Einleitung: Vom Brieföffnen und Schnüffeln
Liebe Freunde,
von einer Postangestellten in Frankreich oder irgendwo anders wurde behauptet, sie würde heimlich Briefe öffnen und lesen. Um ihr das Handwerk zu legen, schrieb jemand an seinen Freund folgende Zeilen:
Lieber Paul, wie ich höre, öffnet und liest unser Fräulein von der Post heimlich die Briefe. Um sie zu überführen, setze ich einen Floh in den Briefumschlag. Dein Otto.
Er verschloss den Brief, ohne einen Floh hineinzutun. Als der Brief ankam, war jedoch einer drin.
Nun sind solche Leute, die aus Neugier Briefe lesen und Flöhe hineinsetzen, harmlos. Weniger harmlos sind diejenigen, die von Berufs wegen in Briefen schnüffeln und bei den harmlosesten Äußerungen schon die Flöhe husten hören. Wirklich gefährlich sind solche Menschen, wenn sie in Briefe hineingucken und die Macht haben, den Briefschreiber hinter Gitter zu bringen.
Diese Schnüffler bereiten uns heute ziemliche Schwierigkeiten, wenn wir die Briefe lesen, die im letzten Buch der Bibel abgedruckt sind. Zum Beispiel ist heute als Predigttext der Brief an die Gemeinde in Smyrna vorgeschrieben.
Der Mann, der diesen Brief geschrieben hat, lebte in der Verbannung. Er hieß Johannes. Johannes war einer der zwölf Jünger von Jesus, ein Augenzeuge. Die Behörden hatten ihn wegen seines Glaubens und seines Zeugnisses für Jesus auf die Insel Patmos verbannt.
Die verschlüsselte Botschaft und der historische Kontext
An einem Sonntag, ungefähr im Jahr 95, also am Ende des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, erhält Johannes von dem auferstandenen Jesus einen Auftrag. Er soll an bestimmte Christengemeinden Briefe schicken.
Nun weiß jeder, der mit der damaligen Situation vertraut ist, dass die Post kontrolliert wird. Damit die Kontrollorgane nicht sofort alles mitbekommen, verschlüsselt Johannes die Botschaft. Er spricht durch die Blume, redet in Andeutungen und macht Anspielungen. Wenn die Schnüffler den Brief lesen, verstehen sie fortwährend nur Bahnhof.
Die Schwierigkeit ist nur, dass wir heute deshalb ebenfalls oft nur Bahnhof verstehen, wenn wir diese Briefe lesen.
Ich lese euch den Brief aus der Offenbarung des Johannes, Kapitel 2, Verse 8 bis 10, vor:
Schreibe an den Engel der Gemeinde in Smyrna: Diese Botschaft kommt von dem, der der Erste und der Letzte ist, der tot war und wieder lebt. Ich weiß, dass ihr verfolgt werdet und arm seid, aber in Wirklichkeit seid ihr reich. Ich kenne die üblen Nachreden, die von Leuten über euch verbreitet werden, die sich als Juden ausgeben, aber keine sind, sondern zum Satan gehören. Habt keine Angst wegen der Dinge, die ihr noch erleiden müsst. Der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, um euch auf die Probe zu stellen. Zehn Tage lang wird man euch verfolgen. Haltet durch, auch wenn es euch das Leben kostet. Dann werde ich euch als Siegeszeichen ewiges Leben schenken.
Wer hören kann, der achte auf das, was der Geist den Gemeinden sagt. Den Siegern wird der zweite Tod nichts anhaben.
Smyrna: Die Stadt zwischen Pracht und Verfolgung
Ich denke, wir können diesen Brief nur verstehen, wenn wir die Lage der Gemeinde in Smyrna kennen. Also auf nach Smyrna!
