
Als Gemeinde waren wir in den letzten Sonntagen im Römerbrief unterwegs und beschäftigten uns mit einem spannenden Gerichtsprozess. Die Anklageschrift dieses Prozesses beginnt in Römer 1, Vers 18. Vielleicht erinnern sich einige noch daran, das ist schon eine Weile her. Dort steht: „Denn Gottes Zorn wird offenbar.“
Während der Gemeindefreizeit, also am letzten Sonntag, habt ihr mit Römer 3, Vers 20 geendet. Dort heißt es: „Aus Gesetzeswerken wird kein Mensch vor Gott gerecht.“ Dieser gesamte Abschnitt ist nichts anderes als eine Anklageschrift. Sie macht deutlich, dass ich mir als Mensch nicht verdienen kann, mit Gott leben zu dürfen.
Ich erlebe diesen Prozess im Römerbrief nicht nur als Unbeteiligter, der zuschaut und denkt, na ja, da wird jemand abgeurteilt. Nein, es betrifft mich persönlich. Ich sitze auf der Anklagebank, so haben wir es verstanden, und Gott selbst führt die Anklage.
Die Beweislast in diesen Kapiteln ist erdrückend, und das Urteil, das ich zu erwarten habe, ist schrecklich. Es bedeutet, ewig von Gott getrennt zu sein. Das ist die schreckliche Wahrheit, die ich begriffen habe, wenn ich ab Römer 1, Vers 18 aufmerksam zugehört habe.
Und jetzt, heute Morgen, so beginnt tatsächlich der einundzwanzigste Vers, den wir gleich anschauen werden. Nun folgt eine Aussage, die ich so nie erwartet hätte. Ich musste mich verhört haben – das kann ja gar nicht sein, was Paulus da sagt.
Ab Vers 21 lesen wir gemeinsam: „Jetzt aber ist ohne Gesetz Gottes Gerechtigkeit offenbar geworden und bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Gottes Gerechtigkeit aber wird durch den Glauben an Jesus Christus für alle offenbar, die glauben. Denn es ist kein Unterschied: Alle haben gesündigt und erlangen nicht die Herrlichkeit Gottes. Sie werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist. Ihn hat Gott hingestellt als einen Sühneort durch den Glauben an sein Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit wegen des Hingehenslassens der vorhergeschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes. Dies geschieht zum Erweis seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, damit er gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesus ist. Wo bleibt nun der Ruhm? Er ist ausgeschlossen. Durch was für ein Gesetz? Der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. Denn wir urteilen, dass der Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke. Oder ist Gott der Gott der Juden allein? Nicht auch der Nationen? Ja, auch der Nationen. Denn Gott ist einer. Er wird die Beschneidung aus Glauben und das Unbeschnittensein durch den Glauben rechtfertigen. Heben wir dann das Gesetz durch den Glauben auf? Auf keinen Fall, sondern wir bestätigen das Gesetz.“
Ich erwartete also einen vernichtenden Schuldspruch. Doch der Richter sagt plötzlich zu mir: „Du bist ein freier Mann, du bekommst keine Strafe. Im Gegenteil, auf dich wartet ein großes Erbe.“
Kann ich nur dastehen und mich fragen: Bin ich im falschen Film? Habe ich mich verhört? Das kann doch gar nicht sein!
Und die gute Nachricht heute Morgen ist: Es stimmt, es ist wahr. Ich habe mich nicht verhört. Wir haben es gerade gelesen: Ich bin gerecht gesprochen, obwohl die Beweislast erdrückend ist.
Ich habe versucht, den Text, den wir gerade gemeinsam gelesen haben, in einer Formel auszudrücken. Am Ende steht: Ich bin gerecht, auch wenn ich es noch nicht ganz fassen kann. Der Grund dafür, dass ich gerecht bin, ist der Herr Jesus und die Tatsache, dass ich an ihn glaube.
Was ich nicht brauche, um gerecht zu werden, sagt Paulus ebenfalls in unserem Text: das Gesetz. Das sind die Aussagen dieses Textes. Wenn ich es zusammenfasse, heißt es: gerecht gleich „Jesus und Glaube minus Gesetz“. Ich werde also gerecht durch den Glauben an Jesus und nicht durch das Gesetz.
