Persönliche musikalische Erfahrungen und die Bedeutung der Posaune
Als Bub habe ich Blockflöte gespielt. Ich machte das A-Loch auf und das B-Loch zu, sozusagen. Der Herr Pfarrer verdingte mich als Hirten beim Krippenspiel. Ich lag vor dem Altar und spielte pastorale Weisen.
Unvergesslich war eine Szene in der ersten Reihe: Eine Dame sagte sehr laut zu einer anderen, die schwerhörig war: „Guck, wie hübsch der aussieht und wie falsch der bläst!“ Das nahm mir die Freude an der Flöte. Zudem spielten meine Schwestern viel besser. Deshalb habe ich mich damals aufs Klavierspiel verlegt.
Ich spielte Klavier, alles Mögliche: Corelli, Diabelli, Tutti, Frutti, Spaghetti – einfach alles. Doch mein älterer Bruder, der ebenfalls Jurist war, war ein bedeutender Pianist. Bis heute konnte ich da nicht mithalten.
Mein nächstes Instrument war die Geige. Das war nach dem Krieg, als wir kein Instrument hatten. Eines Tages kam ein Zigeuner zu uns nach Hause und bot eine Geige an. Mein Vater tauschte diese Geige gegen eine alte Hose ein. Können Sie sich vorstellen, was für ein Instrument das war? Ein wunderbares Zigeunermeisterinstrument, das aussah wie eine Stradivari, eine italienische Meistergeige. Doch der Ton klang wie eine Fahrradbremse.
Ich spielte immer die zweite Geige, denn mein ältester Bruder, der mittlerweile Schulleiter im Ruhestand war, spielte bedeutend besser. So war ich oft verzweifelt, weil ich nichts richtig konnte.
Damals gab mir der Herr Pfarrer Föhringer seine Zugposaune. Damit war ich unangefochten, denn so laut blies keiner. Bis heute spiele ich dieses Instrument, das viele als „dumm“ bezeichnen.
Zu Hause haben wir einen eigenen Posaunenchor gegründet. Wenn alle da sind, können wir noch immer gemeinsam blasen. Das ist mein Instrument. Ich sage immer: Wenn ich auspacke, packen alle anderen ein.
Deshalb habe ich heute auch keine anderen Instrumente mitgebracht. Ich weiß, dass hier viele musikalische Leute sind. Darum gibt es heute die schmetternde Posaune.
Gebet und Einführung in den Predigttext
Bevor ich Ihnen den Text vorlese, wollen wir noch beten.
Lieber Herr, danke für die Nacht und danke für den neuen Morgen. Danke, dass du uns ein Wort schenkst. Gib uns offene Ohren und ein waches Herz. Schenke uns deinen Heiligen Geist. Amen.
Ich werde jetzt ein etwas längeres Kapitel lesen. Einige hören zu, andere können mitlesen. Ich wollte heute Morgen schon eine Auswahl treffen, aber lassen Sie uns einfach das Kapitel 6 im Joshua-Büchlein lesen. Wir haben Zeit dafür.
Der Befehl Gottes an Joshua und der Umzug um Jericho
Jericho war fest verschlossen und vor den Israeliten geschützt, sodass niemand hinein- oder herauskommen konnte. Der Herr sprach zu Josua: „Sieh, ich habe Jericho samt seinem König und seinen Kriegsleuten in deine Hand gegeben. Lass alle Kriegsmänner einmal täglich rings um die Stadt gehen und tue dies sechs Tage lang. Sieben Priester sollen sieben Posaunen vor der Lade hertragen.
Am siebten Tag zieht ihr siebenmal um die Stadt. Die Priester sollen dabei die Posaunen blasen. Wenn ihr den Klang der Posaunen hört und er lange tönt, soll das ganze Kriegsvolk ein großes Kriegsgeschrei erheben. Dann wird die Stadtmauer einstürzen, und das Kriegsvolk soll geradewegs hinaufsteigen.“
Josua, der Sohn Nuns, rief die Priester zu sich und sagte: „Bringt die Bundeslade herbei! Sieben Priester sollen sieben Posaunen vor der Lade des Herrn tragen.“ Zum Volk sprach er: „Geht hin und zieht um die Stadt!“ Die Kriegsleute sollten vor der Lade des Herrn hergehen.
Nachdem Josua dies dem Volk gesagt hatte, trugen die sieben Priester sieben Posaunen vor der Lade des Herrn her und bliesen die Posaunen. Die Lade des Herrn, die Lade des Bundes, folgte ihnen nach. Die Kriegsleute gingen vor den Priestern her, die die Posaunen bliesen, und das übrige Volk folgte der Lade. Die Posaunen wurden ununterbrochen geblasen.
Josua gab dem Kriegsvolk den Befehl: „Ihr sollt kein Kriegsgeschrei erheben, noch eure Stimmen hören lassen. Kein Wort soll aus eurem Mund kommen, bis ich euch sage: ‚Macht ein Kriegsgeschrei!‘ Dann sollt ihr es tun.“
So ließen sie die Lade des Herrn einmal rings um die Stadt ziehen. Danach kehrten sie ins Lager zurück und blieben dort über Nacht.
Am frühen Morgen machte sich Josua auf den Weg. Die Priester trugen die Lade des Herrn, und die sieben Priester bliesen ununterbrochen die sieben Posaunen vor der Lade her. Die Kriegsleute gingen vor ihnen her, das übrige Volk folgte der Lade, und die Posaunen ertönten unaufhörlich.