Smyrna war eine Hafenstadt, eine reiche und wirtschaftlich bedeutende Stadt, die zudem hinreißend schön war. Man nannte sie damals die Zier Asiens, weil sie alle anderen Städte an Schönheit übertraf. Von einem Ende der Stadt bis zum anderen führten große, breite Prachtstraßen. Die berühmteste davon hieß die Goldene Straße. Sie war kein kleines, verwinkeltes Gässchen wie das Goldene Gässchen in Prag, sondern eine große, breite und gerade Straße.
Links und rechts standen große Tempel, unter anderem die des Apollo und der Aphrodite, sowie die weiterer griechischer Götter, einer nach dem anderen. Am Ende der Straße, wo es zum Gebirge hinaufgeht, befand sich etwas erhöht als Abschluss das größte Bauwerk von allen: der Tempel des obersten Gottes, der Tempel des Zeus.
Diese Tempel waren Wallfahrtsorte für Gläubige, Touristenattraktionen und sensationelle Bauwerke. Sie demonstrierten jedem, der nach Smyrna kam, eindrücklich die Macht der griechischen Götter.
In dieser Stadt lebten also auch einige Christen. Wo immer sie ihren Fuß auf die Straße setzten, waren sie dem Eindruck und dem Druck dieser heidnischen Religion ausgesetzt. Wohin sie auch sahen, überall stand ein Standbild irgendeines heidnischen Gottes. Welchen Weg sie auch gingen, immer stand ihnen ein Tempel der heidnischen Religion im Weg.
Was sie auch taten, sie standen stets der Übermacht einer fremden Weltanschauung gegenüber.
Vom Niedergang der alten Götter und dem Fortbestehen der Gemeinde
Und wo sind sie heute, diese Mächte und diese Tempel? Falls von den Tempeln überhaupt noch ein paar Reste übrig geblieben sind, dann sind es nur jämmerliche Trümmerhaufen, an denen die Straßenköter von Smyrna ihr Geschäft verrichten.
Und wo sind sie geblieben, die mächtigen Götter des Olymp? Sie sind abgehalftert, von ihren Sesseln geflogen und aus der Mode gekommen. Im Museum fristen sie noch ein Dasein als Gipsabdruck – aber das ist alles, was von ihnen geblieben ist. Nicht einmal ihre Namen sind noch bekannt.
Wären die Amerikaner nicht so geschmacklos gewesen, ihre Weltraumraketen ausgerechnet nach den griechischen Göttern zu benennen, wüssten die meisten von euch überhaupt nicht, wer Apollo war und dass er ein griechischer Gott gewesen ist. Auch den Mann, der die Geschichten dieser Götter aufgeschrieben hat – den berühmtesten Bürger von Smyrna, den Homer – kennt heute kaum noch jemand.
Homer war der größte griechische Dichter. Heute ist er bloß noch Pflichtlektüre für ein paar Gymnasiasten, die Griechisch lernen. Seine Lobeshymnen auf die griechischen Götter sind genauso vergessen wie diese Götter selbst. Auch ihre Anhänger sind verschwunden.
Auf der ganzen weiten Erde gibt es keine einzige Gemeinde mehr, die Zeus anbetet. Es gibt weltweit keinen Menschen, der Zeus als Gott verehrt. Selbst im heutigen Smyrna lebt niemand, der das tut. Kein einziger Einwohner würde bei der Volkszählung in die Rubrik Religionszugehörigkeit eintragen, er sei Zeusianer, Zeusist oder irgendetwas Ähnliches.
Doch über die Hälfte der Bürger von Smyrna schreibt heute in diese Rubrik „Christ“. Die Stadt Smyrna ist heute ein Zentrum der orthodoxen Theologie und Frömmigkeit. Die Götter mit ihren Verehrern sind längst verschwunden. Christus und seine Gemeinde aber sind geblieben.
Christus als der Erste und der Letzte
Nach diesen Informationen, die ich euch jetzt gegeben habe, könnt ihr vielleicht den ersten Satz in dem Brief schon ein wenig besser verstehen. Diese Botschaft kommt von dem, der der Erste und der Letzte ist, der tot war und wieder lebt. Hier spricht Christus, der Auferstandene.