Wer den Römerbrief bis hierher gelesen hat, der hat verstanden: Ich schaffe es nicht durch das Gesetz, also durch den Maßstab, den Gott mir vorgibt, um eine Beziehung zu ihm zu bekommen. Ich schaffe es nicht, weil die Bedingungen einfach zu hoch sind. Gott sagt in 3. Mose 18,5: „Wenn du alle meine Ordnungen und Bestimmungen hältst, bekommst du die Beziehung zu mir.“
Ich höre das und falls ich in einem Anflug massiver Selbstüberschätzung mir schon die Hände reibe und denke: Na ja, das ist doch mal ein Maßstab, den ich erreichen kann – dann sagt mir Jakobus spätestens, dass ich mich täusche. Jakobus schreibt in Jakobus 2, dass wenn du das ganze Gesetz hältst, aber an nur einem einzigen Punkt dieses Gesetz übertrittst, du komplett versagt hast. Das ist sehr deutlich.
Dann habe ich ja verloren, ehe ich überhaupt anfange. Wenn das Gottes Maßstab ist, dann werde ich ihn niemals erfüllen können. Ich weiß nicht, wie es euch geht. Von mir persönlich kann ich nicht sagen, dass Gott in meinem Leben immer den ersten Platz hat. Ich kann nicht sagen, ich hätte noch nie unreine oder neidische Gedanken gehabt. Ich habe noch nie gelogen oder gestohlen – vielleicht könnten manche von euch das sagen, ich nicht.
Das heißt, Jakobus kommentiert mein Leben mit den Worten: Du hast versagt. Du musst dich gar nicht anstrengen, es gibt für dich keinen Platz in Gottes Gegenwart. In diese Untergangsstimmung kommen wir jetzt hinein, in das Jetzt von Römer 3. Das ist wie ein Paukenschlag der Freude.
Gottes Gerechtigkeit gibt mir die Möglichkeit, eine Beziehung zu ihm zu haben. Paulus sagt hier, das könnt ihr lesen, es ist offenbar geworden. Das ist also nicht etwas, das ich mir erarbeiten könnte. Gottes Gerechtigkeit, also seinen Maßstab zu erfüllen, kann ich mir nicht durch das Gesetz erarbeiten, durch das Halten von Geboten.
Gott selbst hat diese Gerechtigkeit sichtbar gemacht – und das ist ganz wichtig zu verstehen – ohne das Gesetz. Aber das ist doch der Weg, wie ich versuche, Gott zu gefallen. Ich schaue, was im Gesetz steht, und versuche, es irgendwie zu leben. Ich bemühe mich, es zu halten. Doch Gott sagt mir: Leg das Gesetz weg. Es gibt einen anderen Weg, und von diesem Weg reden das Gesetz und die Propheten. Wenn du aufmerksam gelesen hättest, hättest du gemerkt, dass das Gesetz sagt: „Ich bin nicht der Weg, stopp!“
Der Prophet Jesaja sagt zum Beispiel: „Die Strafe lag auf dem Knecht Gottes, damit ich Frieden mit Gott habe. Durch seine Wunden bin ich heil geworden.“ Das ist eine ganz praktische Anwendung dieses Satzes aus Römer 3. Hier redet ein Prophet davon, dass, wenn ich in Gottes Gegenwart kommen möchte, das nicht über die Schiene Gesetz läuft.
Paulus wird das später in weiteren Predigten, am nächsten Sonntag in Römer 4, unterstreichen. Dort sagt er, Abraham und David sind nicht – und das unterstreicht er zweimal – vor Gott gerecht geworden durch das, was sie getan haben. Er betont, dass Gott sie gerecht gesprochen hat, weil er ihnen ihre Sünde nicht anrechnet. Deswegen ist ihr Führungszeugnis leer, es stehen keine Sünden drin.
Die Frage ist nur: Wie bekomme ich denn diese Gerechtigkeit? Die Antwort steht in Vers 22: Gottes Gerechtigkeit, aber durch den Glauben an Jesus Christus für alle, die glauben. Das heißt, ich bekomme diese Gerechtigkeit durch den Glauben. Man könnte auch sagen: Ich bekomme Gottes Gerechtigkeit, indem ich glaube.