Am zweiten Tag zogen sie ebenfalls einmal um die Stadt und kehrten ins Lager zurück. So taten sie es sechs Tage lang.
Am siebten Tag, als die Morgenröte aufging, machten sie sich früh auf und zogen siebenmal um die Stadt, genau wie zuvor. Nur an diesem Tag zogen sie siebenmal um die Stadt.
Beim siebten Mal, als die Priester die Posaunen bliesen, sprach Josua zum Volk: „Macht ein Kriegsgeschrei! Denn der Herr hat euch die Stadt gegeben. Doch diese Stadt und alles, was darin ist, soll dem Bann des Herrn verfallen.
Nur die Hure Rahab soll am Leben bleiben, ebenso alle, die mit ihrem Hause sind, denn sie hat die Boten verborgen, die wir ausgesandt haben. Hütet euch aber vor dem Gebannten! Nehmt nichts davon und bringt nicht das Lager Israels in Bann.
Alles Silber und Gold sowie das kupferne und eiserne Gerät soll dem Herrn geweiht sein und in den Schatz des Herrn kommen.“
Da erhob das Volk ein Kriegsgeschrei, und es wurde zu den Posaunen geblasen. Als das Volk den Klang der Posaunen hörte, erhob es ein großes Kriegsgeschrei. Die Mauer fiel um, und das Volk stieg geradewegs in die Stadt hinauf.
So eroberten sie die Stadt und vollstreckten den Bann an allem, was in der Stadt war, mit der Schärfe des Schwerts: an Mann und Weib, Jung und Alt, Rindern, Schafen und Eseln.
Josua sprach zu den beiden Kundschaftern: „Geht in das Haus der Hure und führt die Frau samt allem, was sie hat, heraus, wie ihr es geschworen habt.“ Die Kundschafter gingen hinein und führten Rahab heraus, zusammen mit ihrem Vater, ihrer Mutter, ihren Brüdern und allem, was sie hatte, samt ihrem ganzen Geschlecht. Sie brachten sie außerhalb des Lagers Israels unter.
Die Stadt verbrannten sie mit Feuer und alles, was darin war. Nur das Silber, Gold sowie die kupfernen und eisernen Geräte legten sie als Schatz in das Haus des Herrn.
Rahab, die Hure, samt dem Haus ihres Vaters und allem, was sie hatte, ließ Josua leben. Sie blieb in Israel wohnen bis auf diesen Tag, weil sie die Kundschafter verborgen hatte, die Josua ausgesandt hatte, um Jericho auszukundschaften.
Reflexion über Städte und ihre geistliche Bedeutung
Ich denke, wir singen noch einmal von dem schönen, begonnenen Morgenlied. Das ist Lied 629, wir singen die letzten drei Verse, also Lied 629, die letzten drei Verse.
Es gibt ja großartige Städte. Ich weiß nicht, welche Städte Ihnen einfallen, aber wenn man so Revue passieren lässt, muss ich zum Beispiel sagen: Warschau, die aufgebaute Altstadt, ist wieder ganz großartig geworden. Natürlich Paris sowieso. Aber für mich ist immer noch die schönste Stadt Rio de Janeiro. Nicht wegen der Bevölkerung dort, die unendlich arm ist, zumindest die meisten, sondern wegen der Lage am Strand, am Zuckerhut, der Copacabana – eine großartige Stadt. Auch Kapstadt ist beeindruckend, viele großartige Städte.
Am schönsten ist natürlich Stuttgart, aber das nur in Klammern gesagt, das ist klar. Sehen Sie, all die Schönheit der Städte, die wir kennen und die wir schon besucht haben, die wir leider auch schätzen – all das ist nur die Außenseite. Unsere Städte, nicht nur unsere Wälder, auch unsere Städte sind krank.
Einst waren sie ein Merkmal des Fortschritts, jetzt sind sie Maßstab des Untergangs, so sagen Kenner. Aus der Metropolis, der großen und gesunden Stadt, hat sich die Megapolis entwickelt – die Stadt mit der ungesunden Größe. Daraus entstand als Drittes die Tyrannopolis, nämlich die Stadt der Gewaltherrschaft. Und daraus die Pathopolis, die kranke, schrumpfende Stadt, und schließlich die Nekropolis, die sterbende Stadt.
Ob wir diesen Städteplanern glauben oder nicht, eines ist auch unsere Erkenntnis: Immer mehr Menschen finden immer weniger Heimat in den Städten, in deren Mitte. Die Unsicherheit, ob man denn in jener oder jener Seitenstraße seines Lebens noch sicher ist, die Ungewissheit – so haben wir es auch in unserer Gemeinde in der Innenstadt erlebt – die Unsicherheit, ob dieses Haus als Wohnhaus erhalten bleibt oder gar der Kulturmeile zugeschlagen wird. Kulturmeile bedeutet immer Todesstadt, weil kein Mensch mehr dort lebt und die Nacht dunkel wird.
Die Bangigkeit, ob man im Alter auch noch die Rolltreppen schafft und Unterführungen bewältigen kann, wird immer stärker. Von Bertrecht habe ich einmal gelesen, als er sagte: Von diesen Städten wird bleiben, der durch sie hindurchging, nämlich der Wind. Das, was wirklich bleibt, ist der Wind.
