Gott wird Mensch – Leben und Lehre des Mannes, der Retter und Richter, Weg, Wahrheit und Leben ist.
Episode 252: Der Jüngling von Nein.
Einführung in die Erzählstruktur und theologische Bedeutung
Ich hoffe, ihr erinnert euch noch vage an Episode 247. Dort ging es um die Frage, wie Erzähltexte funktionieren. Sie bestehen aus kleinen Erzähleinheiten, das, was wir vielleicht Geschichten nennen würden. Diese Erzähleinheiten dienen jedoch nicht primär dazu, eine Geschichte zu erzählen. Vielmehr sind sie eigentlich ein Transportmittel für Theologie.
Ich habe euch das anhand von Matthäus 8 vorgemacht. Auch unsere heutige Geschichte ist dafür ein gutes Beispiel.
Wir wollen heute in Lukas Kapitel 7 die Verse 11 bis 15 weitermachen. Dort heißt es:
„Und es geschah bald darauf, dass er in eine Stadt ging, genannt Nain, und seine Jünger und eine große Volksmenge gingen mit ihm. Als er sich aber dem Tor der Stadt näherte, siehe, da wurde ein Toter herausgetragen, der einzige Sohn seiner Mutter, und sie war eine Witwe. Und eine zahlreiche Volksmenge aus der Stadt war mit ihr. Und als der Herr sie sah, wurde er innerlich bewegt über sie und sprach zu ihr: Weine nicht! Und er trat hinzu und rührte die Bahre an, die Träger aber standen still. Und er sprach zu dem Jüngling: Sage dir, steh auf! Und der Tote setzte sich auf und fing an zu reden, und er gab ihn seiner Mutter.“
Verbindung und Kontrast zu vorherigen Erzählungen
Diese Erzählung von der Auferweckung eines toten jungen Mannes steht direkt im Anschluss an die Geschichte von dem Hauptmann, der Jesus um Heilung für seinen todkranken Knecht bittet.
Wenn es stimmt, dass jede Erzähleinheit so erzählt wird, dass sie eine theologische Aussage in Form eines tatsächlich geschehenen Ereignisses transportiert, dann stellt sich die Frage, wo in dieser Geschichte der Schwerpunkt liegt.
Beim Hauptmann ist das klar: Jesus staunt über seinen Glauben. Der Bericht vom Hauptmann steht deshalb für das theologische Prinzip, dass Rettung durch Glauben kommt.
Aber wo liegt der Schwerpunkt hier? Und jetzt wird es besonders spannend, zumindest für Hermeneutik-Fans wie mich. Man kann Erzähleinheiten nämlich miteinander verbinden, indem man dafür sorgt, dass sie möglichst unterschiedlich sind. Das heißt, durch die Auswahl der Erzählungen wird ein bewusster Kontrast geschaffen.
Genau das passiert hier. Jesus geht mit einer Menge anderer Menschen nach Nain. Vor der Stadt trifft er auf einen Leichenzug: Der einzige Sohn einer Witwe ist gestorben.
Seht ihr die Unterschiede zum Hauptmann? Der Hauptmann ist ein Heide, ein Mann und noch dazu einer mit Einfluss. Immerhin hat er die Synagoge in Kapernaum umgebaut und ist auch nicht gerade arm.
Hier, vor den Toren Nains, treffen wir auf eine Frau, eine Jüdin. Sie hat nicht nur ihren Mann verloren, sondern jetzt auch noch ihren einzigen Sohn. Da ist niemand mehr, der sich um sie kümmern oder sie versorgen wird.
Noch einmal die Unterschiede: Mann, Heide, reich trifft auf Frau, Jüdin, arm.
Bitte geht davon aus, dass die Anordnung solcher Ereignisse bewusst gewählt ist. Es geht den Schreibern der Evangelien nicht nur darum, eine Biografie zu schreiben. Sie wollen gleichzeitig Theologie vermitteln.
Lukas will durch den Kontrast zeigen, dass die beiden Erzähleinheiten hier am Anfang von Kapitel 7 enger miteinander verbunden sind als üblich.
Thematische Nähe und theologische Schwerpunkte der Erzählungen
Also zurück zu unserer Geschichte von der Auferweckung eines Toten. In beiden Erzählungen – sowohl beim Hauptmann als auch bei der Witwe von Nain – geht es um eine Person, die vom Tod gerettet werden muss. Der Knecht des Hauptmanns stand kurz davor zu sterben, der Sohn der Witwe war bereits tot.
Thematisch sind die beiden Geschichten also sehr eng miteinander verbunden. Beide handeln vom gleichen Thema: Errettung. Beim Hauptmann steht das Thema Errettung durch Glauben im Vordergrund. Die Frage ist: Wo ist der Glaube bei der Witwe?
