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Wachsende Erkenntnis – der Blindgeborene

23.06.2013Johannes 9,1-41

Zunächst vielen Dank. Ich möchte euch von Herzen willkommen heißen und an diesem Sonntagmorgen im Namen unseres auferstandenen Herrn begrüßen.

Liebe Freunde, Folgendes hat sich ereignet: Zwei Missionare, ein Ehepaar, waren von Papua-Neuguinea zurückgekehrt, genauer gesagt von Neubritannien. Das Gebiet hieß früher einmal Neupommern. Nachdem die Deutschen den Ersten Weltkrieg verloren hatten, änderte sich der Name.

Die beiden wurden nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland interviewt. Das Interview war schon fast beendet, als es aus der Journalistin herausplatzte: Mit ihren Missionsaktivitäten hätten sie versucht, eine uralte Kultur zu verändern, ja sogar zu zerstören. Die Journalistin hieß Margarete Hoprich.

„Ich halte mich zurück“, sagte sie. Statt einer spontanen Antwort erzählte ich ihr von meinem guten Freund Peter auf der Insel Neubritannien. Sein Vater war früh gestorben. In seinem Stamm war es Sitte, die Witwe ebenfalls zu töten. Sie glaubten an Naturgeister. In ihrer Weltanschauung zweifelte niemand daran, dass eine Frau immer schuld am Tod ihres Mannes war und deshalb sterben musste.

„Das sind also die glücklichen Naturvölker“, sagte ich. Das Ritual war immer dasselbe, erklärte ich weiter. Die Journalistin stutzte. Ich fuhr fort: Die beiden Söhne einer Witwe, also Peter und sein Bruder, verschleppten ihre Mutter direkt nach dem Tod ihres Gatten in den Urwald. Dort schlangen sie ihr eine Liane um den Hals und erwürgten sie. Anschließend liefen sie voller Angst davon, aus Furcht, dass der Geist ihrer Mutter auch über sie kommen könnte.

Dann fragte sie: „Warum meint man, man spricht von Heidenangst?“ Ich fügte hinzu: „Heidenlärm, der sich inzwischen auch immer mehr in unseren Kreisen breitmacht.“ Sie verabschiedete sich nachdenklich.

Kurz darauf erschien ein positiver Bericht in der Zeitung. Wir haben hier ein Beispiel, anhand des Blindgeborenen, wie das Licht von denen, die es hatten, wegging und zu denen kam, die es nicht hatten.

Einführung in das Evangelium und seine Bedeutung

Nun gab es, liebe Freunde, früher ja keine Kapiteleinteilung. Ich greife hier auf das Ende von Johannes 8 zurück.

Das Evangelium nach Johannes ist so reichhaltig, dass man viele verschiedene Blickwinkel darauf aufzeigen kann. Einige sagen, es sei das schönste Buch, das jemals geschrieben wurde – verfasst mit dem Sprachschatz eines sechsjährigen Kindes.

Es ist aufgebaut nach der Stiftshütte und eingeteilt nach den Festen. Gestern im Seminar haben wir darauf hingewiesen, dass es auch die Aufgabe hat, aufzuzeigen, wie das Wort die Zeichen ablöst. Das Wort Semaion, also Zeichen, kommt nirgends so oft vor wie im Evangelium des Johannes.

Der Hauptschwerpunkt ist uns bekannt – ich wiederhole mich hier gerne: Johannes schildert Jesus als Gott, Matthäus als König, Markus als Knecht und Lukas als den wahren Menschen.

Wir hatten Johannes 3 erwähnt, wo Nikodemus vorkommt, und Johannes 2, wo vom neuen Tempel die Rede ist: „Brecht ihn ab, in drei Tagen will ich ihn aufrichten.“ Wie kommt man in den neuen Tempel hinein? In Johannes 3 wird die neue Geburt beschrieben. Und wie wird in diesem neuen Tempel angebetet? Johannes 4 spricht von der neuen Anbetung. Es kommt die Zeit – und sie ist schon jetzt –, dass die wahren Anbeter Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten.

Das sind nur einige Hinweise, was alles enthalten ist, welch ein Reichtum darin steckt. Ich komme oft vor wie jemand, der nur an der Oberfläche kratzt bei diesem Evangelium. Man kann es eigentlich nicht oft genug lesen. Je mehr man es aufsaugt, desto mehr kann womöglich der Herr zeigen.

Johannes schildert also Jesus als Gott. Wir haben die „Ich bin“-Sätze, und gerade in Kapitel 8, am Ende des Kapitels, kommt es zur deutlichen Gottesoffenbarung: „Ehe denn Abraham ward, bin ich.“ Das ist der Name Gottes, aramäisch Anihu, so hat sich Gott dem Mose in 2. Mose 3,14 vorgestellt.

Und wie reagieren sie darauf? Sie hoben Steine auf, um auf ihn zu werfen. Jesus aber verbarg sich und ging aus dem Tempel hinaus.

Die Ablehnung Jesu und das prophetische Verbergen Gottes

Und ich sehe das prophetisch und typologisch. Er sagt ihnen ganz klar: Ich bin euer Bundesgott. Die Ablehnung, die sich dann am Kreuz offenbart, wird jetzt sichtbar. Jesus verbarg sich, ging zum Tempel hinaus. Gott hat immer wieder angekündigt, dass er sich zurückziehen wird, wenn sie gegen ihn rebellieren.

