Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.
Wir lesen ein Wort aus Johannes 19,1:
Dann nahm Pilatus Jesus und geißelte ihn.
Herr, heilige uns in deiner Wahrheit.
Dein Wort ist die Wahrheit. Amen.
Einführung und aktuelle Hinweise zum Gottesdienst
Bevor wir anfangen, muss ich noch etwas sagen: Wir werden hinten einige Fenster öffnen.
Wer auf der Galerie sitzt, tut das auf eigene Gefahr, denn von hinten zieht es kalt. Die Zugluft kommt nur von der Rückseite.
Außerdem möchte ich noch hinzufügen, was ich vorhin vergessen habe: Ich bitte alle Anwesenden, nach dem Gottesdienst im zweiten Stock zusammenzukommen.
Beobachtungen zur gesellschaftlichen Haltung und geistlichen Not unserer Zeit
Meine Freunde, vor kurzem ist hier in Westdeutschland etwas Eigenartiges passiert. Alle öffentlichen Gebäude hatten aus Anlass eines Bergwerkunglücks die Flaggen auf Halbmast gesetzt. In Zwickau waren viele Männer tief unter der Erde ums Leben gekommen – eine erschütternde Sache. Dabei zeigte sich eine Zusammengehörigkeit von Ost und West, denn wir hatten gemeinsam die Flaggen auf Halbmast gehisst.
Doch unter diesen Trauerfahnen tobte der Karneval. Es gab ein Gemisch aus vorgetäuschter Trauer und inszenierter Freude. Beides war nichts wert. Für mich zeigt das deutlich, wie sehr es heute das Kennzeichen unserer Zeit ist, dass wir nichts mehr ernst nehmen. Wir sind bereit, über alles zu diskutieren – über die Atombombe, die Bedeutung der Großmutter oder das soziale Gefüge der Großstadt. Aber ernst nehmen tun wir nichts davon. Wir tun nur so, als ob, doch im Grunde nehmen wir nichts ernst.
Meine Freunde, das ist die Not unserer Zeit. Wenigstens die junge Generation leidet darunter. Manche Ältere halten noch krampfhaft an alten Dingen fest, die längst wertlos geworden sind. Es ist eine geistige Not, dass man nichts mehr ernst nehmen kann.
Darum ist der Blick auf den leidenden Sohn Gottes, Jesus, so groß und befreiend. Da ist einer, der uns ernst nimmt, einer, der Gott ernst nimmt, einer, der unsere Erlösung ernst nimmt. Dieser Jesus setzt alles ein.
Wenn ich die Passionsgeschichte aufschlage, dann ist es, als trete ich in eine völlig andere Atmosphäre ein als die, die mich hier umgibt. Deshalb ist es so wichtig, die Passionsgeschichte anzusehen. Ich glaube, das ist in unserer Zeit das Einzige, was man überhaupt noch ernst nehmen kann. Wir haben noch etwas auf den Tisch zu legen, was ernst genommen werden muss.
Ich wünsche uns, meine Freunde, dass Ihnen allen in dieser Passionszeit des Jahres 1960 ein tiefes Verständnis und ein großes Begreifen geschenkt wird für das Leiden und Sterben des Herrn Jesus.
Sehen Sie, ich halte jetzt seit 35 Jahren Passionspredigten. Das ist wahrscheinlich ein dickes Paket geworden. Und in diesen 35 Jahren habe ich immer wieder neu versucht, in dieses – das klingt paradox, aber es ist so – offenbare Geheimnis des Leidens Jesu einzudringen.
Thema der Predigt: Die Gegenstände der Passion
In diesem Jahr haben wir den Weg gewählt, einmal über die Gegenstände zu sprechen, die in der Passion vorkommen. Mir ist aufgefallen, dass es alte Passionsbilder gibt, auf denen das Kreuz, die Geißel, die Würfel, mit denen sie gewürfelt haben, und die Lanze abgebildet sind. Den Alten waren diese Gegenstände offenbar wichtig. Deshalb wollen wir sie in diesem Jahr besprechen.
Ich muss zugeben, dass ich wegen dieser merkwürdigen Idee, über die Gegenstände der Passion zu sprechen, schon einiges an Ablehnung erfahren habe. Einige Leute haben mir gesagt: „Da gehen wir gar nicht mehr hin, da gehen wir nur noch zur Bibelstunde.“ Liebe Freunde, lasst euch nicht entmutigen, mit mir diesen Weg zu gehen und in das offenbarte Geheimnis des Leidens Jesu einzutauchen – und zwar über die toten Gegenstände.
