Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich Ihnen allen. Es ist schön, diesen Tag, diesen Vormittag mit Ihnen hier verbringen zu können.
Schwester Renate hat in der Bibelarbeit heute Morgen so eindrücklich ihren Kampf mit den Fluten im Haus des Vaters geschildert. Das hat mich sehr angesprochen. Gestern hatte ich nämlich auch so eine Erfahrung. Wasserschöpfen war angesagt – allerdings nicht im Keller. Unsere Spülmaschine ist kaputtgegangen. Die Absaugpumpe war irgendwie defekt. Also krempelte ich die Ärmel hoch, griff in die Brühe und versuchte, das Problem zu lösen. Doch ich habe es nicht geschafft. Schließlich mussten wir von Hand spülen.
Meine drei Teenager wussten gar nicht, dass man das überhaupt noch kann. Es war ein mittleres Familiendrama. Doch ich habe in diesem Moment auch ein Wort bekommen: „Wenn du durch Fluten gehst, werden die Wasser dich nicht ersäufen.“ Das war unser Motto an diesem Tag, und ich hoffe, irgendwann funktioniert die Spülmaschine wieder.
Ich möchte am Anfang dieses Bibelabschnitts mit uns beten: Herr, gib du uns nun ein Wort für unser Herz und gib uns ein Herz für dein Wort. Amen.
Die Bedeutung von Zeit und Gottes Wort im Leben
Sie haben es wahrscheinlich vor drei Wochen mitbekommen: Am 14. Dezember jährte es sich zum einhundertsten Mal, dass der Südpol zum ersten Mal betreten wurde. Im Jahr 1911 erreichte Roald Amundsen als Erster den Südpol. Damit jährte sich auch das tragische Wettrennen zwischen Roald Amundsen, dem Norweger, und Robert Falcon Scott, dem Briten, zum hundertsten Mal. Dieses Wettrennen um den Südpol endete für Scott tödlich.
Robert Falcon Scott hatte sich minutiös auf diese gewaltige Expedition in eine terra incognita, ein unbekanntes Land, vorbereitet. Er führte modernstes Gerät mit sich und überließ nichts dem Zufall. Seine Truppe war gut ausgebildet. Doch Scott hatte kein Verständnis für die Wesen, die in dieser antarktischen Wüste die allerwichtigsten waren: die Schlittenhunde, die Huskies.
Als stolzer Brite sagte er: „Meine Güte, ich lasse mich doch nicht von Hunden zum Südpol ziehen.“ Scott hatte zwar modernste technische Schlittengeräte dabei, mechanische und elektronische Maschinen, sowie schottische Highland-Ponys und Hunde. Doch er wusste nicht, wie man mit Hunden umgeht oder wie man eine Beziehung zu ihnen aufbaut. Er maß den Hunden keine Bedeutung bei. Dieser Fehler erwies sich im Nachhinein als entscheidend.
Seine Ponys erfroren, die Maschinen waren nach drei Tagen kaputt. Die Hunde hätten durchgehalten, wenn Scott gewusst hätte, wie man mit ihnen umgeht.
Wenn wir uns heute Morgen einmal über die Gefährdungen unseres Glaubens Rechenschaft geben, dann denken wir vielleicht zuerst an die großen Verführungen durch den Missbrauch von Reichtum, Macht oder Sexualität. Was uns selten bewusst wird, ist die Gefahr der angina temporis, der Enge der Zeit. Diese ist die Volkskrankheit Nummer eins und auch die Christenkrankheit Nummer eins.
Die größte Versuchung der Gegenwart ist es, keine Zeit mehr für Gott zu haben. Gott aber ist – um im Bild der Südpol-Expedition zu bleiben – das wichtigste Wesen für unsere Expedition des Lebens. Niemand ist wichtiger für die Expedition des Lebens als der Schöpfer des Lebens, der Erlöser des Lebens und der Vollender des Lebens. Niemand ist wichtiger als Gott.