Das ist aber eine grundsätzliche Aussage, die mir gar nichts nützt, wenn ich sie in meinem Leben nicht anwende. Ihr habt es gemerkt, wie Paulus das hier nämlich ausführt. Er sagt, es ist wichtig, dass du ganz persönlich glaubst, sonst bringt es dir gar nichts. Das haben wir hier gelesen: Gottes Gerechtigkeit durch den Glauben, aber nur für alle. Das heißt, er grenzt hier die Gruppe ein, die dies betrifft, nämlich nur für alle, die glauben. Für die anderen gilt das nicht.
Wenn ich nur weiß, dass ich glauben sollte – das habe ich in der Gemeinde gehört, deswegen ist es wichtig – aber ich tue es nicht, dann stehe ich auf einer Stufe mit den Menschen, die Gott in ihrem Leben schon lange gestrichen haben. Da nützt jeder Gemeindebesuch, jeder Bibelstundenbesuch und auch alle regelmäßige Bibellese gar nichts, wenn das nicht für mich persönlich angenommen wird.
Gott fordert mich heraus, in diesem Text ihm persönlich zu vertrauen. Das heißt, ihm zuzutrauen, dass er mir eine Gerechtigkeit schenken kann, die ich mir in tausend Jahren nicht erarbeiten kann.
Wie geht es? Natürlich ist das die Frage. Paulus verrät die Antwort in Vers 23 und in Vers 24.
Zunächst einmal muss ich der Tatsache ins Auge sehen: Ich habe gesündigt. Deswegen sagt er hier, es gibt keinen Unterschied. Ich habe gegen Gott rebelliert und mich selbst auf den Thron meines Lebens gesetzt. Das heißt, meine Beziehung zu Gott ist zerbrochen. Ich habe keine Verbindung zu diesem lebendigen Gott mehr.
Die Folge nennt er hier auch, und sie ist klar: Ich erlange nicht die Herrlichkeit Gottes. Das bedeutet, ich gehe an der Bestimmung vorbei, die Gott für mein Leben hat. Diese Bestimmung ist, in Gott die ganze Freude meines Lebens zu finden. Es geht darum, schließlich die Ewigkeit bei ihm zu verbringen.
Das heißt auch, ich bekomme die Herrlichkeit Gottes nicht. Damit meint Paulus auch, dass ich keine Chance habe, in den Himmel zu kommen. Deshalb sollte ich, auch wenn ich Schmerzen und anderes erlebe, diese Zeit auf der Erde noch genießen. Denn es wird nur viel dramatischer, wenn ich gestorben bin.
Das ist eigentlich meine Ausgangsposition. Und genau deshalb, wenn ich das verstanden habe, begreife ich auch, wie faszinierend und fast unglaublich es ist, was Paulus dann in Vers 24 sagt. Er sagt: Wir werden – das ist eine passive Form – umsonst gerechtfertigt.
Das ist also etwas, was ich selbst nicht tun kann. Ich werde gerechtfertigt – Gott macht es in meinem Leben. Er spricht mich frei, entlässt mich von der Anklagebank, nicht ins Gefängnis, sondern in die Freiheit.
Diese atemberaubende Zukunft: Ich weiß, ich werde einmal Jesus sehen. Ich weiß, ich werde die Ewigkeit mit ihm verbringen. Etwas Größeres gibt es nicht. Das sind ganz grundlegende Wahrheiten, die Paulus uns hier im Römerbrief 3 vor Augen führt.
Und ich habe gedacht, manchmal muss man Dinge ja auch sacken lassen. Ich würde es gern noch einmal veranschaulichen. Dazu brauche ich vier Freiwillige. Die müssen gar nichts sagen, sie müssen nur nach vorne kommen. Wer kommt mal nach vorne? Vier Freiwillige? Schon mal einer, wie noch? Der Horst kommt noch, zwei, Daniel auch, super.
Ihr müsst einfach die Treppe hochkommen und mir hier entgegen. Genau, machen wir das mal so. Und dann machen wir das so: Du musst den umgekehrt halten. Okay, du kriegst den genau, und den, und du kriegst den, und zweimal den, und du kriegst auch den, und einmal den. Okay.
