Jetzt muss ich Ihnen etwas gestehen: Ich habe den Predigttext nicht so verwendet, wie er auf dem Notizzettel angegeben war.
Ich hatte das lange vorher überlegt und beschlossen, nicht über den von unserer Landeskirche heute vorgeschriebenen Text zu predigen. Ich fürchtete nämlich, dass er vielen Zuhörern nicht wirklich auffallen würde, wenn ich ihn einfach verlese. Deshalb habe ich ein anderes Wort aus dem Alten Testament gewählt.
In der letzten Woche hatte ich jedoch bei den Pfarrern der Pfarrgebetsbruderschaft die Predigtvorbereitung doch über den offiziellen Text gemacht. Da dachte ich, ich könnte auch gleich darüber predigen. Daraus ergibt sich die heutige Abweichung.
Es wäre jetzt natürlich am besten, wenn Sie das Neue Testament dabei haben oder im Anhang Ihres Gesangbuches mitlesen. In den neuen Gesangbüchern ist der Text enthalten. Bei mir befindet er sich auf Seite 236, in der sechsten Reihe, am ersten Advent unter der Epistel: Hebräer 10,19-25.
Also Hebräer 10,19-25, sechste Reihe, erster Advent, am Anfang dieser Reihe.
Die Herausforderung, Gottes Wort zu verstehen
Nun muss man genau hinhören. Es liegt nicht an der Bibel, dass sie schwer verständlich ist, sondern an uns. Wir sind in einer Welt aufgewachsen, in der Gottes Handeln uns fremd geworden ist.
Wenn ich zum Beispiel 3,0 sage, weiß jeder, was gemeint ist. Oder wenn ich „Turbo“ sage, versteht ebenfalls jeder, was gemeint ist. Doch wenn ich „Hoher Priester“ sage, weiß kaum jemand, was gemeint ist. Das liegt daran, dass uns die Vorgänge aus der Welt Gottes fremd geworden sind.
Denn wir haben nun, liebe Brüder, durch das Blut Jesu die Freiheit zum Eingang in das Heilige. Jesus hat uns diesen neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang bereitet, und zwar durch sein Fleisch. Wir haben einen Hohen Priester über das Haus Gottes.
Darum lasst uns mit wahrhaftigem Herzen und in völligem Glauben hingehen. Lasst uns besprengt sein in unseren Herzen und frei von bösem Gewissen. Lasst uns gewaschen am Leib mit reinem Wasser sein.
Lasst uns an dem Bekenntnis der Hoffnung festhalten und nicht wanken, denn er ist treu, der uns diese Hoffnung verheißen hat. Und lasst uns aufeinander achten, uns zur Liebe und zu guten Werken anspornen. Verlasst nicht unsere Versammlungen, wie es einige pflegen, sondern ermahnt einander. Das umso mehr, je mehr ihr seht, dass sich der Tag nähert.
Herr, gib uns Ohren, die deine Stimme vernehmen können. Amen.
Die Adventszeit: Warten als Grund zur Hoffnung
Wir stehen am Anfang einer festlichen Zeit, jetzt im Advent. Wenn jedoch jemand fragt, was wir an Advent eigentlich feiern, muss man sagen: Wir feiern das Warten.
Für mich ist das Warten kein Grund zu feiern. Mir fällt das Warten sehr schwer. Wenn man an der Straßenbahnhaltestelle steht, es kalt ist und keine Bahn kommt – Warten, Warten – das ist wirklich ärgerlich. Oder wenn man im Wartezimmer beim Zahnarzt sitzt und drinnen verheißungsvoll den Bohrer brummen hört. Warten ist nicht schön.
Ein Kranker, der Tag um Tag und Woche um Woche auf Besserung wartet – nein, warten kann doch kein Grund zum Feiern sein. Aber das Schlimme an all diesen Fällen ist ja, dass man nicht weiß, was kommt. Ob man da in der Kälte steht und allmählich zweifelt, ob überhaupt noch etwas kommt. Oder der Kranke, der gar nicht weiß, ob es überhaupt noch einmal besser wird.
Da unterscheidet sich unser adventliches Warten grundlegend.
Ich hoffe, dass Sie jetzt auch schon eine Spannung auf das Weihnachtsfest hin spüren. Sagen Sie nicht so schnell, das bewege Sie nicht. Dann wären Sie ein bemitleidenswerter Krieskram, wenn Sie jetzt keinen Menschen haben, auf den Sie gespannt sind und dem Sie eine große Weihnachtsfreude bereiten wollen – nicht, um etwas zu bekommen. Das ist doch Adventsspannung.
