Theoretisch sind wir uns als Christen bewusst, dass wir einen Auftrag haben. Unsere Freunde sollten uns nicht gleichgültig sein. Um uns herum leben Menschen, die verloren gehen, wenn sie Jesus nicht kennenlernen. Jesus hat uns gesagt: „Geht hin und verkündigt das Evangelium.“
In unserem Land haben wir alle Freiheiten, dies zu tun. Weltweit betrachtet ist das jedoch keineswegs der Fall. Man könnte sagen, der Leib Christi blutet an allen Enden. In vielen Ländern dieser Welt werden Christen aufs Grausamste verfolgt, weil sie sich zu Jesus bekennen.
Was wir hier in unseren Breiten ernten, wenn wir Jesus bekennen, ist allenfalls ein Lächeln – und das finde ich noch sehr freundlich. Im Gegensatz dazu stehen Schläge, Festnahmen oder Schlimmeres. Natürlich lächeln die Leute manchmal darüber. Manchmal machen wir uns auch lächerlich.
Dann sind wir bedacht auf unseren guten Ruf und wollen ihn wahren. Deshalb halten wir den Mund. Um das Gesicht zu wahren, schweigen wir lieber. Doch das ist unfair gegenüber den Menschen, die diese Botschaft von Jesus so dringend brauchen.
Noch in Lukas 5 steht für mich als Überschrift über diesem Kapitel: Von nun an wirst du Menschen fangen.
Vielleicht denkst du, wenn dich das heute Morgen irgendwie angesprochen hat, als Menschenfischer musst du dich auf die abenteuerlichsten Expeditionen einlassen. Vielleicht meinst du, du müsstest vor fremden Leuten predigen. Nun, das allein ist nicht Evangelisation.
Vielleicht hast du Angst, dass dir in persönlichen Gesprächen irgendwann die Argumente ausgehen. Vielleicht stellt man, wie wir das eben gesagt haben, eine Zwischenfrage. Du hast dir zwar schon überlegt, was du dem anderen sagen willst, aber dann kommen Fragen wie: „Wie kann Gott das Leid in der Welt zulassen?“ oder „Glaubst du wirklich, dass die Wunder, die Jesus getan hat, so passiert sind, wie sie in der Bibel stehen?“ Und dann sollst du das auch noch naturwissenschaftlich erklären. Da fühlt man sich schnell überfordert.
Was will man sagen, wenn die Leute mit ihren kritischen Fragen kommen? Diese Fragen kommen natürlich. Nach meiner Erfahrung und Überzeugung ist die Summe der Fragen, die man uns stellen kann, wenn wir als Christen gefordert sind, Rechenschaft über unsere Hoffnung abzulegen, überschaubar.
Wir führen bei unseren Evangelisationen, bei unseren Einsätzen, zum Beispiel mit dem mobilen Treffpunkt in der Fußgängerzone, gerne Schulunterrichtsstunden durch. An ganz unterschiedlichen Schulen gestalten wir Religionsunterrichtsstunden. Dabei kommt es natürlich oft vor, dass die Schüler kritische Fragen stellen. Wir bitten sie sogar darum, sich zu melden und ihre Fragen zu stellen.
Vor solchen Schulstunden hatte ich am Anfang großen Respekt. Heute habe ich keine Angst mehr, weil ich im Laufe der Zeit festgestellt habe, dass sich diese Fragen ständig wiederholen. Ich erlebe kaum noch neue Fragen. Wenn ich das überschlage, glaube ich, dass die kritischen Fragen, die man uns als Christen stellt, letztlich auf 15 bis 20 Fragen zu reduzieren sind. Und diese wiederholen sich immer wieder.
Ich weiß nicht, die meisten von Ihnen werden den Führerschein gemacht haben oder einige sind gerade dabei. Wenn man sich mit den Prüfungsfragen auseinandersetzt, sind das mehr als zwanzig Fragen. Man lernt einen Katalog von hundert Fragen und beschäftigt sich mit den Themen.
Einigermassen reife Christen sollten schon in der Lage sein, etwas zu sagen, was denn eigentlich der Unterschied zwischen dem Islam und dem Christentum ist. Es ist ein wenig beschämend, wenn wir uns von solchen naheliegenden Fragen aus der Bahn werfen lassen.
Wenn ich selber nicht überzeugt bin, warum ich Jesus nachfolge und was der große Unterschied ist, an einen Erlöser zu glauben, der am Kreuz für uns gestorben ist – im Gegensatz zum Islam, der genau diesen Kern des Evangeliums leugnet – dann kann ich mich von Leuten vielleicht sogar überreden lassen, dass im Grunde genommen doch alles das Gleiche ist und wir alle an einen Gott glauben. Dann weiß ich nicht, ob das wirklich ein Fundament ist, auf dem wir stehen.