Also, kurze Vorstellung, um das zu illustrieren, was Paulus hier sagt: Menschen wollen gerecht werden. Ich habe hier einen hochelektronischen Gerechtomaten, der anzeigt, wie gerecht jemand ist.
Jetzt kommt mal der erste Kandidat und stellt sich darauf. Das Ziel ist – komm, tu nicht so – das Ziel ist letztendlich, in die Herrlichkeit da drüben zu kommen. Und es ist wie überall: Es gibt Schuld im Leben, aber es gibt ja auch gute Taten.
Jetzt ist die Frage, was der Gerechtomat sagt, nach Römer 3. Nach Römer 3 sagt der Gerechtomat: Leider war das nichts, Horst, du musst wieder zurück und wirst die Ewigkeit getrennt von Gott verbringen.
Zum Glück steht es ja da anders. Ja, genau. Also du spielst ja auch hier oben nur, du kannst runtergehen, genau.
Jetzt nehmen wir die Zweite. Lass du mal nach vorne kommen und dich darauf stellen. Das ist natürlich eine ganz besonders gute Person. Ja, also sie hat zweimal gute Taten. Man könnte auch sagen, da ist ein ganzer Papiercontainer mit guten Taten.
Und trotzdem würde der Gerechtomat sagen: Du kommst nicht weiter, weil nämlich dieses Schild „Schuld“ dasteht. Es ist egal, wie viele gute Taten ich habe. Sorry, musst du auch gehen.
Ja, und jetzt darfst du dich hier vorne hinstellen, noch nicht draufstellen. Ja, also das heißt, die Situation hatten wir ja schon mal, dass wir sagen: Gar kein Problem, ein Riesenproblem. Ja, aber wir wissen schon, wie es ausgeht.
Und das ist, was Paulus in Römer 3 sagt. Er sagt, du weißt nicht, wie es ausgeht, weil wir jemand anders haben, der sich da draufstellt. Jetzt mal sein Schild umdrehen, und es ist seine Gerechtigkeit, die hier abgefragt wird. Es ist nicht die Gerechtigkeit, sondern seine Gerechtigkeit.
Das heißt, der Gerechtomat reagiert anders. Jesus steht stellvertretend für mich darauf, und das ist es, was Paulus sagt, was der Horst zu Recht gesagt hat: Ich werde umsonst gerechtfertigt durch seine Gerechtigkeit.
Um das mal vor Augen zu haben: Gerne dort weitergehen. Vielleicht hilft euch das, das einfach mal im Kopf zu behalten.
Ich komme also nicht in den Himmel, weil es meine Gerechtigkeit ist, sondern weil die Gerechtigkeit des Herrn Jesus mir zugerechnet wird. Die Bibel nennt das Gnade.
Gnade ist etwas Ungerechtes. Denn normalerweise müsste ich auf dem Gerechtometer stehen wie alle anderen auch. Aber weil ich auf Jesus vertraue und nicht auf mich selbst, kommt das grüne Licht.
Gott vergibt mir trotz nachgewiesener Schuld. Und das ist nur möglich, weil Jesus mich erlöst hat. Weil er sein Leben für mich gab – darum geht es hier heute Morgen.
Er hat meinen Schuldschein an sein Kreuz genommen, so drückt es Paulus mal im Kolosserbrief aus. Oder Paulus sagt mal im 1. Petrusbrief Kapitel 2: Er hat meine Sünden an seinem Leib auf das Kreuz hinaufgetragen.
Das heißt, er ist für meine Schuld gestorben. Ich wünsche uns, dass uns das heute Morgen wirklich zum Jubeln bringt: Er hat für mich sein Leben gegeben.
Paulus kommt nun auf einen anderen Gedanken zu sprechen. In den Versen 25 und 26 geht er auf die Bundeslade ein. Die Bundeslade war dieser goldene Kasten, an dem sich der lebendige Gott immer wieder offenbart hat. Auf diesem Kasten standen zwei Engel aus Gold. Diese Engel berührten sich mit ihren Flügeln, und mit ihren Gesichtern schauten sie in die Mitte.