In 5. Mose 31,17-18, im Lied des Mose, den Abschlussbotschaften des Mose, wird das deutlich. Die fünf Bücher Mose stehen in Beziehung zu den fünf großen Reden Jesu bei Matthäus. Die fünfte große Predigt ist die Tempelbergrede, die Abschiedsrede des Herrn. Darin ist auch von Verwüstung, Zerstreuung und Trübsal die Rede.

Mein Zorn wird an jenem Tage wieder entbrennen, und ich werde sie verlassen und mein Angesicht vor ihnen verbergen. Das Volk Israel wird verzehrt werden, und viele Übel und Drangsale werden es treffen. Dann wird es an jenem Tag sagen: Haben nicht diese Übel mich getroffen, weil mein Gott nicht in meiner Mitte ist? Ich aber werde an jenem Tag mein Angesicht gänzlich verbergen wegen all des bösen Willens, den es getan hat, weil es sich zu anderen Göttern hingewandt hat.

In 5. Mose 32,20 heißt es: Ich will mein Angesicht vor ihnen verbergen und sehen, was ihnen zuletzt widerfahren wird, denn es ist ein verkehrtes Geschlecht und untreue Kinder.

In Jesus ist Gott greifbar, und doch verbirgt er sich. Sie lehnen ihn ab, und er verbirgt sich – ganz buchstäblich, sichtbar, prophetisch, persönlich und typologisch.

In Jeremia 18,17 lesen wir: Ich will mich von ihnen abwenden, mein Angesicht am Tage meines Zorns nicht zeigen. Das Gegenteil ist die Bitte des Psalmisten in Psalm 80,20: „O Herr Zebaoth, Gott, der Herrscher, stelle uns wieder her, lass dein Angesicht leuchten und tröste uns wieder.“ Luther übersetzt: So genesen wir.

Der aaronitische Segen sagt: Der Herr möge sein Angesicht über euch leuchten lassen.

Dann haben wir gelesen, wie der Herr zum Tempel hinausging und die Herrlichkeit des Herrn den Tempel verlässt. Er geht hinweg von Israel. Im Alten Testament wird das ganz deutlich bei Hesekiel geschildert, wie die Herrlichkeit des Herrn auf dem Ölberg steht und dann Israel verlässt. Danach wird die Herrlichkeit des Herrn in den Propheten bis Maleachi, dem Siegel der Propheten, nicht mehr erwähnt.

Die Herrlichkeit des Herrn kommt erst wieder zurück. Davon lesen wir in Lukas 2,9: Die Hirten auf dem Feld erleben, wie ein Engel des Herrn erscheint, und die Herrlichkeit des Herrn sie umstrahlt.

Jetzt kommt mit Jesus von Nazaret, Bethlehem, die Menschwerdung – die Herrlichkeit Gottes kehrt zurück.

Heilsgeschichtliche Deutung der Heilung des Blindgeborenen

Und jetzt Johannes 9 – nein, da sind wir zu früh. Dort lesen wir: „Und Jesus ging vorüber und sah einen, der blind geboren war.“ Auch das ist für mich heilsgeschichtlich typologisch zu verstehen. Hier zeigt sich Verwerfung, Jesus verbirgt sich und geht vom Tempel hinweg.

Am Wegesrand liegt jemand, der blind geboren ist. Das ist ein Bild für die Nationen, die kein Licht haben, also ohne die Erkenntnis Gottes sind, sozusagen am Wegesrand. Weil Israel seinen Messias verwirft, geht das Heil zu den Nationen.

Blind geboren, ohne göttlichen Ratschluss, ist er sozusagen die Krume, die von den Tischen der Herren fällt. In Römer 11,11 lesen wir, wie Paulus sagt: „Durch ihren Fall, also das Versagen der Juden, ist den Heiden das Heil widerfahren.“

Jesus geht hinweg, ein Blindgeborener am Wegesrand – ein Bild für uns, für die Nationen.

Von diesem Übergang lesen wir dann in der Apostelgeschichte. Paulus predigt in der Synagoge in Antiochien in Pisidien. Dort heißt es in Apostelgeschichte 13,46-47: Paulus und Barnabas sprachen frei und offen: „Euch musste das Wort Gottes zuerst gesagt werden. Da es aber von euch stößt und ihr euch selbst nicht für würdig haltet des ewigen Lebens, siehe, so wenden wir uns zu den Heiden. Denn so hat uns der Herr geboten: ‚Ich habe dich zum Licht der Heiden gemacht, damit du das Heil seist bis an die Enden der Erde.‘“

Ähnlich wie hier stoßen die Träger des Evangeliums, Paulus und Barnabas, die Juden von sich. Sie sagen: „Wir gehen zu den Heiden, denn ihr haltet euch nicht für würdig des ewigen Lebens. Euch musste es zuerst verkündigt werden.“

Wie Abraham sagt der Herr: Sie werfen Steine, er geht hinweg, er verbirgt sich.