Lassen Sie uns der Sache wirklich auf den Grund gehen. Gerade durch solche Gespräche sind wir gefordert, diesen Fragen nachzugehen. Es ist gut, wenn wir uns auf kritische Gespräche einlassen.
Lassen Sie sich beschenken – das ist meine Erfahrung von Gott – mit entsprechenden Bildern, mit denen man das Evangelium erklären kann. Durch solche kritischen Fragen, Auseinandersetzungen und Gespräche, die wir draußen auf der Straße oder am Bus mit Leuten führen, wird mein Glaube eher fester, als dass er sich verunsichert.
Denn im Gespräch merke ich: Wenn man mal der Sache auf den Grund geht, ein bisschen tiefer gräbt, da ist etwas. Da ist ein Grund, auf dem sich mein Glaube gründet.
Wenn wir den Glauben nur von unseren Vorfahren übernommen haben, glauben, weil man uns das so gesagt hat, aber ich selber die Sache nie überprüft habe und auch nie gefordert worden bin, das zu überprüfen, dann gehen uns oft schnell die Argumente aus.
Natürlich ist Predigen ein Aspekt in der Verkündigung des Evangeliums, aber das ist nicht alles. Auch das Gespräch auf der Straße mit wildfremden Menschen ist eine unnatürliche Situation. Es ist eine Konfrontation mit Menschen, die man vorher nicht kannte und zu denen kein Vertrauensverhältnis besteht.
Menschen fischen kann man auch zuhause.
Wir bleiben im fünften Kapitel des Lukasevangeliums. Ich möchte aus diesem Kapitel jetzt einmal die Verse 27 und folgende vorlesen, Lukas Kapitel 5, Vers 27.
Da heißt es: „Und danach ging er hinaus und sah einen Zöllner mit Namen Levi am Zollhaus sitzen, und er sprach zu ihm: Folge mir nach. Und er verließ alles, stand auf und folgte ihm nach. Und Levi machte ihm ein großes Mahl in seinem Haus, und da war eine große Menge von Zöllnern und anderen, die mit ihnen zu Tisch lagen. Und die Pharisäer und ihre Schriftgelehrten murrten gegen seine Jünger und sprachen: Warum esst ihr und trinkt ihr mit den Zöllnern und Sündern? Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder zur Buße.“
So wie Jesus zu Beginn dieses Kapitels Simon und seine Kollegen am Fischerboot sitzen sah, sieht er jetzt einen gewissen Levi am Zollhaus sitzen. Die einen flicken die Netze, der andere die Finanzlöcher der Römer zu. Verzollen – es hatte Jesus nichts. Soweit wir wissen, hat Jesus nie groß etwas dabei gehabt. Er sagt so: „Die Vögel setzen sich ins gemachte Nest, und die Füchse haben auch ihren Bau. Aber ich habe nichts, wo ich mein Haupt hinlegen kann.“ Er war tatsächlich mittellos unterwegs.
Es ging ihm gar nicht um Besitz, es ging ihm nicht um Waren, die er da verzollen musste, es ging ihm um Menschen. Und er sah Levi als Besitz an, als einen, der von jetzt an ihm gehört. Er sah ihn sozusagen als ein Geschenk an, das ihm sein himmlischer Vater macht. Matthäus nämlich – wie man Levi auch übersetzen kann, also das eine ist das hebräische Levi, und das andere, das griechische, heißt „Gabe Gottes“. So sieht Jesus diesen Mann als eine Gabe Gottes, einer, der jetzt zu meinem Team dazugehört, Gott hat ihn mir geschenkt.
Andere, die am Zollhaus vorbeikamen, sahen verächtlich auf diesen Blutsauger. Jesus sieht ihn als ein Geschenk, sie sahen ihn als einen verhassten Mafiosi an. Nach dem rabbinischen Gesetz war es verboten, Zöllner zu sein. Die Juden betrachteten die Zöllner als Vaterlandsverräter, die der römischen Besatzung dienten.
Aber der Reiz des Geldes scheint für Levi stärker zu sein als die Richtlinien des Gesetzes, jedenfalls des jüdischen. Das römische Gesetz war ein bisschen großzügiger. Rom erlaubte diesen Leuten sogar, wenn einer fünf Schekel Steuern zu bezahlen hatte, zehn zu fordern und den Rest für sich selbst zu behalten. Also die Römer haben es toleriert, dass sich diese Zöllner selber bereicherten. Das war aber nun leider ihr Ruf.
Das waren korrupten Finanzmanager, die auch heute nicht in allerbestem Ruf stehen. Leute, die sich selber bereicherten, da, wo sie nur konnten. Das Wort „Zöllner“ wurde damals zu einem Synonym für Räuber, für Bandit, für – Entschuldigung – Schweinehund. So sah man diese Leute an.