Das kann man in einer Bleistiftzeichnung sehr gut erkennen. Dort ist eine Art Deckel zu sehen, der sogenannte Sühnedeckel. Paulus verwendet genau dieses Wort auch im Römerbrief. Einmal im Jahr sprengte der hohe Priester an dieser Stelle auf dem Deckel Blut, um zu verdeutlichen: Gott vergibt uns Schuld, indem Blut fließt, indem ein Tier sein Leben lässt.
Später wurde im Neuen Testament deutlich, dass dieses Blut Sünde nur bedecken kann, nicht aber wirklich wegnehmen. Paulus sagt hier jedoch, dass die blutbesprengte Stelle auf der Bundeslade, dieser Sühnedeckel, ein direktes Bild auf den Herrn Jesus ist. Wenn ich an diesen Sühnedeckel denke, beginne ich zu ahnen, was Jesus für mich getan hat.
Das meint Paulus, wenn er sagt, dass Gott ihn hingestellt hat. Ihr seht es dort als einen Südeort. Es gibt verschiedene Übersetzungen, aber es ist immer dasselbe grundlegende griechische Wort, das auf diesen Deckel hinweist. Paulus will deutlich machen: Jesus hat sein Blut, sein Leben für mich gegeben, und darauf darf ich vertrauen. Sein Blut reicht aus.
Paulus verwendet hier ein interessantes Wort. Er sagt: „Zum Erweis seiner Gerechtigkeit“ – jetzt muss ich prüfen, ob ich das Wort genau finde – „Nachsicht Gottes, der vorher geschehenen Sünden“. Wenn er von der Nachsicht Gottes spricht, meint er nicht, dass Gott hier einfach ein Auge zudrückt. Das kann Gott nicht, denn dann wäre er nicht gerecht.
Gott schaut bei Sünde nicht einfach weg, sondern hin. Er vergibt mir nicht, weil er die Strafe einfach erlässt, sondern weil er die Strafe an seinem Sohn vollzieht. So ist Gott wie ein Richter, der eine gerechte Strafe aussprechen muss, um gerecht zu bleiben, aber selber die Strafe übernimmt.
Auf diese Weise behält der Richter seine Gerechtigkeit, ist aber auch in der Lage, gnädig zu sein. Und weil Gott gerecht ist, wie Paulus auch in Römer 3,26 sagt, kann er mich auch gerecht sprechen, also rechtfertigen. Das ist kein einfacher theologischer Begriff: Gott kann mich rechtfertigen, wenn ich auf Jesus vertraue.
Ich als ungerechter Mensch kann mich selbst niemals gerecht sprechen.
Manchmal gibt es in der Politik Ungereimtheiten. Wenn diese Ungereimtheiten sehr groß sind, setzt man einen Untersuchungsausschuss ein. Dieser hat die Aufgabe herauszufinden, wie die Sache wirklich war.
In einem Untersuchungsausschuss darf niemand sitzen, der in das Verfahren involviert ist. Ihr habt sicher schon mitbekommen, dass dann jemand feststellt: „Moment, diese Person ist nicht neutral, sie ist befangen.“ In diesem Fall muss sie aus dem Untersuchungsausschuss entfernt werden.
Wenn aber wirklich neutrale Personen im Ausschuss sitzen, die einfach nur untersuchen wollen, wie die Sache ist, und am Ende feststellen, dass den Angeklagten keine Schuld trifft, dann wird er freigesprochen. Das ist gerecht. Man sagt dann: „Wir hatten eine Vermutung, aber diese hat sich nicht bestätigt.“
Wenn das Wort eines Vorsitzenden eines Untersuchungsausschusses schon Gewicht hat, wie viel mehr gilt dann Gottes Wort? Das Wort eines gerechten Gottes, der sagt: Thomas hat zwar viel Schuld in seinem Leben, aber er hat darauf vertraut, dass Jesus für seine Schuld gestorben ist. Deshalb stellt sich der Herr Jesus hier auf das Gerechtometer.
Deswegen kann Gott zu Recht sagen: Der Angeklagte ist unschuldig. Gottes Gnade kann ich erst verstehen, wenn ich begriffen habe, welchen Preis Gott für mich bezahlt hat, um die Eintrittskarte zum Himmel für mich zu kaufen. An dieser Eintrittskarte klebt das Blut seines Sohnes.
