Zum Inhalt

Originales Christsein

01.01.1959Apostelgeschichte 8,29-31

Einführung in die Geschichte des Kämmerers und die Bedeutung des Originals

Wir sind dabei, die Geschichte von dem Kämmerer aus dem Morgenland zu besprechen, die in Apostelgeschichte 8 steht. Wir befinden uns also noch mitten in der Erzählung.

Der Heilige Geist sprach zu Philippus: „Gehe hin und halte dich zu diesem Wagen!“ Da lief Philippus hinzu und hörte, dass der Mann den Propheten Jesaja las. Philippus fragte ihn: „Verstehst du auch, was du liest?“ Der Mann antwortete: „Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet?“ Daraufhin ermahnte Philippus ihn, auf das Wort zu achten, und setzte sich zu ihm.

Herr, heilige uns in deiner Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit. Amen.

Einer der originellsten und interessantesten Maler unserer Zeit ist der in Frankreich lebende Russe Chagall. Wenn ein Künstler wie ich sich mit ihm beschäftigen kann, dann ist das Chagall. Als ich vor einiger Zeit in München war, fand gerade die große Chagall-Ausstellung statt. Das habe ich mir natürlich nicht entgehen lassen.

Die meisten der Bilder, die in den Sälen hingen, hatte ich vorher schon in Nachbildungen, in Reproduktionen gesehen. Ich kannte sie also. Doch was für ein anderer Eindruck es war, die Originale zu sehen! In keiner Reproduktion leuchteten die Farben so wie hier. Ein unergründlicher Eindruck!

Meine Freunde, es ist ein großer Unterschied zwischen dem Original und auch der besten Reproduktion, dem besten Nachdruck.

Und sehen Sie, dasselbe erlebe ich, wenn ich die Apostelgeschichte lese. Dort sehe ich Christenleben im Original. Ich sehe Leben im Glauben, Leben mit dem auferstandenen Herrn Jesus, Nachfolge des Gekreuzigten im Original. Ich sehe Geisteswirken im Original.

Das ist so gewaltig, dass Theologen heute sagen, es sei offenbar eine Tendenzschrift, die man nicht ganz so ernst nehmen dürfe. So gewaltig ist dieses Original hier!

Dagegen kommt mir unser eigener Christenstand, unser Christenleben hier vor wie eine schlechte Reproduktion: matt und dünn. Wenn man das als Maßstab nimmt, wird die Behauptung, es handle sich um eine Tendenzschrift, nicht mehr als dummes Zeug empfunden.

Hier ist Geistesleben im Original, Geisteswirken. Und ich sage: Unser eigenes christliches Leben, das Leben unserer Gemeinden – was man so Gemeinden nennt – sind Kopien, Nachdrucke, im besten Fall benannt, aber im besten Fall wie Überdrucke. Ja, verstehen Sie, aber dünn und schwach.

Das wird mir besonders deutlich in unserem heutigen Text, und das möchte ich Ihnen klar machen.

Wir überschreiben diesen Text mit: „Originales Christenleben“ – originales Christenleben! Ich kann das nur so hinstellen und uns deutlich machen, wie weit wir davon entfernt sind. Aber das ist dann auch schon etwas. Wenn man sieht, wie arm man ist, ist das auch schon ein Anfang.

Ein Mann, der vom Heiligen Geist geführt wird

Also, das originale Christenleben zeigt sich zuerst in einem Mann, der deutlich vom Heiligen Geist geführt wird.

Ich möchte, da ich nicht annehme, dass Sie alle letzten Sonntage anwesend waren, noch einmal kurz die Geschichte in Erinnerung rufen, um die es geht. Ich sage meinen Jungen immer: Wenn ich eine Geschichte erzähle, setzt euch nicht blöd hin, jetzt erzähle ich mich.

Die Geschichte berichtet von einem Äthiopier, einem Afrikaner, der am Hof der Königin Kandaksee einen hohen Rang bekleidet. Er ist zuständig, die Staatsfinanzen zu verwalten – noch ein bisschen mehr als das in der Bundesrepublik heute der Fall ist. Denn er war zwar vom Parlament abhängig, aber das war bei ihm nicht so.

Dieser Mann, dem die Reichtümer, Schätze und Vergnügungen der Welt zur Verfügung standen, war ein Mann wie jener Psalmist, der gebetet hat: „Wie doch ihr schreit nach Fisch und Wasser, so schreit meine Seele Gott nach dir.“ Darum war er zweitausend Kilometer nach Jerusalem gereist, um Gott anzubeten.