Wir wollen den Weg ruhig weitergehen bis zum Karfreitag. Heute möchte ich mit Ihnen sprechen – oder besser gesagt, Gott möchte mit uns sprechen – über die Geißel, mit der der Herr Jesus gegeißelt wurde, bevor er zum Tod geführt wurde.
Wir haben das Wort gelesen: „Da nahm Pilatus Jesus und geißelte ihn, und die Kriegsknechte flochten die Krone aus Dornen.“ Sie dürfen nicht denken, dass Pilatus die Geißelung selbst vollzogen hat. Er war dafür viel zu fein. Nein, er ließ es seine Leute tun.
Wir wollen also über die Geißel sprechen. Bevor wir beginnen, husten wir uns alle einmal kräftig aus, damit uns nichts stört und wir uns gut sammeln können. Wer nicht husten muss, kann es lassen, und wer eine Lungenentzündung hat, setzt sich besser um.
Die Geissel als Offenbarung des Menschen
Ich habe drei Punkte. Erstens: Diese Geißel enthüllt den Menschen. Wenn man nicht wissen soll, was ein Mensch ist, dann können wir das hier studieren. Bitte sehen wir uns dieses schauerliche Bild an: Der Sohn Gottes mit den vorgerissenen Armen, festgezurrt an dieser Macht-Säule. Und da stehen diese Dummen – lachende, höhnende, törichte Henker, die über dem Sohn Gottes die Geißel schwingen.
Die römische Geißel bestand aus Riemen, in die Eisenstücke und Knochensplitter eingeflochten waren. Ah, der Mensch hat es immer wieder raffiniert verstanden, den anderen zu quälen. Nach ein paar Schlägen mit solch einer Geißel war jeder Rücken aufgerissen und blutüberströmt. Es ist ein grauenvolles Bild.
Und der gebildete und kultivierte Pilatus hat es befohlen. Die hochwürdigen Herren Priester sind höchst einverstanden, sie sind alle beteiligt. So ist der Mensch. Denn das war ja nicht die letzte Macht vor zweitausend Jahren. So ist der Mensch ohne Ausnahme.
Meine Freunde, ich blätterte gestern mal wieder in meinem lieben Schiller, Friedrich Schiller. Deutscher Klassiker. Seit er zum Klassiker erhoben ist, liest ihn kaum noch jemand – ab und zu vielleicht ausgewanderte Deutsche. Schiller sagt einmal in einem Gedicht: „Das Schöne Wahre, es ist nicht draußen, da sucht es der Tor, es ist in dir, du bringst es ewig hervor.“
Die Überzeugung jedes Deutschen mit 500 Mark Einkommen aufwärts, jedes Deutschen mit Abitur – nein, nein, nein, ach Unsinn! Jedes Deutsche mit und ohne Abitur glaubt: Das Schöne war es nicht, draußen da sucht es der Tor, es ist in dir. Glaube an den Menschen, nicht wahr? Und wer an Menschen nicht glauben kann, der glaubt wenigstens an das Gute in sich selbst, nicht? Du bringst es ewig hervor.
Welche blödsinnige Illusion dieser Idealisten! Die Geißel spricht wahr: Unser Herz ist böse und hart. Aber es gehört schon zum Geist Gottes dazu, dass er uns das bei uns selbst aufdeckt – wie wir anderen Menschen schenken und schlagen, wie es uns egal ist, wenn andere leiden.
Welch ein Werk für den Heiligen Geist, wenn der Mensch erschrickt über sein eigenes Herz! Und was gehört dazu, dass so ein hartes Herz göttlich verwandelt wird? „Ich will das steinerne Herz“, sagt der Herr, „aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein weiches Herz geben.“ Aber dafür ist eben Jesus gekommen. Da war schon eine große Erlösung nötig. Er versteht das.
Diese Geißel enthüllt den Menschen, wie die Härte unseres Herzens. Aber noch viel mehr, meine Freunde: Diese Geißel enthüllt noch mehr. Diese Geißel hier enthüllt die Gottlosigkeit unserer Herzen.