Warum? So wie wir alle von Adam abstammen, stammen alle Städte von Girchow ab. Girchow, eine halbe Stunde entfernt vom heutigen Girchow, wird Tell es Sultan genannt – ein umgrabener Statthügel, von Archäologen durchwühlt, eine Fundgrube für die Wissenschaft. Die Wissenschaftler behaupten, dass dort sieben Jahre vor Christus, also 7 v. Chr., die ersten Häuser gebaut worden seien.
Viele Zerstörungen und viele Kriege gingen darüber hinweg, immer wieder wurde neu gebaut. Schließlich standen zu der damaligen Zeit zwei riesige Wehrturme und eine Wehrmauer, so breit, dass ein Streitwagen darüber fahren konnte. Dirko, die Urstadt der Welt. Tyrjo, die Urstadt der Welt. Hier heißt es verschlossen und verwehrt, dass niemand hinein- und hinauskommen konnte. Niemand konnte heraus- oder hineinkommen – die Urstadt der Welt, verschlossen und verwehrt. Eine Igelstellung, ein Bollwerk, ein Sperrfort ersten Ranges, eben nicht nur gegen die Menschen, sondern ein Sperrfort und Bollwerk gegen Gott.
Das sind unsere Städte: Bollwerke gegen Gott. In der Stadt ist man nicht mehr auf Gott angewiesen. Auf dem Lande ja, weil man ja vielleicht noch Regen braucht und Schutz vor Hitze, Wachstum und Reife und Ernte, aber doch nicht mehr in der Stadt. Dort geht man in Kaufhof, zu Karstadt und zu Aldi. Sehen Sie, Stadt ohne Gott. Städter ohne Gott, mit zugemauerten Herzen. Stadtmenschen ohne Gott, von denen niemand heraus- und von denen niemand hineingehen kann.
Und auf diese Welt ohne Gott trifft das Volk mit Gott. Auf diese Welt ohne Gottes Städte trifft dieses Volk mit Gott.
Das Aufeinandertreffen zweier Welten: Israel und Jericho
Ein Volk Israel ohne Schutzmauer, ohne Wehrturm, ohne Deckung. Der Wüstenstaub klebt ihnen noch an den Füßen. Sie haben nur verschlissene Sandalen und ein paar Stöcke zum Viehtreiben – mehr besitzen sie nicht. So rücken sie gegen diese Stadt vor.
Jericho und das Gottesvolk sind wahrlich zwei Welten, die hier aufeinandertreffen. Diese Stadt ist großartig gebaut und gut verteidigt. Daneben steht dieses Volk, das Viehtreiber sind, abgeschlagen und von der Sonne verbrannt. Die zwei Welten prallen aufeinander: die Schwachen gegen die Starken, die Vagabunden gegen die Sesshaften, die Ahnungslosen gegen die Taktiker.
Was kann Israel schon gegen Jericho ausrichten? Das ist das Problem hier. Was kann Israel schon gegen Jericho ausrichten? Was kann David schon gegen Goliath ausrichten? Was kann der Glaube schon gegen die Macht dieser Welt ausrichten? Und so stehen wir heute immer noch vor denselben Fragen.
Was können Gläubige in der Stadt bewirken? Wie können sie sie öffnen, damit sie offen wird für den Glauben? Wie können Gläubige das Volk erreichen, das sich vor dem Herrn verschlossen und von ihm ausgeschlossen hat? Was können Gläubige tun, um ein Herz zu öffnen, das sich hinter dem Bollwerk von Aberglauben und Unglauben zurückgezogen hat?
Sehen Sie, als dieses Volk Israel schließlich vor dieser Festung stand, überkam sie Ehrfurcht vor diesem Baudenkmal. Es beeindruckte sie, vielleicht überzeugte es sie sogar. Sie standen mit offenem Mund vor dieser Architektur auf dem Berg und zitterten wie Espenlaub vor dieser Übermacht.
Ist es nicht so? Muss uns nicht auch Angst und Bange werden angesichts unserer Städte, unseres Volkes, oft auch unserer eigenen Familien? Wie sie sind und zufrieden mit sich selbst, abgesichert nach allen Seiten – Jericho, Stuttgart wie Jericho, die Deutschen wie Jericho, der Enkel, der Neffe, das eigene Kind wie Jericho. Niemand kann hineinkommen, und niemand kommt heraus. Jericho ist einig, die Leute sind wie Jericho.
Am liebsten würde man sagen: O Herr, o Herr, lass Feuer und Schwefel regnen! Aber das ist nicht die Weise unseres Gottes.
Josua hört angesichts der gottlosen Stadt nicht nur die schmetternde Posaune, die zum Angriff bläst. Er hört auch sieben kurze Befehle, die aus dem zuvor gehörten Text herauszuhören sind. Diese sieben Befehle wollen wir jetzt Schritt für Schritt nachgehen.
Der erste Befehl: Sieh – den Blick auf Gott richten
Und zwar der erste Befehl: Siehe, siehe! Aber das Sehen ist gerade Josuas Problem. Wenn er nicht sehen würde, blind wäre für diesen Anblick, wäre es vielleicht einfacher. Doch im Blickwinkel liegt für Girchow die Mauer so hoch, dass es kein Überklettern gibt, die Türen so verrammelt, dass sie niemand knacken kann, und die Wehrgänge so befestigt, dass kein Durchkommen möglich ist.
Er hat nur einen Satz von Dante im Kopf: „Bitte, lass alle Hoffnung fahren, lass alle Hoffnung fahren.“ Aber Gott sagt nicht: „Sieh dir das an, Joshua, sieh dir das an“, sondern Gott sagt: „Sieh du mich an, Joshua.“ Das ist der grundsätzliche Unterschied.
