Einführung in ein herausforderndes Thema
Wir haben heute ein delikates Thema: den Kanon der Heiligen Schrift. Ein Thema, das, wie soll ich sagen, wenn man diesen Titel liest, in der Regel nicht die Massen anzieht, die sagen: "Das ist schon immer mein Interessengebiet gewesen." Ich glaube, wenn wir eine Fortsetzung zu dem Thema machen würden, etwa "Welche Partei soll ich als Christ wählen?", dann wäre das für viele hitziger und interessanter.
Aber dieses Thema zieht nicht sofort. Es klingt eher technisch und ist vielleicht an einigen Stellen etwas mühselig. Über manche Strecken kann es auch etwas zäh sein. Dennoch ist es sehr relevant. Egal, ob du dich schon mit dem Thema beschäftigt hast, durch dein Selbststudium, oder ob du hier ganz unbedarft einsteigst, möchte ich gerne, dass wir, bevor ich Inhalte aus diesem Werk präsentiere, eine Frage miteinander besprechen.
Stell dir folgendes Szenario vor: Ein Mormone oder ein Muslim möchte mit dir ins Gespräch kommen. Beide haben religiöse Überzeugungen, die hier und dort mit unseren übereinstimmen können. Aber sie haben auch jeweils eine weitere Schrift, auf die sie ihren Glauben und ihre Überzeugung stützen. Die Mormonen haben neben der Bibel das Buch Mormon, auf das sie sich berufen. Der Muslim kennt natürlich die Relevanz von Altem und Neuem Testament, bezieht sich auch immer wieder darauf, sieht darin aber keine endgültige Autorität für sein Leben. Er glaubt, dass im Laufe der Jahre einige Dinge verfälscht wurden und beruft sich deswegen auf den Koran.
Jetzt sagen sie: "Das ist göttliche Offenbarung." Was könnten Argumente sein, warum ein Mormone oder ein Muslim behaupten kann, dass sie ebenfalls eine Schrift besitzen, die göttliche Offenbarung ist? Welche Argumente könnte ein Mormone vorbringen, um zu sagen, Gott habe sich noch weiter offenbart in diesem Buch?
Ich möchte, dass du mit deinem Nachbarn oder, wenn ihr zu still seid, auch zu viert zusammentut und einfach mal Argumente austauscht. Wenn du heute schon viel kommuniziert hast, kannst du auch in dich gehen. Aber lasst uns mal darüber sprechen, welche Argumente ein Mormone oder Muslim vorbringen könnte, um zu sagen: "Ich habe hier durchaus noch weitere Offenbarungen in der Hand." Wie könnte er argumentieren? Danach schauen wir uns an, wie man darauf antworten könnte.
Ihr merkt vielleicht auch: Wenn der Begriff "Kanon der Heiligen Schrift" etwas technisch klingt, ist es doch eine sehr relevante Frage. Du hast deine Überzeugung und sagst, ich sehe mich nicht darin geführt, Mormone oder Muslim zu werden, aber sehr wohl möchte ich meinen jüdischen Nachbarn und Freund davon überzeugen, dass das Neue Testament Relevanz für sein Leben hat. Das ist eine zentrale Frage: Wie kommen wir überhaupt dazu, zu entscheiden, was Teil von Gottes Wort ist und was nicht? Das entscheidet über alles.
Wayne Grudem beginnt am Anfang seiner Lektion auf Seite 61 mit der Definition: Was ist überhaupt der Kanon? Der Kanon der Heiligen Schrift ist die Liste aller Bücher, die in die Bibel hineingehören. Es geht darum, wenn wir Gott erkennen und ihm vertrauen wollen, müssen wir wissen, auf welchen Worten das basiert. Wir brauchen Klarheit über den Umfang der Bibel, damit wir nicht etwas hinzufügen, was Gott gar nicht gesagt hat, und auf der anderen Seite nicht Dinge weglassen, die Gott gesagt hat.
Deswegen ist die Frage nach dem Umfang der Bibel von höchster Relevanz. In der Kirchengeschichte war dies eine heftige Debatte. Wir müssen unbedingt herausfinden, welche Worte göttlich sind, damit wir nicht auf der einen Seite vom Pferd fallen, aber auch nicht auf der anderen Seite. Beides wäre falsch.
Wenn ich sage, Gott möchte von dir dies und das, aber er hat es gar nicht gefordert, erhebe ich mich zu einem göttlichen Standard in deinem Leben. Andererseits, wenn Gott gesagt hat, dies und das sollst du tun, und ich spüle das einfach weg, dann sind wir nicht mehr in der Lage, das zu tun, was Gott von uns wünscht.
Vielleicht merkt ihr jetzt, wie zentral und wichtig die Frage ist: Kann ich wirklich sicher sein, dass das, was ich zwischen diesen Buchdeckeln finde, auch wirklich Gottes Wort ist? Ich weiß, diese Frage fordert manche Christen heraus, weil sie diese Art der Fragestellung nicht gewohnt sind. Sie bringt auch einige in unangenehme Irritation, weil sie vorher nie diese Frage gestellt haben, sondern einfach kindlich blind vertraut haben – was an sich nichts Falsches ist.
Wenn du bis jetzt so geglaubt hast, ist das gut. Aber der Mormone, der so aufgewachsen ist, hat dieselbe Überzeugung: Was mir in zwei Büchern gegeben wurde, das ist das, was ich für wahr halten soll. Deshalb ist diese Frage relevant, und diese Irritation ist notwendig.
In einer pluraler werdenden Gesellschaft, in der immer mehr religiöse Überzeugungen und Strömungen existieren, müssen wir in Kontakt mit Menschen treten und irgendwie Antwort geben können, warum wir glauben, dass die Bibel Gottes Wort ist. Dafür ist diese Lektion da, um uns Material an die Hand zu geben. So können wir sagen: Wir behaupten nicht nur, dass dies Gottes Wort ist, weil wir das von Generation zu Generation gehört haben, sondern weil wir Gründe dafür haben. Einige sind überzeugender als andere.
Wir beginnen mit dem Kanon des Alten Testaments. Auf der ersten Folie habe ich 5. Mose 4,2 abgebildet, wo es heißt: "Ihr sollt nichts hinzufügen zu dem Wort, das ich euch gebiete, und sollt nichts davon wegnehmen, damit ihr die Gebote des Herrn, eures Gottes, haltet, die ich euch gebiete."
Hier merken wir, dass es schon im Alten Testament eine Dringlichkeit und Wichtigkeit gibt, dass dem Volk Gottes Dinge vermittelt werden, an denen sie festhalten sollen. Sie sollen nicht nach eigenem Gutdünken Dinge wegdefinieren, sondern sich an das halten, was ihnen gegeben wurde.
Wir glauben nicht, dass die Bibel vom Himmel heruntergefallen ist und als ein Exemplar auf einmal gefunden wurde. Vielmehr besteht die Bibel aus unterschiedlichen Büchern, die von verschiedenen Autoren zu unterschiedlichen Zeiten geschrieben wurden. Es ist eine Sammlung von Büchern, die im Laufe der Zeit gewachsen ist.
Interessant ist, dass wir hier lesen, man solle nichts hinzufügen und nichts wegnehmen. Gleichzeitig wurde im Alten Testament aber ständig etwas hinzugefügt. Mit dem Buch 5. Mose, Kapitel 4, Vers 2 war die Geschichtsschreibung Gottes mit den Menschen nicht zu Ende.
Es wurde permanent etwas hinzugefügt. Am Anfang bildete natürlich Mose den Anfang. Wayne Grudem zeigt in seinem Kapitel, dass es damit begann, dass Gott selbst die Gesetzestafeln schrieb, die aufbewahrt werden sollten. Ganz explizit wird davon gesprochen, dass das fünfte Buch Mose von Mose niedergeschrieben und aufbewahrt werden sollte.
Zum ersten Mal ist das Volk Gottes damit konfrontiert, dass Schrift konserviert, also bewahrt werden soll – auch für nachfolgende Generationen. Daraus soll vorgelesen, unterrichtet und erklärt werden, damit Menschen Gottes Wort behalten, bewahren und darin leben.
Aber es bleibt nicht bei diesen Büchern allein, sondern es geht weiter. Auf Seite 62 in der Dogmatik zeigt Wayne Grudem, dass im Alten Testament häufig Propheten den Auftrag bekamen, weitere Worte niederzuschreiben. Es werden Samuel, Jesaja und Jeremia genannt.
Meine Frage an euch: Ist das nicht ein Widerspruch? Gott sagt: "Ihr sollt nichts hinzufügen und nichts wegnehmen." Und dann kommen immer neue Bücher hinzu. Das sollen wir doch nicht tun, und dennoch wurde es getan. Wie würdet ihr darauf reagieren?
Mose bekam den Auftrag, neben den Zehn Geboten, die bewahrt werden sollten, auch das fünfte Buch Mose explizit niederzuschreiben und zu bewahren. Wayne Grudem zeigt auf Seite 62 auch, dass im Buch Exodus und im Buch Numeri immer wieder der Hinweis auftaucht: "Und das schreibe nieder!" Ein ganz konkreter Auftrag, Dinge zu fixieren.
Das Urteil "nichts hinzufügen" bezieht sich also nicht darauf, dass keine weiteren Bücher geschrieben werden dürfen. Wilfried, bitte! Würdest du sagen, es war nicht verkehrt, dass man weitere Bücher verschriftlicht hat, weil es nicht im Sinne einer Hinzufügung war?
Ihr versteht vielleicht die Fragestellung. Da kann man schnell einen Knoten im Kopf bekommen, wenn man diese Bibelpassage liest oder weiterdenkt und sich fragt, wie man aus diesem Dilemma herauskommt.
Gott formuliert hier: "Ihr sollt nichts hinzufügen." Aber Gott limitiert sich damit nicht selbst in seiner Entscheidung, sich weiter zu offenbaren und zu erklären. Er sagt vielmehr, ihr sollt nicht eigenmächtig handeln und aus eigenem Denken heraus Dinge hinzufügen oder weglassen.
Wenn Gott sich dazu entscheidet, weitere Dinge offenzulegen und zu fixieren, dann ist Gott darin frei. Gott limitiert sich nicht. Er sagt nicht, er werde sich nicht weiter offenbaren. Der Fokus liegt auf menschlicher Anmaßung, es besser zu wissen.
Ich denke, diese Worte "hinzufügen" und "wegnehmen" bedeuten nicht einfach, dass man keine weiteren Schriften addieren darf, sondern dass man zwei Dinge nicht tun soll: von Gottes Wort nichts unterschlagen und es nicht mit eigenen Auflagen anreichern.
Das ist genau das Dilemma, das Jesus erlebt hat, als er mit religiösen Menschen zu tun hatte. Die haben genau das getan. Markus 7,8 kritisiert Jesus die religiösen Führer: "Ihr gebt das Gebot Gottes preis und haltet die Überlieferung der Menschen fest. Ihr nehmt weg und fügt hinzu."
Das ist genau das, was die Religiösen damals taten, die die Schrift und Gottes Wort geehrt haben, aber es falsch gemacht haben.
Es geht hier nicht darum, dass Gott nicht noch weitere Worte offenbaren will – das tut er durchaus, wie Wayne Grudem auf Seite 62 zeigt, durch unterschiedliche Propheten. Aber man soll nichts preisgeben oder aufgeben, und erst recht nicht eigene menschliche Gebote hinzufügen.
Wir Christen müssen immer wieder aufpassen, dass wir nicht unsere eigenen Gedanken, Überzeugungen und Traditionen, die wir liebgewonnen haben, dem Wort Gottes gleichsetzen. Wir sind dann sogar bereit, die Prinzipien Gottes fallen zu lassen, weil uns unser Eigenes wichtiger ist. Das ist eine ernste Warnung, die für jede Generation wiederholt werden muss.
Manche haben negative Erfahrungen damit gemacht, dass genau das passiert ist. Wir müssen sorgfältig sein.
Aber das bedeutet nicht, dass Gott sich in seiner Selbstoffenbarung limitiert. Die Wahrheit ist, dass er es weiter getan hat durch die Propheten und seinen Abschluss gebildet hat in den drei Geschichtsbüchern Esra, Nehemia und Esther. Das sind die drei Geschichtsbücher, die ganz zum Schluss der Geschichte Israels geschrieben wurden.
In einem ähnlichen Zeitraum entstanden noch drei weitere prophetische Bücher: Haggai, Sacharja und Maleachi.
Ich habe hier eine Zeittafel, die sehr kleingliedrig ist. Dort finden wir die Zeiträume, die die jeweiligen Bibelbücher abdecken: 2. Mose, 3. Mose, 5. Mose, Josua, Richter. In diesen Zeiträumen wurden die Texte verfasst.
Ganz zum Schluss stehen Esra, Nehemia und Esther – die letzten heiligen Schriften der Geschichte Israels. Das bedeutet nicht, dass Israel danach nicht mehr existierte und keine Geschichtsschreibung mehr stattfand. Diese gab es durchaus, aber die nachfolgenden Geschichtsschreibungen wurden nicht als Bibelschrift aufgenommen.
Durch die Geschichtsliteratur, die danach kam, hat Gott nicht mehr weiter gesprochen. Dort haben Historiker einfach etwas aufgeschrieben.
Bei Esra, Nehemia und Esther wird nicht nur Geschichte weitervermittelt, sondern Gott transportiert auch Prinzipien, Gesetze, Gebote und seinen Willen.
Es gibt eine gewisse Irritation, wenn man relativ neu mit der Bibellektüre beginnt. Man liest die Geschichte von Mose, den Königen und kommt zu Esra, Nehemia, Esther. Danach ist die Bibel aber nicht zu Ende, sondern es folgen Psalmen, Sprüche und viele Prophetenbücher.
Die Bücher im Alten Testament sind nicht chronologisch, sondern thematisch sortiert. Für Bibelkenner ist das nichts Neues, aber für Neueinsteiger kann das irritierend sein.
Man ist mit der gesamten Geschichte Israels fertig, kommt dann zu den Propheten, die über Epochen berichten, die schon Jahrzehnte zurückliegen. Haggai, Sacharja und Maleachi sind zeitlich in etwa auf der gleichen Ebene wie Esra, Nehemia und Esther.
Das sieht man in der Zeittafel: Haggai, Sacharja und Maleachi gehören zur gleichen Zeit wie die letzten Geschichtsbücher des Alten Testaments.
Deshalb bilden diese sechs Bücher den Abschluss des Alten Testaments: drei Geschichtsbücher und drei prophetische Bücher, die in ähnlicher Zeit verfasst wurden.
Davor gibt es viele Prophetenbücher, wie Jesaja, Micha, David, Samuel. Diese waren prophetisch aktiv und ihre Schriften wurden aufgenommen, weil sie prophetisch zum Volk Gottes gesprochen haben.
Nach dem alttestamentlichen Abschluss um 435 v. Chr. gab es viele weitere Schriften, die die Geschichte Israels aufzeichneten. Diese wurden von Juden und Rabbinern jedoch nie als göttliche Schrift anerkannt.
Sie hatten nicht dieselbe Autorität wie die Schriften, die wir im Alten Testament finden.
Der jüdische Historiker Josephus, der ungefähr zur Zeit Jesu lebte, beschreibt, dass es neben den alttestamentlichen Schriften noch weitere Schriften gab, die aber nicht dasselbe Ansehen hatten.
Josephus berichtet, dass die Juden die Schriftrollen des Alten Testaments im Tempel aufbewahrten. Andere Schriften wurden nicht im Tempel abgelegt.