Sehen Sie: Es war ein Bombenkrieg, als man wieder so drüber und drunter ging und alles brannte. Da hörte ich einen Mann verzweifelt lästern: „Wie kann Gott das zulassen?“ Und dann schrie er: „Habe ich Gott mal in die Hände, wenn ich Gott mal in die Finger kriegen könnte! Wenn ich Gott mal in die Finger kriegen könnte!“
Lieben Freunde, in dieser Geschichte hat der Mensch Gott in die Finger gekriegt. Und er beweist, dass der Heidelberger Katechismus Recht hatte, wenn es heißt: „Ich bin von Natur geneigt, Gott zu hassen.“ Sehen Sie, das ist der tiefe Sinn dieses einen Verses, der Namen Pilatus, Jesus und Kaiser nennt.
In Jesus ist der lebendige Gott zu uns gekommen. Und was tut der Mensch mit diesem eisgewordenen Gott? Da seht ihr ihn, an die Macht-Säule gebunden. Seht die Henker, die die Geißeln schwingen, diese schrecklichen, blutbefleckten Geißeln!
Seht, diese Geißeln offenbaren, was im tiefsten Grund unseres Herzens ist! Bei all unserer Religiosität, bei all unserer Frömmigkeit – im tiefsten Herzen hassen wir Gott! Im tiefsten Herzen möchten wir Gott los sein! Wir möchten unser eigener Gott sein: „Ich bin der Herr, mein Gott, ich will keine anderen Götter haben neben mir.“ So sind wir.
Der tiefste Grund unseres Herzens ist eine ungeheure Gottlosigkeit. Das wird hier offenbar. Welch eine Veränderung muss geschehen, damit dieser Graben überbrückt wird und wir den lebendigen Gott lieb haben! Wir sollen Gott lieben.
Was für eine Veränderung muss da bei uns geschehen, dass der Grund unseres Herzens eine brennende Liebe zu ihm wird!
Die Geissel als Ausdruck der Unentschlossenheit und Halbherzigkeit
Es ist etwas Merkwürdiges daran, wie dieser Text die Härte des Herzens und die Gottlosigkeit des Menschen offenbart. Meine Freunde, er enthüllt noch etwas, das für den Geistlichen sehr viel aussagt.
Alle Berichte des Neuen Testaments stimmen darin überein, dass der römische Landpfleger Pontius Pilatus das Todesurteil über Jesus nicht aussprechen wollte – aber er musste es tun. Er wollte es nicht. Er fürchtete diesen Jesus irgendwie. Er erschrak, als er hörte: „Sohn Gottes“. Der kluge Mann spürte, dass da eine andere Welt hereinbricht. Das fürchtete er.
Gleichzeitig fürchtete er auch das tobende Volk, das den Tod Jesu forderte: „Kreuzige ihn, kreuzige ihn!“, schrien sie. Pilatus, weil er ein schlauer Mann war, versuchte, einen Mittelweg zu finden. Deshalb ließ er Jesus geißeln, in der Hoffnung, dass das Volk, wenn es diese schreckliche Geißelung sieht, sich zufrieden geben würde.
So schildert uns das Neue Testament die Vorgänge. Die Geißel ist also, meine Freunde, der Ausdruck eines Herzens. Bitte hören Sie genau: Die Geißel ist der Ausdruck eines Herzens, das mit dem Evangelium sympathisiert, aber sich nicht mit der Welt verderben will. Die Geißel zeigt, dass man denkt: „Doch, mit Jesus ist etwas dran. Ich möchte, wenn ich sterbe, irgendwie von ihm gerettet werden. Aber selbstverständlich will ich mit der Welt sündigen. Ich werde mich hüten, hier als ein Frommer verschrien zu werden, als Fanatiker.“
Nun sage ich: Haufenweise sitzen solche Pilatusse hier in diesem Gottesdienst – Menschen mit halben Herzen! Frieden mit der Welt und Frieden mit Gott – das gibt es nicht!
Über solche Pilatus-Herzen hat Herr Jesus nach seiner Auferstehung ein Wort gesprochen, ein unerhörtes Wort, fast ein unentrinnbares Wort. Er sagte: „Oh, dass du kalt oder warm wärst! Weil du aber lau bist, will ich dich ausspeien aus meinem Munde.“
Sehen Sie, die Geißel entlarvt auch die Halbheit der Herzen, die Härte und die Gottlosigkeit. Das Verhalten des Pilatus ist ein Zeugnis dafür, dass man Jesus gegenüber, der Offenbarung Gottes gegenüber, nicht in halber Stellung bleiben kann.