Luther über die Vergänglichkeit des Evangeliums und die Reformation

Möchte ich noch etwas vorlesen, hatte ich ursprünglich nicht geplant. Aber es ist so aktuell: ein Kommentar von Luther anhand von Johannes 12,35. Dort heißt es: „Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, dieweil ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle.“

Dazu schreibt Luther: Die Predigt des Evangeliums ist keine ewigwährende, bleibende Lehre, sondern sie ist wie ein fahrender Platzregen, der dahinläuft. Was er trifft, das trifft er; was fehlt, das fehlt. Er kommt aber auch nicht wieder und bleibt nicht stehen. Stattdessen kommen Sonne und Hitze hernach und lecken ihn auf.

Das bestätigt auch die Erfahrung: An keinem Ort der Welt bleibt das Evangelium lauter und reiner über eines Mannes Gedenken hinaus. Solange die geblieben sind, die es aufgebracht haben, hat es bestanden und zugenommen. Wenn diese aber dahin waren, war das Licht auch dahin. Es folgten alsbald Rottengeister und falsche Lehrer.

Liebe Brüder, kauft die Wahl, der Markt vor der Tür ist.

So hat Luther erkannt, dass diese Zeit der Reformation ein besonderer Gnadenakt Gottes ist – eine Wolke des Segens, die über die deutschen Lande dahin glitt. Sie sammelt, weil es scheint und gutes Wetter ist. Man braucht Gottes Gnadenwort, weil es da ist.

Es war bei den Juden gewesen, aber hin ist hin; sie haben nun nichts. Paulus brachte es nach Griechenland, aber hin ist hin; nun haben sie den Türken. Das war zur Zeit Luthers. Von ihm stammt ja der Satz: „Wenn Gott ein Volk strafen will, schickt er es zu den Türken.“ Luther, nicht ich.

Rom und Italien haben es auch gehabt, aber hin ist hin; sie haben nun den Papst. Und jetzt kommt es: Ihr Deutschen dürft nicht denken, dass ihr es ewig haben werdet, denn Undank und Verachtung werden es nicht bleiben lassen.

Das ist jetzt ungefähr fünfhundert Jahre her. Das ist schon erschütternd.

Die Hochburg des Atheismus ist die Harvard-Universität. Harvard war ursprünglich ein gottesfürchtiger Calvinist, und sie haben Harvard 1636 gegründet. Die Verantwortlichen erklärten, sie wollten sich nicht zum Vorwurf machen lassen, dass, wenn ihre Gebeine unter der Erde sind, sie keine Diener am Wort Gottes ausgebildet hätten, die der Gemeinde dienen.

Deswegen wurde Harvard gegründet. Die ersten 103 Universitäten Amerikas wurden von Gläubigen gegründet. Und wir werden dann noch gegen Schluss erwähnen, was sich da heute zum Teil abspielt.

Die Heilung des Blindgeborenen als messianisches Zeichen

Und wie geht es jetzt weiter? Der Mann wurde blind geboren, und seine Jünger fragten ihn: „Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?“

Diese Frage ist eine merkwürdige Aussage. Inzwischen dringt das New-Age-Denken, in Form eines kosmischen Christus, auch in die Reihen der Frommen ein. Einige sagen dann: „Seht ihr, die Bibel kennt auch ein Karma, eine Reinkarnation.“ Denn wie könnte er sonst gesündigt haben?

Die Jünger fragen den Herrn, wer gesündigt hat – er oder seine Eltern –, dass er blind geboren wurde. Das hat uns Fruchtenbaum erklärt, wie das zusammenhängt. Es hat überhaupt nichts mit Hinduismus oder Reinkarnation zu tun.

Es hängt zusammen mit rabbinischen Lehren, wonach der Fötus in den ersten Wochen und Monaten entscheidet, ob er sich an die Mutter anschmiegt oder gegen sie ausschlägt. Wenn er sich an die Mutter anschmiegt, wird es ein gutes Kind. Deswegen sind die meisten Juden gute Kinder, gute Menschen. Wenn das Ungeborene aber gegen die Mutter ausschlägt, hat es schon gesündigt und wird ein böser Mensch.

Diese Vorstellung haben sie aus der Geschichte von Rebekka mit Jakob und Esau in ihrem Mutterleib. Das sagt auch der Prophet Hosea im zwölften Kapitel, im vierten Vers. Dort heißt es, dass schon sein Ahnherr gesündigt hat, indem er im Mutterleib seinen Bruder betrogen hat und im Mannesalter mit Gott kämpfte. Jakob heißt „der Fersenhalter“, der Betrüger.

Daraus haben sie diese Lehre abgeleitet. Deshalb fragen die Jünger, ob der Blinde gesündigt haben könnte. Das hat aber nichts mit Reinkarnation zu tun. Es ist vielmehr eine eigentlich antike Vorstellung: Wenn Unglück da ist, dann muss irgendwie Sünde oder ein Fluch vorhanden sein.

Der Herr weist diese Vorstellung zurück. Er sagt, es hat weder er noch seine Eltern gesündigt, sondern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden.

Nun wenden wir uns dem Blinden zu. Die Heilung findet in den Versen 1 bis 12 statt. Der Herr sendet ihn in Vers 7 zum Teich Siloah. Er leitet den Heilungsprozess auf eine besondere Weise ein: Er nimmt Ton, macht daraus einen Brei und legt ihn auf das Auge des Mannes.

Der Mann wird nicht sofort gesund beziehungsweise sehend. Dahinter steckt ein Plan: Er soll zum Teich Siloah gehen. Und dorthin zu gelangen, war nicht einfach.