Der Umgang der Juden mit anderen Büchern zeigt, dass sogenannte Apokryphen – Bücher, die zwischen Altem und Neuem Testament entstanden sind – nie als Gotteswort anerkannt wurden.
Das änderte sich erst mit der römisch-katholischen Kirche, die weitere Bücher hinzufügte.
Zur Zeit Jesu war klar, was zum Alten Testament gehörte. Jesus, die Apostel und die jüdischen Führer waren sich einig über den Kanon des Alten Testaments.
Wayne Grudem schreibt auf Seite 64: Jesus und die Schreiber des Neuen Testaments zitieren verschiedene Teile des Alten Testaments über 295 Mal mit göttlicher Autorität, zitieren aber kein einziges Mal aus den Apokryphen oder anderen Schriften mit göttlicher Autorität.
Das Fehlen solcher Zitate und die häufige Bezugnahme auf das Alte Testament bestätigen, dass die Schreiber des Neuen Testaments übereinstimmten, dass der etablierte Kanon des Alten Testaments die wahrhaftigen Worte Gottes enthält.
Jesus und die Apostel haben ihre Aussagen immer auf ein Fundament gestellt, indem sie sagten: "Gott hat gesagt" oder "Es steht geschrieben", und diese Quellen stammen aus dem Alten Testament.
Andere zeitgenössische Literatur wird zwar erwähnt, aber nicht mit der Formel "Gott hat gesprochen" eingeleitet.
So wie ein Pastor auch sagt: "In der Zeitung habe ich gelesen..." – das ist interessant, aber entscheidend sind die Worte der Bibel.
Eine letzte Beobachtung vor dem Wechsel zum Neuen Testament: Die Einigkeit über das Alte Testament zeigt sich auch darin, dass Jesus die Schriftgelehrten in Matthäus 22,29 dafür kritisiert, dass sie die Schriften nicht kennen.
Wenn ich jemanden so kritisiere, muss klar sein, worüber ich rede. Wenn ich zu einem Schüler sage: "Du hast die Hausaufgaben nicht gemacht", setzt das voraus, dass er weiß, was die Hausaufgaben sind.
Jesus bringt den Vorwurf: "Ihr kennt die Schriften nicht." Er bezieht sich auf eine bestimmte Sammlung von Büchern. Die religiösen Leiter diskutieren nicht darüber, was die Schriften sind. Das war klar.
So wie wir heute wissen, was die Bibel ist, war es damals klar, was zum Alten Testament gehört.
Diese Beobachtungen zeigen, dass wir mit hoher Sicherheit sagen können, dass das, was im Alten Testament zu finden ist, Gottes Wort ist. Andere antike Bücher sind vielleicht nett zu lesen, aber nicht gleichwertig autoritativ.
Jetzt wechseln wir die Seite und gehen vom Alten Bund zum Neuen Bund.
Bis jetzt waren alle jüdischen Zuhörer wahrscheinlich einverstanden. Aber jetzt kommen wir zum Neuen Testament, was etwas schwieriger ist.
Im Alten Testament hatten wir Jesus, der bestätigte, dass das Alte Testament göttlich ist. Aber im Neuen Testament gibt es keinen Bericht, dass Jesus noch einmal kam, um der Gemeinde zu sagen: "Die Schriften sind jetzt komplett, ich habe alle Fehler korrigiert, das ist Heilige Schrift."
Diese Beweisführung fehlt. Das macht die Diskussion über den Kanon des Neuen Testaments schwieriger.
Wayne Grudem beginnt das Gespräch über den Kanon des Neuen Testaments auf Seite 67 so: Die Entwicklung des neutestamentlichen Kanons beginnt mit den Schriften der Apostel.
Die Niederschrift der Bibel geschieht im Zusammenhang mit den großen Taten Gottes in der Heilsgeschichte.
Das Alte Testament berichtet und interpretiert die Berufung Abrahams, das Leben seiner Nachkommen, den Auszug aus Ägypten, die Wanderung in der Wüste, die Niederlassung im Land Kanaan, die Monarchie, das Exil und die Rückkehr aus der Gefangenschaft.
Jede dieser großen Taten Gottes wird in Gottes eigenen Worten in der Heiligen Schrift ausgelegt.
Das Alte Testament schließt mit der Erwartung des kommenden Messias ab.
Jetzt kommen wir zum nächsten Argument: Die nächste Etappe in der Heilsgeschichte ist das Kommen des Messias. Es überrascht nicht, dass kein weiteres Buch der Bibel geschrieben wurde, bis dieses größte Ereignis in der Heilsgeschichte geschah.
Es geht um das Kommen des Messias und auch um sein Wiederkommen.
Die großen Heilstaten sind die Ereignisse, die schriftlich fixiert und weitergegeben werden sollen.
Jesus selbst hat für das Neue Testament Vorkehrungen getroffen, indem er folgende Worte sagte.
Wir lesen sie häufig als Worte an uns gerichtet, was nicht falsch ist, aber sie hatten eine besondere Wichtigkeit, weil sie an die damaligen Jünger und Apostel gerichtet waren.
In Johannes 14,26 heißt es: "Der Heilige Geist, den der Vater senden wird in meinem Namen, wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe."
Jesus hat viel gesagt, aber er versprach, dass der Geist Gottes die Jünger befähigen wird, sich an diese Dinge treu zu erinnern und sie weiterzugeben.
Jesus wollte, dass die heilsgeschichtlichen Dinge nicht verloren gehen, sondern weitergegeben werden, so wie im Alten Testament die Propheten durch den Heiligen Geist die Taten Gottes niederschrieben.
Johannes 16,13-14 sagt: "Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten. Er wird nicht aus sich selbst reden, sondern was er hören wird, wird er reden, und das Kommende wird er euch verkündigen. Er wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er nehmen und euch verkündigen."
Die Apostel erhalten den Auftrag und die Ausrüstung durch den Heiligen Geist, um Gottes Wort zu bewahren und weiterzugeben.
Natürlich können wir diese Verse auch auf uns beziehen. Der Heilige Geist erinnert uns an das, was Jesus gesagt hat.
Das tut er auch in meinem und deinem Leben, zumindest dann, wenn wir etwas im Kopf haben, woran wir uns erinnern können.
Man kann sich nur an Dinge erinnern, die man gelesen hat.
Bei den Aposteln hat das eine andere Tragweite. Bei mir ist es ein Wiedererinnern an Überliefertes, aber die Überlieferung muss erst einmal stattfinden.
Dass sich die christliche Bewegung weltweit etabliert, hängt davon ab, dass die Apostel sich erinnern.
Die Christenheit ist nicht abhängig davon, dass ich mich erinnere, denn ich kann Dinge vergessen.
Jesus muss sicherstellen, dass seine Nachfolger sich nicht vergessen, sondern das festhalten.
Deshalb ist der Bewahrungs- und Erinnerungsauftrag an die Apostel von anderer Qualität als bei uns.
Die Apostel treten in derselben Autorität auf wie die Propheten im Alten Testament.
Mose gilt als Prophet, Samuel, David auch.
Sie hatten ein prophetisches Amt, sprachen Gottes Wort.
Die Apostel haben dasselbe Autoritätsniveau wie die alttestamentlichen Propheten.
Das zeigt sich besonders in 2. Petrus 3,1-2: "Geliebte, ich schreibe euch bereits, um eure lauter Gesinnung durch Erinnerung aufzuwecken, damit ihr der von den heiligen Propheten schon vorher gesprochenen Worte und des durch eure Apostel übermittelten Gebotes des Herrn und Retters gedenkt."
Petrus möchte, dass die Christen sich an die Worte der heiligen Propheten und der Apostel erinnern.
Diese beiden sind auf einer Ebene.
Für einen Juden damals war es schwer, sich auf die gleiche Ebene wie Jesaja oder Hesekiel zu stellen.
Wenn man überzeugt ist, dass Johannes 14 und 16 wahr sind, dass der Heilige Geist die Apostel erinnern wird und sie in Jesu Auftrag die Dinge etablieren und weitergeben, dann muss man das ernst nehmen.
Petrus schreibt in 1. Korinther 14,37, dass die Apostel für die Gemeinde die prophetische Autorität innehaben.
Es gibt auch prophetisch begabte Menschen, aber Paulus sagt, dass sie nicht auf dem Niveau der alttestamentlichen Propheten spielen.
Deshalb sagt Paulus: "Wenn jemand meint, ein Prophet zu sein, so erkenne er, dass das, was ich euch schreibe, ein Gebot des Herrn ist."
Wir sind bei der Frage, woher wir wissen, was Gott im Neuen Testament gesprochen und fixiert hat.
Die Antwort: Die Schriften der Apostel sind Gottes Wort für die Christenheit und gehören unbedingt in die Bibel.
Ich bekomme immer einen allergischen Anfall, wenn ich höre, jemand sagt: "Ich folge lieber Jesus als Paulus." Das ist ein Denken, das nicht mit dem Schriftverständnis dieser Bibel übereinstimmt.
Theologen und Pastoren sagen: Die Worte von Jesus haben mehr Gewicht als die von Paulus.
Man tut so, als ob Paulus in eigener Macht redet, und schafft einen Keil zwischen Apostel und Sohn Gottes.
Aber wir sind auf Offenbarung angewiesen. Es ist egal, ob Jesus es gesagt hat oder Petrus oder Paulus. Es ist Gottes Wort.
Das bedeutet nicht, dass Petrus auf dem Niveau von Jesus ist. Jesus ist Gott, die zweite Person der Dreieinigkeit.
Aber wenn Jesus die Apostel beauftragt, seine Gebote weiterzugeben, können wir nicht sagen, dass das, was Jesus sagt, mehr zählt als das, was ein Apostel sagt.
Wenn wir so sprechen, sagen wir, die Schrift ist widersprüchlich, und der Heilige Geist hat falsche Dinge gesagt.
Das evangelikale Schriftverständnis geht davon aus, dass die Bibel keine Fehler hat, nicht widersprüchlich ist, aus ein und demselben Geist kommt und wahrhaft ist in jeder Aussage.
Deshalb hat sie komplette Autorität, egal ob Jesus, Petrus oder Johannes spricht.
Es gibt weitere Schriften, wie das sogenannte Thomas-Evangelium, von denen historisch nicht nachgewiesen werden kann, dass sie von den Aposteln stammen.
Diese Werke zeigen eklatante Mängel und fragwürdige theologische Aussagen, die im Widerspruch zu Jesus stehen.
Eine Faustregel lautet: Alles, was apostolisch ist, haben wir in der Bibel.
Es gibt mehr als Paulus: Johannes, Matthäus, Petrus.
Wir haben gerade gelernt: Was in deine Bibel gehört, ist das, was die Apostel sagen.
Aber es gibt auch Bücher, die nicht von Aposteln stammen.
Wie geht man damit um?
Das wird knifflig.
Diese Art, die Bibel gegeneinander auszuspielen, funktioniert nicht.
Unter den alttestamentlichen Propheten gilt Mose als der größte.
Von den prophetischen Büchern ist Jesaja der bedeutendste.
Von Ansehen her sind es Mose und Elija.
Mose ist eine Liga für sich, weil er die Tora und den Grundstock legte.
Paulus würde nie auf die Idee kommen, zu sagen: "Ja, das hat Obadja gesagt, hast du das gelesen?"
Obadja ist ein kleiner Prophet in der Bibel.
Ein gläubiger Jude oder Rabbiner würde nicht sagen: "Das hat Obadja geschrieben, aber Mose nicht."
Beides ist Wort Gottes.
In evangelikalen Kreisen wird manchmal Jesus gegen seine Apostel ausgespielt.
Aber Jesus hat in Johannes 14 und 16 klar gesagt, dass der Heilige Geist die Apostel erinnern wird.
Er sagt: "Es ist zu viel für euch jetzt. Der Geist wird euch alles erklären."
Dann fangen wir an zu sagen: "Ich folge eher Jesus als Paulus."
Das ist schwierig.
Paulus war eine Spätgeburt, kam erst später dazu und hatte eine Sonderstellung.
Aber Paulus sagt: "Ich habe den Herrn erlebt und spreche im Auftrag Gottes."
Radikale Bekehrungen gab es damals.
Kann jeder mit einer radikalen Bekehrung sagen: "Ich spreche für die ganze Christenheit in den nächsten 2000 Jahren"?
Deshalb ist es gut, dass der Heilige Geist den Job übernommen hat und uns es einfacher gemacht hat.
Wir glauben den Worten von Paulus, als wenn Gott selbst zu uns spricht.
Das zeigt sich auch darin, dass Petrus die Schriften von Paulus akzeptierte.
Petrus schreibt in 2. Petrus 3,15-16: "Seht in der Langmut unseres Herrn die Rettung, wie auch unser geliebter Bruder Paulus nach der ihm gegebenen Weisheit euch geschrieben hat. In allen Briefen, wenn er von diesen Dingen redet, ist einiges schwer zu verstehen, was die Unwissenden und Ungefestigten verdrehen, wie auch die übrigen Schriften zu ihrem eigenen Verderben."
Uns geht es nicht darum, wer da verdreht, sondern wie Petrus die Schriften bewertet.
Petrus ordnet die Schriften von Paulus zusammen mit den übrigen Schriften, also den Schriften des Alten Testaments, ein.
Petrus erachtet die Schriften von Paulus als würdig, zum Kanon zu gehören.
Das ist sehr wichtig.
Dieses Argument kann kommen: "Warum Paulus? Warum auf ihn hören?"
Weil Petrus auf ihn gehört hat und sagte, seine Briefe haben dasselbe Autoritätsniveau wie das Alte Testament.
Damit ist Paulus nicht allein.
Petrus stellt sich an seine Seite: "Wir glauben ihm. Warum verdreht ihr das, was er schreibt?"
Es hat dasselbe Niveau wie Jesaja oder Mose. Es ist Gottes Wort.
Wenn wir das Neue Testament anschauen, haben wir gelernt: Apostel schreiben Gottes Wort.
In meinem Buchdeckel liegt das Alte Testament, das Jesus auch hatte.
Jetzt kommt das Neue Testament dazu, und ich brauche einen Hinweis, worauf ich meinen Glauben stütze.
Jesus gibt den Aposteln Autorität, und ein Apostel gibt einem anderen Apostel Autorität.
Ich kann abhaken: Matthäus ist dabei, Johannes, Paulus, der große Block.
Paulus hat im Vergleich zu den anderen Aposteln großen Einfluss.
Man fragt sich manchmal: Jesus berief zwölf Apostel. Von den meisten weiß man kaum etwas. Was haben sie gemacht? Sie haben nichts geschrieben, zumindest nichts, was in der Bibel steht.
Paulus kam später dazu und schrieb viel.
Wir sehen also: Apostolische Schriften, paulinische Schriften gehören in die Bibel.
Dann kommen Petrus, Johannes, Judas, Jakobus, Markus, Lukas, Apostelgeschichte.
Diese Bücher sind nicht von Aposteln geschrieben, aber in der Bibel.
Ab diesem Punkt wird es schwierig: Warum sind diese Bücher drin, warum nicht andere?
Die Kirche hat heftig darüber debattiert.
Wie kam man zu der Liste der Bibelbücher?
Nicht nur Apostelschriften, sondern auch Schriften von Personen, die im Umfeld der Apostel waren, wurden aufgenommen.