Pilatus musste das Todesurteil sprechen. Er musste der Mörder werden. Er musste auf die Seite der Feinde Jesu treten. Es blieb ihm nichts anderes übrig.
Ich wünsche uns allen, dass wir die Warnung dieses Textes hören und verstehen.
Die Bedeutung der Geissel im Heilsgeschehen
Aber nun zum Zweiten: Diese merkwürdige Geißelsage offenbart die Heftigkeit des Herzens des Menschen, seine Gottlosigkeit und seine Unentschlossenheit.
Als Zweites möchte ich Ihnen zeigen – und das ist wirklich wichtig – wie der Herr Jesus sich verhielt. Sehen Sie, wir wissen, dass das Volk mit der Geißelung nicht zufrieden war. Jesus musste sterben. Das Volk forderte es, blieb dabei, und Jesus musste sterben.
Nun hören Sie etwas Merkwürdiges: Nicht nur das tobende Volk verlangte den Tod Jesu, sondern auch der himmlische Vater, Gott selbst. Gott verlangte den Tod Jesu. Es ist wichtig, dass Sie das verstehen. Jesus sollte – ich rede jetzt mit biblischen Worten – das Lamm Gottes werden, das der Welt Sünde wegträgt. Jesus sollte als Opfer auf dem Altar des Kreuzes das Lamm Gottes werden, das mit einem Opfer in Ewigkeit die Geheilten vollendet.
Jesus sollte das Opfer werden, das für alle Sünde das Gericht trägt. Jesus sollte das Opfer werden, das der Gerechtigkeit Gottes Genüge tut. Jesus sollte das Opfer werden, durch das Gott die Welt mit sich versöhnt. Er musste sterben – am Kreuz. Sonst gab es keine Erlösung. Gott wollte es, und so geschah es.
Nun, meine Freunde, wenn Gott seinen Sohn in den Tod gab, dann müssen wir doch fragen: Wozu ließ Gott vorher noch diese Geißelung zu? War das nicht unnötige Qual? War es mit dem Kreuz nicht genug? Wozu noch die Geißel?
Ich möchte Ihnen zeigen, dass die Geißel im Rahmen der Heilsgeschichte eine ganz große Bedeutung hat. Das ist eine kleine biblische Überlegung. Sie müssen also jetzt mal wieder ganz wach sein, damit ich Ihnen das deutlich machen kann: Die Geißel hat im Rahmen der biblischen Heilsgeschichte eine große Bedeutung.
Welche? Ich sage: Jesus soll das Lamm Gottes werden, das Gott für die Sünden der Welt opfert, zur Versöhnung. Nun ist im Alten Testament ganz klar und deutlich gesagt, wie das Lamm Gottes aussehen muss. Das ist die Vorausverkündigung, die aufgezeigt wird.
Da steht: „Da er gestraft und gemartert wird, tut er seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, so steht es hier in Jesaja 53.“ Dort ist genau gesagt, wie das Lamm Gottes aussehen muss. Er tat seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das verstummt.
Und nun war die Stunde da, wo das Lamm Gottes gemacht werden sollte. Die Stunde war da. Wie verhielt sich Jesus? Ich möchte mal fragen: Wie würden wir uns verhalten, wenn wir unschuldig gegeißelt werden?
Lieber Freund, wie würden wir uns verhalten, wenn wir angebunden wären, unschuldig und geschlagen? Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, nicht wahr? Man kann seine Unschuld beteuern, man kann stöhnen und weinen, man kann die Henker um Milde anflehen, man kann sich – wie die Indianer am Pfahl – heroisch verhalten und dem Henker seine Verachtung ins Gesicht schleudern, bis zum letzten Atemzug. Man kann Gott anklagen in Verzweiflung und lästern. Es gibt verschiedene Möglichkeiten.
Und nun sehen Sie, wie verhält sich Jesus? Wir hören kein Wort, kein einziges Wort. Wie verhält sich Jesus? Er tut seinen Mund nicht auf, wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer. Verstehen Sie? Es wird uns kein Wort berichtet, was Jesus gesagt hätte. Stumm leidet er das alles.