Er sagt nicht: „Jetzt schau dir mal das an“, sondern: „Schau du mich an.“ Er sagt nicht: „Schau dir doch diesen Schlamassel in deiner Familie an“, sondern: „Bitte, schau du mich an. Schau dir nicht diese Welt an mit all ihren Bosheiten, schau sie nicht an.“
„Schau du mich an.“ Deshalb sind wir heute Morgen zusammen, damit wir uns gegenseitig dies sagen: dass wir uns nicht alles einfach antun und uns beschweren lassen, so wie es nachts oft ist, wenn wir nicht anders können, als all die schweren Dinge zu sehen. Sondern dass wir es uns wieder sagen lassen: „Du, jetzt heute Morgen schau du hinauf, schau du mich an, schau du mich an.“
Warum soll er Gott anschauen? Vor unserem Text lese ich jetzt noch ein paar Verse. Es steht dort im Kapitel 5 am Schluss:
„Und es begab sich, als Joshua bei Jericho war, dass er seine Augen aufhob und gewahr wurde, dass ein Mann ihm gegenüberstand und ein bloßes Schwert in seiner Hand hatte. Und Joshua ging zu ihm und sprach zu ihm: Gehörst du zu uns oder zu unseren Feinden? Und er sprach: Nein, sondern ich bin der Fürst über das Heer des Herrn und bin jetzt gekommen. Und da fiel Joshua auf sein Angesicht zur Erde nieder, betete an und sprach zu ihm: Was sagt mein Herr seinem Knecht? Und der Fürst über das Heer des Herrn sprach zu Joshua: Zieh deine Schuhe von deinen Füßen, denn die Stätte, darauf du stehst, ist heiliges Land.“ Und so tat Joshua.
Sehen Sie, da steht plötzlich ein Engel vor ihm, ein Heerführer Gottes, ein Fürst des Herrn. Joshua stürzt zu Boden wie einst Mose, und der sagt ihm: „Ich bin der Heerführer, alles hört auf mein Kommando. Du bist mit all deinen zitternden Streitern nicht allein, ich habe es in der Hand.“
Ihm gehen dafür die Augen auf, dem Joshua gehen die Augen dafür auf, dass es neben der Streitmacht Jerichos und der Ohnmacht des Volkes noch eine dritte Macht gibt. Eine dritte Macht – und das ist die Übermacht des Herrn. Das wird hier in diesem geheimnisvollen Text gesagt, so wie damals in Gethsemane, wo der Herr sagte, dass mehr als zwölf Millionen Engel, Legionen, ihm bereitstünden, um ihm zu helfen.
Es ist der Herr der Heerscharen, Zebaoth ist sein Name. Der Krieg steht unter dem Tornado Gottes. Dieser Blickkontakt hat Joshua zu Beginn aufgerichtet, so wie er uns aufrichten kann. So wie er den Konstantin damals vor Rom aufgerichtet hat.
Als der junge Konstantin im Jahre 311 an der Milvischen Brücke stand, noch ein junger Mann, begleitet von ein paar Kriegern, war ihm weh ums Herz. Er sollte diese Stadt Rom einnehmen – ein unmögliches Unterfangen. Wenn er zurückschaute, sah er ein paar verzagte Streiter, die man ihm mitgegeben hatte. Wenn er um sich herum schaute, sah er seine Hände, sah das, was er konnte. Gegen diese Stadt konnte er praktisch nichts ausrichten.
Und wenn er vorschaute, sah er diese Stadt Rom mit ihrem furchtbaren Führer Maxentius, der die Massen mit Brot und Spielen unterhielt und die Christen in die Arenen trieb – Christen im Atelier und Christen vor den Löwen. Eine gottlose Stadt Rom.
So stand dieser Konstantin da. Und dann berichtet der Geschichtsschreiber Eusebius, dass Konstantin nicht überall herumgeschaut habe: nicht zurück, nicht auf seine Hände, nicht näher vorne. Sondern er schaute hinauf, kniete nieder, und dann habe er über dem Himmel ein Kreuzeszeichen gesehen. Und er hörte eine Stimme, die sagte: „In diesem Zeichen sieg!“ (auf Latein: „In hoc signo vinces“).
Konstantin habe dieses Zeichen auf Scharen, Fahnen und Schilde gemalt, die Stadt umrandet und Rom eingenommen. Dieses historische oder unhistorische Bild, das von dem Geschichtsschreiber Eusebius stammt, ist ein Beispiel dafür.
Wir sind immer wieder in Gefahr, herumzuschauen auf diese Bollwerke, auf diese Jerichows, auf diese verschlossenen Herzen – auch unserer eigenen. Und dann merken wir, dass wir eigentlich nichts können. Wir stehen so machtlos gegenüber.
Dann sollten wir niederknien und hinaufschauen zu dem, der doch dieses Kreuzeszeichen uns vor Augen malt. Auch er steht mit seinen Legionen heute zur Verfügung. Nicht die Ohnmacht darf uns bestimmen, sondern die Allmacht und Übermacht unseres Herrn.
Wenn es uns ganz eng wird, wenn es uns ganz dunkel wird, dann gilt es, diese Blickrichtung zu wagen: Herr, du kannst es, du hast die Macht, du hast die Macht über Jericho, und du hast die Macht über diese Welt, und du hast die Macht über alle Herzen.