Jesus gehört nicht zu denen, die nur eine Zeit lang da sind und dann im Nebel der Geschichte verschwinden. Sein Name gehört nicht zu denen, die jahrelang in jeder Zeitung stehen und ein paar Jahre später vergessen sind – wie so viele Namen von Politikern, Machthabern und Superstars.
Jesus ist der Erste. Er ist vor aller Welt, hat die Welt geschaffen. Er ist auch der Letzte, wenn alle anderen abgegessen sind – die Götter und Götzen, die Systeme und Weltanschauungen, die mächtigen Erbauer gewaltiger Gedankengebäude, beeindruckender Prachtbauten und erdrückender Gefängnisse und Verbannungsorte.
Wenn sie alle weg sind vom Fenster ihrer Paläste, wenn sie gestürzt sind von ihren Posten, wenn sie von ihren hohen Rössern und Denkmalssockeln heruntergekommen sind, wenn sie Staub sind – vergessen, verschollen, versunken –, wenn die ganze Welt versunken sein wird, dann bleibt Jesus. Er ist der Letzte.
Den Göttern und Götzen von damals und heute wirst du in deinem Leben nie wieder begegnen. Aber Jesus, dem Verfasser dieses Briefes, wirst du noch einmal begegnen. Er steht am Ende der Weltgeschichte und am Ende der Geschichte deines Lebens. Er ist der Letzte, er ist ewig.
Das ist dein Schöpfer, dein Erhalter, und auch dein Richter. Weil er der Erste und der Letzte ist, hat es damals im Jahr 33 nicht geklappt, als sie ihn gekreuzigt und in einem Grab verschwinden ließen. Weil er das Leben ist, ist er vom Tod auferstanden. Er lebt, und seine Gemeinde lebt auch.
Er hat seiner Gemeinde versprochen, dass die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden. Die Gemeinde von Smyrna ist der lebendige Beweis dafür, dass Jesus sein Wort hält. Diese Gemeinde gibt es, wie gesagt, heute noch.
Die bedrängte Gemeinde und das wahre Reichtum
Damals, am Ende des ersten Jahrhunderts, sah es nicht so aus, als ob diese Gemeinde lange überleben würde. Man vertrat die These: Wenn du Christ wirst, hast du keine Zukunft. Die Gemeinde wurde von allen Seiten unter Druck gesetzt.
Als Jesus, der Auferstandene, sieht, was mit seiner Gemeinde geschieht und was in Smyrna los ist, sagt er zu Johannes: „Komm, Johannes, setz dich hin, jetzt schreibst du einen Brief. Ich diktiere, und du schreibst.“ Jesus diktiert Johannes den Brief, und Johannes schreibt:
Diese Botschaft kommt von dem, der der Erste und der Letzte ist, der tot war und wieder lebt. Ich weiß, dass ihr verfolgt werdet und dass ihr arm seid, aber in Wirklichkeit seid ihr reich. Ich kenne die üblen Nachreden, die von Leuten über euch verbreitet werden.
Hier wird deutlich, dass Jesus genau weiß, was vor sich geht. Er ist sich der Lage auf dieser Welt bewusst. Der Teufel ist am Werk, und sogar Menschen, die sich als fromm bezeichnen, arbeiten im Dienst des Teufels gegen die Kirche.
Diejenigen, die sich damals in Smyrna als besonders fromm darstellten, waren die Juden. In so einer reichen Handelsstadt gab es viele wohlhabende Juden, und wer reich war, hatte Macht. Den Juden waren die Christen verhasst, weil diese glaubten, dass Jesus der Messias ist – der Christus, der verheißene Sohn Gottes, der Erlöser.
Für diese finanzkräftigen Herren der Banken, Reedereien und Großhandelsfirmen war es ein Leichtes, ihre christlichen Angestellten, kleinen Zulieferer und Hafenarbeiter wirtschaftlich zu boykottieren. Sie wurden aus ihren Betrieben ausgeschlossen.
