Vom Militäradel zum Auswanderer: Die frühen Jahre Friedrich von Schlümbachs
Begegnungen mit Jesus, Begegnungen auch mit Friedrich von Schlümbach, geboren 1842, gestorben 1901.
Er entstammte keinem alten Adelsgeschlecht wie Hedwig von Redern. Sein Adelstitel war bayerischer Militäradel, der einem seiner Vorfahren nach dem Dreißigjährigen Krieg verliehen worden war. Also bayerischer Militäradel, sozusagen Bavaria Blue – blaues Blut aus Bayern.
Der Vater war als Offizier in württembergischen Diensten früh zur Ruhe gesetzt worden. Die Familie von Schlümbach wohnte primitiv im oberen Geschoss des alten Schlosses in Öhringen.
Der Sohn wollte ebenfalls den Militärberuf ergreifen. Mit achtzehn Jahren wurde er Fähnrich. Doch dann muss etwas Schlimmes passiert sein. Man weiß nicht genau, was es war – vielleicht eine Geschichte mit Geld oder Frauen. Wie es damals üblich war, sagte selbst der Vater: „Junge, du musst so rasch wie möglich nach Amerika.“
Ohne eine offizielle Entlassung zu erreichen, verließ Friedrich von Schlümbach Deutschland. Ich habe die Akten im württembergischen Hauptstaatsarchiv eingesehen. Dort steht bei Friedrich von Schlümbach mit 18 Jahren: „Fahnenflüchtig, vermutlich Amerika.“
In Amerika war alles andere als ein gelobtes Land für ihn. Der 18- oder 19-Jährige musste als Steinbrucharbeiter in den Südstaaten bei 30 Grad Hitze mit dem Pickel arbeiten.
Für ihn glücklicherweise brach dann der amerikanische Bürgerkrieg aus. Er eilte zu den Fahnen der Nordstaaten, denn dorthin zog es ihn. Die meisten Deutschen waren ja in die Gebiete der Nordstaaten ausgewandert.
Aufgrund seiner militärischen Erfahrungen in Württemberg, wo er mit 18 oder 19 Jahren Fähnrich der württembergischen Armee war, wurde er rasch Captain, also Hauptmann.
Er war froh, den Soldatenberuf wieder ergreifen zu können. Kaum nach seiner Ankunft in Amerika hatte er sich mit einer dortigen Amerikanerin namens Celestine verheiratet. Doch er entkam rasch dem Ehejoch.
Er war froh, in der Armee ein raues Soldatenleben mit viel Alkohol und fremden Frauen zu führen. Bis dann in der Schlacht von Richmond 1861 sein Bein durch eine Kugel zerschmettert wurde.
Die Wende im Leben: Von der Verzweiflung zur ersten Begegnung mit Gott
Der betrunkene Stabsarzt hat ihn liegen lassen und überhaupt nicht versorgt. Er dachte, er würde ohnehin krepiert. In diesem Moment begann Schlimbach zu beten – etwas, das er seit seiner frühen Jugend nicht mehr getan hatte.
Tatsächlich kam jemand, der ihn vom Schlachtfeld holte und in ein primitives Hospital brachte. Damals gab es ja noch kein Rotes Kreuz oder Ähnliches. Man kann sich kaum vorstellen, wie schlimm solche Schlachtfelder ausgesehen haben. Dort wurde er einigermaßen gepflegt.
Doch er vergaß sofort wieder, dass er Gott um Hilfe angerufen hatte. Auch später, als er Evangelist war, hielt er nicht viel von Augenblicksbekehrungen. Er wusste, dass solche Bekehrungen, wenn sie nicht weitergeführt werden, im Moment vielleicht ernst gemeint sind, aber schnell durch andere Eindrücke überdeckt werden.
Er hatte ein großes Mundwerk und war ein begehrter Redner bei den deutschen Turn- und Gesangvereinen, die es in Amerika gab. Bis zum Ersten Weltkrieg gab es eine starke Tendenz, dass die Hauptsprache in den Vereinigten Staaten Deutsch war, weil so viele deutsche Einwanderer dort lebten.
