Wie unterscheide ich Schuld von Schuldgefühlen?

Jürg Birnstiel
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Serie | 5 Teile

Im Glauben reifen und erwachsener werden

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Serie: Im Glauben reifer und erwachsener werden! (3/5)

Einleitende Gedanken

Schuldgefühle kennt jeder Mensch. Einige haben sie häufiger, andere weniger. Sie entstehen, wenn wir den Eindruck haben, dass wir den Anforderungen, die wir an uns stellen oder Anforderung, die Menschen an uns stellen, nicht genügen. Wir können den Werten nicht gerecht werden, die uns wichtig scheinen. Schuldgefühle stehen oft in Verbindung mit Scham, Enttäuschung und sogar Wut über uns selbst. Schuldgefühle können eigenständig sein. Das heisst, es muss nicht unbedingt eine Schuld vorhanden sein. Sie können ähnlich wie Phantomschmerzen in Erscheinung treten. Also wie bei einem Menschen, dem das Bein amputiert wurde und er in diesem nicht mehr vorhandenen Bein Schmerzen verspürt, Schmerzen, die eigentlich gar nicht existieren können. Genauso können wir Schuldgefühle haben, ohne vorhandene Schuld. Heute werden wir uns über Schuld und Schuldgefühle Gedanken machen und schauen, was für ein gesundes geistliches Wachstum hilfreich sein kann. Ob eine Schuld vorliegt oder nicht, ist nicht immer einfach zu beantworten. Ich möchte euch das an zwei ethische Zwickmühlen zeigen. Ethische Zwickmühlen sind Entscheidungen, die getroffen werden müssen und egal wie man sich entscheidet, wird jemand aufgrund dieser Entscheidung grosse Nachteile haben oder sogar sterben. Bei der ersten Zwickmühle wird uns die Entscheidung leicht fallen, aber wir bekommen schon mal eine Vorstellung davon, was eine ethische Zwickmühle ist. In einem Krankenhaus liegen fünf Patienten im Sterben; bei jedem ist ein Organ die Ursache, das seinen Dienst versagt. Alle könnten überleben, wenn jeweils ein Spender für das kranke Organ zur Verfügung stünde, aber das ist nicht der Fall. Da fällt dem Chirurgen auf, dass im Wartezimmer ein gesunder Mann sitzt, bei dem alle fünf Organe gut funktionieren und der sich für die Transplantationen eignen würde. Somit könnte er mit einem Leben fünf Leben retten. Darf man das? Nein, das darf man nicht. Bei den Befragten einer Forschungsarbeit waren 97% der Meinung, das sei ethisch nicht vertretbar. Die nächste ethische Zwickmühle ist schon etwas kniffliger und schwieriger. Da fährt ein herrenloser Eisenbahnwaggon mit fünf Passagieren auf eine zerstörte Brücke zu. Der Waggon würde in die Tiefe stürzen und die fünf Passagiere wären sofort tot. Denise, die im Stellwerk arbeitet, könnte den Waggon auf ein Nebengleis umleiten und diese fünf Menschen vor dem sicheren Tod retten. Leider arbeitet auf diesem Nebengleis ein Mann, der Ohrenschütze trägt und mit einem Presslufthammer auf dem Gleis arbeitet. Würde Denise den Waggon umleiten, würde dieser Mann mit Sicherheit getötet. Wie würdest du entscheiden, wenn du im Stellwerk wärst? 90% der befragten Leute meinten, es sei richtig, den Waggon umzuleiten. Nun, egal wie Denise entscheiden würde, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie danach von Schuldgefühlen gequält würde. Aber konnte sie sich mit dieser Entscheidung überhaupt schuldig machen? Mit diesen Fragen wollen wir uns jetzt beschäftigen: Wie unterscheide ich Schuld von Schuldgefühlen?

