Einführung in das Thema der biblischen Lichtgeschichten
Das Thema, das alle Bibelarbeiten miteinander verbindet, heißt „Lichtgeschichten der Bibel“ beziehungsweise „biblische Lichtgeschichten“.
Das Johannesevangelium, das uns heute eine neue Perspektive eröffnen möchte, ist insgesamt eine solche Lichtgeschichte. Schon im ersten Kapitel beginnt es damit: „Er war das wahrhaftige Licht, das die Welt erleuchtet.“
Wir sehen hier wieder diese unglaubliche, strahlende Herrlichkeit Gottes, vor der Jesaja zusammengebrochen ist und ausrief: „Weh mir, ich vergehe vor der Herrlichkeit Gottes.“ Nun aber sagt Johannes als Zeuge: „Wir sahen die Herrlichkeit“ – allerdings mit der tröstlichen Lichtseite, einer Herrlichkeit voller Gnade und Wahrheit. Das Schreckliche dieser Herrlichkeit tritt nicht mehr in den Vordergrund.
Dieses Thema zieht sich durch das gesamte Johannesevangelium und sollte sich einprägen. Wenn man das Evangelium liest, begegnet man gleich zu Beginn der Geschichte der Hochzeit von Kana. Dort offenbarte Jesus seine Herrlichkeit. Das Licht ging auf. Zwar haben die anderen Hochzeitsgäste dies gar nicht begriffen, doch seine Jünger glaubten an ihn und sahen die Herrlichkeit.
Diese Linie zieht sich bis zum Kapitel 20 durch. Wenn Sie in Ihrer Bibel nachschlagen, finden Sie im Johannesevangelium, Kapitel 20, den Abschluss. Die letzten Verse, 30 und 31, sagen: „Jesus tat noch viele andere Zeichen vor seinen Jüngern, die nicht in diesem Buch geschrieben sind. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes.“
So zeigt sich die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes.
Die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes im Johannesevangelium
Wir sahen seine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater. Niemand hat Gott je gesehen, so heißt es im ersten Kapitel. Aber der, der im Schoß des Vaters ist, hat es uns verkündet. Er hat uns etwas von der Herrlichkeit Gottes gebracht.
Also sollt ihr glauben, dass Jesus dieser Sohn Gottes voller Herrlichkeit des Vaters ist, damit ihr durch ihn das Leben habt in seinem Namen. Dieses Wort ist ganz zentral wichtig.
Der junge August Hermann Francke, später der Gründer des Waisenhauses in Halle, Begründer der ersten evangelischen Mission in Deutschland, Reformer des Schulwesens in Preußen und Gründer der ersten kansteinischen Bibelanstalt, ist als junger Vikar durch dieses Wort zum Glauben gekommen. Er wollte darüber predigen: erstens, zweitens, drittens. Doch dann überfiel ihn die Frage: Habe ich denn durch Jesus wirklich das Leben? Was wäre denn in meinem Leben anders, wenn es Jesus nicht gäbe?
Gut, dann wäre ich vielleicht Hindu oder Moslem, und ich wäre nicht Pfarrer. Aber dann wäre ich vielleicht Lehrer, weil mich Menschen interessieren. Würde ich meine Zeit anders einteilen? Mein Geld anders verwenden? Was ist eigentlich durch Jesus in meinem Leben anders?
Wir sollen doch durch Jesus das Leben halten, dass Jesus das Leben gestaltet, prägt und durchdringt. Und da geriet er in Zweifel. Mache ich mir nicht in meiner Christlichkeit etwas vor? Ist es nicht alles nur scheinheilig, nur Schale?
Bis er in der Verzweiflung gerufen hat: Herr Jesus, wenn es dich gibt, erweise dich mir! Da hat er die Herrlichkeit des Herrn Jesus in seinem Leben gespürt. Er sagt, wie wenn eine Hand sich dreht, war ihm plötzlich bewusst: Jesus ist da, und durch ihn kann man das Leben haben.
Ab diesem Augenblick war sein Leben wie ein Vulkan voll neuer Kraft. Also ein ganz zentrales Wort.