Das zeigt 1. Timotheus 5,17-18: "Die Ältesten, die gut vorstehen, sollen doppelte Ehre erhalten, besonders die in Wort und Lehre arbeiten. Denn die Schrift sagt: 'Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden' und 'Der Arbeiter ist seines Lohnes wert.'"
Paulus bringt hier ein Argument, wie man mit Ältesten umgehen soll.
Er begründet es mit göttlichem Wort, das er in seiner damaligen Bibel findet.
Das erste Zitat stammt aus 5. Mose.
Das zweite: "Der Arbeiter ist seines Lohnes wert" stammt aus dem Lukas-Evangelium, Lukas 10,7.
Jesus hat das gesagt.
Paulus kannte diese Schrift.
Das zeigt, dass die Schrift von Lukas in der damaligen Christenheit bekannt war.
Sie wurde kopiert, abgeschrieben und weitergegeben.
Paulus zitiert Lukas und Mose und bringt sie auf eine Ebene.
Ob Mose gesprochen oder Lukas geschrieben hat, spielt für die Autorität keine Rolle.
Beide Schriften haben dieselbe geistliche Autorität.
Das ist wichtig, weil Lukas kein Apostel war.
Lukas war nicht einer der Zwölf, sondern ein Begleiter von Paulus.
Er hatte die Legitimation, Gottes Wort niederzuschreiben.
Markus war ebenfalls Begleiter, vermutlich von Petrus.
Sie waren im apostolischen Umfeld.
Petrus hatte Zugang zu Markus.
Sie waren im Austausch darüber, was in die Bibel gehört.
Markus gehört zur Autorenmannschaft.
Judas war Bruder von Jesus und nahe bei Jakobus.
Die frühe Kirche erkannte ihre Nähe zur apostolischen Elite an und gab ihren Schriften Autorität.
Am Ende bleibt nur noch der Hebräerbrief, der die "härteste Nuss" ist.
Wer den Hebräerbrief geschrieben hat, ist unklar.
Die Christenheit entschied sich trotzdem, ihn aufzunehmen.
Wenn wir Zeit haben, können wir darüber diskutieren.
Wayne Grudem schreibt zum Kanon des Neuen Testaments auf Seite 71-72:
Im Jahr 367 n. Chr. enthielt das 39. Osterrundschreiben des Athanasius eine genaue Liste der 27 Bücher des Neuen Testaments, die wir heute haben.
Diese Liste wurde von den Kirchen im östlichen Mittelmeerraum angenommen.
30 Jahre später, 397 n. Chr., stimmte das Konzil von Karthago, das die Kirchen im westlichen Mittelmeerraum repräsentierte, dieser Liste zu.
Dies sind die frühesten endgültigen Listen unseres heutigen Kanons.
Warum sagen wir das?
Die Bibel ist kein Produkt unserer Druckerei von vor ein paar Jahrzehnten.
In den ersten Jahrhunderten, als diese Schriften entstanden und kursierten, kam die Überlegung auf: Was gehört dazu, was nicht?
Wenn du den Thessalonicherbrief liest, erfährst du, dass die Thessalonicher Briefe bekamen, die sich als von Paulus ausgaben, aber gefälscht waren.
Das sorgte für Irritation in der frühen Christenheit.
Wie überprüft man das?
Paulus bekam davon mit, aber nicht über Facebook, sondern über längere Wege.
Es war eine spannende Zeit, die Zeit brauchte, um herauszufinden, worauf man sich stützen kann.
Man prüfte die Schriften und stellte fest, dass die Kirche insgesamt zu den 27 Büchern des Neuen Testaments kam.
Wayne Grudem schließt die Kanondiskussion mit einem Hinweis auf Hebräer 1,1-2:
"Gott hat früher vielfach und auf vielerlei Weise zu den Vätern geredet durch die Propheten, hat aber am Ende dieser Tage zu uns geredet durch den Sohn, den er zum Erben aller Dinge eingesetzt hat, durch den er auch die Welten gemacht hat."
Gott hat damals durch die Propheten gesprochen und jetzt abschließend durch den Sohn.
Wir brauchen nicht mehr erwarten.
Wenn dein Pastor ein Buch schreibt und es in die Bibel legen will, gibt es ein Problem.
Wir brauchen keinen weiteren Propheten wie Mohammed oder Joseph Smith.
Gott hat in den Propheten gesprochen und dann in seinem Sohn.
Bei seinem Sohn haben wir gehört, dass er den Aposteln einen Auftrag gab.
Dieser Auftrag ist vollendet.
Wir brauchen nicht mehr.
Warum?
Die großen Heilstaten Gottes sind in der Bibel festgehalten.
Das nächste große Ereignis im Kalender Gottes ist die Wiederkunft Jesu Christi.
Dazwischen sind Missionsauftrag, Evangelisation und Nachfolge.
Aber keine weitere Heilstat.
Deswegen brauchen wir keine neue Abschrift, die wir zwischen die Seiten legen.
Zum Abschluss beantwortet Grudem die Frage: Wie wissen wir, dass wir die richtigen Bücher im Kanon haben?
Er bringt ein Argument, das Spannung aufbaut.
Je nachdem, wie analytisch du bist, kannst du sagen: "Ja, das sind Argumente, aber ich war nicht dabei."
Man kann es nicht beweisen, weil man nicht dabei war.
Wayne Grudem legt viel Wert darauf, dass wir auf Gottes Treue vertrauen.
Dass das, was wir in unseren Bibeln haben, wirklich Gottes Wort ist.
Das wirkt wie ein schwaches Argument.
Es klingt zerbrechlich.
Man denkt: "Der andere vertraut so, ich vertraue so."
Es wirkt subjektiv, weil es keine harten äußeren Fakten gibt.
Aber man darf nicht vergessen: Für das Alte Testament gab es solche harten Fakten auch nicht.
Jesus und die Apostel waren entspannt und vertrauten darauf, dass Gott sein Wort bewahren wird.
Sie machten sich keine Sorgen.
Die Gründe, warum die Schriften im Tempel aufbewahrt wurden, waren klar.
Sie hatten keine Probleme zu sagen: "Das ist Gottes Wort."
Sie waren entspannt, dass Gott sein Wort bewahren wird.
Wenn das für das Alte Testament gilt, können wir auch ruhig sein und sagen: Wenn Jesus und die Apostel entspannt waren, dass Gott seine Geschichte bewahrt, warum sollten wir zweifeln, dass er das im Neuen Testament nicht schafft?
Es bleibt ein vermeintlich schwaches Argument, aber es reichte Jesus und den Aposteln, um ihr Leben danach auszurichten.
Zum Abschluss ein Zitat von Seite 74:
"Die Erhaltung und korrekte Sammlung des Kanons der Bibel sollte von Gläubigen nicht als ein Teil der Kirchengeschichte nach den großen zentralen Heilstaten für sein Volk gesehen werden, sondern als ein integraler Bestandteil der Heilsgeschichte selbst."
Was sind Heilstaten?
Die Berufung Abrahams, die Erwählung Israels, die Rettung Israels und all diese großen Ereignisse in der Geschichte Gottes.
Auch die Sammlung der Schriften ist kein Nebenprodukt, sondern ein einschneidendes Ereignis.
So wie Gott in der Schöpfung am Werk war, in der Berufung Israels, im Leben, Tod und Auferstehung Christi und im frühen Werk der Apostel, so war Gott auch in der Erhaltung und Zusammenstellung der Bücher der Bibel am Werk – zum Nutzen seines Volkes für das gesamte Zeitalter der Kirche.
Letztlich gründen wir unser Vertrauen auf die Korrektheit unseres gegenwärtigen Kanons – auf die Treue Gottes.
Das ist ein schönes Abschlusswort. Amen.
Definition und Bedeutung des Kanons
Wayne Grudem beginnt seine Lektion auf Seite 61 mit der Frage, was überhaupt der Kanon ist.
Der Kanon der Heiligen Schrift ist die Liste aller Bücher, die zur Bibel gehören. Es geht darum, dass wir, wenn wir Gott erkennen und ihm vertrauen sowie gehorchen wollen, wissen müssen, auf welchen Worten dieses Vertrauen und Gehorchen basiert.
Wir brauchen Klarheit über den Umfang der Bibel, damit wir nichts hinzufügen, was Gott nicht gesagt hat, und auf der anderen Seite nichts weglassen, was Gott gesagt hat.
Deshalb ist die Frage nach dem Umfang der Bibel von höchster Relevanz. In der Kirchengeschichte gab es darüber heftige Debatten. Es ist unbedingt notwendig herauszufinden, welche Worte göttlich sind, damit wir weder auf der einen noch auf der anderen Seite vom Weg abkommen – denn beides ist falsch.
Wenn ich behaupte, Gott wolle von dir dies oder das, obwohl er es gar nicht gefordert hat, erhebe ich mich zu einem göttlichen Standard in deinem Leben.
Andererseits, wenn Gott gesagt hat, dass etwas getan werden soll, und ich das einfach ignoriere, dann sind wir nicht mehr in der Lage, das zu tun, was Gott von uns erwartet.
Die Herausforderung der Gewissheit über Gottes Wort
Jetzt merken wir vielleicht, wie zentral und wichtig die Frage ist: Kann ich wirklich sicher sein, dass das, was ich zwischen diesen Buchdeckeln finde, auch wirklich Gottes Wort ist?
Ich weiß, diese Frage fordert manche Christen sehr heraus, weil sie diese Art der Fragestellung gar nicht gewohnt sind. Sie bringt auch einige in unangenehme Irritation.
Viele haben bis dahin nie diese Frage gestellt, sondern einfach nur, ich sage mal, kindlich blind vertraut. Das ist an sich nichts Falsches, ja, so, na, das ist es schon. Wenn du bis dahin so geglaubt hast, ist das gut.
Aber der Mormone, der aufgewachsen ist, hat die gleiche Überzeugung: Das, was mir in zwei Büchern gegeben wurde, ist das, was ich für wahr halten soll. Deshalb ist diese Frage durchaus relevant, und diese Irritation auch notwendig.
Wenn wir in eine Diskussion kommen und unser Land wird nicht einseitiger, sondern immer pluraler, bedeutet das, dass sich immer mehr religiöse Überzeugungen und Strömungen in unserem Land vereinen. Das kannst du schön finden oder nicht, da fragt dich niemand. Das ist einfach so.
Das bedeutet, wir sind in Kontakt mit Menschen und müssen irgendwie Antwort darauf geben, warum das so ist. Genau dafür ist im Prinzip diese Lektion da: Sie soll uns Material an die Hand geben, damit wir auch sagen können: Wir behaupten nicht nur, dass dies Gottes Wort ist, weil wir es von Generation zu Generation so gehört haben, sondern weil wir Gründe dafür haben.
Einige dieser Gründe sind überzeugender als andere. Aber...
Der Kanon des Alten Testaments: Grundlagen und Herausforderungen
Schauen wir uns das Kapitel gemeinsam an, so wie es Wayne Grudem tut. Es ist ein recht langes Kapitel, deshalb werde ich nicht alles im Detail darlegen. Dafür ist das Selbststudium da, wenn man noch tiefer hineingehen möchte.
Wir starten mit dem Kanon des Alten Testaments. Auf der ersten Folie habe ich bereits 5. Mose 4,2 abgebildet. Dort lesen wir: „Ihr sollt nichts hinzufügen zu dem Wort, das ich euch gebiete, und sollt nichts davon wegnehmen, damit ihr die Gebote des Herrn, eures Gottes, haltet, die ich euch gebiete.“
Hier erkennen wir, dass es schon im Alten Testament, und zwar recht früh in den ersten Büchern, eine Dringlichkeit und Wichtigkeit gibt, dem Volk Gottes Dinge zu vermitteln, an denen es festhalten soll. Diese Dinge sollen nicht einfach nach eigenem Gutdünken verändert oder weggelassen werden. Vielmehr sollen sie sich an das halten, was ihnen gegeben wurde.
Es ist jedoch nicht so, dass wir glauben, die Bibel sei vom Himmel gefallen und als ein Exemplar irgendwo auf einmal gefunden worden. Vielmehr glauben wir, dass die Bibel aus unterschiedlichen Büchern besteht, die von verschiedenen Autoren geschrieben wurden und zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind. Es handelt sich also um eine Sammlung von Büchern, die im Laufe der Zeit gewachsen ist.
Interessant ist, dass wir hier lesen, man solle nichts hinzufügen und nichts wegnehmen. Gleichzeitig müssen wir aber sagen, dass im Alten Testament ständig etwas hinzugefügt wurde. Das Buch 5. Mose, Kapitel 4, Vers 2 zeigt uns, dass die Geschichtsschreibung Gottes mit den Menschen nicht zu Ende war. Es wurde permanent etwas hinzugefügt.
Am Anfang stand natürlich Mose. Wayne Grudem zeigt in seinem Kapitel, dass es damit begann, dass Gott selbst die Gesetzestafeln schrieb. Diese Gesetzestafeln sollten aufbewahrt werden. Außerdem wird ganz explizit davon gesprochen, dass das Buch 5. Mose von Mose niedergeschrieben und aufbewahrt werden sollte.
Zum ersten Mal wird das Volk Gottes damit konfrontiert, dass Schrift konserviert, also bewahrt werden soll – auch für nachfolgende Generationen. Aus dieser Schrift soll vorgelesen, unterrichtet und erklärt werden, damit die Menschen Gottes Wort behalten, bewahren und darin leben.
Wie gesagt, es bleibt nicht bei diesen Büchern allein. Es geht weiter. Auf Seite 62 in der Dogmatik zeigt Wayne Grudem auf, dass im Alten Testament häufig Propheten den Auftrag erhielten, weitere Worte aufzuschreiben. Dabei werden Samuel, Jesaja und Jeremia genannt.
Die Spannung zwischen „nichts hinzufügen“ und fortlaufender Offenbarung
Meine Frage richtet sich an euch: Ist es nicht eigentlich ein Widerspruch? Ist es nicht widersprüchlich, wenn Gott sagt: „Wir lesen ja hier, nichts hinzufügen und nichts wegnehmen“, und du dann liest, dass im nächsten Buch, im übernächsten Buch, immer wieder etwas hinzugefügt wurde? Aber das sollen wir doch nicht tun, und dennoch wurde es getan. Wie würdet ihr darauf reagieren?
Nun ist es so, dass Mose den Auftrag bekommen hat, neben den Zehn Geboten, die bewahrt werden sollten, auch das fünfte Buch Mose explizit niederzuschreiben und ebenfalls zu bewahren. Wayne Grudem legt das auf Seite 62 dar. Er bringt auch im Buch Exodus, also im zweiten Buch Mose, und im vierten Buch Mose immer wieder Hinweise, wie zum Beispiel: „Und das schreibe nieder!“ Das ist also ein ganz konkreter Auftrag, Dinge zu fixieren.
Dann gibt es das Urteil „nichts hinzufügen“. Wilfried, bitte: Würdest du sagen, es war nicht verkehrt, dass man weitere Bücher verschriftlicht hat, weil es nicht im Sinn einer Hinzufügung war?
Okay, ja, bitte.