Menschen geraten selten dadurch in eine Krise ihres Glaubens, dass sie plötzlich und mit Gewalt gegen den Willen Gottes rebellieren. Vielmehr ist es ein langsamer Prozess, bei dem die Begegnungszeit mit Gott, die Kontaktfrequenz zum himmlischen Vater, immer weniger und knapper wird.
Je komplizierter, lauter, mobiler und schneller unser Leben wird, desto weniger Zeit, Stille und Ruhe finden wir, um auf Gott zu hören. Doch je weniger wir auf Gott hören, desto mehr verlieren wir ihn aus den Augen und auch aus den Ohren. Wir hören weniger lebendige Worte, machen weniger Erfahrungen mit ihm und unser Leben bleibt unerfüllt.
Erst dann, erst in diesem Zustand, können Reichtum, Ehre, Karriere, Einfluss, Macht und Geld sich in den Mittelpunkt unseres Lebens drängen – weil wir zugelassen haben, dass wir Gott nicht mehr hören und er damit nicht mehr in der Mitte unseres Lebens ist.
Die Sehnsucht nach Ruhe und Gottes Nähe
Die Bedeutung der Zeit mit Gott ist eine Urerfahrung von Christen über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg. Vor 1600 Jahren schrieb Aurelius Augustinus, der große Kirchenvater in Nordafrika, in seinen Bekenntnissen dieses berühmte Wort: „Wir sind zu dir, Gott, hingeschaffen. Und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“
All unsere Sehnsucht findet ihre Erfüllung in der Begegnung mit Gott. Augustinus spricht hier von Ruhe. Das hat viel mit Zeit zu tun. Man kann ja nicht einfach schnell mal zur Ruhe kommen, das funktioniert nicht. Wenn diese Begegnung jedoch nicht mehr stattfindet, wenn wir nicht mehr zur Ruhe kommen, weil so viele andere Dinge, von denen wir Erfüllung erwarten, unser Leben bestimmen, dann finden wir nicht zur Erfüllung unserer Sehnsüchte.
Auch wir haben, wie Christa, Durst nach Gott. Dieser Durst wird nicht gestillt, wenn wir nicht die Zeit und die Ruhe dafür haben. Nur wenn wir uns diese Zeit nehmen, finden wir Erfüllung in unserem Leben.
In ganz ähnlicher Weise schrieb Blaise Pascal, der Religionsphilosoph vor 400 Jahren: „Alles Unglück der Menschen entstammt daraus, dass sie unfähig sind, in Ruhe allein in einem Zimmer bleiben zu können.“ Das war vor 400 Jahren, nicht in unserer heutigen Computergeneration.
Wieder zeigt sich diese Gleichung: Unglück hängt mit Unruhe zusammen. Das bedeutet aber auch umgekehrt: Glück hat etwas mit Ruhe zu tun. Glück hat etwas mit Zeit zu tun.
Und als ob es gestern gewesen wäre, schrieb vor 170 Jahren Sören Kierkegaard: „Das ist ja gerade der Ernst unseres Daseins, dass die Stimme, die uns auf den rechten Weg ruft, sehr leise spricht, während tausend laute Stimmen in und außerhalb von uns genau das Gegenteil behaupten.“
Die Voraussetzung für ein erfülltes Leben ist nicht ein volles Bankkonto, nicht beruflicher oder wirtschaftlicher Erfolg, sondern die Zeit zum Hören auf Gott. Erfüllung, Zeit und Hören gehören zusammen in eine Linie.
Die Notwendigkeit von Ordnung und Ritualen im Glaubensleben
Wir werden jedoch keine tiefe Beziehung zu Gott haben können, ohne eine Ordnung in unserem Leben. Ich vergesse nie, was mir vor über dreißig Jahren mein Konfirmator – also der Pfarrer, der mich konfirmiert hat – klargemacht hat. Er hat uns Konfirmanten das immer wieder eingetrichtert, bis es nicht mehr ging. Das sitzt bis heute.
