Einführung in das Thema und persönliche Motivation
Bibelwoche 2012
Wir starten mit einem Einstieg in das Buch, das wir gemeinsam betrachten wollen. Es stand bisher nicht ausdrücklich dabei, und es hat auch noch keiner gesagt. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das so geheimnisvoll sein sollte oder ob vielleicht nur eine eingeweihte Schar von Ältesten im Raum Bescheid weiß. Ich will euch aber nicht länger auf die Folter spannen: Wir werden diesmal kein ganzes Buch schaffen.
Wir werden uns den ersten Korintherbrief anschauen, die Kapitel 1 bis 10. Im nächsten Jahr werden wir dann die vielleicht für viele spannenderen Kapitel 11 bis 16 behandeln. Ich gebe zu, Kapitel 11 bis 16 sind thematisch prickelnder, da gibt es mehr Zündstoff. Kapitel 1 bis 10 sind aber auch interessant, das möchte ich euch versprechen. Das Buch ist insgesamt sehr, sehr spannend.
Ich möchte Max nochmals danken, dass du uns ehrlich an deinem Versagen hast teilhaben lassen und uns gesagt hast, wo du einen Fehler gemacht hast. Mich persönlich motiviert das, wenn ich im Leben anderer sehe: Ja, sie fallen auch mal auf die Nase, aber dann stehen sie wieder auf. Irgendwie ist es danach, wenn man aufgestanden ist, viel besser als vorher. Es ist vielleicht sogar ein Stückchen besser, obwohl das theologisch schwierig zu begründen ist. Aber im Leben hat es etwas, wenn man mal richtig auf der Nase liegt, mit Gotteskraft wieder aufsteht und sagt: Aha, so fühlt sich das also an, wenn man unten liegt, und so fühlt sich das an, wenn man wieder aufsteht.
Leute, die immer mit einem Honigkuchenpferd-Grinsen durch die Gegend laufen und den Eindruck vermitteln, sie hätten nie ein Problem im Leben, machen nie etwas falsch, liegen nie auf der Nase, sind mir persönlich sehr suspekt. Wenn ich ehrlich bin, erwarte ich von solchen Leuten nicht, viel lernen zu können. Egal wie viel theologisches Wissen sie haben oder wie viele richtige Entscheidungen sie getroffen haben.
Ich genieße Menschen, die Fehler gemacht haben, zu ihren Fehlern stehen und sagen: Schau, als ich da unten lag, auf der Nase im Dreck, hat Gott mich wieder hochgezogen. Da kam Gott mit Macht in mein Leben, hat mir Mut geschenkt, eine neue Vision und Perspektive gegeben und ist mit seiner Kraft an meine Seite getreten. Das finde ich absolut faszinierend. Deshalb vielen herzlichen Dank.
Ich nehme das einfach mal als Einstieg in unsere Bibelwoche zum ersten Korintherbrief. Denn mir geht es bei den Korinthern ähnlich. Ich mache so meine ganz persönlichen Erfahrungen in Gemeinden, und die sind durchaus durchwachsen. Man arbeitet in Gemeinden mit und denkt, man sei in einem Kreis von gleichgesinnten, erwachsenen Gläubigen. Doch manchmal habe ich den Eindruck, ich bin im Kindergarten.
Das soll jetzt gar nicht böse gemeint sein, es ist einfach nur ein Eindruck. Man will gemeinsam Gemeinde bauen, aber es quietscht hier und knackt dort. Der zieht nicht richtig mit, der hat etwas versprochen und hält sich nicht daran, der müsste eigentlich etwas viel besser wissen. Man ist so im Miteinander unterwegs, und Gemeindebau empfinde ich persönlich oft als etwas, das sehr zum Haare raufen ist.
Wenn ich wüsste, dass aus Gottes Perspektive das Reich Gottes und damit auch Gemeinde das wertvollste und wichtigste auf dieser Erde ist, hätte ich vielleicht das eine oder andere Mal große Lust gehabt, mich an einem anderen Projekt zu vergnügen. Wenn es da nicht immer wieder Mutmacher in der Bibel gäbe.
Mutmacher sind Leute wie Paulus, die sagen: Ich baue auch Gemeinde. Ich weiß nicht, ob ihr Paulus kennt, aber wenn Paulus den ersten Korintherbrief schreibt, dann schreibt er ihn an eine Gemeinde, die ich mir immer vor Augen führe, wenn ich mit meiner eigenen Gemeinde unzufrieden bin.
Wenn man in der Bibel eine Chaotentruppe suchen würde, also eine Gruppe von Christen, bei der man sagt: Schlimmer geht es wirklich nicht mehr, dann müssen wir uns die Korinther anschauen.
Herausforderungen und Konflikte in der Gemeinde Korinth
Ich gebe euch ein paar Schlaglichter auf das, was wir in den nächsten zwei Bibelwochen betrachten werden. Ich glaube, dass die Korinther ziemlich alles falsch machen, was man in einer Gemeinde falsch machen kann. Ihr Miteinander ist von Spannungen geprägt.
Das ist eine Gruppe, die ein bisschen reicher ist, andere sind etwas ärmer. Sie schaffen es nicht einmal vernünftig, gemeinsam das Abendmahl zu feiern. Dann gibt es verschiedene Gruppen: Die einen sagen, sie sind eher Paulus-Typen, andere eher Petrus-Typen, und wieder andere stehen mehr auf Apollos. Warum das so ist, schauen wir uns morgen Abend an. Ein einheitliches Element scheint in der Gemeinde nicht verbreitet zu sein.