Es ist schön zu sehen, wie sich alle wieder bemühen und überlegen, wie man das Fest schön gestalten kann. Doch für uns steht Advent nicht nur darin – das gehört zwar dazu, aber das ist es noch nicht.
Wir haben als Christen eine große Erwartung.
Die Gefahr der Unklarheit und die Notwendigkeit der Klarheit
Nun habe ich Sorge, ob das, was wir heute predigen, richtig verstanden wird. Im November und Dezember zieht manchmal Nebel über unsere Straßen. Die Autofahrer, die dann unterwegs sind, wissen, wie gefährlich das sein kann.
Kaum sieht man noch die Markierung in der Mitte der Straße, und die Barken am Straßenrand verschwinden im Nebel. Ich muss Ihnen sagen, ich hatte große Sorge, dass auch meine Predigt heute so nebulös wird. Dass ich über Hohepriester und Vergebung spreche, und es für uns doch so bleibt, als läge Nebel auf der Straße – man sieht den Weg nicht klar.
Vielleicht wird vom Licht und von der Dunkelheit gesprochen, aber es bleibt eine nebulose Religiosität der Erwartung. Es gibt heute sogar atheistische Philosophen, die von Hoffnung reden. Das ist also nicht nur uns Christen eigen.
Wenn wir vom Warten und von der Hoffnung sprechen, müssen wir deshalb deutlich sagen, was wir meinen – so, dass es auch Kinder verstehen können. Darüber möchte ich heute sprechen: was adventliches Warten für uns bedeutet.
Adventliches Warten als Zugang zu Gott
Ich sehe in diesem großen Wort zuerst eine Tür, die offensteht. Die Kinder verstehen das mit den Türen sehr gut von ihren Adventskalendern her. Besonders schön finde ich, wie die Kinder die Spannung kaum aushalten können, wenn es um die verschlossenen Türen geht.
Sie waren auch einmal jung. Sicherlich waren sie charakterlich gefestigter als ich damals. Ich musste immer spicken, um zu sehen, was sich hinter den Türen verbarg. Es kam gar nicht viel heraus – vielleicht eine Brezel, ein kleines Männlein oder etwas Witziges. Aber die Spannung war groß, denn man wollte unbedingt wissen, was sich hinter der großen Tür am 24. verbirgt.
Uns geht es jetzt nicht um die adventliche Neugier, also darum, zu wissen, was hinter der verschlossenen Tür steckt. Die große verschlossene Tür, um die es uns an Advent geht, ist die uns versperrte Tür zum lebendigen Gott.
Wenn Sie diese Frage einmal in Ihrem Leben durchlitten haben – die große Frage: Wer ist Gott und wo finde ich Gott? –, dann wissen Sie, dass das kein Spicken am Adventskalender ist. Es ist eine Frage, die einen zerbrechen und zerreißen kann. Man muss sie klären, um als Mensch überhaupt Klarheit über sich selbst zu finden.
Die Bibel erzählt das so nüchtern: Von Anfang der Welt, nach den dunklen ersten Tagen, in denen das Böse im Herzen der Menschen Platz griff, ist die Tür zu Gott verschlossen. Ein Cherub mit einem feurigen Schwert steht davor, und niemand kann hindurch.
Darum sind alle menschlichen Bemühungen um einen neuen Anfang in der Welt hoffnungslos. Nicht, weil die Menschen keine guten Absichten hätten oder wir das einem Ideologen unserer Zeit absprechen wollten, der es gut meint. Nein, wir stehen vor dieser Tür, die allein zum Heil, zum Frieden und zur Gerechtigkeit führt.
Deshalb haben Menschen in dieser Welt Kriege geführt – um des Heils willen, um der Gerechtigkeit willen. Doch es wiederholt sich immer derselbe alte Kampf: Die Schlange, das Bild des Bösen, sticht dem Menschen in die Ferse und packt ihn. Der Mensch führt einen Kampf gegen das Böse, gegen diese Schlange, will sie zertreten, aber er kann es nicht.
Das ist der Wunschtraum der Menschen: Wie kann man das Böse in unserer Welt ausrotten?
Durch unsere Welt geht ein Riss, ein furchtbarer Riss – ein Riss zwischen Licht und Finsternis, zwischen Lüge und Wahrheit, zwischen Hass und Liebe, zwischen Gott und Teufel.
