Einführung in den Predigttext und seine Bedeutung
Wir haben nun seit sechs Tagen eigentlich nur drei Verse aus Jesaja 53 ausgelegt. Ich möchte sie noch einmal im Zusammenhang lesen, weil heute der letzte Teil als Predigttext von mir ausgewählt wurde.
Er war der allerverachtetste und unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg. Darum haben wir ihn für nichts geachtet. Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten.
Jetzt kommt der Teil, über den ich heute predigen will: „Durch seine Wunden sind wir geheilt.“
Liebe Gemeinde, beim Radiohören ist es wichtig, dass man richtig auf der Skala den Sender einstellt. Sonst kommt ein schrecklicher Ton, irgendein Wellensalat. Beim Fernsehen wirkt es sich noch viel schlimmer aus, wenn man nicht genau den Kanal einstellt, auf dem man sein Programm empfangen will. Wenn man nur etwas auf der einen oder anderen Seite darüber hinausgeht, fällt das Bild in sich zusammen. Die Gesichter werden ganz lang und breit, Schwarz und Weiß flimmert es über dem Bildschirm. Kein Wunder, man hat nicht genau den Kanal gewählt, auf dem man empfangen kann.
Es ist gar kein Wunder, dass auch im Glauben viele Menschen kein klares Bild bekommen. Es ist uns allen doch schon so gegangen, dass wir sagten: Wir sehen nicht richtig klar, wir verstehen das nicht, wir kommen mit unseren Fragen im Glauben nicht zurecht. Gar kein Wunder, wenn man nicht den Kanal wählt, auf dem man durchblicken kann.
Und es gibt im christlichen Glauben nur einen Ort, wo man klar sehen kann: das ist das Kreuz Jesu Christi. Sie können den christlichen Glauben, die Bibel, das Neue Testament von nirgendwo anders her verstehen als allein vom Kreuz. Es kann uns lange verschlossen bleiben, es kann uns lange unverständlich bleiben, aber dieses Kreuz müssen wir verstehen. Anders verstehen wir Gott nicht, anders verstehen wir Jesus nicht, anders verstehen wir den Glauben nicht, anders verstehen wir das Beten nicht. Anders verstehen wir unser Leben nicht.
Ich muss meine Gedanken ganz darauf konzentrieren und fragen: Was will dieser gekreuzigte Jesus mir schenken? Was bedeutet er mir für mein Leben?
Ich habe mich heute beschränkt auf diesen einen Satz: „Durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Ich möchte das in drei Schritten erklären: Erstens, wir sind beschenkt; zweitens, wir sind versöhnt; und drittens, wir sind erlöst.
Die Gabe des Kreuzes: Wir sind beschenkt
Nun zum Ersten: Wir sind beschenkt. Viele Menschen haben dies als den größten Durchbruch ihres Lebens bezeichnet, wenn ihnen plötzlich das Verständnis für das Kreuz von Golgatha erschlossen wurde. Man kann ja christlich sein und christlich leben, aber sie sagten, das war wie eine Revolution in ihrem Leben. Von diesem Tag an brach die Freude durch, die Qual, das Mühen und das Drängen fielen von ihnen ab. Eine solche Gelassenheit kehrte in ihr Leben ein, dass sie sagten, sie könnten sich den christlichen Glauben gar nicht anders vorstellen als eben von der Mitte her.
Ich denke jetzt nur an diesen jungen Jurastudenten, der auf seiner Kavaliersreise nach Paris fuhr. Die Eltern hatten ihm eine Kutsche mit Dienerschaft mitgegeben, damit er sich ein gutes Leben gönnen konnte. Doch er wurde so gepackt von einem Bild in der Düsseldorfer Gemäldegalerie, wo der gekreuzigte, dornengekrönte Jesus von Domenico Feti dargestellt war. Dieser junge Mann stammte aus einer der größten Adelsfamilien damals. Sein Stiefvater war österreichischer Generalfeldmarschall – Österreich war damals noch weltpolitisch bedeutender als heute.
Dieser junge Mann sagte, dies sei eine ganz wesentliche Wendung seines Lebens geworden: wieder zu erkennen, was Jesus ihm schenkt. Er hat später einmal gereimt:
"Ich bin durch viele Zeiten, wohl gar durch Ewigkeiten in meinem Sinn gereist,
doch wo ich hingekommen, nichts hat mir das Herz genommen, als Golgatha, Gott sei es gepreist."
