat, auch total gehandelt hat, wie ich es gar nicht erwartet hätte oder wie es nicht zu erwarten war.
Aber Gott ist nicht verpflichtet, das jedes Mal zu tun. Wir haben keine Magiereligion, in der wir nur die richtigen Zaubersprüche aussprechen müssen, damit Gott alles tut, was wir uns wünschen.
Glücklicherweise ist das nicht so. Das wäre auch tragisch, weil wir uns manchmal Dinge wünschen, die für uns gar nicht gut sind.
Mancher wünscht sich, reich zu werden, und durch den Reichtum verliert er den Glauben, wird übermütig, undankbar oder sonst was.
Oder Paulus, der durch seine Krankheit, den „Pfahl im Fleisch“, seine Nähe zu Gott behalten hat. Sonst hätte er die Gefahr gehabt, überheblich zu werden.
Wir sehen: Gott ist in seiner Weisheit viel klüger als wir. Deshalb gibt er uns manche Dinge nicht, weil sie für uns im Moment nicht dran sind.
Wir wissen manchmal selbst nicht, was uns gut tut. Wir denken nur, es zu wissen.
Das ist auch eine Sache, bei der ich mich neulich wieder fangen musste. Ich bete und bete, und irgendwann frage ich mich: „War das noch im Willen Gottes? Ist das alles noch so gut?“
Das ist wahrscheinlich auch so eine Sache: Wir Christen sollten uns öfter mal fragen, ob wir noch im Willen Gottes beten oder nur unsere Wunschlisten runterbeten.
Vor einiger Zeit habe ich wieder eine Biografie von Georg Müller gelesen. Er hat häufig für kranke Leute gebetet, aber zuerst hat er zu Gott gebetet: „Soll der gesund werden oder nicht?“
Bei manchen Leuten hat er sich geweigert, für sie zu beten, weil er den Eindruck hatte, dieser Mensch soll krank bleiben oder sogar sterben.
Wir müssen sehen: Klar, wir Christen werden alle sterben, und irgendwann wird eine Krankheit zum Tod führen.
Das ist eine herausfordernde Sache, genau das, was du sagst: Im Willen Gottes zu beten.
Georg Müller hat aber auch für Leute gebetet, bei denen er ziemlich sicher war, dass Gott will, dass sie gesund werden. Und die sind gesund geworden.
Das heißt, erst mal klar zu sehen: Ist das überhaupt dran?
Manche Christen verteilen ihre Glückwünsche mit „Du sollst wieder gesund werden“ an jeden, weil sie es gut meinen.
Klar wünsche ich auch jedem, dass er gesund wird. Aber erst einmal zu beten: Ist das überhaupt dran?
Dann diese Sensibilität zu Gott zu haben, dass ich erkenne, ob es dran ist, ob Gott will, dass er gesund wird oder nicht.
Manchmal werde ich wahrscheinlich ohne Antwort bleiben.
Aber Georg Müller berichtet, dass ihm manchmal richtig klar wurde: Hier will Gott gesund machen, und an einer anderen Stelle will Gott nicht gesund machen.
Dann sagt er den Menschen auch nicht: „Ich bete dafür, dass du gesund wirst“, sondern er betet dafür, dass sie Kraft bekommen, beständig bleiben, den Mut nicht aufgeben oder Ähnliches.
Heftig, das finde ich bei Georg Müller sowieso beeindruckend. Zum Beispiel wusste ich gar nicht, was du gerade erzählt hast: diese Weisheit, erst zu überlegen, ob etwas überhaupt dran ist, statt direkt zu sagen, „Ich glaube, Gott wird dich heilen.“
Andererseits ist Georg Müller auch so jemand, der ein echter Glaubensheld ist – um das Wort mal treffend zu verwenden. Er hatte, ich weiß nicht genau, über 35 dokumentierte Gebetserhörungen oder so.
Genau, und er gründete vier Waisenhäuser, später sogar fünf. Diese Häuser wurden buchstäblich auf dem Boden gestampft. Die Geschichten rund um die Waisenhäuser sind ziemlich bekannt und populär.
Eine Geschichte, die ich gar nicht kannte – ich glaube, ich habe sie irgendwo gelesen oder gehört – handelt davon, dass Georg Müller auf einem Schiff unterwegs war. Ein Sturm zog auf, und der Kapitän meinte zu ihm, es tut ihm leid, aber es sehe wohl so aus, als würde er seinen Termin nicht rechtzeitig erreichen. Das Wetter sei schlecht.
Georg Müller ließ sich davon überhaupt nicht aus der Fassung bringen. Er sagte so etwas wie: „Komm mal mit, Freundchen.“ Dann gingen sie zusammen ins Kajütenzimmer, schlossen die Tür und beteten. Georg Müller dachte: „Nein, ich werde diesen Termin nicht verpassen. Ich habe seit 40 Jahren keinen Termin verpasst“, glaube ich, sagte er.
Nachdem sie gebetet hatten, öffnete der Kapitän die Tür, und es herrschte strahlender Sonnenschein und ruhige See. Genau, das stimmt.
Was beeindruckend ist: Hier ist keine Magie am Werk, weil man sich etwas wünscht. Sondern es ist dieses Vertrauen darauf, dass wir einen Gott haben, dem alles möglich ist. Wenn es von Gott gewollt ist, lassen wir uns nicht so schnell von äußeren Umständen entmutigen.
Das heißt, wir beten nicht einfach etwas herbei, weil wir es uns wünschen, sondern weil wir wissen, dass es im Willen Gottes liegt. Wenn ich weiß, dass ich im Willen Gottes bin, kann ich gelassener und mutiger an Situationen im Alltag herangehen.
Gerade hier ist Georg Müller eine ziemliche Herausforderung für uns. Auch wenn nicht jeder von uns dieselbe Aufgabe von Gott bekommen hat, ermutigen uns solche Menschen, das im Kleinen umzusetzen.
Ich hätte noch eine Frage an dich, was das praktische Reden über Jesus angeht. Das war ja die erste Frage bezüglich Werbung machen, und jetzt hast du vielleicht Tipps oder Hinweise, worauf man achten sollte und worauf man sich einstellen sollte, gerade in intellektuellen Kreisen. Da sind zum Beispiel auch einige Leute am Studieren. Ich bin zum Beispiel auch an der Uni. Wie geht man da um? Hast du vielleicht Tipps und Tricks und gerne auch persönliche Erfahrungen, die du in diesem Klientel mit uns teilen kannst?