Als Jesus ihn rekrutiert mit dem Ruf „Folge mir nach“, registriert Matthäus, dass die Autorität dieses Messias die von Rom übertraf. Die Bibel braucht hier nur einen einzigen Vers: Der Ruf von Jesus und die Reaktion von Levi. Er verließ alles, stand auf und folgte ihm nach, ohne nachzufragen.
Ich nehme an, dass es nicht seine allererste Begegnung mit Jesus war, dass er zumindest viel über ihn, vielleicht direkt von ihm, gehört hat. Er war sofort bereit, sein altes Leben hinter sich zu lassen und sich auf Jesus einzulassen. Er gab seinen Beruf auf, verließ seinen Freundeskreis, seinen bisherigen Wohnort, vielleicht auch die Familie, falls er eine hatte.
Er brach mit seinem bisherigen egoistischen Lebenswandel, verließ alles und verließ sich von nun an ganz auf Jesus.
Hältst du noch an einem Lebensstil fest, von dem du eigentlich weißt, dass er falsch ist? Machst du in einem Leben weiter, in dem es vielfach um dich selbst geht, obwohl du weißt, dass es diese größeren Dinge gibt, diese Dimensionen Gottes, die ewigen Wert haben im Vergleich zu all dem materiellen Plunder, den wir so anhäufen?
Wenn du weißt und merkst, dass das Pferd, auf dem du sitzt, tot ist, dann steig ab. Wir verlassen uns manchmal auf vergängliche und tote Güter viel mehr als auf dieses lebendige Evangelium, das Gott uns anvertraut hat.
Er jedenfalls verließ alles, stand auf und folgte ihm nach. Unzählige Male ist er vorher schon aufgestanden, aber er hat sich immer wieder hingesetzt. Jetzt aber, diesmal steht er auf, um diesen Platz nie wieder einzunehmen. Es gibt kein Zurück mehr.
Manchmal muss es in unserem Leben als Christ solche Momente geben, wo wir entscheiden: Ich will nicht mehr zurück. Eine Sache vor Jesus, vor Gott festmachen und sagen: Das will ich hinter mir lassen.
Vielleicht ist es irgendwie eine bestimmte Sünde, die dich immer wieder zurückzieht, dich immer wieder dazu veranlasst, dich hinzusetzen, obwohl du schon mal aufgestanden bist und die ersten Schritte im Glauben gewagt hast.
Der Teufel wird natürlich versuchen, zu verhindern, dass wir uns aufmachen und diese Botschaft weitertragen. Aber da ist unser Wille zum einen gefragt: Ich bin entschieden zu folgen Jesus, niemals zurück, niemals zurück – könnten wir nachher mal zusammen singen, wenn Sie so spontan sind.
Und natürlich dann auch mich auf die verändernde Kraft des Evangeliums zu verlassen. Nicht aus meiner eigenen Kraft, mit meinem eigenen Willen allein ist es nicht getan.
Aber wir haben heute Morgen schon gesagt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Da haben wir von dem Willen Gottes gesprochen. Es ist der Wille Gottes, dass Menschen errettet werden, es ist der Wille Gottes, dass wir uns mit einsetzen. Und dann geht es vorwärts.
Das ist eine Bekehrung, bei der jemand sagt: „Ich folge jetzt.“ Wie wird man Christ durch Ruf und durch Nachfolge?
Das ist eine wunderbare Bekehrung, die uns in diesen wenigen Versen geschildert wird. Gott ruft durch sein Wort zum Glauben, doch gehorchen und folgen müssen wir selbst. Das gilt für dich und für mich.
Matthäus scheint so glücklich über die Begegnung mit Jesus und seine Bekehrung zu sein, dass er das feiern möchte. Eine Feier hat ja immer einen fröhlichen Anlass, und einen fröhlicheren Anlass kann man sich kaum vorstellen.
Ich finde, es ist eine gute Idee, mal eine Geburtstagsfeier anlässlich einer Neugeburt zu feiern. Vielleicht hast du schon einmal daran gedacht, den Tag deiner Bekehrung zu feiern und deine Freunde zu deiner Neugeburt einzuladen – zu einem bestimmten Jahrestag.
Vielleicht war es für Matthäus auch eine Art Abschiedsfeier, weil er von nun an mit Jesus durch die Gegend ziehen will und wahrscheinlich nicht mehr allzu oft zu Hause sein wird. Zumindest in den drei Jahren, in denen Jesus mit seinen Jüngern unterwegs war.
Jedenfalls mietet er einen Saal an, verschickt Einladungen, beauftragt die CVJM-Feldküche und erwartet dann, dass seine Gäste kommen.
