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Gottes Bau hat unvorstellbare Ausmaße, unzählbare Räumlichkeiten und ein himmelweites Dach, aber nur eine enge Tür. Gehst du durch die enge Tür? Steigst du durch die Hintertür? Klopfst du an die verschlossene Tür? - Fragen zum Buß- und Bettag in der Stuttgarter Stiftskirche


Fragestunde im Bundestag. Abgeordnete haben die Möglichkeit, ihre Fragen an die Regierung zu stellen. Minister müssen sich Akten besorgen, um Rede und Antwort zu stehen. So fragt einer: “Das Baumsterben zieht immer breitere Kreise. Die meisten Wälder unsres Landes sind davon betroffen. Meint die Regierung, dass durch ihre Maßnahmen wenigstens Teile des deutschen Waldes gerettet werden können?” Natürlich hat der Frager die Antwort schon der in der Tasche. Er ist zutiefst davon überzeugt, dass die regierungsamt­lichen Gesetze zum Einbau von Entschweflungsanlagen und Kata­lysatoren keineswegs genügen können. Mit solch halbherzigen Auf­lagen ist dem Schaden nie und nimmer beizukommen. Dilettanten sind am Werk, Kurzsichtige und Gedankenlose. Wenn der Abgeordnete dabei dennoch fragt, so einfach deshalb, weil er die Schwächen der Ver­antwortlichen aufdecken will. Die ministerielle Inkompetenz soll an den Pranger gestellt werden. Auch dem letzten Bürger sollen die Augen dafür aufgehen, wie schwach die Regierungsbank besetzt ist. Die Fragestunde im Bundestag zielt auf die Ohnmacht der Re­gierung.

Hier aber ist Fragestunde auf der Straße. Schrifttheologen haben die Möglichkeit, ihre Fragen an diesen Wander­prediger loszuwerden. Jesus muss keine Informationen einholen, um Rede und Antwort zu stehen. So fragt einer: “Das Jüngersterben zieht immer breitere Kreise. Die meisten Gemeinden unseres Landes sind davon betroffen. Die Katastrophe ist nahezu vollständig. Meinst du, Herr, dass durch deine Predigten wenigstens Teile deiner Anhängerschaft gerettet werden können?” Natürlich hat dieser pharisäische Frager die Antwort schon längst parat. Er ist zu­tiefst davon überzeugt, dass die messianischen Reden vom Leiden, Kreuz und Tod keineswegs genügen können. Mit solch herzerweichenden Worten ist dem Elend nie und nimmer beizukommen. Ein Dilettant ist am Werk, blauäugig und kurzschlüssig. Wenn der Pharisäer aber trotzdem fragt, so einfach deshalb, weil er die Schwäche dieses Heilands aufdecken will. Die spirituelle Inkompetenz soll an den Pranger gestellt werden. Auch dem letzten Juden sollen die Augen dafür aufgehen, wie schwach dieser Messias ist. Die Fragestunde auf der Straße zielt auf die Ohnmacht Jesu.

Aber Jesus zu fragen ist immer ein Wagnis. Er verliest keine Erklärungen seines Hauses. Er zitiert keine Aktennotizen seiner Staatssekretäre. Er gibt keine Informationen weiter, die ihm schnell zugespielt wurd­en. Jesus stellt den infrage, der ihn fragt. Du fragst mich: Werden wenige gerettet? Ich aber frage dich: Wirst du gerettet? Du fragst mich: Werden wenige selig? Ich aber frage dich: Wirst du selig? Du fragst mich: Werden wenige ans Ziel kommen? Ich aber frage dich: Wirst du ans Ziel kommen?

Mit dieser Frage sind wir alle infrage gestellt. Was nützen uns Informationen über Gott und die Welt, wenn die Proklamation laut wird: “Schaffet, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern!” Es kommt der Tag, an dem all meine Wissensfragen - Werde ich Logarithmen verstehen? Werde ich lateinische Grammatik begreifen? Werde ich hinter Goethes Faust kommen? -, es kommt der Tag, an dem all meine Wissensfragen hinter der einen Gewissensfrage zurücktreten werden: Werde ich gerettet? Es kommt die Stunde, in der all meine Lebensfragen - Werde ich einen Beruf finden? Werde ich ledig bleiben müssen? Werde ich Karriere machen? -, es kommt die Stunde, in der all meine Lebensfragen hinter der einen Überlebensfrage verschwinden werden: Werde ich selig? Es kommt der Augenblick, in dem all meine Schicksalsfragen - Werde ich krank? Werde ich leidend? Werde ich in einem Atomkrieg wie eine Kerze verbrennen? -, es kommt der Augenblick, in dem all meine Schicksalsfragen hinter der einen Existenzfrage nichtig werden: Werde ich ans Ziel kommen? Wer davon nicht berührt ist, mag jetzt seinen eigenen Gedanken nachhängen. Den andern aber will Jesus durch drei Anschlussfragen ein Stück weiterhelfen.