Selbstverständlich gaben sie nicht offen zu, dass sie die Christen wegen ihres Glaubens ausschlossen. Stattdessen warfen sie ihnen Unzuverlässigkeit oder Aufsässigkeit vor. Jedenfalls hielten sie sie in wirtschaftlicher Armut.
Für jeden Christen stellte sich damals nur eine einzige Frage: Sag dich von Jesus los, und du wirst wieder eingestellt. Dann braucht deine Frau keine Heimarbeit zu machen, und deine Kinder müssen nicht hungern.
Zu diesen armen, hungernden Menschen sagt Jesus: „Ich weiß, dass ihr arm seid, aber in Wirklichkeit seid ihr reich.“ Jesus leugnet nicht die wirtschaftliche Armut. Er leugnet jedoch, dass materieller Reichtum die einzige Form von Reichtum ist.
Mit seinem Satz „In Wirklichkeit seid ihr reich“ möchte Jesus sagen: Ihr habt das tiefste Verlangen des menschlichen Herzens gestillt. Ihr habt den Hunger eurer Seele gestillt, den niemand sonst befriedigen kann – weder hier noch anderswo. Ihr besitzt das Größte, was es gibt.
Das ist mehr wert als alle Schmerzen und alle Freuden dieser Welt. Ihr, meine Gemeinde, habt Frieden mit Gott!
Und denjenigen unter euch, die diesen Frieden mit Gott noch nicht haben, möchte ich sagen: Solange du diesen Frieden nicht hast, kannst du haben, was du willst, deine Seele wird trotzdem verhungern – selbst wenn du alle materiellen Bedürfnisse befriedigen könntest.
Jesus sagt: Was nützt es dem Menschen, wenn er alles hat und seine Seele dabei zugrunde geht? Frieden mit Gott bekommst du, wenn du Jesus als den Herrn deines Lebens annimmst.
Viele hier in dieser Kirche haben das bereits getan. Viele haben diesen Frieden mit Gott erlebt und deswegen viel Ärger. Denn wer mit Gott Frieden schließt, gegen den macht der Teufel Krieg.
Für diejenigen unter euch, die das schon erfahren haben, gilt das, was Jesus hier sagt: „Ich weiß, was euch bedrückt.“ Er sagt es ausdrücklich: Ich weiß es. Du leidest nicht zufällig oder unbemerkt.
Ganz egal, unter welchem Druck du stehst, Jesus hat dich nicht vergessen. Er hat dich nicht abgehakt. Er kennt auch die Grenzen deiner Belastbarkeit und legt dir nicht mehr auf, als du tragen kannst.
Er sagt hier im Vers 10: „Zehn Tage lang werdet ihr verfolgt.“ Das bedeutet, es handelt sich um eine begrenzte Zeit. Der Druck wird nicht ewig dauern.
Ermutigung in Verfolgung und das Beispiel Polycarp
Vor 14 Tagen hat ein Oberschüler mit mir gesprochen. Er sagte, er könne bald nicht mehr. Ich bin der einzige Christ in meiner Klasse, und das schon seit zehn Jahren. Sie machen mich fertig mit ihren Sticheleien und ihren Argumenten. Was soll ich denn machen?
Dem habe ich gesagt: Du musst viel beten und dich an die bestimmten Worte von Jesus klammern. Zum Beispiel gibt es ein Wort, an das du dich klammern kannst, wenn du nicht mehr weiterweißt. Jesus sagt: „Ich weiß, du bist kein Einzelkämpfer, du bist nicht alleine. Ich weiß, was sie mit dir machen. Ich kenne deine Situation.“ Leute, das ist doch wunderbar! Der, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, der Erste und der Letzte, sagt: „Ich weiß, wie es um dich steht. Ich kenne dich.“
Wie gut Jesus Bescheid weiß, zeigt sich schon in den nächsten Versen hier. Die Gemeinde in Smyrna hatte nämlich nicht nur Probleme mit den Juden, sondern vor allem mit dem Staat. Der römische Staat war eine riesige Zusammenballung von ganz unterschiedlichen Völkern, Religionen und Geistern. Er brauchte etwas, das das Ganze zusammenhält – eine staatserhaltende Idee, eine Ideologie. Dazu eignete sich am besten die Person des Kaisers, des Kaisers von Rom. Ihn verehrte man. Es entstand ein Personenkult, der sogenannte Kaiserkult.