I. Schuldgefühle ohne Schuld

Natürlich kommt es sehr selten vor, dass wir eine so schwierige Entscheidung innert so kurzer Zeit treffen müssen, wie Denise das im Stellwerk tun musste. Und niemand von uns möchte solche Entscheide treffen müssen. Aber auch wir sind oft mit ethischen Zwickmühlen konfrontiert. Wenn wir zum Beispiel Eltern in ein Heim einweisen müssen, obwohl sie das nicht wollen, aber sie auch nicht mehr in der Lage sind, in der eigenen Wohnung zu bleiben. Entweder lassen wir sie in der Wohnung und sie verwahrlosen langsam, oder wir unterstützen eine Heimeinweisung und sie werden unglücklich und ärgerlich sein. Ein ähnliches Problem kann auch ältere Ehepaare treffen, wenn ein Ehepartner nicht mehr zu Hause bleiben kann, weil die Belastung für den anderen einfach zu gross wird und die nötige Pflege zu Hause nicht mehr gewährleistet werden kann. Auch in der Erziehung unserer Kinder gibt es immer wieder mal solche schwierige Entscheidungen. Und je mehr Verantwortung man im Beruf hat, je öfter können von uns solche Entscheidungen gefordert werden. Besonders schwierig sind Entscheidungen, die zu Entlassungen führen und man weiss, dass diese Leute es schwierig haben werden, eine neue Arbeit zu finden. Es überrascht nicht, wenn wir bei solchen Entscheidungen Schuldgefühle bekommen. In diesem Zusammenhang sprechen wir auch von einem schlechten Gewissen. Das Wichtigste ist, dass wir dieses Schuldgefühl nicht einfach verdrängen, denn das kann unsere Seele krank machen und unser Gewissen wird dadurch abgestumpft. So könnten wir uns zu skrupellosen Menschen entwickeln. Wenn ich Schuldgefühle habe, ist es wichtig zu analysieren, warum ich dieses Gefühl habe. Liegt tatsächliche eine Schuld vor? Habe ich mich falsch verhalten oder mich falsch entschieden? Wenn sich herausstellt, dass keine Schuld vorliegt, dann muss ich einfach warten, bis dieses Gefühl verschwindet und es wird schneller verschwinden, wenn ich weiss, dass es für dieses Gefühl keinen wirklichen Grund gibt. Liegt jedoch eine Schuld vor, dann muss ich überlegen, was zu tun ist. Habe ich mich gegenüber einem Menschen schuldig gemacht, dann sollte ich überlegen, wie ich das wieder gut machen kann, wenn das noch möglich ist. Ich könnte mich z.B. entschuldigen. Habe ich bei meiner Arbeit einen Fehler gemacht, der negative Auswirkungen hat, dann sollte ich dazu stehen und soweit das möglich ist zur Behebung des Schadens beitragen. Das sind ganz normale Ereignisse, die in unserem Leben vorkommen. Unser Anliegen sollte sein, dass wir mit solchen Situationen offen umgehen, damit wir soweit es möglich ist, mit den Menschen einen guten und vorbildlichen Umgang als Christen haben. Paulus sagte das einmal so:

«Wenn es möglich ist und soweit es an euch liegt, lebt mit allen Menschen in Frieden.» Römer 12,18

Es gibt Menschen, die für Schuldgefühle viel empfänglicher sind als andere. Für solche hochsensible Menschen ist es besonders wichtig, den Grund für das entstandene Schuldgefühl zu suchen. Stellt sich heraus, dass es keinen ernstzunehmenden Grund dafür gibt, können sie innerlich wieder zur Ruhe kommen und lernen, dass sie sich durch solche Schuldgefühle nicht irritieren lassen müssen. Für Christen ist es zudem wichtig zu wissen, dass Schuldgefühle und Schuld nicht immer gleich mit Gott in Verbindung stehen müssen. Nicht jeder Fehler und nicht jede Schuld, die uns angelastet werden kann, hat etwas mit unserem Glauben und unserer Beziehung zu Gott zu tun. Wenn ich am Arbeitsplatz, in der Erziehung der Kinder, gegenüber einem Freund einen Fehler machen oder mich schuldig mache, bedeutet das nicht zwingend, dass ich mich auch vor Gott schuldig gemacht habe. Natürlich gibt es Schuldgefühle und Schuld, die aufgrund einer Sünde entstanden sind und die wir mit Gott in Ordnung bringen müssen. Wenn ich Gott gegenüber Schuldgefühle haben, dann muss ich auch überlegen, welche Schuld diese Gefühle hervorgerufen haben. Denn wenn ich Gott um Vergebung bitten will, dann nicht für meine Schuldgefühle, sondern für die Sünde, die ich begangen habe. Eine Schuld gegenüber Gott ist immer etwas, was ich getan oder nicht getan habe. Eine Schuld gegenüber Gott hat immer eine Geschichte, sie ist nicht einfach ein Gefühl. So war es beim König David, als er mit Batseba die Ehe brach und danach ihren Mann töten liess. Dieses Vergehen war nicht einfach eine Schuld, die er mit Batseba hätte regeln können. Dieses Vergehen war eine Tat, mit der er sich vor Gott schuldig machte. Egal aus welchem Grund und mit wem er Ehebruch begangen hatte, damit machte er sich in jedem Fall vor Gott schuldig. Und das wusste er selbst, denn als er endlich zur Einsicht kam betete er:

“Gegen dich allein habe ich gesündigt, ja, ich habe getan, was in deinen Augen böse ist. Das bekenne ich, damit umso deutlicher wird: Du bist im Recht mit deinem Urteil, dein Richterspruch ist wahr und angemessen.” Psalm 51,6