Zweifellos, jetzt ist die Frage, wie viele Stunden wir Zeit haben, darüber zu sprechen. Das ist immer das Problem. Ich nehme dich beim Wort: Du musst noch öfter kommen, denn ich will noch einen Apologetik-Podcast mit dir machen und zu drei anderen Themen. Versuch, dich gut zu fassen.
Also, wie rede ich jetzt mit Leuten, die intellektuell drauf sind? Ich habe da selbst einige Erfahrung, weil ich neuneinhalb Jahre an der Uni im Studium war, auch durchaus mit großer Begeisterung. Ich wäre auch noch ein paar Jahre geblieben, weil es noch ein paar Fächer gäbe, die ich gerne studiert hätte. Aber irgendwann habe ich gesagt: Jetzt ist genug, jetzt muss es mal umgesetzt werden. Seitdem studiere ich mehr, indem ich Literatur lese, Seminare besuche oder sonst irgendetwas, also mich da weiterbilde.
Erstens muss man sehen, es gibt verschiedene Personengruppen, mit denen wir zu tun haben. Leute an der Uni sind eine besondere Personengruppe, weil sie sich in einer besonderen Lebensphase befinden und sich meist stark mit intellektuellen Themen auseinandersetzen. Meine Erfahrung ist auch, da ich in verschiedenen Studiengängen in vielen Bereichen gewesen war, dass es einen großen Unterschied macht, ob du mit einem Philosophiestudenten oder mit einem Maschinenbaustudenten redest. Die Art des Studiums prägt das Denken ganz stark.
Philosophiestudenten lieben es, sich reden zu hören. Sie meinen oft, sie seien die Herren der Welt, hätten den Durchblick, und alle anderen nicht. Allein wie sie sich kleiden, was sie trinken und welche Musik sie hören – das ist eine ganz besondere Szene. Dagegen sind Leute in anderen Studiengängen total anders drauf. Das heißt, der Charakter bestimmt schon ein bisschen, für welchen Studiengang du dich interessierst, und das Studium fördert diese Eigenarten noch.
Generell muss man vor Augen haben: An der Universität sind die meisten Leute das erste Mal richtig weg von zu Hause. Das macht etwas aus. Sie sind offen für Neues, für Experimente, wollen etwas ausprobieren und das Leben genießen. Die meisten sind jung und haben noch nicht viel Lebenserfahrung, dafür aber viele frische Ideen. Wenn du jung bist und etwas erreichen willst, machst du das nicht nur an der Uni, weil du sonst nichts Besseres zu tun weißt, sondern du hast Pläne und willst Dinge besser machen.
Meistens hast du in dieser Phase den Eindruck, dass die Leute, die vor dir gelebt haben, nicht den Durchblick hatten. Warum ist alles so schiefgelaufen? Je nachdem, wie du ausgerichtet bist, hast du entweder eine geniale Idee, wie Physik revolutioniert werden kann, oder wie man den Hunger der Welt abschafft. Viele junge Leute, nicht alle, sind Idealisten, die wirklich etwas erreichen wollen. Das sind meist die Erfolgreichen, weil sie sich sehr investieren. Im Studium gibt es auch diejenigen, die nur das Minimum machen und den Rest der Zeit mit Zocken, Computer oder Feiern verbringen. Die erreichst du an einer anderen Stelle.
Du musst zuerst herausfinden, zu welcher Gruppe dein Gesprächspartner gehört: Studiengang, Persönlichkeit, ist er eher der Feiertyp oder der Idealist? Dann geh darauf ein. Viele Dinge, die Leute machen, sollten wir nicht zu schnell verurteilen. Wenn du als Christ da hinkommst und es ernst nimmst, kannst du schnell denken: „Boah, das ist ja alles Sünde, die da abläuft.“ Unter manchen Hochschulen ist das so. Manche finden Sünde sogar noch toll und feiern sie. Da musst du darauf achten, nicht darauf zu fokussieren, sondern sehen, dass viele sich ausprobieren wollen. Manche sind genervt, manche wollen sich abgrenzen von den Eltern, aber es ist eine prägende Phase.
Diese Phase ist auch geprägt von Offenheit für Diskussionen. Da kann sich viel bewegen. Deshalb ist Offenheit für kontroverse Diskussionen wichtig, aber nicht zu schnell einknicken. Beziehe deutlich Position, verteidige sie, aber überlege genau, über welche Themen es sich lohnt zu diskutieren und über welche nicht.
An den meisten Unis ist es zum Beispiel aussichtslos, über Gender zu diskutieren. Das ist oft ideologisch festgelegt. Da kommst du nur in eine Sackgasse, und viele denken, „wieder die blöden Christen gegen alles“. Das bringt wenig. Lieber über konkrete Sachen reden. Wenn du Philosophiestudenten oder Geisteswissenschaftler hast, kannst du zum Beispiel darüber reden, woher überhaupt festes Wissen kommt und wie wir überhaupt etwas sicher wissen können. Das klingt gar nicht religiös, ist aber im Kern hochreligiös.
Denn am Ende müssen wir eingestehen, dass richtig festes Wissen gar nicht so einfach ist. Und wir merken, dass der Glaube gar nicht so weit entfernt ist von diesem wirklich festen Wissen. Um Leuten zu helfen, zu reflektieren, wo sie noch bereit sind, nicht so festgefahren sind, und sich mit den grundlegenden Fragen des Lebens auseinanderzusetzen.
Oder du hast einen Studenten, der nicht nur ans Trinken und Feiern denkt, sondern sich fragt: Was ist eigentlich Leben? Dann merkst du, das ist gar nicht so einfach. Oder: Was ist Glück? Oder: Was ist echte Freiheit? Das klingt philosophisch. Manche sagen: „Ich bin doch frei“, aber sind eigentlich Gefangene ihrer Lust. Das ist ein gutes Thema: Freiheit. Sie sagen: „Ich tue nur, was ich will.“ Aber dann bist du nicht frei. Deine Lust diktiert dir, du bist nicht besser als ein Tier. Da kannst du Leute provozieren und herausfordern.
Man muss immer bedenken, dass Leute an der Uni nicht nur Intellektuelle sind. An der Uni denken viele, sie begreifen alles nur über den Verstand. Aber diese Leute sind genauso im Alltag drin. Wenn sie krank werden, spielt das Intellektuelle keine Rolle mehr. Oder wenn sie von Reinkarnation hören, zeigen sie plötzlich Offenheit, obwohl Reinkarnation widersinnig ist. Nicht alles, was Leute sagen, entspricht der Realität. Wenn sie intellektuell tun, ist das nicht unbedingt so. Sie probieren etwas aus, schlüpfen in eine Rolle, und du siehst, wie weit das läuft.
