Zum Inhalt

Die Gegenstände der Passion: die Geissel

20.03.1960Johannes 19,1

Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

Wir lesen ein Wort aus Johannes 19, Vers 1: Da nahm Pilatus Jesus und geißelte ihn.

Herr, heilige uns durch deine Wahrheit. Dein Wort ist die Wahrheit. Amen.

Einleitung und aktuelle Begebenheit als Spiegel der Zeit

Bevor wir anfangen, muss ich wohl noch sagen, dass wir hinten ein paar Fenster öffnen werden. Wer auf der Galerie sitzt, tut dies auf eigene Gefahr. Von hinten kommt Kälte – aber nur von der hinteren Seite, sonst zieht es. Danke.

Außerdem möchte ich noch etwas ergänzen, was ich eben vergessen habe: Ich bitte alle Anwesenden, nach dem Gottesdienst im zweiten Stock oben zusammenzukommen.

Meine Freunde, vor kurzem ist hier in Westdeutschland etwas Eigenartiges passiert. Alle öffentlichen Gebäude waren auf Halbmast gehängt. Grund war ein Bergwerkunglück, bei dem viele Männer tief in der Erde in Zwickau ums Leben gekommen sind. Eine erschütternde Sache.

Dabei zeigte sich eine gewisse Zusammengehörigkeit zwischen Ost und West. Wir hatten die Fahnen auf Halbmast gehängt. Doch unter diesen Trauerfahnen herrschten Karnevalsstimmung, geheuchelte Trauer und inszenierte Freude. Beides, sowohl die falsche Trauer als auch die vorgetäuschte Freude, war nichts wert.

Wir sehen daran wieder deutlich, wie sehr es gerade das Kennzeichen unserer Zeit ist, dass wir nichts mehr ernst nehmen. Wir sind bereit, über alles zu diskutieren – über die Atombombe, die Bedeutung der Großmutter oder die sozialen Gefüge der Großstadt. Aber ernst nehmen tun wir nichts. Wir tun nur so, als ob, aber wirklich ernst nehmen wir nichts.

Meine Freunde, das ist die Not unserer Zeit: Dass wir, zumindest die junge Generation, nichts mehr ernst nehmen können. Manche Ältere halten noch krampfhaft an alten Dingen fest, die längst wertlos geworden sind. Es herrscht eine geistige Not, weil man nichts mehr ernst nehmen kann.

Deshalb ist der Blick auf den leidenden Sohn Gottes, Jesus, so groß und befreiend. Da ist einer, der uns ernst nimmt. Da ist einer, der Gott ernst nimmt. Da ist einer, der unsere Erlösung ernst nimmt. Jesus setzt alles ein.

Im Moment, wenn ich die Passionsgeschichte aufschlage, habe ich das Gefühl, in eine völlig andere Atmosphäre einzutreten als die, die mich sonst umgibt. Deshalb ist es so wichtig, die Passionsgeschichte zu betrachten.

Ich glaube, das ist in unserer Zeit das Einzige, was man überhaupt noch ernst nehmen kann. Wir haben etwas am Tisch zu legen, das ernst genommen werden muss.

Ich wünsche uns, meine Freunde, dass in dieser Passionszeit des Jahres 1960 allen ein tiefes Verständnis und ein großes Begreifen geschenkt wird – für das Leiden und Sterben des Herrn Jesus.

Ich halte jetzt seit 35 Jahren Passionspredigten. Das ist wahrscheinlich ein dicker Stapel geworden. In diesen 35 Jahren habe ich immer wieder neu versucht, in dieses – das klingt paradox, aber es ist so – offenbarte Geheimnis des Leidens Jesu einzudringen.

Die Wahl der Predigtthemen: Gegenstände der Passion

In diesem Jahr haben wir den Weg gewählt, einmal über die Gegenstände zu sprechen, die in der Passion vorkommen. Ich bin darauf gekommen, weil es so alte Passionsbilder gibt, auf denen man das Kreuz sieht, daneben die Geißel, die Würfel, mit denen sie gewürfelt haben, und die Lanze. Den Alten waren offenbar diese Gegenstände wichtig. Nun wollen wir sie in diesem Jahr besprechen.