Eigentlich hatte der Apostel Johannes gedacht: Jetzt mache ich Schluss, Amen, Punkt. Es gibt zwar noch viel mehr zu berichten, aber das Wichtigste ist euch gesagt von der Herrlichkeit Gottes, die wir in Jesus sehen, erkennen und erleben können.
Dann muss es ihm offenbar bewusst geworden sein: Ich muss doch noch eine Geschichte berichten, damit ganz klar wird, wie das ist mit der Herrlichkeit Gottes, mit diesem Licht aus der Welt Gottes.
Die erneute Offenbarung Jesu am See Tiberias
Und da wird dann das einundzwanzigste Kapitel beschrieben. Zuvor hatte er gesagt, es genügt, diese alle sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist und dass ihr durch den Glauben Leben habt.
Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias – also wieder das Stichwort Offenbarung. In der Bibel hat jedes Wörtchen, jede Vokabel eine Bedeutung. Im Johannes-Evangelium geht es vom Kapitel 1 an darum: „Er offenbarte seine Ehrlichkeit.“ Wenn Offenbarung geschieht, geht plötzlich unser Blick weit auf, es wird hell, es wird klar.
Jesus offenbarte sich so. Es waren beieinander Simon, Petrus. Jetzt muss ich schon innehalten, denn mit ihm war es doch eigentlich vorbei. Jesus hat auch klar gesagt: Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Den will ich bekennen, der gehört zu mir, Vater.
Aber wer mich verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem Vater. So will ich auch sagen: Vater, der gehört nicht zu mir. Es genügt also nicht, Herr, Herr zu sagen, sondern es kommt darauf an, ob du wirklich zu mir gehörst.
Und jetzt plötzlich berichtete Johannes, es waren beieinander Simon Petrus, der Sohn des Johannes, Barjona. Von ihm wird gleich am Anfang des Johannes-Evangeliums berichtet: Sein Bruder Andreas findet seinen Bruder Simon und sagt: „Wir haben den gefunden, von dem bei Gesetz und Propheten berichtet ist, Jesus von Nazaret.“
Als Simon sich von seinem Bruder Andreas zu Jesus führen ließ, sagt Jesus: „Von jetzt an sollst du nicht mehr Simon heißen.“ Kennen Sie die Geschichte? „So jetzt heißt du Kephas“, das heißt Felsenmann, unüberwindlicher Fels, auf den ich meine Gemeinde bauen will – so berichten es die anderen Evangelien.
Und wie ist es jetzt? Ist er wieder zurückgerutscht, degradiert? War plötzlich der Simon bloß noch da, nicht der Kephas? Wie geht es jetzt weiter? „Nimmst du mich noch einmal an?“ – so heißt ein Lied in unserem Gesangbuch.
Der Vater des Religionsphilosophen Søren Kierkegaard aus Dänemark hat als Hütejunge in einem schrecklichen Gewitter, in dem er nicht mehr aus und ein wusste, Gott verflucht. Und lebenslang hatte er den Eindruck: Jetzt ist aus mit mir, ich kann mich nicht mehr auf Gott berufen.
Sein Sohn hat lebenslang damit gerungen: Warum hat meinem Vater niemand gesagt, dass die Güte des Herrn Jesus, die Herrlichkeit des Herrn Jesus so groß ist, dass er sich selbst überbietet? Dass selbst dort, wo er sagt: „Wer mich verleugnet vor den Menschen, den will auch ich verleugnen“, Jesus das überbietet und noch einmal anfängt mit einem, der eigentlich kein Recht mehr hat, zu Jesus zu gehören.
Nimmst du mich noch einmal an?
Die Spannung in der Geschichte um Simon Petrus
Schon mit dem Stichwort „Es waren beieinander Simon“ entsteht eine Spannung in der Geschichte. Hört die Herrlichkeit Gottes, voll Gnade, auch einmal auf? Oder ist gerade die Begrenzung die Gnade?