Er sagte uns: „Was nicht regelmäßig geht, das geht in der Regelmäßigkeit.“ Das kann man sich gut merken. Wir leben in einer postmodernen Zeit, in der wir mit Ordnungen oft auf Kriegsfuß stehen. Wir denken, Spontanität bedeute, einfach mal spontan etwas ganz anderes zu machen, das Leben auf den Kopf zu stellen, hin und her, links und rechts. Spontanität wird als Ausdruck von Freiheit gesehen, während Regeln und Ordnungen als Ausdruck von Unfreiheit gelten.
Doch es ist genau umgekehrt. Recht verstandene Ordnungen wollen das Leben nicht reglementieren oder einschränken, sondern ihm eine Gestalt geben. So bekommt Gott einen Freiraum in unserem Leben, und wir finden durch diese Freiräume Gottes zu unserer Freiheit. Ordnungen schaffen einen Raum der Freiheit – nicht die Spontanität.
Wir Menschen sind darauf angewiesen, dass es Rituale in unserem Leben gibt. Je mehr Rituale wir haben, desto wohler fühlen wir uns und desto gesünder sind wir – auch geistlich. Rituale des Lebens sind wie Geländer, an denen ich mich festhalten kann. Das Gebot der Stunde, das Gebot unserer Zeit, ist das Einüben und Einhalten von Begegnungszeiten mit Gott.
Das beginnt mit dem Einüben einer äußeren Ordnung unseres Tagesablaufs. Wie sieht mein Tag aus? Hat mein Tag eine Gestalt oder keine? Gibt es an diesem Tag Zeiten, Orte oder Plätze der Begegnung mit Gott? Gibt es ein Zimmer, in dem ich Gott begegne? Gibt es einen Platz, einen Stuhl, einen Schemel, ein Kreuz? Gibt es Orte und Zeiten, an denen ich Gott begegne? Gibt es eine Regelmäßigkeit?
Wer seinem Leben keine Struktur und Ordnung gibt, zerfließt in Nichtigkeiten. Und wie bei allem Wichtigen in unserem Leben müssen wir auch das Hören üben. Die entscheidenden Fortschritte in unserem Leben geschehen nie durch Revolutionen, sondern durch das Einüben von Dingen, durch Üben und Proben.
Wer keine Geduld hat und sich keine Zeit nimmt, wird nicht lange lesen in seinem Leben. Er wird vom Lesen auch nicht zum Hören in der Bibel kommen. Und vom Hören wird er nicht zum Verstehen gelangen – weder zum Verstehen seines eigenen Lebens, noch zum Verstehen seiner Gefühle, seiner Beziehungen oder seiner Probleme.
Die äußere Ordnung ist die Grundlage für eine geistliche Ordnung. Eine regelmäßige Zeit mit und für Gott zu haben, ist keine Garantie für Lebensglück. Manchmal verkaufen wir die stille Zeit als Universalmedikament gegen alle Maläsen des Lebens. Doch das ist sie nicht. Eine stille Zeit löst nicht automatisch alle Probleme. Damit würden wir sie überfrachten und überfordern.
Aber ohne eine Zeit gibt es keine Begegnung. Ob es eine lebendige Begegnung wird, kann die Form nicht entscheiden oder garantieren. Doch ohne Form findet garantiert keine Begegnung statt.
Wenn wir Sehnsucht haben, Gott zu begegnen, müssen wir dieser Sehnsucht einen festen Raum in unserem Alltag geben. Das ist ein Schritt des Glaubens im Hören auf Gott. Den wichtigsten Termin des Tages zu sehen – den Termin, der wichtiger, dringender und grundlegender ist als alles andere, was sich vor unserem Auge aufbauen will. Dringender, wichtiger und grundlegender als alles andere.
Es ist die Illusion des Unglaubens zu denken, dass in der Zeit mit Gott, im Hören auf Gott, nichts passieren würde. Die Macht des Sichtbaren will uns eintrichtern, dass wir in dieser Zeit etwas anderes erledigen könnten, das mehr und wichtiger wäre. Das ist eine Illusion, das ist Selbstbetrug.
