Rückblick auf die Anfänge des Christentums und seine Verbreitung
Wenn ihr euch noch daran erinnert, wisst ihr, dass wir uns beim letzten Mal, als wir hier zusammengekommen sind, über die Christen in den ersten drei Jahrhunderten unterhalten haben. Ich habe versucht, euch in das Lebensumfeld mitzunehmen, in dem sie gelebt haben. Außerdem habe ich euch erklärt, wo sie überhaupt gelebt haben. Denn manchmal entsteht der Eindruck, dass das Christentum in Deutschland entstanden sei – das war natürlich nicht so.
Ich habe euch gesagt, dass ein Schwerpunkt des Christentums in Nordafrika lag. Ein weiterer Schwerpunkt war in den Ländern, die heute islamisch sind. Das heißt im Libanon, Jordanien, Syrien und auch Israel. Die Türkei und die gesamte Region dort gehörten ebenfalls dazu. Außerdem gab es in Südeuropa, also in Griechenland, Spanien und Italien, einen Schwerpunkt des Christentums in diesen ersten drei Jahrhunderten.
Ich habe euch auch erklärt, dass sich das Christentum weit darüber hinaus verbreitet hat. Es gab afrikanische Länder und Länder in Asien, die erreicht wurden. Vereinzelt kam das Christentum auch nach Nordeuropa, besonders dorthin, wo die römischen Truppen stationiert waren.
Danach habe ich versucht, euch in die Gedankenwelt der damaligen Zeit mitzunehmen. Wir haben uns mit der Gnosis beschäftigt, einer Philosophie, die stark in Konkurrenz zum christlichen Glauben stand. Wir haben uns auch mit den Menschen beschäftigt, die etwas gegen das Christentum hatten.
Ich habe euch gesagt, dass das heidnische Opferpriester waren, Philosophen, Juden und der römische Staat. Vereinzelt waren es auch ganz normale Bürger, die sich über die Christen ärgerten. Denn ich weiß nicht, ob ihr euch vorstellen könnt, wie unangenehm solche Christen manchmal sein konnten.
Ihr habt einen christlichen Nachbarn, der alle paar Wochen bei euch vorbeikommt und sagt: „Du gehst in die Hölle, wenn du nicht an Jesus glaubst.“ Viele der frühen Christen waren so direkt, und das wollten die Nachbarn nicht unbedingt hören. Oder sie wollten sich irgendwo im Zirkus vergnügen, wo Menschen abgeschlachtet wurden, und da sagten die Christen: „Ihr Gottlosen, was ihr da macht, dafür werdet ihr bestraft.“
Wenn man dann seine Kinder, die man nicht haben wollte, draußen aussetzte, beschwerte sich der Nachbar auch noch darüber, dass man den armen Kindern etwas antut. Solche Christen wurden von ganz normalen Leuten oft als nervig empfunden. Sie nahmen alle möglichen Vorurteile auf und warfen sie den Christen um die Ohren.
Ich habe euch einige dieser Vorwürfe genannt: Inzest, Töten und Essen von Kindern, Atheismus und viele andere. Christen mussten sich damit auseinandersetzen. Sie schrieben zum Teil Bücher, insbesondere die Apologeten der damaligen Zeit.
Am bekanntesten unter diesen Apologeten ist Herr Tullian, von dem ich euch auch ein bisschen vorgelesen habe. Er schrieb ein ganzes Buch, in dem er all diese Vorwürfe aufgreift und versucht, sie zu beantworten. Zum Teil erklärt er den Nichtchristen, was hinter diesen Missverständnissen steckt. Zum Teil nennt er logische, geschichtliche und biblische Argumente.
Dann geht er noch einen Schritt weiter. Meistens greift er in seiner Apologetik auch die Heiden selbst an und sagt: „Das, was ihr uns vorwerft, ist eigentlich das, was ihr tut.“ Er begnügt sich also nicht damit, sich selbst zu rechtfertigen, sondern nutzt das als Mittel der Evangelisation. So will er den Nichtchristen zeigen, wo sie wirklich stehen.
Wege der Evangelisation und das Martyrium
Dann haben die Christen einen Weg zur Evangelisation gefunden: Sie litten einfach, sie litten für Jesus. Ich habe euch Beispiele vorgelesen, in denen sie bereit waren, für Jesus zu sterben. Und das taten sie auf eine Weise, die alle anderen Heiden ringsherum mehr überzeugte als jede Predigt. Denn sie sahen, dass das, was die Christen taten, menschenunmöglich war. Niemand konnte das aus eigener Kraft schaffen.
Auch wenn ihr beim Vorlesen vielleicht gedacht habt: „Das würde ich ja nie schaffen“, dann war das genau das Empfinden, das die Zuschauer damals hatten. Und genauso fühlten es die Christen damals selbst, denn sie konnten es aus eigener Motivation nicht schaffen. Aber gerade das hat viele angesprochen. Dieser Spruch, der auch von Tertullian stammt, sagt: „Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche.“ So wuchs die Kirche durch dieses Zeugnis.
Die Christen evangelisierten auch durch ihre Sozialarbeit, so könnte man das heute nennen. Ich habe euch Beispiele genannt: Sie pflegten Pestkranke, nahmen Waisenkinder auf, betreuten ausgesetzte Alte und taten viele andere Dinge mehr. Sie ließen sich sogar selbst versklaven, um sich um Gefangene zu kümmern. Das waren Wege, wie sie andere erreichten.
Was sie relativ wenig machen konnten, war groß angelegte Evangelisation. Das war ja illegal, denn Christen waren offiziell nicht erlaubt, auch wenn sie nicht immer verfolgt wurden. Sie hatten Gottesdienste und luden dazu Christen ein. Dort hörten Menschen vom Glauben, und das war ein wesentlicher Punkt, wie sie den Glauben weiterverbreiteten. Persönliche Beziehungen spielten natürlich auch eine große Rolle. Diese Mittel wählten sie damals, und sie standen auch dem normalen Christen zur Verfügung.
Bei den Verfolgungen habe ich euch gesagt, dass sie nicht kontinuierlich und nicht flächendeckend waren. Es gab Anweisungen, zum Beispiel von Plinius, dem Statthalter in Bithynien. Er wurde angewiesen: „Die Christen sollst du nicht suchen. Wenn jemand sie anonym anklagt, musst du nicht nach ihnen fahnden. Wenn einer angeklagt wird und sofort bereut und dem Kaiser opfert, ist alles gut. Er wird sofort wieder freigelassen. Nur wenn jemand hartnäckig bleibt, muss er mit dem Tod bestraft werden.“ Das war die gängige Regel während der meisten Zeit der ersten drei Jahrhunderte.
Damit konnte man leben. Wenn du keinen böse gesinnten Nachbarn hattest, konntest du Christ sein. Der Nachbar akzeptierte dich, und es wurde nichts gegen dich unternommen. Man musste ja nicht nach dir suchen, es gab keine Fahndung. So lebten die Christen in einer Art Halbilllegalität.
Ihr müsst euch auch die ersten Römer vorstellen: Das waren keine Fanatiker, ganz im Gegenteil. Sie waren eher pluralistisch gesinnt, vergleichbar mit den Menschen heute. Das Mittelalter wirkt uns oft viel weiter entfernt in seiner Einheitlichkeit der religiösen Überzeugung. In der Antike waren alle möglichen Religionen denkbar, denen man nachgehen konnte.