1. Gehst du durch die enge Tür?

Bauherrn großer Häuser fügen große Portale ein. Denken wir an de La Guêpière, der um 1770 für Herzog Karl Eugen die Solitude erbaut hat. Doppelte Freitreppen führen zum ovalen Mittelbau hinauf. Durch große Flügeltüren hindurch kann das Lustschlösschen betreten werden. Oder denken wir an Professor Littmann, der um 1910 für König Wilhelm das große Haus der württembergischen Staatstheater erstellt hat. Eine mächtige Freitreppe zieht die Besucher förmlich an. Glastüren laden zum Besuch des Hauses ein. Oder denken wir auch an Paul Bonatz, der um 1920 für die Stadt den Hauptbahnhof errichtet hat. Die mächtige Halle kann vom Norden, vom Süden und vom Westen betreten werden. Die Metalltüren haben die weiten Maße des beeindruckenden Bauwerks.

Alle Bauherrn bauen große und weite Türen - auch Gott? Sein Bau ist nicht mit Händen gemacht, mit Ziegelsteinen gemauert, mit Beton gegossen. Wir wissen überhaupt nichts über die Architektur, weil sich dieser Herr nicht in die Pläne gucken lässt. Wir leben im Glauben und nicht im Schauen. Trotzdem ist uns soviel bekannt, dass dieser Reichs-Gottes-Bau schöner ist als die Lustschlösser, weiter als die Opernhäuser, mächtiger als die Hauptbahnhöfe. Er ist nicht raummäßig begrenzt, sondern bietet Platz für alle. Er ist nicht als Museum benützbar, sondern als Heimat bewohnbar. Er ist nicht alle 50 Jahre renovierungsbedürftig, sondern auf Ewigkeit im Himmel angelegt. Gottes Bau hat unvorstellbare Ausmaße, unzählbare Räumlichkeiten und ein himmelweites Dach, aber nur eine enge Tür.

Warum? Gott will, dass wir nur einzeln eintreten. In der Masse soll sich keiner verstecken können. Es darf niemand im großen Haufen mitgezogen werden. Ins Reich Gottes schwemmt man nicht hinein. Nur einzeln kann man durch die enge Tür. Und Gott will, dass wir nur mit gebeugtem Kopf eintreten. Hocherhobenen Hauptes soll sich keiner hereintrauen. Es darf keiner mit stolz geschwellter Brust dieses Haus betreten. Ins Reich Gottes stolziert man nicht hinein. Nur gebeugt kann man durch die enge Tür. Und Gott will, dass wir nur mit leeren Händen eintreten. Vollgepackt soll sich keiner durchzwängen. Es darf keiner mit Koffer voller Schätze und Bündel voller Sorgen hinein. Ins Reich Gottes wankt man nicht hinein. Jesus, der an dieser Tür steht, ja, der von sich sagen konnte: “Ich bin die Tür”, sieht jeden Einzelnen, grüßt jeden Gebeugten und nimmt jedem Belasteten seinen Packen ab: “Alle eure Sorge werfet auf ihn.” Leute aber, die sich nicht vermaßen lassen, die sich selber klein machen und die ihre Last­en loslassen, sind bußfertige Leute, die durch die enge Tür gehen. Gehst du auch durch die enge Tür? Oder, und das ist Jesu zweite Anschlussfrage:

2. Steigst du durch die Hintertür?

Bauherrn großer Häuser planen noch andere Eingänge ein. So hat die Solitude nicht nur Flügeltüren für die Gäste, sondern auch noch Nebentüren für die Lakaien. So hat das Opernhaus nicht nur Glastüren für die Besucher, sond­ern auch noch Seitentüren für das Personal. Und so hat der Hauptbahnhof nicht nur Metalltüren für die Reisenden, sondern auch noch Kellertüren für die Bediensteten.

Alle Bauherrn bauen wichtige und notwendige Hintertüren ein - und Gott? Sein Bau muss doch außer dieser engen Tür weitere Eingänge haben. Die einen denken an die Nebentür der guten Werke. Die Spenden für die Erdbeben­ geschädigten und die Steuer für die Kirche könne doch nicht zum Fenster hinausgeworfen sein. Die Besuche bei der kranken Nachbarin und die Aufwendungen für die Kinder können doch nicht für die Katz’ gewesen sein. Unsere Pluspunkte sind doch ein Sesam-öffne-dich für diese Nebentür. Die andern denken an die Seitentür der billigen Gnade. Weil es Jesus das Leben gekostet hat, besitze ich ein Freibillet. Die Lehre Luthers vom “völlig um­sonst selig werden” ist auch nach seinem 500. Geburtstag nicht überholt. Auch ohne meine Liebe, meinen Glauben, meinen Willen, mein Leben steht diese Seitentür sperrangelweit offen. Die Dritten denken an die Kellertür für Spätheimkehrer. Die Lebens­tage waren so randvoll mit Arbeit und Aufgaben, dass einfach keine Zeit blieb für die Ewigkeit. Aber jetzt ist man alt geworden und kurz vor dem Ende eines gottlosen Lebens keimt der Wunsch, selig zu sterben. Der liebe Gott wird immer noch ein Türchen offen haben.