Symbolik des Laubhüttenfestes und des Teichs Siloah

Wir sind ja auf dem Laubhüttenfest. Johannes ist nach Festen eingeteilt, und dieses Laubhüttenfest hatte zwei Höhepunkte.

Das eine war das Fest der Leuchter, die Kandelaber. Diese stellte man auf, und ganz Jerusalem war erleuchtet. Das sollte an die Schechina, die Herrlichkeit Gottes, erinnern. Der Herr greift das in Johannes 8 auf und sagt in Vers 12: „Ich bin das Licht der Welt.“

Der andere Höhepunkt war das Fest des Ausgießens, des geschöpften Wassers. Auch das greift der Herr in Johannes 7, Vers 37 auf: „Aber am letzten Tage des Festes, welches der höchste war, trat Jesus auf, rief und sprach: Wer da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“

Das Fest des Wasserschöpfens kann man bei Fruchtenbaum nachlesen. Bei der Wasser-Ausgießung führte einer der Hohenpriester eine Prozession an. Diese ging täglich bei diesem einwöchigen Fest, dem Laubhüttenfest, vom Tempel zum Teich Siloah hinab. Der Weg führte über ziemlich viele Stufen. Dort schöpfte man mit goldenen Gefäßen Wasser und goss es dann feierlich auf dem Tempelberg in das Eherne Meer, ein Waschbecken. Anschließend umrundete man den Brandopferaltar.

Dabei sang man Jesaja 12: „Sie werden mit Freuden Wasser schöpfen aus den Brunnen des Heils.“ In der Bibel ist das Schöpfen des Wassers gewöhnlich ein Hinweis oder eine Allegorie für die Sehnsucht nach dem Geist Gottes, der hier angekündigt wird.

Am siebten, letzten Tag, welcher der höchste war, wurde diese Zeremonie abgeschlossen. Man umrundete den besagten Altar siebenmal. Der Siloateich liegt etwas tiefer, dorthin musste man hinab.

Doch dort waren die meisten Menschen versammelt. Somit war das Wunder sehr öffentlich, was für eine gewisse Aufregung sorgte. Es wurde sozusagen dieser Blinde vor den Augen der religiösen Elite geheilt. Jetzt standen sie da ohne Ausrede und konnten nicht ausweichen. Das war für sie eine gewisse Erschütterung.

Wie wir von Fruchtenbaum gelernt haben, war die Heilung des Blindgeborenen ein spezifisches messianisches Wunder. Zur Zeit Jesu gab es drei Wunder, von denen die Pharisäer lehrten, dass nur der Messias sie vollbringen konnte. Wenn diese geschehen, ist der Messias in unserer Mitte. Das dritte dieser Wunder war die Heilung eines Blindgeborenen.

Heute spricht man von sieben messianischen Wundern, damals waren es drei.

Jetzt kommt es zum Verhör, die Verse 13 bis 17.

Das Verhör des Heilungsempfängers durch die Pharisäer

Da führten sie den Mann, der zuvor blind war, zu den Pharisäern. Es war Sabbat an dem Tag, an dem Jesus den Brei machte und ihm die Augen öffnete. Deshalb fragten sie ihn abermals, weil das so sehr gegen ihre gewohnte Vorstellung war.

Wenn etwas geschieht, das nicht in unseren normalen Erfahrungsrahmen passt, dann fragt man nicht nur einmal. Ich kann mich erinnern, dass mir jemand einmal erzählte, wie seine Augenzeugenschaft eine Art Wunderheilung war. Da fragte ich mehrmals: „Stimmt das, was du mir da erzählst? Hast du das wirklich gesehen?“ Man fragt öfter nach.

Deshalb heißt es zum Beispiel in Vers 15: „Sie fragten ihn abermals.“ Dann in Vers 17 wiederum und in Vers 24 ein zweites Mal: „Wie bist du sehend geworden?“

In Vers 15 antwortete er: „Er legte mir einen Brei auf die Augen, und ich wusch mich, und nun sehe ich.“

Daraufhin sagten einige der Pharisäer: „Dieser Mensch ist nicht von Gott, weil er den Sabbat nicht hält.“ Andere aber sagten: „Wie kann ein sündiger Mensch solche Zeichen tun?“ Es entstand eine Zwietracht unter ihnen.

Sie sprachen wieder zu dem Blinden: „Was sagst du von ihm, dass er dir die Augen geöffnet hat?“ Er aber antwortete: „Er ist ein Prophet.“

Die Juden glaubten nicht, dass er blind gewesen und sehend geworden war, bis sie schließlich die Eltern des Mannes riefen, der sehend geworden war.

Das Verhör der Eltern und ihre Furcht

Nun haben wir das Verhör der Eltern in den Versen 18 bis 22. In Vers 21 sagen sie: „Wie jemand nun sehend geworden ist, wissen wir nicht, oder wer ihm die Augen geöffnet hat, wissen wir auch nicht.“ Er ist alt genug, fragt ihn; lasst ihn selbst für sich sprechen. So sagten seine Eltern, denn sie fürchteten sich vor den Juden.