In seinem Buch Nachfolge spricht Dietrich Bonhoeffer von der billigen Gnade. Er schreibt einen sehr interessanten Satz: Billige Gnade ist Rechtfertigung der Sünde und nicht Rechtfertigung des Sünders.
Also noch einmal: Billige Gnade ist Rechtfertigung der Sünde und nicht Rechtfertigung des Sünders. Das bedeutet, viele Menschen benutzen die Gnade Gottes als Ausrede für ihre Sünde. Sie sagen: „Es ist doch egal, wenn ich sündige. Gott ist mir doch sowieso gnädig.“ Damit rechtfertigen sie ihre Sünde mit Gottes Gnade.
Wer so denkt, hat nicht verstanden, was es Gott gekostet hat, mir überhaupt gnädig sein zu können. Dafür hat Gott den höchsten Preis bezahlt – den höchsten Preis, den es nur geben kann, um mich zu rechtfertigen. Meine Schuld ist bezahlt.
Ich weiß, mein Platz im Himmel ist genauso sicher gebucht wie die Bahnfahrkarte oder das Flugticket, die ich schon gebucht habe und die ich zuhause im Computerausdruck liegen habe. Und ich weiß, es gilt. Genauso sicher hat Gott mir ein Ticket für den Himmel gebucht, wie es Römer 3 beschreibt.
Ist das nicht wunderbar? Ich kann zu Recht sagen, ich habe eine Eintrittskarte in den Himmel und weiß das hundertprozentig, weil Gott mich gerecht gemacht hat. Es ist seine Gerechtigkeit und nicht meine Gerechtigkeit.
Paulus schließt seine Gedanken in Römer 3,27 bis 31 ab. Ich komme noch einmal auf die Politik zu sprechen. In der Politik gibt es manchmal sehr pompöse Empfänge. Davon liest man oft nur in der Zeitung, denn man wird wahrscheinlich nie eingeladen.
Man könnte zwar für eine Eintrittskarte tausend Euro bieten, aber diese Karten sind nicht verkäuflich. Nur bestimmte Personen dürfen überhaupt teilnehmen. Um auf solchen Empfängen dabei zu sein, muss man besondere Verdienste vorweisen können. Vielleicht hat man eine bahnbrechende wissenschaftliche Erfindung gemacht oder man ist eine Schlüsselperson, die Geldströme lenkt oder Meinungen beeinflussen kann.
Auf diesen Empfängen sind sehr bekannte oder berühmte Persönlichkeiten. Es ist natürlich wichtig, da zu sein und zu zeigen: „Hallo, ich bin auch hier.“
Aber hier in Römer 3 geht es um den größten aller Empfänge. Es geht darum, einmal im Himmel anzukommen. Es geht um den Tag, an dem ich als gerechtgesprochener Sünder meinem Herrn zujubeln darf. Ich glaube, das können wir uns gar nicht richtig vorstellen, was das bedeutet. Wenn wir begreifen, dass alles wahr ist, was wir geglaubt haben, dass das, was hier steht, genau so wahr ist, dann dürfen wir den sehen, an den wir geglaubt haben. Da vorne ist Jesus, und ich bin hier.
Diesen Tag wird es geben. Ich glaube, wir werden vor Freude den Mund nicht mehr zubekommen. Paulus greift in den letzten Versen von Römer 3 die Frage auf: Warum sind die Gäste, die auf diesem allergrößten Empfang den Himmel bevölkern, überhaupt da? Welche Leistung haben sie erbracht, um die Eintrittskarte zu bekommen?
Das ist ganz anders als bei den Empfängen in der Politik, von denen ich eben sprach. Denn keiner, der im Himmel ist, kann sich dessen rühmen. Niemand wird sagen: „Gott hat mich zu Recht hier eingeladen. Meine Lebensleistung wird wenigstens dadurch gewürdigt.“
Die Gäste werden sich anschauen und sagen: „Ich habe es nicht verdient, hier zu sein. Ich habe nichts geleistet, was Gott in irgendeiner Form beeindrucken könnte.“ Im Gegenteil, auch als Christ hat man sich jede Menge Fehler geleistet, leider.
Aber man ist hier, weil Gott diese Eintrittskarte gekauft hat. Man ist hier, weil man darauf vertraut, dass das Opfer des Herrn Jesus ausreicht, um in den Himmel zu kommen.