Ich meine also: Beieinander sind Simon, wir werden davon hören, Simon Petrus, und Thomas, der Zwilling genannt wird. Von ihm wissen wir, gerade durch das Johannesevangelium, dass er derjenige war, der gesagt hat, es sei ganz technisch und biologisch unmöglich, dass jemand vom Tod zurückkommt.
Vielleicht hat er auch theologisch tiefer gedacht und gesagt, es wäre peinlich, wenn der zurückkäme mit den Nägelmalen und der Seitenwunde. Da wären wir ja blamiert, wenn der zurückgekommen wäre als der große Heiler, als der große Prediger. Als jemand, der gescheitert ist, als Krüppel sozusagen, wenn die Jünger ihn an den Wundmalen erkannt haben. Das kann doch nicht sein.
Und dann erscheint extra für ihn, den Zweifler, der Herr Jesus als Auferstandener – speziell für Thomas. Er erbarmt sich derer, die zweifeln, und sagt: „Komm!“
Aber bevor Thomas überhaupt seine Hand in die Nägelmale legt, bevor er seine Hand auf die Seitenwunde des Herrn Jesus legt, ruft er: „Mein Herr, mein Gott!“ Das ist ja Gottes Herrlichkeit, Gottes Vollkommenheit, Gottes Glanz, Gottes Perfektion – derjenige, der die Herrlichkeit Gottes gesehen hat, noch im gekreuzigten, auferstandenen Jesus.
Beieinander sind Simon Petrus, der ehemalige Felsenmann, und der Zweifler Thomas, Nathanael aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger.
Simon Petrus spricht zu ihnen: „Ich will fischen gehen.“ Sie denken jetzt: Er ist wieder zurück, der Nachfolger des Herrn Jesus, über den Jesus gesagt hat, dass sie regieren und auf den zwölf Stühlen sitzen und das neue Volk Israel repräsentieren werden.
Jetzt ist er wieder am Ausgangspunkt, der Fischer vom See Genezareth. Vielleicht fangen wir ein paar Karpfen.
Und sie sprechen: „Wir gehen mit dir.“ Sie gehen hinaus, steigen in das Boot, und in dieser Nacht fangen sie nichts.
Die Bedeutung des nächtlichen Fischfangs ohne Erfolg
Als es Nacht war, wie damals drei Jahre zuvor, sagten sie: Herr, wir haben die ganze Nacht gefischt und nichts gefangen. War Petrus degradiert, wieder bis zum Nullpunkt? War alles aus – die drei Jahre mit Jesus, das, was uns oft bewegte, mit denen, die mit uns in den Chören waren, im Posaunenchor, die Mitarbeiter in der Jugendarbeit? Gibt es das, dass man verworfen wird? Was uns bewegt um Kinder und Enkel? Gibt es das, dass man wieder abgeschoben wird?
In dieser Nacht fingen sie nichts. Petrus hätte ja sagen können: Der Jesus hat damals im See von Nazareth dafür gesorgt, dass unsere Netze voll waren. Es muss doch irgendwo klappen. Nein, sie fingen nichts. Ohne dich, wo kämen Kraft und Mut mehr her? Nicht einmal eine Sardine kommt da ohne Jesus.
Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer. Die Jünger wussten nicht, begriffen nicht, dass es Jesus war. Das ist eine biblische Lichtgeschichte: Wie es Licht wurde, aber die Jünger hatten noch gar nichts begriffen davon – sie, die drei Jahre mit Jesus zusammen waren.
Kennen Sie das? Sie wollen Jesus gehören, ihn lieben, sie erwarten etwas von ihm und kommen leer heim – von Freizeiten, leer von Gottesdiensten, leer vom Bibellesen. Sie fingen nichts, und Jesus war so nahe.
Jesus spricht zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Stellen Sie sich vor, diese Fischer, die die ganze Nacht draußen auf dem See Genezareth waren, hungrig, nichts zu essen, kein Frühstück, leerer Magen, müde, durchfroren, enttäuscht. Man muss sich vorstellen, wie armselig sie vor Jesus standen. Die Augen waren gesenkt, da sie noch nicht einmal begriffen hatten, dass das unser lieber Herr Jesus, unser Heiland, war.
Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie das Netz aus und konnten es nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.
Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr, der Jesus. Das ist ja wie vor drei Jahren, als dieser Jesus von Nazareth uns geboten hat, das Netz zur Rechten des Schiffes auszuwerfen. Dann werdet ihr eine Menge Fische ziehen. Das ist der Herr. Wenn er da ist, muss nichts vergeblich bleiben.
Die Gewissheit der Arbeit im Werk des Herrn
Apostel Paulus hat es am Schluss des ersten Korintherbriefs Kapitel 15 so formuliert: Seid fest, unbeweglich und nehmt immer zu im Werk des Herrn, weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist, solange Jesus da ist. Es ist nicht umsonst, solange Jesus da ist, kein Schlag ins Wasser, solange Jesus da ist.
Das ist keine bloße Behauptung, sondern eine Erfahrung aus der Zeit der ersten Christenheit. Zum Beispiel begann im Jahr 1949, nach hundert Jahren Missionsarbeit in China, die letzte Phase, in der die letzten Missionare China verlassen mussten. Man rechnete damals mit ein bis zwei Millionen getaufter Christen. Das war das Ergebnis von hundert Jahren hingebungsvoller Missionsarbeit.
Diese Christen landeten später in den Konzentrationslagern und Umerziehungslagern der Kommunisten. Doch heute, auch ohne Missionare, sieht die Situation ganz anders aus. Erst vor 14 Tagen berichtete Professor Welker, der gerade von einer Reise nach China zurückgekehrt war.
Er sagte: Wir rechnen gewiss mit hundert Millionen Christen in China. Er war an Hochschulen in China, die nach wie vor von kommunistischen Kadern beherrscht werden. Dennoch betont er, dass es eine lebendige Nachfrage nach Jesus gibt, nach der Bibel und nach Menschen, die mit ihm beten können.
Deshalb ist die Arbeit nicht vergeblich, solange Jesus da ist – selbst wenn kein Missionar mehr vor Ort ist. Es ist kein Schlag ins Wasser.
Die Geschichte der Missionare in Korntal und ihre Bedeutung
Bei uns in Korntal darf ich meinen Ruhestand verbringen. Zusammen mit meiner Frau haben wir dort eine Art Heldenfriedhof. Unser alter Friedhof, Geschwister Zimmermann, beherbergt viele Missionare, die ganz in der Nähe wohnen.
Eine Vielzahl von Missionaren, angefangen bei Samuel Hebich, sind dort bestattet. Auch Johannes Rebmann, der erste Weiße, der den Kilimandscharo entdeckte, ruht dort. Dr. Ludwig Krapf war der erste Weiße, der den Mount Kenya gesehen hat.
Diese Missionare wollten jedoch keine geografischen Entdeckungen machen. Obwohl Alexander von Humboldt vor Freude wie ein Kind an Weihnachten jauchzte, als er hörte, dass es Sechstausender-Schneeberge unter dem Äquator gibt, hatten sie eine andere Mission. Sie wollten den Oromos oder Galas, einem großen Stamm in Ostafrika, das Evangelium bringen. Sie sagten: Wenn Jesus einmal die Oromos gewinnt, dann wird das Evangelium und der Glaube sprunghaft voranschreiten.
Doch in fünf Jahrzehnten konnte Ludwig Krapf keinen einzigen Afrikaner taufen. Rebmann taufte nur einen, einen Ausgestoßenen, der von seinem Stamm verstoßen war. Als sie todkrank und erblindet nach Korntal zurückkehrten, hatten sie den Eindruck, dass alles umsonst gewesen sei. Die Übersetzungsarbeit der Bibeln ins Amharische, im Hochland von Äthiopien, mit 5000 verteilten Bibeln, erschien ihnen als Makulatur – vergessen und vergeblich.
Heute jedoch gibt es in Äthiopien eine lebendige Kirche, zwei Kirchen: die Kalehewat-Kirche und die Mekane-Jesus-Kirche. Ein schwedischer Forscher hat nachgewiesen, dass die ersten Bibeln, die Krapf verteilt hat, die Grundlage für diese Erweckung waren. Achtzig bis hundert Jahre später konnte daraus eine lebendige Bewegung entstehen.