Die Juden hatten sich bereits geeinigt: Wenn jemand ihn als den Christus bekennen würde, sollte dies im Bann geschehen. Deshalb sagten seine Eltern zuerst: „Er ist alt genug, fragt ihn.“

Nun folgt das zweite Verhör. Sie riefen erneut den Menschen, der blind gewesen war, und sprachen zu ihm: „Gib Gott Ehre, wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist.“

Das muss man sich einmal vorstellen: Die klassische Vorverurteilung. Der Einzige, der das Gesetz des Mose nie übertreten hat, der einzig Sündlose, soll nun zur Ehre Gottes sozusagen bekennen, dass er blind war und damit verbunden, dass dieser Mensch ein Sünder ist.

Wir brauchen gar nicht auf diese Leute zu schauen; in unserer Theologie sieht es heute ähnlich aus. Wenn du sagst, Jesus war sündlos, dann beginnt es zu knistern. Das darf auf keinen Fall sein: Jungfräuliche Geburt, Illusion.

Das persönliche Zeugnis des Heilungsempfängers

Und jetzt folgt sein persönliches Zeugnis, das bereits erwähnt wurde. Er sagt hier in Vers 25: Er antwortete, er sei ein Sünder – das weiß ich nicht. Eins aber weiß ich: dass ich blind war und nun sehen kann. Und das ist unser stärkstes Zeugnis.

Es wurde ja schon dargelegt, dass man uns oft konfrontiert mit Fragen wie: Wie kannst du das glauben? Es gibt doch Widersprüche. Das Grab Jesu sei doch nicht leer. Die Wissenschaft habe doch etwas anderes festgestellt. Außerdem seien jetzt neue gnostische Evangelien entdeckt worden, und vieles stimme doch gar nicht.

Darauf können wir antworten: Ja, eins war sicher – ich war blind und bin nun sehend geworden.

Es hat sich einmal Folgendes abgespielt: Es war, glaube ich, in Russland, wo ein Alkoholiker zum Glauben kam. Bei einer Gelegenheit suchte er einen gebildeten Menschen, möglicherweise einen Theologen, auf. Dieser lachte ihn wegen seines naiven Glaubens aus. Der Alkoholiker sagte daraufhin: Wissen Sie, ich war früher Alkoholiker. Wenn ich nach Hause kam, liefen meine Kinder weg, ich habe sie geschlagen, und auch meine Frau misshandelt. Es herrschte eine Atmosphäre der Angst.

Heute aber, wenn ich nach Hause komme, laufen mir meine Kinder entgegen, und ich liebe meine Frau. Ich war blind und bin nun sehend geworden. Das ist das stärkste Zeugnis, das wir haben.

Jetzt fragten sie ihn: Was hat er dir getan? Wie hat er deine Augen geöffnet? Er antwortete: Ich habe es euch schon gesagt, und ihr habt es nicht gehört. Was wollt ihr noch einmal hören? Wollt ihr etwa auch seine Jünger werden?

Man versteht hier ein zweites Verhör. Der Grund dafür ist, dass sie das nicht wahrhaben wollten. Nach ihrer eigenen Lehre war klar: Nicht einer, der blind wurde während seines Lebens und dann geheilt wurde, sondern ein Blindgeborener, wenn der sehend wird, dann ist der Messias da.

Was macht man jetzt? Hin und her, eine erneute Befragung: Sag, wie war das? Stimmt das wirklich? Das ist also der Hintergrund.

Die Auseinandersetzung um Mose und die messianische Erkenntnis

Wir wissen, dass Gott mit Mose geredet hat, aber wer Mose wirklich ist, wissen wir nicht. Zuvor schmiedeten sie Pläne und sagten: „Du bist sein Jünger, wir aber sind Mose-Jünger.“ Wir wissen, dass Gott mit Mose gesprochen hat, doch wer dieser Mose ist, bleibt unklar.

Ein messianischer Jude, der zuvor Anhänger der Libowitzer Richtung war, berichtete von einem gewissen Menachem, dessen Nährsohn ein Rebbe war und als ihr Messias galt. Für diesen Rebbe war Mose alles, praktisch sein Gott. Dann trafen sie einen Amerikaner, der Christ war. Er sagte: „Moment, in deiner Bibel steht doch: Einen Propheten wie mich wird der Herr erwecken.“ Anfangs glaubte der messianische Jude dem Amerikaner nicht, denn er hatte eine englische Bibel, der Amerikaner dagegen das hebräische Original.

Zu Hause schaute er in den hebräischen Originalschriften nach, in 5. Mose 18,15: „Tatsächlich, einen Propheten wie mich wird der Herr erwecken.“ Diese Entdeckung erschütterte seine bisherige mosaische Welt. Er kam nicht sofort zum Glauben, aber das war der erste Anstoß.

Sie schwören auf Mose, und er antwortete: „Der Blindgeborene, der sehend wurde, entsprach dem Zinne.“ Das ist ein merkwürdiges Ding, dass er nicht weiß, woher er kommt, und doch hat er meine Augen geöffnet. Wir wissen, dass Gott die Sünde nicht hört, sondern nur, wenn jemand gottesfürchtig ist und seinen Willen tut, dann hört er ihn.

Seit Beginn der Welt hat man nicht gehört, dass jemand einem Blindgeborenen die Augen geöffnet hat. Es war einmalig, etwas, das nie zuvor geschehen war. Das ist ein Hinweis darauf, was in Johannes 15 steht: „Hätte ich nicht die Werke getan, die kein anderer unter euch getan hat, so hättet ihr keine Sünde.“ Nun aber haben sie es gesehen und bleiben in ihrer Ablehnung.