Ihr versteht vielleicht so die Fragestellung. Da kann man schnell einen Knoten im Kopf bekommen, wenn man an dieser Bibelpassage hängenbleibt oder aber weiterliest und sich dann fragt, wie man aus diesem Dilemma herauskommt. Ich finde interessant, wie Gott hier formuliert: „Ihr sollt nichts hinzufügen.“
Gott limitiert sich nicht in dem Augenblick selbst in seiner Entscheidung, sich selber zu offenbaren und noch weiter zu erklären. Er sagt vielmehr, ihr sollt nicht eigenmächtig handeln und aus eurem eigenen Denken heraus Dinge noch hinzufügen oder weglassen. Wenn Gott sich dazu entscheidet, noch weitere Dinge offenzulegen und sie zu fixieren, dann ist Gott darin frei. Gott limitiert sich nicht. Er sagt nicht: „Ich werde mich nicht noch weiter offenbaren.“
Der Fokus liegt im Prinzip auf der menschlichen Anmaßung, es besser zu wissen. Ich denke, dass diese Worte „hinzufügen“ und „wegnehmen“ nicht einfach bedeuten, dass man keine weiteren Schriften hinzufügen darf. Vielmehr soll man zwei Dinge nicht tun: Man soll von Gottes Wort, das gesagt ist, nichts unterschlagen oder mit eigenen Auflagen noch anreichern.
Und genau das ist das Dilemma, das Jesus erlebt hat, als er mit den religiösen Menschen zu tun hatte. Die haben genau dies getan. Das lesen wir. Das ist etwas, was du jetzt nicht in der Dogmatik liest, sondern das ist für unsere Diskussion einfach anreichernd.
Jesus’ Kritik an menschlichen Überlieferungen
Markus 7, Vers 8: Da kritisiert Jesus die religiösen Führer. Er sagt, ihr gebt das Gebot Gottes preis und haltet stattdessen an der Überlieferung der Menschen fest. Ihr nehmt weg und fügt hinzu. Genau das haben die Religiösen damals getan, die scheinbar die Schrift und Gottes Wort so geehrt haben. Doch sie haben es falsch gemacht.
Im Kontext geht es nicht darum, dass Gott keine weiteren Worte offenbaren will. Im Gegenteil, das will er durchaus. Wie Wayne Grudem auf Seite 62 zeigt, geschieht das durch unterschiedliche Propheten. Aber man soll nichts von dem, was Gott offenbart hat, preisgeben oder aufgeben. Noch weniger soll man eigene menschliche Gebote hinzufügen.
Ganz ehrlich, als Christen müssen wir immer wieder aufpassen, dass wir nicht unsere eigenen Gedanken, Überzeugungen und liebgewonnenen Traditionen dem Wort Gottes gleichsetzen. Wir sind manchmal sogar bereit, die Prinzipien Gottes fallen zu lassen, weil uns unser eigenes so wichtig ist. Das ist eine ernste Warnung, die für jede Generation wiederholt werden muss.
Viele haben auch negative Erfahrungen gemacht, weil genau das passiert ist. Deshalb müssen wir sorgfältig sein. Das bedeutet aber nicht, dass Gott sich in seiner Selbstoffenbarung limitieren würde. Die Wahrheit ist, dass er weiterhin gesprochen hat – durch die Propheten.
Der Abschluss der biblischen Geschichte Israels findet sich in den drei Geschichtsbüchern Esra, Nehemia und Esther. Diese Bücher wurden ganz zum Schluss der Geschichte Israels geschrieben und stammen aus einem ähnlichen Zeitraum wie die drei prophetischen Bücher Haggai, Sacharja und Maleachi.
Zeitliche Einordnung der letzten alttestamentlichen Schriften
Ich habe hier eine Zeittafel, die sehr kleingliedrig ist, wie ihr sehen könnt. Es handelt sich um eine Zeittafel des Alten Testaments. Ich versuche, das etwas näher zu erklären. Es ist nicht so wichtig, dass ihr jetzt alle Begrifflichkeiten dort erkennen könnt.
Ihr seht hier zum Beispiel in dem Zeitstrahl, welche Zeiträume die jeweiligen Bibelbücher abdecken: Zweite Mose, Dritte Mose, Fünfte Mose, Josua, Richter. In diesen Zeiträumen sind dann auch die entsprechenden Texte verfasst worden.
Wir kommen dann ganz zum Schluss zu Esra, Nehemia und Esther. Könnt ihr das hier oben sehen? Das sind die Bücher, die die Geschichte Israels festhalten. Es sind sozusagen die letzten heiligen Schriften der Geschichte Israels.
Das bedeutet nicht, dass Israel danach nicht mehr existiert hat oder keine Geschichtsschreibung mehr betrieben wurde. Solche Geschichtsschreibungen gab es durchaus. Allerdings wurde die darauffolgende Geschichtsschreibung nicht als biblische Schrift aufgenommen.
Durch die Geschichtsliteratur, die danach entstand, hat Gott nicht mehr weitergesprochen. Stattdessen haben einfach Historiker etwas aufgeschrieben.
Bei Esra, Nehemia und Esther wird nicht nur Geschichte weitergegeben, sondern Gott vermittelt auch Prinzipien, Gesetze, Gebote und seinen Willen.
Was muss ich jetzt machen? La, hört ihr mich? Passt mal auf, ich mache das hier mal an. Könnt ihr mich jetzt hören und sehen? Wart ihr eben gerade weg? Okay, dann lasse ich es hier einfach laufen, dann könnt ihr mich hier sehen. Also...
Die thematische Anordnung der alttestamentlichen Bücher
Es gibt eine Geschichtsschreibung Gottes, und durch die Geschichte hat Gott auch seinen Willen kundgetan – aber nicht durch jedes historische Werk.
Jetzt kommt ein kniffliger Punkt: Wenn du relativ neu beim Bibellesen bist, kann es zu Irritationen kommen, wenn du anfängst, die Bibel zu lesen. Du liest zunächst die Geschichte von Mose und so weiter, dann von den Königen. Danach kommst du zu Esra, Nehemia und Esther. Doch damit ist die Bibel nicht vorbei. Danach findest du die Psalmen, Sprüche und viele weitere Bücher. Anschließend folgt eine ganze Reihe von Propheten.
Das Problem ist, dass die Bücher im Alten Testament nicht chronologisch sortiert sind, sondern thematisch. Für die Cracks unter uns ist das nichts Neues. Für diejenigen, die noch nicht so lange Bibel lesen, kann das jedoch eine heftige Irritation sein. Denn plötzlich bist du mit der gesamten Geschichte Israels fertig und kommst dann zu den Propheten. Dabei liest du über Epochen, die du schon längst hinter dir hast, die schon Jahrzehnte vorbei sind.
Dann kommst du zu Haggai, Sacharja und Maleachi und denkst: „Okay, zwischen Haggai, Sacharja, Maleachi und Esra, Nehemia, Esther liegen gefühlt 5000 Seiten.“ Dabei ist all das mehr oder weniger zur selben Zeit passiert.
Das sehen wir hier in so einem Zeitstrahl. Unten versteckt, schaut mal: Haggai, Sacharja und Maleachi sind ziemlich auf der gleichen Zeitebene wie diese letzten Geschichtsbücher des Alten Testaments – definitiv. Also...
Die Abgrenzung des alttestamentlichen Kanons gegenüber anderen Schriften
Das ist einfach zur Erklärung, warum diese sechs Bücher, nämlich die drei Geschichtsbücher und die drei prophetischen Bücher, den Abschluss des Alten Testaments bilden. Der Grund liegt darin, dass sie in einer ähnlichen Zeit verfasst wurden.
Vor diesen Büchern finden sich zahlreiche Propheten. Schaut man sich zum Beispiel den Propheten Jesaja oder Micha an, oder Personen wie David und Samuel, so waren all diese Menschen prophetisch aktiv. Ihre Schriften wurden in das Alte Testament aufgenommen, weil sie auf eine prophetische Weise zum Volk Gottes gesprochen haben.
Nach diesem alttestamentlichen Abschluss, etwa im Jahr 435 v. Chr., gab es natürlich noch viele weitere Schriften, die die Geschichte Israels aufzeichneten. Interessanterweise wurden all diese späteren Schriften von den Juden und Rabbinern jedoch nie als göttliche Schrift anerkannt oder akzeptiert. Sie hatten nicht das gleiche Maß an Autorität wie die Schriften, die wir in diesen Büchern finden.
Der jüdische Historiker Josephus, dessen Name einigen vielleicht bekannt ist, lebte ungefähr zur gleichen Zeit wie Jesus Christus. Er war ein Geschichtsschreiber und beschreibt viele Ereignisse, die auch in der Bibel erwähnt werden. Dadurch können wir sehen, dass nicht nur unser religiöses Buch bestimmte Dinge beschreibt, sondern auch Historiker, die keine Christen waren, deckungsgleich das schildern, was die Bibel ebenfalls berichtet.
Josephus, geboren im Jahr 37 oder 38 nach Christus, also wenige Jahre nach Jesus, schreibt, dass es neben den alttestamentlichen Schriften weitere Schriften gab. Er erklärt jedoch, dass diese nicht das gleiche Ansehen unter der jüdischen Bevölkerung hatten wie die Schriften, die wir heute in unserer Bibel finden oder die die Juden in ihrem Alten Testament anerkennen.
Die jüdische Praxis der Aufbewahrung heiliger Schriften
Es ist auch interessant, dass das Neue Testament selbst keine Diskussion darüber führt, welchen Umfang das Alte Testament eigentlich haben sollte. Welche Frage bewegen wir gerade? Was gehört im Alten Testament eigentlich zu Gottes Wort? Diese Diskussion gab es nicht.
Warum? Weil den Menschen zur Zeit von Jesus klar war, was das Alte Testament ist und was Gottes Wort ist. Wir können mit hoher Sicherheit sagen, dass der biblische Kanon zur Zeit von Jesus genau das beinhaltete, was heute in deiner Bibel steht.
Josephus beschreibt, dass die Juden damals die Schriftrollen aufbewahrten. Es ist ja nicht so, dass alle Leute mit ihren Bibeln unterm Arm zum Gottesdienst gingen. Die Schriftrollen waren sehr teuer und auch heilig.
Man hatte die Gewohnheit – nicht nur in Israel, sondern auch bei anderen Völkern und Stämmen, die Religionen hatten und Schriften besaßen – heilige Schriften, die man als göttlich inspiriert und von Gott stammend betrachtete, im Heiligtum oder Tempel aufzubewahren. Josephus berichtet, dass die Juden die Schriftrollen des Alten Testaments im Tempel ablegten.
Andere Schriften, die in der damaligen Zeit verfasst wurden, wurden jedoch niemals im Tempel dort abgelegt, wo diese Bücher aufbewahrt wurden. Der Umgang der Juden mit anderen Büchern und vermeintlichen Propheten der damaligen Zeit zeigt, dass die sogenannten Apokryphen – einige Bibeln, darunter häufig Lutherbibeln, enthalten sie als „Altes und Neues Testament mit Apokryphen“ – nicht als Gottes Wort anerkannt wurden.
Diese Apokryphen sind Bücher, die zwischen dem Alten und Neuen Testament entstanden sind. Einige haben diesen Büchern einen hohen Wert beigemessen. Es gab eine Phase, in der man überlegte, ob diese Bücher vielleicht doch heilige Schriften von Gott stammend sein könnten. Doch die Juden legten sie niemals im Tempel ab und erkannten sie nicht als Gottes Wort an.
Das änderte sich erst mit der römisch-katholischen Kirche, die weitere Bücher hinzufügte. Betrachtet man jedoch die jüdische Praxis, war klar, welche Schriften im Tempel hinterlegt wurden und wie die Juden damit umgingen.
Jesus, die Apostel und die jüdischen Führer damals waren sich also einig über den Kanon des Alten Testaments – also die Liste der Bücher Gottes zur damaligen Zeit.
Die Autorität des Alten Testaments im Neuen Testament
Wayne Grudem schreibt auf Seite 64 Folgendes:
Jesus und die Schreiber des Neuen Testaments zitieren verschiedene Teile der Schriften des Alten Testaments über 295 Mal mit göttlicher Autorität. Dabei wird jedoch keine einzige Aussage aus den Büchern der Apokryphen oder anderen Schriften als von göttlicher Autorität besessen zitiert.
Das Fehlen jeglicher Bezugnahmen auf andere Literatur als göttlich autoritativ und die äußerst häufige Bezugnahme auf Hunderte von Stellen im Alten Testament als göttlich autoritativ bestätigen klar, dass die Schreiber des Neuen Testaments übereinstimmten, dass der etablierte Kanon des Alten Testaments nicht mehr und nicht weniger als die wahrhaftigen Worte Gottes sein sollte.
Was bedeutet das? Jesus und die Apostel predigten über Gott und stützten ihre Aussagen immer wieder auf ein festes Fundament. So wie ein guter Pastor es an Sonntagen tut, wurde gesagt: „Gott hat gesagt“ oder „Es steht geschrieben“. Forscher untersuchen all diese Aussagen und prüfen, woher die Quellen stammen. Immer wenn mit „Gott hat gesagt“ oder „Es steht geschrieben“ eingeleitet wird und anschließend zitiert wird, stammen die Bezüge immer aus dem Alten Testament, also aus der Bibel, die du in deiner Hand hältst.
Wenn andere Dinge zitiert oder Anspielungen auf zeitgenössische Literatur gemacht werden, dann geschieht das niemals mit den Formulierungen „Gott hat gesprochen“ oder „Es steht geschrieben“. Solche Erwähnungen werden lediglich genannt, aber nicht mit der Formel eingeleitet, die allen klar machen soll, dass das Gesagte nicht einfach nur eine Meinung oder eine Option ist, sondern Gottes Wort.
So wie ein Pastor auch predigt und sagt: „Ich habe in der Zeitung dies und das gelesen, Psychologen haben das herausgefunden, das kann interessant sein für eine Debatte.“ Aber das Entscheidende folgt dann, wenn der Pastor sagt: „Und in der Bibel lesen wir dies und das dazu.“ Dann wissen alle: „Okay, wir haben viele Ideen, aber wir wissen, das ist die Quelle, von der wir erwarten, dass Gott hier zu uns spricht.“
Die Einigkeit über den alttestamentlichen Kanon zur Zeit Jesu
Letzte Beobachtung, bevor wir ins Neue Testament einsteigen: Dass Einigkeit über das Alte Testament bestand, zeigt sich auch daran, dass die Schriftgelehrten in Matthäus 22,29 von Jesus dafür kritisiert werden, die Schriften nicht zu kennen. Jesus richtet diesen Vorwurf an sie: „Ihr kennt die Schriften nicht.“
Diese Kritik macht nur Sinn, wenn klar ist, worüber gesprochen wird. Wenn ich einem Schüler vorwerfe, er habe die Hausaufgaben nicht gemacht, dann setzt das voraus, dass der Schüler weiß, welche Hausaufgaben er aufbekommen hat. Wenn keine Hausaufgaben aufgegeben wurden, kann ich am nächsten Tag nicht sagen: „Du hast die Hausaufgaben nicht gemacht.“ Die logische Reaktion wäre dann: „Ich wusste gar nicht, dass ich Hausaufgaben machen sollte.“
Jesus bringt den Vorwurf: „Ihr kennt die Schriften nicht.“ Dabei bezieht er sich auf eine ganz bestimmte Sammlung von Büchern. Die religiösen Leiter antworten nicht etwa: „Moment mal, lass uns erst einmal diskutieren, was denn die Schriften überhaupt sind. Worauf beziehst du dich eigentlich, Jesus?“ Diese Frage stellen sie nicht. Der Vorwurf sitzt, weil im Volk klar war, welche Bücher dazugehören.