In Ostafrika, in der Kathedrale von Nairobi, befinden sich neben dem Bild des Gekreuzigten zwei Farbfenster. Eines ist Johannes Rebmann gewidmet, das andere Ludwig Krapf. Die Afrikaner sagen: Das sind unsere Väter. Ja, sie haben kaum jemanden getauft. Doch der Herr Jesus hat an dem angeknüpft, wo man dachte, es sei nichts da.
Wenn ihr euch fragt, ob eure Arbeit umsonst war: Nichts muss vergeblich sein, wenn Jesus da ist. Wo er wirkt, ist nichts umsonst.
Die erneute Begegnung am See und das Netz voller Fische
Als es Morgen wurde, stand Jesus am Ufer und sprach: "Werft das Netz aus zur rechten Seite des Bootes, so werdet ihr fangen." Sie warfen es aus und konnten es wegen der Menge der Fische nicht mehr ziehen.
Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, Johannes, zu Petrus: "Es ist der Herr." Es gab also zwei Momente, in denen es hell wurde. Zum einen war es der Morgen, als Petrus begriff, was geschehen war. Wir werden gleich noch mehr davon hören. Sogar bei mir will der Herr Jesus noch einmal anknüpfen – sogar bei mir.
Es war der Morgen, an dem die Christenheit begriff, dass solange Jesus da ist, nichts umsonst sein darf und nichts vergeblich ist.
Wir machen weiter bei Vers 7: Als Simon Petrus das hörte, dass es der Herr war, gürtelte er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. Die anderen aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen entfernt. Sie zogen das Netz mit den Fischen.
Die übliche Auffassung ist, wenn man mit klarem Verstand liest, dass Petrus als guter Schwimmer sich ins Wasser warf, um schnell bei Jesus zu sein. Die anderen kamen mit dem Boot nach.
Ich frage mich aber immer, ob es nicht auch so gewesen sein könnte, dass Petrus dachte: "Liebe Zeit, dem möchte ich nicht begegnen." Und dann ging er auf der anderen Seite vom Boot über Bord. So nach dem Motto: "Da möchte ich nicht dabei sein, wenn ihr mit dem Boot zu Jesus kommt." Es könnte ja sein.
Es gibt manche Dinge, die wir in der Bibel nicht wissen, aber wir müssen uns das mal vorstellen: Er warf das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. Die anderen Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen entfernt, und zogen das Netz mit den Fischen.
Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer, auf dem Fische und Brot lagen. Jesus sprach zu ihnen: "Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt."
Simon Petrus, jetzt wieder da, stieg hinein und zog das Netz an Land. Es war voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig an der Zahl. Obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht.
Viele Ausleger haben gesagt, damals habe man mit 153 Großvölkern gerechnet. Symbolisch gemeint sei, dass die Kirche mit ihrem Netz alle Völkerscharen einsammeln darf. Ich weiß nicht.
In meiner Jugend habe ich einen Ausleger erlebt, der so ausgelegt hat: Die anderen Jünger waren bei Jesus, weil du da bist und weil wir in deiner Nähe sein dürfen. Und Petrus ging zum Netz hinunter und zählte die Fische. Er wagte sich nicht in die Nähe des Herrn Jesus – könnte ja auch sein.
Jesus sprach zu ihnen: "Kommt und haltet das Mahl." Niemand aber unter den Jüngern wagte ihn zu fragen: "Wer bist du?" Denn sie wussten, dass es der Herr war.
Da kam Jesus, nahm das Brot und gab es ihnen, ebenso auch die Fische – wie ein Abendmahl.
Dies ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.
Das dreifache Liebesbekenntnis Jesu an Petrus
Und jetzt geht es wieder um Petrus. Als das Mahl gehalten war, spricht Jesus zu Simon Petrus: „Simon Bar-Jonah, Sohn des Johannes.“ Damit nennt er ihn nicht mehr bei seinem Ehrennamen Kephas, sondern so, wie er eigentlich ist. Nicht mehr als Ehrenname, sondern als Sohn von Johannes.