Man sagte nur: Du musst loyal zum Staat sein. Deshalb musst du den Kaiser als religiöse Instanz anerkennen und vor seinem Standbild Opfer bringen. An welche Götter du sonst glaubst, war völlig egal. Du konntest Gottesdienste besuchen, dich taufen lassen und machen, was du wolltest. Das interessierte eigentlich niemanden. Aber an dieser Stelle sollte sich die Loyalität gegenüber dem Staat zeigen.
Möglicherweise war das eine ähnliche Situation, wie sie uns beim Antichristen bevorsteht. Wenn er tatsächlich in eine so liberale Zeit hineingeboren wird, wie wir sie jetzt erleben, würde man sagen: „Glaub alles, was du willst, aber hier, wo du Absolutheitsanspruch hast oder wo die Demokratie über allem steht, musst du anerkennen, dass unser Führer gehuldigt wird.“ Dann kannst du glauben, was du willst. So war es damals zumindest.
Tatsächlich merken wir heute, dass manche Menschen ähnlich sind, wenn wir mit ihnen sprechen. Wenn du sagst, du bist Christ und Jesus Christus bedeutet dir viel, sind die meisten Menschen heute gar nicht aufgeregt. Sie sagen vielleicht: „Gut, schön für dich, freut mich, aber für mich ist das nichts. Ich brauche das nicht.“ So liberal waren die meisten Römer damals. Sie regten sich nicht auf, vorausgesetzt, du hast sie nicht angegriffen.
Aber diese intoleranten Christen taten das natürlich. Sie sagten: „Das ist nicht nur etwas für mich, sondern auch für dich. Wenn du nicht daran glaubst, gehst du verloren, und deine Götter sind alle falsch.“ Das war das Ärgernis damals. Nicht das Christsein an sich, also dass du einen Gottesdienst besucht hast. Die Christen konnten sagen: „Ja, ich gehe zum Gottesdienst, und das macht mir nichts.“ Aber dieses Radikale hat die Leute aufgebracht.
Zeugnisse des Glaubens und die Anfänge der Heiligenverehrung
Es gibt sehr beeindruckende Zeugnisse darüber, wie Christen in der Vergangenheit zu ihrem Glauben gestanden haben. Ein Beispiel ist Polikarp. Ich habe euch das jetzt nicht vorgelesen, aber ihr könnt es in den Quellenbänden, die ich hier gelesen habe, nachlesen.
In seiner Stadt gab es eine schwere Verfolgung. Polikarp war zu diesem Zeitpunkt über achtzig Jahre alt und Gemeindeleiter der Gemeinde. Die jungen Christen, die richtig für den Glauben brannten, sagten: Polikarp ist alt, den können wir schützen. Sie brachten ihn auf ein Landhaus außerhalb der Stadt, damit er sich dort verstecken konnte, bis die Verfolgung vorbei war.
Dann träumte Polikarp, dass sein Kopfkissen anfing zu brennen. Er deutete das als Zeichen, dass die Zeit des Martyriums gekommen sei. Tatsächlich standen am nächsten Tag Soldaten vor der Tür. Sie hatten herausgefunden, dass Polikarp als Gemeindeleiter dort versteckt war.
Die Soldaten kamen zu ihm, doch Polikarp war nicht aufgeregt. Stattdessen lud er sie zum Frühstück ein, bereitete ihnen Essen zu und bat um eine Stunde Zeit zum Beten. Diese Stunde nutzte er nicht, um zu fliehen, sondern um zu beten. Danach ging er mit den Soldaten zurück in die Stadt.
Dort stand er vor dem Statthalter, der ihn aufforderte, zu bereuen. Polikarp lehnte ab und sagte: „Ich bin seit 80 Jahren Christ. Ich bin als Kind zum Glauben gekommen, und mein Herr hat 80 Jahre lang treu zu mir gestanden. Warum sollte ich ihn jetzt leugnen?“
Der Statthalter verstand diese Hartnäckigkeit nicht und drohte mit wilden Tieren. Polikarp antwortete: „Dann lasst die wilden Tiere kommen.“ Das brachte die umstehende Menge noch mehr auf, sie fingen an zu schäumen. Die Tiere jedoch waren an diesem Tag bereits satt, da sie schon genügend Christen gefressen hatten. Deshalb konnte man sie nicht mehr einsetzen.
Der Statthalter sagte daraufhin: „Ich werde dich mit dem Feuer übergeben.“ Polikarp erwiderte ähnlich wie zuvor: „Dieses Feuer, das du anzündest, davor habe ich keine Angst. Es brennt nur kurz und zeitlich. Aber bedenke, wenn du nicht umkehrst, wirst du ins ewige Feuer geworfen werden.“
Das war natürlich sehr mutig. Der Statthalter wurde dadurch noch mehr provoziert. Schließlich forderte der Mob der Stadt, nicht mehr die Soldaten, die Tötung Polikarps. Sie sammelten Reisig aus den Häusern, gingen in die Badeanstalt, holten dort weiteres Holz und zündeten ein großes Feuer an.
Man wollte Polikarp die Hände zusammenbinden, damit er nicht wegläuft. Doch er sagte: „Gott wird mir die Stärke geben, ihr braucht mich nicht zu binden.“ Er stellte sich in das Feuer. Es wird berichtet, fast wie ein Wunder, dass er zunächst nicht verbrannt wurde.
Man kann natürlich sagen, das sind Geschichten, und man weiß nicht, ob sie wirklich stimmen. Aber wenn wir an das Alte Testament denken, an Daniel und seine Freunde, da war es ähnlich. Als das Feuer dann richtig brannte, wurde Polikarp schließlich erstochen und war wirklich tot.
Die Christen der Stadt, die die Verfolgung überlebt hatten, sammelten seine Knochen ein und bestatteten sie. Jedes Jahr wurde an dem Ort, an dem er begraben war, gefeiert. Man erinnerte sich daran, dass Polikarp ein vorbildlicher Christ war und Jesus besonders nachgefolgt ist. So wollten sie es auch tun.
Das können wir nachvollziehen. Stellt euch vor, ihr kennt einen vorbildlichen Christen, der euch vielleicht zum Glauben geführt hat und sogar Märtyrer geworden ist. Ihn als Vorbild zu nehmen, ist eine gute Sache.
Viele Christen besuchen Orte, an denen bedeutende Glaubenszeugen gelebt haben. Ich selbst war zum Beispiel in Wittenberg, an der Wartburg und an Orten, wo Luther oder August Hermann Francke gewirkt haben. Es ist beeindruckend zu erleben, dass Gott an diesen Orten auf besondere Weise gewirkt hat. So kann ich mich gut in diese Christen hineinversetzen.
Gleichzeitig war das auch der Anfang der Heiligenverehrung. Am Anfang sagte man nicht: „Jetzt machen wir ein paar Heilige, zu denen wir beten.“ Nein, man nahm nur diese vorbildlichen Christen und erinnerte sich an sie. Das war noch gut.
In der nächsten Stufe dachte man: Wenn diese Christen so vorbildlich sind, dann sind sie Gott näher als ich. Vielleicht hört Gott eher auf sie, wenn sie für uns bitten. Diese Vorstellung ist bei manchen Christen weit verbreitet.
Ich habe das mal erlebt: In einer Gemeinde hatte eine Frau seelsorgerliche Probleme. Sie erzählte mir davon. Ich fragte sie, ob sie schon gebetet hätten. Sie sagte, die Ältesten hätten gebetet, aber die seien nicht mächtig genug gewesen. Sie meinte, wenn sie selbst bete, dann sei das noch mächtiger und es würde bestimmt etwas passieren.