Unter diesen deutschen Gesangs- und Turnvereinen war er der gefragte Redner. Er blies sich immer mehr als Atheist auf und wurde von den deutschen Vereinen zum atheistischen Propagandaredner für Nordamerika berufen. Er machte „Kirche, Gott, Jesus, Abendmahl“ lächerlich – so sehr er nur konnte.
Die entscheidende Begegnung und die Umkehr
Und dann kam die entscheidende Begegnung im Jahr 1868, als er 26 Jahre alt war. Er kam gerade von einer atheistischen Propagandaversammlung. Schon im jungen Amerika, nach dem Bürgerkrieg, musste das später so christliche Amerika gegen einen Ungeist kämpfen. Wir können uns das Gären in diesen jungen Vereinigten Staaten gar nicht schlimm genug vorstellen.
Er fuhr mit dem Zug nach Hause, rauchte eine dicke Zigarre im Speisewagen. Da ging ein Herr durch, schaute ihn an und sagte: „Wenn ich recht sehe, Captain Schlimbach?“ Es war sein ehemaliger General Albrecht, der sich früher englisiert Albright nannte. Er war Christ und sagte zu Schlimbach: „Wouldn't you like to stay in our home?“ Darf ich Sie einladen, in unser Haus in Mauch Chunk, einem Eisenbahnknotenpunkt in Pennsylvania? Schlimbach sagte zu.
Er war damals von seiner Frau Celestine getrennt und verbrachte das Wochenende in dem angenehmen, schönen Haus des ehemaligen Generals. Am Samstagabend kamen sie in Mauch Chunk im Generalshaus an. Die Dame des Hauses nahm Schlimbach freundlich auf, obwohl er nach seinen Anzügen, der dicken Zigarre und auch nach etwas Cognac roch. Sie übersah das.
Nach dem Abendessen sagte sie: „Darf ich Sie einladen? Wir haben unseren Abendgottesdienst in unserer Gemeinde.“ In der kleinen Gemeinde predigte ein älterer Pfarrer. Er war zwar zehn Jahre jünger als Schlimbach, aber schon weißhaarig. Er predigte so liturgisch und langweilig, dass Schlimbach sagte: „Dann brauche ich überhaupt nicht mehr atheistischer Propagandaredner zu werden. Die Kirche macht sich selbst kaputt mit so stinklangweiligem Gottesdienst. Das ist ja von vorgestern, das passt doch nicht mehr in unsere heutige Welt hinein.“
Die Bedeutung der Seelsorge und die Rolle der Frauen
Er ging nach Hause, und Frau Albright sagte: „Darf ich Sie bitten, Herr von Schlimbach? Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten. Erzählen Sie mir doch ein wenig aus Ihrem Leben. Haben Sie auch eine Mutter?“
Da blieb Herrn von Schlimbach fast die Spucke weg. Seine Mutter hatte um ihn gelitten, um den ungeratenen Sohn. Später konnte er sagen: „Sechzehn Jahre lang habe ich dafür gesorgt, dass meine Mutter aus dem Graben Zoll um Zoll dem Grab entgegenging. Ich habe meine Mutter kaputtgemacht.“
Als Frau Albright fragte, ob er eine Mutter habe, erwachte etwas in ihm. Er weinte und schüttete sein Herz aus über sein vergammeltes Leben. Am nächsten Morgen, als er dann von Mao Chang weiterfuhr, hatte er zwei Gewissheiten: „Dir sind deine Sünden vergeben, sündige hinfort nicht mehr.“ Und: „Ich weiß, an wen ich glaube.“ Das hatte Frau Albright erreicht.
Deshalb wusste Schlimbach lebenslang: Die wichtigsten Seelsorger sind Frauen. Nicht die Redner, die sprechen, sondern die Anteilnahme. Nicht das Anpredigen, sondern das Fragen nach dem Menschen: Wie geht es Ihnen denn? Was treibt Sie um? Was hat Ihr Leben bewegt?
Man muss in der Seelsorge gar nicht viel mit Worten auf Menschen eindreschen, sondern zuhören. Denn Friedrich von Schlümper hat bekannt: Auch in denen, die sich atheistisch geben, als die harten Leute, die gegen Gott und alles Religiöse sind, schlummert eine Sehnsucht, wegzukommen von einem vergammelten Leben.