Er wollte später in seinem weitgespannten Leben, in dem er viele Aktivitäten entwickelte, immer nur alles von dem einen Punkt her verstehen: vom gekreuzigten, dornengekrönten Jesus von Golgatha. Er sagte immer, das sei sein ganzes Verstehen des Glaubens, die Mitte seines Denkens. Anders könne man nicht Christ sein als von dort her.
Das war ja nicht bloß Zinzendorf. Viele Menschen bis in unsere Tage hinein, wenn wir in großem Schmerz an Gräbern stehen, verwundet sind und kein Wort reden können, pflanzen wir auf diesen frischen Grabeshügel ein Kreuz. Das ist unser – jetzt hören Sie richtig hin – unser Siegeszeichen. Wir sagen, dass dieser gekreuzigte Jesus uns allein über den Schmerz des Todes hinwegretten kann, niemand sonst, nichts anderes.
Und wir sagen damit: Der Tod hat kein Recht mehr. Und wenn er sich noch so wild gebärdet in unserem Leben, er hat ausgespielt, weil der Gekreuzigte gesiegt hat. Es ist merkwürdig, dass wir immer wieder dieses Bild des Kreuzes wählen. Auch wenn wir es hier in der Mitte unserer Kirche aufgehängt haben – unsere Nachbarkirche, die Christus-Kirche, hat an dieser Stelle den himmelfahrenden Christus – aber das ist eine ganz seltene Ausnahme. In einer Kirche wählt man meist nicht den segnenden Christus, so eindrucksvoll dieses Bild auch ist, oder den Christus, wie er die Kranken heilt.
Sondern man stellt in die Mitte der Kirche dieses Zeichen des Kreuzes, weil wir sagen: Da ist allein das Größte uns geschenkt. Da haben wir das, was uns rettet und was uns herausreißt aus dem, was uns bedrückt.
Dann gibt es auch manche, die tun das gedankenlos. Sie lassen so ein Kreuzchen über ihrer Brust baumeln. Ich habe nichts dagegen. Ich möchte nur, dass einer versteht, was er damit tut, wenn er das Kreuz irgendwo in seinem Leben als Zeichen mit sich herumträgt, was dieses Kreuz für uns bedeutet. Ich möchte erklären, was uns da geschenkt wird.
Man baut ja in unserer Welt gern große Denkmäler. Man stellt die Person noch einmal dar, die in unserer Welt so viel bedeutet hat. Und ich möchte an ihrer Größe bestimmt nichts absprechen. Da sind wir alle davon gepackt, von der Leistung der Menschen, was große Politiker fertiggebracht haben. Was hat unser Herzog Christoph für unser Württemberger Land bedeutet, wenn wir an seinem Denkmal auf dem Schlossplatz vorübergehen? Was haben andere Gelehrte, Dichter, Revolutionäre erreicht und vollbracht, Entdecker und Erfinder?
Wenn Sie am Denkmal von Kepler vorübergehen, dann wird doch etwas lebendig von einem großen Können eines Menschen, der unsere kleine Welt gesprengt hat und etwas Neues geschaffen hat. Das ist doch groß, wenn ein Mensch das fertigbringt, neue Bereiche des Denkens zu erschließen.
Nur: Wir müssen alle kapitulieren vor der Todesmacht. Wie schwer ist das, wenn selbst die größten Männer unserer Zeit sich eingestehen müssen, dass unser Leib verwest. Und dann müssen wir kapitulieren vor der Macht des Bösen in unserer Welt. Wenn die Kriegsmaschinen unserer Welt wieder laufen, wenn die Ungerechtigkeit kommt, wenn die Unmenschlichkeit in der Welt siegt.
Es ist doch leider nicht wahr, dass das Gute siegt, was der Traum von so vielen Menschen ist. Die Wirklichkeit sieht viel brutaler und härter aus. Der Stärkste siegt in der Welt, der, der Macht hat, siegt doch. Und was können wir Menschen dagegen tun? Wenn wir irgendwo ein bisschen zurückdrängen, die Ungerechtigkeit, da sind wir schon ganz glücklich.
Das Kreuz ist das Siegeszeichen über Tod, Teufel, Sünde, Unrecht und Leiden in der Welt. Da hat Jesus diesen Mächten das Recht abgesprochen, er hat sie überwunden. Wir sagen mit Recht, dass wir dem Weg Jesu, dem Kreuzesweg, auch nachfolgen könnten und so diese Leiden überwinden könnten.