Als Jesus gegeißelt wird, da geht eine alttestamentliche Verheißung in Erfüllung. Er verstummt, wenn er zur Schlachtbank geführt wird. Oder vielmehr: Hier wird Jesus gleichsam geprüft und erwiesen. Er ist das richtige Lamm Gottes. Er ist das richtige Lamm Gottes, genau so, wie es im Alten Bund steht. Er ist imstande, die Versöhnung zu vollziehen.
Meine Freunde, das ist nur furchtbar wichtig – nicht für irgendwelche Weltmenschen. Die haben andere Sorgen. Und sie könnten keine größere Sorge haben als die, mit welchen Angelegenheiten der Mensch bis zu seinem Tod beschäftigt ist. Aber das ist hier wichtig, für alle bekümmerten Herzen und bedrückten Gewissen.
Das heißt: Nachdem Jesus hier erwiesen ist als das wahre Lamm, wird dort am Kreuz eine gültige Versöhnung vollzogen. Dort am Kreuz wird das richtige, von Gott legitimierte Opfer dargebracht. Dort am Kreuz Jesu stirbt das Lamm Gottes, das der Welt Sünde wegtragen kann – also auch meine.
Dort am Kreuz Jesu kann ich wirklich Vergebung der Sünden haben. Wollen Sie sterben ohne Vergebung der Sünden? Wollen Sie Ihre alte Schuld weiterschleppen? Die Losung heute heißt: „Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend.“ Wollen Sie das mit sich herumschleppen?
Am Kreuz Jesu können wir wirklich Vergebung der Sünden haben. Das ist das richtige Opfer, erwiesen an der Macht der Geißelsäule, das richtige Lamm, bewährt an der Macht der Geißelsäule. Hier am Kreuz Jesu können wir wirklich Frieden finden – Frieden in unserem Herzen.
Es darf jetzt unsere Geschichte werden, was in einem schlichten Volkslied steht:
„Ich wollte Frieden finden, ich suchte ihn allerwärts,
Ich fand wohl viele Sünden, doch kein versöhntes Herz.
Da bin ich stillgegangen bis hin zum Kreuzestamm,
Es stillte mein Verlangen das heilige Gotteslamm.“
Die Geissel als Offenbarung des Erlösungsgeheimnisses
Lassen wir nur ein Drittel sagen. Die Geißel enthüllt Menschen, sie offenbart Jesus als den wahren Namen Gottes. Vor seinem Scherer war sie stumm. Und ein Drittes: Die Geißel enthüllt das Geheimnis unserer Erlösung.
Sehen Sie, wenn ich über die Käppliche Straße gehe und frage: „Was verstehen Sie unter Erlösung?“, dann lacht einer und sagt, dass ihm jemand seine Schulden bezahlt oder dass er seine Zahnschmerzen los wird. Verstehen Sie, unter Erlösung versteht man vieles. Vielleicht, dass wir endlich die deutsche Vereinigung bekommen oder so etwas Ähnliches. Im Politischen hat Erlösung nur eine große Rolle gespielt.
Wir müssen wissen, was die Bibel meint, wenn sie von Erlösung spricht, nicht wahr? Die Geißel zeigt uns, das ist das Dritte, das Geheimnis der Erlösung. Ich weiß, es ist heute eine massive biblische Kost, aber bitte nehmen Sie es auf. So viel daran, dass wir es verstehen, liegt unsere ewige Seligkeit, das Geheimnis unserer Erlösung.
Lenken Sie den Blick noch einmal auf die Macht der Säule, an der Jesus hängt, geschlagen. Ich bin froh, dass mich in meinem Leben nie jemand geschlagen hat, denn das ist die größte Erniedrigung, die einem widerfahren kann. Und hier wird Jesus geschlagen, blutig und erniedrigt.
Irgendwo müsste ich Philologen fragen. Irgendwo in den griechischen Klassikern habe ich mal den Satz gehört – ich habe vergessen, wo –, mehr schmerzt das Scheiden nicht von Seele und Leib als Größe, die uns abfällt. Mehr schmerzt das Scheiden nicht, also der Tod von Seele und Leib, als die Größe, die uns abfällt. Erniedrigt zu werden ist schwerer als zu sterben.