Evangelisation und die Arbeit im CV&M
Und der Segen war, dass am Sonntagmorgen, als die Familie Albright zum Sonntagsgottesdienst ging, ein junger Pfarrer predigte, der so eindrücklich und lebendig von der Not des Menschen sprach. Er erzählte davon, dass Gott seinen Sohn gesandt hat, um uns aus unserer Not zu erlösen.
Diese Predigt, zusammen mit der Seelsorge der Frau Albright, brachte einen entscheidenden Einschnitt im Leben von Fritz von Schlümbach. Er wurde von seiner Sünde befreit und fand Glauben. Zunächst versuchte er es mit einem theologischen Selbststudium. Später besuchte er ein methodistisches Predigerseminar und ließ sich dort ausbilden.
Er war gerade dreißig Jahre alt, als er von der Methodistenkirche Amerikas angestellt wurde, um unter deutschen Einwanderern zu arbeiten, hauptsächlich in Baltimore. Zu dieser Zeit kamen viele Schiffe vom Kontinent an. Ab 1878 wurde er von der Methodistenkirche für die missionarische Arbeit des deutschsprachigen CVJM in Amerika freigestellt.
Das Herz geht mir auf, wenn ich an den CVJM denke. Er wurde 1844 in England von George Williams gegründet, jenem begabten Kaufmann, der sagte, dass kirchliche Jünglingsvereine zu eng seien und niemand dort hineinfinde. Man brauche die Young Men’s Christian Association, die christlichen Vereinigungen für junge Männer, die auf alle Anliegen junger Männer eingehen.
Man darf nicht vergessen, dass es zunächst vor allem um junge Männer ging. Junge Frauen wurden erst wesentlich später aus den beschützenden Häusern der Familie herausgelöst. Wenn jemand in die Großstadt ging, um im Beruf weiterzukommen, waren es meist junge Männer, die dort keine Heimat hatten.
George Williams gab 1844 das Programm aus: Lasst uns auf die körperlichen, beruflichen und sozialen Bedürfnisse junger Männer eingehen. Fremdsprachen lernen, Stenographie, Lehrlingswohl, Billardspiel – es wurden sogar im CVJM eigene Spiele entwickelt, um das harte Fußballspiel zu vermeiden. So wurden Basketball und Baseball im CVJM erfunden.
Bei all diesen Bemühungen, die breit auf junge Menschen ausgerichtet waren – auch Musik und Chöre –, durfte der erste Zweck der Vereine nicht vergessen werden: dass junge Männer zu einem lebendigen Glauben an Jesus Christus finden. Dies war der erste Zweck der Arbeit. Alles andere durfte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es darum ging, junge Menschen zu Jesus zu führen. Zugleich wollte man auf alle Anliegen junger Menschen eingehen.
Diese Atmosphäre war es, die der junge Fritz von Schlümbach als Nationalsekretär für die deutschsprachigen YMCA/CVJMs in Amerika übernahm. Das war sein Leben.
Begegnung mit Moody und die Einladung nach Deutschland
Er kam bald in Kontakt mit dem amerikanischen Evangelisten Moody, M O O D Y. Was Spurgeon für London und England bedeutete, war Moody in Amerika. Er organisierte zunächst Großversammlungen in Zelten, später in großen Sporthallen und Stadien – er war sozusagen der Billy Graham seiner Zeit.
Moody stellte Fritz von Schlimbach ein, damit dieser extra deutschsprachige Evangelisationsversammlungen in den Stadien hielt. Einmal wurde bei einer Großversammlung in St. Louis in den Zeitungen groß geschrieben: „Schlimbach ist der deutsche Moody“, also der deutsche Billy Graham.