Auch der Umgang mit Sünde ist problematisch. Auf der einen Seite müsste man eingreifen und Menschen helfen, die mitten in der Sünde stecken. Aber die Korinther sagen: Nein, wir sind viel zu lieb, wir machen das nicht, wir sind tolerant. Diese Toleranz geht so weit, dass Paulus sagt: "Spinnt ihr?" So tolerant, dass Geschwister einander vor Gericht zerren und versuchen, sich gerichtlich zu übervorteilen. So tolerant, dass es kein Problem ist, abends auf die Reeperbahn zu gehen, zu Prostituierten.
Diese Toleranz betrifft auch grundlegende Dinge wie die Heiligkeit der Ehe, die Unheiligkeit von Götzendienst oder das gemeinsame Gebet. Man hat den Eindruck, dass nichts mehr richtig läuft. Der Gottesdienst bei den Korinthern wird mehr und mehr zu einer Show-Veranstaltung, bei der jeder mit seinen Gaben glänzen möchte. Wenn ich etwas kann, dann zeige ich es allen – nicht, um Gott zu ehren, sondern damit die anderen sehen, wie toll ich bin. Es ist eine Art Schaulaufen.
Auch theologisch sieht es schlecht aus. Die Auferstehung wird schon lange nicht mehr geglaubt. Wenn man den Gottesdienst betrachtet, fragt man sich: Ist irgendetwas in dieser Gemeinde noch in Ordnung? Ehrlich gesagt sehe ich nur wenige Dinge, die richtig in Ordnung sind.
Trotzdem wird Paulus für diese Leute danken, wie wir heute noch sehen werden. Er schreibt diesen Brief, weil er Hoffnung für sie hat. Er sagt: "Hey, Gott hat bei euch etwas angefangen. Im Moment ist alles turbulent, alles drunter und drüber, aber das ist kein Problem."
Das fand ich so schön: Der Inhalt der Lieder, die wir heute gesungen haben, fasst das gut zusammen. Der Tenor der Lieder war sehr stark Vertrauen – Vertrauen in einen Gott, auf den ich still sein kann, der zu mir steht, ein Gott, der mich retten wird. Das ist auch der Tenor des 1. Korintherbriefs.
Wir werden uns noch viele Probleme anschauen, aber wir können das nur tun, weil Paulus als Apostel diese Hoffnung hat – die Hoffnung auf einen Gott, der alles in der Gemeinde zurechtbringen kann. Egal wie verfahren die Situation ist, sei es ein theologisches Durcheinander, ein gemeinschaftliches oder moralisches Chaos – Paulus vertraut auf einen Gott, der treu ist und die Kraft und den Willen hat, Gemeinde zu ordnen.
Das muss uns im Hinterkopf bleiben. Wenn du jemals an den Punkt kommst, an dem du über deine Gemeinde verzweifelst – sei es wegen Grüppchenbildung, theologischen Fragen oder seltsamen Abläufen – dann erstens: Willkommen im Club. Und zweitens: Vielleicht motiviert dich der 1. Korintherbrief so wie mich. Er schenkt immer wieder Hoffnung, dass man sich erst dann wirklich Sorgen machen muss, wenn die Umstände schlimmer sind als hier.
Ich muss ehrlich zugeben: So schlimm war es in den Gemeinden, in denen ich bisher war, noch nie – obwohl wir uns schon das eine oder andere erlaubt haben.
Also, erster Punkt: Wenn wir den 1. Korintherbrief studieren, werden wir uns viel mit Problemen auseinandersetzen. Aber bitte behaltet den großen Blick aus göttlicher Perspektive. Gott schaut auf seine Kinder und freut sich über sie. Ein Apostel, der das begriffen hat, versucht, das immer zu vermitteln.
Es geht nicht um den erhobenen Zeigefinger, sondern um das Kreuz, das im Mittelpunkt steht – ein Kreuz, an dem alles vollbracht ist. Wir brauchen diesen Blick, den Blick eines himmlischen Vaters.
Gottes liebevolle Begleitung trotz Scheitern
Mich fasziniert im Moment ein Bild, das ich in letzter Zeit sehr oft verwendet habe. Ich weiß nicht, ob ihr euch das vorstellen könnt: In einer Familie gibt es diese Phase mit kleinen Kindern, die noch dicke Windeln tragen und gerade dabei sind, den aufrechten Gang zu lernen.
Man sieht diese kleinen Würmer, die versuchen, ein paar Schritte zu machen. Dann plumpsen sie wieder hin und liegen da. Doch schon stehen sie wieder auf und freuen sich. Habt ihr so etwas vor Augen? Ein kleines Kind läuft drei Schritte, und plumps, fällt es wieder auf den dicken Windelpopo. Dann steht es wieder auf, jemand hilft ihm hoch, es macht drei Schritte, und wieder plumps fällt es hin.
Ich stelle gerne eine Frage, wenn Christen ihr Gottesbild reflektieren: Wenn du so ein Vater bist, der sein eigenes Kind, vielleicht seine kleine Tochter, sieht, die etwa ein Jahr alt ist und ihre ersten Schritte macht – und du siehst, wie sie drei Schritte tappt und dann wieder plumps auf den Hintern fällt – darf ich dir eine Frage stellen? Freust du dich über die drei Schritte oder ärgerst du dich darüber, dass sie auf den Hintern gefallen ist?