Partys – es ist eine schöne Sache, mit anderen zu feiern, Freude zu teilen, zum Beispiel bei einer Hochzeit. Man lädt die besten Freunde und Bekannten ein, die man gerne um sich haben möchte, um einen besonderen Anlass gemeinsam zu feiern.
In meiner Jugend gab es zwei Arten von Partys, zwei ziemlich unterschiedliche Formen. Die erste Art von Partys fand immer innerhalb eines christlichen Rahmens statt. Wenn man in einem gläubigen Elternhaus aufgewachsen ist, kennt man diese Zusammenkünfte nach den Gottesdiensten, bei denen jeder jeden kennt. Es gibt Kawolposter, Klappstühle, Klaviergeklimper aus dem Nebenraum und überall sind Kinder. Die Atmosphäre ist hell und freundlich. Es duftet nach Kaffee, Wachsmalstiften und Putzmitteln.
Das ist die Welt, in der wir uns als Christen bewegen und in der wir uns auch wohlfühlen, selbst wenn es nur im Wohnzimmer ist. Man spielt zusammen ein Bibelquiz und brüstet sich ein wenig damit, dass man von Simson gehört hat.
Dann gibt es aber noch eine andere Art von Party. Damit bin ich während meiner Schulzeit erstmals konfrontiert worden. Da heißt es auf einmal: Feiern bis der Arzt kommt. Es ist dunkel, laut, der Alkohol fließt in Strömen, die Gespräche sind eher anspruchslos, und die Musik ist bis zum Anschlag aufgedreht. Manche kommen, um sich zu amüsieren, andere nur, um mitreden zu können.
Diese beiden Arten von Feiern kennt man eigentlich von klein auf oder zumindest ab der Schulzeit. Allerdings habe ich selten eine Feier erlebt, bei der es eine Mischung aus beiden Gruppen gab, die aufeinandertrafen – zumindest keine beabsichtigte.
Hier und da, zum Beispiel bei Hochzeitsfeiern, kommt es schon mal vor, dass ein gewisser Anteil der Nichtfrommen mit den Christen zusammen einen Tag verbringt. Manchmal löst das eine gewisse Befangenheit aus. Man sitzt zusammen am Tisch und weiß plötzlich nicht mehr, worüber man reden soll. Über den Jugendchor? Da haben viele wenig Interesse. Nächste Woche soll es zu einer Bibelkonferenz gehen, aber was soll man mit Nichtchristen beim Essen besprechen?
Um sich nicht gegenseitig auf die Füße zu treten, gehen sich die beiden Gruppen irgendwann aus dem Weg. Dann wird getrennt gefeiert. Das geht bis in den späten Abend, bis die Weltlichen das Kommando übernehmen und die Frommen in die Flucht schlagen.
Offensichtlich war das im ersten Jahrhundert nicht viel anders.
Und deswegen wirkt das, was Matthäus hier tut, so außergewöhnlich. In Vers 29 heißt es, dass Levi ein großes Fest in seinem Haus veranstaltete. Dort war eine große Menge von Zöllnern und anderen, die mit ihnen zu Tisch lagen.
Da waren Jesus und seine Jünger, und da waren seine Freunde – diese Zöllner, diese Sünder, die alles andere als fromm waren. Sie lagen miteinander zu Tisch. „Zu Tisch liegen“ bedeutet nicht, dass sie unter dem Tisch lagen. Ein Festessen wurde damals auf Polstern und Kissen eingenommen, so eine Art Tischsofa, wobei man halb saß, halb lag.
Der Eindruck, den Jesus auf Matthäus machte, saß tief. Es lag nahe, dass seine Freunde diesen Jesus kennenlernen sollten. Er wollte ihnen unbedingt helfen, dass sie das, was er selbst erkannt hatte – sich als Sünder und Jesus als Erretter – auch erfahren sollten.
Aber wie sollten seine Freunde jetzt von Jesus erfahren? Matthäus selbst hatte nie ein Seminar besucht, in dem man in persönlicher Evangelisation geschult wurde. Er hatte keine theologische Ausbildung, keine Traktate zur Hand und keine Bücher, die er weitergeben konnte. Was sollte er also tun?
Er hatte lediglich ein Herz, das die Liebe Gottes kennengelernt hatte, und die feste Entschlossenheit, etwas davon an andere weiterzugeben. Eine Möglichkeit wäre gewesen, seine Zöllnerkollegen zum Tempel einzuladen. Dort hätten sie einen Vortrag von jemandem hören können, der diese geistigen Zusammenhänge besser auslegen konnte.
Aber was trifft man dort an? Einen Priester, der mit wallendem Gewand etwas über das Alte Testament, das Gesetz, vorliest. Matthäus sieht schnell ein, dass das wahrscheinlich nicht der ideale Einstieg für seine leichtlebigen, abenteuerlustigen, eingefleischten Heiden wäre, die er erreichen will.