Er wurde zu einer CVJM-Konferenz nach London entsandt. Dort waren auch einige Delegierte von westfälischen Jünglingsvereinen anwesend, ebenso der Professor Christlie von Bonn und der Berliner Hofprediger Stöcker. Sie lernten den kleinen, untersetzten Fritz von Schlimbach mit seinen durchdringenden blauen Augen kennen und sagten: „Genau diesen Mann brauchen wir für Deutschland. Er könnte den unkirchlichen, festgetretenen Boden in Deutschland auflockern. Bei ihm spürt man einen Hauch der weiten Welt. Er kann volkstümlich und seelsorgerlich reden. Außerdem ist er ein stimmgewaltiger Sänger.“
Vorher hatten sie das Lied „Weiß ein Strom, dessen herrliche Flut“ gesungen, das auf Hesekiel 47 basiert – der Strom, der alles belebt, geht zurück. Doch Fritz von Schlimbach konnte so kraftvoll singen, dass laut Berichterstattern die Fensterscheiben klirrten. „Da müssen Sie noch einiges dazulegen“, sagten sie. „Wenn wir schon singen, dann mit Kraft, nicht anders.“
Also beschlossen sie: „Den holen wir nach Deutschland!“ Hofprediger Stöcker lud ihn nach Berlin ein. 1888 kam er nach Berlin. Stöcker sagte zu ihm: „Machen Sie es nicht wie viele englische oder amerikanische Prediger, die zu uns nach Deutschland kommen. Damals wurden bereits viele entsandt mit der Absicht, Deutschland zu missionieren. Doch sie bleiben gerade mal acht Tage, und das hat keinen Wert.“
„Sie müssen bereit sein, mindestens ein Vierteljahr in Berlin zu bleiben. Und predigen Sie nicht in kirchlichen Räumen, sonst kommt kein Mensch. Wenn Sie in Gemeindehäuser oder Kirchen gehen, bleiben die Leute fern. Sie müssen in Vergnügungsstätten und Wirtshäuser gehen. Nicht in der Stadtmitte, sondern am Stadtrand, vor allem in Moabit und Wedding. Und Sie müssen erwarten, dass Gott Großes für unser Berlin vorhat.“
Aufbau der Arbeit in Berlin und Widerstände
Stöcker war zunächst etwas skeptisch. Dennoch hatte er schon immer den Eindruck, als er in Amerika für die deutschen Auswanderer verantwortlich war, dass in Deutschland nur alles anders läuft. Mit der Pastorenschaft könne man nichts erreichen. Stattdessen müsse man die Laien bündeln und zusammenbringen, damit sie zu einem Stosstrupp werden, der in das unkirchlich gewordene Deutschland hineinwirkt.
Die zersplitterten Kräfte müssten gebündelt werden, die Gläubigen zusammengefasst und an eine systematische Arbeit herangeführt werden. Nur so könne das Reich Gottes wieder Wurzeln fassen in Deutschland.
Als 1882 Schlimbach für längere Zeit, nämlich über ein halbes Jahr, nach Berlin kam, schrieb er zunächst die verschiedenen Jünglingsvereine an, die es gab – in Württemberg, Sachsen und Westfalen. Er brachte sieben Delegierte am Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald zusammen und konstituierte dort den Reichsverband, so hieß es damals, der deutschen CVdM, den Nationalverband der deutschen CVdM. Was heute Ulrich Barzany als Generalsekretär leitet, den Gesamtverband der deutschen CVdM, war damals eine neue Initiative. Schlimbach hatte sich einfach das Recht angemaßt, die Vereine zusammenzurufen.
Er sagte: „Wir brauchen euch, die Laien, nicht die Pastoren. Ihr jungen Leute müsst Deutschland neu aufwecken.“ Danach konzentrierte er sich auf Berlin.
Im Vergnügungslokal Tivoli nahmen gleich zu Beginn 1500 Männer teil. Schlümper sagte: „Die Männer bekomme ich nur, wenn keine Frauen eingeladen sind. Männer kommen nicht, wenn zwei Drittel der Versammlung Frauen sind.“ Deshalb organisierte er reine Männerversammlungen in der Vergnügungswirtschaft Tivoli im Wedding. Dort predigte er drei bis vier Monate lang jeden Abend.