Die Männer der Bibel haben in dieser Welt gelebt und Ausschau gehalten. Gestern Abend haben sie uns diese Adventsverheißung zurufen lassen, vom alten Jakob selbst, einem Menschen, der in der Lüge gelebt hat: „Herr, ich warte auf dein Heil!“
Wie Jesaja, der die Hand noch einmal ausstreckt und sagt: „Da wird’s hell, irgendwo kommt’s.“ Was meint er mit „hell“? Er meint, dass irgendwo die Not der Menschen gelöst werden muss, dass das Böse nicht mehr über uns herrschen kann, dass Neues geschieht – völlig Neues –, dass Schuld vergeben und geheilt wird.
Darum sagt der Hebräerbrief: Jetzt steht die Tür offen, wir haben Zugang. Wir reden nicht nur von adventlichen Träumereien vor dem Kerzenlicht, sondern wir haben Zugang zum Thron Gottes.
Darum lasst uns jetzt durch diese Tür hindurchtreten! Advent bedeutet, dass Menschen jetzt mit dem Schmutz ihres Lebens zu Gott kommen können, ihn vor ihm ausbreiten – und er macht sie frei und gerecht.
Heute am Advent kann Ihnen das geschenkt werden: dass Sie sagen können, „Mir hat er alle Schuld vergeben.“ Lasst uns hinzutreten zu seinem Thron.
Es wird noch dazu gesagt: Der Eingang ist uns gegeben durch sein Blut. Dafür starb er, und dafür hat er sein Leben gelassen, damit Menschen heute durch diese Tür gehen können, die vom Cherub verschlossen ist, und wieder heimkehren zum Vater und wissen: Da gehöre ich hin.
Mit ganzem Herzen und unerschrockenem Glauben zu Gott treten
Ich will Ihnen heute das Wort ganz auslegen, wirklich, damit wir nicht nur oberflächlich verweilen. Lasst uns mit wahrhaftigem Herzen zu Gott hinzutreten!
Die Worte haben oft eine Doppel- oder sogar Dreifachbedeutung. Dabei schwingt immer die Bedeutung eines ungeteilten Herzens mit – eines Herzens, das nicht halbe Sachen macht, sondern alles auf eine Karte setzt.
Lasst uns jetzt zu Gott kommen, nicht nur als eine sonntägliche Beschäftigung, sondern als eine ganze Sache unseres Lebens. So sollen wir ihm begegnen!
Hier heißt es, mit völligem Glauben zu kommen. Man könnte es auch mit unerschrockenem Glauben übersetzen, mit einer frechen Kühnheit.
Manche Christen begnügen sich damit und sagen: Vielleicht ist Gott mir gut gesinnt. Nein, ich muss es wissen! Ich will den Dingen auf den Grund gehen. Mit unerschrockenem Glauben und Kühnheit dringe ich zu ihm ein.
Während andere Religionen sagen, es genügt ihnen ein Ahnen von Gott, reicht mir das nicht. Ich wünsche Ihnen diesen unerschrockenen Glauben, der so tief eindringt, bis er gewiss weiß, dass ihm die Liebe, die Vaterliebe Gottes, gehört.
Das macht uns das adventliche Warten so leicht. Darum ist es so schön, weil die Tür bereits offensteht und wir zu ihm treten dürfen.
Gewissheit im Glauben finden
Zweitens: Wir sind unserer Sache ganz gewiss. Heute besteht die große Not unter den Christen darin, dass man so wenig Gewissheit hat. Es wird alles in Frage gestellt. Manche Bibelkreise leben sogar nur davon, dass sie fortwährend Fragen haben.
Nun, ich weiß, dass einige sich darüber ärgern und sagen, ich hätte keine Zeit für Fragen. Wissen Sie, ich selbst habe auch Fragen. Das ist der alte Mensch in uns. Wir dürfen Fragen gerne besprechen, aber wir müssen irgendwo auf Gewissheit stoßen. Ja, wo gibt es denn Gewissheit?
Wenn jemand denkt: „Nimmst du den Zweifler nicht richtig an?“ – doch, gerade um des Zweiflers Willen wollen wir sagen, es muss Gewissheit geben. Wenn ich an der Straßenbahnhaltestelle stehe und denke: „Na ja, vielleicht hat der Straßenbahnschaffner heute verschlafen und kommt gar nicht, oder sie streiken heute“, wenn ich es nicht gewiss weiß, dass die Bahn kommt, dann ist das Stehen ganz dumm. Ich darf die Frage nicht vor mir herschieben.