Das ist der Kerngedanke, den man in Römer 3,28 liest: „Denn wir urteilen, dass der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke.“ Paulus macht hier sehr deutlich, dass es nicht um unsere Leistung geht.
Übrigens gibt es für den Empfang im Himmel, ähnlich wie bei offiziellen Anlässen, einen Dresscode. Mir wird vorgeschrieben, wie ich erscheinen soll. Ihr könnt diesen Dresscode in Matthäus 22, Vers 13 nachlesen. Dort ist jemand im Himmel, der diesen Dresscode nicht einhält, weil er mit den eigenen Kleidern kommt. Das kommt gar nicht gut an.
Die anderen, die den Dresscode einhalten, haben ihre Kleidung nur geliehen. Sie haben sie einfach geliehen bekommen, damit sie sie dort tragen dürfen. Das weiße Kleid, von dem wir in Matthäus 22 lesen, ist ein Bild für den Gedanken, den Paulus hier im Römerbrief, Kapitel 3, verwendet.
„Gott hat mich gerecht gemacht. Meine weiße Weste, mein weißes Kleid macht das deutlich. Es gibt für Gott oder in Gottes Augen keinen schwarzen Fleck mehr in meinem Leben.“
Ich wünsche dir heute Morgen, wenn du diese Predigt über Römer 3 hörst, dass du nicht sagst: „Okay, das haben wir schon alles gewusst,“ oder „Hoffentlich kommen wir jetzt mal nach Kapitel 4, damit wir nicht immer diese ständigen Wiederholungen haben.“
Sondern wenn du das nächste Mal niedergeschlagen bist, weil wieder so viel schiefgelaufen ist in deinem Leben, oder weil du merkst: „Hey, den anderen geht es so viel besser als mir,“ dann sagst du: „Mensch, wenn ich Römer 3 lese, dann begreife ich, Gott hat mich gerecht gemacht. Der Himmel wartet auf mich. Ich darf Gottes Größe sehen. Ich darf schon jetzt in seiner Herrlichkeit leben.“
Wenn wir uns mit dem beschäftigen, was Römer 3 uns hier zeigt, dann werden wir sehr oft erleben, dass die dunklen Gewitterwolken in unserem Leben einfach wegziehen müssen. Die Sonne seiner Gnade bricht durch die Wolkendecke unseres Lebens hindurch.
Paulus wiederholt sich, wenn er im übertragenen Sinn sagt: Egal, ob du als Jude das Evangelium schon gehört hast, bevor du sprechen konntest, oder ob du als Heide durch viele Umwege schließlich Jesus kennengelernt hast – für dich gilt genau dasselbe. Du musst darauf vertrauen, dass es Gott ist und nicht du selbst, der dich rechtfertigt. Gott spricht dich gerecht, und diese Gerechtigkeit bekommst du nur geschenkt. Du kannst sie dir nicht erarbeiten. Du bekommst sie umsonst – oder gar nicht.
Paulus war es gewohnt, dass seine jüdischen ehemaligen Kollegen, wenn er solche Ausführungen machte und kurz den Mund schließen musste, um Luft zu holen, die Gelegenheit nutzten, um zu sagen: „Das mag ja alles stimmen, was du sagst, aber ...“ Im Römerbrief greift er das häufiger auf, weil er weiß, dass dieses „Aber“ hier vorprogrammiert ist. Deshalb geht er darauf ein.
Das „Aber“, das hier kommt, lautet: „Ja, Paulus, stimmt alles, aber mit dem, was du hier sagst, hebst du das Gesetz auf.“ Das heißt, woran unsere Väter die ganze Zeit geglaubt haben, worauf sie gehofft haben, das schiebst du einfach zur Seite. Dann kann ich ja das ganze Alte Testament zuklappen – mit deiner Botschaft allein durch den Glauben, du musst nur glauben. Damit streichst du alles durch, worauf wir unseren Glauben gebaut haben.
Paulus sagt: Nein, auf keinen Fall streiche ich es durch. Ich hebe das Gesetz nicht auf, ich bestätige das Gesetz. Ich zeige dadurch den eigentlichen Sinn des Gesetzes. Und was ist der eigentliche Sinn? Johannes müsste es euch in der letzten Predigt gesagt haben: Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.