Was mit unserem Leben geschehen kann, wenn es von der Zeit mit Gott und vom Hören auf Gott geprägt ist, erfahren wir im dritten Gottesknechtslied, im sogenannten dritten Gottesknechtslied des Propheten Jesaja, in Jesaja 50.
Die Kraft des Hörens am Beispiel des Gottesknechts
Ich möchte diese vier Verse lesen, die Verse vier bis sieben. Dort spricht ein Prophet: „Gott, der Herr, hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, damit ich wisse, mit den Mythen zur rechten Zeit zu reden. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, damit ich höre, wie Jünger hören. Gott, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet, und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. Ich bot meinen Rücken denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verberge ich nicht vor Schmach und Speichel. Aber Gott, der Herr, hilft mir, darum werde ich nicht zu Schanden. Darum habe ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein, denn ich weiß, dass ich nicht zu Schanden werde.“
Es ist eine spannende Frage, von wem hier die Rede ist. Vor unseren Augen erscheint zunächst einmal dieser Prophet, der zu einem Sprachrohr Gottes berufen wurde. Aber um dieses Sprachrohr zu sein, muss er erst zu einem Hörenden werden. Dann erscheint aber auch Jesus Christus vor unseren Augen, der uns vorgelebt hat, dass der Mensch nicht nur vom Brot allein lebt, sondern von jedem Wort aus dem Munde Gottes. Er hat sein Leben und Sterben als Hörender zugebracht und durchlitten.
Schließlich sollen wir selbst uns hier entdecken – wir, die zur Nachfolge berufen sind, wir, die zur Jüngerschaft gerufen wurden. Wer von Jesus Christus in die Nachfolge berufen wurde, der wird selbst zu einem solchen Gottesknecht, zu solch einem Jünger, wie er hier beschrieben wird.
Aber was bewirkt jetzt das Hören im Leben dieses Knechtes? Erstens: Durch das Hören werden wir das, was wir werden sollen. Wir Menschen sind das, was wir geworden sind. Wir sind durch Worte geworden, Worte, die wir gehört haben, Worte, die wir empfangen haben – entweder gute oder böse Worte.
Wo wir als Kinder, als Kleinstkinder, als größere Kinder und als Jugendliche Worte der Liebe, der Zuneigung und der Ermutigung gehört haben, da ist Selbstvertrauen gewachsen, da ist Gewissheit in unserem Leben gewachsen. Dort, wo ein Kind oder ein junger Mensch nur Worte des Hasses, der Abneigung oder der Kritik gehört hat, da findet kein Vertrauen statt und keine Gewissheit Wurzeln in seinem Leben.
Was wir geworden sind – Sie und ich –, das sind wir durch Worte geworden, Worte, die wir gehört haben, Worte, die sich tief in unser Herz eingegraben haben. Diese Worte sitzen bis heute in Ihrem Herzen fest und werden bis zum letzten Tag Ihres Lebens in Ihrem Herzen fest sitzen. Worte graben sich tief ein, seien sie gut oder schlecht.
Antoine de Saint-Exupéry sagte einmal: „Das Wichtigste im Leben sagt man nicht sich selbst, es wird einem gesagt.“ Das, was uns verändert, haben wir uns nicht selbst gesagt, es wurde uns gesagt, und wir haben etwas über das Gehör aufgenommen. Was wir sind, ist ein Ergebnis dessen, was wir gehört haben. Denn Worte haben immer eine schöpferische Kraft in sich – im Guten wie im Schlechten. Sie bauen auf oder sie zerstören.
Was nun von unseren Worten gilt, das gilt noch viel mehr von Gottes Worten. Sein Wort ist ein schöpferisches Wort, ein Wort, das tut, was es sagt, ein Wort, das eine Selbstdurchsetzungskraft in sich trägt. Paulus erklärt uns, dass der Glaube aus dem Gehörten kommt. Wir lesen in der Luther-Übersetzung in Römer 10, dass der Glaube aus der Predigt kommt. Das ist nicht ganz präzise. Der Glaube kommt genau aus dem Gehörten, aus dem, was an unser Ohr dringt. Und dieses Wort wirkt, indem es in unser Ohr eingeht, in unser Herz dringt und uns verändert.