Ich darf sagen, dass ich wegen dieser merkwürdigen Sache, über die Gegenstände der Passion zu reden, reichlich angeödet worden bin. Es haben mir Leute gesagt: „Da gehen wir gar nicht mehr hin, da gehen wir nur noch zur Bibelstunde.“ Liebe Freunde, lasst euch nicht verdrießen, mit mir einmal den Weg in dieses offenbarte Geheimnis des Leidens Jesu hineinzugehen – und zwar über die toten Gegenstände.

Wir wollen den Weg ruhig weitergehen bis zum Karfreitag. Heute möchte ich mit Ihnen reden, oder vielmehr Gott möchte mit uns reden, über die Geißel, mit der der Herr Jesus gegeißelt wurde, bevor er zum Tode geführt wurde. Wir haben das Wort gelesen: „Da nahm Pilatus Jesus und geißelte ihn, und die Knechte flochten eine Krone von Dornen.“

Sie dürfen nicht denken, dass Pilatus die Geißel selbst vollzogen hat. Er war auch viel zu verängstigt dafür. Nein, er ließ das seine Leute tun. Wir wollen über die Geißel sprechen.

Bevor wir beginnen, husten wir uns alle einmal kräftig aus, damit uns das nicht verdrängt. Wer nicht husten muss, kann es lassen. Und wer eine Lungenentzündung hat, der setzt sich bitte nach oben.

Die Geissel als Offenbarung des Menschenherzens

So, ich habe drei Punkte.

Erstens: Diese Geißel enthüllt den Menschen. Wenn wir nicht wissen sollten, was im Menschen steckt, können wir es hier studieren. Bitte sehen wir uns dieses schauerliche Bild an: Der Sohn Gottes mit den vorgerissenen Armen, festgebunden an dieser Macht-Säule. Und da stehen diese dunklen, lachenden, wohlwollenden, teuflischen Henker unschwingend über dem Sohn Gottes mit der Geißel.

Die römische Geißel bestand aus Riemen, in die Eisenstücke und Knochensplitter eingeflochten waren. Der Mensch hat sie raffiniert erfunden, um andere zu quälen. Nach ein paar Schlägen mit solch einer Geißel war jeder Rücken aufgerissen und blutüberströmt. Es ist ein grauenvolles Bild, und der gebildete und kultivierte Pilatus hat es befohlen. Die hochwürdigen Herren Priester sind höchst einverstanden, sie sind alle beteiligt.

So ist der Mensch, denn das war ja nicht die letzte Macht vor zweitausend Jahren. So ist der Mensch ohne Ausnahme.

Meine Freunde, ich blätterte gestern mal wieder in meinem lieben Schiller, Friedrich Schiller, deutscher Klassiker. Seit er zum Klassiker erhoben ist, liest ihn kaum noch jemand, außer ab und zu – sogar ausgefallen worden.

Schiller sagt einmal in einem Gedicht: Das Schöne wäre nicht draußen, da sucht es der Tor, es ist in dir, du bringst es ewig hervor. Die Überzeugung jedes Deutschen mit einem Einkommen von fünf Mark aufwärts, jedes Deutsche mit Abitur – nein, nein, nein, Unsinn! Jedes Deutsche mit und ohne Abitur: Das Schöne war nicht draußen, da sucht es der Tor, es ist in dir. Glaube an den Menschen, nicht wahr? Und wer an Menschen nicht glauben kann, der glaube wenigstens an das Gute in mir selbst, nicht?

Du bringst es ewig hervor – welche blödsinnige Illusion dieser Idealisten! Schiller spricht wahr: Unser Herz ist böse.

Aber es gehört schon der Geist Gottes dazu, dass er uns das bei uns selbst aufdeckt, wie wir andere Menschen schinden und schlagen, wie es uns egal ist, wenn andere leiden. Welch ein Werk für den Heiligen Geist, dessen Mensch erschrickt über sein eigenes Herz!

Und was gehört dazu, dass so ein hartes Herz göttlich verwandelt wird? Ich will das steinerne Herz, sagt der Herr, aus Fleisch wegnehmen und euch ein weiches Herz geben. Aber dafür ist eben Jesus gekommen. Da war schon eine große Erlösung nötig. Er versteht es.

Diese Geißel enthüllt den Menschen, wie die Härte unseres Herzens. Aber noch viel mehr, meine Freunde: Diese Geißel enthüllt noch mehr. Diese Geißel hier enthüllt die Gottlosigkeit unserer Herzen.