Deshalb nicht zu schnell abgeschreckt sein, wenn jemand eine krasse These ausspricht. Als Christ wirst du an der Uni häufiger mal einen „Schuss vor den Bug“ bekommen, wenn du offen über den Glauben redest. Lass dich nicht einschüchtern, aber schieße nicht zurück und mache dich nicht über Leute lustig. Auch nicht über den Glauben schweigen. Manche Christen sind in der Gemeinde fromm, aber an der Uni weiß keiner, dass sie gläubig sind. Das ist eine Chance.
Während meines Studiums hatte ich viele intensive Diskussionen. Ich habe gemerkt, viele Leute sind eigentlich offen, besonders jüngere, die intellektuell flexibel sind. Sie stellen sich grundsätzliche Fragen über das Leben. Hier haben wir als Christen wirklich etwas zu bieten.
Allerdings sollte man nicht unterschätzen, dass Leute mit christlichem Hintergrund an der Uni häufig eine Glaubenskrise erleben. Deshalb sollte man sie gut vorbereiten, wenn sie an die Uni kommen. Vielleicht kann man einen Diskussions- und Gesprächsklub aus der Gemeinde oder Nachbargemeinden bilden, wo offen über alle möglichen Fragen gesprochen werden kann.
Viele junge Leute in der Gemeinde sind noch im geschützten Raum. Viele Fragen wurden ihnen nicht gestellt. An der Uni stellen Leute oft rücksichtslose, grundsätzliche Fragen, die den Glauben infrage stellen. Als Christ musst du darüber nachdenken, warum du den Glauben so siehst und wie man die Fragen beantworten kann, ohne den Glauben zu verlieren.
Studenten brauchen Begleitung, die ihre Fragen ernst nimmt, ernsthafte Antworten sucht und sie befähigt, anderen mit ähnlichen Fragen zu helfen. Das ist eine heikle Phase, die Weichen für die Zukunft stellt. Du musst aufpassen, denn dein Weltbild wird geprägt. Professoren vermitteln nicht neutral, sie haben ein Weltbild, das sie weitergeben wollen – egal ob Natur- oder Geisteswissenschaften. Das ist oft stärker in den Geisteswissenschaften sichtbar.
Denk nicht, das sei neutral. Das ist eine Illusion. Jeder Professor hat eine Weltanschauung. Als Christ musst du doppelt so viel arbeiten wie der normale Student: den Lernstoff lernen, ihn für dich verarbeiten und einordnen und nebenbei anderen helfen, einen klareren Blick zu bekommen und sich nicht indoktrinieren zu lassen. Eine sehr herausfordernde Zeit.
Aber ich glaube, sie ist wirklich notwendig. Denn viele Studierende werden später Verantwortung tragen, in der Gesellschaft und in Führungsposten. Das war nur der Einstieg. Jetzt kommt es konkret darauf an: Was mache ich mit Leuten, die Germanistik studieren? Oder Physik? Was sind typische Fragen? Wie kann ich antworten? Wichtig ist, als Christ präsent zu sein, gute Ideen zu vermitteln, gute Fragen zu stellen, gut zuzuhören und nicht nur frommes Zeug zu reden. Aber im Herzen und Denken fromm zu sein, sich nicht verwässern zu lassen, und das so zu tun, dass es in die Welt der Wissenschaft und des Alltags im 21. Jahrhundert übersetzt werden kann.
Ich habe mehrere Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel war ich eingeladen bei der SMD in Bielefeld und habe mehrere Vorträge gehalten. Besonders spannend fand ich einen Vortrag über die Glaubwürdigkeit der Bibel, ein Hörsaalvortrag, den ich liebe. Ein Student, der damals ungläubig war, kam extra zu der Veranstaltung, um mich in der Fragestunde fertig zu machen, weil er dachte: „Diese blöden Christen.“ Er saß die ganze Zeit im Vortrag und merkte immer mehr, dass das gar nicht so dumm ist, was ich sage. Er fing an zu fragen, und wenige Wochen später hatte er sich bekehrt. Das wusste ich erst Jahre später, als er es mir erzählte. Das fand ich beeindruckend.
Bei diesem Vortrag gab es einige kritische Rückfragen, aber keinen, der wahnsinnig offen war. Doch innerlich war einer auf der Suche und wollte mich provozieren. Gott nutzt das, um Menschen zum Umdenken zu bringen. Das finde ich super!
Solche Fälle gibt es oft. Ich weiß nicht, ob es bei Journalisten wie Lee Strobel oder Josh McDowell auch so war, aber ich glaube schon. Viele starten mit der Intention, Christen auseinanderzunehmen, und das ist der erste Moment, in dem sie sich mit Gott beschäftigen. Dann merken sie: „Oh, okay.“ Und einige kehren sich um. Teilweise werden sie sogar Apologeten. Gottes Humor ist beeindruckend.
Gott nutzt das kritische Denken dieser Leute, aber in eine ganz andere Richtung. Das gilt für Menschen, die wirklich offen sind. Es gibt aber auch ideologische Leute, die gar nicht zuhören wollen, sondern nur ihre Meinung durchsetzen. Mit solchen Leuten zu diskutieren ist wie mit Richard Dawkins zu diskutieren oder Pierre Vogel – das bringt nichts. Die hören nicht zu, sind festgelegt.
Diese sind aber eine kleinere Zahl. Die größere Zahl an der Uni sind Leute, die zwar mal radikale Thesen äußern und gegen dich sein können, aber noch flexibel sind. Da ist es wichtig, im Gespräch zu erkennen, ob du einen Skeptiker oder einen Zyniker vor dir hast. Dann solltest du beten und Gott um Weisheit bitten, das richtig zu erkennen.
Achte darauf, an der relevanten Stelle zu argumentieren. Manche Themen sind endlos diskutierbar, bringen aber keinen weiter. Finde das Hauptproblem oder die Paradigmen im Weltbild des Anderen und rede darüber. Nicht über tagesaktuelle oder sehr kontroverse Themen, bei denen man sich nur die Köpfe heißredet. Selbst wenn du die besseren Argumente hast, ändert das oft nichts im Kern.
Erkenne, wo Konfrontation sinnvoll ist und wo sie sinnlos ist. Wir müssen nicht über alles diskutieren, was gerade gesellschaftlich relevant ist oder wo Leute uns provozieren wollen. Erkenne, wo echte Fragen sind.