Das ist natürlich eine falsche Vorstellung. Ich habe mit ihr gebetet und ihr gesagt, dass das Gebet der Ältesten nicht weniger hilft. Es kommt auf Gott an, nicht auf ein „mächtiges“ Gebet. Manche Christen glauben aber, dass bei bestimmten Personen das Gebet eine besondere Macht hat. Das ist ein Menschenkult. Solche Vorstellungen führen oft zur Heiligenverehrung.
Es gibt auch unter Christen „Heilige“. Wenn wir 500 Jahre warten, haben wir vielleicht auch Reliquien von ihnen. Zum Beispiel vom heiligen Hudson Taylor oder heiligen Billy Graham. Ich habe gegen diese Menschen nichts, sie waren vorbildliche Christen, genauso wie Irenäus, Hieronymus oder Tertullian.
Aber es kommt darauf an, wie wir damit umgehen. Es gibt manchmal fast mystische Vorstellungen, die an Heiligenverehrung grenzen. Teilweise ist das wahrscheinlich in uns allen angelegt.
Stellt euch vor, Billy Graham würde in eurer Nachbargemeinde eine Bibelstunde halten. Für wen wäre es nicht eine Versuchung, diese Bibelstunde als besonders wichtig anzusehen? Dabei sagt er vielleicht genau dasselbe wie euer Pastor.
Ich möchte euch nicht böse machen, aber vor ein paar Jahren hatten wir hier zur Frühjahrskonferenz Peter Hane eingeladen. Es kamen so viele Leute wie selten zuvor. Ich habe nichts gegen Peter Hane, aber für manche Christen ist er schon eine Art Heiliger, vor allem, weil er im Fernsehen ist. Was er sagt, hat besonderen Wert. Wenn euer Pastor dasselbe sagt, dann nicht.
Das ist ähnlich wie bei Jugendlichen, die von ihren Eltern etwas zehnmal hören und es ignorieren, aber wenn der Jugendleiter es sagt, dann kommt eine große Erkenntnis nach Hause. Die Mutter denkt sich: „Das habe ich dir auch schon zehnmal gesagt.“
So ähnlich ist das bei uns Christen. Wir können vielleicht nachvollziehen, wie die Heiligenverehrung entstanden ist. Man sah diese vorbildlichen Menschen, die zweifellos vorbildlich waren, und machte mehr aus ihnen, als sie selbst wollten. Die armen Leute konnten sich nicht wehren, sie waren ja schon tot.
Irgendwann kam die Idee, dass aus ihren Knochen eine besondere Kraft ausgeht. Man leitete das aus der Bibel ab, ähnlich wie manche Charismatiker heute. Zum Beispiel bei den Schweißtüchern der Apostel: Wenn die geheilt werden, warum nicht auch bei den Schweißtüchern von Theatullian? Er war doch auch heilig.
So nahm man Gegenstände von Heiligen, hängte sie als Amulette auf oder brachte sie in die Kirche. Dort war dann Gott in besonderer Weise gegenwärtig. Nach und nach entstand so die Heiligenverehrung.
Das geschah nicht von heute auf morgen. Stellt euch vor, Polikarp starb, wie ich es erzählt habe. Erst 100 Jahre lang erinnerte man sich an ihn als vorbildlichen Christen. Dann dachte man: „Der könnte doch auch etwas für uns tun.“ Man bat ihn, bei Jesus für ein Problem zu bitten. Das ging weitere 100 Jahre so.
Dann kam jemand auf die Idee: „Wir haben doch noch ein paar Knochen von ihm.“ So entwickelte sich diese Vorstellung über Jahrhunderte. Das ist gefährlich, deshalb müssen wir auf die Anfänge achten, auch in euren Gemeinden.
Manchmal gibt es kleine Weichenstellungen, bei denen man denkt: „Das kleine bisschen macht nichts.“ Im Moment mag das stimmen, aber nach hundert Jahren, falls eure Gemeinde noch existiert, wird daraus meist mehr und mehr.
Dann sagt man vielleicht: „Wenn jemand die Bibel nicht mehr zum Gottesdienst mitbringt, ist das nicht schlimm.“ Es gibt ja keinen Bibelvers, der das verbietet. Mit der Zeit bringt der erste die Bibel nicht mehr mit, dann der zweite. Nach zehn Jahren bringt keiner mehr die Bibel mit.
Nach zwanzig Jahren liest keiner mehr in der Bibel. Nach dreißig Jahren wissen sie nicht mehr, was in der Bibel steht. Ich übertreibe ein bisschen, aber meistens geht eine einmal eingeschlagene Entwicklung so weiter. Am Ende wundert man sich, wie es dazu kommen konnte.
Wandel in der Frömmigkeit und die Gefahr von Irrlehren
Ich schreibe unter anderem gerade meine Doktorarbeit über die Erweckungsbewegung in Ravensberg und die Entstehung des Bertelsmann Verlags in dieser Gegend. Der Bertelsmann Verlag wurde 1830 gegründet. Karl Bertelsmann war damals ein frommer Mann, der durch die Erweckungsbewegung zum Glauben gekommen ist.
Er erkannte, dass die Erweckungsbewegung Liederbücher brauchte. Damals gab es nur kirchliche Liederbücher, also entschied er sich, diese in seiner Druckerei zu drucken und begann damit. Er druckte Traktate und Schulbücher, denn die Erweckungsbewegung forderte eine christliche Schule. So wurde in Gütersloh ein christliches Gymnasium gegründet, zusammen mit einigen anderen. Da es keine passenden Schulbücher gab, schrieb und verlegte er christliche Schulbücher.
Nach und nach kamen weitere Projekte hinzu, und das Ganze lief etwa fünfzig Jahre gut. Dann kam sein Sohn dazu. Er machte zunächst nicht viel Schlimmes, sondern gründete nur einige weitere Verlage. Dabei bemerkte er, dass auch Bücher gut liefen, und so nahm er einige Romane ins Programm auf. Diese waren nicht böse, sondern unterhaltsam, und man fragte sich, ob man damit nicht auch etwas verdienen könnte. So ging es noch einmal etwa fünfzig Jahre lang bis Anfang des 20. Jahrhunderts.
Dann bemerkte man, dass die christliche Literatur nicht mehr so viel abwarf. Zwar gab es weiterhin eine kleine Sparte für Theologie, doch der Großteil des Verlagsprogramms bestand plötzlich aus ganz anderer Literatur. Wenn man heute den Vorsitzenden von Bertelsmann fragt, weiß dieser manchmal nicht einmal, dass der Verlag eine fromme Vergangenheit hat – denn heute spielt das kaum noch eine Rolle.
So kann sich eine Entwicklung Stück für Stück vollziehen. Deshalb sind wir umso mehr herausgefordert, auch auf kleinere Dinge zu achten – nicht auf Kleinigkeiten, an denen wir uns festbeißen. Aber wenn wir merken, dass jemand deutlich vom Wort Gottes abweicht, sollten wir nicht zu schnell sagen: „Mach doch nichts, um des lieben Friedens willen lassen wir das mal.“ In der Kirche hat dieser liebe Friedenswille dazu geführt, dass heute das mit der katholischen Kirche herausgekommen ist, was wir heute sehen.
Die katholische Kirche ist nicht von heute auf morgen entstanden. Sie hat sich innerhalb von zweitausend Jahren zu dem entwickelt, was sie heute ist. Die evangelische Kirche war da schon wesentlich schneller. Sie hat in etwa fünfhundert Jahren das erreicht, was sie heute ist – und das war ja auch nicht mehr der Anfang. Wie man so schön sagt: Luther würde sich wahrscheinlich heute im Grab umdrehen, wenn er sehen könnte, was aus der evangelischen Kirche geworden ist. Er würde wohl die nächste Reformation starten.