Jesus ist erniedrigt, irgendwelche Henker schlagen ihn. Als Größe, die uns abfällt, meine Freunde, steht Jesus an der Martersäule als gefallene Größe. Denken Sie daran: Der, der an der Martersäule steht, ist der, der beim Vater in den himmlischen Räumen Herrlichkeit hatte. Das ist der, der mit Vollmacht den Lazarus aus den Toten rief, vor dem die Dämonen wichen. Und jetzt ist er gefallene Größe, gefallene Größe.
Und wenn ich das Wort „gefallene Größe“ ausspreche, dann steht plötzlich eine andere gefallene Größe vor mir, nämlich Adam. Ihr kennt ihn von Adam. Der herrliche Sohn Gottes, Ebenbild Gottes, strahlend schön, und dann rebelliert er und wird hinausgeschmissen. Ein Engel bewacht ihn, damit er nicht zurückkehren kann. Gefallene Größe, Adam, und alle Nachkommen Adams – da sind wir alle gleich in ihm. Wir sind alle gefallene Größen.
Wir sollten eben Bilder Gottes sein, und was sind wir? Gefallene Größe! Ich habe mal einen alten Christen getroffen, das vergesse ich nicht. Da kam er zu uns ins Gespräch, und ich sagte so beiläufig: „Sagen Sie mal, wie kommt es, dass alle Menschen Minderwertigkeitskomplexe haben? Ich komme immer mehr dahinter, dass alle Leute Minderwertigkeitsgefühle haben. Anders kann man sie gar nicht verstehen. Daraus ist immer der Zugang zu Menschen.“ Warum haben sie alle Minderwertigkeitsgefühle? Und da sagt er: „Ich glaube, es liegt daran, dass auch der gottloseste Mensch ahnt, wir sollten Kinder Gottes sein.“
Und was sind wir hier? Gefallene Größen, Diener des Teufels und unserer eigenen Lüste, des Geldes, der Menschen und alles Mögliche – gefallene Größen. Und unter uns gefallene Größen, unter uns Sünder. Schritt!
Das Sohn Gottes, auch als gefallene Größe, lässt freiwillig seine Hoheit sinken. Er erniedrigt sich selbst. Freiwillig gibt er seine Größe hin, freiwillig lässt er sich durch die Geißel erniedrigen. Warum? Warum? Damit unsere Erniedrigung, unser Fall aufhört, damit wir an seine Stelle treten können, damit wir in unsere alte Größe eintreten können und Kinder Gottes werden.
Die Zeit ist abgelaufen, ich kann das nicht mehr lange ausführen. Ich möchte Ihnen bloß dies sagen: Auch über der Macht der Säule, wie über dem ganzen Leiden Jesu, stehen die beiden Wörter, die für Luther so groß waren. Sie führen mich, weil ich gefallene Größe bin: Sünder! Darum erniedrigt sich Jesus, damit ich erhöht werden kann zum Kind Gottes.
Meine Freunde, das sind einfach Tatbestände, die Gott geschaffen hat: Jesus, der erniedrigt wird, damit wir wieder eintreten können und Kinder Gottes werden. Jetzt liegt es an uns, ob wir davon Gebrauch machen wollen. Sie können weiter in ihrer Schmutz- und Erniedrigung bleiben. Oder wir treten im Glauben ein an die Stelle, die Jesus uns geschaffen hat – Kinder Gottes zu werden.
Schlussbemerkungen und Gebet
Meine Freunde, ich habe am Anfang gesagt, dass wir heute nichts mehr ernst nehmen können. Das ist unsere Not – vielleicht ist es auch ganz gut, ich weiß es nicht.
Wenn ich in der Zeitung lese, glaube ich von der ersten politischen Nachricht bis zum letzten Inserat nichts. Sie auch? Nichts! Alles ist irgendwie verzerrt. Was könnten wir da noch ernst nehmen? Was sollen wir noch ernst nehmen?
Hier aber gibt es etwas, das man ganz ernst nehmen kann. Etwas, das das ganze Leben verändert und das wir ernst nehmen müssen: diese beiden Wörtlein, die über dem Leiden unseres Heilandes stehen – für uns, für uns.
Gott helfe uns, dass wir das ganz ernst nehmen.
Nun wollen wir beten:
Viel zu stumpf und zu tot sind wir, als dass wir dein Leiden begreifen könnten. Aber wir danken dir, dass dein Geist am Werke ist, um uns lebendig zu machen und uns Augen und Ohren zu öffnen. Tu es an uns allen, Herr! Amen!