An der Uni wirst du viele Leute mit existenziellen, grundlegenden Fragen treffen, weil sie am Anfang des Lebens stehen und noch nicht alles festgelegt ist. Mit jemandem, der 50 ist, hast du oft weniger Flexibilität, auch wenn er meint, auf alles eine Antwort zu haben.
Jüngere Leute haben großes Engagement, aber deshalb wenden sich auch viele Ideologien an junge Menschen. Alle großen Revolutionen wurden von jungen Leuten getragen: die französische Revolution, der Nationalsozialismus, Mao Zedong in China. Viele wurden irregeleitet.
Es ist schade, wenn der Idealismus junger Menschen ideologisch falsch gefüllt wird. Wir als Christen sind herausgefordert, ihnen gute Alternativen zu bieten, die sich im Leben bewähren. Wo man merkt, dass eine Wahrheit dahintersteht, die nicht zusammenbricht, wenn der Zeitgeist sich ändert.
Das braucht Übung und Weisheit. Jetzt gibt es verschiedene Themen, die bei Studierenden häufig vorkommen. Manche beschäftigen sich mehr mit zwischenmenschlichen Fragen, andere mit politischen, ethischen oder erkenntnistheoretischen Fragen, also ganz grundlegenden Lebensfragen.
Es ist wichtig, dass nicht nur säkulare Leute offen sind, sondern auch Christen. Wir wachsen oft behütet in christlichen Bubbles auf: Gemeinde, Bibelschule, Gemeinde, Bibelschule. Dann gehen wir an die Uni und sind plötzlich unsicher. Deshalb ist es wichtig, sich mit Apologetik zu beschäftigen und während des Studiums Begleitung zu suchen.
Man braucht andere Christen, die intellektuell flexibel sind, mit denen man sich austauschen kann – nicht nur Kritiker, sondern Menschen, die Rückmeldung geben und sich reindenken. Ohne das geht es schwer.
Ich habe oft erlebt, dass Leute am Glauben zweifeln oder ihn verlieren, weil sie keine Denkhilfe bekommen. Das braucht man manchmal. Eine Auseinandersetzung kann den Glauben festigen. Ohne das kann er Schaden nehmen. Manche kommen halbgläubig aus der Uni oder verlieren den Glauben ganz. Das wäre schade, weil man viele Chancen im Leben vertut. Wenn man selbst Zweifel hat, kann man anderen nicht mehr überzeugend begegnen.
Zweifel und Fragen sind normal bei einem Studenten, der das Studium ernst nimmt. Die Frage ist, wie man damit umgeht: verdrängen oder bewältigen und Antworten finden?
Ich habe kürzlich ein Buch von Elisa Childers gelesen, ein apologetisches Buch, weniger klassisch, eher persönlich und leicht zu lesen. Sie beschreibt, wie sie das Evangelium von ihren Eltern vorgelebt bekam, aber sich nie Gedanken machte. Sie kam nicht an der Uni, sondern durch eine Gemeinde in eine Glaubenskrise. Der Pastor dort beschrieb sich selbst als hoffnungsvollen Agnostiker und leitete einen Kurs, der eher Dekonstruktion als Apologetik war.
Sie erzählte, wie sie vor den Kopf gestoßen wurde, in eine Glaubenskrise kam und in das progressive Christentum rutschte. Fragen wie „Ist Jesus wirklich gestorben?“ oder „Brauchten wir das eigentlich?“ wurden gestellt. Gott sei Dank ging sie richtig damit um, stürzte sich ins Studium, las Kirchenväter, studierte die Bibel und kam zu Erkenntnissen.
Deshalb ist es wichtig, sich mit solchen Herausforderungen auseinanderzusetzen. Manchmal klingt etwas äußerlich fromm, kann aber den Glauben angreifen. Das progressive Christentum und das historische Christentum sind wie Feuer und Wasser. Sie benutzen dieselben Begriffe, aber mit ganz anderer Bedeutung. Am Ende tun sie so, als seien sie die Oberchristen, sind aber Feinde des Glaubens und zerstören ihn. Wer damit nicht umgehen kann, kann Schaden nehmen.
Manchmal hört man so etwas im Vorhinein und macht einen Apologetik-Kurs, aber solange man nicht in der Herausforderung ist, hört man anders zu. Wenn es zur existenziellen Krise wird, muss man die Sache von einer anderen Seite angehen und darf nicht stehen bleiben.
Ich empfehle, wenn du in einer Krise bist, lieber eine Studienpause zu machen, die Krise aufzuarbeiten, ein Semester Pause zu machen, einen Job zu suchen und dich der Sache zu widmen, statt einfach weiterzumachen. Eine nicht bewältigte intellektuelle oder Glaubenskrise wird Schäden nach sich ziehen. Weiterzumachen macht es meist schlimmer.
Lieber eine Pause machen, um den Glauben zu festigen, als ein Semester früher oder später fertig zu sein. Das ist viel wichtiger.
Vielleicht eine persönliche Frage: Kennst du das auch aus deinem eigenen Leben? Hattest du mal eine Glaubenskrise oder sogar mehrere Glaubenskrisen? Ja, das ist vielleicht nicht ganz so einfach zu sagen, weil das zum Teil auch eine Persönlichkeitsfrage ist.
Schon als ich zum Glauben gekommen bin, habe ich mir eine ganze Menge Fragen gestellt. Ich habe alles gelesen, was mir in die Finger kam, auch manche Sachen, die wahrscheinlich viele andere Jugendliche nicht lesen würden. Deshalb habe ich mich intensiv mit vielen Fragen auseinandergesetzt, die später irgendwann mal relevant wurden.
Ich war zum Beispiel auf dem Gymnasium und hatte die ganze Zeit Religionsunterricht. Dort habe ich regelmäßig Referate gehalten. Nicht, weil die Religionslehrerin das so wollte – sie war eher bibelkritisch. Das hat mich herausgefordert, denn sie nannte Argumente, die ich zunächst nachvollziehbar fand. Ich fragte mich: Warum glaube ich das eigentlich nicht?
Daraufhin habe ich mir Literatur zusammengesucht, Bücher gelesen und ein Referat vorbereitet. Das führte dazu, dass ich die Themen selbst durchdenken musste. Es gab immer wieder Phasen, in denen ich nicht einfach nur eine Dogmatik verteidigen wollte, sondern offen war, falls sich etwas ändern müsste. Durch diese intensive Auseinandersetzung habe ich immer häufiger gemerkt, dass es auch andere Antworten gibt, die nicht den Glauben oder die Bibel infrage stellen.
