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Um Licht der Welt zu sein und die Welt zu verändern, braucht es keine großartigen Persönlichkeiten, sondern uns. Wenn Jesus sagt: “Ihr seid das Licht der Welt”, dann ist das eine Gebrauchsanweisung und eine Platzanweisung und eine Dienstanweisung. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


Dass es in der Welt dunkel ist, liebe Gemeinde, darüber brauchen wir nicht zu sprechen. Darüber sprechen sie jeden Tag in der Tagesschau, wenn sie von Dammbrüchen und Mordserien und Massenkarambolagen berichten. Dass es in der Welt Nacht ist, darüber brauchen wir nicht zu reden. Darüber reden sie jeden Tag in der Tageszeitung, wenn sie von Hungerkatastrophen und Dürregebieten und Kriegshandlungen schreiben. Dass es in der Welt finster ist, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Darüber reden sie in der Tagespolitik jeden Tag, wenn sie sich über Waldsterben und Umweltzerstörung und Luftverschmutzung die Köpfe erhitzen. “Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker”, das wusste schon der Psalmist.

Aber durch wen es in dieser Welt wieder hell wird, darüber ist zu sprechen. Durch wen es in dieser Welt wieder Tag wird, darüber ist zu reden. Durch wen es in dieser Welt wieder Licht wird, darüber ist doch zu diskutieren. Sind es vielleicht die Staatsmänner, die in schwarzen Nadelanzügen oder in schmucken Uniformen die Zügel wieder in die Hand kriegen und als Strahlemänner die Menschheit beglücken? Oder sind es die Revolutionäre, die im Che Guevara-Look oder im Drillichanzug nach der Waffe greifen und als Fackeln das New Age, das neue Zeitalter heraufführen? Oder sind es gar die Religionsstifter, die Khomeinis und Baghwans und Maharishis, die in schwarzen Kutten oder in weißen Roben die Massen bewegen und als Stars, als Sterne den Nachthimmel erleuchten? Jedenfalls müssen es ganz große, großartige und überragende Persönlichkeiten sein, wenn sie als Leuchten diese Welt verändern wollen.

Und Jesus sagt: “Ihr seid das Licht der Welt”. Er sagt es zu einem Simon und Andreas, die mit einem Fischernetz ihre Brötchen verdienen: “Ihr seid’s.” Er sagte es zu einem Johannes und Jakobus, die im Kleinhandel ihr Geld zusammenkratzen: “Ihr seid’s”. Er sagte es zu einem Judas und Levi, die mit Wegezöllen ihren Unterhalt bestreiten: “Ihr seid es”. Er sagt es zu allen Nachfolgern, die nicht zu den großen Kirchenleuchten oder großartigen Koryphäen zählen, sondern eher zu den ganz kleinen Marschierern gerechnet werden: “Ihr seid das Licht der Welt”. Jesus ist also anderer Meinung als die selbstbewussten Römer, die Christen als dumme Esel in Stein verewigten und darüber lachten. Christus ist anderer Meinung als die hochgebildeten Griechen, die Christen als kleinkarierte Provinzler abqualifizierten und nicht mit ihnen redeten. Er ist auch anderer Meinung als selbstbewusste Zeitgenossen, die Christen als Tranfunzeln der Gesellschaft, als Stalllaternen der Weltgeschichte, als Schlusslichter am Zug der Zeit behandeln und sie wie Dreck ansehen. Jesus bleibt dabei, selbst wenn es seine Leute sehr mit Minderwertigkeitskomplexen zu tun haben und sich unwert vorkommen. “Ihr seid’s”. Nicht “Ihr sollt es sein”, “Ihr müsst es sein”, “Ihr dürft es sein”, “Ihr könnt es sein”, sondern “Ihr seid das Licht der Welt”.

Aber: Wie, wo und für wen? Weil Jesus unsere bangen und erschrockenen Rückfragen kennt, deshalb ist eine Gebrauchsanweisung und eine Platzanweisung und eine Dienstanweisung angefügt, die wir tunlichst beachten.

Zum Ersten:

1. Die Gebrauchsanweisung

… gibt Auskunft darüber, wie das Licht zum Brennen kommt. Betreten wir einmal ein altisraelitisches Fellachenhaus. Nach unseren Maßstäben war es ein Einzimmerappartement in Einfachstausführung. Der einzige Raum mit diesen winzigen Rundlöchern in der Lehmwand diente als Wohnzimmer, als Schlafzimmer, als Küche und Stall zugleich, also so ein Wohnwaschzimmer mit Tierzuchthaltung. Wenn es nun Abend geworden ist, konnte die Hausfrau nicht einfach am Schalter knipsen und eine Lampe anzünden. Edison ist erst 2.000 Jahre später geboren. Sie ging zum Regal und langte ein Schälchen. Sie putzte das Metall und säuberte den Docht. Sie holte das Ölkännchen und goss Öl nach. Ein schmuckes und edles und originelles Lämpchen, aber gebrannt hat es noch lange nicht. Öllämpchen sind keine Selbstzünder. Sie musste schon Glut im Hause haben. Erst am offenen Feuer konnte sie es entzünden. Lichter im Haus müssen durch Licht angezündet werden.