Auch in den entkirchlichten Arbeitervierteln des Berliner Nordens hielt er Straßenpredigten. Das, was schon Wichern bei einem Kongress der Inneren Mission gesagt hatte, wurde umgesetzt: In Deutschland müssten wieder die Straßenecken zu Kanzeln werden. Es reiche nicht aus, die Leute ständig in kirchliche Räume einzuladen. Das sei heute noch die übliche Evangelisationspraxis: „Wir müssen zu den Leuten hingehen, nicht sie zu uns holen.“
Stöcker leitete die Abende immer ein. Als Hofprediger war das eine besondere Aufgabe für ihn. Danach überließ er Schlimbach das Feld, damit dieser die Predigt halten konnte.
Die Kritik kam natürlich vor allem aus den Kreisen der Pfarrer. Sie empfanden es als Vorwurf und Kritik, dass man aus Amerika jemanden geholt habe, der so derb rede. In Zeitungsartikeln hieß es: „Wir brauchen diese methodistische Treiberei nicht. Im Kernland der Reformation sind die Leute evangelisch. Was brauchen wir eine neue Erweckungspredigt? Das Reich Gottes gleicht doch der selbstwachsenden Saat. Schickt diesen methodistischen Prediger so schnell wie möglich wieder nach Amerika zurück.“
Daraufhin tat Schlimbach etwas, das uns befremdlich erscheinen mag: Er trat aus der Methodistenkirche aus, um diesem Gegenwind Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch das half kaum. Schlimbach war einer, der durch und durch amerikanisch dachte.
Amerikanische Lösungsorientierung und Gründung neuer Vereine
Mir hat das schon als junge Pfarrerin in Amerika und als Studentin eingeleuchtet: Der Amerikaner hat sozusagen ein kleines Sieb in seinem Kopf eingebaut. Wenn Probleme auftauchen, ist das erste Sieb die Frage: What should be done? Was sollte gemacht werden? Zum Beispiel Evangelisation, Nachsorge, Seelsorge, Häuser, Auffanghäuser.
Das zweite Sieb lautet: What can we do? Wofür haben wir Leute, wofür haben wir Geld? Dabei bleibt noch manches übrig. Und das dritte Sieb fragt: What will we do? Was packen wir an?
Wir Deutschen diskutieren oft endlos. Wir sagen, das Problem der Unkirchlichkeit nach der Reformation sei durch die deutschen Landesfürsten entstanden, dann kam der Dreißigjährige Krieg. Und bis wir eine Lösung für das Problem gefunden haben, sind zweieinhalb Stunden vergangen. Wir zerlegen immer wieder, wie alles gekommen ist.
Der Amerikaner hingegen ist lösungsorientiert. Er will eine Lösung finden, nicht nur wissen, wie das Problem entstanden ist. So ein Mann war Schlümbach. Er wollte unbedingt Lösungen suchen.
Er sagte: Ich brauche jetzt für die Nacharbeit der Evangelisation Seelsorge. Dazu brauche ich einen deutschen CV, und die kleinen kirchlichen Jünglingsvereine helfen da nicht weiter. Deshalb ließ er in der Zeitung eine Annonce drucken und rief zu einer Gründungsversammlung eines christlichen Vereins junger Männer auf.
Sechzehn Leute kamen, darunter auch der Forstmeister von Rotkirch, der im Siebzigjährigen Krieg sein Holzbein verloren hatte. Schlümbach sagte: „Wir gründen jetzt einen Verein, sind Sie damit einverstanden?“ Bevor die Anwesenden es überhaupt bemerkt hatten, streckten alle die Hand aus – eine amerikanische, tatkräftige Lösung.
Dann sagte er: „Wir brauchen einen Vorsitzenden. Herr von Rotkirch, Sie wären der richtige Mann.“ Dieser antwortete: „Entschuldigung, ich bin ein alter Mann und verwundet. Ich kann nicht mehr mit jungen Leuten umgehen und bin überhaupt nicht sprachbegabt.“
Nach zwanzig Minuten, in denen er erklärte, was er nicht machen könne, unterbrach Schlümbach ihn und sagte: „Sind Sie jetzt endlich fertig? Dass Sie ein Tor sind, habe ich gemerkt. Aber Gott kann nur mit Toren arbeiten. Sie sind hiermit der erste Vorsitzende des Seefahrtebens Berlin.“
Das war die Lösung für Berlin. Die Berliner Wilhelmstraße war bis ins Dritte Reich hinein das Zentrum der Bekennenden Kirche. Dort entstand eine riesige Seelsorgestation, die ganz neue Arbeitsmethoden entwickelte. Ich habe das heute schon erwähnt: Sie wurde unter Bäckern, Troschenfahrern, Postlern und Polizisten aufgebaut und war verbunden mit der Sankt Michaels Gemeinschaft des Grafen Pückler.