Da ich das relativ früh immer wieder gemacht habe, obwohl ich in der Gemeinde damit nicht konfrontiert wurde, bin ich den Fragen in der Schulzeit immer wieder nachgegangen. Dadurch haben sich viele meiner Positionen gefestigt. Später, wenn Anfragen kamen, gab es immer wieder Fragen, auf die ich im Moment keine Antwort hatte. Aber sie waren für mich nicht mehr so einschüchternd, dass ich dachte, alles bricht zusammen.
Stattdessen dachte ich: Okay, erst mal abwarten, ich gehe dem nach. Es könnte durchaus eine gute Antwort geben, auch wenn ich sie gerade nicht habe. Dann habe ich mich hingesetzt, gelesen und mit Leuten gesprochen. Meistens habe ich hinterher befriedigende Antworten gefunden.
Es gibt ein paar Sachen, bei denen ich auch sagen würde: Okay, das weiß ich jetzt auch nicht, und das ist für mich unbefriedigend. Manche Indizien sprechen eher gegen eine biblische Position. Aber da muss ich einfach sagen: Ja gut, dann muss ich damit leben. Ich kann nicht erwarten, alles verstehen und alles beantworten zu können.
Bei den wesentlichen Fragen habe ich durch diese Auseinandersetzung Antworten gefunden, die für mich intellektuell überzeugend sind. Das hat mir eine gewisse Festigkeit gegeben. Das ist eben das Wichtige.
Ich persönlich feiere und liebe Apologetik. Vor Kurzem habe ich mir zum Beispiel einen großen Apologeten angesehen: John Lennox. Ich habe mir ein kurzes Video von ihm angeschaut, in dem er mit großen Gegnern spricht, wie Richard Dawkins oder Christopher Hitchens. Er hat Hitchens so schnell auseinandergenommen – das war einfach köstlich!
Ganz oft hört man das Argument: „Kreuzzüge! Ihr Christen habt das doch auch gemacht, wie könnt ihr da an Gott glauben?“ Solche Vorwürfe kommen immer wieder. Ich weiß nicht, ob die Leute das noch ernst meinen oder ob sie sich nur eine Art Schutzwall aufbauen, um nicht mehr hinterfragen zu müssen.
Gerade bei Leuten wie Dawkins muss man sagen, dass es sich um Ideologen handelt. Dort geht es gar nicht mehr um Logik. Dawkins schreibt im Vorwort seines Buches „The God Delusion“, dass er die Menschen zum Atheismus bekehren will. Da merkt man, dass es nicht mehr um logische Klärung geht, sondern um Mission.
Aber es gibt auch andere Leute, die wirklich offen sind. Manche Argumente sind, wenn man sie einmal verstanden hat, wirklich schwach. Sie hören sich rhetorisch gut an, aber wenn man ihre Struktur oder Logik überprüft, lösen sie sich auf. Dann fragt man sich, wie jemand so einen Unsinn sagen kann – und das sogar noch mit großem Selbstbewusstsein als Professor.
Manchmal braucht man jemanden wie John Lennox, der einem hilft, diese Argumente zu durchschauen. Wenn man allein daran arbeitet, kommt nicht jeder sofort auf die Lösung. Mit einem guten Apologeten fällt es viel leichter.
Deshalb ist es gut, gute Apologeten zu hören. Ich würde aber auch sagen: Achtet darauf, wenn ihr Apologeten lest, nicht jeder ist in jeder Frage gleichermaßen kompetent. Jeder Apologet beschäftigt sich mit bestimmten Themen intensiver.
Zum Beispiel finde ich John Lennox’ Lösung zur Schöpfung der Welt nicht überzeugend. Das ist für mich ein bisschen Jonglieren mit Argumenten, das ich nicht akzeptiere. Aber was den Atheismus betrifft, finde ich ihn hervorragend.
Das Argument mit den Kreuzzügen ist ja ganz klar: „Guckt mal, was ihr Christen gemacht habt, Gott kann es nicht sein.“ John Lennox ist dann ans Mikrofon getreten und hat gesagt: Er sei Professor für Mathematik in Oxford und jetzt emeritiert, deshalb könne man davon ausgehen, dass er logisch denken kann.
Dann sagte er einfach: „Ich denke, Technologie und Wissenschaft sind das Übel unserer Zeit und verpesten alles.“ Das war zunächst ein bisschen provokant. Er meinte, Wissenschaft sei das große Übel, also einfach nur Müll. Als Beleg nannte er Albert Einsteins Arbeiten und sagte, die Menschen machten daraus Waffen. Wissenschaft sei Müll.
Er machte ganz klar: Wir müssen zwischen Gottes Größe, Herrlichkeit und Allmacht und dem, was wir Menschen daraus machen, eine klare Linie ziehen. Man darf nicht alles in einen Topf werfen und sagen: „Ach, das ist alles das Gleiche.“
Ich erlebe oft, dass Leute, die mir solche Vorwürfe machen, in Wirklichkeit kaum Ahnung von den Kreuzzügen haben. Ich selbst habe intensiver mit Geschichte gearbeitet und merke, dass viele Vorstellungen falsch sind. Die Leute übersehen viele Hintergründe.
Das liegt daran, dass sie dem Glauben von vornherein kritisch gegenüberstehen und gar nicht mehr nachforschen. Für sie sind die Kreuzzüge einfach „das Argument“ und das war’s. Niemand denkt mehr über tiefere Hintergründe nach.
Auf der anderen Seite jubeln wir, wenn die Amerikaner uns als Deutsche von den Nazis befreien. Aber auch das war Krieg, bei dem zigtausende Menschen starben. Warum ist der eine Krieg gerecht und der andere nicht? Das sind keine einfachen Fragen.
Manche fordern sogar, wir sollten eingreifen, um Diktatoren das Handwerk zu legen. Viele Menschen denken hier sehr vereinfacht. Die einen stellen echte Fragen, die anderen haben bereits eine feste Position und suchen nur noch nach passenden Argumenten, auch wenn sie nicht stimmig sind.
Dennoch muss man solchen Leuten nachgehen, um ihnen zu zeigen: „Das, was du da argumentierst, ist so nicht richtig.“ Aber man darf sie nicht als Feinde sehen. Man muss sie als Menschen sehen, die hoffentlich auf der Suche sind. Und denen kann man mit Argumenten Hilfestellung bieten.