Dieser Blickkontakt hat Joshua aufgerichtet, so wie er uns aufrichten kann: Herr, nicht „Sieh diese Stadt, sieh doch diese Welt, sieh doch diesen Terrorismus, sieh doch diese kommenden Kriege“, nein, „sieh den Herrn an, sieh den Herrn an!“
In Jesus ist er zu uns gekommen. Das müssen wir wieder lernen. Wenn es schon schwer ist, die Augen vom Fernseher wegzubringen – manchen fällt das sehr schwer, deshalb kommen sie auch nicht ins Bett – wie viel schwerer ist es noch, unsere Augen von dieser Welt abzuwenden und nicht auf die Mächte zu starren?
Aber sieh das, sieh nicht das, sondern sieh mich! Sieh mich! Unter meinem Kommando steht alles. Ich habe in jedem Fall und für alle Fälle die Macht. Mir ist gegeben, alle Gewalt, sieh du mich an!
Kein stummer Buddha, kein toter Götze, keine mundlose Figur, sondern ein Gott, der redet. Sieh, das ist der erste Befehl.
Der zweite Befehl: Höre – Gottes Zusage als Wirklichkeit annehmen
Zweiter Befehl: Höre, siehe und jetzt höre. Immer wenn Gott seine Sache in Angriff nimmt, redet er.
Ich habe Jericho samt seinem König und seinen Kriegsleuten in deine Hand gegeben. Der Fall Jericho ist schon entschieden. Noch stehen sie da als diese Wanderer, noch stehen da oben die Soldaten. Alles ist eine eindeutige Lage, strategisch völlig ausgeschlossen, die Stadt einzunehmen. Aber die Akte Jericho ist schon geschlossen. Die feste Stadt Jericho wird nicht festbleiben.
Hat sich Joshua verhört? Hier könnte doch der Wunsch der Vater der Gedanken sein. Aber Psalm 33,9 bestätigt: So er spricht, so geschieht’s, so er gebietet, so steht’s da. Gottes Wort ist nicht ein Wunsch, dass es so sein möge, sondern Wirklichkeit, dass es so ist.
Ja, ich schreibe immer noch viele Glückwünsche. Wenn man älter wird, wird die Liste immer länger, an die man schreiben soll zum Geburtstag und an die man denken soll. Und jedes Mal, wenn man so ein Kerzchen anzündet, ist immer so: Ach, ich wünsche dir, es möge doch so sein! Hoffentlich trifft das ein, dass du Gesundheit hast und Segen und Freude an deinen Kindern und dass du noch weitere zwanzig Jahre wackeln darfst und so weiter.
Aber das sind ja alles lauter Liebeswünsche. Das merkt man selber. Mit der Wirklichkeit haben sie ja gar nichts zu tun. Wenn Gott wünscht, dann ist es Wirklichkeit. Wenn er es sagt, dann steht es da. Das ist der Unterschied zwischen ihm und uns.
Es ist unser Fehler, dass wir Gottes Zusagen als gute Wünsche verstehen, so wie unsere Geburtstagswünsche an die liebe Uroma. Nein, Jesus sagt zu dem Tauben: Hevatha, tue dich auf! Und dann ist das kein Prozess, der da in Gang gesetzt wird, sondern das Ohr ist offen.
Und wenn Jesus zu dem Blinden sagt: Sei sehend!, dann ist das kein längeres Heilverfahren, das hier in Gang gesetzt wird, sondern das Sehen ist da.
Jesus sagt zu dem Gelähmten: Stehe auf! Dann ist das kein Lernprozess, sondern die Glieder sind heil.
Jesus sagt zum Sünder: Dir ist die Sünde vergeben! Denn es ist keine Möglichkeit der Vergangenheitsbewältigung, sondern die Vergangenheit ist bewältigt.
Höre Gottes Wort als die Wirklichkeit in deinem Leben. Wenn Gott sagt: Sei getrost!, so ist das kein Weg, auf dem du gehen könntest und am Schluss vielleicht dann besser leben könntest als heute, weil du nicht mehr so zitterst. Nein, wenn er sagt: Sei getrost!, dann ist das so. Dann kann es jetzt sein.
Nun besteht dabei natürlich für Joshua eine ganz große Gefahr. Joshua könnte das hören und seine Verantwortlichen um sich sammeln und ihnen sagen: Liebe Herren und Brüder, das Ding ist gelaufen, die Mauern sind geschleift, uns bleibt nur noch eine Siegesfeier, ein Freudenfest. Ruft die Leute, zündet Feuer an, schlachtet Ochsen, stimmt die Saiten, wir feiern ein Fest!
Aber Gott handelt nicht über unsere Köpfe hinweg. Das tut er nie. Die Leute können nicht wie am Fernseher nur zuschauen, wie die Mauern zusammenfallen. Er beteiligt seine Leute an seinem Tun.
Gott beteiligt Leute an seinem Tun. Es ist eine Tat Gottes, wirklich, aber es ist auch eine Glaubenstat des Volkes. Das gehört immer zusammen. Es ist eine Tat Gottes, aber es ist auch eine Glaubenstat von uns. Er beteiligt seine Leute an seinem Tun.
Der dritte Befehl: Gehe – Gottesdienst als Prozession und Glaubensgemeinschaft
So spricht er, und so geschieht es – aber nicht ohne uns, sondern nur mit uns. Deshalb gibt es den dritten Befehl, der hier steht: Höhe, sähe, gehe!