Ich kann Schuldgefühle haben, aber es muss nicht zwingend eine Schuld der Grund für dieses Gefühl sein. Es kann auch ganz einfach mit meiner Erziehung oder mit meiner Sensibilität zu tun haben, dass ich mich schnell schuldig fühle, auch wenn keine Schuld vorhanden ist. Ist jedoch eine Schuld vorhanden, bei der sich herausstellt, dass ich mich auch vor Gott schuldig gemacht habe, dann sollte ich mich unbedingt an Jesus wenden. Johannes schreibt:

“Meine lieben Kinder, ich schreibe euch diese Dinge, damit ihr nicht sündigt. Und wenn jemand doch eine Sünde begeht, haben wir einen Anwalt, der beim Vater für uns eintritt: Jesus Christus, den Gerechten.” 1.Johannes 2,1

Wir können uns mit unserer Schuld an Jesus wenden, der beim Vater sich dafür einsetzt, damit uns diese Schuld nicht angerechnet wird. Oder einige Sätze vorher sagt es Johannes so:

“Wenn wir unsere Sünden bekennen, erweist Gott sich als treu und gerecht: Er vergibt uns unsere Sünden und reinigt uns von allem Unrecht, das wir begangen haben.” 1.Johannes 1,9

Und wenn wir die Schuld aufrichtig bekannt haben, dann sollten wir für die Vergebung dankbar sein und uns darüber freuen, dass diese Schuld von Gott beseitigt worden ist. Folgen von Schuld werden bleiben, aber die Schuld ist vergeben.

II. Schuld ohne Schuldgefühle

Es gibt natürlich auch Menschen, die weniger sensibel sind und nicht so schnell Schuldgefühle bekommen. Das ist nichts verwerfliches. Es kann aber dazu führen, dass sie Schuld auf sich laden und das nicht einmal merken. Sie sind davon überzeugt, sie würden das Richtige tun. So war es bei dem Mann, der in den Tempel in Jerusalem ging, um dort zu beten. Er bemerkte, dass ein Zöllner im Tempel betete. Er ärgerte sich, dass es dieser sündige und gottlose Mann überhaupt wagte, diesen heiligen Ort zu betreten. Also betete er:

“Ich danke dir, Gott, dass ich nicht so bin wie die übrigen Menschen – ich bin kein Räuber, kein Betrüger und kein Ehebrecher, und ich bin auch nicht wie jener Zolleinnehmer dort. Ich faste zwei Tage in der Woche und gebe den Zehnten von allen meinen Einkünften.” Lukas 18,11–12

Dieser Mann war davon überzeugt, dass er gegenüber Gott keine Schuld habe. Grundsätzlich wäre das ja möglich, aber er meinte, er sei schuldlos, weil er so viele religiöse Werke vorweisen konnte. Diese Werke gaben ihm eine falsche Sicherheit. Jesus sagte zu diesen Leuten:

“Ihr gebt den zehnten Teil von Kräutern wie Minze, Dill und Kümmel und lasst dabei die viel wichtigeren Forderungen des Gesetzes ausser Acht: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue.” Matthäus 23,23

Diese Leute hatten sich durch viel Anstrengung eine Sicherheit geschaffen. Sie taten aber nicht das, auf was Gott wert legte. Sie sündigten ohne Schuldgefühle zu bekommen. Das ist die Gefahr von frommen Menschen. Wir könnten denken, weil wir so viel beten, es nicht so ins Gewicht fällt, wenn wir etwas tun, das Gott nicht gefällt. Dieses Verhalten kann sogar soweit gehen, dass sich Menschen schuldig machen und der Meinung sind, sie würden etwas tun, das Gott gefällt. So sagte Jesus seinen Jüngern:

“Es kommt eine Zeit, wo jeder, der euch tötet, meint, Gott damit einen Dienst zu erweisen.” Johannes 16,2

Sie töten Menschen und haben keine Schuldgefühle! Im Gegenteil, sie meinen sie würden damit Gott dienen. Nun, es gibt auch Menschen, die keine religiösen Anstrengungen machen, aber sich auch nicht wirklich schuldig fühlen. Ihr Gewissen ist sozusagen abgestumpft. Sie tun, was sie für richtig halten und denken, wenn nichts passiert, dann ist alles in Ordnung. Im Buch Prediger steht:

“Weil das Urteil über böses Tun nicht sogleich ergeht, wird das Herz der Menschen voll Begier, Böses zu tun.” Prediger 8,11

Es gibt nichts, was sie zurückhalten könnte. Vielleicht wissen sie noch, dass das nicht wirklich gut und richtig ist, aber was solls, man lebt schliesslich nur einmal. So schreibt auch Paulus:

“Obwohl sie genau wissen, dass die, die so handeln, nach Gottes gerechtem Urteil den Tod verdienen, lassen sie sich nicht von ihrem Tun abbringen, im Gegenteil, sie finden es sogar noch gut, wenn andere genauso verkehrt handeln wie sie.” Römer 1,32

Sie wissen, dass es nicht in Ordnung ist, aber sie haben keine Schuldgefühle. Ihr Gewissen hat sich abgenutzt, es ist stumpf und taub geworden. Sie freuen sich sogar darüber, wenn andere dasselbe tun, denn dadurch können sie ihr eigenes Verhalten rechtfertigen. Aber Schuld ist Schuld, ob ich nun dazu ein Gefühl habe oder nicht. Viele Menschen haben Gott gegenüber keine Schuldgefühle und trotzdem sind sie schuldig. Paulus hält fest:

Es macht keinen Unterschied, ob jemand Jude oder Nichtjude ist, denn alle haben gesündigt, und in ihrem Leben kommt Gottes Herrlichkeit nicht mehr zum Ausdruck.” Römer 3,22–23

Es ist nicht wichtig, ob wir uns vor Gott schuldig fühlen. Unsere Gefühle können uns sehr täuschen. Als ich in Deutschland lebte überfuhr ich nachst eine Sicherheitslinie ohne es zu bemerken. Jemand hatte das beobachtet und so bekam ich eine Busse. Bis heute fühle ich mich deswegen nicht schuldig, aber ich musste die Busse bezahlen. Wenn du dein Leben Jesus noch nicht anvertraut hast, weil du denkst, dass du ganz okay seist und du keine Schuldgefühle Gott gegenüber hast, dann lass es dir sagen, dass du wie jeder andere Mensch vor Gott schuldig bist – Gefühle hin oder her. Es gibt hier keine einzige Ausnahme! Du magst ein ausserordentliches Original sein. Du kannst ein sehr lieber und netter Mensch sein. Das alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass du vor Gott schuldig bist und Vergebung dringend brauchts. Petrus forderte seine Zuhörer an Pfingsten auf:

“Lasst euch retten vor dem Strafgericht, das über diese verdorbene Generation hereinbrechen wird!” Apostelgeschichte 2,40

Auch Paulus ruft die Menschen auf, sich retten zu lassen. Den Christen in Korinth schreibt er:

“Nehmt die Versöhnung an, die Gott euch anbietet! Jesus, der ohne jede Sünde war, hat Gott für uns zur Sünde gemacht, damit wir durch die
Verbindung mit Jesus die Gerechtigkeit bekommen, mit der wir vor Gott bestehen können.” 2.Korinther 5,20–21

Schlussgedanke

Schuldgefühle sind eine Art Alarmsignal, das uns dazu motivieren sollte zu überlegen, woher dieses Gefühl kommt. Hat es mit meiner Erziehung zu tun oder einfach damit, dass ich sehr sensibel auf spannungsvolle Situationen reagiere? Oder habe ich einen Fehler gemacht, den ich in Ordnung bringen sollte? Oder habe ich mich gegenüber Gott verschuldet? Egal welche Art von Schuld vorliegt. Ob ich mich gegenüber Menschen oder gegenüber Gott verschuldet habe. Manchmal verschulden wir uns gegenüber Menschen und Gott. Was es auch immer ist, wir sollten zu unserer Schuld stehen und wenn wir etwas in Ordnung bringen können, dann sollten wir das tun. Vieles, was sich in unserem Leben ereignet, kann man nicht einfach in ein schwarzweiss Schema einordnen. Wollen wir in gesunder Weise geistlich wachsen, müssen wir lernen über das, was wir tun und über unsere Gefühle einen gewissen Überblick zu haben. Nicht die Gefühle sollen uns leiten, sondern wir sollten uns an unseren Werten orientieren. Wir müssen lernen zu unterscheiden, was wirklich Schuld und Sünde ist und wo unsere Gefühle uns irritieren. Und wer kaum Schuldgefühle hat, sollte sich dessen bewusst sein, dass das nicht bedeutet, dass er keine Schuld hat. Er könnte schuldig sein, ohne es zu spüren. Hilfreich für eine gute Einordnung unserer Gefühle und unseres Verhaltens ist die Beschäftigung mit der Bibel. Wenn wir aufmerksam in der Bibel lesen, schärfen wir unsere Sinne. Wir entdecken, was Gott gefällt und wo und wie wir uns schuldig machen. Das hilft uns auch, dass wir gar nicht erst sündigen. Paulus sagt das so:

“Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt.” 2.Timotheus 3,16–17