Dessen war sich auch dieser Gottesknecht bewusst. Aber nun ist interessant, wie ihm dieses Wort begegnet: „Alle Morgen weckt er mir das Ohr, damit ich höre, wie Jünger hören.“ Jetzt müssen wir aufmerksam hinhören: „Damit ich höre, wie Schüler hören, damit ich höre, wie Grundschüler hören, damit ich höre, wie ABC-Schützen hören.“ Können Sie sich das vorstellen? Da ist ein Prophet, der ganz gewiss schon eine lange Geschichte mit Gott hat, der von vielen Erfahrungen mit Gott erzählen kann, der eine lange Übung im Umgang mit dem Wort Gottes hat – ein theologischer Profi, ein Seelsorgeprofi, ein Predigtprofi.
Und jetzt schreibt dieser Wortgottesprofi: „Morgen für Morgen weckt mir Gott das Ohr, er öffnet mir das Ohr.“ Offensichtlich kann er das nicht selbst machen. Es gibt keine Technik für das Hören mit Gott, wir können das nicht erzwingen. Es gibt keine Methode, wie wir Gott hören können. Gott selbst muss uns das Ohr öffnen. Gott selbst öffnet uns den Verstand, damit es zum Hören kommt. Es wird immer geschenkt.
Gott öffnet ihm das Ohr, sonst könnte er nicht hören – bei all seiner Professionalität, bei all seiner Erfahrung, bei all seiner langen Geschichte mit Gott. Dann hört er aber wie ein Schüler, wie ein Schulbub, der in der Grundschule noch mit der Rechtschreibung kämpft. So hört er morgen für morgen mit diesem Ohr.
Wir können das Wort Gottes, ganz gleich wie alt wir sind, ganz gleich, wie lang unsere Geschichte mit Gott schon ist, niemals als routinierte Profis hören! War nett, dass Sie mich vorher begrüßt haben mit all den Titeln, die man im Leben so an den Hacken kleben hat. Das ist sehr nett, aber ich sage Ihnen eines: Alle akademischen Titel des Lebens kann ich in der Pfeife rauchen, wenn es um dieses Hören mit Gott geht. Da bringt mir der Doktor, der Professor, der Pfarrer und was weiß ich null, null Komma null.
Ich sitze jeden Tag da wie ein Schulbub, wie ein ABC-Penälär, wenn es um das Hören der Stimme Gottes geht. Wir können das nicht machen, es wird uns geschenkt. Gott macht uns immer wieder zu ABC-Schützen, die hören, die richtig hören lernen müssen – morgen für morgen so, als ob es das allererste Mal wäre.
Nun heißt es aber nicht nur, dass wir im Blick auf das Hören immer wieder neu anfangen müssen, sondern auch, dass Gott immer wieder frisch redet. Gottes Wort kommt jeden Tag frisch auf den Tisch – keine Mikrowellenkost, sondern frisch auf den Tisch. Es dringt immer wieder ganz neu, ganz frisch an unser Ohr.
Das ist die große Überraschung. Viele von Ihnen sind schon lange Bibelleser und Predigthörer. Sie kennen viele Geschichten in- und auswendig, haben sie zehn, zwanzig Mal gehört. Und das Phänomen ist immer wieder dasselbe: Da hören Sie zum zwanzigsten Mal die Geschichte vom verlorenen Sohn, und plötzlich entdecken Sie etwas, was Sie noch nie entdeckt haben. Sie hören ein Wort, das Sie in- und auswendig kennen, ganz neu. Und Sie denken: „Habe ich das schon mal gehört?“ Plötzlich erscheint eine Wahrheit vor Ihren Augen, die Sie überwältigt und die Sie bisher noch nicht entdeckt hatten.