Sehen Sie: Es war ein Bombenkrieg, als man wieder so drüber und drunter ging und alles brannte. Da hörte ich einen Mann verzweifelt lästern: Wie kann Gott das zulassen? Und dann schrie er: Wenn ich Gott mal in die Hände, wenn ich Gott mal in die Finger kriegen könnte, wenn ich Gott mal in die Finger kriegen könnte!

Liebe Freunde, in dieser Geschichte hat der Mensch Gott in die Finger gekriegt, und er beweist, dass der Heidelberger Katechismus Recht hatte. Es heißt dort: Ich bin von Natur geneigt, Gott zu hassen.

Sehen Sie, das ist der tiefe Sinn dieses einen Verses: Der nahm Pilatus Jesus und geißelte ihn. In Jesus ist der lebendige Gott zu uns gekommen. Und was tut der Mensch mit diesem eisgewordenen Gott?

Da sehen Sie ihn: An die Macht-Säule gebunden, sehen Sie die Henker, die die schrecklichen, blutbefleckten Geißeln schwingen.

Sehen Sie: Diese Geißel offenbart, was im tiefsten Grund unseres Herzens ist. Bei all unserer Religiosität, bei all unserer Frömmigkeit – im tiefsten Herzen hassen wir Gott. Im tiefsten Herzen möchten wir gottlos sein, wir möchten unser eigener Gott sein: Ich bin der Herr, mein Gott, ich will keine anderen Götter neben mir haben. So sind wir.

Der tiefste Grund unseres Herzens ist ungeheure Gottlosigkeit. Das wird hier offenbar.

Welch eine Veränderung muss geschehen, dass dieser Graben überbrückt wird und wir den lebendigen Gott liebhaben! Wir sollen Gott lieben. Was für eine Veränderung muss da bei uns geschehen, dass dann grundlos, brennend, eine Liebe zu ihm ist – als etwas Merkwürdiges?

Dieser Text enthüllt den Menschen: Seine Herzenshärtigkeit, seine Gottlosigkeit. Und, meine Freunde, noch etwas: Diese Geißel ist sehr vielsagend, sie enthüllt noch mehr.

Sehen Sie: Alle Berichte des Neuen Testaments berichten übereinstimmend, dass der römische Landpfleger Pontius Pilatus das Todesurteil über Jesus nicht aussprechen wollte. Er musste es, aber er wollte es nicht. Er fürchtete irgendwie diesen Jesus. Er spürte, dass er der Sohn Gottes war.

Er schnupperte, der kluge Mann, dass da die andere Welt hereinbricht. Er fürchtete ihn, aber er fürchtete ebenso das tobende Volk, das den Tod Jesu forderte: "Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!", schrien sie.

Da hat Pilatus, weil er ein schlauer Mann war, gesagt: Wir müssen einen Mittelweg finden. Und da ließ er geißeln in der Hoffnung, wenn das Volk diese schreckliche Geißelung sieht, geben sie sich zufrieden.

So schildert uns das Neue Testament die Vorgänge.

Die Geißel ist also, meine Freunde, der Ausdruck eines Herzens. Bitte hören Sie: Die Geißel ist der Ausdruck eines Herzens, das mit dem Evangelium sympathisiert, aber sich mit der Welt nicht verderben will.

Die Geißel ist der Ausdruck dafür: Ja, mit Jesus sei etwas dran. Ich möchte, wenn ich sterbe, lieber irgendwie von ihm gerettet werden. Aber selbstverständlich will ich mit der Welt sündigen. Ich werde mich hüten, hier als ein Brummer verschrien zu werden, als Fanatischer.

Und nun sage ich: Haufenweise sitzen solche Pilatusse hier in diesem Gottesdienst – halbe Herzen! Frieden mit der Welt und Frieden mit Gott – das gibt es nicht!

Über solche Pilatus-Herzen hat der Herr Jesus nach seiner Auferstehung ein Wort gesagt, ein unerhörtes Wort, fast nur ein abschreckendes Wort. Das heißt so: "Oh, dass du kalt oder warm wärst! Weil du lau bist, will ich dich ausspucken aus meinem Munde."

Welches Wort?

Sehen Sie, die Geißel entlarvt auch die Halbheit der Herzen – die Härte, die Gottlosigkeit und die Halbheit.

Im Übrigen ist Pilatus Zeuge dafür, dass man Jesus gegenüber, der Offenbarung Gottes gegenüber, nicht in halber Stellung bleiben kann. Er musste das Todesurteil sprechen. Er musste der Mörder werden. Er musste auf die Seite der Feinde Jesu treten. Es blieb ihm nichts anderes übrig.