Genauso ist es, wenn ich heute mit einem Christen spreche und sage: „Du weißt wohl nicht, was in der Bibel steht.“ Unter uns ist dann klar, worauf ich mich beziehe. Normalerweise folgt nicht die Antwort: „Lass uns erst einmal darüber reden, was überhaupt die Bibel ist.“ Warum wird das nicht diskutiert? Weil es klar ist, weil es eine feststehende Zusammenstellung gibt.
Versteht ihr den Gedanken? All diese Beobachtungen – wie Jesus mit der Bibel umging und wie die Juden damals mit der alten Schrift, dem Alten Testament, umgingen – zeigen, dass wir mit sehr hoher Sicherheit sagen können: Das, was im Alten Testament steht, ist Gottes Wort. Alle anderen Bücher aus der Antike und davor sind vielleicht nett zu lesen, haben aber nicht das gleiche Maß an Autorität.
Übergang vom Alten zum Neuen Bund: Neue Herausforderungen
Jetzt wechseln wir die Seite und gehen vom Alten Bund zum Neuen Bund. Bis jetzt waren vielleicht noch alle jüdischen Zuhörer mit uns einverstanden. Aber jetzt kommen wir zum Neuen Testament, und das ist etwas schwieriger als das Alte Testament.
Warum? Im Alten Testament haben wir einen Jesus, und wir sehen, wie er damit umgegangen ist. Wir sagen: Ich möchte so glauben und so lesen wie Jesus, und dann schaue ich mir das an. Er bestätigt das Alte Testament immer wieder als göttlich. Alles klar, das ist Gottes Wort.
Aber auf der letzten Seite haben wir nicht noch einmal Jesus, der der christlichen Gemeinde gesagt hätte: Übrigens, die Schriften sind jetzt komplett. Ich habe noch einmal alles durchgelesen, alle Fehler korrigiert, und das ist jetzt Heilige Schrift und Gottes Wort.
Wir haben sozusagen nicht diese Beweisführung von hier. Versteht ihr den Gedanken? Das macht die Diskussion über das Neue Testament schwieriger: Was gehört eigentlich dazu, und wann ist das Ganze abgeschlossen? Das ist etwas komplizierter als im Alten Testament.
Die Entstehung des neutestamentlichen Kanons
Wayne Grudem beginnt das Gespräch über den Kanon des Neuen Testaments auf Seite 67 folgendermaßen: Die Entwicklung des neutestamentlichen Kanons beginnt mit den Schriften der Apostel. Wir sollten uns daran erinnern, dass die Niederschrift der Bibel in erster Linie im Zusammenhang mit den großen Taten Gottes in der Heilsgeschichte geschieht.
Das Alte Testament berichtet und interpretiert für uns die Berufung Abrahams und das Leben seiner Nachkommen, den Auszug aus Ägypten und die Wanderungen in der Wüste, die Niederlassung des Volkes Gottes im Land Kanaan sowie die Einrichtung der Monarchie, also dass Könige auf einmal existierten. Es behandelt weiterhin das Exil und die Rückkehr aus der Gefangenschaft, als Israel aus seinem Land nach Babylon deportiert wurde.
Jede dieser großen Taten Gottes in der Geschichte wird uns in Gottes eigenen Worten in der Heiligen Schrift ausgelegt. Das Alte Testament schließt mit der Erwartung des kommenden Messias ab.
Und jetzt kommen wir genau zu deinem Argument – deswegen war das sehr, sehr gut auf den Punkt gebracht: Die nächste Etappe in der Heilsgeschichte ist das Kommen des Messias. Es überrascht nicht, dass kein weiteres Buch der Bibel geschrieben wurde, bis dieses nächste und größte Ereignis in der Heilsgeschichte geschah.
Es geht also darum, das, was kommen soll – der kommende Messias – und auch das Wiederkommen des Messias. Die großen Heilstaten sind die Dinge, die schriftlich fixiert und weitergegeben werden sollen.
Deswegen hat Jesus selbst für das Neue Testament Vorkehrungen getroffen, indem er folgende Worte gesagt hat.
Die Rolle des Heiligen Geistes bei der Bewahrung der Offenbarung
Wir lesen diese Worte vielleicht häufig als an uns gerichtet, und das ist auch nicht ganz falsch. Wir können sie durchaus auf uns beziehen.
Doch die Worte, die wir hier lesen, haben eine besondere Bedeutung, weil sie an die damaligen Jünger, an die Apostel gerichtet wurden.
In Johannes 14,26 heißt es: „Dabei steht aber der Heilige Geist, den der Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ Jesus hat in seiner Zeit eine ganze Menge gesagt. Dennoch gab er dieses Versprechen: Der Geist Gottes wird euch befähigen, euch treu an diese Dinge zu erinnern, damit ihr sie auch treu weitergeben könnt.
Jesus hatte also selbst den Wunsch, dass die heilsgeschichtlichen Ereignisse aus der Vergangenheit nicht verloren gehen, sondern weitergegeben werden. So wie im Alten Testament die Propheten durch den Heiligen Geist die Taten Gottes niedergeschrieben haben, sagt Jesus jetzt: „Und ihr werdet in ähnlicher Weise erinnert und habt die Autorität, das zu bewahren.“
In Johannes 16,13-14 steht: „Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selbst reden, sondern was er hören wird, wird er reden, und das Kommende wird er euch verkündigen. Er wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er nehmen und euch verkündigen.“
Ihr werdet also den Auftrag bekommen, etwas zu etablieren. Dafür erhaltet ihr die Ausrüstung des Heiligen Geistes.
Natürlich dürfen wir diese Verse in gewisser Weise auch auf uns beziehen. Ich sage manchmal, dass der Heilige Geist auch die Funktion hat, uns an die Dinge zu erinnern, die Jesus gesagt hat. Das ist seine Aufgabe.
Und das tut er auch in meinem Leben und in deinem Leben – zumindest dann, wenn du etwas im Kopf hast, woran man sich erinnern kann. Denn man kann sich nur an Dinge erinnern, die man auch gelesen oder gehört hat. Wenn du nicht gelesen hast, kannst du dich auch nicht erinnern. Das klingt plump, ist aber so.
Bei den Aposteln hat das jedoch eine ganz andere Tragweite als bei mir. Für mich ist es ein Wiedererinnern an das, was überliefert wurde. Aber diese Überlieferung muss erst einmal überhaupt stattfinden.
Dass sich eine christliche Bewegung, dass sich die ganze Nachfolge über den ganzen Globus etabliert, hängt davon ab, dass die Apostel sich erinnern.
Die Christenheit ist Gott sei Dank nicht davon abhängig, dass ich mich erinnere. Denn ich kann Dinge vergessen. Auch in einer Predigt kann ich Dinge vergessen.
Aber Jesus muss sicherstellen, dass seine Nachfolger das nicht vergessen, sondern dass sie es festhalten.
Deshalb ist der Bewahrungsauftrag der Worte Jesu – das, was verkündigt werden soll – der Bewahrungs- und Erinnerungsauftrag bzw. das Erinnerungsversprechen an die Apostel von einer ganz anderen Qualität als bei mir.
Apostel und Propheten: Gleichrangige Autorität
Deshalb treten Apostel mit derselben Autorität auf wie die Propheten im Alten Testament, so wie die alttestamentlichen Propheten aufgetreten sind. Mose gilt als Prophet, Samuel gilt als Prophet, David gilt als Prophet. Du kannst sie alle durchgehen. Sie hatten ein prophetisches Amt. Mit einigen verbinden wir das Prophetentum mehr als bei anderen, zum Beispiel bei David. David ist für uns in erster Linie ein König, und dennoch hat er prophetische Züge und auch ein prophetisches Mandat, Gottes Wort zu sprechen. Er sagt auch Dinge in den Psalmen voraus, die geschehen werden, insbesondere in Bezug auf den Messias, auf den Sohn Davids.
Die Apostel treten mit demselben Niveau an Autorität auf wie die alttestamentlichen Propheten. Das sehen wir besonders in folgendem Vers, 2. Petrus 3,1-2: „Diesen zweiten Brief, Geliebte, schreibe ich euch bereits, in welchen beiden ich durch Erinnerung eure lautere Gesinnung aufwecke, damit ihr gedenkt der von den heiligen Propheten schon vorher gesprochenen Worte und des durch eure Apostel übermittelten Gebotes des Herrn und Retters.“
Worum geht es? Das ist etwas komplex formuliert. Petrus möchte sich an die Christen wenden und sie daran erinnern, was von den heiligen Propheten übermittelt wurde – hier sind es die „heiligen Propheten, schon vorher gesprochenen Worte“ – und jetzt, ganz ungeniert, als Apostel, sagt er: „… und des durch eure Apostel übermittelten Gebotes des Herrn und Retters.“ Wir haben also zwei Quellen: die Propheten im Alten Testament und die Apostel im Neuen Testament. Diese beiden bringen das, was zentral und wichtig ist, auf dieselbe Ebene.
Für einen Juden damals war das eine gewaltige Aussage. Man musste schon genau wissen, was man tat, wenn man sich auf die Ebene eines Jesaja oder Hesekiel stellte. Das macht man nicht einfach so. Wenn man überzeugt ist, dass das, was wir in Johannes 14 und Johannes 16 gelesen haben, wirklich wahr ist – dass Jesus sagt, der Heilige Geist werde euch erinnern und ihr werdet in seinem Auftrag die Dinge etablieren und weitergeben –, dann versteht man, dass die Apostel in diesem Selbstverständnis unterwegs sind.
Ich habe den Vers, glaube ich, auch schon letztes Mal zitiert: 1. Korinther 14,37. Dort finden wir in der neutestamentlichen Gemeinde auch prophetisch begabte Menschen, die Impulse vom Heiligen Geist bekommen, um sie weiterzugeben und Licht ins Dunkel zu bringen. Aber der Apostel Paulus erklärt gleich: Egal wie prophetisch begabt du bist, du spielst nicht auf dem Level der alttestamentlichen Propheten. Das machen wir Apostel für dich.
Deshalb sagt er: „Wenn jemand meint, ein Prophet oder sonst ein Geistbegabter zu sein, so erkenne er, dass das, was ich euch schreibe, ein Gebot des Herrn ist.“ Ein Gebot des Herrn ist eigentlich etwas, das von alttestamentlichen Propheten gesagt wurde, aber jetzt im Neuen Bund von den Aposteln. Wir sind gerade bei der Frage: Woher wissen wir, was Gott gesprochen und fixiert hat im Neuen Testament? Und hier bekommen wir unsere erste Antwort: Das, was die Apostel schreiben, ist Gottes Wort für die Christenheit und gehört unbedingt in die Bibel, in diese zwei Buchdeckel – die Schriften der Apostel.
Beachte bitte dieses Wort: Ich bekomme immer einen allergischen Anfall, wenn ich höre, jemand sagt: „Ich folge nur Jesus, nicht Paulus.“ Nimm es persönlich, wenn du betroffen bist. Für mich sind die Worte von Jesus genauso wichtig wie die von Paulus. Dieses Denken hat Schule gemacht, aber es entspricht überhaupt nicht dem Schriftverständnis dieser Bibel. Auch Theologen und Pastoren sagen, dass das, was Jesus sagt, nicht mehr Gewicht hat als das, was Paulus sagt.
Man tut so, als würde der Apostel in eigener Macht reden und bringt einen Keil zwischen den Apostel und den Sohn Gottes. Aber in der Offenbarung sehen wir, und es ist wichtig, das zu verstehen: Es ist vollkommen egal, ob Jesus es gesagt hat oder ob Petrus es geschrieben hat – es ist Gottes Wort. Das bedeutet nicht, dass Petrus auf demselben Niveau wie Jesus ist. Jesus ist Gott, der Sohn Gottes, die zweite Person der Dreieinigkeit, keine Frage. Aber in dem Moment, in dem Jesus den Apostel beauftragt, die Gebote des Herrn weiterzugeben, können wir nicht sagen: „Na ja, aber das, was Jesus sagt, zählt mehr als das, was ein Apostel sagt.“ Wenn wir so sprechen, sagen wir, die Schrift sei widersprüchlich, und der Heilige Geist, der die Apostel beauftragt hat, hätte falsche Dinge gesagt. Die Folgen dieser kleinen Aussage sind sehr gefährlich.
Das evangelikale Schriftverständnis, Tobi, gleich bist du dran, geht davon aus, dass die Bibel keine Fehler hat, nicht widersprüchlich ist, aus einem Geist kommt und wahrhaftig in jeder Aussage ist. Darum hat sie komplette Autorität, egal ob Jesus, Petrus oder Johannes spricht.
Es gibt auch weitere Schriften, zum Beispiel das sogenannte Thomas-Evangelium, von denen man geschichtlich nicht nachweisen kann, dass sie von den ursprünglichen Personen stammen. Bei der Betrachtung dieser Werke sieht man eklatante Mängel, auch in der Theologie, und sehr fragwürdige Aussagen. Leute, die diese Schriften im Selbststudium erarbeitet haben, bringen einige Zitate, die man kaum Jesus zuschreiben kann, weil sie völlig konträr zu dem sind, was wir sonst von ihm wissen.
Man kann folgende Faustregel sagen: Alles, was wir an apostolischen Schriften gefunden haben, ist in der Bibel enthalten. Natürlich gibt es mehr als Paulus: Johannes, Matthäus, Petrus. Wir werden uns gleich noch eine Liste anschauen. Wir haben gerade herausgefunden, dass das, was in deine Bibel gehört, das ist, was die Apostel sagen. Aber es gibt auch Bücher, die nicht von Aposteln stammen. Wie geht man damit um? Das wird dann etwas knifflig.
Diese Art, die Bibel gegen sich selbst auszuspielen, funktioniert nicht. Unter den alttestamentlichen Propheten gilt Mose als der Größte. Von den prophetischen Büchern ist Jesaja der bedeutendste der Schriftpropheten. Vom Ansehen her sind es Mose und Elija. Aber Mose ist einfach eine Liga für sich, weil er die Tora und den Grundstock gelegt hat.
Ein Apostel würde in der Argumentationsweise, wenn er über Glaubensfragen spricht, niemals auf die Idee kommen zu sagen: „Ja, das hat Obadja gesagt. Hast du schon mal Obadja gelesen?“ Den findest du kaum in der Bibel. Ein Gläubiger, ein Jude, ein Rabbiner würde nicht sagen: „Das hat Obadja geschrieben, aber Mose.“ Es ist beides Wort Gottes.
In einigen evangelikalen Kreisen haben wir uns angewöhnt, Jesus gegen seine Apostel auszuspielen. Aber Jesus hat in Johannes 14 und Johannes 16 nicht gestottert. Er hat gesagt: Der Geist Gottes wird euch erinnern. Er sagt: „Es ist zu viel, was ihr jetzt gar nicht tragen könnt. Der Geist Gottes wird euch alles erklären.“ Und er macht das über Paulus und Co.
Dann fangen wir an zu sagen: „Ich folge eher Jesus als Paulus.“ Das ist schwierig. Paulus sagt selbst, er sei eine Spätgeburt, sozusagen, die erst nachträglich dazukam, und hat dadurch eine Sonderstellung. Aber Paulus bringt die Worte Gottes. Er kämpft um Anerkennung, wie wir im 2. Korintherbrief sehen. Er bittet, endlich anzuerkennen, dass er im Auftrag Gottes spricht.
Wir werden gleich sehen, warum wir trotzdem sagen können, es gibt einen signifikanten Unterschied, ob Paulus kommt und sagt: „Ich habe den Herrn erlebt und möchte euch etwas sagen“ oder Joseph Smith von den Mormonen. Sicher gab es radikale Bekehrungen, aber jeder kann nicht einfach im Namen Gottes für die ganze Christenheit sprechen.