Jetzt bin ich mal ein bisschen böse, und ich hoffe, ihr seid mir nicht allzu böse. Ich möchte sagen: Die Baptistengemeinden haben es noch schneller geschafft. Sie sind nämlich erst etwa 150 Jahre alt, aber nicht ganz so weit entfernt von dem, wo die evangelische Kirche heute steht. Nun seid ihr mir natürlich böse, das weiß ich. Wenn ich Konfessionskunde hätte, könnte ich von den anderen Konfessionen genauso kritische Dinge sagen. Das ist ja übertrieben, stimmt.
Es gibt ja Baptisten und Gemeinden und einzelne Baptisten, die sehr klar am Wort Gottes stehen. Aber wenn man den Gesamtbund betrachtet, gibt es schon einige beängstigende Entwicklungen. Die kennt ihr ja auch, wenn ihr Baptisten seid, da muss ich euch ja nichts erzählen. Zum Beispiel wurden vor ein paar Jahren in der Baptistenklinik in Berlin Abtreibungen vorgenommen. Wie kann man das vom Glauben her rechtfertigen?
Oder als Helge Stadelmann sich engagierte: Am Baptistenseminar wurde gelehrt, dass es keine Jungfrauengeburt gibt. Wie kann man das erklären? Heute wird dort auch Quellentheorie gelehrt, beispielsweise, dass Jesaja nicht von Jesaja selbst stammt, sondern von verschiedenen anonymen Autoren. Wie lässt sich das mit dem Glauben vereinbaren? Das ist doch problematisch, oder nicht?
Man merkt, dass sich vieles verändert hat. Johann Gerhard Oncken, als er die Gemeinde gründete, hätte sich das wohl nicht träumen lassen. Solche Veränderungen brauchen nicht immer Jahrtausende; manchmal geschehen sie schon in wenigen Generationen. Darauf müssen wir achten.
Wir müssen auch auf unsere eigene Frömmigkeit achten, denn sie kann ebenso traditionell und verfestigt werden. Es sind nicht immer nur die anderen, manchmal sind wir selbst daran beteiligt. Wenn ihr die katholische Kirche ablehnt, denkt daran: Die Christen damals hätten sie ebenso abgelehnt, wenn sie mit der heutigen katholischen Kirche konfrontiert worden wären. Aber damals war sie ganz anders.
Damals waren die meisten in der katholischen Kirche gläubig. Sie hatten noch keinen unfehlbaren Papst, noch keinen Papst überhaupt. Die Lehren von der Himmelfahrt Mariens oder der unbefleckten Empfängnis gab es damals noch nicht. Die katholische Liturgie, das Messopfer, bei dem Brot und Wein zu Fleisch und Blut Jesu werden, gab es ebenfalls nicht. Diese dogmatischen Lehrsätze wurden erst gegen das Jahrtausend festgelegt.
Das Papsttum und der Anspruch, dass der Papst wenig niedriger als Gott und viel höher als die Menschen sei, wurde erst im Mittelalter, etwa unter Innozenz III., mit dem Dictatus Papae eingeführt. Das waren Anfänge einer Fehlentwicklung, die damals oft noch nicht sichtbar war.
Auch die Apologeten, die ich sehr schätze, haben den Glauben intellektuell verteidigt. Sie argumentierten mit logischen Begründungen. Außerdem sagten sie, man erkenne den richtigen Glauben an einem vorbildlichen Leben. Genau das habe ich auch am letzten Abend gesagt: Schaut, wie vorbildlich die Christen damals lebten. Das stimmte.
Welche Gefahr liegt aber in dieser Argumentation? Genau hier beginnt die katholische Werksgerechtigkeit. Am Anfang war das gut – sie lebten so, wie sie es sagten, und das war Realität. Menschen kamen zum Glauben. Doch weil man nicht aufpasste und die Grenzen nicht sah, begann man allmählich, den Wert des Glaubens an das eigene Tun zu knüpfen.
Man sagte: Du bist ein guter Christ, weil du dieses und jenes tust. Die Bekehrung trat in den Hintergrund, stattdessen wurde das Handeln entscheidend. Das ist problematisch.
Auch die intellektuellen Argumente der Apologeten hatten ihre Schwäche. Wohin kann das führen? Genau so ist es auch gekommen: Es wurde eine Intellektualisierung des Glaubens. Plötzlich galt als gläubig, wer die richtige Dogmatik im Kopf hatte. Zweifellos ist die richtige Dogmatik sehr wichtig. Aber wenn jemand sie nur auswendig lernt und intellektuell bejaht, ist er deshalb Christ? Nein.
Christ ist, wer sein Leben Jesus Christus übergeben hat und Vergebung der Sünden erfahren hat. Hier kann eine gefährliche Akzentverschiebung stattfinden. Das heißt nicht, dass wir unmoralisch leben oder falsche Dogmatik vertreten sollen – das hilft uns ja auch nicht. Aber diese Dinge allein machen uns nicht selig, und das ist entscheidend. Wenn das schief läuft, entsteht ein Problem.
Genauso war es zum Beispiel auch beim Abendmahl.
Herausforderungen bei der Lehre vom Abendmahl
Beim Abendmahl heute zu erleben, wie Evangelische – hier überwiegend Evangelische – oft mit den Achseln zucken und fragen: „Wie kommen denn die Katholiken darauf, dass sie sagen, das Brot beim Abendmahl sei der Leib und der Wein das Blut Jesu?“ – das ist interessant. Eigentlich ist diese Auffassung entstanden, weil die Katholiken sehr bibeltreu waren.
Denn Jesus sagt doch bei den Einleitungsworten: „Nehmt hin, das ist mein Leib“, „das ist mein Blut, esst davon“. Und da kann man sprachlich deuten, was man will, aber da steht „ist“. Also ist es doch tatsächlich so. Hier merken wir, dass wir es manchmal nicht so leicht mit dieser Lehre haben. Wir können nicht einfach sagen, das muss falsch sein, denn es steht doch so da. Wenn wir es wortwörtlich verstehen, warum dann nicht auch hier?
Die Christen haben diese Worte wortwörtlich genommen. Und da wird klar: Es ist viel schwieriger, diese Lehre zu verwerfen. So leicht können wir das nicht loswerden. Wer sich ernsthaft darum bemüht, findet möglicherweise sogar Argumente dafür.
Es geht nicht darum, dass jetzt alle Katholiken werden sollen – das wäre nicht das Ziel dieses Abends. Ich will nur sagen: Man sollte das Thema nicht zu leichtfertig abtun. Wenn es Verführungen zu falschen Lehren gibt, können diese sich sehr biblisch anhören und sich sogar auf Bibelstellen stützen. Das ist oft das Gefährliche.
Gruppen, die viele Christen verführt haben, sind nicht unbedingt von vornherein als unbiblisch zu erkennen. Zum Beispiel gibt es in Walzenhausen den Ivo Sasek. Wenn man seine Predigten hört, klingt vieles sehr biblisch. Er geißelt die Irrtümer der christlichen Gemeinden zu Recht. Aber dann folgt plötzlich eine „biblische“ Antwort, und wenn man nicht genau aufpasst, merkt man gar nicht, wie man den Köder schluckt.
Bibelverse werden missbraucht oder uminterpretiert. Man findet eher eine Bindung an ihn, an seine Gruppe und seine Lehren. Er spricht von drei Stufen des Christseins, die man nur bei ihm erlangen könne.