Sie antworteten ihm und sagten: „Du bist ganz in Sünde geboren und lehrst uns!“ Dann stießen sie ihn hinaus. Ich erinnere mich noch, als ich das Buchstäbliche Ohr übersetzte, Fruchtenbaum sagte: „Jetzt beginnt er, die Schriftgelehrten zu belehren, das sind heute die orthodoxen Juden.“ Dann fügte er hinzu: „Jeder, der die Situation kennt, weiß, das ist keine einfache Angelegenheit.“ Und so warfen sie ihn hinaus.

Dieses Muster wiederholt sich: Das Volk verwirft den Herrn, das Volk verwirft seine Jünger. Und du bist ein Bettler, ein Blinder – diese Verachtung und ihre Vorstellung. Denn der Gesetzesbund von Sinai hatte tatsächlich noch gewisse Verheißungen: „Wenn du mir gehörst, wird der Ertrag deines Ackers Frucht bringen, dein Backdruck wird nicht leer sein.“ Es gab sichtbare Verheißungen.

Deshalb verachteten die Pharisäer die Armen, denn sie waren wohlhabend, weil sie Gottes Gehorsam praktizierten. Das war nicht völlig falsch im Sinne des Sinai-Bundes, des Gesetzesbundes von Mose. Für sie war das eine Herausforderung. In Lukas 16 sagt der Herr: „Was hoch ist in der Welt, ist ein Gräuel vor Gott.“ Es ist der arme Lazarus, der vor Gott gerechtfertigt wird, nicht der reiche Mann.

Hier prallte also einiges aufeinander: Ein Bettler, ein Blindgeborener, ein Armer will uns belehren – und sie stoßen ihn hinaus. Es kam vor, dass sie Jesus ausgestoßen hatten. Da fragte er ihn: „Glaubst du an diesen Menschensohn?“ Er antwortete: „Herr, wer ist das, damit ich an ihn glaube?“ Jesus sprach zu ihm: „Du hast ihn gesehen, und der mit dir redet, das ist er.“

Er antwortete: „Herr, ich glaube!“ und fiel vor ihm nieder – oder man könnte auch sagen, er betete ihn an. Das Wort dafür ist proskeneo, was „niederfallen“ und „anbeten“ bedeutet.

Die vier Phasen der Erkenntnis des Blindgeborenen

Und diese vier Phasen – so haben wir das überschrieben – beschreiben eine wachsende Erkenntnis. Er sagt in Vers 11: Dieser blind Geborene, der sehend wurde, wird auf die Frage, wer ihn geheilt habe, antworten: „Der Mensch, der Jesus heißt.“ Das zeigt schon eine gewisse Erkenntnis.

Längere Zeit nach der russischen Revolution wurde im Kommunismus gelehrt, dass Jesus erfunden sei und nie gelebt habe. Er war also nicht einmal mehr ein Mensch. Das war einfach der Wunsch eines Herodes, dass der König der Juden nicht auf die Welt kommt. Man begann zu zittern um seinen Thron.

Die zweite Phase zeigt sich, als er gefragt wird. In Vers 17 spricht die Frau wieder zu dem Blinden: „Was sagst du von ihm, dass er deine Augen aufgetan hat?“ Er antwortet: „Er ist ein Prophet.“ Ein Prophet zu sein, war schon etwas Gewaltiges. Ein Prophet konnte Dinge tun, die ein Normaler nicht tun konnte.

Hier sei nur noch am Rande erwähnt, dass die Auferweckung eines Toten kein messianisches Wunder war. Das haben ja auch Elia und Elisa getan. Wir lesen bei der Auferweckung des Jünglings zu Nain: „Es kam eine große Furcht über sie alle, und sie wurden erfüllt mit Furcht und beteten Gott an.“ Im Griechischen steht dort sogar das Imperfekt, das heißt, die Furcht war anhaltend. Und es heißt weiter: „Es ist ein großer Prophet unter seinem Volk aufgestanden.“

Warum sagen sie nicht „der Messias“? Es war kein messianisches Wunder. Übrigens ist Lukas 7 ein Beispiel für wirklich biblische Anbetung: „Es kam eine große Furcht über sie, und sie beteten an, sie brachten Gott anhaltend Ehre.“

Bei manchen Worship-Veranstaltungen heute weiß man nicht, ob man in einer Disco, auf einer Rockmusik-Party oder im falschen Film ist. Oft ist Gottesfurcht mega out. Man hört sogar, dass einige sich mit Alkohol oder sogar Drogen stimulieren, um dann besser worshippen und tanzen zu können. Man nennt das modernen Gottesdienst, aber es ist nicht modern – es ist uralt. So dienen die Heiden ihren Göttern, und das Heidentum kehrt auf breitester Front zurück.

Die zweite Phase ist also: „Er ist ein Prophet.“ Nun folgt die dritte Phase in Vers 33: „Er ist von Gott, denn wenn dieser nicht von Gott wäre, könnte er nichts tun.“ Das ist der Abschnitt, in dem der blind Geborene die Elite belehrt und sagt: „Wie könnt ihr denken, dieser Mensch sei ein Sünder? Gott hört doch die Sünder nicht.“

Hat man von Anbeginn nicht gehört, dass ein blind Geborener geheilt wurde, wenn der nicht von Gott ist? Ein Gesandter Gottes – dann wäre das nie geschehen. Wir haben gesehen, wie sie ihn hinauswerfen.