Das haben wir beim letzten Mal besprochen: Wie er dort grenzenlos enttäuscht wird und unverrichteter Dinge zurückkehrt. Man findet Gott nicht im sogenannten Gotteshaus.

Nun aber geschieht es, dass dem Mann noch eher ein „Bombengeschäft“ gelingt. Er kauft eine Schriftrolle, eine Abschrift von Propheten Jesaja. Das wird sehr teuer gewesen sein. Und das war das große Geschäft seiner Reise, darauf kommen wir später noch zurück. Er kauft also eine Schriftrolle des Jesaja.

Nun sitzt er in seinem Reisewagen – ich denke, das wird so eine offene Kutsche gewesen sein – auf dem Heimweg, enttäuscht, und liest diesen Jesaja. Er liest laut, denn es war ja niemand da, der vorne in der Kutsche saß und der sowieso die Sprache nicht verstand, die in diesem Jesajabuch war. Und sonst war er einsam. Er versteht nicht, er versteht nicht.

Und seht, Gott liebt die suchenden Seelen. Ach, wie liebt Gott Seelen, die Hunger haben nach Frieden mit Gott. Darum hat Gott, der lebendige Gott, der das einzelne sieht, schon vorgesorgt für diesen Mann. Er hat seinem Knecht Philippus befohlen: „Geh an die Straße, die von Jerusalem nach Gaza führt, an die Wüstenstraße, ich habe da einen Auftrag für dich.“

Und da steht nun dieser, so sagt man, moderne Anhalter in alter Zeit an der Wüstenstraße – der Philippus, der Knecht Jesu Christi – und wartet auf den Auftrag.

Und da taucht der Reisewagen auf, auf dem dieser Äthiopier sitzt und die Bibel liest, aber nicht versteht. Und da heißt es: „Und der Geist sprach zu Philippus: Geh hinzu und halte dich zu diesem Wagen!“

So, meine Freunde, das ist einfach überwältigend. Hier sitzen doch Christen, nicht nur Namenchristen, sondern ernste Christen. Sagen Sie mal ehrlich: Haben Sie das schon erlebt, dass der Heilige Geist Ihnen so klar sagt: „Jetzt du, mein Gott, das ist ja unerhört, der Heilige Geist fragt dich gar nichts mehr, jetzt geh zu dem Wagen hin!“?

Meine Freunde, ich habe wohl allerhand verrückte Schwärmer kennengelernt, die ihre eigenen Pläne damit decken, dass sie sagen, der Heilige Geist habe befohlen. Da kam eine Frau zu mir und sagte: „Der Heilige Geist hat mir gesagt, Pastor Busch, Sie sollen zum Oberbürgermeister gehen und ihm sagen, er soll sich bekehren.“ Fein, habe ich gesagt, da will ich mal warten, bis der Heilige Geist mir das selber sagt, nicht?

Oder jede Woche bekomme ich einen Brief von einer Frau, die sich „Präsidentin“ nennt, die Weltpräsidentin, und mir Aufträge gibt, die der Heilige Geist ihr geboten habe. Nun, irgendwelche Spinner haben sich immer auf den Heiligen Geist berufen. Aber so ist es hier gar nicht. Hier geht es ganz nüchtern zu.

Hier sind wir keine hysterischen Frauen, hier geht es maßlos nüchtern zu: Der Heilige Geist sprach „Geh“.

Nun, meine Freunde, auch wir Christen heute wissen etwas von Führung durch den Heiligen Geist. Gott sei Dank, ich bin froh, dass das gilt. Aber sehen Sie, wenn ich vor wichtigen Entscheidungen stehe und ich brauche Verzögerung, dann nehme ich mir Zeit, gehe viele Stunden in die Stille und werde still über Gottes Wort, bis ich mir klar werde über den Willen Gottes. Und vielleicht habe ich mir dann doch nach Tagen Klarheit verschafft.

Aber so war das ja hier gern: Da ging ein Mann in die Stille und fragte, und der Herr sagte ihm den Willen. So war es hier gern. Der Geist sprach: „Geh hin zu dem Wagen!“ Das überwältigt.

Ich kann mir denken, dass viele Menschen sagen: „Ach, das sind ja so alte Geschichten. Das ist natürlich eine legendäre Darstellung, das ist übertrieben, das gibt es nicht.“

Ich möchte vielmehr sagen: Unsere geistliche Halbheit, unsere Unlauterkeit, unser irdischer Sinn ist schuld daran, dass es so etwas unter uns nicht gibt.

„Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot“, bekam die Gemeinde in Sardes gesagt. Die bekam keine solchen Geistesaufträge, sie konnte sie gar nicht vernehmen. Und das wird so sein, dass wir gar nicht, ach, dass wir halbe Christen sind, dass wir mit einem Auge immer woanders hinschielen, wo Gott uns gar nicht hinschielen heißt, dass wir noch so schändlich gebunden sind in irgendwelchen Sünden, dass wir gar nicht ganz ernst machen wollen.

Das ist die Schuld, dass wir das nicht kennen: diese Wunderfolge, klare Führung durch den Herrn.

Meine Freunde, Sie wissen, ich habe eine etwas blühende Fantasie. So habe ich mir im Geist vorgestellt, ich wäre um zweitausend Jahre zurückversetzt und hätte dem Philippus begegnet.

Dann hätte ich zu Philippus gesagt: „Hör mal, ich muss am Sonntag darüber predigen, dass der Geist zu dem Wagen geht. Das kommt mir ziemlich unerhört vor, Philippus. Und so geht das bei uns gar nicht. Da muss einer lange in die Stille gehen, bis er den Willen Gottes erkennt. Wie geht das zu?“

Und dann sagt der Philippus: „Rastawusch, ich verstehe dich nicht. Das ist doch ganz klar: Mein Leben gehört dem Sohn Gottes, dem Herrn Jesus Christus. Er hat mich erkauft als sein Eigentum, um den teuersten Preis, um sein Blut. Er hat mich gereinigt durch sein Blut von meinen Sünden, damit ich Eigentum Gottes sein kann. Ich habe nun willentlich mein Leben mit Leib und Seele ihm gegeben. Wie sollte er mir da nicht klare Aufträge geben?“

Pastor Busch, sagte Philippus zu mir bei dieser fingierten Begegnung, „haben Sie schon mal einen Chef gesehen, der seinen Angestellten keine klaren Aufträge gibt? Stellen Sie sich meinen Chef vor, der seinen Angestellten sagt: ‚Mach, was du willst, das ist nicht so wichtig.‘ Nein, er gibt klare Aufträge. Freund Meier, Sie nehmen jetzt die Tat auf!“

So, keine klaren Aufträge hat der Philippus gesagt, wo ist ein Chef, der seinen Leuten keine klaren Aufträge gibt? Und mein Herr, der mich erkauft hat, gibt auch klare Aufträge. Was ist da seltsam dran?

Spürt ihr, was uns fehlt? Wir sollten uns ausstrecken, wenn wir Christen sein wollen. Anderen habe ich im Moment nichts zu sagen. Wer bei der Kopie bleiben will, der soll es sein. Wer der Revolution des Christentums folgen will, der soll es sein. Aber danach sollte man sich ausstrecken, damit wir Antenne bekommen für Fehler Gottes durch den Heiligen Geist.

Sehen Sie, ich habe etwas Merkwürdiges erlebt, für mich merkwürdig: Während ich mich mit diesen Gedanken beschäftigte, blätterte ich ganz zufällig in einem Buch meines Bücherschranks, das ich bestimmt seit zehn Jahren nicht mehr in der Hand gehabt hatte. Es ist ein Buch, das um die Jahrhundertwende ein großes Aufsehen erregte, geschrieben von einem Mann namens Hilti, mit dem Titel „Glück“.

So hatten unsere Väter alle Hiltis Glück im Bücherschrank stehen, fromme und gottlose. Ich nahm das Buch in die Hand, suchte einen geeigneten Abschnitt, um in einem Blatt etwas auszufüllen, schlug auf und las gerade diesen Abschnitt, den ich Ihnen wörtlich vorlesen muss:

„Diese Führung durch Gott, die es wirklich gibt, wird dir wahrscheinlich sofort eine tüchtige Arbeit auferlegen. Dagegen wird sie dir keinen vornehmen noch geistlichen Müßiggang gestatten. Sie wird dir ebenso wenig gestatten eine allzu große Zartheit der Empfindung. Sie wird dir nicht gestatten Menschen- oder Tatenscheu, Nervosität oder andere solche Zustände, durch welche viele Menschen abgehalten werden von allem, was nicht den gewöhnlichen Anschauungen der Menschheit oder dem gerade herrschenden Zeitgeist entspricht.“

Solche Führung legt Aufgaben auf. Genau wie bei der Auslegung dieses Wortes fiel mir die Hände: „Geh hin und halte dich zu dem Wagen!“ Philippus ist gefürcht vom Heiligen Geist. Und zwar so gefürcht, nicht dass er in Ekstase gerät, sondern dass er Aufträge bekommt.