Er hätte die Sache schnell schulterzuckend aufgeben können: Was soll's? Tempeldiener bringen es nicht, und Jesus hält seine Reden viel zu spontan und ungeplant. Außerdem würden seine Freunde wahrscheinlich nicht unbedingt Lust haben, irgendwo in die Einöde zu latschen und einen Wanderprediger zu hören, von dem sie nie wussten, wer das eigentlich ist.
Matthäus denkt sich: Ich bin nicht qualifiziert, also lassen wir es. Es gibt viele Christen, die aufgrund ihrer Ratlosigkeit durch das Zucken ihrer Schultern auffallen – leider durch nichts anderes.
Doch Matthäus lässt nicht locker. Er denkt gründlich nach, betet wahrscheinlich um Weisheit und Führung, und dann kommt ihm eine Idee: Ein Fest würde er veranstalten. Das ist es! Seine Kumpel feiern liebend gerne – diese rauschenden Feste gehören zu ihrem Leben dazu. Je länger, desto besser. Der Anlass ist zweitrangig, Hauptsache feiern.
Das ist ja heute auch so: Viele Leute sind durchaus gesellig und warten die ganze Woche, bis endlich Freitag oder Samstag ist, um ein bisschen Ekstase zu erleben. Dann macht man das Wochenende durch feiern – je mehr, desto besser. Das liebt man doch.
Jetzt muss sich Matthäus nur noch überlegen, wie er das, was er eigentlich erreichen will, mit dieser Party verbinden kann. Deshalb lädt er Jesus und seine Jünger als Special Guests zu diesem Fest ein, damit sie etwas weitergeben können von dem, was Matthäus selbst erfahren hatte.
Es wird nichts darüber geschildert, was bei diesem Fest an den einzelnen Tischen besprochen wurde. Das weiß der Himmel allein. Aber ich könnte mir vorstellen, dass dort viele tiefgründige, außergewöhnliche Gespräche geführt wurden.
Was wir von den Einzelheiten wissen, ist eigentlich nur, dass die Pharisäer wieder einmal Wind von der ganzen Sache bekommen haben und das ganze Happening natürlich verurteilten.
Also, diese Pharisäer und Schriftgelehrten können einem einen ganzen Impulstag verderben, oder? Wann kommen sie schon wieder dazwischen? Wahrscheinlich sind sie der Meinung, dass hier mit der falschen Methode Mission betrieben wird.
Feige wie sie sind, beschweren sie sich nicht direkt bei Jesus – das wäre ja die erste Ansprechadresse gewesen –, sondern sie gehen zu den Jüngern. „Mit Zoll, Schnüfflern und anderem Gesindel frisst und säuft er“, so sagen sie. „Er frisst und säuft, er ist ein Freund von Zöllnern und Sündern.“
Das ist ein Vorwurf. Ich würde sagen, es ist ein Kompliment, aber sie meinten es als Vorwurf gegenüber Jesus. Ich habe fast den Eindruck, dass sie deswegen so ungehalten sind, weil jeder diese Party ungeheuer zu genießen schien. Die Leute fühlten sich wohl – da stimmt doch was nicht.
Alles, was mit geistigen Themen zu tun hat, da muss man ein ernstes Gesicht machen. Das genießt man nicht. Das ist schon so. Als Christ bemüht man sich, anständig zu sein und natürlich nicht unangenehm aufzufallen und schon gar nicht über die Stränge zu schlagen.
Als gläubiger, gut erzogener Mensch hält man sich an die Warnung, wie sie im Psalm 1 steht: „Glücklich der Mann, der nicht folgt dem Rat der Gottlosen, den Weg der Sünder nicht betritt und nicht im Kreis der Spötter sitzt.“ Das ist ja ein biblisches Prinzip.
Dieser Psalm 1 ist so der Einstieg in diese alttestamentlichen Lieder, das kennen wir sehr gut. Und das nehmen wir auch ernst und beziehen es durchaus auf unsere eigene Frömmigkeit. Warum hält sich Jesus eigentlich nicht daran, nicht im Kreis der Spötter zu sitzen? Nun, vielleicht sitzen hier gar keine Spötter.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass Matthäus bei diesem Essen seine Geschichte erzählte. Diese Begegnung mit Jesus, über den Anlass sprach, warum er seinen Beruf aufgegeben hatte und warum er sich entschieden hat, Jesus nachzufolgen. Das wird er erzählt haben.
Er wird diese Leute beeindruckt haben mit dem, was er weiter gesagt hat. Und spätestens in diesem Moment werden die Spötter die Klappe gehalten haben. Denn so geschieht Evangelisation mitten im Leben – beim Essen. Leberkäs ist ein guter Anlass, miteinander Zeit zu verbringen, einander zu essen und das Evangelium zu teilen.