Ich sage dir: Ich freue mich über die drei Schritte. Und wenn sie auf den Hintern plumpst, dann hebe ich sie wieder hoch. Wenn sie wieder zwei Schritte macht, bin ich wieder da und freue mich. Und wenn sie wieder plumps macht, weiß ich das, dann hebe ich sie wieder hoch. Denn ich weiß, dass sie Schritt für Schritt das Laufen lernen muss.
Ich wünsche mir, dass wir, wenn wir den 1. Korinther 5,3-12 lesen, ein Gottesbild haben, in dem ein Vater im Himmel uns als seine Kinder genau so sieht. Gott freut sich über die Schritte, die wir tun. Und wenn es uns mal wieder auf den Popo setzt, dann hebt er uns wieder hoch.
Dieser Brief ist ein Hochheben. Er ist die göttliche Unterstützung, die die Gemeinde in Korinth bekommt, um wieder die nächsten Schritte zu tun. Und was auch immer wir tun, wir können mit unserem Leben nicht aus der Freude Gottes fallen.
Das möchte ich an den Anfang stellen, weil es ein so kritischer Brief ist. Du kannst nichts tun – weder im Positiven noch im Negativen –, damit Gott dich mehr liebt. Gott ist begeistert von dir. Selbst wenn er eine Gemeinde sieht, bei der er nüchtern sagen muss: „Da müssen wir noch mal ein bisschen reinarbeiten, da sind wir noch lange nicht fertig“, dürfen wir diesen Blick haben: Gott ist ein begeisterter Vater, der sich über jeden Schritt freut, den wir tun. Und wenn er uns mal hinlegt, dann hebt er uns wieder auf.
Mir ist wichtig, dass wir mit diesem Blick starten. Das war die erste Vorbemerkung. Der erste Korintherbrief macht mir Mut.
Besonderheiten eines Brieftextes und Herausforderungen der Auslegung
Die zweite Vorbemerkung: etwas ganz Grundsätzliches
Wir betrachten einen Brieftext. Der Apostel Paulus schreibt an eine Gemeinde in Korinth einen Brief. Dieser Brief ist so verfasst, wie man damals Briefe schrieb – also nicht stilistisch auffällig oder besonders kunstvoll. Weil es eben ein Brief ist, etwa im Jahr 54 nach Christus geschrieben, gilt für dieses Stück Bibel das, was für jeden Brief gilt.
Ich weiß nicht, ob ihr euch schon einmal Gedanken darüber gemacht habt: Die Bibel besteht aus sehr vielen unterschiedlichen Texten, die auch stilistisch verschieden sind. Vorhin wurde ein Psalm zitiert. Ein Psalm ist ein Lied, und als Text funktioniert ein Psalm anders als ein Brief.
Wenn du ein Lied hörst, übersetzt du die Sprache im Lied automatisch für dich. Wenn in einem Lied zum Beispiel steht: „Meine Frau ist eine Rose“ – ich mag dieses Beispiel, auch wenn ihr es vielleicht schon kennt – dann will ich damit nicht ausdrücken, dass sie stachelig ist und in einer Woche verblüht. Klar? Denn in einem Liedtext bedeutet „Meine Frau ist eine Rose“ einfach nicht das. Es kann Texte geben, in denen es genau das bedeuten könnte. Wenn das jetzt ein fachwissenschaftlicher Artikel über die Lebensdauer und die Stachligkeit von Rosen wäre, dann hätte es das bedeuten können. Aber in einem Liedtext bedeutet es das gerade nicht.
Deshalb ist es wichtig, wenn wir die Bibel lesen, uns kurz zu überlegen: Was heißt das eigentlich? Wir lesen einen Brieftext. So wie hier im Fall des ersten Korintherbriefs, wo Paulus an die Korinther schreibt. Und das heißt Verschiedenes. Es bedeutet, dass wir ein bisschen vorsichtig sein müssen bei dem, was wir da lesen. Denn wir kennen die Hintergründe des Ganzen nicht so genau, wie wir uns das manchmal wünschen würden.
Ein Brieftext im Neuen Testament funktioniert ungefähr so wie heutzutage eine E-Mail. Stell dir vor, Leute schreiben sich gegenseitig E-Mails, und mitten drin ist der erste Korintherbrief. Übrigens ist der erste Korintherbrief gar nicht der erste Brief, den Paulus schreibt, sondern wahrscheinlich der zweite. Fies, oder? Das heißt, wir lesen in einer Kette von Briefen den zweiten Brief.
Dieser zweite Brief hat eine Vorgeschichte, denn Paulus war in Korinth, hat die Gemeinde dort gegründet, kennt die Leute persönlich, weiß, wie sie ticken, welche Ideen in ihren Köpfen vorherrschen. Er hat selbst gepredigt und mit seinen Predigten die Ideen geformt. Er kennt die Kultur. An manchen Punkten reicht ein Schlagwort.
So wie heute, wenn man Witze macht und sich in einem Witz auf etwas bezieht. Ich habe zum Beispiel gestern in einer Jugendpredigt gesagt: „Ich hätte gern ein Haus am See, aber ohne Kinder.“ Die Jugendlichen haben gelacht. Warum? Weil es ein aktuelles Lied gibt, „Haus am See“, in dem jemand ganz viele Kinder hat. Und viele, zumindest die Jugendlichen, hatten sofort dieses Lied im Ohr.
Jetzt stell dir vor, du hörst diese Predigt: „Ich hätte gern ein Haus am See, aber ohne Kinder“ – und du baust daraus die theologische Ableitung, „Jürgen hasst Kinder.“ Falsch! Denn der Gag liegt darin, dass ich bei den Hörern etwas voraussetzen kann, was sie schon kennen, und darauf Bezug nehme.