Jetzt kommt die vierte und entscheidende Phase: „Kyrie, der Herr.“ Er betet ihnen und schaut sie an.

Jetzt ist es zu spät. Mir hat das der Andreas Re liebevoll noch in eine PowerPoint gepresst. Johannes 9, Vers 38: Er fiel vor ihm nieder und betete ihn an. Vers 39: „Liebe Geschwister, da steht ein Satz, an den habe ich schon öfters denken müssen: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen.“

Wir alle wissen, wie sehr Gott die Welt geliebt hat. Und wir lesen in Johannes 12,47: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um die Welt zu retten.“ Ich kenne einen Griechen, der zum Glauben kam und sich ein Neues Testament kaufte. Ihn bewegte die Frage: Was geschieht mit dem Menschen? Er schlug diesen Vers auf, und eine Träne fiel auf die Seite der Bibel. Dort hat er sich aufgehoben gefühlt. Und das stimmt alles.

Aber hier steht: „Ich bin zum Gericht in die Welt gekommen.“ An Jesus scheiden sich die Geister. Warum? Damit die da nicht sehend sehend werden und die, die da sehend sind, blind werden. Er sagt ja in Johannes 9: „Ich muss wirken, solange es Tag ist. Es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.“

Liebe Freunde, es wird finster. Dann fragen die Pharisäer: „Sind wir denn auch blind?“ Und der Herr sagt: „Wenn ihr blind wärt, hättet ihr keine Sünde. Nun aber sagt ihr, wir sind sehend, darum bleibt eure Sünde.“

Wir sehen, wie das Licht von uns wegging. Wie wir, die wir einmal die Reformation als geistiges Erbe hatten, Gott jetzt ganz anderen Völkern zuwenden. Und die, die meinen, das Licht zu haben – eben Harvard, Yale und diese Eliteuniversitäten –, wenn du dort kommst und sagst: „Für mich ist das Johannes-Evangelium ein wunderbares Buch, es ist das Wort Gottes,“ dann musst du deine Koffer packen.

Aktuelle Herausforderungen und Verfolgung des Glaubens

Meine Frau und ich waren Ende März und im April bei unserem Sohn in Denver, Colorado. Wenn wir den einen Sohn besuchen wollen, müssen wir 8.100 Kilometer westlich reisen. Für den anderen Sohn sind es 9.400 Kilometer östlich. Wir wohnen also ungefähr in der Mitte.

Täglich erhalte ich Nachrichten über die Situation der Verfolgung. Vor Kurzem kam eine E-Mail aus Indien, und mein Sohn meinte zunächst, das habe sich dort ereignet. Folgendes ist passiert: Ein Professor für Kommunikation gab seinen Studenten den Auftrag, ein Blatt Papier zu nehmen, darauf den Namen Jesus zu schreiben, das Blatt auf den Boden zu legen und mit den Füßen darauf herumzutreten.

Wo hat sich das abgespielt? An der Atlanta University in Florida. Ich habe dann extra nachgeschaut, ob das nicht ein Gerücht ist. Doch es wurde bei Fox News berichtet. Es hat einige Wellen geschlagen, beruhigte sich aber wieder. Ein Student war nicht bereit, auf den Namen Jesus herumzutreten. Er war Mormone und wurde daraufhin entlassen – und das in Amerika.

Ich habe dann nur zu meinem Sohn und anderen Leuten gesagt: Man stelle sich vor, es hätte irgendwo in Europa oder Amerika ein Professor für Kommunikation den Studenten gesagt, sie sollen ein Blatt Papier nehmen, den Namen Mohr darauf schreiben und darauf herumtrampeln. Der hätte seinen Sarg bestellen können. Unser Bundestag hätte sich mehrfach verbeugt und entschuldigt.

Es ist unglaublich, wie das Licht von uns weggeht. Was jetzt als Leitlinienpapier zum Thema Ehe von der EKD herausgegeben wurde, ist ein trauriger Höhepunkt dieser Entwicklung.

Eine andere Form dieser Entwicklung findet sich in Matthäus 12. Dort geht es um die berühmte Lästerung des Heiligen Geistes. Auch hier hat uns der Mann Fruchtenbaum, nicht zu verwechseln mit Johannispflaumen, geholfen, das aufzuschlüsseln.

Warnung vor dem Punkt ohne Umkehr

Und da lesen wir in den Versen 43 bis 45, nach der siebten Rebellion der Pharisäer gegen Jesus, dass der Herr sagt: Es ist vorbei, ihr habt den point of no return, also den Punkt, an dem es keine Umkehr mehr gibt, erreicht.

Dann sagt er: Wenn der unreine Geist von den Menschen ausgefahren ist (Matthäus 12,43), so durchwandert er dürre Stätten, sucht Ruhe und findet sie nicht. Da spricht er: „Ich will wieder umkehren in mein Haus, aus dem ich gegangen bin.“ Und wenn er gekommen ist, so findet er es leer, gekehrt und geschmückt.

Wieso gekehrt und geschmückt? Johannes der Täufer, der Herr und seine Jünger haben eine Bußbewegung bewirkt. Es wurden die Kranken geheilt, die bösen Geister ausgetrieben, das Haus wurde gekehrt und geschmückt – und doch bleibt es leer, denn sie lehnen Jesus ab.