Ich möchte, dass uns alles geschenkt wäre, dass wir die Warnung dieses Textes hören.

Die Geissel als Offenbarung von Jesus Christus

Aber nun zweitens: Diese merkwürdige Geißel, sage ich, enthüllt die Heftigkeit des Herzens des Menschen, seine Gottlosigkeit und seine Unentschlossenheit.

Zweitens möchte ich Ihnen etwas Wichtiges zeigen: Diese Geißel enthüllt den Herrn Jesus. Sie zeigt uns Jesus auf eine ganz neue Weise.

Inzwischen haben Sie wahrscheinlich alle Fenster hinten zugemacht, weil es Ihnen kalt wird. Ich muss aber dringend bitten: Machen Sie bitte die Fenster hinten wieder auf! Sonst fällt die Gemeinde hier um, und wir haben nicht mehr genug Kölnisch Wasser, um alle wieder zu erquicken und zu erfrischen. Hier fehlt wirklich nichts.

Zweitens: Diese Geißel enthüllt den Herrn Jesus. Wir wissen, dass das Volk mit der Geißelung nicht zufrieden war. Jesus musste sterben; sie forderten es und blieben dabei. Und so musste Jesus sterben.

Nun hören Sie etwas Merkwürdiges: Nicht nur das tobende Volk verlangte den Tod Jesu, sondern auch der himmlische Vater, Gott. Gott verlangte den Tod Jesu. Das ist nicht leicht zu verstehen.

Jesus sollte, ich rede jetzt mit biblischen Worten, das Lamm Gottes werden, das die Sünde der Welt wegträgt. Jesus sollte als Opfer auf dem Altar des Kreuzes das Lamm Gottes werden, das mit einem Opfer in Ewigkeit die Geheilten vollendet.

Jesus sollte das Opfer werden, das für alle Sünder das Gericht trägt. Er sollte das Opfer sein, das der Gerechtigkeit Gottes Genüge tut. Jesus sollte das Opfer sein, durch das Gott die Welt mit sich versöhnt.

Er musste am Kreuz sterben, sonst gab es keine Erlösung. Gott wollte es, und so geschah es.

Nun, meine Freunde, wenn Gott seinen Sohn in den Tod gab, dann müssen wir fragen: Wozu ließ Gott vorher noch diese Geißelung zu? War das Kreuz nicht genug? Wozu also noch die Geißel?

Ich möchte Ihnen zeigen, dass die Geißel im Rahmen der Heilsgeschichte eine große Bedeutung hat. Das ist eine kleine biblische Überlegung, und Sie müssen jetzt noch einmal ganz wach sein, damit ich Ihnen das deutlich machen kann.

Die Geißel hat im Rahmen des biblischen Alten Testaments eine große Bedeutung. Welche? Ich sage: Jesus soll das Lamm Gottes werden, das geopfert wird für die Sünden der Welt, zur Versöhnung.

Im Alten Testament ist ganz klar und deutlich gesagt, wie das Lamm Gottes aussehen muss. Es wird vorausverkündigt und aufgezeigt. Dort steht: „Da er gestraft und gemartert wird, tut er seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer.“ So steht es in Jesaja 53.

Es wird genau vorausgesagt, wie das Lamm Gottes aussehen muss: Er tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das verstummt.

Nun war die Stunde da, in der das Lamm Gottes geopfert werden sollte. Die Stunde war gekommen.

Und wie verhielt sich Jesus? Ich möchte lieber fragen: Wie würden wir uns verhalten, wenn wir unschuldig gegeißelt würden?

Lieber Freund, wie würden wir uns verhalten, wenn wir angebunden, unschuldig und geschlagen würden? Es gibt verschiedene Möglichkeiten, nicht wahr?

Man kann seine Unschuld beteuern, man kann stöhnen und weinen, man kann die Henker um Gnade anflehen. Man kann sich auflehnen, wie die Indianer am Pfahl, und den Henker bis zum letzten Atemzug verachten – heroisch nannte man das früher. Man kann Gott in der Verzweiflung anklagen und lästern. Es gibt viele Möglichkeiten.

Und nun sehen Sie: Wie verhält sich Jesus? Wir hören kein Wort, kein einziges Wort. Wie verhält sich Jesus? Er tat seinen Mund nicht auf, wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Schäfer. Verstehen Sie? Kein Wort wird uns erzählt, was Jesus gesagt hat. Stumm leidet er das.