Zuerst haben die Kaiser diesen Kult abgewehrt – da waren sie noch bescheiden. Dann haben sie ihn geduldet – da waren sie schon bescheuert. Später haben sie ihn anerkannt. Am Schluss wurde der Kaiser offiziell zum Gott erklärt. Am Ende des ersten Jahrhunderts, also genau in der Zeit, in der dieser Brief geschrieben wurde, wurde der Kaiserkult Staatsgesetz.
Jeder römische Bürger musste einmal im Jahr erscheinen, Weihrauch auf dem Altar des obersten Gottes opfern und den Satz sagen: „Der Kaiser ist Gott.“ Wenn er das getan hatte, bekam er eine Bescheinigung über die Erfüllung seiner Staatsbürgerpflicht. Damals schrieb man nicht auf Papier, sondern meistens auf Tontafeln, die heute noch erhalten sind.
Der Wortlaut einer solchen Bescheinigung lautete: „Wir, die Beauftragten des Kaisers, haben gesehen, dass du geopfert hast.“ Darunter stand das Datum, sozusagen der Stempel, und fertig. Wer diese Bescheinigung hatte, hatte Zugang zu allen Bildungs- und Ausbildungsstätten im Land. Wer sie nicht hatte, hatte keine Chancen und verbaut sich seine Zukunft.
Mit dem Scheinchen konnte man unten am Hafen seinen Kiosk eröffnen und wieder ein Jahr lang Kekse verkaufen. Ohne den Schein musste man seine Fischbude schließen. Denn wer zum Kaiserkult nicht kam und nicht mitmachte, entlarvte sich selbst als Staatsfeind und war als Heringshändler nicht mehr ertragbar.
Dem Staat ging es beim Kaiserkult um Politik, nicht um Religion. Dass der Kaiser ein Gott sei, glaubten nicht einmal die Staatsfunktionäre, die das den Leuten Jahr für Jahr eintrichtern mussten. Sie sahen schließlich auch, dass alle paar Jahre die Köpfe auf den Altären und die Namen des Gottes geändert werden mussten, je nachdem, welcher Kaiser gerade an der Macht war.
Sie sahen auch, dass diese Kaisergötter dauernd eines natürlichen oder – wie das damals in den Kreisen üblich war – eines unnatürlichen Todes starben. Dass es keine unsterblichen Götter, sondern sterbliche Menschen waren, blieb niemandem verborgen.
Also ging es bei dieser Beweihräucheraktion nicht um Religion, sondern lediglich darum, die politische Loyalität der Staatsbürger zu überprüfen. Was der einzelne Bürger in seinem Herzen glaubte, war vollkommen gleichgültig. Hauptsache, er bewies seine Staatstreue, indem er den Satz sprach: „Der Kaiser ist Gott.“
Man brauchte diese Formel – es war ja nichts weiter als eine Formel. Man musste sie nur murmeln, ein paar Körnchen Weihrauch ins Feuer streuen, und damit war es erledigt. Schon hatte man seine Bescheinigung und konnte wieder ein Jahr existieren. Im Übrigen konnte man in seinem Herzen anbeten, wen man wollte.
Das machten alle so. Das mussten alle so machen. Es war Vorschrift, Staatsgesetz. Da machte sich keiner den Kopf drüber. Es war eben so, es ging nicht anders. Außerdem, was ist denn schon dabei? Es weiß doch jeder, dass es nichts anderes als Theater ist. Vom Staat angeordnete Heuchelei, brutaler Zwang. Man kann nichts dagegen machen. Also gut, wenn ihr unbedingt wollt, damit ich meine Ruhe habe und meinen Posten behalte, sage ich jedes Jahr einmal: „Der Kaiser ist Gott.“
Das ist der Satz, das lächerliche kleine Sätzchen, das jeder römische Bürger sprechen sollte – bei Verlust seiner bürgerlichen Ehrenrechte. Aber kein Christ konnte es über die Lippen bringen – bei Verlust seiner ewigen Seligkeit.