Aber täuschen wir uns nicht. Gottes Bau hat keine Neben­eingänge: “Viele werden danach trachten, wie sie hineinkommen und werden es nicht können.” Gottes Bau hat keine Schlupflöcher: “Wie oft habe ich euch gerufen und ihr habt nicht gewollt.” Gottes Bau hat keine Hintertüren. Niemand kann damit rechnen, dass dieser Gott beide Augen zudrückt, fünfe grad sein lässt und ausgerechnet ihm wegen seines lieben Sonntagsgesichts einen Sondereingang verschafft. Er hat einen Eingang geschaffen, ohne Schild: “Zutritt verboten!”, ohne Aufschrift: “Only for white people”, “nur für weiße Leute!”, ohne Aufkleber: “Personaleingang!” Er hat einen Eingang offen für alle, an dem Jesus steht und einlädt: “Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!” Dort müssen wir uns einfädeln. Dort müssen wir hineinkommen. Dort müssen wir rein. Wer durch die Hintertür steigen will, versteigt sich bestimmt. Steigst du durch die Hintertür? Oder, und das ist Jesu letzte Anschlussfrage:

3. Klopfst du an die verschlossene Tür?

Bauherrn großer Häuser denken an offene Türen. Was wären Bauwerke mit dem Hinweis: “Die Tore werden nie mehr geöffnet”? Sie sind doch dafür gebaut, dass nach Schließungszeiten oder Renovierungsarbeiten die Schlösser wieder entriegelt werden. Alle Bauherrn bauen Türen, die nicht für immer ins Schloss fallen - auch Gott? Jesus erinnert an die damalige Sitte, zu Beginn eines Festes die Haustüren für die Gäste weit zu öffnen. Wenn aber die Kerzen angezündet wurden, die Musik intonierte und das Fest begann, wurden die Türen zugemacht und verschlossen. Einige hatten sich verspätet. Keuchend nahmen sie die letzten Treppen und klopften an die Tür. Aber von drinnen kam nur die Stimme: Ich kenne euch nicht. Die Gäste schnappten nach Luft, schüttelten den Kopf, zogen die Einladung aus der Tasche und trommelten noch lauter an die Tür: “Aber hören Sie mal, Sie können doch nicht! Wir sind doch nicht irgendwer! Wir sind extra eingeladen worden! Wir gehören dazu! Hier ist das Büttenpapier! Nun machen Sie mal keinen Unsinn und schließen schnell auf!” Aber die Stimme wiederholt nur den gleichen, schrecklichen Satz: “Ich kenne euch nicht!”

Liebe Freunde, die Tür ins Reich Gottes ist nicht ewig offen. Einmal fällt sie ins Schloss. Es gibt ein “zu spät”. Verspätete werden kommen und klopfen. “Aber wir sind doch getauft und konfirmiert und kirchlich getraut.” Und Jesus sagt: “Ich kenne euch nicht!” Verspätete werden kommen und trommeln: “Aber wir sind doch Kirchensteuerzähler und Brot-für-die-Welt-Spender und Gottesdienstbesucher”. Und Jesus sagt: “Ich kenne euch nicht.” Verspätete werden kommen und lamentieren: “Aber wir sind doch bewährte Mitarbeiter und verdiente Gemeindeglieder und ordinierte Amtsträger.” Und Jesus sagt: “Ich kenne euch nicht.”

Wenn der Nachbar zu uns sagt: “Ich grüße Sie nicht!”, dann ist das schlimm. Wenn ein Kind zu uns sagt: “Ich mag dich nicht!”, dann ist das schlimmer. Wenn ein Ehepartner zu uns sagt: “Ich liebe dich nicht!”, das ist das noch schlimmer. Aber am schlimmsten ist, wenn Jesus zu uns sagt: “Ich kenne dich nicht!”. Er kennt nur die, die sich nicht auf einen äußerlichen Kontakt mit ihm beschränkt haben, sondern in einer inneren Gemeinschaft mit ihm leben. “Kennen” meint die innerste Gemeinschaft, das Offensein füreinander und das Festhalten aneinander. Wer also seine Schuld bei ihm ablädt, wer in ständiger Sprechverbindung mit ihm steht, wer in der Gemeinschaft seiner Leute auf dem Wege bleibt, der hört das andere: “Ich kenne dich! Ich liebe dich! Ich freue mich, dass du da bist.” Einmal werden die Kerzen angezündet, einmal wird das große Halleluja intoniert, einmal beginnt das letzte Fest. Ob du dann dabei bist?

Amen


[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]