Oder hier ganz in der Nähe gibt es Horst Schafranek, der auch einige Wohngemeinschaften hat und als Extremist gilt. Wenn man seine Sachen liest, klingt das alles biblisch. Er zitiert Bibelverse und wirkt sehr fromm – so fromm, dass man manchmal denkt, so fromm würde ich auch gern sein. Er scheint konsequent zu sein, und man achtet plötzlich nicht mehr darauf, wo es danebengeht.
Ich könnte noch zahlreiche solcher Leute nennen, bei denen besonders fromme Christen anfällig sind, darauf hereinzufallen, weil es sich so fromm anhört und Bibelverse zitiert werden.
Deshalb führt an der Bibel kein Weg vorbei. Gerade vor ein paar Wochen gab es in idea eine Diskussion über „bibeltreu oder jesustreu“. Das ist völliger Quatsch. Wie willst du jesustreu sein, ohne deine Bibel von vorne bis hinten zu kennen? Vielleicht hast du mystische Erfahrungen mit Jesus, aber wer weiß, ob das der Jesus ist, der wirklich in der Bibel steht – oder ob du dir nicht einen eigenen Jesus zusammenbastelst.
Ohne die Bibel geht das nicht. Was macht Jesus, als er gegen den Teufel kämpft? Sagt er: „Ich habe jetzt mal ein Gefühl“? Nein, er zieht Bibelverse heran. Was steht im Epheser 6? Wie kämpft man gegen den Teufel? „Das Wort Gottes ist das Schwert des Geistes.“ Das ist doch ganz klar.
Was sagt Jesus über das Wort Gottes im Alten Testament? Es ist ewig; kein Jota wird davon vergehen. Das heißt, wir können Jesus gar nicht kennenlernen und tief mit ihm leben, ohne unsere Bibel zu kennen.
Ich glaube, viele Gemeinden haben heute eine Problemschlagseite. Alle würden zustimmen, dass die Bibel wichtig ist, aber bei wenigen steht sie wirklich im Mittelpunkt. Das merkt man daran: Wie ist meine Zeit mit der Bibel? Manche schaffen vielleicht noch krampfhaft fünf Minuten am Morgen, vielleicht auch zehn.
Es hängt nicht an der Länge der Zeit, sondern an der Liebe zum Wort Gottes. Ich merke, dass Gott dadurch zu mir spricht. Erweckungszeiten waren ausnahmslos immer Zeiten, in denen sich Menschen neu an der Bibel orientiert haben.
Ich schreibe gerade einen Artikel über die Geschichte der Bibelübersetzungen, was ich ganz faszinierend finde. Ich weiß nicht, ob ich das schon erzählt habe. Christen haben seit Jahrhunderten immer wieder die Bibel übersetzt, weil sie gemerkt haben: Ohne das kann eine Gemeinde auf Dauer nicht leben.
Die Bibel muss in der Sprache der Menschen da sein, damit sie sie lesen können. Denn das ist das Wort Gottes. Es ist nicht in erster Linie durch Visionen, Träume oder Auditionen da, sondern niedergeschrieben. Dort steht, was wir alle wissen müssen.
Das heißt nicht, dass Gott nicht auch mal im Traum zu uns sprechen kann oder uns eine Vision schickt. Natürlich kann er das, und das tut er auch.
Meine Frau ist unter anderem durch einen Traum zum Glauben gekommen – natürlich nicht nur durch den Traum, aber er spielte eine wichtige Rolle. Sie träumte von der Kreuzigung Jesu, und Jesus sprach zu ihr: „Ich bin für dich gestorben.“ Das hat sie tief beeindruckt.
Parallel dazu hatte sie eine Schulfreundin, die gläubig war, obwohl ihre Eltern Atheisten sind. Innerhalb weniger Tage kam sie zum Glauben. Ich gehe davon aus, dass dieser Traum von Gott war.
Inzwischen hat sie öfter geträumt, aber nicht alle Träume waren von Gott. Es waren auch viele andere Gedanken verarbeitet, was einem so durch den Kopf geht. Aber Gott kann wirken.
Deshalb ist die Bibel wichtig – und das war sie damals auch.
Weiterführende Gedanken zum Abendmahl und zur Taufe
Nun möchte ich euch auch die Auflösung zum Abendmahl geben, damit ihr nicht denkt, es handele sich hier um das katholische Abendmahl.
Zunächst nehme ich die Argumentation ernst, dass es ja Blut und Fleisch sein könnte. Aber die Bibel widerspricht sich nicht, und das ist eine Grundlage, die wir haben. Wenn Gott im Alten Testament sagt, dass Blut zu trinken verboten ist, meint ihr, Jesus würde dann gegen die Ordnung des Alten Testaments verstoßen? Ich glaube nicht. Menschenblut war gar nicht erlaubt, und Tierblut war seit Noah ebenfalls verboten. Vor Noah war das nicht so streng; da war generell Fleisch und so verboten. Aber danach war Fleisch erlaubt, Blut jedoch verboten – das war nur für Gott bestimmt.
Hier würde Jesus also gegen das Gebot des Alten Testaments verstoßen, tut er aber nicht. Darüber hinaus war auch Kannibalismus im Alten Testament verboten. Insofern glaube ich, dass Jesus im Einklang mit dem Alten Testament handelt und an dieser Stelle nicht dagegen verstößt. Das wäre ein Argument, das ich dafür nennen würde.
Aber es ist ja problematisch, dass die Kinder das Brot nicht einfach essen, sondern es sich im Körper verwandelt. Das ist ja das Problem, das ich damit anspreche.
Meinst du bei den Katholiken? Die gehen davon aus, dass sich das Brot tatsächlich verwandelt, sobald das Glöckchen der Messdiener klingelt. Das heißt, man isst schon Fleisch und Blut. Das glauben sie zumindest. Es ist nicht erst so, wenn du es aufnimmst. Das ist die lutherische Kirche.
Die lutherische Kirche spricht von der Realpräsenz. Luther sagt, für den, der daran glaubt, ist es leibhaftig Fleisch und Blut. Aber solange du nicht daran glaubst, ist es normales Brot und normaler Wein. Die Katholiken hingegen gehen davon aus, dass es wirklich Fleisch und Blut ist. Deshalb wird das Brot auch nicht einfach weggeworfen, es darf nicht mehr gegessen werden, sondern wird ins Tabernakel gelegt und aufbewahrt, weil es jetzt Fleisch und Blut ist.
Hier merken wir, dass das eine eher magische Vorstellung ist. Auch die Form des Messopfers können wir zitieren: Jesus ist ein für alle Mal gestorben, also das Opfer ist ein für alle Mal gebracht. Das steht im Hebräerbrief – ich habe die genaue Stelle jetzt nicht im Kopf. Dieses einmalige Opfer wird dort betont, und es wird gesagt, dass keine weiteren Opfer mehr nötig sind.
Die Katholiken sagen jedoch, das Opfer Jesu werde immer unblutig wiederholt. Hier sehen wir eindeutige Bibelstellen, die dagegen sprechen. Paulus sagt im ersten Korintherbrief Kapitel elf, dass wir das Abendmahl zur Erinnerung feiern. Er betont stark diesen Erinnerungscharakter.
Diese Argumente – mit dem Verbot von Kannibalismus, dem Verbot des Trinkens von Blut, dem Verbot wiederholter Opfer und der Betonung der Erinnerung – bringen mich eher dazu zu sagen, dass Jesus symbolisch spricht. Er meint, das bedeutet das.