Man darf nicht vergessen: Apologetik bedeutet wörtlich „Verteidigung des Glaubens“ und nicht, dem Gegenüber den Glauben „auf den Kopf zu hauen“. Im 1. Petrus 3,15 steht, dass wir fähig sein sollen, den Glauben zu verteidigen – aber mit aller Sanftmut.
Petrus macht deutlich, dass Sanftmut wichtig ist. Es gibt Christen, die Apologetik als Wettbewerb sehen, wer den anderen „k.o.“ schlägt. Das ist völlig entgleist. Apologetik ist eine Art intellektuelle Nächstenliebe. Man begleitet Menschen, nimmt ihre Probleme ernst und gibt Hilfe.
Es geht nicht darum, jemanden fertigzumachen. Manche Christen verstehen das aber anders und richten durch ihre Apologetik sogar Schaden an. Dann sind Leute hinterher entmutigt, niedergemacht oder fühlen sich provoziert und wollen erst recht nichts vom Glauben wissen.
Man muss sich vorher fragen, warum man etwas tut. Wenn es nicht aus Liebe zu Gott und zum Nächsten geschieht, macht es keinen Sinn. Es geht immer darum, den Nächsten zu gewinnen.
Man wird niemanden gewinnen, wenn man ihn fertig macht und einfach nur seine Argumente loswerden will. Dabei kommt manchmal das sündige Ich durch, das gerne der Sieger sein will und es genießt, wenn der andere gedemütigt wird.
So entstehen verhärtete Herzen. Man nimmt den Menschen nicht ernst. Wenn man sich vorstellt, Jesus hätte so reagiert, hätte er uns alle fertig machen können. Aber Jesus hört den Leuten zu, geht auf ihre dummen Argumente ein und nimmt sie mit Sanftmut Stück für Stück an die Hand.
Davon sollen wir lernen: Klar argumentieren, aber den Menschen im Blick haben. Sehen, dass der andere weiterkommt, nicht dass ich der Gewinner bin.
Michael, ich hätte jetzt zum Abschluss noch eine prägnante apologetische Frage, und ich denke, dann sollten wir langsam zum Ende kommen. Es ist eine Frage, die mir persönlich beim Evangelienvergleich gekommen ist.
Die Bibelkritik besagt ja, dass Menschen die Evangelien geschrieben haben und jeder das einfach so gemacht hat, wie er wollte – aus seiner eigenen Sicht und Art und Weise. Stichwort: Zwei-Quellen-Theorie, teilweise mit Abschreiben usw. Sie glauben auf jeden Fall nicht, dass Gott die Quelle ist. Wir hingegen glauben genau das Gegenteil. Es gab vier Evangelisten, die alle inspiriert waren. Sie schreiben ganz unterschiedlich, aber Gott ist derjenige, der sozusagen schreibt, der ihnen das eingibt.
Wie kann man nun teilweise die Geschichte von Jesus auf dem Wasser, die ich mir beim Vergleich von Matthäus mit der Markus-Version gefragt habe, zusammenbringen? Bei Matthäus liest man von Petrus, das ist ja ganz wichtig – die Petrus-Episode. Bei Markus hingegen liest man gar nichts davon, dass Jesus oder – genau – bei Markus liest man einfach, dass Jesus direkt ins Boot kommt.
Noch krasser finde ich die gegensätzliche Reaktion der Jünger. Bei Markus sehen wir Entsetzen, Unverständnis, Verhärtung – ich würde das einfach als eine generell negative Reaktion beschreiben. Bei Matthäus ist es gefühlt das komplette Gegenteil: Sie sind nicht unverständlich, sie erkennen Jesus als den Sohn Gottes an. Es ist, glaube ich, sogar die erste Szene, in der die Jünger Jesus als Sohn Gottes erkennen – ein ganz wichtiger Moment. Sie anbeten und verehren ihn.
Die Reaktionen könnten gefühlt gar nicht krasser kontrastieren. Ich frage mich manchmal, wie man das zusammenbringen soll. Noch eine kleine Sache: Bei Matthäus steigt Jesus ins Boot, bei Markus kommt er direkt ins Boot. Bei Matthäus erst nach der Sache mit Petrus, solange bleibt er scheinbar auf dem Wasser. Und bei Johannes kommt er gefühlt gar nicht ins Boot, weil dort steht, dass sie ihn zu sich ins Boot holen wollten, aber das Boot schon am Ufer war, das sie erreichen wollten.
Vielleicht kannst du dazu etwas sagen. Mir kam das oft so vor: Wir lesen ja meist nur ein Evangelium selektiv. Wenn wir dann beim nächsten sind, haben wir das vorherige schon vergessen. Dann lesen wir das andere und denken: „Ah, okay.“ Aber wenn ich jetzt bewusst einen synoptischen Vergleich mache und die Texte nebeneinanderlege, wie kriege ich das zusammen?
Das ist ein längeres Thema. Zunächst müssen wir wahrscheinlich sagen, dass manche Dinge offen bleiben werden. Bei manchen werden wir sagen, okay, es gibt vielleicht die oder die Erklärung, die für mich nicht ganz plausibel klingt, was aber auch nicht sein muss. Wer bildet sich denn ein, alles verstehen und zuordnen zu können?
Es ist eine Frage des Grundvertrauens. Gehe ich grundsätzlich davon aus, dass, wenn ich etwas nicht verstanden habe, es falsch sein muss? Das wäre ein sehr eingeschränkter Blickwinkel, weil es ja auch bedeuten würde, ich hätte schon den totalen Überblick. Das ist nicht der Fall.
Grundsätzlich ist es auch so, dass, wenn ich als Bibelkritiker an die Bibel herangehe, ich von einem Widerspruch ausgehe und nur nach Widersprüchen suche. Manchmal finde ich dann auch welche, die gar nicht da sind.
Zunächst muss ich vor Augen haben, dass diese Evangelien alle etwa zur gleichen Zeit geschrieben wurden. Das heißt, die Autoren wussten sogar voneinander. Gerade bei Lukas wissen wir das, denn er schreibt ja, dass schon viele unternommen haben, dem nachzugehen. Grobe Widersprüche wären sehr unwahrscheinlich, und das hätten die Autoren auch bemerkt. Sie hätten gedacht: „Der vor mir hat ja schon etwas ganz anderes geschrieben, warum weiche ich jetzt ab?“
Wenn sie etwas anderes geschrieben haben, waren sie sich höchstwahrscheinlich bewusst, dass sie etwas anderes schreiben, ohne es selbst als Widerspruch zu begreifen. Papias beschreibt beispielsweise, dass schon vor dem Jahr 100 die vier Evangelien in den meisten Gemeinden verbreitet und gelesen wurden. Wir müssen also davon ausgehen, dass sie sehr früh bekannt waren und die Leute voneinander wussten, ohne es als grundsätzlichen Widerspruch zu verstehen.