Gottes Wort hat eine Frischegarantie. Jochen Klepper hat es in einer anderen Strophe seines Liedes zum Ausdruck gebracht: Gott spricht wie an dem Tage, da er die Welt erschuf. Das heißt, Gott spricht auch heute. Wie damals beim allerersten Wort, das er gesagt hat, wie an diesem ersten Schöpfungstag, so spricht er heute in unser Leben hinein – als ob es das allererste Mal wäre.
Und Sie sitzen da und denken: „Wow, so frisch hätte ich das nicht gedacht, das überfordert mich hier.“ Er spricht heute in Ihr Leben hinein, er spricht heute sein Großes „Es werde“ in Ihr Leben hinein. Und dann wird auf einmal etwas. Da hören Sie ein Wort, und es lässt Sie nicht mehr zur Ruhe kommen, und eine Geschichte beginnt.
Viele Menschen, wenn sie von ihrer Geschichte mit Gott erzählen, dann beginnt diese Geschichte so: „Ich habe damals vor zwanzig Jahren ein Wort gehört, und es hat mich nicht mehr losgelassen.“ Aus diesem Wort ist etwas geworden, eine Geschichte, die bis zu diesem Tag weitergeht.
Es ist mein Wunsch, dass Sie heute Morgen ein frisches Wort für Ihr Leben vernehmen. Gott will Ihnen heute Gutes tun, indem er Ihnen ein gutes Wort schenkt für Ihre Lebenssituation. Und Sie sollen dieses Wort weitergeben an die Müden und die Beladenen in Ihrer Familie, in Ihrer Nachbarschaft und in Ihrem Bekanntenkreis.
Die Verbindung von Hören und Reden im Glaubensleben
Und damit bin ich beim zweiten Punkt: Durch das Hören können wir das reden, was wir reden sollen.
Bevor ich darauf eingehe, singen wir zwei Liedstrophen, damit wir wieder frisch werden zum Hören. Jesus, wir sehen auf dich – zwei Strophen dieses Liedes. Vielen Dank! Übrigens, tolle Musik hier, aber das vertiefe ich jetzt nicht.
Wir sind also beim zweiten Punkt: Durch das Hören können wir das reden, was wir reden sollen. Das heißt: Ihr Gott, der Herr, hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, damit ich wisse, mit den Mythen zur rechten Zeit zu reden. Die Fähigkeit zum Reden entsteht aus dem Hören heraus. Die Gabe, mit Menschen zu reden, ist abhängig von der Gabe, auf Gott zu hören.
Für mich ist das immer wieder faszinierend, wenn ich Chorleiter beobachte, die sich den Ton von einer Stimmgabel geben lassen. Haben Sie das schon gehört oder gesehen? Ein Chorleiter hält am Anfang so eine Stimmgabel ans Ohr und gibt den verschiedenen Stimmen – Sopran, Alt, Tenor, Bass – ihren Ton. Faszinierend! Unterschiedliche Stimmen brauchen unterschiedliche Töne. Das ist eine Grundregel des Menschseins: Unterschiedliche Menschen brauchen auch unterschiedliche Tonlagen.
Für mich als musikalischen Plattfußindianer ist das immer wieder wie Zauberei, wie sie das machen hier mit dieser Stimmgabe. Aber genau darum geht es in unserem Leben. Wir müssen uns den Ton für unser Leben geben lassen, damit wir unterschiedlichen Menschen den rechten Ton weitergeben können.
Von dem italienischen Geigenbaumeister Antonio Stradivari, der schon vor ein paar hundert Jahren gestorben ist, wird folgende Geschichte erzählt: Stradivari hat sein Handwerk wirklich beherrscht. Er baute Instrumente, die man bis heute benutzen kann – sogar so gut, dass sie die teuersten überhaupt sind.
Dieser Stradivari hatte eine, ja, ich weiß nicht, ob es eine Macke war oder das Berufsgeheimnis schlechthin: Er sagte, bevor seine neu gebauten Geigen den ersten Ton von sich geben dürfen, müssen sie die guten Töne hören. Deshalb hängte er seine neugebauten Geigen in den Orgelkasten einer Meisterorgel und ließ einen Orgelmeister darauf ein Konzert spielen. So bekamen seine Geigen zum ersten Mal ein Edelkonzert, damit sie nachher gute Töne von sich geben können.