Es ist so, als würde ich euch sagen: Stellt euch vor, das hier ist mein Haus. Dann zeige ich euch das Zimmer und so weiter, so könnte man das machen. Oder mein Sohn baut aus Kartons etwas und sagt, das sei jetzt ein Flugzeug. Das ist dann das Flugzeug.
Das wäre ein zusätzliches Argument. Wir erinnern uns daran, dass die Türpfosten damals mit Blut bestrichen wurden, damit man sich daran erinnert. Beim Passah-Lamm gibt es verschiedene Kelche, ich glaube fünf, die man trinkt. Diese Kelche sollen an die Zeit erinnern.
Beim Passah isst man tatsächlich das Fleisch des Lammes, aber das ungesäuerte Brot, das dazu gegessen wird, ist normales Brot. Insofern ist das ja die Symbolik, die Jesus aufgreift. Der Wein soll an das Blut des Lammes erinnern, und hier ist Jesus das Lamm.
Man könnte auch sagen, dass die Symbolik darin besteht, dass man damals kein Blut trank, sondern Wein. Das ist ein weiteres Argument. Danke.
Gut, lassen wir es vielleicht dabei als Beispiel. Ich möchte heute Abend nicht den Schwerpunkt auf die Lehre vom Abendmahl legen, das könnten wir gesondert besprechen.
Die Einmaligkeit des Opfers wird gerade im Hebräerbrief besonders hervorgehoben, und zwar im Gegensatz zur Vielzahl der Opfer im Alten Testament. Dort wird gesagt, dass diese Opfer nicht mehr nötig sind.
Diese Argumente sprechen gegen die katholische Lehre. Allerdings ist das Thema diffizil. Man muss seine Bibel schon etwas kennen und sich damit auseinandersetzen. Sonst kann man zwar leicht sagen, dass man das nicht glaubt, aber eine einzelne Bibelstelle könnte zunächst so verstanden werden.
Übrigens sprach man in der frühen Kirche davon, dass das Abendmahl das Pharmakon Athanasias sei. Das heißt auf Deutsch so viel wie „das Heilmittel zur Unsterblichkeit“ oder „Medizin der Unsterblichkeit“.
Warum? Der Gedankengang war folgender: Wenn Jesus im Abendmahl drin ist und sagt, das ist mein Fleisch und mein Blut, dann ist das doch ein Teil von Gott. Gibt es in Gott etwas, das sterben kann? Eigentlich nicht.
Jesu leiblicher Körper ist gestorben, aber Gott ist unsterblich und ewig. Ist Gott sündig? Nein. Wenn du Gott in dir aufnimmst, dann ist in dir etwas, das unsterblich und sündlos ist, und das macht dich auch sündlos.
So gibt es bis heute bei den Katholiken die Auffassung, dass das Abendmahl ein Sakrament ist. Deshalb wird gesagt, wenn du das Abendmahl empfängst, wird dir die Sünde vergeben.
Warum? Weil, wenn Gott in dir ist, keine Sünde mehr in dir sein kann. Ähnlich argumentiert man vielleicht, wenn der Heilige Geist in dir ist, kann der Teufel nicht in dir wohnen. Dann kannst du nicht besessen sein, das ist richtig. Aber sündigen kannst du trotzdem.
Hier wird bei den Katholiken die Vorstellung übernommen, dass das Sakrament an sich heilswirksam ist. Man nimmt es nicht nur als Zeichen, sondern es wirkt das Heil bei einem. Das ist die Idee der Sakramente.
Die Taufe in der frühen Kirche
Ich komme vielleicht noch ganz kurz zur Frage der Taufe. Wir haben hier Geschwister aus der evangelischen Kirche und auch aus Freikirchen, und bei der Taufe gibt es eine lange Streitfrage.
In der frühen Kirche finden wir keinen einzigen Beleg dafür, dass es eine Kindertaufe gegeben hat, zumindest nicht vor etwa dem Jahr 150. Es gibt natürlich Bibelstellen, in denen gesagt wird, dass sich ganze Häuser taufen ließen, aber wörtlich werden keine Kinder erwähnt. Das wisst ihr alle, und es steht auch alles in Büchern, auch von der evangelischen Kirche.
Das erste Mal, dass wir richtige Hinweise auf die Kindertaufe finden, ist bei Tertullian. Er argumentiert, dass man die Kinder gar nicht taufen müsse, weil sie generell errettet würden. Das bezweifle ich etwas, denn ich finde keinen Bibelvers, der sagt, dass Kinder pauschal gerettet werden. Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse, wenn ich das so sage, aber es gibt nach meinem Wissen keinen Bibelvers, der besagt, dass erst ab einem bestimmten Alter Sünde vorhanden ist und man dann Errettung braucht.
Das gibt es in der Bibel nicht. Der einzige Weg, den wir finden, ist Bekehrung. Nun kommen wir wieder in ein anderes Problem hinein. Ich will mich nicht zu sehr von der alten Kirche entfernen. Manche fragen, was mit kleinen Babys ist, die sterben, bevor sie sich entscheiden können.
Wenn ich es kurz machen soll, würde ich sagen: Vertraut auf die Gerechtigkeit Gottes. Er weiß, was er tun wird. Aber lobt nicht die kleinen Babys automatisch in den Himmel, wenn ihr es nicht wisst. Dafür gibt es keine Bibelstelle.
Ich persönlich gehe davon aus, dass Gott gerecht ist, und das ist er. Dann wird er keinen verloren gehen lassen. Meine persönliche Vorstellung ist, dass er auch kleinen Babys die Chance geben kann, umzukehren. Warum nicht? Babys brauchen eine einfache Sprache dafür, aber Gott kann sich auch einem Embryo im Mutterleib offenbaren. Wir lesen, dass das Kind im Leib hüpfte, als Jesus da war – Maria begegnete Elisabeth. Jesus kann sich auch Behinderten oder Stummen offenbaren, warum nicht auch einem Baby, wenn er es will.
Das heißt, ich halte es für kein großes Problem, wenn Jesus will, kann er auch einem kleinen Kind sagen: Hier, du kannst dich entscheiden oder nicht, irgendwie. Wenn ihr das aber nicht glaubt, es gibt auch keinen Bibelvers, der das sagt, braucht ihr es auch nicht zu glauben.
Aber wir sollten festhalten an dem, was die Bibel deutlich sagt: Es gibt keinen Weg an Jesus vorbei und keine pauschale Errettung irgendeiner Bevölkerungsgruppe – weder derer, die noch nie von Jesus gehört haben, noch der kleinen Babys, noch der Behinderten, noch der Männer, noch der Frauen, noch der unter Dreißigjährigen oder sonst irgendwem. Es gibt keine Sonderkonditionen. Die gibt es vielleicht beim Safari Park, aber nicht für den Himmel.
Tertullian meinte, Kinder seien sowieso gerettet, und deshalb brauche man sie nicht zu taufen. Das halte ich nicht für richtig. Die Kindertaufe ist um diese Zeit aufgekommen, wahrscheinlich ein paar Jahrzehnte früher, und war weit verbreitet, aber noch nicht allgemein üblich.
Um das Jahr 300, als Konstantin der Große Christ wurde, ließ er sich erst auf dem Totenbett taufen. Warum? Zwischenzeitlich war in den ersten drei Jahrhunderten die Auffassung entstanden, dass durch die Taufe die Sünde abgewaschen wird. Das Symbol ist tatsächlich die Sündenabwaschung, deshalb taucht man die Leute auch unter. Das heißt: Der alte Mensch stirbt, und der neue Mensch kommt heraus.