Vor zwei Wochen, beim Sonntagabend-Treff in Dillenburg, kam während der Lieder ein Mädchen nach vorne. Wir geben immer die Gelegenheit, zwischen den Liedern ans Mikrofon zu treten und ein Zeugnis zu geben – also von dem zu erzählen, was man mit Gott in der vergangenen Woche erlebt hat.
Das war wieder einmal ein Abend, an dem mindestens 15 Leute nacheinander nach vorne kamen und aus ihrem Leben berichteten. Manchmal denkt man: „Aber da sehe ich wirklich darüber hinweg, du hättest sitzenbleiben sollen.“ Die meisten Geschichten, die man dort hört, bewegen mich tief.
Da ging ein Mädchen nach vorne und erzählte: „Letzte Woche hat meine Freundin zu mir gesagt: ‚Gehen wir heute Abend zum Treff?‘ Ich habe gefragt: ‚Was ist das für ein Treff?‘ Sie antwortete: ‚Ach, du wirst schon sehen, ich nehme dich einfach mal mit.‘“
Dann kam sie an diesem Abend mit. Sie war so ergriffen von dem Wort Gottes. So etwas erlebt man relativ selten: dass jemand beim ersten Mal eine Entscheidung trifft. Sie entschied an diesem Abend, mit Jesus leben zu wollen. Sie begann, zu Jesus zu beten.
Dann sagte sie: „Ich habe die ganze Woche gebetet, und stellt euch vor, als ich am Mittwoch im Bus saß und zur Schule fahren wollte – das habe ich in 15 Jahren meines Lebens noch nie erlebt – da hat mich eine Frau angesprochen und gefragt: ‚Darf ich dir eine Bibel schenken?‘“
Sie nahm die Bibel an, und seitdem liest sie darin. Dann erzählte sie uns ein paar Dinge, die sie dort entdeckt hat – ein Mädchen, das gerade mal eine Woche angefangen hatte, an Jesus zu glauben.
Eine andere sagte ganz natürlich: „Gehen wir heute Abend zum Treff? Wo? Kenne ich nicht, aber ich gehe mal mit.“
Warum haben wir eigentlich immer so Hemmungen, Leute mal anzusprechen oder mitzunehmen?
Ich denke an meinen Freund Holger, den ich vor ein paar Jahren zu Jesus führen durfte. In seiner ganzen Familie glaubte niemand an Jesus. Nachdem wir zusammen gebetet hatten und er sein Leben Jesus anvertraut hatte, sagte er mir sofort: „Das wird mir niemand zu Hause abnehmen.“
Ich antwortete: „In der Apostelgeschichte steht: ‚Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet werden, du und dein Haus.‘ Das steht so in der Bibel. Lass uns noch einmal für deine Familie beten.“
Dann betete er für seine Familie, und ich habe noch für einige weitere gebetet.
Um die Sache kurz zu machen: Kurz darauf war eine Familienfeier, so eine Party, wie sie hier in der Bibel beschrieben wird. Holger erzählte ganz natürlich von seiner Bekehrung. Seine Tante Conny sprach ihn an und sagte: „Holger, das klingt wirklich sehr interessant. Davon musst du mir mehr erzählen. Können wir uns mal treffen?“
Dann trafen sie sich zum Kaffeetrinken. Er erklärte ihr alles, was er selbst verstanden hatte. Conny bekehrte sich, ließ sich kurz darauf taufen und gehört heute schon seit Jahren zu einer Gemeinde in Friedrichshafen.
Ein paar Wochen später rief Holger mich an und sagte: „Meine Halbschwester Martina interessiert sich auch für das, was du mir erzählt hast. Können wir dich besuchen kommen?“
Sie wohnen in Ravensburg, ich in Manderbach. Sie nahmen den weiten Weg auf sich. Von Martina hatte ich schon ein bisschen gehört. Sie war eigentlich sehr skeptisch. Holger sagte immer: „Wir haben doch schon immer an Gott geglaubt, und jetzt erzählt sie die ganze Zeit davon Jesus.“
Ich hatte ein bisschen Angst vor Martina. Als sie dann bei mir waren, wusste ich auch warum: Sie war kahlrasiert, hatte Piercings im ganzen Gesicht und so weiter.
Wir saßen am Samstagabend bei mir im Wohnzimmer. Sie tat unter Tränen Buße über ihr Leben, machte einen Anfang mit Jesus und ist bis heute eine treue Gemeindemitglied in der neu entstandenen Gemeinde dort in Ravensburg.