Eine E-Mail macht genau das Gleiche. Ich schreibe dir und jemand anderes liest die zweite und die fünfte Mail. Viel Spaß, herauszufinden, worum es wirklich geht. Viel Spaß, bestimmte Aussagen, die wir treffen, genau einzuordnen. Das ist wirklich nicht leicht. Und das ist das Problem, das wir mit Brieftexten haben.
Zum Glück schreibt Paulus keine E-Mails, sondern Briefe, die sind etwas länger. Aber auch hier ist es so: Der Absender Paulus kennt die Empfänger. Er schreibt ihnen nicht ein Buch mit allem, was er zum Thema Gemeindebau sagen möchte, sondern er antwortet ihnen. Er antwortet im Wesentlichen auf zwei Dinge.
Paulus schreibt den Brief, weil er sich mit Leuten getroffen hat – in Ephesus, dort wohnt er zu der Zeit gerade. Das sind Abgesandte von einer Chloe oder einem Chloe aus Korinth. Warum auch immer, sie sind bei Paulus in Ephesus. Paulus trifft sich mit ihnen, und sie erzählen ihm, wie es in Korinth gerade läuft. Paulus denkt: „Boah, das geht ja drunter und drüber, da muss ich was machen.“
Ein Ansatzpunkt für den ersten Korintherbrief sind also Erzählungen. Menschen aus Korinth berichten Paulus in Ephesus über Dinge, die in Korinth passieren. Paulus denkt: „Okay, wenn das so bei euch ist, dann muss ich etwas dazu schreiben.“
Dann gibt es noch einen Brief mit Fragen. Paulus nutzt die Gelegenheit, dass er den ersten Korintherbrief schreibt, um auch auf diese Fragen, die anscheinend noch im Raum stehen, Antworten zu geben.
Aber überlegt mal: Wir bekommen in einem Brieftext Antworten auf Fragen, die wir nicht einmal kennen. Schön, oder? Da steht dann nur: „Was aber das und das betrifft.“ Du denkst: Super, jemand stellt eine Frage zum Beispiel zum Thema „Wie ist das mit den unverheirateten jungen Frauen?“ Paulus greift die Frage auf, wiederholt sie aber nicht, sondern sagt nur: „Was dieses Thema betrifft.“ Und er meint nicht das ganze Thema, sondern nur den einen Aspekt, den die Korinther ihm gefragt haben. Und den beantwortet er.
Ihr werdet sehen: Das macht viel Spaß, wenn man die Antwort liest und sich fragt, welche Frage er eigentlich beantwortet hat. Aber das müssen wir tun. Ein Brieftext ist speziell.
Dieses spezielle Element macht es in der Auslegung manchmal schwierig. Ich möchte euch grundsätzlich warnen bei Brieftexten: Den Sprung von „Hier steht eine Aussage“ zu „Ich nehme diese Aussage als Gebot oder Verbot für alle Christen zu aller Zeit“ solltet ihr nicht zu schnell machen. Man muss wirklich sauber mitdenken: Ist das so?
Vielleicht werde ich manches Mal bei der Auslegung des ersten Korintherbriefs etwas enger werden und sagen: Stopp! Das, was hier steht, ist zuerst einmal einer konkreten Gemeinde mit konkreten Problemen im Jahr 54 nach Christus geschrieben worden, in einer konkreten Zeit. Und ich würde es gerne erst einmal so stehen lassen und dann überlegen: Welches Prinzip von dem, was hier steht, kann ich auf heute übertragen?
Das ist nicht immer einfach. An manchen Stellen werde ich auch sagen: Sorry, da weiß ich vielleicht nicht, wie weit man übertragen kann. Aber ich werde so vorgehen. Und das müsst ihr einfach verstehen, weil gerade Brieftexte so sind, dass Empfänger und Absender sich kennen, dass sie nicht das erste Mal miteinander reden, dass sie sogar die Themen, die angesprochen sind, nicht das erste Mal miteinander besprechen. Sie können auf Dinge zurückgreifen, die beide kennen, und deshalb vertrauter oder klarer formulieren, als man das vielleicht sonst in einem Buchtext oder in einem Evangelium machen würde.
Hintergrundinformationen zur Stadt Korinth und ihrer Gemeinde
Korinth – kurz etwas zur Stadt und zu den Korinthern
Ich habe überlegt, ob ich eine Griechenlandkarte zeigen soll, aber ich glaube, ihr habt in den letzten sechs Monaten genug davon gesehen. Deshalb wisst ihr sicher, dass man Griechenland grob in zwei Teile einteilen kann: ein Festland im Norden und eine Art Hand, die unten daran hängt. Die Hand heißt Peloponnes.
Dort, wo die Hand auf das Festland trifft, wird es ganz eng. Das ist eine Landenge, ein sogenannter Isthmus. Diese Landenge verbindet das Festland mit der Peloponnes. Stellt euch vor, diese Landenge ist nur etwa sechs Kilometer breit. Auf jeder Seite dieser Landenge gibt es einen Hafen. Beide Häfen gehören zur selben Stadt – Korinth.
Wenn du das Wort „Hafen“ hörst und ungefähr eine Vorstellung davon hast, was eine Hafenstadt bedeutet, wird es bei dir „klick“ machen. Ein Hafen ist oft ein Rotlichtbezirk. Zwei Häfen bedeuten also zwei Rotlichtbezirke, richtig? Aber Korinth ist nicht nur für sein Rotlichtmilieu bekannt, sondern auch für seinen Handel. Es ist eine sehr reiche Handelsstadt.