Aber ich möchte das jetzt einmal gar nicht betonen. Lassen Sie das mal jetzt beiseite, sonst wird der Blick falsch. Wir müssen das jetzt ganz einfach in der Mitte betrachten: Er hat den Tod überwunden, er hat das Unrecht überwunden, den Hohn der Menschen, die Gemeinheit hat Jesus überwunden.
Und das ist für mich etwas, womit ich mich beschenken lassen kann, denn ich kann das nicht überwinden. Ich lasse mich immer wieder beeindrucken davon. Ich kann mich erregen über das, was in der Welt geschieht, und ich kann verzweifeln an mir selbst. Und dann darf ich mich heute am Freitag daran freuen, dass Jesus sagt: Ich habe gesiegt, und ich nehme dich in meinen Sieg herein, ich beschenke dich.
Liebe Brüder und Schwestern, ich habe eine große Sorge, ob nicht in unserer Generation das Evangelium verfälscht wird zu einer Lebenslehre. Natürlich muss das Evangelium im Leben wurzeln, das ist nicht umstritten. Aber ob wir dem Menschen nur sagen: Du musst das tun, du musst das machen, du musst richtig leben, du musst lieb sein, du musst gut sein, du musst Geld opfern, du musst, du musst, du musst!
Wir machen einen Menschen kaputt mit Gesetzesforderungen und sagen ihm nicht das viel Größere: Du bist beschenkt vom Sieg Jesu. Du darfst in dieser Welt in einer Geborgenheit leben, die dir nur der gekreuzigte Jesus erringen kann. Kein Tod, kein Teufel, ja nicht einmal deine eigene Hinfälligkeit und Sündhaftigkeit kann dich dort wegreißen von dem, was Jesus dir errungen hat.
Freu dich darin, und jetzt darfst du das Leben leben. Das ist beschenkt werden, das ist die Freude des Glaubens.
Verstehen Sie, warum das einem Zinzendorf so wichtig war? Nicht diese Qual, dass man irgendetwas im Leben noch produzieren muss. Wir müssen nicht unsere Welt verändern, unsere Welt ist verändert. Was wäre das furchtbar, wenn Christen die Welt anfangen, als ob sie sie aus den Angeln heben wollten mit ein paar kleinen Stücken, die sie schaffen.
Die Welt ist verändert, weil Jesus für diese Welt starb. Seitdem hat es einen Sinn, Liebe zu üben. Jetzt hat es Sinn, in der Wahrheit zu leben. Jetzt hat es Sinn, sich Jesus zu unterstellen und seinen Willen zu tun, weil er gesiegt hat über diese Macht.
Wenn ich Ihnen vorher sagte, in der Welt triumphiert das Böse, nein, es triumphiert nicht endgültig. Wir lassen uns nicht blenden. Und wenn wir in dieser Welt zerrieben werden mit der Gerechtigkeit, die wir darstellen wollen, macht uns das doch nichts aus. Am Ende ist der Sieg Jesu da.
Und deshalb lohnt es sich, auf der Seite des Siegers Jesus zu stehen und seinen Willen zu tun. Das Evangelium ist ein Beschenktwerden, und das kann man nur am Kreuz von Golgatha verstehen. Nur von dort her kann unser christlicher Glaube leben. Alles andere ist Krampf, Qual, Zwang und Gesetz – und keine Freude, keine Freiheit und kein Leben.
Die Versöhnung durch das Kreuz: Wir sind versöhnt
Nun das Zweite: Wir sind versöhnt, wir sind versöhnt.
Jesaja hat es in Jesaja 53 so einfach hingestellt – im Perfekt, als einen Zustand: Wir sind geheilt, wir sind geheilt. Das ist ein beeindruckender Satz, ihn einfach so hinzustellen. Die meisten Menschen sagen in ihrem Glauben: „Ich wünsche mir, dass ich einmal etwas erleben kann, oder ich hoffe, oder ich erbete mir etwas.“ Doch Sie müssen wissen: Der richtige Glaube, der richtige christliche Glaube kann sagen: Ich weiß es und glaube es fest, ich bin gewiss.
Hoffentlich sind Sie schon bis in die Mitte des christlichen Glaubens vorgedrungen. Das können Sie am Karfreitag lernen: Gewissheit. Ich bin… Wir sind geheilt, wir sind geheilt.
Nun müsste jemand aufstehen und sagen: „Du, kannst du das einfach so wegschieben in deinem Leben? Ich weiß doch, dass es da manchmal ganz, ganz dunkel aussieht.“ Wir wollen jetzt ganz offen sagen, wir wollen es nicht unter den Teppich kehren: In unserem Leben hat der Teufel sehr viel Macht, und darunter leiden wir, solange wir leben.