Dann fragt Jesus: „Hast du mich lieber als diese?“ Petrus antwortet: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Jesus sagt zu ihm: „Weide meine Lämmer!“ Damit meint er seine armen, in Gefahr befindlichen Lämmer, die leicht weglaufen können – die dummen kleinen Lämmer. Johannes 10 beschreibt Jesus als den Hirten. Jetzt gibt er Petrus den Auftrag: „Weide du meine Lämmer!“
Jesus fragt zum zweiten Mal zu Petrus: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“ Zuvor hatte er gefragt: „Hast du mich lieber?“ – im Komparativ. Petrus antwortet wieder: „Du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Jesus knüpft daran an: „Hast du mich wirklich lieb?“ Petrus sagt: „Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Jesus sagt: „Weide meine Schafe!“
Zum dritten Mal fragt Jesus: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“ Petrus wird traurig, weil Jesus ihn zum dritten Mal fragt: „Hast du mich lieb?“ Er antwortet: „Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Jesus sagt: „Weide meine Schafe!“
Dann spricht Jesus weiter: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürteltest du dich selbst und gingst, wohin du wolltest. Wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst.“ Damit deutet Jesus an, mit welchem Tod Petrus Gott preisen wird.
Nachdem er das gesagt hat, spricht Jesus zu ihm: „Folge mir nach!“
Jetzt sind wir wieder am Ausgangspunkt. Das große, begnadigende Wort, das Jesus einst zu dem Fischer Simon am See Genezareth gesagt hat – das Wort des Evangeliums: „Kommt doch, ihr Mühseligen und Beladenen, kommt doch zu mir!“ – ist entscheidend. So hat Jesus sogar zu den mit ihm am Kreuz Verurteilten und Hingerichteten gesagt: „Du wirst mit mir im Paradies sein.“
Wer mich vor den Menschen verleugnet, den will auch ich verleugnen. Und jetzt überbietet sich Jesus noch einmal: „Komm, genau dich will ich haben!“
Unter einer Bedingung: „Hast du mich lieb?“ Jesus hätte ja moralisch kommen können und sagen: „Petrus, wir müssen miteinander reden. Tut dir das eigentlich überhaupt nicht leid, was passiert ist?“ Dann wäre Petrus erstarrt und hätte wahrscheinlich kein Wort herausgebracht.
Oder Jesus hätte pädagogisch fragen können: „Was meinst du? Wie kannst du diese dumme Geschichte wieder gut machen? Hast du da was überlegt?“
Man muss erkennen, wie merkwürdig diese Frage ist: „Hast du mich lieb?“ Jesus legt bei seinen Nachfolgern nicht Wert darauf, was sie leisten.
Die wahre Grundlage des Glaubens: Liebe zu Jesus
Heute wird das Christentum in unserer Zeit oft so dargestellt, dass es vor allem um moralische Werte geht, um es in den Augen der Öffentlichkeit akzeptabel zu machen. Man sagt, wir können dazu beitragen, dass wieder Ethik in unser Volk einzieht. Es wird betont, dass wir viele Aspekte und eine große Geschichte haben.
Doch der Glaube an Jesus besteht in nichts anderem als in einer einfachen Beziehung. Es geht nicht um große Moral, gewaltige Theorien, umfangreiche Theologien oder eine mächtige Philosophie. Es geht um ein paar arme Leute, die nichts anderes sagen können als: „Ich habe dich lieb, Herr Jesus. Ich möchte nicht mehr ohne dich leben. Ich kann nicht mehr ohne dich leben.“
Auf meinem Nachttisch liegt die Bibel, die meine Mutter benutzt hat. Erst dadurch wurde ich darauf aufmerksam, dass sie auf dem hinteren Umschlagblatt nach dem frühen Tod meines Vaters folgendes geschrieben hat: „Ich kann nicht mehr ohne dich leben.“ Das ist ein Gedicht von Georg. Wenn schon unter Eheleuten so etwas wie Liebe besteht – „Ich kann nicht mehr ohne dich leben“ –, dann ist das etwas Besonderes.