Aufträge, die gar nicht einfach sind, denn ein schlichter Handwerker soll jetzt einem Finanzminister zum Leben verhelfen.

Ein Seelsorger, der in die Not des Äthiopiers trifft

Und nun kommen wir zum zweiten Punkt: dem originalen Christenleben. Dieses Leben wird klar, hell und deutlich durch den Heiligen Geist geführt.

Ich komme nun zum zweiten originalen Christenleben. Dort steht uns ein Leiter vor Augen – ein Seelsorger, der in die Dunkelheit tritt. Gehen wir zurück an die Straße im Geist von Jerusalem nach Gaza. Mühselig mahlen die Räder durch den tiefen Sand dieses Wüstenweges. Auf dem Wagen sitzt ganz versunken in seiner Lektüre der äthiopische Finanzminister, dessen Namen wir nicht kennen. Er liest laut, verzweifelt, denn er versteht es nicht.

Plötzlich fährt er hoch. Er ist angesprochen, obwohl er niemanden gesehen hat. Eine Stimme ertönt: "Verstehst du auch, was du liest?" Nun, das ist eine unverschämte Frage. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Zug – was wahrscheinlich selten vorkommt, da viele lieber Auto fahren – und gegenüber sitzt jemand, der einen Horrorroman, eine Enzyklopädie oder ein Wissensbuch liest. Sie unterbrechen diese Person und fragen: "Verstehst du eigentlich, was du da liest?" Was glauben Sie, welche Antwort Sie bekommen würden? Sicherlich eine freche und unverschämte Frage.

Hier kann ich nur sagen: Mit diesen Worten handelte der Heilige Geist. Er gestattete Philippus keine allzu große Zartheit der Empfindungen. Er erlaubte ihm keine Scheu vor Menschen, keine Nervosität. Also fragte er: "Verstehst du, was du liest?"

Und nun, liebe Freunde, das Seltsame ist: Diese Frage war genau die Frage, die gestellt werden musste, wenn man echte Seelsorge leisten wollte. Diese Frage war ein Schuss ins Schwarze. Versteht ihr den Ausdruck „Schuss ins Schwarze“? Wenn man auf eine Zielscheibe schießt, etwa mit dem Bogen, kann man verschiedene Ringe treffen. Der beste Schuss ist der, der genau in die Mitte trifft, den schwarzen Kreis – das Zentrum, das gilt zwölf Punkte.

Die Frage des Philippus traf genau ins Schwarze, ins Herz des Äthiopiers. Sehen Sie, das war seine Lage: Er war enttäuscht. Kultus, Tempel, Priester hatten ihm keinen Frieden geben können. Wer Frieden bei Priestern und in Tempeln sucht, wird ihn nie finden. Nun aber hat er Gottes Wort bekommen. Gottes Wort, und doch fühlt er, dass es ihm nichts bringt. So spricht er selbst: „Da kann ich ihn finden, aber ich verstehe es nicht, ich verstehe es nicht.“ Ihn packt die Verzweiflung. Jetzt hat er das Ende erreicht und kann es nicht festhalten.

Da sagt der ungerufene Seelsorger: „Verstehst du, was du liest?“ Liebe Freunde, das ist Seelsorge. Seelsorge bedeutet, den anderen so zu verstehen, dass man mit einem einzigen Satz seine Not ins Licht stellt.

Ich denke an mein eigenes Leben zurück. Ich erinnere mich, wie ich als junger Mensch, der Angst vor der Hölle hatte, zu einem Pfarrer ging und fragte: „Was soll ich tun, damit ich nicht in die Hölle komme?“ Und er sagte mir: „Och, machen Sie sich keine Sorgen, Sie dürfen nicht grübeln, Sie dürfen sich nicht sorgen.“ Ich dachte: „Sie wissen es nicht.“

Oder wie ich vor meiner Bekehrung war, tief in Sünden verstrickt, und mit einem Seelsorger unterwegs war. Wundervoll, dachte ich, wird er mir nicht ein Wort sagen? Und wenn er nur den einen Satz gesagt hätte: „Du bist ein Knecht des Teufels“, hätte ich geschrien: „Ja, ja!“ und alles ans Licht gebracht. Aber er sagte es nicht. Ich war enttäuscht und grimmig.