Und Lichter in der Welt auch. Wir mögen hergerichtet und herausgeputzt sein. Wir mögen edle und originelle Persönlichkeiten sein. Wir mögen sprühen vor Witz und funken vor Begabung. Brennen tun wir noch lange nicht. Menschen sind keine Selbstzünder, selbst wenn sie einen Geistesblitz nach dem anderen zünden. Es braucht schon Glut im Hause, Flammen des Geistes und Feuer der Liebe. Genau das aber hat dieser Gott in dieser Welt gezündet. Er konnte es nicht länger mit ansehen, wie seine leute sich im Dunkeln die Köpfe einrennen und einschlagen. Er entzündete sein Herz über diesem Elend und Jammer unserer Welt. Dieser Gott wollte das Beste für uns und deshalb gab er auch sein Bestes. An Weihnachten ist sein Sohn Jesus geboren und unsere Väter haben gesungen: “Das ewig Licht geht da herein gibt der Welt ein neuen Schein“. Ich weiß, am Karfreitag hat es noch einmal ganz anders ausgesehen, als es nachmittags um drei stockdunkel wurde, aber am Ostermorgen zerschnitt dieses Licht alle Finsternis und seither wissen wir doch: Jesus ist kein Irrlicht, das ein paar Jünger an der Nase herumführte. Dieser Jesus ist kein Rücklicht, das nur die Vergangenheit erhellt. Er ist auch kein Blaulicht, das einen Unfall markiert oder gar ein Stopplicht, das uns interessante Wege abschneiden will. Jesus ist Glut, Flamme, Feuer. Dieses Feuer brennt heute. Unsere Gluten werden kalt, unsere Flammen werden kleiner, unsere Feuer sterben ab. Dies licht ist ewig. Es scheint jetzt.

Manche lassen sich etwas anscheinen, wenn sie zum Gottesdienst oder zur Bibelstunde kommen. Aber nachher ist es wieder Nacht in ihrem Leben. Manche lassen sich sogar etwas erwärmen, wenn sie biblische Texte von einem lieben Heiland hören, aber nachher sind sie so kalt wie eh und je. Und wieder andere, die lassen sich sogar erhitzen, wenn nur genug Hallelujah gerufen wird. Aber der fromme Temperatursturz lässt nicht lange auf sich warten. Jesus, der mit Recht von sich sagen konnte, “Ich bin das Licht der Welt”, will nicht nur etwas anstrahlen oder erwärmen oder gar erhitzen, sondern er will anbrennen. Seine Glut will uns entfachen. Feuer und Flamme sollen wir für Jesu sein. Ob wir nicht doch wieder und öfters mit Gerhard Tersteegen beten sollten: “Dein holdes Angesichte zum Segen auf mich richte, erleuchte und entzünde mich“? Du kennst mein armes und geschlagenes Leben heute Morgen: Erleuchte und entzünde mich.

Lichter müssen durch Licht angezündet werden, das ist die Gebrauchsanweisung.

Und das Zweite:

2. Die Platzanweisung

… gibt Auskunft darüber, wo das Licht zu brennen hat. Schauen wir uns in unserem Lehmbungalow noch einmal um, nachdem das Feuer angezündet ist. Es kostete schon erhebliche Mühe, bis es nicht nur etwas glimmte oder rußte oder flackerte, sondern ruhig brannte. Nachdem dieses Licht also endlich angezündet war, trug es die Hausfrau ins Zimmer. An einer ganz bestimmten Stelle stand die Leuchte. Das war ein aus einem Baumzweig gefertigter Ständer, auf den dieses Licht gesetzt wurde. Dort an diesem Platz platzierte sie das Licht und nirgends anders. Man hätte die Hausfrau belehren können über andere Stellplätze der Beleuchtung: Wie wäre es denn an der Wand zwischen Asparagus und Azalee, als Wandbeleuchtung, die das Zimmer freundlich macht? Oder wie wäre es dort im Fenster zwischen Regal und Gardine, als Fensterbeleuchtung, das man auch von außen sieht? Oder wie wäre es denn auf dem Tisch zwischen Kaffee und Kuchen als Tischbeleuchtung, die alles festlich stimmt? Aber die Hausfrau weiß es besser: Das Licht im Haus gehört auf den Leuchter und die Lichter in der Welt auch.