Das sollte uns erst einmal dazu bringen, zu überlegen, ob wir vielleicht etwas sehen, das gar nicht als Widerspruch gemeint ist.
Bei Fragen aus den Evangelienvergleichen gibt es immer wieder ähnliche Phänomene, für die ich zunächst Lösungsmöglichkeiten vorschlagen möchte – die sein können oder nicht.
Einerseits sollten wir deutlich vor Augen haben, dass jemand bestimmte Dinge erwähnt oder Akzente setzt, abhängig vom Leserpublikum. Jedes Evangelium hat ein anderes Publikum. Matthäus wendet sich an Juden, Lukas an Heiden. Deshalb sind sie unterschiedlich konzipiert, und es werden unterschiedliche Dinge genannt.
Außerdem kann es sein, dass der eine bestimmte Aspekte nennt und der andere zusätzliche, gerade weil sie woanders nicht vorkommen. Der Bibelkritiker sagt dann: „Aha, Widerspruch!“ Aber das muss kein Widerspruch sein.
Nehmen wir zum Beispiel die Reaktionen der Jünger: Die einen haben Angst, die anderen empfangen Jesus freudig. Es könnte durchaus sein, dass hier verschiedene Phasen dieser Begegnung beschrieben werden. Denn so scheint es ja auch zu sein: Sie sehen Jesus am Horizont und denken zuerst, er sei ein Geist – also kommt Angst. Er kommt näher, spricht mit ihnen, und die Angst schlägt in Begeisterung um.
Das wäre eine Lösungsmöglichkeit. Nun müsste man sehen, ob sich damit etwas erklären lässt, wo diese verschiedenen Phasen beschrieben werden. Vielleicht will der eine Autor die eine Phase stärker betonen, der andere die andere. Warum er das tut, muss man überlegen.
Manchmal vergessen wir auch, dass wir beim schnellen synoptischen Vergleich übersehen, dass hier dreieinhalb Jahre beschrieben werden, in denen durchaus ähnliche Situationen passiert sind.
Das wird deutlich, wenn ein Ort angegeben wird, zum Beispiel beim Vaterunser: Im Matthäusevangelium steht das Vaterunser im Zusammenhang mit der Bergpredigt, die am See Genezareth gehalten wurde. Im Lukasevangelium steht das Vaterunser, aber dort heißt es, Jesus habe in Bethanien gelehrt. Die Antwort ist einfach: Jesus hat das Vaterunser an mehreren Orten gelehrt. Das ist kein Problem. Wenn wir von etwas begeistert sind, erwähnen wir es innerhalb von dreieinhalb Jahren nicht nur einmal, sondern mehrfach.
Ähnlich ist es bei der Speisung. Wir haben die Speisung der Viertausend und die der Fünftausend. Da gibt es scheinbar Widersprüche. Es könnte aber auch sein, dass Jesus einmal vier- und einmal fünftausend Menschen gespeist hat. Es muss nicht dasselbe Ereignis sein.
Oder beim Fischfang: In der Bibel wird mehrfach von Fischfang berichtet, zum Beispiel, als der auferstandene Jesus kommt und sie noch einmal Fische fangen. Jesus sagt: „Geh doch da hin!“ und sie erkennen ihn. Das zeigt, dass bestimmte Dinge durchaus mehrfach in ähnlicher Weise passiert sind, aber eben nicht genau gleich.
Deshalb werden manche Dinge beschrieben, die wir als gleichsetzen, weil sie ähnlich klingen, aber die Autoren damals als unterschiedliche Situationen verstanden haben. Warum sollte ich dann noch das aufschreiben, was Markus schon hat? Der weiß ja schon Bescheid. Ich erzähle euch jetzt die andere Geschichte, wo Jesus uns auch noch erschienen ist.
Es wäre also denkbar, dass Jesus den Jüngern einmal erschienen ist, und Petrus war unsicher. Vielleicht war das das erste Mal, als sie erschrocken waren. Beim nächsten Mal wussten sie schon, wie das läuft, Jesus geht über das Wasser, und sie sind gleich begeistert.
Das sind Grundmodelle, die wir überprüfen müssten. Dafür müssten wir die Texte einzeln durchgehen: Ist das dieselbe Situation, aber mit verschiedenen Phasen? Oder sind es verschiedene Ereignisse, die ähnlich abgelaufen sind? Die Jünger waren ja Fischer auf dem See Genezareth und waren in den dreieinhalb Jahren zigmal auf dem See unterwegs. Sie sind auch oft nachts unterwegs, und es gibt viele Stürme. Die Idee, dass in dreieinhalb Jahren nur ein einziger Sturm vorkommt, ist sehr unwahrscheinlich.
Deshalb sollten wir bedenken, dass manche Dinge, die wir in einen Topf werfen, gar nicht dasselbe sind.
Wenn ich dir zum Beispiel von meinen Israelreisen erzähle, würde ich sagen: „Ich war in Israel, so und so.“ Und du sagst: „Hey, das passt nicht zu dem, was du mir vorher erzählt hast.“ Ich müsste dir dann sagen: „Ich war über zwanzig Mal in Israel.“ Ich habe Leute geführt und mache das immer wieder. Ich könnte also viele unterschiedliche Sachen erzählen, und alle sind wahr.
Ich könnte sagen: „Ich war am See Genezareth, das war so.“ Und dann: „Ich war noch einmal am See Genezareth, und das war anders.“ Das eine war bei der einen Reise, das andere bei der anderen. Die Jünger waren auch sehr oft dort. Deshalb muss es nicht immer dasselbe Ereignis sein, gerade wenn es auffällige Unterschiede gibt.
Die Jünger wussten auch, was die anderen geschrieben hatten. Deshalb würde ich eher darauf tippen, dass sie Verschiedenes beschreiben.
Oder nehmen wir die Auferstehungsberichte am Ostermorgen: Die einen sagen, die Frauen waren am Grab, und Petrus kam später dazu. Meine These ist, dass das ein Kommen und Gehen am Grab war. Alle liefen hin, weil die Sensation war: Jesus ist nicht da. Sie wollten noch einmal hin, nahmen jemanden mit, gingen noch einmal hin. Der eine Jünger beschreibt das, wo er dabei war.