Schlümbach sagte zu Pückler: „Sie haben Geld aus Ihren schlesischen Gütern. Wir kaufen eine Wirtschaft auf, ein Restaurant im Wedding.“ Das wurde im Volksmund „Zum blutigen Knochen“ genannt, weil dort oft Schlägereien stattfanden.
Der „blutige Knochen“ wurde aufgekauft und als Seelsorgestelle genutzt. Heute befindet sich dort das christliche Hospiz Graf Pückler mit Gemeinschaftsräumen für die Michaelsgemeinschaft, die allerdings kleiner geworden ist.
Frauen in der Seelsorge und der Umgang mit gesellschaftlichen Tabus
Weil Schlümbach wusste, dass Frauen für die Seelsorge wichtig sind, organisierte er eine besondere Frauenversammlung. Er bat die Gräfin Walthersee, in ihrem vornehmen Haus vornehme Damen einzuladen, darunter Frau von Thiele-Winkler, Frau von Oertzen und Frau von Blücher.
Zu Beginn der Versammlung eröffnete Graf Bernsdorf, der Kammerherr, die Zusammenkunft mit einem Gebet. Dann trat ein schlicht wirkender, kleiner, untersetzter und etwas korpulenter amerikanischer Prediger in den Türrahmen zwischen den beiden Salons. An dem Mann war nichts Auffälliges, außer seinen durchdringenden blauen Augen.
Als er zu sprechen begann, fesselte er alle Zuhörer. Sein Thema war: „Jesus reinigt von der Sünde.“ Er berichtete von seinen Erlebnissen im Wedding draußen – wie Menschen ihre Sünden bekennen, in welchem Sumpf sie stecken, in welchen familiären Nöten, Verwirrungen und abartigen Erscheinungen sie gefangen sind.
Die Damen unterbrachen und sagten: „Entschuldigung, das ist doch peinlich, das anzuhören.“ Doch Schlümbach entgegnete: „Es ärgert Sie vielleicht, dass ich hier in diesem Salon über Sünde rede. Glauben Sie etwa, in Ihrem Leben sei keine Sünde? Auch in Ihrem Leben gibt es viel Dreck – Selbstgerechtigkeit, Lüge und Scheinheiligkeit.“
Die Damen waren erleichtert, doch viele verließen die Versammlung und sagten, so könne man nicht mit ihnen umgehen. Sie fühlten sich mit schwerer Artillerie beschossen. Andere jedoch wurden im Gewissen gepackt und getroffen. Ab diesem Zeitpunkt wurden sie Mitarbeiterinnen für die Seelsorgearbeit, die Schlümbach aufgebaut hatte.
Evangelisationsarbeit in Deutschland und Gründung der Evangelistenschule
Es waren immer nur einige Wochen, in denen Schlimbach aus Amerika herüberkam. Die Haupttätigkeit lag in den Jahren 1882 und 1883. Er musste auch für den Unterhalt seiner Familie sorgen. In dieser Zeit hatte er sich wieder mit seiner Frau Celestine versöhnt und war der lutherischen Kirchengemeinde, die „Zum Schifflein Christi“ in Cleveland hieß, als Pastor vorgestanden. Dennoch musste er immer wieder zurück nach Amerika.
Wenn er nach Deutschland kam, hielt er ganze Evangelisationskampagnen ab – von Schleswig-Holstein bis nach Württemberg, im Dom von Magdeburg und in Kohlberg. Dabei ging es ihm immer darum, heraus aus dem kirchlichen Ghetto zu kommen. Er wollte über die Mauern der kirchlichen Gebäude hinweg zu den bedürftigen Menschen gelangen.