Fragen Sie mich nicht, ob das irgendetwas gebracht hat. Mir hat mal jemand erklärt, das sei gar nicht so blöd und irgendwie hilfreich. Aber ich weiß nicht, ob das bei Geigen wirklich etwas hilft. Was ich aber weiß: In unserem Leben hilft das etwas.
Wir brauchen tagtäglich einen guten Ton für unser Leben im Ohr, damit wir gute Töne von uns geben können. Wir brauchen die rechte Tonlage, damit wir uns in unserem Alltag nicht im Ton vergreifen.
Das ist ja das, was uns im Jakobusbrief mitgegeben wird: An jedem Menschen sei langsam zum Hören. Dieses langsam zum Hören ist die Voraussetzung dafür, dass ich nicht schnell bin zum Reden und schnell zum Zorn.
Wir sind ja dummerweise oft andersherum gepolt: Wir sind ganz schnell zum Reden, schnell im Zorn und leider sehr langsam beim Hören.
Wer es gelernt hat, auf Gott zu hören, lernt es auch, bei Menschen genau hinzuhören. Wer gelernt hat, was Gottes Wort sagt und was es nicht sagt und wie Gottes Wort etwas zu uns sagt, der lernt auch hinzuhören, was andere Menschen sagen, was sie nicht sagen und wie sie etwas sagen.
Er lernt, hinzuhören auf das, was ein Mensch eigentlich meint mit seinen manchmal unbeholfenen Worten. Er lernt, hinzuhören auf das, worunter ein Mensch leidet, was er mir mitteilt in Worten, die oberflächlich gar nicht von Leiden reden.
An dieser Stelle wird unsere Unfähigkeit zum Hören am schmerzlichsten. Wie oft erleben wir das in unseren Familien, in unseren Ehen, an den Krankenbetten und an den Sterbebetten: Menschen reden aneinander vorbei, nehmen nicht wahr, hören nicht, was ein anderer sagen will, weil man nie gelernt hat, hinzuhören.
Wer aber das Hören gelernt hat, erlernt nicht nur das Hinzuhören, sondern auch, auf den rechten Moment zu hören, damit er weiß, mit den Mythen zur rechten Zeit zu reden.
Das Reden ist das eine, zur rechten Zeit zu reden, das ist das Meisterhafte.
Wer das Hören gelernt hat, kann auch den richtigen Zeitpunkt hören, um etwas im rechten Moment zu sagen.
Unser Problem ist ja oft, dass wir die richtigen Dinge zum falschen Zeitpunkt sagen, oder wo wir das rechte Wort nicht sprechen oder es zur falschen Zeit sagen. Dahinter lassen wir Wüsten in unseren Beziehungen.
Wo wir das rechte Wort zur rechten Zeit treffen, da schaffen wir neues Leben. Da geben wir neuen Mut, da geben wir neue Hoffnung.
Mit meinen Worten, mit Ihren Worten können wir die Wirklichkeit verändern – die Wirklichkeit unseres Lebens, die Wirklichkeit unserer Beziehungen, die Wirklichkeit dieser Welt. Wir können sie verändern mit Worten, mit rechten Worten zur rechten Zeit.
Ein Wort des Dankes, ein Wort der Entschuldigung, ein Wort der Ehrlichkeit, ein Wort der Ermutigung verändert Beziehungen, reinigt die Atmosphäre und schafft eine neue Wirklichkeit zwischen Menschen und zwischen Menschen und Gott.
Sie hören die Aktualität dieses Satzes in diesen Tagen, was Worte tun können. Aber alles beginnt beim rechten Hören.
Wenn Sie die Welt verändern wollen, und sei es nur Ihre Welt, dann fangen Sie beim Hören an. Nur wer gelernt hat, richtig zu hören, wird auch richtig reden können.