Ein Christ kann keinen Menschen, auch wenn es der Kaiser ist, als Gott bezeichnen, weil Jesus Christus allein Gott ist. Wenn der römische Staat von den Christen verlangt hätte, ein Bekenntnis zum Kaiser, zum römischen Staat, ein Treuebekenntnis, warum nicht? Dagegen ist nichts einzuwenden.
Aber ein Bekenntnis zum Kaiser als Gott konnten die Christen nicht leisten. Das ging nicht, weil es die Bibel verbietet. Jesus hat gesagt: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört.“ Das heißt: Dem Kaiser, dem Staat, die Steuern; Gott bekommt mein Herz – dem Staat die Abgabe, Gott die Hingabe.
Christen sind loyale Staatsbürger. Aber wenn von ihnen verlangt wird, das erste Gebot zu übertreten, ist Schluss. Das erste Gebot lautet: „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Dieses Gebot kannten die Christen von Smyrna. Sie weigerten sich kompromisslos, beim Staatskult, dem Kaiserkult, mitzumachen.
Damit waren sie wirtschaftlich erledigt, gesellschaftlich geächtet und politisch verdächtig. Sie wurden als Staatsfeinde abgestempelt.
Und das in einer Stadt wie Smyrna, die sich im Kaiserkult noch überschlug. Sie gehörte zu den eifrigsten Verfechtern des Kaiserkults. Schon zweihundert Jahre zuvor hatte Smyrna als erste Stadt der Welt einen Tempel für die römische Göttin errichtet.
Im Jahr 26 stand Smyrna mit sechs anderen Städten Kleinasiens in einem Wettbewerb. Damals gab es schon solche Wettbewerbe zwischen den Städten. Es ging um das Recht der Gottheit Tiberius – so hieß damals der Kaiser –, diesem Gott einen Tempel zu bauen. Diesen Wettbewerb gewann Smyrna.
Diese Stadt war ein enthusiastischer Mittelpunkt des Kaiserkults. Dort waren sie fanatisch. Und ausgerechnet in dieser Stadt lebten Christen. Die machten nicht mit. Sie konnten nicht mitmachen – nicht, weil sie Staatsfeinde sein wollten, sondern weil sie ihrem Herrn Jesus treu sein wollten.
Man kann sich vorstellen, dass jeder Christ in Smyrna sein Leben aufs Spiel setzte. Leute, das waren Helden, die dort als Christen lebten. Sie riskierten ihr Leben für Jesus. Und diesen Menschen, die ihr Leben für Jesus riskierten, sagt Jesus hier: „Sei getreu bis an den Tod, haltet durch, auch wenn es euch das Leben kostet. Dann werde ich euch als Siegeszeichen ewiges Leben schenken.“
Das Zeugnis des Polycarp und die Bedeutung der Treue
Sechzig Jahre später lebt in dieser Stadt ein Bischof namens Polycarp. Eines Tages wird er verhaftet und gezwungen, den Kaiser anzubeten. Selbst der Polizeibüttel, der ihn bei der Verhaftung führt, versucht ihn zu überzeugen. Er sagt, es sei doch nicht weiter schlimm: Was ist denn dabei, wenn du das Sätzchen sagst und ein paar Weihrauchkörner opferst, wenn du dadurch dem Tod entgehst?