Als Jesus gegeißelt wird, erfüllt sich eine alttestamentliche Weissagung. Er verstummt, wenn er zur Schlachtbank geführt wird.

Oder besser gesagt: Hier wird Jesus gleichsam geprüft und erwiesen. Er ist das richtige Lamm Gottes. Er ist das wahre Lamm Gottes, genau so, wie es im Alten Bund steht. Er ist imstande, die Versöhnung zu vollziehen.

Meine Freunde, das ist nur furchtbar wichtig – nicht für irgendwelche Weltmenschen. Die haben andere Sorgen und könnten keine größere Sorge haben als diese: Mit welchen Albernheiten beschäftigt sich der Mensch bis zu seinem Tod?

Aber das ist wichtig für alle bekümmerten Herzen und bedrückten Gewissen.

Das heißt: Nachdem Jesus hier als das wahre Lamm erwiesen ist, wird dort am Kreuz eine gültige Versöhnung vollzogen. Dort am Kreuz wird das richtige, von Gott legitimierte Opfer dargebracht. Dort am Kreuz Jesu stirbt das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegtragen kann – also auch meine.

Dort am Kreuz Jesu kann ich wirklich Vergebung der Sünden finden. Wollen Sie ohne Vergebung der Sünden sterben? Wollen Sie Ihre alte Schuld weiter mit sich herumtragen?

Die Losung heute heißt: „Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend.“ Wollen Sie das weiter mit sich herumtragen?

Am Kreuz Jesu können wir wirklich Vergebung der Sünden haben. Das ist das richtige Opfer, erwiesen an der Macht der Geißelsäule. Das richtige Lamm bewährt an der Macht der Geißelsäule.

Hier am Kreuz Jesu können wir wirklich Frieden finden – Frieden, den unser Herz sucht.

Es darf jetzt unsere Geschichte werden, was in einem schlichten Volkslied steht:

Ich wollte Frieden finden, ich suchte ihn allerwärts.
Ich fand wohl viele Sünden, doch kein versöhntes Herz.
Da bin ich stillgegangen bis hin zum Kreuzestamm,
es stillte mein Verlangen das heilige Gotteslamm.

Die Geissel als Offenbarung des Erlösungsgeheimnisses

Lassen wir nur ein Drittel sagen: Die Geißel enthüllt den Menschen, sie zeigt Jesus als das wahre Lamm Gottes, das stumpf vor seinem Scherer stand.

Und ein Drittel – die Geißel enthüllt das Geheimnis unserer Erlösung. Sehen Sie, wenn ich über die irdische Straße gehe und frage: Was verstehen Sie unter Erlösung? Dann lacht einer und sagt, dass ihm jemand seine Schulden bezahlt oder dass er seine Zahnschmerzen loswird.

Verstehen Sie, unter Erlösung versteht man vieles. Manche denken vielleicht, dass wir endlich die deutsche Vereinigung bekommen oder so etwas Ähnliches. Im Politischen hat Erlösung nur eine große Rolle gespielt. Wir müssen jedoch wissen, was die Bibel meint, wenn sie von Erlösung spricht.

Und sehen Sie, die Geißel enthüllt uns, das ist das Dritte, das Geheimnis der Erlösung. Ich weiß, es ist heute eine massive biblische Kost, aber bitte nehmen Sie es so auf, dass wir es verstehen – nicht nur unsere ewige Seligkeit, sondern das Geheimnis unserer Erlösung. Lenken Sie den Blick noch einmal auf die Macht der Säule, an der Jesus, der Herr, geschlagen wurde.

Ich bin froh, dass mich in meinem Leben nie jemand geschlagen hat, denn das ist die größte Erniedrigung, die einem widerfahren kann. Und hier wird Jesus geschlagen, blutig und erniedrigt. Irgendwo müsste ich Philologen fragen, irgendwo in griechischen Klassikern habe ich mal den Satz gehört – ich habe vergessen, wo –, „Mehr schmerzt das Scheiden nicht von Seele und Leib als Größe, die uns abfällt.“ Mehr schmerzt das Scheiden, also der Tod von Seele und Leib, als die Größe, die uns abfällt.