Die Ehe meiner Eltern war geprägt von manchen Spannungen. Sie waren sehr unterschiedlich, bereichernd, manchmal auch spannungsvoll. Aber die Aussage „Ich kann nicht mehr ohne dich leben“ bleibt bestehen. Gibt es etwas Schöneres? Gestern Abend sagte meine Frau am Telefon: „Wann kommst du heim?“ Das zeigt, dass man zusammengehört. Das ist Liebe.
Nicht das, was heute oft als Liebe beschrieben wird – das Turzeln, die Emotionen, das Betätscheln. Vielleicht bin ich da etwas anders eingestellt. Es wird immer üblicher, nicht nur bei Gorbatschow und Jelzin, dass man sich mit „Küsschen, Küsschen, Wange an Wange“ begrüßt. Das greift auch unter manchen Christen um sich. Aber vielleicht bin ich da einfach anders gestrickt.
Liebe besteht in etwas ganz anderem: „Ich kann nicht ohne dich leben.“ Petrus, hast du mich lieb? Ist es dir wichtig, zu mir zu gehören? Das ist unserem Herrn Jesus wichtig – das Liebhaben. Es geht nicht mehr um Äußerlichkeiten.
Man wird merken, wie oft gerade im Johannesevangelium Worte zitiert werden, die Jesus gesagt hat: „Wer mich liebt, den wird auch mein Vater lieben.“ Was heißt das, Herr Jesus, dich lieb zu haben? Wie soll man das machen? „Ich will dich lieben, meine Stärke, ich will dich lieben, meine Zier.“ „Ehret, liebet, lobet ihn“ – aber wie macht man das?
Man muss nichts Besonderes tun. Man soll nur wissen: „Keinen Tag, Herr Jesus, möchte ich auf dich verzichten.“ Ich brauche dich. Ich brauche deine Bewahrung, damit ich nicht meine eigenen Dummheiten mache. Herr Jesus, wenn ich je in das Reich Gottes kommen soll, kannst nur du das fertigbringen. Ich gehe oft die falschen Wege, mein Leben ist unvollkommen, aber ich verlasse mich auf dich, der du sagst: „Komm, folge mir nach!“
Die Liebe, die der Herr Jesus uns so wichtig macht, ist die einzige Grundlage und das Wesen unseres Glaubens.
Die Unsicherheit des Petrus und das Vertrauen auf Jesus
Und vielleicht ist das Schönste – aber ich möchte ja nichts hineinlesen – dass ich immer wieder höre, wie im Vers 17 Petrus traurig wurde, weil Jesus zum dritten Mal zu ihm sagte: „Hast du mich lieb?“ Petrus antwortete: „Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe.“
Ich höre darin heraus, dass Petrus sagen will: „Herr, ich verstehe mich selbst nicht mehr richtig. Warum ist es passiert, dass ich dich verleugnet habe? Ich wollte das doch gar nicht. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich wirklich an dich glaube, ob ich dich wirklich liebe. Aber du weißt es.“
Das zeigt, dass man die Gewissheit unseres Glaubens dem Herrn Jesus überlässt und nicht darauf achtet, wie es im Inneren aussieht. Dort herrscht oft ein Durcheinander von Gefühlen, Wissen und Eindrücken.
Habe ich es nur getan, weil meine Mutter mich gelehrt hat, an Jesus zu glauben? Weil die Großmutter biblische Geschichten erzählte? Weil ich einen guten Stadtmissionar oder einen guten theologischen Lehrer hatte? Liebe ich dich wirklich oder ist es nur Gewohnheit?
Man kann leicht durcheinanderkommen, wenn manche Leute sagen: „Wenn du in Indien geboren wärst, wärst du vielleicht ein Hindu.“
Ich weiß nicht, Herr Jesus, ob ich dich wirklich liebe oder ob es nur Gewohnheit ist. Aber auch du weißt alle Dinge.