Am Jahresende kam Holgers Zwillingsbruder Heiko zum Glauben. Anfang des Jahres kam sein Vater zum Glauben, seine Chefin kam zum Glauben, und auch seine frühere Freundin.
So trägt sich das Evangelium von Mann zu Mann weiter – wenn wir natürlich darüber reden. Wenn wir es nicht so kompliziert machen, sondern ganz natürlich. Warum reden wir über alles Mögliche, was unseren Beruf betrifft, das Wetter, den Garten und so weiter, aber bekommen eine komisch sakrale Stimme, wenn es um Glaubensthemen geht?
Verstehen Sie, warum das so ist? Das gehört doch, wenn wir überzeugte Christen sind, ganz natürlich zu unserem Leben dazu. Dann lassen wir uns auch ganz natürlich darüber reden.
Wir werden ganz natürlich Fragen gestellt bekommen, die wir ganz natürlich beantworten können. Dann öffnen sich Menschen, und Menschen kommen zum Glauben. Dann wachsen unsere Gemeinden, und das belebt sie ungemein.
Das ist unser Auftrag.
Ob sich an diesem Abend hier in Kapernaum irgendjemand für Jesus entschieden hat, weiß ich nicht. Das steht hier nicht. Matthäus war, soweit wir wissen, unter den Zwölfen der einzige Zöllner. Was aus den anderen Gästen geworden ist, bleibt offen.
Aber selbst wenn die anderen nicht bereit waren, ihr Leben von diesem einen Tag an zu ändern, sind sie immerhin Jesus begegnet. Was danach im Leben eines Menschen noch passiert, wie dieser Same nach und nach langsam aufgeht und anfängt zu wachsen – das liegt oft gar nicht mehr in unserer Kontrolle.
Vielleicht gab es auch einige, die ähnlich reagiert haben wie Zachäus. Er hat seine Zollstation ganz offensichtlich behalten, aber ansonsten ist er nicht wiederzuerkennen. Er hat die Hälfte seines Besitzes an die Armen verteilt und alles zurückgezahlt, was er anderen zu Unrecht abgenommen hatte.
Wenn wir an Evangelisation denken, wünschen wir uns oft, dass alles so funktioniert, wie es hier bei Levi war. Er verließ alles, stand auf und folgte Jesus nach. Aber allein daran ist der Erfolg von Evangelisation nicht zu messen. Wer kann schon beurteilen, was im Verborgenen passiert?
Ich bin immer fest davon überzeugt, dass, wenn ich irgendwo das Evangelium predige, im Verborgenen viel, viel mehr passiert als das, was wir zählen oder sehen können. Wahrscheinlich hört dieser frisch bekehrte Matthäus zu, wie die Pharisäer mit den anderen Jüngern streiten. Da bekommt er ein bisschen schlechtes Gewissen und fragt sich, ob es wirklich richtig war, was er gemacht hat.
Bei seinem ersten Missionsversuch wird Jesus gleich von den hohen Tieren des Judentums heftig kritisiert. Versucht man sich in die Lage von Levi oder Matthäus hineinzuversetzen, denkt man vielleicht: „Hätte ich meine Freunde doch lieber zum Tempel schleifen sollen, oder hätte ich gar nichts machen sollen? Ich habe einen ziemlichen Schlamassel angerichtet. Jesus hat sich eine oberhirtliche Rüge eingehandelt. So etwas riskiere ich nicht noch einmal. Das Evangelisieren überlasse ich jetzt lieber den Profis.“
Im Hintergrund laufen die Ärzte, einer der Geistlichen brüllt: „Die Musik macht mich krank!“ Und dann hört Matthäus plötzlich, wie Jesus sein Fest verteidigt, indem er die Pharisäer über das Verhältnis von Ärzten, Kranken und Gesunden aufklärt.
Das Wort, das Jesus spricht, kann man auch als Sprichwort verstehen: „Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken.“ Damit drückt er dreierlei aus: Erstens ist er, Jesus Christus, der Arzt. Zweitens sind die Zöllner und Sünder krank, und damit stimmt Jesus mit den Pharisäern überein – das ist auch ihre Meinung. Drittens will Jesus die Sünder heilen. Er will nicht, dass sie krank bleiben oder noch kränker werden, sondern gesund werden.
Deshalb können wir davon ausgehen, dass sich Jesus nicht betrunken hat oder über schmutzige Witze gelacht hat. Er hat sich auch nicht der Fresserei angeschlossen, sondern als Seelsorger das Gesindel für die Sache Gottes gewinnen wollen.