Das ist kein militärisches Kommando wie „Rechts um, Abteilung, Marsch!“. Hier wird kein Kriegszug formiert, der sich zum Sturm auf die Bastille vorbereitet. Es fehlt alles, was zu einer richtigen Belagerung gehört.
Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal in Masada waren, dieser Bergfeste in Israel. Dort standen die Juden im Jahr 70 und verteidigten die letzte Bastion gegen die Römer. Sie wurden von den Römern belagert. Heute sieht man noch die Lager und die Rampe, die die Römer gebaut haben. Monatelang wurde Masada von einer riesigen Kriegsmaschinerie belagert.
Nein, so etwas ist hier nicht geschehen. Es heißt: Gehe sechs Tage lang einen Umzug um die Stadt! Am siebten Tag dann siebenmal – ein seltsamer Zug. Voraus gehen einige Bewaffnete, dann Priester mit dem Jobelhorn, das immer am Jubeljahr oder am Neujahr geblasen wurde, um das Jahr des Segens einzuläuten. Also zuerst die Bewaffneten, dann einige Priester mit dem Horn, dann die Bundeslade und hinterdrein das Volk.
Das ist kein Kriegszug, sondern eine Prozession. Bitte beachten Sie: Hier erleben wir keinen Kriegszug, wie er manchmal in Bildern dargestellt wird. Es ist eine Prozession, im Grunde ein Gottesdienst.
Was Gott hier erbittet, ist, dass Sie Gottesdienst halten. Im Gottesdienst wird die Kirche umgangen, im gemeinsamen Lied wird die Stadt umlagert, im gemeinsamen Gebet werden die Mauern umgangen. In der Gemeinschaft mit ihrem Gott – das ist die Lade – wird die Not umzingelt.
Kennen wir das auch heute noch? Sicher sollen wir unsere Not auch im stillen Kämmerlein vor Gott bringen. Ich bin überzeugt, dass Sie das damals in den Ecken Ihrer Zelte auch getan haben. Morgens in der Stille, unter Ihren Fellen, haben Sie die Hände zusammengelegt und gesagt: Herr, jetzt musst Du uns weiterhelfen.
Das haben Sie sicher auch getan, in der stillen Ecke Ihres Kämmerleins oder Ihrer Zelte. Aber dann doch auch im Gottesdienst: gemeinsam mit anderen und mit Gott die Festungen, die uns bewegen, umwandern, vor die verschlossenen Türen treten, vor denen wir stehen, die zugenagelten Herzen umzingen, in Fürbitte umschreiten – täglich, immer wieder.
Gottesdienst ist mehr als Zuhören. Gottesdienst ist mehr als Mitsingen. Gottesdienst ist Mitmarschieren im Zug derer, die Großes von ihrem Gott erwarten. Auch das ist Gottesdienst.
Das ist die Gemeinschaft: Dort, wo wir über Gottes Worte zusammenkommen, singen und beten, dort ist es wie in einer Prozession. Dort umschreiten, umsingen und umbeten wir die Dinge.
Der vierte Befehl: Warte – Geduld und Vertrauen in Gottes Zeit
Vierter Befehl: Warte – etwas, das wir schon in Gürsten gehört haben.
Warte! Vierter Befehl: Wieder jenes Warten am Jordan, wo sie drei Tage warten mussten, jetzt sechs Tage. Wird nicht ein oder zwei Tage genügen? Gott übt sein Volk im Warten. Und Warten möchte ich noch einmal betonen: Warten ist schwer.
Weltmeister im Warten sind wir alle miteinander nicht. Wir warten und fragen uns: Warum jetzt? Die Jüngeren sagen: Jetzt muss man eingreifen, jetzt müsste der Angriff gestattet werden, jetzt muss man endlich etwas tun.
Immer wenn wir auf der Wartebank sitzen, zum Beispiel beim Warten auf die Gesundheit, sagen wir: Jetzt, jetzt muss ich zum Arzt, nein, jetzt muss ich zu einem anderen Arzt, jetzt muss ich zum Heiler, jetzt muss ich zur Kur, jetzt muss man zur Luftveränderung, jetzt muss ich zu neuen Medikamenten – alles, nur nicht warten. Und je älter man wird, desto schwieriger wird es, einfach nur warten zu können.
Auch beim Warten auf den richtigen Partner heißt es: Jetzt musst du in jenen Kreis, jetzt musst du dich in den Vordergrund stellen, jetzt darfst du nicht nur Däumchen drehen. Nein, du kannst nicht einfach warten und nichts tun, du musst etwas tun! Damals kam sicher noch Hohn und Spott dazu, die von oben herab lachten und sie ausspotteten, und so mussten sie warten.
Unser Gottesdienst wird belächelt und verhöhnt, aber sie blieben dabei – Tag für Tag. Gerade hier gilt: Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Denn auch hier wird es, wie du gesagt hast, nicht ewig gewartet werden.
Siehe Simon und Hannah im Tempel: Sie warteten im Tempel auf den Trost Israels. Die Treppen ging er jeden Morgen hinauf, obwohl der alte Simon die Treppen kaum noch schaffte. Er hatte einen schweren Schnaufer. Trotzdem ging er hinauf, und man sagte ihm sicher: „Ach, Alter, bleib doch zu Hause, leg die Füße hoch, mach dir’s bequem!“ Aber er ging trotzdem und schnaufte weiter.
Am Schluss hatte er das Kind auf den Armen. Meine Augen haben deinen Heiler gesehen.
Rufe, o du arme Seele, und sei unverzagt! Erwarte nur die Zeit, so wirst du schon erblicken die Sonnen der schönsten Freude.