Wir wollen das immer dazusetzen: An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erde. Darum geht es nicht, wenn wir sagen, wir sind geheilt, dass wir damit meinen, ich bin ein sündloser Mensch. Nein, das ist es gar nicht. Es ist etwas ganz anderes.
Ich will Ihnen ein Bild erklären: Sie machen einen Besuch im Krankenhaus. Dort liegt ein Kranker, und Sie sind erschrocken, wie er da in seinen Kissen liegt – bleich, mit eingefallenen Wangen, noch mit dem Tropf von der künstlichen Ernährung. Dann fragen Sie: „Wie geht’s?“ Und er sagt: „Prima, jetzt habe ich es geschafft, das Geschwür ist herausgeschnitten.“ Oder ein Gallenkranker zeigt seine Steine und sagt: „Das war’s, jetzt geht es der Genesung entgegen, das liegt hinter mir.“
Dann würden Sie sagen: „Nee, nee, das stimmt doch noch gar nicht.“ Aber gerade bei Kranken sind wir es gewohnt, sehr wohl unterscheiden zu können, wo die Krise einer Krankheit liegt und wo der Genesungsprozess anfängt.
Genauso ist es im Leben eines Menschen, der anfängt, den Gekreuzigten zu verstehen, der anfängt, mit Jesus zu leben. Da ist der Einschnitt in dem Augenblick, wo ein Mensch nicht mehr ohne Gott versucht, sich ein frommes Leben aufzuzwingen, sondern sagt: „Herr Jesus, dir lebe ich, dir leite ich, dir sterbe ich, dein bin ich – tot und lebendig.“
In dem Augenblick öffne ich mein Leben, damit Jesus mit seinen neuen Kräften etwas anderes bei mir schaffen kann. Natürlich gibt es noch Sünde in meinem Leben, aber etwas ganz Neues beginnt. Er wird in unserem Leben die Frucht des Heiligen Geistes sein, die Liebe und Freude aus uns hervorbringt.
Lassen Sie mich noch einmal ein Bild benutzen, um es etwas klarer zu machen: Wenn man einen Garten hat und ihn bebauen will, muss man zunächst viel Unkraut herausziehen.
Manchmal bedauern wir, dass wir keinen Garten mehr haben. Aber manchmal denke ich auch: Ich bin froh, dass ich kein Unkraut mehr herausziehen muss, denn das kann ziemlich viel Mühe machen. Doch damit ist ein Garten noch nicht bebaut, nur weil man Unkraut herauszieht. Man ist damit noch nicht fertig.
Das Entscheidende bleibt die Pflanzung – dass schöne Setzlinge kommen, dass Büsche gepflanzt werden. Bei vielen Christen spielt sich das Leben nur so ab, dass sie dauernd auf der Jagd sind, das Böse in sich besiegen zu wollen.
Ich bewundere manche Humanisten, die das meisterhaft können. Aber das ist noch zu wenig. Es wird erst schwierig, wenn man fragt: Wo kann ich die richtigen Pflanzen in meinem Leben finden? Die Pflanzen, die etwas Neues in mir bewirken.
Und da sagt Jesaja: Wir sind geheilt, wir sind heil geworden, denn jetzt ist der Weg zu Gott wieder frei geworden.
Ein Tag beginnt damit, dass ich still werden kann und sagen darf: „Herr Jesus, gib mir deinen guten Geist heute. Ich habe so viele Aufgaben, ich kann sie kaum überschauen. Gib mir Geduld und Liebe in mein Herz. Ich bin wie ein ausgetrockneter Schwamm, du musst in mir wirken.“
Und dann erleben wir, dass er das tut, dass er in zerbrochenen Menschen Wohnung nimmt. Deshalb sind wir geheilt. Deshalb reden wir gar nicht mehr darüber, dass uns manches noch Not macht an uns selbst.
Das Entscheidende ist geschehen: Wir sind versöhnt. Wir stehen nicht mehr unter dem Zorn Gottes, sondern in seiner Liebe. Er neigt sich zu uns und erneuert unser Leben zu etwas ganz Großem, Neuem.
Die Macht des Bösen ist ganz entscheidend getroffen und verletzt. Jetzt kann in unserem Leben das Neue geschehen. Die Gesundung ist angebrochen.