Korinth richtete alle zwei Jahre die sogenannten Isthmischen Spiele aus, die man mit den Olympischen Spielen vergleichen kann. Dort gab es Sportveranstaltungen, aber natürlich auch Musik, Tanz und Kultur.
Die Bewohner Korinths waren bewusst römisch geprägt. Das hängt mit der Geschichte zusammen: Julius Caesar ließ die Stadt wieder aufbauen. Da niemand dort wohnen wollte, ließ er freigelassene Sklaven und ehemalige Soldaten ansiedeln. Diese Menschen waren so römisch geprägt, dass man das sogar an den Tempeln sehen konnte.
Wir befinden uns ja in Griechenland. Dort sprach man Griechisch. Im Rest der Welt, wo die Römer herrschten, sprach man ebenfalls oft Griechisch – außer vielleicht in Rom, wo Latein verbreiteter war. Die Korinther waren aber so romtreu, dass sie an ihren Tempeln nicht nur griechische Inschriften anbrachten. Um zu zeigen, wie nah sie an Rom waren und wie sehr sie das schätzten, gab es auch lateinische Inschriften.
Der Kaiserkult, der im gesamten Römischen Reich nicht überall eine große Rolle spielte, war in Korinth recht wichtig.
Die Menschen in Korinth hatten Geld, sie wussten, wer sie waren, und lebten in einer Metropole. Wenn ich einen Vergleich ziehen müsste: Korinth war in der Antike das, was heute New York, Los Angeles und Las Vegas sind – eine Hochburg des Finanzwesens, des Vergnügens und der Unterhaltung.
In so einer Stadt kam Paulus an und gründete dort eine Gemeinde. Wahnsinn, oder? Wenn ich mir vorstelle, wie diese Stadt gebrummt haben muss, wie multikulturell sie war und wie aus dem ganzen Römischen Reich Menschen, Waren und Attraktionen zusammenflossen, muss ich unwillkürlich an Berlin denken.
Es fällt mir fast schwer, die Bibelwoche in Oberkrämer zu machen, weil das so anders ist. Aber durch eure Nähe zu Berlin könnt ihr vielleicht nachvollziehen, wie es ist, nachts um zehn in einer pulsierenden Stadt zu sein, die lebt. So war Korinth.
Dass in so einer Stadt eine Gemeinde entsteht, ist ein Wunder an sich. Paulus selbst schafft es, eine Gemeinde zu gründen, in der ganz unterschiedliche Menschen zusammenkommen. Da sind zum Beispiel Sklaven und sehr reiche Leute. Manche haben römische Namen, andere griechische. Wenige stammen aus der Oberschicht, aber es gibt sie.
Wir wissen, dass einige Gemeindemitglieder früher Götzendiener waren und regelmäßig Götzentempel besuchten. Interessant ist auch, wie in der Gemeinde jüdische Fragen, wie die Beschneidung oder das Einhalten von Geboten aus dem Alten Testament, nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Stattdessen werden andere Fragen angesprochen.
Beginn der Auslegung: Erster Korintherbrief 1,1-9
Schauen wir uns den ersten Korintherbrief an. Ich möchte heute versuchen, die ersten zehn Verse zu besprechen. Wenn ihr wollt, werft mir gleich die ersten zehn Verse an: 1. Korinther 1,1-9. Bitte, 1. Korinther 1,1-9!
Paulus, berufener Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen – so beginnt der Brief. Paulus schreibt diesen Brief, obwohl er nicht vor Ort ist. Er sitzt in Ephesus, ein Stück weiter entfernt in der heutigen Türkei. Während er schreibt, weiß er, dass in Korinth Unruhe herrscht. Ein Problem der Korinther ist, dass sie ihren Gründerapostel nicht mehr wirklich bewundern. Sie können nicht einfach vergessen, was Paulus getan hat, aber irgendwie finden sie ihn nicht besonders beeindruckend.
Das kann ich gut verstehen. In einer Kultur, in der das Beste vom Besten musikalisch, tänzerisch und rhetorisch geboten wird, wirkt Paulus eher unscheinbar. Er ist kein großer Redner, kein charismatischer Tänzer oder Musiker. Trotzdem wirkt Gott durch seine Predigt, Menschen werden berührt und bekehren sich. Doch nach einer Weile fragen sie sich: Warum habe ich mich damals eigentlich so ansprechen lassen? Was ist an Paulus dran? Er scheint nicht viel herzumachen. Wenn ich ihn mit anderen Leuten vergleiche, mit denen man angeben kann, stehe ich mit Paulus auf verlorenem Posten. Ich kann nicht sagen: Ich gehöre zu Paulus, ohne dass die Leute denken, ich gehöre eben nur zu Paulus. Aber wer ist Paulus überhaupt?
Das ist ein bisschen so, wie wenn wir sagen: Ich gehöre zu Jesus. Wer ist denn Jesus? Für uns, die wir zweitausend Jahre Kirchengeschichte haben, klingt das noch nett. Aber in der damaligen Zeit hättest du sagen müssen: Ich gehöre zu einem galiläischen Wanderprediger, der behauptet hat, Gott zu sein, und der an einem Kreuz – dem elektrischen Stuhl der Antike – hingerichtet wurde. Er war ein Verbrecher unter Pontius Pilatus, vor etwa einem halben Jahrhundert. Du lebst in einer Gesellschaft, in der alles darauf ankommt, etwas darzustellen: sich schick zu kleiden, gut formulieren zu können, eine ordentliche Schulbildung vorzuweisen oder wenigstens Freunde in einflussreichen Positionen zu haben. Und dann gründet sich dein ganzer Glaube auf so einem mickrigen Apostel mit einem merkwürdigen Gottesbild?