Der fünfte Befehl: Nehme – Gottes Geschenk annehmen
Wartende Fünftens: Nehmt, nehmt, nehmt!
Am siebten Tag nun, am siebten Tag stürzen die Mauern ein. Nein, nein, Schallwellen haben das nicht bewirkt, und auch kein Donnerschrei. Das ist Gottes Hand.
Damals, als ich noch auf der Ostalp war, gab es jene großen Prozesse über das Kloster Nehresheim. Das Kloster Nehresheim prozessierte gegen den Bund, weil der Düsenknall, die Schallwellen der Tiefflieger, diese Risse verursacht hätten. Sie waren der Meinung, der Bund müsse das Kloster wieder aufbauen.
Es war dann eindeutig, dass diese Risse zumindest zu einem großen Teil von dem Knall, vom Durchbrechen der Schallmauer der Flugzeuge, stammten. Aber hier kam es nicht von einem Knall aus den Posaunen, nicht von einem Geschrei der Leute.
Hier steht: Das ist vom Herrn geschehen. Das ist vom Herrn geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen.
Lassen wir es dabei. Die natürlichen Erklärungsversuche, dass Sirchow in einer Erdbebenzone liegt – was ja auch stimmt – erklären hier eben nur ein X für ein U. Es ist und bleibt Gottes Geheimnis. Er hat es getan.
Die Israeliten müssen nur einnehmen, was er gegeben hat. Wenn Kirche sich öffnet, wenn Herzen sich öffnen, wenn Türen aufgehen, dann haben wir keinen Finger gerührt. Wir vermögen nichts. Er tut es, und wir müssen nur nehmen und annehmen, danken und loben, auch wenn die Lage zum Heulen ist.
Es ist ja ein furchtbares Geschehen, was sich hier abspielt. Sie vollstrecken den Bann: Männer und Frauen, Kinder und Kreise sterben unter dem Schwert.
Eigentlich sollten wir uns abwenden, diesen blutrünstigen Gott ablehnen. Wie kann er so etwas zulassen? Wie kann er so etwas zulassen?
Der sechste Befehl: Verstehe – Gottes Handeln anerkennen
Deshalb sechster Befehl: Verstehe bitte, das ist der sechste Befehl. Verstehe, Gott ist der Schöpfer, der dem Menschen sein Leben und seine Habe gibt – erster Artikel.
Das schließt ein, dass wir ihn nicht kritisieren können und ihn nicht nach unseren Maßstäben beurteilen dürfen, wie er mit uns umgehen soll.
In Römer 9 heißt es: Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit einem Gott rechnen kannst, mit einem Gott rechten willst? Wer bist du, dass du in die Akten Gottes lesen und sagen willst, wie er es besser machen könnte? Hat er denn an den Einwohnern von Kirchoff Unrecht getan? Hat er das? Wer sich vor Gott verschließt und die Türen dicht macht, muss die Konsequenzen tragen.
„Gott ist nicht die Gummiwand, sondern der Richter.“ Wir hören das heute leider sehr selten, auch von unseren Kanzeln. Gott ist nicht die Gummiwand, Gott ist Richter.
Ich erzähle immer gerne jene Szene, die Sie alle kennen, in jedem Gerichtssaal: Es ist nur der Richter da, und der Angeklagte steht vor ihm. Dann liest der Staatsanwalt die Anklageschrift vor – schlimme Dinge. Nach dem Verlesen beginnt der Richter mit dem Verhör: Warum haben Sie das getan? Wie konnte so etwas in Ihrem Leben passieren? Warum das alles? Jede Frage des Richters macht den Angeklagten kleiner, zitternder, blasser – ein Bild von erbärmlicher Hilflosigkeit.
Und das ist das Bild, das sich unsere Generation von Gott zusammenbastelt: den Aufruf „Der Fall lieber Gott“. In gebührendem Abstand steht der alte Mann, und wir stehen auf der Gerichtsbank. Dann sagen wir zu Gott: Wie kannst du so etwas zulassen? Gott, wie konnte dir so etwas passieren? Gott, wie kannst du so etwas tun? Und dann wundern wir uns, wenn dieser Gott schweigt und wir nichts mehr hören von einer väterlichen Stimme.
Gott ist doch nicht der Angeklagte, sondern wir stehen vor der Gerichtsschranke. Gott muss sich nicht Rechenschaft ablegen über das, was er tut. Es gibt kein Wort auf meiner Zunge, dass du hier nicht alles tust, dass du hier nicht alles weißt. Freunde, Gott ist Richter, Gott ist Richter.
Wir sollen Gott nicht nur, wie es heute oft gesagt wird, lieben – so wie den lieben Freund oder den lieben Buddy, der neben uns steht und den Arm um die Schultern legt. Wir sollen Gott fürchten und lieben. Nur der kann lieben, der ihn gefürchtet hat.
Luther hat auf dem Reichstag zu Worms gesagt: „Es ist die Furcht Gottes, deren wir zuerst wieder bedürfen.“ Mir wird heute zu viel vom lieben Gott geredet, vom Buddy, der uns alle mag und noch einmal mag und noch einmal mag.
Gott ist Richter, und vor seinem Gericht und seinen Geboten sind wir verloren in alle Ewigkeit. Erst wer den Richtergott einmal erkannt hat, wer vor dem Richtergott gezittert hat, kann auch das andere hören: dass dieser Richter unser Fürsprecher wird und in Jesus sogar der Stellvertreter ist, der für unsere Schuld stirbt.