Die Kraft des Hörens zum Aushalten von Leid und Herausforderungen
Und ein drittes und letztes Mal: Durch das Hören bekommen wir die Kraft, um das auszuhalten, was wir aushalten sollen. Ich bot meinen Rücken denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarge ich nicht vor Schmach und Speichel. Aber Gott, der Herr, hilft mir, darum werde ich nicht zu Schanden. Darum habe ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein, denn ich weiß, dass ich nicht zu Schanden werde.
Der Gottesknecht erntet für seinen Dienst hier kein Lob, er erntet keine Blumen. Stattdessen bekommt er Blumentöpfe nachgeschmissen. Er wird misshandelt. Da ist von Schlägen die Rede, von Prügeln, von Schande, er wird bespuckt.
Das Hören des Wortes war für diesen Propheten mit Schmerzen verbunden, weil es ihn in die Pflicht genommen hat. Es hat ihn zum Gehorsam gerufen, ganz im Sinne dieses Zeugnisses eben. Aber das Hören versetzt ihn auch in die Lage, das auszuhalten. Es gibt ihm die Kraft, den Sinn und die Hoffnung zum Durchhalten. Es gibt ihm eine positive Härte, eine Stabilität.
Fast alle von uns – es wird wahrscheinlich nur sehr wenige ganz, ganz Glückliche geben an diesem Morgen –, stehen in einer Lebenssituation, in der es momentan nichts auszuhalten gibt. Die allermeisten haben momentan mit Dingen zu tun, bei denen sie in irgendeiner Weise etwas aushalten oder ertragen müssen.
Das wird in den meisten Fällen nichts mit offener Verfolgung zu tun haben, wie bei diesem Gottesknecht. Aber wir alle stehen immer wieder, vielleicht dauernd, in belastenden Lebenssituationen, vielleicht in Auseinandersetzungen, in inneren und äußeren Krisen. Es mag in der Ehe sein, in der Familie, im Beruf oder auch in der Gemeinde.
Dann setzen bei uns ja immer sofort die Fluchtreflexe ein. Wir überlegen, wo der Notausgang ist und wie wir am schnellsten und glimpflichsten hier wieder herauskommen. Wir denken darüber nach, ob wir nicht aufgeben oder hinschmeißen sollen: eine Ehe, eine Familie, den Job oder die Gemeinde verlassen. Manche denken sogar daran, das Leben aufzugeben.
Von diesen Fluchtreflexen wusste auch dieser Prophet etwas, und von diesen Fluchtreflexen war auch Jesus angefochten. Diese Fluchtreflexe sind zutiefst menschlich. Aber hier lernen wir auch, wie das Hören stark macht und belastbar macht. Wie es zum Innehalten, zum Aushalten und zum Durchhalten führt, dort wo wir ans Davonlaufen denken.
Solange wir Hörende bleiben, werden wir immer wieder die Stimme Gottes hören, die sagt: Fürchte dich nicht. Wie oft kommt das in der Bibel vor? Fürchte dich nicht. Solange wir Hörende bleiben, werden wir diese Worte hören. Und solange ich diese Stimme höre, kann im Leben kommen, was will.
Allein durch das Hören dieser Worte werde ich aushalten können, was ich aushalten soll.
Es kommt immer wieder vor, dass in maroden Bergwerken Katastrophen passieren und Bergleute verschüttet werden. Wenn dann Bergleute wunderbar gerettet werden und man sie nach ihrer Rettung fragt: „Mensch, was hat euch denn Hoffnung gegeben zum Durchhalten da unten?“, dann sagen fast alle immer wieder dasselbe: Ab dem Moment, ab dem ich das Klopfen gehört habe, ab dem ich gemerkt habe, da klopft einer, da sucht einer nach uns, da bohrt man nach uns, da hatte ich wieder Hoffnung, da konnte ich durchhalten, da konnte ich es aushalten. Ab dem Moment, an dem ich höre, man sucht nach mir, habe ich wieder Kraft zum Durchhalten.
Gott klopft nicht, Gott bohrt nicht. Nein, Gott spricht zu uns vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang, tagtäglich. Wer auf ihn hört, der kann durchhalten. Amen.