Dann geht der unreine Geist hin und nimmt zu sich sieben andere Geister, ärger als er selbst. Wenn sie hineinkommen, wohnen sie dort, und es wird mit dem Menschen hernach ärger als zuvor. So wird es auch diesem argen Geschlecht ergehen.

Das ist auch ein Grund, warum es so schwer ist, Juden für den Herrn zu gewinnen. Aber, liebe Freunde, warum erwähne ich das? Das ist uns jetzt passiert.

Wir sind jetzt siebenmal, wir sind jetzt siebzigmal ärger geworden als die sogenannten Blinden ohne Licht und Offenbarung Gottes, die Heiden. In Indien gibt es keine nackten Frauen auf den Zeitungsständen, und das Wort Homosexualität wird überhaupt nicht in den Mund genommen.

Wir sind jetzt siebenmal ärger. Genau das ist uns passiert. Wir sind einmal gekehrt, wir sind einmal gereinigt, wir sind einmal geschmückt worden – durch die Reformation, durch die Aufbrüche, durch die baptistischen und durch die methodistischen Erweckungen. Und jetzt sind wir schlimmer als die Heiden.

Die Gnade Gottes und das Beispiel Petrus

Ich möchte mit Folgendem abschließen: Wir kennen alle die Geschichte von der Verleugnung des Petrus. Petrus sagt: „Wenn sie dich alle verraten, ich nicht. Ich will mein Leben für dich lassen.“ Der Herr antwortet: „Du willst dein Leben für mich lassen? Wahrlich, ich sage dir, ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“

Hier haben wir übrigens ein sehr gutes Beispiel von Vorherwissen, das für mich keine Vorherbestimmung ist, sondern die Verantwortung des Menschen zeigt. Petrus sagt nicht: „Na ja, lieber Gott, du hast das ja alles so geplant, das ist alles so voraustaxiert, und ich konnte ja nicht anders.“ Er ist ein hervorragendes Beispiel. Der Herr hat es genau gewusst, aber wir sind trotzdem völlig verantwortlich. Das sehen wir in diesem Beispiel.

Dann verleugnet Petrus den Herrn. Jemanden verleugnen heißt eigentlich, ihm den Rücken zu kehren, zu sagen: „Ich kenne diesen Menschen nicht.“ Das ist uns ja nichts Neues. In Lukas 22,61 steht so ein einmaliger Satz: „Und der Herr wandte sich um und blickte Petrus an.“ Es gibt kaum eine Bibelstelle, die so sehr die Gnade Gottes ausdrückt, die uns im Evangelium zuteilwird. Der Herr wendet sich uns zu, obwohl wir ihn abgelehnt haben, obwohl wir in Tod und Sünde verstrickt sind.

Jeder Mensch, der jetzt durch das Evangelium geistlich das Antlitz Gottes erblickt, der zerbricht. Petrus ging hinaus und weinte bitterlich. Der Herr hätte allen Grund gehabt zu sagen: „Wer mich verleugnet, den werde ich auch verleugnen. Ich kenne diesen Menschen nicht.“ Doch er wandte sich um und wendete sich uns zu.

Dann sieht Petrus die Augen seines Herrn. Das erfüllt sich sichtbar in Sacharja 12,10: „Über das Haus Davids und die Bürger Jerusalems will ich ausgießen den Geist der Gnade und des Gebets, und sie werden mich ansehen, den sie durchbohrt haben.“ Das ist ein ähnlicher Vorschatten, wie wir ihn bei Petrus hier im Palast des Hohepriesters sehen. Sie werden weinen, wie man um den einzigen geborenen Sohn weint.

Das vermag die Gnade Gottes, und das bewegt mein Herz immer wieder neu, wenn man liest, wie Sünder zerbrechen. Robert Gönner hat uns ja die Geschichte von Georgi Wiens erzählt. Sie kamen in eine Schwerverbrecherzelle, und durch das Markus-Evangelium hat der Herr die ganze Sache gewendet. Die Gefangenen lasen das Evangelium. Georgi war todmüde, man hatte eine Pritsche zum Übernachten für ihn hergerichtet. Als er aufwachte, waren sie schon am Ende des Evangeliums angekommen.

Dann sagte einer, der besonders zu Beginn aggressiv war: „Ein starkes Buch.“ Ein anderer, eine schmächtige Gestalt, sagte: „Ich habe fünf Leute getötet. Gibt es für einen Typen wie mich noch Erlösung?“ Da konnte man sie reinweise zum Herrn führen. Wo die Sünde mächtig geworden ist, ist die Gnade viel mächtiger geworden.

Der Herr wandte sich diesen Menschen zu, und sie zerbrachen und wurden neu durch die Gnade Gottes. Das ist unser wunderbarer Herr: „Ich bin zum Gericht in die Welt gekommen, aber damit die, die blind sind, sehend werden.“ Hüten wir uns vor der Pharisäerfalle, zu denken, wir wüssten schon genug oder sähen schon genug.

Wenn wir neu in die Gegenwart Gottes kommen, dann geht es uns wie Petrus: Wir zerbrechen vor dem Herrn und bitten ihn, er möge uns neu die Augen öffnen und uns neu anrühren.