So empfehlen wir selbst die Frage der Gewissheit unseres Glaubens dir an. Du hast mich gerufen, Herr, und jetzt möchte ich einfach nur dir gehören und keinen Tag mehr ohne dich leben.
Selbst wenn das wahr wird, was Jesus im Vers 18 sagt: „Ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst.“ Dann ist Jesus dabei.
Ich habe mir am Rand meiner Bibel ein paar Daten notiert. Es waren immer Daten, an denen die Ärzte sagten: „Wir können zwar versuchen, aber es gibt nicht viel Hoffnung.“
Doch Jesus ist dabei, wenn menschlich gesprochen keine Hoffnung mehr da ist. Wenn wir dorthin geführt werden, wo wir eigentlich nicht hinwollen.
Herr Jesus, ich habe dich lieb, und ich brauche dich auch dann, wenn ich selbst nichts mehr tun kann, um mein Leben zu retten. Auch wenn ich dorthin geführt werde, wo ich nicht hinwill.
Das Bekenntnis „Wohl mir, dass ich Jesum habe“
Als einmal bei uns in Schörndorf im Gemeindehaus der neue, schöne Flügel eingeweiht wurde, hatte unser Kirchenmusikdirektor einen so teuren Flügel bestellt, dass wir jahrelang abzahlen mussten. Aber zur Einweihung sagte er, die Dora Metzger solle als Pianistin kommen.
Dora Metzger, eine Christenfrau aus Cannstatt und Konzertpianistin, spielte ein herrliches Konzert auf dem Flügel. Als der Applaus nicht enden wollte und sie eine Zugabe gab, sagte sie ganz schlicht: „Wohl mir, dass ich Jesum habe“, und spielte ein herrliches Vorspiel von Bach. Für sie war das ein Bekenntnis: Wohl mir, dass ich Jesum habe.
Ich denke immer noch, dass dieser Satz noch überboten werden kann: Wohl mir, dass Jesus mich hat. Herr, du weißt alle Dinge und sagst: Folge mir nach. Doch nicht mein Entschluss allein zählt. Petrus hat gemerkt, wie wenig tragfähig seine eigenen Schlüsse sind. Es ist wahr geworden: „Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre, und wenn du dich einmal bekehrst, so stärke deine Brüder.“ Wohl mir, dass Jesus mich hat.
Da ist Licht geworden für Petrus, dass Jesus auch anknüpft bei Menschen, die eigentlich normalerweise nicht mehr zu Jesus gehören dürften. Da ist Licht geworden für Menschen, die gefragt haben, ob nicht alles vergeblich sei. Nein, nicht vergeblich im Herrn! Es ist hell geworden für ein paar Jünger, die begriffen haben, nach all den vielen Unterweisungen: Es kommt bloß noch darauf an, dass ich den liebe, der mehrfach gesagt hat: „Vater, ich will, dass die bei mir seien, die du mir gegeben hast.“ Auch Sohn Petrus, ich will, nicht „wir“. Ich will wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass ihr seid, wo ich bin. Wenn ich erhöht werde von der Erde, will ich alle zu mir ziehen, auch den Petrus.
Verstehen Sie, das ist eine Lichtgeschichte der Bibel: Plötzlich meinten ein paar schwache Nachfolger Jesu, sie seien wieder am Nullpunkt. Klar wurde, was das bedeutet, wenn Jesus etwas will: „Ich will euch zu mir ziehen, Vater, ich will, dass die bei mir sind, einschliesslich Thomas, der Zweifler, einschliesslich Petrus, der Verleugner, die bei mir sein sollen, die du mir gegeben hast.“ Herr Jesus, das gilt doch auch uns, dass du das willst. Und in diesem Wollen wollen wir uns bergen und es gelten lassen für uns, dass das in den Tagen, die du uns hier gewährst, und bis in die Ewigkeit hinein gilt.
Du weißt alle Dinge, du weißt um unsere Schwachheit, unseren Wankelmut. Aber jetzt wollen wir uns dir anbefehlen, dass die Freude in unser Leben kommt. Wohl mir, dass du mich hast, wohl mir! Lass es so Licht werden, offenbare so deine Herrlichkeit an uns! Amen!