Das war in der Gemeinde schwierig geworden. Die Gemeinde zog sich von diesem Apostel zurück. Natürlich gab es immer einige Gläubige der ersten Stunde, die ihn hochhielten. Aber insgesamt war die Gemeinde kritisch geworden und meinte: Für unsere aufgeklärte Zeit, für unsere Metropolengemeinde brauchen wir ein besseres Aushängeschild als diesen Paulus. Sie begannen, schlecht über ihn zu reden und sich von seinem vorbildlichen Lebensstil zu distanzieren.
Jetzt muss Paulus sie zurückrufen. Er muss ihnen sagen: Der Weg, den ihr geht, ist nicht nur ein Weg weg von Paulus, sondern ein Weg weg von Jesus Christus. Deshalb beginnt er so stark und sagt: Paulus, berufener Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen. Er betont, dass er sich den Dienst nicht selbst ausgesucht hat, sondern dass Gott ihn berufen hat. Er ist Apostel.
Der Begriff Apostel kann in der Bibel verschiedene Bedeutungen haben. In einem weiten Sinn ist ein Apostel einfach ein Gesandter oder Briefträger. Etwas enger gefasst ist es ein Abgesandter einer Gemeinde mit einer bestimmten Aufgabe. Noch enger bedeutet Apostel ein Mitarbeiter eines Apostels im engsten Sinne. Ganz eng schließlich steht Apostel für die dreizehn Männer: die elf überlebenden Apostel – also die zwölf, die von Jesus berufen wurden, ohne Judas, dafür mit Matthias, der nachgewählt wurde, und Paulus. Paulus gehört also zu diesem innersten Kern der Apostelschaft, zu denen, die von Gott berufen wurden, in die Welt hinauszugehen und Gemeinden zu gründen – mit apostolischer Autorität.
Paulus schreibt das, um seine Autorität zu unterstreichen. Er fügt noch jemanden hinzu: Sostenes, der Bruder. Wer genau Sostenes war, wissen wir nicht. Vielleicht ist es derjenige, der an anderer Stelle in der Apostelgeschichte erwähnt wird (Apostelgeschichte 18,17). Damals war er noch ein ungläubiger Synagogenvorsteher, der sich später bekehrte. Aber sicher ist das nicht, auch wenn es eine schöne Geschichte wäre. Auf jeden Fall muss es jemand sein, den die Korinther gut kennen.
Paulus ist der Absender. Wer ist der Empfänger? An die Gemeinde Gottes, die in Korinth ist. Ein Gedanke, der heute von wenigen noch verstanden wird: Paulus schreibt an eine Ortsgemeinde, aber er identifiziert die Ortsgemeinde mit der Stadt. Er schreibt an die Gemeinde Gottes, die in Korinth ist. Es klingt, als gäbe es in jeder großen Stadt erst einmal nur eine Gemeinde. Das ist ein schöner Gedanke: Jede Stadt hat ihre Gemeinde.
Vielleicht müssen wir, wenn wir solche Formulierungen lesen, vorsichtig sein mit unserem ortsgemeindlichen Denken. Wir sollten uns nie nur mit unserer Gemeinde an unserem Ort identifizieren, sondern immer begreifen, dass Gott größer denkt. Für ihn gibt es in Korinth oder Berlin eine Gemeinde. Diese können wir heute nicht mehr so einfach identifizieren, denn wir sind zersplittert. Aber Gott sieht genau, wer dazugehört.
Paulus beschreibt die Gemeinde als die Geheiligten in Christus Jesus. Wenn Paulus Gläubige anspricht, nennt er sie Geheiligte, oft auch Berufene Heilige. Das klingt sehr ähnlich. Wir sind Geheiligte und Berufene Heilige. Es sind zwei Aspekte derselben Sache.
Ich hoffe, das wird tief verstanden: Du bist einerseits ein Geheiligter – Gott hat dich heilig gemacht. Jesus ist am Kreuz gestorben als der Gerechte, als der Heilige, und seine Heiligkeit ist unsere Heiligkeit. Kannst du das glauben? Dass, wenn Gott dich anschaut, er nicht zuerst deine Fehler sieht, sondern die Heiligkeit Christi? Ein wunderschöner Gedanke.
Weil wir Geheiligte sind, sind wir auch Berufene zur Heiligkeit. Gott schenkt uns seine Heiligkeit, aber das heißt nicht, dass jetzt alles gut ist. Wir sind Berufene Heilige, Menschen, die dazu berufen sind, diese Heiligkeit in unserem Leben auszuleben. Wir sollen immer mehr von dem, was Jesus uns im Moment unserer Umkehr geschenkt hat, auch subjektiv, persönlich erfahren und widerspiegeln.
Was ich an diesem ersten Korintherbrief mag, ist, dass ein Problem der Korinther ihr exklusives Denken war: „Wir Korinther haben die Weisheit mit Löffeln gefressen, wir wissen alles besser, wir machen alles richtiger, wir sind sowieso die einzig Wahren.“ So sahen sie sich. Alles, was sie taten, war besonders und richtig. Sie standen an der Spitze.
Jetzt schreibt Paulus ihnen einen Brief und sagt: Das, was ich euch mitgebe, könnt ihr auch weitergeben an die Gemeinde Gottes, die in Korinth ist, samt allen, die an jedem Ort den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen. Schön, oder? Das, was Paulus schreibt, gilt allen. Es ist nicht so, dass jede Gemeinde ihr persönliches Glaubensleben baut. Es gibt Dinge, die für alle gelten.