Deshalb ist es schön, dass der Heilige Geist sich selbst um den Job gekümmert hat und uns das einfacher gemacht hat. Wir glauben den Worten von Paulus, als wenn Gott selbst zu uns spricht.
Das Neue Testament zeigt selbst, dass die Schriften von Paulus als solche akzeptiert wurden – und zwar von Petrus. Noch einmal zurück zu Johannes 14 und Johannes 16: Jesus sagt, ihr habt den Job, Apostel. Petrus schreibt in der Bibel Überschriften, die wir lesen können. Das ist spannend.
2. Petrus 3,15-16: „Und seht in der Langmut unseres Herrn die Rettung, wie auch unser geliebter Bruder Paulus nach der ihm gegebenen Weisheit euch geschrieben hat, wie auch in allen Briefen, wenn er in ihnen von diesen Dingen redet. In diesen Briefen ist einiges schwer zu verstehen, was die Unwissenden und Ungefestigten verdrehen, wie auch die übrigen Schriften zu ihrem eigenen Verderben.“
Uns geht es hier nicht um die Personen, die da etwas verdrehen, sondern um die Bewertung durch Petrus. Er ordnet die Schriften des Paulus zusammen mit den übrigen Schriften, also den Schriften des Alten Testaments, ein.
Petrus hält die Schriften des Paulus für würdig, als „Schriften“ bezeichnet und somit in den Kanon aufgenommen. Das ist sehr wichtig. Dieses Argument kann kommen: Warum sollen wir auf Paulus hören? Weil Petrus auf ihn gehört hat und sagt, seine Briefe haben dieselbe Qualität und Autorität wie das Alte Testament.
Damit steht Paulus nicht allein. Petrus stellt sich an seine Seite und sagt: „Wir glauben ihm. Warum verdreht ihr, was er schreibt?“ Es hat dasselbe Niveau wie Jesaja oder Mose. Es ist Gottes Wort.
Wenn wir das Neue Testament überblicken, sehen wir: Apostel schreiben Gottes Wort. In meinem Buchdeckel – ich weiß, Jesus hatte das Alte Testament, das auch im Tempel lag, jetzt liegt es bei mir auf dem Schreibtisch. Wenn ich ins Neue Testament komme, brauche ich einen Hinweis, worauf ich meinen Glauben stellen kann.
Soll ich auf die Mormonen achten oder auf wen? Jetzt höre ich meinen Jesus, der den Aposteln Autorität gibt, und ein Apostel gibt einem anderen Apostel Autorität. Ich kann abhaken: Matthäus ist dabei, Johannes ist dabei, der ganze Block Paulus ist dabei. Man sieht den großen Einfluss von Paulus im Vergleich zu den anderen Aposteln.
Ich frage mich manchmal: Jesus berief zwölf Apostel. Von den meisten weiß man kaum etwas. Was haben sie den ganzen Tag gemacht? Sie haben nichts geschrieben, zumindest nichts, das uns überliefert ist. Dann kommt Paulus, und wie muss sich da jemand wie Thaddäus fühlen? Wer ist Thaddäus? Wir wissen nur den Namen, aber nichts weiter.
Sie konnten nicht alle schreiben. Petrus war Fischer, aber er hat Briefe geschrieben. Sei es wie es sei: Apostolische Schriften, paulinische Schriften, der ganze Block gehört in deine Bibel. Dann kommen Petrus – der Erste unter allen – mit zwei kleinen Briefen, sonst nichts. Johannes war etwas aktiver, wobei der zweite und dritte Johannesbrief sehr klein sind. Die Offenbarung ist komplexer.
Dann haben wir Judas – nicht Judas Iskariot, sondern einen anderen Judas –, Jakobus, Hebräer, Markus, Lukas, Apostelgeschichte. Diese Bücher wurden nicht von Aposteln geschrieben, sind aber in der Bibel enthalten. Ab diesem Punkt wird es schwierig: Warum sagen wir als Christen, dass es okay ist, dass sie drin sind? Weil sie schon immer drin waren? Wie sind sie hineingekommen und warum nicht andere?
Du hast eben von anderen Schriften gehört, die kursierten. Die Kirche diskutierte heiß darüber, welche Schriften in die Bibel aufgenommen werden. Wir werden sehen, dass zum Kanon nicht nur apostolische Schriften gehören, sondern auch Schriften von Personen, die im unmittelbaren Umfeld der Apostel waren.
Das zeigt folgender Vers, den ich sehr liebe: 1. Timotheus 5,17-18. Uns geht es hier nicht um den theologischen Gehalt, sondern um die Art und Weise, wie Paulus mit Bibeltexten arbeitet. Er schreibt an Timotheus als Apostel Jesu Christi Gottes Wort und sagt:
„Die Ältesten, die gut vorstehen, sollen doppelte Ehre genießen, besonders die, die in Wort und Lehre arbeiten. Es ist nicht aus Eigennutz, sondern die Schrift sagt: ‚Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden‘ und ‚Der Arbeiter ist seines Lohnes wert‘.“
Paulus bringt also zwei Zitate, um sein Argument zu stützen, warum man mit Pastoren, die viel predigen, gut umgehen soll. Halleluja! Ich höre keinen Amen, aber ich sage es mir jeden Morgen und Abend.
Das erste Schriftzitat findet sich im 5. Mose. Das zweite, „Der Arbeiter ist seines Lohnes wert“, ist kein alttestamentliches Wort. Es steht nur im Lukas-Evangelium, Lukas 10,7: „In diesem Haus aber bleibt und esst und trinkt, was sie haben, denn der Arbeiter ist seines Lohnes wert.“ Jesus hat das gesagt.
Paulus kannte diese Schrift von Lukas. Das bedeutet, diese Schrift war in der damaligen Christenheit, wo alles frisch war, bereits bekannt. Sie hatten nicht alle Bücher wie wir, sondern die wurden kopiert und weitergegeben.
Es ist nicht nur interessant, dass Paulus es zitiert, sondern dass er es mit den Worten „Die Schrift sagt“ einleitet. Das war eine übliche Praxis der Apostel, auch Jesus zitierte viel aus dem 5. Buch Mose.
Paulus nimmt Lukas und Mose auf dieselbe Ebene, auf ein Niveau. Ob Mose gesprochen oder Lukas geschrieben hat, ist für uns einerlei, was die Autorität angeht. Natürlich muss man den Kontext verstehen, aber die Worte von Mose und die Niederschrift von Lukas spielen in derselben geistlichen Liga und haben dieselbe Autorität.
Das ist wichtig, weil Lukas kein Apostel war. Er war keiner der Zwölf, wie Matthäus, der als Zöllner berufen wurde. Lukas kam von außen, recherchierte sorgfältig und wollte alles richtig darstellen. Er schrieb nicht nur das Lukas-Evangelium, sondern auch die Apostelgeschichte.
Wir wissen, dass Lukas zum Kreis gehörte, der in der Nähe der Apostel war. Er war Begleiter von Paulus und hatte dadurch die Legitimation, so zu schreiben, dass Paulus seine Schriften zitieren konnte und ihnen Autorität verlieh.
Deshalb gehören Lukas und die Apostelgeschichte in deine Bibel, weil er im näheren Umfeld war und das Privileg hatte, Gottes Wort niederzuschreiben und für Christen zu fixieren.
Bei Markus finden wir ein ähnliches Prinzip: Markus war Begleiter von jemandem – hast du eine Idee, von wem? Von Petrus. Wichtig ist, dass diese Autoren im apostolischen Umfeld waren und Zugang zu den Aposteln hatten. So war beispielsweise Petrus mit Markus im Austausch, um zu klären, was in die Bibel gehört.
Markus gehört zur Autorenmannschaft. Dann kommen wir zu Judas, der eine Nähe zu Jakobus hatte und Bruder von Jesus war. Sie gehörten zur apostolischen Elite. Die frühe Kirche erkannte, dass das, was sie sagten, Autorität für alle Christen hatte.
Am Ende bleibt nur noch der Hebräerbrief, der die härteste Nuss ist. Wer hat ihn geschrieben? Wenn wir noch Zeit haben, werde ich meine Meinung dazu sagen. Ich war nicht dabei und weiß es nicht.
Der Brief ist schwierig, aber die Diskussion darüber wird geführt. Es gibt Argumente, warum die Christenheit sich entschieden hat, ihn dennoch aufzunehmen.
Wenn wir noch Zeit haben, möchte ich darüber sprechen und den Abschluss zum Kanon des Neuen Testaments machen.
Das ist die Goldgrube, um zu verstehen, wie während der Entstehung der Bücher bereits aufeinander Bezug genommen wurde. Ich finde das großartig, vielleicht bin ich der Einzige, aber sei’s drum.
Wayne Grudem schreibt zum Kanon des Neuen Testaments auf Seite 71-72 Folgendes:
Im Jahr 367 nach Christus enthielt das neununddreißigste Osterrundschreiben des Athanasius eine genaue Liste der 27 Bücher des Neuen Testaments, die wir heute haben. Diese Liste wurde von den Kirchen im östlichen Mittelmeerraum angenommen. Dreißig Jahre später, im Jahr 397, stimmte das Konzil von Karthago, das die Kirchen im westlichen Mittelmeerraum vertrat, der Liste des Ostens zu. Dies sind die frühesten endgültigen Listen unseres heutigen Kanons.
Warum sagen wir das? Es ist kein Produkt moderner Druckereien, sondern bereits in den ersten Jahrhunderten, als diese Schriften entstanden und kursierten, gab es Überlegungen, was dazugehört und was nicht.
Wenn du den Thessalonicherbrief liest, siehst du, dass die Thessalonicher mit Schriften konfrontiert wurden, die sich als von Paulus ausgeben, aber es nicht waren – sozusagen Fake News im ersten Jahrhundert. Sie fragten sich: „Ist das wirklich von Paulus?“ Paulus bekam das mit, aber nicht sofort, sondern nach langer Zeit.
Das war eine spannende Zeit, die viel Zeit brauchte, um herauszufinden, worauf man sich stützen kann und was historisch echt ist.
Die Kirche prüfte die Schriften und kam zu dem Ergebnis, dass die 27 Bücher des Neuen Testaments echt sind.
Wayne Grudem schließt die Kanondiskussion mit einem Hinweis auf Hebräer 1,1-2:
„Nachdem Gott vielfältig und auf vielerlei Weise ehemals zu den Vätern geredet hat in den Propheten, hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn, den er zum Erben aller Dinge eingesetzt hat, durch den er auch die Welten gemacht hat.“
Gott hat damals in den Propheten gesprochen, und jetzt abschließend im Sohn.
Wir brauchen nicht mehr zu erwarten. Wenn dein Pastor ein nettes Buch schreibt und es schon fast in die Bibel legen will, gibt es ein Problem. Er hat nicht den Auftrag, weitere Schriften zu verfassen. Wir brauchen keinen weiteren Propheten wie Mohammed oder Joseph Smith, der neue Offenbarungen bringt und eine Kirche gründet.
Gott hat in den Propheten gesprochen und dann in seinem Sohn. Bei seinem Sohn hat er den Aposteln den Auftrag gegeben. Dieser Auftrag ist vollendet. Wir brauchen nichts mehr.
Kommen wir noch einmal zu dem Argument, das du vorgebracht hast: In der Bibel sehen wir die großen Heilstaten Gottes. Im Alten Testament wurden die Heilstaten des Messias angekündigt, die in Jesus Christus geschehen sind.
Die nächste Heilstat im Kalender Gottes ist die Wiederkunft Jesu Christi, die Vollendung der Zeitalter.
In der Zwischenzeit ist Missionsauftrag, Evangelisation und Nachfolge Jesu angesagt. Aber keine weitere Heilstat als solche.
Deshalb brauchen wir keine neue Abschrift, die wir noch zwischen die Seiten legen.
Abschließend beantwortet Grudem folgende Frage: Wie wissen wir, dass wir die richtigen Bücher im Kanon der Bibel haben, den wir heute besitzen?
Er bringt ein Argument, das ich kurz erwähnen möchte, um die Spannung zu zeigen.
Je nachdem, wie du denkst, wirst du sagen: „Das sind Argumente, aber am Ende ist es auch eine Frage des Vertrauens, denn ich war nicht dabei.“ Man kann vieles nachvollziehen, aber wenn eine kritische Nachfrage kommt, wird es schwierig, weil man es nicht beweisen kann.
Wayne Grudem legt viel Wert darauf, dass wir auf Gottes Treue vertrauen sollen, dass das, was wir in unseren Bibeln haben, wirklich Gottes Wort ist.
Das wirkt wie ein schwaches Argument. „Vertraue einfach!“ Das scheint zerbrechlich und subjektiv, weil es keine äußeren, harten Fakten gibt.
Aber man darf nicht vergessen: Diese äußeren, harten Fakten gab es für das Alte Testament in dieser Form auch nicht.
Jesus und die Apostel waren extrem entspannt und vertrauten darauf, dass Gott dafür sorgt, dass sein Wort bewahrt bleibt und prominent im Volk wird.
Sie machten sich keine Sorgen. Es gab Gründe, die Schriften in den Tempel zu legen, und sie erkannten an, dass das Gottes Wort ist.
Wenn das schon für das Alte Testament galt, dann können wir auch ruhig sein und sagen: Wenn Jesus und die Apostel entspannt waren, dass Gott seine Geschichte bewahren wird, und wenn wir sehen, dass die neutestamentliche Kirche ebenfalls so entspannt war und wir uns alle über die 27 Bücher einig sind, dann können wir sagen: Wenn Gott im Alten Testament treu war, warum sollten wir zweifeln, dass er es im Neuen Testament nicht hinkriegen könnte?
Ja, es bleibt ein vermeintlich schwaches Argument, aber es war für Jesus und die Apostel ausreichend, um sich darauf zu stellen und ihr Leben danach auszurichten.
Ich möchte zum Abschluss folgendes Zitat von Seite 74 lesen:
„Die Erhaltung und korrekte Sammlung des Kanons der Bibel sollte von Gläubigen letztlich nicht als ein Teil der Kirchengeschichte nach den großen zentralen Heilstaten für sein Volk gesehen werden, sondern als ein integraler Bestandteil der Heilsgeschichte selbst.
Was sind Heilstaten? Die Berufung Abrahams, die Erwählung Israels, die Rettung Israels – all diese großen Ereignisse in der Geschichte Gottes.
Auch die Sammlung der Schriften ist kein Nebenprodukt, sondern ein einschneidendes Ereignis.
So wie Gott in der Schöpfung am Werk war, in der Berufung seines Volkes Israel, im Leben, Tod und der Auferstehung Christi und im frühen Wirken der Apostel, so war Gott auch in der Erhaltung und Zusammenstellung der Bücher der Bibel zum Nutzen seines Volkes für das gesamte Zeitalter der Kirche am Werk.
Letztlich gründen wir unser Vertrauen auf die Korrektheit unseres gegenwärtigen Kanons, also auf die Treue Gottes.“
Das ist ein schönes Abschlusswort. Amen.
Die Gleichwertigkeit von Jesus’ und Paulus’ Worten
Beachte bitte dieses Wort. Ich bekomme immer einen allergischen Anfall, wenn ich „Christensagen“ höre, und ich nehme es persönlich, wenn es dich betrifft.