Johannes war ja selbst dabei und beschreibt die Situation aus seiner Sicht. Markus war Begleiter des Petrus und beschreibt mehr die Perspektive von Petrus. Das wurde bewusst als Ergänzung geschrieben, nicht als ständige Wiederholung.
Das ist nur eine These. Manche Dinge bleiben offen und unbefriedigend. Dennoch sollten wir nicht zu schnell sagen, dass Dinge, die nicht übereinstimmen, Widersprüche sein müssen.
Wenn ich in drei verschiedenen Zeitungen über eine Demonstration in Berlin lese, steht dort nicht wortwörtlich dasselbe. Sie betonen unterschiedliche Aspekte. Die eine berichtet, dass Demonstranten gegen die Polizei gestänkert und Molotowcocktails geworfen haben, die andere, dass die Demonstranten friedlich waren und die Polizei Gewalt ausübte.
Vielleicht stimmt sogar beides. Der eine legt aus bestimmten Gründen den Fokus auf das eine, der andere auf das andere.
Die Ergänzung oder das Korrekte erkennen wir erst, wenn wir vieles vergleichen. Hier bin ich froh, dass wir unterschiedliche Perspektiven in den Evangelien haben.
Auch wenn manches offen bleibt, würde ich es, genau wie die ersten Christen, erst einmal als Ergänzungen sehen und nicht von vornherein als Widerspruch.
Es kann sein, dass es andere Geschichten sind oder verschiedene Phasen, in denen etwa erst Angst kommt, bevor Freude folgt.
Das macht Sinn. Danke für die Antwort, da waren auf jeden Fall ein paar interessante Aspekte dabei.
Das ist nur ein Einstieg. Wir müssen bei jedem einzelnen Fall genauer hinschauen. Auch müssten wir, wenn wir es genau machen wollen, nochmal genau lesen und die Formulierungen betrachten.
Manchmal übersehen wir beim Zusammenfassen wichtige Details und merken dann plötzlich: „Oh, da steht noch etwas drin, das die Sache ganz klar macht.“
Weil wir mit einer Erwartungshaltung lesen, interpretieren wir manchmal Dinge hinein, die eigentlich gar nicht da stehen, was die Sache schwerer erscheinen lässt, als sie ist.
Wenn wir konkret werden, müssten wir die einzelnen Parallelstellen genau lesen, vielleicht auch verschiedene Übersetzungen vergleichen und dann aufschreiben: Das ist der Ablauf, das ist der Ablauf. Was spricht dafür, dass es dasselbe Ereignis ist? Versuchen wir, das zu klären. Wo sind die genauen Widersprüche? Könnte das ein früherer oder späterer Zeitpunkt sein? Oder eine Ergänzung?
Dann müssten wir diese Arbeitsschritte gehen – das ist aber eine längere Angelegenheit.
Das ist ja die Sache: Allein über diese Frage könnten wir wieder drei Stunden reden.
Das ist übrigens auch der Grund, warum das hier doch ein Apologetik-Podcast geworden ist. Ganz witzig.
Ich hatte vorher überlegt: Rede ich mit dir über Apologetik? Rede ich mit dir über Kirchengeschichte? Dann dachte ich: Kirchengeschichte mit Schwerpunkt Mission. Jetzt hat es sich doch anders entwickelt.
Ich habe es sehr genossen und finde das Thema sehr wichtig. Du musst auf jeden Fall nochmal kommen, Michael. Da führt wahrscheinlich kein Weg dran vorbei.
Ich habe dich gar nicht vorgewarnt, aber im Podcast ist es so, dass der Gast zum Schluss immer einen Vers mitgibt. Hast du einen Vers, der... darf zum Thema passen, muss aber nicht. Es kann dein Lieblingsvers sein oder irgendein Vers, den du unseren Zuhörern für die Woche gerne mitgeben würdest.
Meistens ist die Schwierigkeit für mich, mich für einen Vers zu entscheiden. Wenn ich mich dann entscheide, wähle ich oft zentrale Verse, die wahrscheinlich viele schon kennen. Ich bin immer wieder ganz begeistert von Aussagen Jesu wie zum Beispiel: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich.“
Der zweite Teil ist dabei besonders wichtig, nicht nur beim ersten Teil stehen zu bleiben. Das passt auch gut zu unserem Thema. Wenn Jesus sagt: „Ich bin die Wahrheit“, dann ist das eine ganz neue Herausforderung. Jesus ist nicht nur jemand, der für gute Gefühle oder ein bisschen Spiritualität da ist, sondern er sagt von sich selbst, dass er personifiziert die Wahrheit ist.
Das zeigt übrigens, dass echte Wahrheit nicht nur in Formulierungen und Worten besteht. Wahre Wahrheit verbindet Denken, Formulieren und Leben. Wenn eine Person sagt: „Ich bin die Wahrheit“, bedeutet das, dass es mehr ist als nur abstrakte Begriffe. Die abstrakten Begriffe sind dahinter, aber sie werden ins Leben übersetzt.
Gerade brauchen wir Wahrheit, die nicht aus dem Leben herausfällt, sondern eine, die auch lebenspraktisch und bewährt ist. Deshalb finde ich die Formulierung sehr herausfordernd, bei der Jesus nicht nur sagt: „Ich sage euch die Wahrheit“, das wäre eine Sache, sondern: „Ich bin die Wahrheit.“
Das stellt, glaube ich, eine große Herausforderung auch für die Apologetik dar. Man merkt, dass es viel mehr ist, als nur plausible Erklärungen zu finden. Wahrheit ist etwas Umfassenderes, das das ganze Leben und die Wirklichkeit einschließt.
Vielen Dank, dass du heute da warst. Vielen Dank für deinen Dienst, das spannende Gespräch und die tollen Antworten. Ich wünsche dir für deine Arbeit in Brake, für alle anderen Projekte, für „Helden des Glaubens“ Band vier und vieles mehr Gottes reichen Segen und weiterhin viel Gelingen.
Alles Gute auch für deine Frau, und nimm gerne Grüße mit. Und euch natürlich auch hier für eure Projekte. Ich hoffe, ihr habt gute Ideen, Kreativität, Weisheit von Gott und könnt den Leuten, die zuhören, wertvolle Gedankenanstöße und Motivation für die Zukunft geben.
Jesus spricht zu ihm: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich.“ (Johannes 14,6)