Nun stelle ich mir die vielen Menschen vor, die zu mir zur Seelsorge kamen und ebenfalls enttäuscht wurden, weil man stundenlang sprach, aber der entscheidende Satz nicht fiel. Sie gingen enttäuscht weg, weil ich nicht die Vollmacht des Philippus hatte.

Vielleicht sagen Sie: „Das ist also ein Text für den Pfarrer.“ Liebe Freunde, der letzte Schläfer möge jetzt aufwachen. Das ist keine Frage nur für Pfarrer. Philippus war ja gar kein Pastor. Sehen Sie, das gehört zum originalen Christenleben der ersten Christengemeinde: Wer in Jesus Heil gefunden hatte, war Seelsorger für den anderen.

Nun blicken wir auf die hilflose Christenheit, in der wir heute leben. Wenn ein Mensch in innerer Not ist, sagt man: „Geh mal zum Pfarrer, der kann dir helfen.“ Da wird Philippus sofort zum Seelsorger für einen Finanzminister, ein Seelsorger, der sofort in die Dunkelheit tritt. In ihm wohnt der Geist Gottes, der ihn Menschen verstehen und lehren lässt.

Meine Freunde, wenn wir gar nichts anderes erleben als das Gefühl dessen, was uns fehlt, und seufzen über unseren Mangel – das ist schon eine ganze Menge. Wenn ich Philippus sehe, der mit einem Satz die Verzweiflung dieses Äthiopiers ans Licht bringt und sofort den richtigen Satz findet, dann möchte ich wirklich beten, so wie wir eben so kraftvoll sangen: Wach auf! Hör auf, du Geist der ersten Zeugen! Rette uns aus diesem Kopien-Christentum, aus diesem Nachdruck-Christentum, und lass uns wieder das originale Christenleben erleben, in dem der eine Christ dem anderen helfen kann, zum Licht zu finden.

Jesus ist nicht gestorben, um eine Allerweltskirche zu gründen, sondern um Menschen zu erretten und zu erlösen. Er ruft seinen Dienst, damit sie anderen Führerdienst zum ewigen Leben tun können.

Ein demütiger Mann, der von Gott klein gemacht wird

Lassen Sie mich noch ein Drittes sagen: Originales Christenleben.

Ein Mann, der klare Führung hat, ein Seelsorger, der einen Schwarzen trifft.

Der dritte Teil ist nicht nur beiläufig, er ist sehr wichtig: ein Mann, der von Gott klein gemacht ist. Ein Mann, der von Gott klein gemacht ist.

Meine Freunde, da wird der Finanzminister, dieser Äthiopier, dieser reiche Mann, auf einmal gefragt: Verstehst du auch, was du liest?

Ich will Ihnen ganz offen sagen: Wenn mich einer anhielte und plötzlich fragte: „Verstehen Sie, Pastor Busch, was Sie lesen?“, würde ich antworten: „Hören Sie mal, das geht Sie einen Dreck an, Sie sind ein unverschämter Kunde!“ Und wenn der Mann aus seinem Reisewagen so etwas gesagt hätte, würde ich mich gar nicht wundern.

Wissen Sie, schon nur kleine Menschen fragen so etwas: „Was wollen Sie eigentlich?“

Das Wunderliche ist, dass das nicht geschieht, sondern dass der Äthiopier in seiner Verzweiflung eingesteht: „Ich verstehe Gottes Wort nicht.“ Und St. Philippus sagt: „Du siehst aus wie einer der wenigen, die dem Frieden Gottes schon gefolgt sind. Mensch, steig auf, vielleicht schiebst du mich.“

Der vornehme Mann lädt den kleinen Philippus ein, sich auf seine wundervollen Polster zu setzen.

Ach, liebe Freunde, das ist es: Wenn Gottes Geist anfängt zu wirken, dann werden die Großen klein, dann werden die stolzen Herzen niedrig. Dann suchen die reservierten Leute auf einmal Hilfe. Die sich fremd waren, werden Brüder. Und dann erfährt man doch herrlich nah denen, die zerbrochenen Herzens sind.

Es sind ja noch so großartige Leute. Daher ist ferne von den hochmütigen Herzen, daher ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind.

Und meine Freunde, können Sie nicht helfen? Ich muss noch eben ein Problem ansprechen, jetzt am Schluss, wo Sie müde sind. Aber ich kann nicht anders.