Wir sollen Gott fürchten und lieben – auch wir, nicht nur die Leute von dort. Auch wir hätten das Blutbad verdient. Und wenn wir noch leben, wenn wir heute Morgen noch hier sitzen können, wenn wir heute noch atmen können, dann nur deshalb, weil ein einziger das Gericht auch über mein Leben aufgehalten hat, nämlich Jesus.
Jesus ist der Winkelried, der die tödlichen Geschosse auf sich zog. Verstehen Sie: kein lieber und kein lieblicher Gott, sondern ein rechter und gerechter Gott, an den ich glaube.
Deshalb ist Rahab gerettet worden, nicht weil sie besser war – im Gegenteil, ihr hat es gestunken. Nicht weil sie besser war, sie war ja eine Hure –, sondern weil ihr Barmherzigkeit widerfahren ist.
Deshalb leben wir. Nicht weil wir besser sind, hier auf dem Schönblick und sogar noch zur Bibelstunde gehen, um neun Uhr fünfzehn, kurz nach Mitternacht. Nein, nicht deshalb, sondern weil uns Barmherzigkeit widerfahren ist, weil der gerechte Richter seinen einzigen Sohn sterben ließ. Deshalb!
Der siebte Befehl: Vertraue – Hoffnung auf das endgültige Gericht und die Wiederkunft Christi
Letzter Verfehl. Vertraue, vertraue! Die schmetternde Posaune ist noch einmal zu hören. Wissen Sie, die schmetternde Posaune erklingt nämlich am Jüngsten Tag, wenn der Sieg Jesu verkündet wird.
Für mich war an der Stiftskirche immer das Eindrücklichste die Kanzelsäule. Die Kirche ist zwar neu umgebaut worden und es gibt viele wunderschöne neue Dinge, aber das Beeindruckendste für mich war immer das Werk eines Herrn von Grävenitz. Er hat diese Kanzelsäule gefertigt. Als er den Auftrag bekam – das war nach dem Jahr 1954 – war er schon ziemlich blind und schwach. Trotzdem arbeitete er an der Steinsäule, die mit einem Gerüst umgeben war.
Man musste hinaufsteigen, und aus dem Stein schlug er einen Posaunengel heraus. Seine Tochter half ihm dabei. Das Werk wurde fertiggestellt, und kurz danach starb er. Es war ihm wichtig, über der Kanzel einen Gerichtsengel anzubringen. Ich habe es so nirgendwo anders gesehen: Über der Kanzel befindet sich der Gerichtsengel, der die Gemeinde und vor allem den Prediger an etwas erinnern soll.
Der Prediger dieser Posaunenge schaut eigentlich hinüber zum Gekreuzigten. Wenn dieser wiederkommt, stößt der Engel in die Posaune. Dann wird sich die Welt verändern, und wir werden den Herrn von Angesicht zu Angesicht sehen.
Oft, oft ging mir das während der Predigt, vor der Predigt und nach der Predigt durch den Kopf: Wird er jetzt blasen? Wird er jetzt kommen? Auf dieser Kanzel lebt man angesichts der Ewigkeit. So ist es.
Man braucht nicht auf der Kanzel oder der Stiftskanzel zu stehen, um das zu spüren. Auch hier im Saal sitzen wir nur hauchdünn von der Ewigkeit entfernt. Eines Tages werden wir die schmetternde Posaune hören.
Die Widerstände, die gegen Gott standen, werden zur Seite gerückt. Unter der Gerichtsposaune fällt der Widerstand. Wir leben also zwischen dem ersten und dem letzten Fall Jirchows.
Die schmetternde Posaune Jirchows ist verstummt, die des Jüngsten Tages steht noch aus. Keiner von uns weiß, wann sie ertönen wird. Aber eins ist klar: Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Sie wird tönen, nur noch eine Frage der Zeit.
Dann gibt es keine Festung, die diesem Herrn auf Dauer Widerstand leisten könnte. Keine Festung, kein Mensch, kein Herz. Alle werden sich diesem Herrn öffnen – dem Richter oder hoffentlich dem Erbarmer, meinem Heiland. Und ich freue mich darauf, ihn sehen zu dürfen.
Schlussgebet und Segenswünsche
Wir wollen beten.
Lieber Herr, Du hast diese Stadt geschleift. Es war für Dich keine Schwierigkeit. Wir kennen andere Festungen, und wir vermögen gar nichts zu tun, außer dass wir Angst haben, Herr.
Gib uns heute Morgen dieses neue Vertrauen in Deine Übermacht, dass Du alle Bollwerke schleifen kannst und auch Herzen einnehmen kannst, so wie Jericho.
Herr, wir bringen Dir unsere Welt, wir bringen Dir unsere Gemeinden, unsere Gemeinschaften. Wir bringen Dir auch diesen schönen Blick, diesen schönen Blick mit all denen, die hier Erholung suchen können, aber auch den Alten und den Kranken und ganz besonders den Sterbenden.
Herr, behüte Du uns und unsere Lieben. Schenk Du uns einen Tag, an dem wir uns freuen können, an guten Begegnungen und an Ruhe. Wir danken Dir für diesen Frieden hier.
Herr, segne uns und behüte uns. Herr, lass Dein Angesicht leuchten über uns und sei uns gnädig. Herr, erhebe Dein Angesicht auf uns und gib uns Deinen Frieden.
Amen.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Tag und auf Wiedersehen.