Deshalb ist dieser erste Korintherbrief an alle Christen gerichtet, die den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen – mit dem Namen ist die Person gemeint. Paulus wünscht ihnen zwei Dinge: Gnade und Friede von Gott. Gnade und Friede.
Er wünscht ihnen Gnade, fast wie ein Gebet, und Frieden. Er wünscht, dass Gott in ihrem Leben wirkt und ihnen aus der Fülle seiner Freundlichkeit schenkt, was sie brauchen. Und er wünscht ihnen inneren Frieden.
Gnade ist das, was Gott tut, und Frieden ist das, was wir erleben – Frieden von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Immer wenn Paulus das Wort „Herr“ verwendet, meint er eigentlich Gott. „Herr Jesus Christus“ ist nicht Herr Meier oder Frau Müller, sondern „Herr“ ist die griechische Übersetzung des alttestamentlichen Gottesnamens Jahwe oder Adonai. Wo im Hebräischen Gott mit seinem Namen genannt wird, übersetzt der Grieche mit „Herr“. Der Herr Jesus Christus ist also Gott.
Ich hatte euch gesagt: Es ist eine Chaotengemeinde, die sich gerade von ihrem Gründer zurückzieht. Du könntest stinksauer sein. Ich weiß nicht, wie du einen solchen Brief schreiben würdest, wenn du dein Leben in den Aufbau einer Gemeinde investiert hättest und die Gemeinde sagt: Wir wollen dich nicht mehr.
Mich fasziniert Paulus an dieser Stelle immer wieder, weil sein Fokus nicht auf sich selbst liegt. Er denkt nicht: Was tun die mir an? Was machen die aus meiner Gemeinde? Wie können die so über mich reden? Das ist überhaupt nicht sein Fokus. Sein Fokus ist: Was hat Gott in euch gewirkt?
In diesen ersten Versen finden wir zehnmal einen Bezug auf Jesus Christus. Ich glaube, das ist kein Zufall. Paulus weiß genau, was die Gemeinde braucht. Die Gemeinde braucht eine lebendige Vorstellung davon, was Jesus für sie getan hat, wer Jesus ist und was Jesus mit ihr vorhat.
Die Gemeinde braucht nicht zuerst einen Rüffel, wie sie mit Paulus umgehen soll. Deshalb schreibt Paulus am Anfang: „Ich danke meinem Gott allezeit eurer wegen für die Gnade, die euch gegeben ist in Christus Jesus.“ Er geht auf die Knie und dankt für seine Gemeinde – für diesen chaotischen Haufen. Schön, oder?
Ich habe mir das zum Vorbild genommen. Wenn Paulus es schafft, für die Korinther zu danken, dann werde ich bis zum Rest meines Lebens für alle Gemeinden, die ich kenne, etwas zum Danken finden.
Wofür dankt er? Er dankt dafür, dass Gott ihnen Gnade gegeben hat. Gnade kann hier auch Gnadengabe bedeuten, denn sie sind beschenkt. Es geht weiter mit Gnadengaben, also mit den Dingen, die Gott in der Gemeinde wirkt, damit Gemeinde funktioniert. Wo Gott Menschen außergewöhnlich begabt, um Gemeinde zusammenzuhalten.
Egal, was man den Korinthern vorwerfen kann – ja, sie sind durchaus ein bisschen durcheinander – Paulus sieht, welches Potenzial in ihnen steckt. Nicht nur das, was sie tun, sondern das, was sie tun könnten. Wo Kraft, Begabung und Berufung da sind, ist nur noch die falsche Richtung ein Problem. Die Richtung muss wiedergefunden werden, aber da ist etwas.
Wie oft passiert es uns, dass wir eher auf das schauen, was nicht funktioniert? Ich ertappe mich oder habe mich in der Kindererziehung ertappt, dass ich mich eher auf schlechte Noten konzentriere, statt auf das Potenzial. Oder ich beurteile mein eigenes Leben und sehe zuerst, was nicht geklappt hat, statt was klappt und wo Gott mich gebraucht hat.
Paulus schafft diesen Blick: „Ich danke meinem Gott allezeit.“ Er hat offenbar ein regelmäßiges Gebetsleben für alle Gemeinden. Wenn ich bete, sage ich: Ich danke für euch. Ich hoffe, niemand hier sitzt, der in der letzten Woche nicht für seine Gemeinde gedankt hat. Ich hoffe das wirklich von Herzen.
Wenn du keine Ahnung hast, schreibe heute Nachmittag zehn, zwanzig Punkte auf, wofür du für diese Gemeinde danken kannst. Bitte tu das und danke regelmäßig: für die Gemeinde, für die Geschwister, für ihre Begabungen, dafür, dass es euch hier gibt. 180 Gemeindeglieder, 210 Gottesdienstbesucher, wir fahren gemeinsam weg – das sind drei Gebetsanliegen, drei Dankanliegen.
Falls du das nicht sehen solltest, sage ich es dir nochmal oder lass den Trailer nochmal einspielen: Das sind die ersten drei.
Ich danke Gott, dass hier so eine Gemeinde existiert. Ich danke, dass wir zusammen sind. Ich danke dafür, dass jemand eine Gemeindefreizeit organisiert. Weißt du, wie viel Arbeit es ist, so eine Gemeindefreizeit vorzubereiten? Ich würde um nichts in der Welt diesen Job machen wollen. Ehrlich. Am Ende bekommt man gesagt, was alles nicht geklappt hat. Ja, und ich hoffe, dass es ein paar unter euch gibt, die dann noch nette E-Mails hinterherschreiben.