Das Gesetz ist wie eine Radarfalle. Ihr kennt sicher auch das Gefühl: Die Radarfalle blitzt auf, und du denkst, meine Herren, ich hätte das Geld auch sinnvoller ausgeben können. Du stellst nur fest, ich war zu schnell, aber es hilft dir nicht unbedingt, wenn die Radarfalle dreimal blinkt – vorher „Achtung, hier kommt eine Radarfalle“ und noch mal „Es ist wirklich ernst, hier kommt eine“.
Das Faszinierende ist: Dieses Gesetz nimmt mich an die Hand und bringt mich zu dem, der mir helfen kann. Paulus beschreibt es so plastisch in Galater 3. Er nennt das Gesetz dort einen „Zuchtmeister“ in der Elberfelder Übersetzung, aber eigentlich steht dort, Lehrer aufgepasst, „ein Pädagoge“. Das ist das Wort, das dort steht. Der Pädagoge nimmt mich an die Hand und führt mich zu Jesus.
Um es mit einem Bild zu sagen: Bei Fluggesellschaften ist es manchmal so, dass ich mein Kind abgebe. Da kommt dann eine nette Stewardess, nimmt das Kind in Empfang, begleitet es ins Flugzeug, passt auf es auf und gibt es am Zielflughafen einer autorisierten Person ab. Diese Person muss sich gut ausweisen, damit sie das Kind abholen darf.
Genau das macht das Gesetz: Es kümmert sich um mich, zeigt mir, dass in mir nichts Gutes wohnt, zeigt mir, dass ich nicht leben kann, wie Gott es möchte – das ist ausgeschlossen. Wenn ich das verstanden habe, nimmt das Gesetz mich an die Hand und bringt mich zu der Person, die allein berechtigt ist, mich abzuholen, nämlich zum Herrn Jesus. Bei ihm bin ich in guten Händen.
Denn er ist in mir – das ist dann das große Thema: Christus in mir. Er erfüllt in mir das Gesetz. In unserem Text, der heute Morgen um Gottes Herrlichkeit geht, habe ich natürlich entsprechend des Textes den Schwerpunkt auf die Rechtfertigung gelegt. Aber Herrlichkeit bedeutet vielmehr, dass das Leben des Herrn Jesus in meinem Leben sichtbar wird. Dass klar wird: Hier ist eine andere Kraft, die es mir möglich macht, so zu leben, wie sein Wort es sagt.
Deshalb kann Paulus hier sagen: Ich bestätige das Gesetz. Und er meint damit, wenn ich vom Glauben rede, mache ich nur deutlich, dass der eigentliche, der tiefere Sinn des Gesetzes darin besteht, den über seine Sünde verzweifelten Menschen zu Jesus zu führen. Ihm zu zeigen, dass der Glaube, also das Vertrauen darauf, dass Jesus für meine Schuld gestorben ist, die Antwort auf die Schuldfrage ist.
Das war jetzt nicht der Schwerpunkt heute Morgen, aber es ist auch die Antwort auf die Unfähigkeit, für Gott zu leben. Das wäre ein Thema für sich. Paulus greift es in 1. Korinther 1,30 auf, wenn er sagt: Christus ist meine Heiligung, das heißt, er ist dieses neue Leben in mir.
Heute ging es um diese Formel: gerecht heißt Jesus und Glauben minus Gesetz. Ich wünsche mir und uns, dass wir das heute Morgen mitnehmen. Dass wir uns neu darüber freuen, was Paulus uns in Römer 3 vermitteln konnte.
Amen.
Ich möchte noch beten: Herr Jesus, ich wünsche mir so sehr, dass das nicht nur theologische Wahrheiten sind, sondern dass sie uns packen – auch da, wo wir in unserem Alltag, vielleicht auch in Tälern unterwegs sind. Dass wir über all den Problemen und Sorgen das nicht aus den Augen verlieren: Du hast uns gerecht gesprochen, du hast uns Freiheit geschenkt, du hast uns ein riesiges Erbe gegeben, obwohl wir es gar nicht verdient haben.
Danke, Herr, dass du uns neu hilfst, uns daran immer wieder zu freuen. Amen.