Erniedrigt zu werden ist schwerer als zu sterben. Jesus wird erniedrigt, entwelt von Henkerhänden. Als Größe, die uns abfällt – meine Freunde, Jesus steht an der Macht der Säule als gefallene Größe. Denken Sie daran: Der, der an der Macht der Säule steht, ist der, der beim Vater in den himmlischen Räumen Herrlichkeit hatte. Das ist der, der mit Gewalt und Vollmacht den Lazarus aus den Toten rief, vor dem die Dämonen wichen.

Und jetzt – gefallene Größe, gefallene Größe. Wenn ich das Wort „gefallene Größe“ ausspreche, dann steht plötzlich eine andere gefallene Größe vor mir, nämlich Adam. Ihr kennt die Geschichte von Adam, der herrliche Sohn Gottes, Ebenbild Gottes, strahlend schön. Und dann rebelliert er und wird hinausgeschmissen. Ein Engel bewacht ihn, damit er nicht zurückkehren kann. Gefallene Größe, Adam!

Und alle Nachkommen Adams – da sind wir alle gleich in ihm –, wir sind alle gefallene Größe. Wir sollten Bilder Gottes sein, und was sind wir? Gefallene Größe. Ich habe mal einen alten Christen getroffen, das vergesse ich nicht. Da kam man ins Gespräch, und ich sagte so beiläufig: „Sagen Sie mal, wie kommt es, dass alle Menschen Minderwertigkeitskomplexe haben?“ Wir kommen immer mehr dahinter, dass alle Leute Minderwertigkeitsgefühle haben. Anders kann man sie gar nicht verstehen. Von da aus ist immer Zugang zu Menschen.

Warum haben sie alle Minderwertigkeitsgefühle? Da sagt er: „Ich glaube, es liegt daran, dass auch der Gottloseste ahnt: Wir sollten Kinder Gottes sein, und was sind wir? Gefallene Größen, Diener des Teufels, unserer eigenen Lüste, des Geldes, der Menschen und alles Mögliche – gefallene Größen und unter uns gefallene Größen, unter uns Sünder!“

Seht, das ist der Sohn Gottes auch – als gefallene Größe. Freiwillig lässt er seine Hoheit sinken, er erniedrigt sich selbst. Freiwillig gibt er seine Größe hin, freiwillig lässt er sich erniedrigen durch die Geißel. Warum? Warum? Damit unsere Erniedrigung, unser Fall aufhört, damit wir an seine Stelle treten können, damit wir in unsere alte Größe eintreten können und Kinder Gottes werden.

Die Zeit ist abgelaufen, ich kann das nicht mehr lange ausführen. Ich möchte Ihnen bloß dies sagen: Auch über der Macht der Säule steht, über dem ganzen Leiden Jesu, die beiden Wörtlein, die Luther so groß waren: „Führt mich, weil ich gefahren überäußert bin, Sünder!“ Darum erniedrigt sich Jesus, damit ich erhöht werden kann zum Kind Gottes.

Meine Freunde, es sind einfach Tatsachen, die Gott geschaffen hat: Jesus, der erniedrigt wird, damit wir wieder eintreten können und Kinder Gottes werden. Jetzt liegt es an uns, ob wir davon Gebrauch machen wollen. Sie können weiterhin in ihrer schmutzigen Erniedrigung bleiben – oder wir treten im Glauben ein an die Stelle, die Jesus uns geschaffen hat, um Kinder Gottes zu werden.

Schlussbetrachtung und Gebet

Meine Freunde, ich sagte am Anfang, wir können heute nichts mehr ernst nehmen – das ist unsere Not. Vielleicht ist das auch ganz gut, ich weiß es nicht.

Wenn ich hier in der Zeitung lese, habe ich von der ersten politischen Nachricht bis zum letzten Inserat nichts geglaubt. Sie? Nichts. Alles wirkt irgendwie verzerrt.

Was sollten wir da noch ernst nehmen? Was sollen wir noch ernst nehmen?

Hier gibt es etwas, das man ganz ernst nehmen kann, etwas, das das ganze Leben verändert und das wir ernst nehmen müssen: diese beiden Wörtlein, die über dem Leiden unseres Heilandes stehen – für uns, für uns.

Gott helfe uns, dass wir das ganz ernst nehmen.

Nun wollen wir beten: Herr, unser Geist ist viel zu stumpf und zu tot, als dass wir dein Leiden begreifen könnten. Aber wir danken dir, dass dein Geist am Werke ist, uns lebendig zu machen, uns Augen und Ohren zu öffnen. Tu es an uns allen, Herr. Amen!