Jemand von euch hat mir erzählt, ich weiß nicht, ob er in der Gemeinde war oder es von dort gehört hat, dass, wenn beim Untertauchen nur noch ein Haar herausguckte, die Person nochmal untergetaucht werden musste. Weil ja nicht der ganze Mensch unter Wasser war und somit noch ein bisschen Sünde da sei. So eine Vorstellung gab es von der Taufe.
Diese Vorstellung ist natürlich auch ein bisschen magisch. Eigentlich ist es egal, man kann auch im Kopf vorausschauen. Die Taufe ist ein Symbol, ein Zeichen. Übrigens hatten sie im Neuen Testament kein Problem mit Mehrfachtaufe, denn es gab die Johannistaufe, die Proselyitentaufe und die Taufe Jesu. Nur die Taufe Jesu war natürlich eine einmalige Sache.
Also, wie gesagt: Taufe war damals üblich in der Urgemeinde, eigentlich immer die Taufe von Erwachsenen, von Gläubigen. Wir finden auch in der Didache, einer Schrift aus dem Anfang des ersten Jahrhunderts, eine Beschreibung, wie man taufte.
Dort hatten sie eine richtig schöne Überlegung, was zur Taufe dazugehören sollte – viel Symbolik, manchmal mag ich so etwas. Zum Beispiel sagten sie, man sollte nur im Freien taufen. Warum? Es soll ein öffentliches Zeichen sein, wie Johannes taufte, wie Jesus taufte, nicht versteckt irgendwo in Gemeinderäumen, sondern im Freien, damit alle zuschauen können.
Dann sagten sie, man sollte nicht im abgestandenen Wasser taufen, also nicht im Tümpel, sondern nur im lebendigen Wasser, also fließendem Wasser. Warum? Jesus sagt doch zur Frau am Brunnen: Ich will dir lebendiges Wasser geben. Er sagt auch: Ich bin das lebendige Wasser. Jesus wäscht uns rein von der Sünde, deshalb lebendiges, fließendes, frisches Wasser. Das fand ich auch gut.
Außerdem sagten sie, wer getauft werden soll, muss erst ein ganzes Jahr Unterricht nehmen, damit er richtig versteht, worum es bei der Taufe geht. Finde ich auch eine vernünftige Sache.
Dann sagten sie, der lieblichste Termin für die Taufe sei Ostern. Denn die Taufe ist das Begraben mit Jesus und das Auferstehen mit Jesus. Was eignet sich besser als der Ostermond? Und genauso machten sie es.
Nachdem man sich ein Jahr vorbereitet hatte, begannen die Christen drei Tage vorher zu fasten, um sich innerlich vorzubereiten und sich dessen bewusst zu werden. Dann blieben sie die ganze Nacht wach, sangen, beteten und feierten Gottesdienst.
Morgens, wenn die Sonne aufging, also die aufgehende Sonne – das Licht beginnt – dann begann die Taufzeremonie. Zuerst sollten die Christen dem Teufel absagen, der Welt absagen. Dann wurden sie getauft, dreimal untergetaucht auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Sie trugen weiße Gewänder. Das kommt übrigens auch aus der frühen Kirche. Die Idee war, dass alle die gleiche Kleidung tragen, nicht der Reiche mit seinem Prunkgewand. Außerdem sollte das ein Zeichen der Reinheit sein: Die Sünde ist weg, wir sind rein und neuer Mensch. Das Alte ist weg.
Dann wurden sie dreimal untergetaucht. Dieses Absagen an die Welt finde ich gar nicht schlecht, weil es um einen Herrschaftswechsel geht. Es ist nicht irgendetwas, das ich in meinem Leben konsumiere, sondern etwas total Neues. Deshalb sage ich ab zu dem, was vorher war.
Es ist kein Muss, aber manche dieser Dinge finde ich durchaus überlegenswert. Danach bekamen die neuen Täuflinge Milch und Honig zu essen. Das sollte daran erinnern: Jetzt gehörst du zum Reich Gottes, bist Bürger des Himmels.
Im Alten Testament wird das verheißene Land als das Land beschrieben, in dem Milch und Honig fließen. Da sagte man: Jetzt gibt es Milch und Honig. Dann wurde kräftig gefeiert in der ganzen Gemeinde.
So ähnlich verliefen die Taufen in der frühen Kirche. Das war für viele beeindruckend und gleichzeitig Evangelisation für die gesamte Gemeinde. Das lesen wir unter anderem auch in diesem Büchlein. Ich lese euch das jetzt nicht vor, ihr könnt es ja nachlesen, mit den verschiedenen Zeugnissen, die darin enthalten sind.
Gottesdienste und Gemeindeleben in der Urgemeinde
In der frühen Kirche, besonders im ersten Jahrhundert, wurden Gottesdienste häufig am Abend gefeiert, meist am Montagabend, manchmal auch am Montagmorgen.
Der Grund dafür lag darin, dass der Montag – also der erste Tag der Woche – normalerweise ein Arbeitstag war. Im Römischen Reich war der Sonntag kein freier Tag, sondern ebenfalls ein Arbeitstag. Das bedeutete, dass auch Christen arbeiten mussten und sich daher abends nach Feierabend oder früh morgens trafen.
Im zweiten und dritten Jahrhundert änderte sich das langsam. Wenn man sich freimachen konnte, traf man sich früher. Die meisten Gemeinden waren Hausgemeinden. Das heißt, jemand hatte ein Geschäft oder Haus, räumte alles beiseite und dort wurde abends der Gottesdienst gefeiert.
Die meisten Christen besaßen keine vollständigen Bibeln. Die Bibel der Christen im ersten Jahrhundert war überwiegend das Alte Testament, und zwar die Septuaginta, eine griechische Übersetzung. Aus dieser versuchte man abzuleiten, was sich in Jesus erfüllt hatte.
Zudem gab es einzelne Briefe, die abgeschrieben und weitergereicht wurden. Ein Brief von Paulus wurde beispielsweise in den Gemeinden verbreitet, ebenso ein Evangelium. Mitte des ersten Jahrhunderts gab es dann ganze Sammlungen von Briefen, die in den Gemeinden verwendet wurden. Da diese Schriften so kostbar waren, besaß sie nicht jeder zu Hause. Deshalb wurden sie oft auswendig gelernt, um sie im Gespräch und im eigenen Christenleben parat zu haben.
Der normale Gottesdienst dauerte oft nicht nur eine Stunde, sondern häufig den ganzen Abend. Dabei wurde gesungen, aus der Bibel vorgelesen, besonders Psalmen rezitiert und gemeinsam gebetet. Außerdem wurde Geld eingesammelt. Im zweiten Korintherbrief lesen wir, dass dies schon üblich war, um den Armen zu helfen. Manchmal wurde vorher noch gemeinsam gegessen – das sogenannte Agapemahl. Dieses war ebenfalls in der Urgemeinde verbreitet.
Die Gottesdienste waren also eher einfach gestaltet: keine großen Kirchen, kein prunkvoller Talar, kein großes Brimborium, sondern relativ schlicht.
Die Entwicklung der Kirche als Großinstitution begann erst im vierten Jahrhundert.
Christliche Lebensführung und Berufswahl in der frühen Kirche
Und vielleicht noch ein letzter Nachschlag für die Christen der ersten drei Jahrhunderte: Ich habe euch ja schon einige Beispiele vorgelesen, in denen sich die Christen damals von ihrer Umwelt unterschieden. Einen weiteren Punkt, den ich euch noch nennen möchte, betrifft die Berufsentscheidung.