Ich danke, weil ihr reich gemacht worden seid. Worin? In allem Wort und aller Erkenntnis. Da muss ich schmunzeln. Wort und Erkenntnis heißt so viel wie: Ihr könnt gut reden und ihr habt einen dicken Kopf. Das ist an sich noch nicht positiv, aber auch nicht negativ.
Ich denke an meine Spandauer, die kriegen auch zu jedem noch einen dusseligen Spruch raus. Großstädter sind das, würde Paulus sagen. Ihr wisst von allem mehr, als ihr braucht, und habt zu allem etwas zu sagen. An einer Stelle wird Paulus sagen: Passt auf, diese Erkenntnis kann euch aufblähen und wichtiger werden als die Liebe.
Wenn ihr im Wort reich seid – und Paulus meint hier sicherlich auch Gnadengaben, die mit Wort zu tun haben, wie Predigt, Zungenrede, Prophetie, Erkenntnis, Wort der Weisheit – dann kann es passieren, dass man das falsch einsetzt. Aber was Paulus nicht tut, ist zu sagen, das sei schlecht.
Er sagt: Schaut mal an, ihr habt so viel Power, das ist irre. Ich freue mich, dass ihr solche Typen seid. Ich freue mich, dass ihr Lust am Lernen habt. Ich freue mich, dass ihr euch traut, etwas zu sagen, auch wenn es nicht immer richtig ist. Aber ich freue mich trotzdem, weil dadurch das Zeugnis des Christus unter euch befestigt worden ist.
Da ist etwas fest geworden, da ist etwas passiert bei euch. Gott hat euch reich gemacht und dafür gesorgt, dass das Zeugnis des Christus – das ist die Verkündigung des Apostels, letztlich das Evangelium – in eurer Gemeinde fest geworden ist, dass etwas gewachsen ist.
Weil Gott an euch gewirkt hat, habt ihr an keiner Gnadengabe Mangel. Die Betonung liegt nicht auf „Ihr habt alle“, denn ich glaube nicht, dass jeder alles hat. Es gibt Gnadengaben, die nicht in der Bibel stehen, aber das machen wir nächstes Jahr.
Die Betonung hier im griechischen Text ist: Ihr habt an keiner Stelle weniger als den Durchschnitt, keinen Mangel. Man könnte auch sagen: Ihr seid nicht zurückgeblieben, ihr seid nicht geringer, ihr habt das, was ihr braucht. Ihr seid reich.
Ich freue mich. Daher habt ihr an keiner Gnadengabe Mangel, während ihr das Offenbarwerden unseres Herrn Jesus Christus erwartet. Das sind zwei Seiten, mit denen ich euch in den Sonntag entlasse.
Wir sind Menschen, die auf der einen Seite von Gott begabt, berufen und beschenkt sind. Gott hält euch zusammen, indem er von oben dafür sorgt, dass die unterschiedlichen Aufgaben, die erledigt werden müssen, wie unterschiedliche Glieder an einem Leib, durch verschiedene Begabungen angegangen werden können.
Das ist die eine Seite, das ist das Heute. Heute sind wir berufen zur Gemeinschaft, heute sind wir berufen, ein Team in der Gemeinde zu sein, heute sind wir berufen, das Trennende mit einem Aufblick zum Kreuz aus unserer Mitte zu entfernen und eins zu werden.
Aber – und das ist ganz wichtig – wir tun das vor dem Hintergrund: „Während ihr das Offenbarwerden unseres Herrn Jesus Christus erwartet.“ Wir leben dieses Leben der Gemeinschaft vor dem Hintergrund, dass Jesus wiederkommt.
Wir leben es nicht als Selbstzweck. Wir leben es nicht für uns selbst. Wir schaffen uns nicht den Kuschelclub der Erretteten, der sich selbst gefällt und dessen Aufgabe darin besteht, eine nette Gemeinde zu schaffen – einen Ort, der heimeliger ist als draußen in der bösen Welt.
Wir wissen, dass das hier ein Abschnitt ist, den wir füllen. Wir warten darauf, dass etwas ganz anderes, Epochales passiert: dass Jesus wiederkommt.
Ich meine mit „wiederkommt“ nicht, dass er einfach durch diese Tür tritt, sich hier vorne hinstellt und euch begegnet. Darauf warte ich, darauf warten die Apostel, darauf warten Christen seit zweitausend Jahren. Und das ist der Punkt, auf den wir hinleben.
Wenn wir über Gemeinde nachdenken und uns überlegen, wie Gemeinde funktionieren kann, darf es nie sein, dass wir nur die Gemeinde sehen. Es muss immer dieser Blick nach vorne sein. Wir leben auf diesen Punkt hin.
Wir werden irgendwann Rechenschaft geben für das, was wir getan haben. Wir werden Jesus begegnen. Gemeinde ist dazu da, diesen Weg dahin erträglicher zu machen, auf diesem Weg Gottes Auftrag zu erfüllen, dafür zu sorgen, dass Menschen ins Reich Gottes hineingerettet werden.
Aber es ist ein Hinleben. Wir haben eine Erwartung, und wir drehen uns nicht um uns selbst.
Mit diesem Gedanken möchte ich schließen. Wir haben morgen noch mehr Zeit. Wir haben es mal wieder nicht geschafft, aber das ist ja nicht schlimm.