Der Text gibt keine Einzelheiten darüber, was danach passiert. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass Jesus nach dem Wortwechsel mit den Pharisäern den Arm auf die Schulter von Matthäus legt und sagt: „Du hast deine Sache sehr gut gemacht, Matthäus. Ich weiß genau, warum du zu diesem Fest eingeladen hast. Dein Anliegen war, deine Freunde mit dem Evangelium zu konfrontieren. Das war sehr kreativ, und ich möchte dir sagen, dass ich deine Idee prima fand. Du hast ein Herz für verlorene Menschen. Und jetzt komm, lass uns wieder zu den anderen gehen.“
Welche Prinzipien können wir hinsichtlich des Missionsauftrags aus dem Matthäusevangelium lernen?
Erstens möchte Gott, dass wir unsere ungläubigen Freunde genauso wichtig nehmen wie Matthäus damals seine Freunde. Unsere Kollegen sind nicht nur Kollegen, unsere Nachbarn nicht nur Nachbarn. Es sind Menschen, die von Gott geliebt sind, Menschen, für die Jesus Christus am Kreuz gestorben ist. Gott möchte mit Sicherheit nicht, dass wir mit den Schultern zucken und aufgeben.
Zweitens fordert uns Matthäus dazu heraus, für Neues aufgeschlossen zu sein und kreativ über Evangelisation nachzudenken. Es gibt kein festes Rezept für Evangelisation, aber es gibt zum Beispiel Rezepte für ein gutes Essen. Und genau das hat Matthäus angeboten: Warum lädst du nicht einfach mal Freunde ein – selbst wenn sie die Grünen wählen oder mal im Gefängnis gesessen haben, wie wir das im Anspiel gesehen haben – zu einem Abendessen? So entsteht erst einmal eine echte Beziehung und Freundschaft. Auf dieser Ebene kann dann irgendwann auch das Evangelium weitergegeben werden. Vielleicht sogar an diesem Abend, weil du zum Beispiel ein Plakat von Sokawol oder Ähnlichem in deiner Wohnung hängen hast, das interessante Fragen aufwirft.
Es gibt Rezepte für leckeres Essen, aber nicht für Evangelisation. Lade doch jetzt im Herbst einfach mal Leute zu einer Tasse Kaffee ein und schau, was passiert. Bete für diese Menschen, rede mit Gott über deine Freunde und dann rede mit deinen Freunden über Gott. Übrigens: Wenn ihr dann mal eine evangelistische Veranstaltung in eurem Gemeindehaus habt, wird eine Einladung nicht mehr ganz so überraschend sein, wenn man sich persönlich schon ein bisschen näher kennt.
Drittens können wir lernen, dass ansteckendes Christsein von Freund zu Freund stattfindet, von Mensch zu Mensch, von Kollege zu Kollege und von Nachbar zu Nachbar.
In seinem Buch „Warum ich kein Atheist bin“ beschreibt Alexander Garth seine Vorbehalte gegenüber Christen, bevor er selbst einer wurde. Früher dachte er, vielleicht haben sich diese Jesus-Typen einfach in etwas hineingesteigert. Diese Welt ist voller Spinner, und die Religiösen sind die peinlichsten von ihnen.
Aber jetzt wollte er es wissen: Sind sie Psychopathen oder Gläubige, die Gott wirklich erfahren haben? Er glaubt, dass es viele Leute um uns herum gibt, die so denken. Irgendwie macht er eigentlich einen ganz normalen Eindruck, aber wie kommt der darauf, an Gott zu glauben und zu diesen Gottesdiensten zu gehen? Das ist doch nicht normal! Richtig, es ist nicht normal!
Solche Fragen stellen sich Leute, und weil sie sich Fragen stellen, sind wir gefordert, Antworten zu geben. Es ist doch gut, wenn sie Fragen stellen. Leuten, die keine Fragen stellen, ist es schwer zu helfen. Wenn sie schon mal anfangen zu suchen, dann ist es nicht mehr so weit, bis sie Jesus finden.
Und was tun wir? Wir sollen seine Zeugen sein. Freundschaftsevangelisation ist biblisch, logisch und zielbewusst. Die Effektivität ist von Jesus, von Paulus, von Matthäus und seitdem von vielen anderen unter Beweis gestellt worden.
Er wünscht von ganzem Herzen, dass man es sehr bald und dann immer wieder erlebt, dass Freunde, Nachbarn und Bekannte heimkehren – heimkehren zu unserem Vater. Die Tür steht offen. Nachdem Jesus für uns gestorben ist, auferstanden ist und in den Himmel aufgefahren ist, hat er die Tür hinter sich aufgelassen. Der Zutritt ist frei.
Wir sind eingeladen und haben die Einladung hoffentlich, soweit wir hier sind, bereits angenommen. Aber wir sollen Leute mitbringen. Und das wollen wir tun. Wir wollen die Zeit ausnutzen. Wie viel Zeit wir noch haben, weiß er nicht. Aber wir wollen sie ausnutzen – Gott zur Ehre!