Auch im christlichen Glauben stellt sich die Frage: Ist das eigentlich wahr? Ist das wahr, was sie predigen? Ist das wahr, was sie aus der Bibel verlesen? Gilt das wirklich? Die schlimmsten Fragen und Zweifel kommen ja aus den Anfechtungen heraus. Das sind Erfahrungen im Leben, die uns sehr zu schaffen machen. Dann gerät alles bei uns ins Wanken, und wir wissen gar nicht mehr, was jetzt eigentlich gilt.
Der Hebräerbrief gibt uns ein Wort vom Warten, in dem er die Gemeinde ermuntert und sagt, wir können warten. Woher hat er denn diese Gewissheit? Nun, er erwähnt etwas, was bei vielen von uns gar nicht mehr bekannt ist: Das Bekenntnis ist eine große Hilfe.
Was ist das Bekenntnis? Das ist die Antwort der Gemeinde auf das gepredigte Wort. In kurzen Sätzen zusammengefasst sind es Leitlinien unseres Glaubens. Manche sagen, das bereitet ihnen besonders viel Not im Glauben, dass sie besonders viele Zweifel haben, wenn wir das apostolische Glaubensbekenntnis miteinander sprechen.
Doch darf ich Ihnen den Tipp des Schreibers des Hebräerbriefs einfach weitergeben? Er sagt, dass man sich in dieses Bekenntnis hineinstellen darf. Tun Sie es! Und Sie werden erleben, wie Ihre Glaubensfragen mehr und mehr beantwortet werden.
Sie sind nicht der erste Mensch im zwanzigsten Jahrhundert, dessen Fragen kommen. Ein Mann wie Martin Luther hat Jahre gerungen und in einem größeren Ernst als Sie. Er hat Nächte auf den Schlaf verzichtet, um Klarheit zu gewinnen. Und dann dürfen Sie seine Worte nachsprechen: „Der mich, verlorenen, verdammten Menschen, erlöst hat, erworben und gewonnen.“ Wozu denn das alles? „Auf dass ich sein Eigen sei.“
In meinem Glaubensleben ist das Bekenntnis kein Ärgernis, keine Not, keine Belastung, kein Erbe der Tradition, das uns zu schaffen macht, sondern eine Hilfe zum Glauben. Ich darf mich einreihen in das große Erbe der Väter aus der apostolischen Zeit und Jesus Christus bekennen, den wahren Gott und wahren Menschen – welch eine Hilfe für uns!
Und da sagt nun hier der Hebräerbrief: Lasst uns am Bekenntnis festhalten. Zur Adventserwartung gehört das Aussprechen der großen Hoffnungssätze der Väter der Vergangenheit. Wir stehen in der großen Reihe der Menschen, die auf die Zukunft Jesu und auf die Erneuerung der Welt gewartet haben.
Gemeinschaft als Stütze in der Adventszeit
Sie kennen Fritz von Bodelschwing, der in diesem Jahr auf einer Briefmarke geehrt wird. Er war der Sohn des Gründers von Bethel und führte einen heldenhaften Kampf gegen die Euthanasie im Dritten Reich. Er hat sogar direkt gegen Hitler gekämpft, dessen trotzige Lüge, dass die Euthanasie nicht stattgefunden habe, entgegentreten. Vor dessen Augen hat er Widerstand geleistet und gesagt, dass das, was sie tun, Gottes Gebot widerspricht.
In einer seiner Predigten erzählt Fritz von Bodelschwing, der als der Vater Bethels in der Schlichtheit bekannt ist, wie er diese Geschichte seinen Kindern erzählte. Er berichtete, dass sein Vater oft müde war. Das sollten Sie wissen: Es gibt keinen Christen, der nicht im tiefsten Inneren angefochten ist. Das können Sie sogar bei den größten Heiligen nachlesen, wie sehr sie angefochten waren.
Einmal erhielt er einen Brief von einem Mann, der in Stettin am Hafen wohnte. Dieser Freund schrieb dem alten Vater von Bodelschwing in seinen Kämpfen. Wissen Sie, man hatte damals einmal das Haus Ebenezer angezündet – Brandstiftung, um die Kranken aus Bielefeld fernzuhalten. Was für Anfechtungen das für ihn waren! Der Freund aus Stettin schrieb ihm: „Ich wünsche dir eine schiffstauartige Festigkeit.“
Da dachte er an die großen Schiffstaue, das sind doch solche dicken Seile, mit denen man Ozeanschiffe im Hafen festbindet. So eine Festigkeit wünschte man ihm. Dieses Schiffstau steht für das Bekenntnis des Glaubens. In der Gemeinschaft der Brüder und Schwestern, in der Gemeinschaft der Kirche, darf ich stehen und meinen Glauben daran festmachen.