Ein Problem, das heute die Menschen bis jetzt beschäftigt: Einer meiner jungen Freunde, der Theologie studiert, war kürzlich in einem Seminar, wo kräftig Bibelkritik betrieben wurde.

„Das ist echt, und das ist unecht, und da muss man das raustun.“

Da sagt mein junger Freund zum Professor: „Herr Professor, wenn Sie Recht haben, dann kann ein Laie ja gar nicht mehr allein die Bibel lesen. Dann muss er ja Ihre Beratung haben, weil er sie sonst nicht ernst nehmen kann.“

Darauf sagt der Professor: „Allerdings, so ist es. Ein Laie kann ohne theologische Beratung die Bibel nicht lesen.“

„Ja“, sagt der Junge, „aber dann machen wir ja lauter Unsinn im Weihglauben. Wir geben dem Jungen sein Testament in der Hoffnung, dass Gottes Wort gewaltig mit ihm redet. Das ist Unsinn“, sagt er. „Also ohne theologische Beratung kann ein Laie die Bibel nicht verstehen.“

Damit sind wir also glücklich katholisch geworden, nicht? Ohne theologische Beratung kann ein Laie die Bibel gar nicht lesen.

Und dann sagt er ihm als Beweis: „Denken Sie an den Kämmerer aus dem Morgenland. Der las die Bibel, verstand sie nicht, bis Philippus ihn beriet.“

Was ist darauf zu antworten?

Darauf ist zu antworten: Philippus war ja gar kein Theologe, er war ja kein studierter Mann, nicht?

Vor allem aber ist dies zu sagen: Das wichtigste Wissen, der Kämmerer hatte noch nicht das Neue Testament. Er hatte nur das Alte Testament.

Mit seinen Verheißungen auf Jesus im Neuen Testament wird uns die Erfüllung verkündigt. Dort wird uns der gekreuzigte Sünder-Heiland vor die Augen gemalt. Dort sehen wir die Auferstehung.

Das hatte der Kämmerer noch nicht.

Doch Philippus war gleichsam für den Kämmerer das Neue Testament. Denn Philippus war dem Kämmerer sein neues Testament.

Wir haben die ganze Bibel. Und ich möchte Ihnen mit allem Nachdruck sagen: Sie können die Bibel lesen. Wenn Sie anfangen zu lesen, fangen Sie mit dem Johannes-Evangelium an, nicht? Fangen Sie mit dem Johannes-Evangelium an.

Wenn Sie anfangen zu lesen, werden Sie merken, wie ehrgewaltig er redet und dass Sie nur die Beratung des Heiligen Geistes brauchen und sonst gar keine.

Und ich wünsche mir, dass alle Hörer meiner Predigt ganz selbständig, sehr selbständig anfangen. Werden Sie mündliche Christen und nicht so schrecklich abhängige Pastorenknechte, Pfaffenknechte oder Priesterknechte. Werden Sie mündlich christlich!

Ich wünsche mir, dass alle Hörer meiner Gemeinde selbständig anfangen, die Bibel zu lesen und zu suchen, was die Wahrheit ist. Das gäbe eine Erweckung, das gäbe eine Erweckung.

Aber nun kehren wir zurück zu dem Äthiopier.

Gott hat ihn demütig gemacht, klein gemacht. Enttäuschung zuhause, Enttäuschung in Jerusalem, verständnislos vor der Bibel.

Gott hat ihn zur starken Verzweiflung geführt, und damit hat er ihn zur Bereitung gebracht, mit Philippus nun den Gang anzutreten unter Jesu Kreuz, wo man das Lamm Gottes sieht.

Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten.

Meine Freunde, das ist Gottes wundervollstes Geschäft.

Neulich fragte mich jemand: „Warum gibt es keine Wunder heute?“

Sehen Sie, es ist Gottes wundervollstes Geschäft, wenn er Menschen durch Lebensführung oder sonst etwas so zerschlägt, so fertig macht, dass sie nun unter Jesu Kreuz wirklich geheilt werden können.

Sie wollen beten: „Oh Herr, führe uns auch diesen Weg! Nimm uns weg, was uns lieb ist, zerschlage unser Leben, aber tu alles nur, damit wir auch unterm Kreuz Frieden finden. Lass auch unser Leben nicht in den Halbheiten stecken, Herr, lass uns wieder originales Geisteswirken und Christen- und Glaubensleben erfahren.“ Amen.