Es gab damals Berufe, die für Christen tabu waren. Auch dazu findet ihr Abschnitte, in denen das begründet wird. Ebenso wird erklärt, warum sie keine öffentlichen Bäder besucht haben. Warum? Weil man sich dort anzüglich verhalten hat. Frauen und Männer waren halbnackt, und die Christen sagten: Nein, da gehen wir nicht hin. Ähnlich verhielt es sich mit Theaterstücken. Die Frage war: Was wird da gespielt? Es waren griechische oder römische Göttersagen, die dort dargestellt wurden. Das konnten sie nicht ansehen, weil dort die Götter verherrlicht wurden. Außerdem wurden Unmoral, Ehebruch und Gewalt verherrlicht. Das konnten sie sich nicht anschauen. Für die Freizeitgestaltung war das für Christen also ausgeschlossen.
Wir könnten natürlich dieselbe Frage stellen: Wie sieht es mit unserer Freizeitgestaltung aus? Das habe ich schon kurz angesprochen und will es jetzt nicht noch einmal wiederholen.
Kommen wir zu den Berufen. Ich möchte jetzt einige Berufe nennen, und ihr sollt überlegen, warum diese Berufe wohl verboten waren und warum man sie als Christ nicht ausüben sollte.
Der erste Beruf ist der des Schauspielers. Könnt ihr euch vorstellen, warum ein Christ nicht Schauspieler werden sollte? Man soll nicht lügen – das müsst ihr mir ein bisschen erklären. Ja, das heißt, man spielt eine falsche Rolle, das war einer der Gründe.
Könnt ihr euch noch einen weiteren Grund vorstellen? Genau, richtig: Die Unmoral. In den Stücken wurde Unmoral gespielt, auch Ehebruch. Dabei küsste man natürlich eine andere Frau, die Schauspielerin war. Damals waren die Unterhaltungsschauspiele ähnlich wie heutige Spielfilme. Wer küsst denn da schon seine eigene Frau? Selbst in Geschichten ist die eigene Frau selten dabei. Die Spannung entsteht dadurch, dass der Mann fremdgeht, die Frau fremdgeht oder beide unehelich zusammen sind. Das ist der normale Spielfilm.
Kennt ihr einen Spielfilm, in dem es eine harmonische, liebevolle Beziehung zwischen einem Ehepaar gibt? Vielleicht könnt ihr euch an Andy Walton oder „Unsere kleine Farm“ erinnern. Dort gibt es das. Aber in populären Spielfilmen ist das eine ganz große Ausnahme. Die Christen sagten: Das können wir nicht spielen. Wir können nicht darstellen, dass Leute fremdgehen und andere sich darüber freuen. Stattdessen sollen wir ein Vorbild sein. Schauspieler zu werden, war für Christen also nicht möglich.
Ein weiterer Beruf, der für uns heute vielleicht nicht ganz verständlich ist, ist der des Wagenlenkers, Wettkämpfers oder Gladiators. Warum? Du sollst nicht töten, ganz richtig. Bei den Gladiatoren war das nicht nur Show, sondern sie mussten tatsächlich töten – und zwar aus Spaß, nicht aus Notwehr, sondern um Geld zu verdienen.
Was könnte noch ein Grund sein? Genau, richtig: Auch das oberflächliche Vergnügen spielte eine Rolle. Gewalt auszuüben, nur damit sich andere belustigen, war für Christen nicht akzeptabel. Außerdem mussten die meisten Gladiatoren vor den Spielen den Göttern etwas opfern. Das konnten Christen natürlich nicht tun.
Kommen wir zu einer Berufsgattung, an die man normalerweise gar nicht denkt: der Lehrer. Man sagte damals, ein Christ könne kein Lehrer werden. Bibelschullehrer gab es damals noch nicht, also das durfte man weiter tun, aber ein normaler Lehrer war problematisch.
Warum wohl? Genau, man lernte damals Schreiben und Lesen anhand der Sagen des Homer und anderer griechischer und römischer Geschichten. Diese wurden verbreitet und gehörten zum normalen Lehrprogramm. Man konnte nicht einfach sagen: Ich lese nur aus der Bibel. Erstens gab es die Bibel noch nicht weit verbreitet, und zweitens gehörte sie nicht zum Lehrstoff. In der Ausbildung und später im Unterricht musste man ständig klassische griechische und römische Göttersagen verbreiten. Das ging für Christen nicht.
Die meisten Kinder wurden damals freiwillig zur Schule geschickt, es gab keine Schulpflicht. Die Schulbildung war weit verbreitet, wurde aber oft ähnlich organisiert wie bei den Juden, also aus einem judenchristlichen Hintergrund. Man unterrichtete sich selbst oder reiche Christen hatten Sklaven, die unterrichteten. Oder man stellte Leute aus der Gemeinde ein, die das taten.
In den öffentlichen Schulen, die es damals auch gab, waren Christen nicht als Lehrer tätig und gingen auch nicht dorthin. Zum Beispiel schreibt Paulus in einem Brief, dass er in Korinth in der Schule des Tyrannus unterrichtete. Das ist in der Apostelgeschichte beschrieben, ich müsste genau nachschauen. Dort wird berichtet, dass es Schulen gab, die oft an öffentlichen Marktplätzen stattfanden oder eigene Räume hatten. Christen gingen dort nicht hin, sondern unterrichteten eher in eigenen Kreisen.
Das ist nur ein Beispiel dafür, wie man damals mit Berufen umging und welche Berufe für Christen nicht in Frage kamen.
Was ich herausfordernd finde, ist die Überlegung, dass Berufswahl nicht nur eine Sache meiner persönlichen Vorlieben und Stärken ist, sondern auch etwas mit Gott zu tun hat. Das ist eine sehr herausfordernde Erkenntnis, die diese Christen damals schon hatten.
Sie sagten, Beruf hat mit Berufung zu tun. Anknüpfend an Luther und Calvin: Sie betonten, dass Berufung nicht nur für den Dienst in der Mission gilt. Manchmal mystifizieren wir das und sagen, für die Mission brauche man eine ganz besondere Berufung. Wenn kein Engel vom Himmel kommt und dich beruft, dann gehst du nicht in die Mission. Aber alles andere, wenn das nicht kommt, sei deine eigene Sache. Das stimmt so nicht.
Jeder Christ ist berufen, man muss diese Berufung nur erkennen. Bist du als Krankenschwester im Krankenhaus berufen, dann tue diesen Job. Achte aber darauf, ob es eine große Berufung ist.
Ich erinnere mich an ein Gespräch, das mich zum Nachdenken brachte. Eine Frau erzählte mir, sie sei im Finanzamt angestellt, als Steuerfachangestellte oder so ähnlich. Sie hatte diesen Job etwa acht Jahre lang gemacht. Ich fragte sie, wie sie darauf gekommen sei. Sie sagte, sie habe jemanden gekannt, und dort sei eine Stelle frei gewesen, also habe sie den Job angenommen.
Ich fragte weiter: Erfüllt dich das? Weißt du, ob das Gottes Wille für dich ist? Sie antwortete: Nein, eigentlich weiß ich das nicht.
Stell dir vor, du arbeitest jeden Tag acht Stunden oder sogar zehn bis zwölf Stunden, wenn du einen guten Job hast. Das ist die Blüte deines Lebens. Und du stellst dir nicht die Frage, ob das überhaupt im Willen Gottes ist. Das finde ich problematisch.
Gott kann genauso in einem normalen Beruf berufen. Berufung ist nicht nur notwendig für Missionare.
Ich könnte die Sache auch umdrehen und sagen: Wer in der Bibel steht, dem wird gesagt: Geht hin in alle Welt und lehret alle Völker. (Matthäus 28,19)