Es wird hier noch besonders betont, woran dieses Bekenntnis ausgerichtet ist: „Lasst uns halten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken, denn der ist treu, der es verheißen hat.“ Der Pfahl, an dem dieses Seil festgemacht wird, ist der lebendige Gott selbst.
Die Bekenntnissätze sind für uns tatsächlich nur gültig, wenn sie auf den Worten Gottes gegründet sind und auf seinen Verheißungen fußen. Gott belügt uns nicht, und was er zusagt, das hält er gewiss. Darum ist die Zeit des Wartens für uns gar nicht schwer.
Wir sind in einer frohen Adventserwartung, weil wir eine gewisse Hoffnung haben. Das muss ich noch einmal wiederholen, damit Sie es behalten können: Wir stehen an der offenen Tür. Wir wissen unsere Sache ganz gewiss.
Die Kraft der Gemeinschaft im Glauben
Noch ein Letztes: Wir stehen in der großen Gemeinschaft. Der Hebräerbrief sagt, dass das Warten deshalb so leicht ist, weil wir mit anderen Christen zusammen sind.
Mir geht es so, dass ich in einer Kirche am liebsten in der nächsten Bank für mich sitze. Ich will meine Ruhe haben. Es geht ja niemanden etwas an, wer rechts und links neben mir sitzt. Wir sind ja alle Eigenbrötler.
Auch hier dürfen Sie nicht denken, das treffe nur Sie allein. Das ist eine Eigenart jedes Menschen: Er verkriecht sich, klappt sein Schneckenhaus zu, zieht sich zurück und sagt: „Ich bin der“. Natürlich gilt das auch im Glaubensleben. Damit berauben wir uns der größten Hilfe in der Wartezeit.
Mir hat gestern Abend ein Christ bei einem Gespräch so nebenbei gesagt: „Ich wollte es manchmal den Pfarrbrüdern sagen: Mann, tägliches Leben ohne Gemeinschaft — kein Pfarrer kann da helfen. Wenn sie keine Gemeinschaft haben, ist ihr ganzer Pfarrdienst vergeblich.“
Das ist so eine Not. Da kann man schöne Predigten halten, und doch ist alles lahmgelegt, weil das Glaubensleben nicht blühen kann. Das Glaubensleben kann nur in der Gemeinschaft wachsen.
Warum ist das so? Weil Jesus Christus es geordnet hat, dass Sein Leib die Gemeinde ist. Das ist die Gemeinschaft der Christen. Man kann nicht in einem Leib sein, wenn eine Zelle sich isoliert, wenn sie für sich allein lebt, wenn das nicht zusammenhängt und ineinander übergeht.
Jetzt frage ich mich, wo wir das wahr machen. Lasst uns aufeinander Acht haben. Ich verbitte mir doch, dass ein anderer meinen Glauben kontrolliert. Oder wollen Sie jemanden haben, der Sie kontrolliert?
Haben Sie jemanden, der für Sie sorgt, damit das Glaubensfeuer bei Ihnen nicht verlöscht? Und für wen tragen Sie Sorge?
Nehmen Sie doch denjenigen, der Ihnen jetzt am nächsten ist. Fangen Sie doch an, auf dem Nachhauseweg ein paar Worte weiterzureden über das, was wir heute aus dem Wort Gottes gehört haben. So wie ich Ihnen meine Dinge mitteile, teilen Sie doch mit. Lasst uns aufeinander Acht haben!
In unserer Kirche gilt es gegenwärtig bei manchen als das Schlimmste, wenn man jemanden auf seinen Glauben hin befragt: „Willst du mich examinieren?“ Ja, hoffentlich! Wo kommen wir denn hin, wenn wir einander nicht befragen?
Ich darf doch einen Kirchengemeinderat fragen: Wie hältst du es mit dem Glauben? Stehst du in ununterbrochener Gemeinschaft mit dem Herrn? Sie müssen doch Ihren Pastor befragen. Sie müssen doch Ihren Freund beraten und befragen. In der Familie einander befragen, in Liebe und zu Recht helfen.