Noch einmal zu Lukas Kapitel 7, Verse 11 bis 15:
„Und es geschah bald darauf, dass er in eine Stadt ging, genannt Nain, und seine Jünger und eine große Volksmenge gingen mit ihm. Als er sich aber dem Tor der Stadt näherte, siehe, da wurde ein Toter herausgetragen, der einzige Sohn seiner Mutter, und sie war eine Witwe, und eine zahlreiche Volksmenge aus der Stadt war mit ihr. Und als der Herr sie sah, wurde er innerlich bewegt über sie und sprach zu ihr: Weine nicht! Und er trat hinzu und rührte die Bahre an. Die Träger aber standen still. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, steh auf! Und der Tote setzte sich auf und fing an zu reden, und er gab ihn seiner Mutter.“
Die Frage lautet: Wo ist der Glaube der Witwe? Dabei geht es nicht darum, ihr grundsätzlich den Glauben abzusprechen. Vielmehr stellt sich die Frage, wie Lukas die Situation beschreibt und wo der Schwerpunkt seiner Darstellung liegt.
Jedenfalls liegt der Fokus nicht auf dem Glauben, obwohl es ja um eine Errettung geht. Wir lesen nichts davon, dass die Witwe Glauben hatte.
Jesus’ Mitgefühl als zentrales Motiv
Aber dafür steht hier: Als der Herr sie sah, wurde er innerlich bewegt über sie und sprach zu ihr: „Weine nicht.“ Das ist der Schwerpunkt.
Im Zentrum dieser Heilung steht nicht der Glaube der Mutter, sondern das, was Jesus fühlt. Er ist bewegt und geht auf sie zu. Das ist ein wichtiger Unterschied zu einer anderen Erzählung. Dort kommen Leute zu Jesus und bitten ihn um ein Wunder. Hier hingegen rechnet niemand mit einem Wunder. Die Initiative geht vom Herrn Jesus aus.
Und er trat hinzu und rührte die Bahre an. Die Träger aber standen still. Er sprach zum Jüngling: „Ich sage dir, steh auf!“ Der Tote setzte sich auf und fing an zu reden. Dann gab er ihn seiner Mutter.
Die theologische Aussage hinter dem Wunder
Welche theologische Aussage steckt hinter diesem Wunder? Ihr ahnt es bestimmt schon: Der Hauptmann steht für Errettung durch Glauben, und die Witwe steht für Errettung aus Gnade.
Denn genau das erleben wir hier: Einen Gott, der gnädig ist und eine Witwe beschenkt – einfach so, weil er es will. Deshalb erzählt Lukas auch nichts vom Glauben der Frau. Er will den Fokus auf Jesus legen, darauf, dass Jesus innerlich bewegt war.
Vielleicht fragst du dich auch, warum Gott Menschen rettet und warum er dieses Himmelfahrtskommando Golgatha gestartet hat, das uns Ostern feiern lässt. An dieser Stelle findest du die Antwort: Er sieht uns Menschen in unserer Verlorenheit, wie wir eine Hoffnung nach der anderen zu Grabe tragen – erst den Mann, dann den Sohn.
Er sieht uns, wie wir jeden Tag mehr in Hoffnungslosigkeit abgleiten, bis am Ende nur noch Tränen bleiben. Er sieht uns, aber er möchte uns mit Leben beschenken – mit ewigem Leben.
Er möchte, dass wir das „Weinen nicht mehr zusprechen. Er möchte, dass wir uns freuen, weil er uns mit Leben beschenkt, das wir schon nicht mehr erwartet haben.
Gnade und Glauben als zwei Seiten der Errettung
Und warum tut Gott das? Weil unser Gott Mitleid empfindet, weil er hinschaut, den Menschen sieht und traurig ist über das, was er dort sieht.
Wenn Gott Mensch wird und unsere Schuld auf sich nimmt, damit wir ewiges Leben bekommen können, dann tut er das aus Gnade. Es ist sein Geschenk an uns, und er tut es, weil wir ihm Leid tun.
Errettung geschieht durch Glauben, aber Errettung ist auch aus Gnade. Auf unserer Seite steht das Vertrauen, auf Gottes Seite das Mitleid. Damit wir diese beiden Seiten immer als eine Einheit verstehen, hat uns Lukas zwei Ereignisse präsentiert. Diese stehen direkt nacheinander, sind durch bewusste Kontraste aneinandergereiht und illustrieren die beiden Aspekte der Errettung.
Persönliche Reflexion und Abschluss
Was könntest du jetzt tun? Du könntest darüber nachdenken, wie du über Gottes Gefühlsleben denkst. Was fühlt Gott gerade jetzt über dich? Was denkst du darüber und warum?
Das war's für heute.
Mein Tipp für alle, die mehr aus einer Episode mitnehmen möchten: Hört nicht nur den Podcast, sondern lest auch das Skript. Lernt außerdem die entscheidenden Bibelverse auswendig.
Der Herr segne dich, lasse dich seine Gnade erfahren und lebe in seinem Frieden. Amen.