Doch er merkte, dass noch etwas Besonderes gebraucht wurde. Die Pastoren mochten zwar lieb sein, aber sie waren alle sehr problemorientiert und kirchlich steril. Es wurde ein ganz anderer Stand benötigt. Das, was er selbst als Evangelist war, sollte Schule machen: Es brauchte eine Evangelistenschule.
Er gewann den Bonner Theologieprofessor Christlieb, einen Schwaben, dafür, den Deutschen Evangelisationsverein zu gründen. Ziel war es, Menschen und Gelder für eine Evangelistenschule zu sammeln. Diese Schule entstand zuerst in Bonn und wanderte dann nach Wuppertal aus – das Johanneum. Auch das geht auf Fritz von Schlimbach zurück.
Wir brauchen eine Schule für Evangelisten, die bereit sind, als demütige Menschen zu wirken, die nicht die Pastoren nachahmen. Sie müssen vertraut sein mit dem Leben des Volkes. Im Viraneum war es zum größten Teil auch heute noch so, dass die dort Studierenden zuerst einen ganz normalen Berufsabschluss haben müssen – als Elektriker oder als Computerfachleute.
Sie müssen die Arbeit des normalen Menschen verstehen. Ihre Rede muss volkstümlich, verständlich, anschaulich und kräftig sein. Und sie müssen beten können, denn sie sind der ganzen Macht des Teufels ausgesetzt. Der merkt, wenn man in Satans Reich mit Macht hineinbricht.
In ihren Ansprüchen sollen sie bescheiden sein und sich selbst verleugnen. Sie müssen frei sein von dem Ehrgeiz, das Pfarramt in den Schatten stellen zu wollen. Sie brauchen nicht den Ehrgeiz, besser zu predigen als die Pfarrer, sondern sollen konkreter und ausschließlich auf Jesus bezogen sein.
Ihr einziges Ziel muss sein, die Menschen nicht kirchlich zu beheimaten, sondern sie zu Jesus zu führen, damit sie Eigentum Jesu werden.
In den Büchern, an denen ich hauptsächlich Korntaler Erinnerungen habe, ist auch ein Lebensbild des ersten Absolventen der Evangelistenschule Johanneum enthalten. Dieser war der Urgroßvater von Jutta Zimmermann, die sonst an der Rezeption arbeitet und hier sitzt. Eine Enkelin von Eugen Zimmermann ist ebenfalls anwesend, ganz hinten.
Auch ein Lebensbild von Professor Pfleiderer ist enthalten. Er war der erste Lehrer, zuerst großer Lehrer an der Lateinschule Korntal und dann Leiter des Johanneums in Wuppertal.
Doch all diese Impulse stammen aus Amerika, wurden auf deutsche Verhältnisse übertragen und durch Fritz von Schlimbach angeregt – den Troubadour Gottes, den Liebessänger des Herrn Jesus.
Die letzten Jahre und das bleibende Vermächtnis
1888 kam Schlimbach nochmals für längere Zeit nach Deutschland zurück. Er ließ sein Bein, das durch eine Verletzung zerschmettert war und ihm immer mehr Schwierigkeiten bereitete, behandeln. Er hatte eine Kur in Bad Wildungen unternommen, doch sie brachte ihm nicht viel Linderung.
Es kam schließlich zur endgültigen Trennung von seiner Frau Celestine. Merkwürdige Geschichten ranken sich um diese Zeit. Auch im Alter schien er offenbar nicht mehr im Segen zu wirken. Vielleicht hat ihm seine körperliche Schwäche so zugesetzt, dass sein Leben wie verebbt wirkte. Am Ende musste ihm noch das Bein abgenommen werden. Er starb 1901 in Cleveland an einer Blutvergiftung.
Trotz allem hat Gott ihn an einer Stelle gebraucht. In den Jahren um 1882, mit den Erfahrungen aus Amerika, wurde er als Werkzeug benutzt, um in Deutschland etwas in Gang zu setzen, was zuvor vergeblich schien.
Ich habe heute Morgen bereits erwähnt, dass schon 1852 der preußische König den Doktor Wilhelm Hoffmann, den Leiter des Basler Missionsinstituts, nach Berlin geholt hatte. Hoffmann wurde Generalsuperintendent und Hofprediger, um Seelsorger in dem unkirchlichen Berlin heranzubilden. Diese Seelsorger machten Besuche, doch es veränderte sich nicht viel.