Lasst uns Anreize zur Liebe geben! Einen Wettbewerb veranstalten, bei dem einer den anderen übertreffen will an Liebe, an Güte, an guten Werken. Dass wir uns den Kopf zerbrechen, wie man etwas gut machen kann.
Davon bin ich nicht überzeugt, dass wir automatisch wissen, was das Richtige ist. Darum besprechen wir uns ja miteinander.
Was sind Sie für ein Mensch, wenn Sie allein wissen wollen, was richtig ist, was Gott wohlgefällig ist — gerade bei schweren Entscheidungen in Ihrem Leben?
Darum haben Sie doch Christen hier. Darum sitzen wir heute so eng zusammen. Es ist doch prima, Sie werden doch jemanden finden, mit dem Sie jetzt etwas bereden können, was Sie heute bedrängt.
Verlassen Sie nicht unsere Versammlungen, wie es manche pflegen!
Der unvergessliche Evangelist Wolfgang Dück, der zehn Jahre im Zuchthaus saß wegen Bankraubs und dann zum Glauben kam, ein brennender Zeuge Jesu wurde, nur ein paar Jahre dienen konnte und dann verunglückte, hat so nett zu diesem Wort gesagt:
Es stehe da, wir sollen unsere Versammlungen nicht verlassen. Das Sammeln könnten wir ruhig lassen, aber die Versammlungen sollten wir nicht verlassen.
Als Kirchenkritik ist das gemeint: Wir sollten da dabei bleiben, wo Menschen sich im Namen Jesu treffen. Denn sobald ich mich in den Kreis der Gläubigen einreihe, werde ich reich beschenkt, reich beschenkt!
Lasst uns einander ermahnen! Er sagt das extra noch einmal: Wenn wir zusammenkommen, dann soll das nicht ein Monolog von der Kanzel sein, sondern muss aufgearbeitet werden auf dem Nachhauseweg, durch das Gespräch, durch den Austausch untereinander.
Natürlich sollten wir uns das noch konkreter machen und noch praktischer ergänzen.
Die Bedeutung des gemeinsamen Glaubenslebens in der Adventszeit
Wir haben darüber gesprochen, warum uns das Warten leichtfällt und warum die Adventszeit so schön ist. Wir gehen jetzt miteinander in diese Festzeit hinein. Es wäre eine schlimme Not, wenn das nur ein andächtiges Nebeneinandersitzen in den Gottesdiensten wäre, wie im Beethoven-Saal der Liederhalle beim Konzert. Wenn das nicht in unserem Leben eine Wendung zur Gemeinschaft hin bewirken würde, zum Hinzutreten durch die offene Tür und zum gewissen Wissen.
Es ist tatsächlich so, dass wir nicht auf irgendetwas Ungewisses warten. Heute will Jesus Christus bei uns einkehren. Unsere Antwort darauf soll heißen: Komm, o mein Heiland, Jesus Christ, meins Herzen Tür, die offen ist. Amen.
Herr Jesus Christus, du hast die Wunde getroffen. Wir können nicht fröhlich feiern, wenn unser Gewissen uns anklagt, wenn Schuld unbereinigt ist und unser Leben vor dir verfehlt ist. Herr, du bietest uns heute die offene Tür an. Lass uns hindurchgehen durch die enge Pforte und das Ablegen von dem, was uns müde und träge macht.
Ja, Herr, lass diesen Anfang der Adventszeit für uns ein neuer Anfang unseres Glaubens und Lebens werden. Lass uns neue Freude haben an deinen großen Gaben, die du uns schenkst. Lass uns auch neu die Gemeinschaft entdecken, in der Christen um uns herum Erfahrungen mit dir machen. Lass uns erleben, wie stärkend es ist, wenn einer dem anderen Handreichung und Ermahnung gibt.
Wir danken dir auch, dass wir in der ganzen Tradition derer stehen dürfen, die auf deine Zukunft gehofft und gewartet haben und die uns dieses Wort weitergereicht haben. Hilf uns, dass wir dein Wort und dein Evangelium unverkürzt und unverändert an unsere Kinder und die nachfolgende Generation weitergeben können als den großen Trost der Hoffnung.
Lasst uns gemeinsam beten: Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Gottes Bitten: Herr, segne uns und behüte uns. Herr, lass dein Angesicht leuchten über uns und sei uns gnädig. Erhebe dein Angesicht auf uns und gib uns deinen Frieden!