Die endgültige Befreiung: Wir sind erlöst
Noch das Letzte, was ich zur Heilung sagen möchte: Ich habe ja gesagt, wir sind geheilt. Das heißt, wir sind beschenkt von Jesus, wir sind versöhnt und jetzt auch erlöst.
Wenn wir vom Bösen sprechen, das unser Leben prägt, dann wissen wir genau, dass es nicht nur einzelne Taten sind, sondern dass sie ihre Auswirkungen haben, die sich fortsetzen. Ein unglückliches Wort, einmal gesprochen, kann über Jahrzehnte eine Familie vergiften. Eine Lüge kann ein ganzes Leben überschatten. Das ist das Furchtbare am Bösen, das wir tun.
In dem Moment, in dem wir uns von Gott abwenden und unser Leben nach unseren eigenen Maßstäben gestalten, geraten wir immer wieder unter die Macht des Bösen. Und wir merken: Wenn man einmal anfängt, muss man weitermachen. Das ist wie eine Kette, ein Glied hängt am anderen. Oft kann man nicht mehr heraus, man muss weiter sündigen.
Wir leben nicht nur in Abhängigkeiten, in Süchten und Trieben, aus denen man sich kaum befreien kann – so wie ein Alkoholkranker sich nicht losreißen kann. So erlebt man es in vielen Bindungen. Man ist einfach in das Böse hineingeknechtet und wird nicht mehr frei.
Wenn wir sagen, wir sind heil geworden, wird jemand sagen: „Ich möchte diese Heilungskraft in meinem Leben erfahren.“ Aber wenn man so hineingebunden ist, kann man kaum erwarten, dass die Ehe erneuert wird. Man kann kaum daran denken, dass Familie und Verhältnisse, Kinder und Eltern, noch einmal neu werden sollen. Dass man ganz neu anfangen kann, etwa im Umgang mit Geld oder mit anderen Lasten. Ist das wirklich möglich?
Ganz entscheidend ist, dass wir das Wort „wir sind geheilt“ auch in dieser Richtung verstehen. Im Neuen Testament wird immer wieder gesagt, dass der gekreuzigte Jesus durch seinen Sieg auf Golgatha dem Bösen die Macht nehmen kann. Sein Sieg ist noch verborgen, deshalb fragen viele: „Wo sehe ich ihn?“
Dort, wo jemand beginnt, mit Jesus zu leben, zeigt sich die Erlösungskraft. Bei der Vorbereitung einer Predigt habe ich in einem Buch, das Lebensbeschreibungen enthält, gesehen, wie eine einfache Schwester in Berlin sich von Gott führen ließ, zu den zum Tod Verurteilten zu gehen und ihnen die Erlösung Jesu zu verkündigen. Dort wird beschrieben, wie ein zwanzigfacher Mörder die Erlösungskraft Jesu annimmt.
Ich weiß, das ärgert manche und sie sagen: „Das war ein Unrecht!“ Aber wenn das wirklich geschieht, gibt es Hoffnung. Wenn Jesus nicht wirklich die Macht des Bösen mit all seinen schrecklichen Folgen auslöschen könnte, gäbe es keine Hoffnung für mich.
Wir leiden darunter, dass Spuren unserer Sünde bleiben – ganz drastisch bei einem Mörder, aber auch bei uns nicht weniger. Und doch dürfen wir wissen: Jesus ist so mächtig, dass er auf eine unerkannte Weise sogar die Folgen unserer Sünde auslöschen kann, wie wir es oft nie für möglich gehalten hätten.
Ich kann mein Leben nicht mehr heilen. Ich kann nicht zurückgehen in die vergangenen Jahre. Ich kann nichts wieder gutmachen, zum Beispiel meinem Vater, der längst begraben ist. Das ist vorbei. Aber Jesus kann erlösen.
Er kann uns so freimachen von den Folgen der Sünde. Er kann uns noch viel mehr befreien von der Kettenwirkung der Sünde und des Bösen, die uns immer weiter sündigen lässt. Er kann einen Einschnitt in mein Leben machen, weil er Herr über alles ist.
Das Blut Jesu Christi macht mich rein von aller Sünde. Man sagt: „Die Katze lässt das Mausen nicht.“ Aber wo der gekreuzigte Jesus als Herr und Erlöser angenommen wird, da lässt ein Sünder sogar das Sündigen. Dort sucht ein Mensch nur noch, Gott zu leben und ihm zur Ehre zu sein.
Christus ist darum für alle gestorben, damit die, die leben, nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. Amen.