1877, was ich bis jetzt kaum beachtet habe, rief der Hofprediger Stöcker 1872 verzweifelt aus und veröffentlichte einen Appell, den ich Ihnen gleich vorlesen werde: Wir müssen uns um die Großstadt in Deutschland bemühen. Unter allen deutschen Großstädten wächst im Augenblick Berlin am stärksten. Auf Berlin passt das Wort: große Städte, große Nöte. In Berlin herrscht kirchlicher Notstand, sagt der Hofprediger, ja kirchliche Verwahrlosung. Es ist eine schreckliche Wahrheit: Berlin ist die unkirchlichste Stadt Deutschlands geworden.
Zwar standen ein Jahrhundert lang auf Berliner Kanzeln die geistreichsten Prediger, wie Schleiermacher und viele andere. Aber heute stehen wir vor dem völligen kirchlichen Bankrott. Die bisherige parochiale Gemeindeordnung, nach der immer ein Gebiet um eine Kirche zu einer Kirchengemeinde gehört, die parochiale Gemeindeordnung der Volkskirche, entspricht nicht mehr dem, was die Menschen von heute brauchen. Die traditionelle Korrektheit der gottesdienstlichen Stilformen schreckt Menschen eher ab, als dass sie einlädt.
1877 und zehn Jahre später geschah das Wunder: Der Boden war aufgepflügt, und plötzlich war neues Leben da. Zwar sagte der Forstmeister von Rotkirch, der 1883 noch Schlimbach auf dem Zug begleitet hatte, als dieser aus dem Anhalter Bahnhof zum Grafen Pückler fuhr: „Jetzt stehen wir da, und das hat uns alles Schlimbach eingebrockt.“ Sie hatten Todesangst und fragten sich, wie sie nun das alles, was begonnen war, auffangen sollten.
Doch Gott gab Gnade, sodass eine große Erweckung entstand. Die von Hofprediger Stöcker begonnene Berliner Stadtmission, die auch Missionstrupps innerhalb der parochialen Ordnung umfasste, wurde durch das, was in den Jahren 1880 bis 1883 in Berlin geschah, neu belebt. Auch im deutschen CVJM, in der Evangelistenschule Johanneum, entstand ein Aufbruch zur Evangelisation in Deutschland. Zimmermann wurde der erste Absolvent Sihonems und Nachfolger von Elias Schrenk in Deutschland als Evangelist.
Seitdem ist viel Segen von diesen Ausbildungsstätten in die Jugendarbeit des CVJM ausgegangen.
Hoffnung für heute und Gebet um Erneuerung
Einer aus unserer Mitte hat mich heute Mittag angesprochen und fast traurig gesagt, wie notvoll die Situation in den Gebieten der ehemaligen DDR an vielen Stellen ist – abgesehen von Sachsen –, sodass man fast verzweifeln möchte, auch in Berlin.
Wenn unser Herr Jesus aber eine Frau Albright benutzen kann, wenn ein atheistischer Spötter zum überzeugten Christen wird, der plötzlich innerhalb von zehn Jahren eine totgepredigte Landschaft neu belebt hat, dann sollten wir gespannt sein, was unser Herr auch heute tun kann.
Dazu wollen wir aus der Kirchengeschichte auch in diesen Tagen einiges hören. Es gab nicht nur die Wunder, als das Volk Israel aus Ägypten auszog oder als David seine herrlichen Taten vollbrachte, auch nicht nur in der Reformation.
Gott kann in unseren Tagen Dinge wirken, die für uns heute unvorstellbar erscheinen. Darauf wollen wir gespannt warten.
Herr, du hast einst in deiner eigenen Heimat keine Taten tun können, um ihres Unglaubens willen. Lass uns nicht mit unserem Kleinglauben und unserem Klagen ein Hindernis sein bei dem, was du vorhast.
Belebe dein Werk, o Herr, und gib uns morgen einen gesegneten Tag. Lass uns heute Nacht in deinem Frieden ruhen – zusammen mit all denen, die uns lieb sind und die wir zuhause wissen, um die wir uns auch sorgen.
Amen.