Für mich sind die Worte von Jesus wichtiger als die Worte von Paulus. Das ist ein Denken, das Schule gemacht hat, aber überhaupt nichts mit dem Schriftverständnis dieser Bibel zu tun hat. Das sagen auch Theologen und Pastoren.
Das, was Jesus sagt, hat mehr Gewicht als das, was Paulus sagt. Man tut so, als ob der Apostel in seiner eigenen Macht reden würde, und man bringt einen Keil zwischen den Apostel und den Sohn Gottes.
Aber wir sind auf Offenbarung angewiesen, und es ist wirklich wichtig, dass wir das verstehen: Es ist komplett egal, ob Jesus es gesagt hat oder ob Petrus es geschrieben hat. Es ist Gottes Wort.
Das bedeutet nicht, dass Petrus in seiner Person auf demselben Niveau ist wie Jesus. Jesus ist Gott, der Sohn Gottes, die zweite Person der Dreieinigkeit – keine Frage. Aber in dem Augenblick, in dem Jesus den Apostel beauftragt, die Gebote des Herrn weiterzugeben, können wir nicht sagen: „Na ja, aber das, was Jesus sagt, zählt mehr als das, was ein Apostel sagt.“
Wenn wir so sprechen, dann sagen wir, die Schrift in sich ist widersprüchlich, und der Heilige Geist, der die Apostel beauftragt hat, hat falsche Dinge gesagt. Die Auswirkungen dieser kleinen Aussage sind also sehr, sehr gefährlich.
Hingegen geht das evangelikale Schriftverständnis davon aus, dass die Bibel – wir werden das in den nächsten Wochen noch anschauen – keine Fehler hat, nicht widersprüchlich ist, aus ein und demselben Geist kommt und wahrhaftig ist in jeder Aussage, die sie tätigt.
Darum hat sie auch komplette Autorität, egal ob es Jesus gesagt hat oder Petrus oder Johannes – sei es drum.
Die Abgrenzung zu nicht-apostolischen Schriften
Es gibt auch weitere Schriften, die in der Dogmatik näher erläutert werden. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte Thomas-Evangelium. Historisch lässt sich nicht nachweisen, dass es sich hierbei tatsächlich um ursprüngliche Schriften der genannten Personen handelt.
Bei der Betrachtung dieser Werke fallen zudem eklatante Mängel auf, insbesondere in der Theologie. Es werden sehr fragwürdige Aussagen getroffen. Diejenigen, die diese Texte im Selbststudium untersucht haben, bringen oft einige Zitate, die auf den ersten Blick geschmeidig wirken. Doch man denkt sofort: So etwas würde Jesus niemals sagen, da es völlig im Widerspruch zu dem steht, was wir sonst von ihm wissen.
Man kann daher folgende Faustregel aufstellen: Alles, was wir in den apostolischen Schriften gefunden haben, ist auch in der Bibel enthalten. Natürlich gibt es mehr als nur Paulus. Es gibt Johannes, Matthäus, Petrus und andere Apostel. Wir werden uns gleich noch eine Liste anschauen, denn wir haben gerade herausgefunden: Das, was in deine Bibel gehört, sind die Schriften der Apostel.
Umgang mit Schriften von Personen im apostolischen Umfeld
Es gibt auch Bücher, die nicht von Aposteln stammen. Wie geht man eigentlich damit um? Das kann manchmal etwas knifflig sein. Die Art und Weise, mit der Bibel umzugehen und sie gegeneinander auszuspielen, funktioniert so nicht.
Unter den alttestamentlichen Propheten gilt Mose als der Größte. Von den prophetischen Büchern ist Jesaja vielleicht der bedeutendste, besonders unter den sogenannten Schriftpropheten. Vom Ansehen her sind es Mose und Elija. Doch Mose steht noch einmal in einer eigenen Liga, weil er die Tora und den gesamten Grundstock gelegt hat.
In der Argumentationsweise der Apostel, wenn sie über Glaubensfragen mit ihren Mitgläubigen sprechen, käme niemand auf die Idee zu sagen: „Ja, das hat Obadja gesagt. Hast du schon mal Obadja gelesen?“ Obadja ist sogar ein sehr kurzes Buch, das man kaum findet. Ein Gläubiger, ein Jude oder Rabbiner würde nicht sagen: „Das hat Obadja geschrieben, sondern Mose.“ Es ist beides Wort Gottes, das zählt.
In manchen evangelikalen Kreisen ist es üblich geworden, Jesus gegen seine Apostel auszuspielen. Aber Jesus hat in Johannes 14 und 16 nicht gezögert. Er sagte: „Der Geist Gottes wird euch erinnern.“ Und: „Es ist zu viel, was ihr jetzt noch nicht tragen könnt. Der Geist Gottes wird euch das alles erklären.“ Paulus und die anderen Apostel handeln genau so.
Dann kommt man aber und sagt: „Ich folge eher Jesus als Paulus.“ Das ist schwierig. Paulus selbst bezeichnet sich als eine Art Spätgeburt, die erst nachträglich dazukam und dadurch eine Sonderstellung hat. Aber ihr versteht vielleicht, worauf ich hinauswill. Paulus sagt: „Hey Leute, ich gehöre eigentlich gar nicht zum Zwölfer-Klub, aber ich bringe euch jetzt die Worte Gottes.“
Paulus hatte Anerkennungsschwierigkeiten. Der zweite Korintherbrief dreht sich fast ausschließlich um dieses Thema: „Leute, erkennt endlich an, dass ich im Auftrag Gottes zu euch spreche.“ Wir werden gleich sehen, warum wir trotzdem sagen können, dass es einen signifikanten Unterschied gibt, ob Paulus zu euch kommt und sagt: „Ich habe den Herrn erlebt und möchte euch etwas sagen“ oder ob Joseph Smith von den Mormonen das tut.
Die Rolle des Heiligen Geistes bei der Kanonbildung
Zu der Zeit wird es sicherlich einige radikale Bekehrungen gegeben haben, sodass Menschen, die Jesus zuvor nicht nachgefolgt sind, ihm plötzlich folgten. Jeder, der mit dem Begriff „radikale Bekehrung“ etwas anfangen kann, könnte nun sagen: „Ich spreche jetzt im Namen Gottes für die gesamte Christenheit der nächsten zweitausend Jahre.“
Deshalb finde ich es schön, dass sich der Heilige Geist selbst um diese Aufgabe gekümmert hat, um es uns einfacher zu machen. So können wir sagen: Wir glauben den Worten von Paulus, als ob Gott selbst zu uns spricht. Dies sehen wir im folgenden Vers.
Das Neue Testament zeigt uns selbst, dass die Schriften, die Paulus verfasst hat, als solche anerkannt wurden – und zwar von seinem Kollegen Petrus. Noch einmal zurück zu Johannes 14 und Johannes 16: Jesus hat gesagt, dass die Apostel den Auftrag haben. Petrus steht hier als Apostel im Mittelpunkt.
In der Bibel finden wir Überschriften, die von Petrus stammen. Das ist sehr spannend. Zum Beispiel in 2. Petrus 3,15-16 heißt es:
„Und seht in der Langmut unseres Herrn die Rettung, wie auch unser geliebter Bruder Paulus nach der ihm gegebenen Weisheit euch geschrieben hat, wie auch in allen Briefen, wenn er in ihnen von diesen Dingen redet. In diesen Briefen ist einiges schwer zu verstehen, was die Unwissenden und Ungefestigten verdrehen, wie auch die übrigen Schriften zu ihrem eigenen Verderben.“
In dieser Diskussion geht es nicht darum, wer diese Worte verdreht, sondern darum, wie der Apostel Petrus die Schriften von Paulus bewertet. Er sagt, er sei dankbar, dass Paulus manche Dinge schwer verständlich schreibt – offenbar hatte auch Petrus Schwierigkeiten beim Verstehen. Doch er stellt klar, dass Gegner diese Worte verdrehen, und zwar sowohl die Briefe von Paulus als auch die übrigen Schriften.
Mit diesem Satz ordnet Petrus alle Briefe von Paulus in dieselbe Kategorie ein wie die übrigen Schriften. Aber was bedeutet „Schriften“ eigentlich?
Auf Seite 69 in der Dogmatik schreibt Wayne Grudem Folgendes: Das Wort, das hier mit „Schriften“ übersetzt wird, ist „Graphä“. Wir kennen das Wort „Graphiker“ ebenfalls davon abgeleitet. Dieses Wort kommt einundfünfzig Mal im Neuen Testament vor und bezieht sich in jedem Fall auf die Schriften des Alten Testaments.
Das bedeutet, dass „Schrift“ ein Fachbegriff für die Schreiber des Neuen Testaments war. Er wurde nur für solche Schriften verwendet, die als Gottes Wort angesehen wurden und somit zum Kanon der Bibel gehörten.
Doch in diesem Vers ordnet Petrus die Schriften von Paulus zusammen mit den übrigen Schriften, also den Schriften des Alten Testaments, ein. Petrus hält die Schriften von Paulus für würdig, als „Schriften“ bezeichnet zu werden und somit in den Kanon aufgenommen zu werden.
Das ist sehr wichtig, denn dieses Argument kann natürlich auftauchen: „Warum gerade Paulus? Warum sollen wir auf ihn hören?“ Die Antwort lautet: Weil Petrus auf ihn gehört hat. Er sagt, dass die Briefe von Paulus dieselbe Qualität und das gleiche Autoritätsniveau besitzen wie das Alte Testament.
Damit steht Paulus nicht allein in seinem Bemühen, zu überzeugen. Petrus stellt sich an seine Seite und sagt: „Wir glauben ihm. Warum verdreht ihr das, was er schreibt?“
Paulus’ Schriften haben dasselbe Niveau wie die von Jesaja oder Mose. Es ist Gottes Wort, das hier gegeben wird.
Übersicht über die neutestamentlichen Schriften
Das bedeutet, wenn wir uns das Neue Testament einmal in der ganzen Übersicht anschauen, dann haben wir eben gerade gelernt: Apostel schreiben Gottes Wort. Das heißt, in meinen beiden Buchdeckeln weiß ich, dass Jesus das Alte Testament genauso hatte wie ich. Es lag auch im Tempel herum, jetzt liegt es bei mir auf meinem Schreibtisch.
Nun komme ich zum Neuen Testament und brauche irgendwie einen Hinweis darauf, worauf ich meinen Glauben stellen kann. Soll ich auf die Mormonen achten oder auf wen? Jetzt höre ich meinen Jesus, und er gibt den Aposteln die Autorität. Ein Apostel gibt einem anderen Apostel Autorität. Ich kann dann sozusagen abhaken: Der Matthäus ist dabei, der Johannes ist dabei. Dann ist da dieser ganze Block, das ist alles Paulus. Jetzt sehen wir schon einmal von der Menge her, welchen großen Einfluss Paulus im Vergleich zu den anderen Aposteln hat.
Ich frage mich manchmal: Jesus hat ja zwölf Apostel berufen. Von den allerwenigsten weiß man überhaupt irgendetwas. Was haben die den ganzen Tag gemacht? Sie haben nichts geschrieben, zumindest nichts, was überliefert ist. Dann kommt Paulus ins Spiel. Wie muss man sich da als, nehmen wir mal Thaddäus, fühlen? Ja, wer ist Thaddäus? Wir kennen seinen Namen, aber ich wüsste jetzt gerade nichts aus dem Stegreif über ihn. Aber sie konnten ja nicht alle schreiben. Gut, aber Petrus war auch Fischer und hat Briefe geschrieben.
Sei es wie es sei, bevor wir uns hier irgendwie verlieren: Apostolische Schriften, paulinische Schriften – der ganze Block gehört in deine Bibel. Dann kommen wir zu Petrus. Der Erste unter allen hat nur zwei kleine Briefe geschrieben, sonst nichts. Dann haben wir Johannes, der war etwas aktiver. Wobei der zweite und dritte Johannesbrief so klein sind, dass du sie auch an einem Nachmittag lesen kannst. Das überblätterst du leicht. Bei der Offenbarung wird es schon etwas komplexer.
Aber wir sehen hier auch Judas, nicht der Iskariot. Es gab nämlich noch einen anderen Judas oder noch mehrere Judasse in dieser Zeit. Jakobus, Hebräer, Markus, Lukas, Apostelgeschichte – das sind Bücher, die nicht von Aposteln geschrieben wurden, aber trotzdem in deiner Bibel drin sind.
Und spätestens ab diesem Zeitpunkt wird es dann schwierig: Warum sagen wir als Christen einfach, es ist okay, dass diese Bücher drin sind? Weil sie schon immer drin waren? Aber wie sind sie eigentlich da reingekommen und warum nicht andere? Du hast eben auch von anderen Schriften gehört, die so herumkursierten. Die Kirche hat heiß darüber debattiert, welche Schriften in den Kanon aufgenommen werden.
Die Einbeziehung von Schriften aus dem apostolischen Umfeld
Wie ist man dazu gekommen, ausgerechnet diese Schriften in die Bibel aufzunehmen? Markus, Lukas, Apostelgeschichte, Hebräer, Jakobus und Judas – warum sollen gerade diese auch noch dazugehören?
Wir werden sehen, dass in die Liste der Bibelbücher nicht nur Schriften von Aposteln aufgenommen wurden, sondern auch solche von Personen, die im unmittelbaren Umfeld der Apostel standen. Das zeigt sich besonders an folgendem Vers, den ich sehr schätze. Schaut mal in 1. Timotheus 5,17-18. Hier geht es uns nicht um den theologischen Gehalt des Verses, sondern darum, wie Paulus mit Bibeltexten gearbeitet hat.
Paulus schreibt an Timotheus als Apostel Jesu Christi Gottes Wort und sagt Folgendes: Die Ältesten, die gut vorstehen, sollen doppelte Ehre erhalten, besonders die, die in Wort und Lehre arbeiten. Es geht mir hier nicht um Eigennutz, sondern darum, dass gleich eine Demütigung folgt. Denn die Schrift sagt: „Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden“ und „Der Arbeiter ist seines Lohnes wert.“
Paulus möchte ein Argument bringen, wie man mit Ältesten umgehen soll, die viel predigen. Er begründet sein apostolisches Gebot mit göttlichem Wort, das er in seiner damaligen Bibel findet. Denn die Schrift sagt – so wie wir heute sagen: „Die Bibel sagt“ oder „Es steht geschrieben“ – und jetzt zitiert er: „Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden“ und fügt noch ein weiteres Wort hinzu: „Der Arbeiter ist seines Lohnes wert.“
Er bringt also zwei Zitate und verbindet sie, um sein Argument zu stützen, warum man mit Pastoren, die viel predigen, gut umgehen soll. Halleluja! Ich höre keinen Amen, aber ich sage es mir jeden Morgen und jeden Abend.
Interessant ist, was hier passiert: Das erste Schriftzitat, das er bringt, finden wir im 5. Buch Mose. Das hat Paulus einfach übernommen. Das zweite Wort „Der Arbeiter ist seines Lohnes wert“ kennen wir, aber es ist kein alttestamentliches Zitat. Dieses Wort finden wir nur im Lukas-Evangelium, sonst an keiner anderen Stelle. In Lukas 10,7 heißt es: „In diesem Haus aber bleibt und esst und trinkt, was sie haben, denn der Arbeiter ist seines Lohnes wert.“
Jesus hat das gesagt, ja, und diesen Passus kannte Paulus schon. Das ist so interessant: Was kannten die eigentlich? Paulus kannte es. Das heißt, diese Schrift von Lukas war in der damaligen Christenheit, wo alles noch sehr frisch war, schon bekannt. Die Christen hatten nicht alle Bücher so wie wir heute. Sie wurden kopiert, abgeschrieben und weitergegeben – immer wieder. Und Lukas’ Schriften waren schon so verbreitet, dass Paulus sich darauf beziehen konnte, um sie zu zitieren.