Doch Polycarp, der Bischof, bleibt standhaft. Er wird vor die Wahl gestellt: entweder Jesus zu verfluchen und dem Kaiser zu opfern oder zu sterben. Darauf gibt der Bischof die unsterbliche Antwort: „86 Jahre habe ich ihm gedient, in denen er mir nie etwas Böses zugefügt hätte. Wie kann ich den König, der mich errettet hat, verfluchen?“
Daraufhin wird ihm angedroht, dass er bei lebendigem Leib verbrannt werden soll. Polycarp erwidert: „Du drohst mir mit einem Feuer, das rasch erlischt, weil du das Feuer nicht kennst, das die Gottlosen beim jüngsten Gericht erwartet und sie auf ewig bestraft.“
Der alte Mann, 86 Jahre alt, stirbt in den Flammen mit einem Gebet auf den Lippen. Dieser Mann hatte den Brief an die Gemeinde von Smyrna gelesen. Damals war er so jung wie ihr jetzt. Er saß genau wie ihr in der Gemeindeversammlung, als dieser Brief vorgelesen wurde, hörte ihn und gab Jesus sein Leben.
Die guten Erfahrungen, die er ein langes Leben lang mit Jesus gemacht hatte, konnte ihm kein Folterknecht wieder ausbrennen. Er blieb seinem Herrn treu bis an seinen Tod – so wie Hunderttausende Märtyrer, die auf die grausamste Weise zu Tode gequält wurden.
Treu bis zum Tod heißt nicht in jedem Falle Märtyrertod. Es bedeutet einfach, dass du deinem Herrn die Treue hältst, egal was passiert, egal was sie mit dir machen und egal wie du stirbst.
Die Verheißung des ewigen Lebens und der zweite Tod
Und weil Polykarp bis zuletzt Jesus die Treue gehalten hat, kann er auch das für sich beanspruchen, was Jesus hier sagt. Er sagt: Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen vom zweiten Tod.
Sterben müssen wir alle: Die Mächtigen und die armen Schlucker, die Nichtchristen und die Christen – eines Tages stirbt jeder, auch du. Das ist der erste Tod.
Und wenn du jetzt sagst: Was heißt hier der erste Tod? Was heißt der zweite Tod? Jedenfalls sterbe ich, und danach kommt nichts mehr, dann irrst du dich. Es kommt nach dem Tod das Gericht, und dann kommt Jesus, der Erste und der Letzte. Er wird das letzte Wort über dein Leben sprechen.
Wenn du an ihn geglaubt hast und ihm die Treue bis zu deinem Ende gehalten hast, dann gibt er dir das ewige Leben. Wenn du nicht an ihn glaubst und ihm die Treue nicht bis an dein Ende gehalten hast, bleibt für dich nur noch die Verdammnis übrig – die ewige Verdammnis, das ist der zweite Tod.
Und genau davor will Jesus dich bewahren. Deshalb ruft er dich zu sich, lädt dich ein – auch heute Abend – und sagt: Komm, tritt auf meine Seite!
Wenn du zu Jesus kommst, bekommst du einen Frieden, von dem du vorher keine Ahnung hattest. Aber außer diesem Frieden bekommst du auch eine Menge Ärger.
Jesus sagt nicht zu dir: Die Mächte, die dich umgeben, werden dir nichts antun. Im Gegenteil, Jesus sagt hier: Sie werden dir etwas antun, du wirst leiden müssen. Aber er sagt auch: Habt keine Angst wegen der Dinge, die ihr noch erleiden müsst.
Der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, um euch auf die Probe zu stellen. Zehn Tage lang wird man euch verfolgen. Haltet durch, auch wenn es euch das Leben kostet. Dann werde ich euch als Siegeszeichen ewiges Leben schenken.
Wenn du mit Jesus gehst, musst du mit ihm leiden. Da sagt Jesus von vornherein, er spielt mit offenen Karten. Aber der Gewinn, der bei ihm drin ist, ist größer als alles, was diese Welt an Freuden und Leiden dir zu bieten hat.
Es sind drei Dinge, die Jesus seinen Nachfolgern versprochen hat. Er hat gesagt: Ihr werdet bedrängt werden, ihr werdet frei sein von Angst, und ihr werdet unsagbar glücklich sein.
Glücklich seid ihr, wenn sie euch um der Gerechtigkeit willen verfolgen; euch gehört das Reich Gottes.