Es ist aber nicht nur interessant, dass er es zitiert, sondern auch, wie er es einleitet: mit „Die Schrift sagt“ oder „Gottes Wort sagt“. Was die Apostel ständig gemacht haben – und Jesus ebenfalls – war, aus dem 5. Buch Mose zu zitieren. Daraus wurde sehr viel zitiert. Aber auch aus Lukas.
Was macht Paulus damit? Er nimmt Lukas und Mose und stellt sie auf dieselbe Ebene, auf ein gleiches Niveau. Ob Mose gesprochen hat oder Lukas geschrieben hat, ist für uns gleichbedeutend, was die Autorität angeht. Natürlich zu unterschiedlichen Zeiten und mit zu berücksichtigendem Kontext, aber die Worte von Mose und die Niederschrift von Lukas spielen in derselben geistlichen Liga und haben dieselbe Autorität, wenn wir davon lesen.
Das ist für uns wichtig zu wissen, weil Lukas kein Apostel war. Lukas gehörte nicht zu den zwölf Jüngern, wie Matthäus, der als Zöllner berufen wurde und dann schrieb: „Ich war auch die ganze Zeit mit dabei, und ich schreibe es jetzt auf.“ Nein, Lukas kam von außen und sagte: „Ich recherchiere jetzt alles ganz sorgfältig und möchte es richtig darstellen.“
Wir wissen, dass Lukas nicht nur das Evangelium nach Lukas geschrieben hat, sondern auch die Apostelgeschichte. Von Lukas wissen wir, dass er zum Kreis derer gehörte, die in der Nähe der Apostel waren. Lukas war der Begleiter von – wer weiß es genau? – Paulus. Dadurch hatte er die Legitimation, so zu schreiben, dass Paulus seinen Schriften Autorität zusprach. Paulus sagte: „Das hat Autorität für alle Christen.“ Deshalb konnte er seine Schriften zitieren.
Wir sehen also: Lukas und die Apostelgeschichte müssen auch in die Bibel, weil Lukas im näheren Umfeld der Apostel war und das Privileg hatte, Gottes Wort niederzuschreiben und für die Christen zu fixieren.
Weitere Autoren im apostolischen Umfeld
Bei Markus finden wir ein ähnliches Prinzip. Markus war ebenfalls ein Begleiter von jemandem. Hat jemand eine Idee, von wem? Von Petrus. Wichtig ist, dass wir die apostolische Deutung natürlich hatten. Sie waren ja auch noch bei anderen in der Nähe, aber sie bewegten sich im apostolischen Umfeld. Zum Beispiel hatte Petrus Zugang zu Markus, sodass sie miteinander im Austausch standen, was jetzt hier hineinpasst und was nicht.
Markus ist also Teil der sogenannten Autorenmannschaft.
Kommen wir zu Judas. Er hatte eine Verbindung zu Petrus, genau. Dann haben wir noch Jakobus und Judas. Judas stand in enger Beziehung zu Jakobus und war außerdem Bruder von Jesus. Das bedeutet, sie gehörten sehr eng und nah zur apostolischen Elite. Die frühe Kirche erkannte schnell, dass sie so nah an diesem Kreis waren, dass das, was sie sagten, Autorität für alle Christen hatte. Deshalb wurden sie auch als solche anerkannt.
Am Ende bleibt dann nur noch der Hebräerbrief übrig. Das ist, wie soll man sagen, die härteste Nuss. Wer hat den Hebräerbrief geschrieben? Wenn wir gleich noch Zeit haben, werde ich euch sagen, was ich denke. Aber ich habe auch nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen, ich war nicht dabei. "Ja, ich habe ihn geschrieben." Nein, schön wär’s.
Der Brief ist manchmal wirklich schwierig. Aber sei’s drum: Wenn dich das näher interessiert, wird hier die Diskussion geführt. Es werden auch Argumente geliefert, warum die Christenheit sich letztlich dazu entschied, diesen Brief trotzdem aufzunehmen.
Die endgültige Kanonliste und ihre historische Entwicklung
Wenn wir gleich noch Zeit haben, möchte ich gerne darüber diskutieren und den Abschluss zum Kanon des Neuen Testaments machen. Also, das müsst ihr euch merken: Das ist die Goldgrube, um zu verstehen, wie während der Entstehung dieses Buches schon Bezug genommen wurde auf das, was der eine geschrieben hat. Ich finde das einfach großartig. Ja, vielleicht bin ich damit auch allein, sei's drum.
Wayne Grudem schreibt zum Kanon des Neuen Testaments auf den Seiten 71 und 72 Folgendes: Im Jahr 367 nach Christus enthielt das neununddreißigste Osterrundschreiben des Athanasius – es geht jetzt nicht genau darum, was ein Osterrundschreiben ist, sondern um den Gehalt dessen – eine genaue Liste der siebenundzwanzig Bücher des Neuen Testaments, die wir heute haben.
Diese Liste wurde von den Kirchen im östlichen Teil der Mittelmeerwelt angenommen. Dreißig Jahre später, im Jahr 397 nach Christus, stimmte das Konzil von Carthago, das die Kirchen im westlichen Teil der Mittelmeerwelt repräsentierte, den Kirchen des Ostens hinsichtlich derselben Liste zu. Dies sind die frühesten endgültigen Listen unseres heutigen Kanons.
Warum sagen wir das? Das ist kein Produkt deiner Druckerei von vor ein paar Jahrzehnten, sondern in den ersten Jahrhunderten, als diese Schriften entstanden und dann kursierten, kam irgendwann die Überlegung: Was gehört jetzt dazu, was nicht?
Wenn du zum Beispiel den Thessalonicherbrief liest, dann sind die Thessalonicher damit konfrontiert, dass sie Schriften erhalten, die sich als Paulusbriefe ausgeben – also Fake News im ersten Jahrhundert. Und ich habe jetzt hier einen Brief bekommen, da steht „von Paulus“ und „Ihr sollt das und das tun“. Könnt ihr euch vorstellen, was für eine Irritation das in der frühen Christenheit war? Wie willst du das überhaupt nachprüfen?
Paulus bekommt davon mit – aber nicht nach zwei Minuten, weil auf Facebook etwas gepostet wurde, sondern über einen langen Weg. Da ist ein Brief angekommen: War der jetzt von dir? Okay, nochmal klären, wie sieht das eigentlich aus?
Es ist eine unglaublich spannende Zeit, und das braucht auch Zeit, um herauszufinden, worauf wir uns stellen, was wirklich historisch ist und was nicht. Das hat sich dann etabliert. Man hat die Schriften gegengeprüft und festgestellt, dass die Kirche in ihrer Gesamtheit tatsächlich zu diesen 27 Büchern im Neuen Testament gekommen ist.
Wayne Grudem schließt diese Kanondiskussion des Neuen Testaments ab, indem er vor allem auf Hebräer 1,1-2 hinweist, wo wir Folgendes hören:
„Nachdem Gott vielfältig und auf vielerlei Weise ehemals zu den Vätern geredet hat in den Propheten, hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn, den er zum Erben aller Dinge eingesetzt hat, durch den er auch die Welten gemacht hat.“
Die Vollendung der Offenbarung in Jesus Christus
Gott hat damals in den Propheten gesprochen und jetzt abschließend im Sohn. Wir brauchen nicht mehr zu erwarten. Wenn dein Pastor um die Ecke kommt und ein nettes Buch schreibt, das er fast schon in seine Bibel hineinlegt, gibt es ein Problem. Er hat nicht den Auftrag, noch weiteres zu schreiben. Wir müssen nicht auf einen weiteren Propheten wie Mohammed warten, der uns noch besser erklärt, wie man rechtschaffen vor Gott leben soll.
Wir brauchen keinen Joseph Smith, der eine Offenbarung hat, durch die sich die Mormonenkirche etabliert. Gott hat in den Propheten gesprochen und dann in seinem Sohn. Bei seinem Sohn haben wir gehört, dass er den Aposteln einen Auftrag gegeben hat. Dieser Auftrag ist vollendet. Wir brauchen nicht mehr.
Warum? Kommen wir noch einmal zu dem Argument, das du vorgebracht hast: In der Bibel sehen wir die großen Heilstaten Gottes. Im Alten Testament wurden die Heilstaten des Messias angekündigt. Diese sind in Jesus Christus passiert. Die nächste Heilstat im Kalender Gottes, das nächste Event, ist die Wiederkunft Jesu Christi – die Vollendung der Zeitalter, also alles, was in der Endzeit passieren soll.
In der Zwischenzeit gilt der Missionsauftrag, Evangelisation und Jesus nachzufolgen. Aber es gibt keine weitere Heilstat als solche. Deswegen brauchen wir auch nicht erwarten, dass es eine neue Abschrift gibt, die wir dann doch noch irgendwie hier zwischen die Seiten hineinlegen.
Abschließend beantwortet Grudem folgende Frage: Wie wissen wir denn, dass wir die richtigen Bücher im Kanon der Bibel haben, den wir heute besitzen? Er bringt hier ein Argument, das ich kurz erwähnen möchte, um auch die Spannung dieses Arguments aufzuzeigen.
Wir werden bei aller möglichen Beweisführung – und je nachdem, was für ein Analytiker und Denker du bist – sagen: Ja, das sind Argumente, aber am Ende gilt es auch irgendwie der Faktor Vertrauen, weil ich nicht dabei war. Ich kann es irgendwie nachvollziehen, ja, aber wenn eine ganz harte, kritische Nachfrage kommt, dann bin ich auch schnell blank, weil ich es nicht beweisen kann, da ich nun mal nicht dabei war.
Wayne Goodham legt sehr viel Wert auf das Argument, dass wir auf Gottes Treue vertrauen sollen, dass das, was wir in unseren Bibeln haben, auch wirklich Gottes Wort ist. Und das wirkt wie ein sehr schwaches Argument, versteht ihr mich? So: „Vertraue einfach.“ Das wirkt extrem schwach, sehr zerbrechlich. Man denkt: Der andere vertraut so, ich vertraue so. Es wirkt auch sehr subjektiv, weil es keine äußeren, harten Fakten gibt, die mir das so bestätigen.
Aber ich möchte dazu sagen, dass man Folgendes nicht vergessen sollte: Diese äußeren harten Fakten, die du vielleicht gerne hättest, um zu sagen „Und aufgrund dieser Fakten habe ich jetzt hier das Neue Testament gebündelt, wo ich weiß, das ist Gottes Wort und nichts anderes“ – diese äußeren harten Fakten gab es für das Alte Testament in dieser Art und Weise auch nicht.
Warum ist das wichtig zu wissen? Wir sehen, dass Jesus und die Apostel extrem entspannt waren und einfach darin vertraut haben, dass Gott, wenn er spricht, dafür Sorge trägt, dass das bewahrt bleibt und dass es auch prominent wird im Volk. Sie haben sich nicht Sorgen gemacht.
Aber warum sind die Gründe dafür, dass das in den Tempel hineingelegt wurde? Es gab Gründe, es zu tun. Sie hatten keine Probleme zu sagen: Übrigens, das, was wir dort finden, im Alten Testament zusammengetragen, wo einige Leute unterschiedliche Gründe hinzugebracht haben, um zu sagen: Das kommt in den Tempel, das erkennen wir an als Gottes Wort. Sie haben gesagt: Das ist Gottes Wort.
Also waren sie darin ganz entspannt, dass wenn Gott anfängt zu reden, sein Wort nicht einfach hinten runterfällt, sondern dass Gott dafür Sorge tragen wird, dass es bewahrt bleibt. Wenn das schon fürs Alte Testament galt, wenn das schon damals wahr war, dann können wir auch ruhig werden und sagen: Wenn Jesus und die Apostel entspannt waren, dass Gott seine Geschichte schreiben wird und uns wissen lassen wird, was da reingehört, und wenn wir sehen, dass die neutestamentliche Kirche so entspannt war und wir uns alle einig über die restlichen siebzig Bücher sind, können wir sagen: Wenn Gott im Alten Testament treu war, warum habe ich Gründe zu zweifeln, dass er es im Neuen Testament irgendwie nicht hinkriegen könnte?
Ja, es bleibt ein vermeintlich schwaches Argument, aber ein Argument, das Jesus und den Aposteln auch gereicht hat, um sich darauf zu stellen und ihr Leben danach auszurichten.
Ich möchte folgendes Zitat zum Abschluss lesen und dann mit euch noch über die eine oder andere Frage sprechen. Lassen wir das Thema aber abschließen mit folgendem Zitat aus Seite 74:
„Die Erhaltung und korrekte Sammlung des Kanons der Bibel sollte also von Gläubigen letztlich nicht als ein Teil der Kirchengeschichte nach den großen zentralen Heilstaten für sein Volk gesehen werden, sondern als ein integraler Bestandteil der Heilsgeschichte selbst.“
Also, was sind Heilstaten? Die Berufung Abrahams, die Erwählung Israels, die Rettung Israels – all diese großen Ereignisse in der Geschichte Gottes. Auch die Sammlung der Schriften ist nicht einfach ein Nebenprodukt, sondern ein ebenso einschneidendes Ereignis.
Ebenso wie Gott in der Schöpfung am Werk war, in der Berufung seines Volkes Israel, im Leben, im Tod und in der Auferstehung Christi und im frühen Werk und den Schriften der Apostel, so war Gott auch in der Erhaltung und Zusammenstellung der Bücher der Bibel zum Nutzen seines Volkes für das gesamte Zeitalter der Kirche am Werk.
Letztlich gründen wir unser Vertrauen auf die Korrektheit unseres gegenwärtigen Kanons, also auf die Treue Gottes.
Das ist doch ein schönes Abschlusswort. Amen.
Abschluss: Die Kanonbildung als Teil der Heilsgeschichte
Ich möchte zum Abschluss ein Zitat vorlesen und anschließend mit euch über die eine oder andere Frage sprechen. Lassen wir das Thema aber zunächst mit folgendem Zitat aus Seite 74 enden:
Die Erhaltung und korrekte Sammlung des Kanons der Bibel sollte von Gläubigen letztlich nicht nur als ein Teil der Kirchengeschichte nach den großen zentralen Heilstaten für sein Volk verstanden werden. Vielmehr ist sie ein integraler Bestandteil der Heilsgeschichte selbst.
Was sind Heilstaten? Dazu zählen die Berufung Abrahams, die Erwählung Israels, die Rettung Israels – all diese bedeutsamen Ereignisse in der Geschichte Gottes. Auch die Sammlung der Schriften ist nicht einfach ein Nebenprodukt, sondern ein ebenso einschneidendes Ereignis.
Gott war am Werk in der Schöpfung, in der Berufung seines Volkes Israel, im Leben, im Tod und in der Auferstehung Christi sowie im frühen Werk und den Schriften der Apostel. Ebenso war Gott auch in der Erhaltung und Zusammenstellung der Bücher der Bibel tätig. Dies geschah zum Nutzen seines Volkes für das gesamte Zeitalter der Kirche.
Letztlich gründen wir unser Vertrauen auf die Korrektheit unseres gegenwärtigen Kanons – also auf die Treue Gottes.
Das ist doch ein schönes Abschlusswort. Amen.