Wenn unser Herz entzündet ist - und es kostet Gott schon erhebliche Mühe, bis es nicht nur etwas glimmt oder fackelt, sondern endlich ruhig brennt -, wenn dieses Licht endlich angezündet ist, dann trägt es Gott in die Welt. Und an einer ganz bestimmten Stelle steht der Leuchter, der für uns bestimmt ist. Bei dem einen besteht er aus einem Schreibtisch, der vor lauter Akten kaum noch zu sehen ist. Beim andern besteht ich er aus einer Drehbank, die acht Stunden am Tag unaufhörlich läuft. Und beim dritten ist es ein Lenkrad, das keinen Augenblick aus der Hand gegeben werden darf. und beim Vierten ist es ein Herd, beim Fünften einen Bildschirm und beim Sechsten ein Krankenbett. Jeder hat seine ganz bestimmte Stelle, wo er zu stehen hat. Und nun wollen wir Gott belehren, bessere Stellplätze für unsere Leben zu suchen. “Herr, wie wäre es denn mit mir statt im Vorzimmer im Chefsessel? Wie wäre es denn mit mir statt im Lehrlingssaal im Hörsaal in Tübingen? Wie wäre es denn mit mir statt im Außendienst im Innendienst? Wie wäre es denn statt mit mir im Heim in den eigenen vier Wänden? Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück, so wird es uns eingeflüstert.

Aber Gott weiß es besser. Er bestimmt den Stellplatz unseres Lebens, den Leuchter bestimmt er. Machen wir uns doch nichts vor, als ob wir an anderen Plätzen besser und größer herauskommen! Wer Gott ins Handwerk pfuscht, verpfuscht sein ganzes Leben. Schauen Sie doch nicht nach anderen Orten, wo es ihnen besser erginge. Stoppen Sie doch das Sehnen nach anderen Plätzen, wo es ihnen angeblich wohl wäre. Sagen Sie an diesem Morgen ein neues Ja zur Platzanweisung ihres Lebens, auch wenn es im Moment schwierig und schwer aussieht. Denn “Gott hat es alles wohl gemacht und alles, alles recht gemacht. Gebt unserem Gott die Ehre.

Lichter gehören auf den Leuchter, das ist die Platzanweisung.

Und das Dritte und Letzte:

3. Die Dienstanweisung

… gibt Auskunft darüber, für wen das Licht zu brennen hat. Werfen wir einen letzten Blick in unser Fellachenhaus. Die Hausfrau hat ihr Licht angezündet. Und nun eilt sie nicht schnell in die Kochecke, um dort einen Scheffel, ein 12-Liter-Gefäß zu besorgen, damit sie es über das Licht stülpe. Was wäre das für ein Unding! Ein Licht anzünden und es unter einem Eimer ersticken, das wäre doch kompletter Nonsens! Ein Licht muss leuchten, damit andere sehen können, damit man sich orientiert, damit man sich nicht über den Haufen rennt, damit Gefahren und Schrecken sich nicht einnisten können. Lichter sind dazu da, um anderen heimzuleuchten.

Und Lichter in dieser Welt auch. Liebe Freunde, Gott stellt keinen in die Ecke. Was wäre das für ein Unsinn! Gott deckt keinen mit irgendeinem Gefäß ab. Was wäre das für ein Nonsens! Gott lässt keinen im religiösen Untergrund verschwinden. Was wäre das für ein Schildbürgerstreich! Gott will, dass unser Licht so leuchtet, dass andere nach Hause finden. Dazu braucht es gar keine starke Illumination, dazu braucht es kein bengalisches Feuerwerk, ein kleines und schwaches Licht genügt für diesen Dienst.

Wer denkt in diesem Moment nicht an jenen Amerikafahrer, der von zuhause durchbrannte, um drüben auf dem neuen Kontinent sein Glück zu suchen? Aber das Gold lag nicht auf der Straße. Und so war es schließlich am Ende und schlug sich nach Hause durch. Endlich kam er im heimatlichen Dorf an, in dem es stockdunkel war. Nur in einem einzigen Haus brannte Licht. Dort musste er hin. Dort wartete man auf ihn. Dort war er daheim.

Viele, liebe Freunde, viele sind von Gott durchgebrannt, weil sie meinten, in dieser Welt ihr Glück zu finden. Aber das Gold liegt nicht auf der Straße. Und nun sind sie ausgebrannt und abgebrannt und am Ende. Wer zeigt ihnen den Weg, wer bringt sie nach Hause, wer leuchtet ihnen heim? Selig sind, die Heimweh haben und die nach Hause kommen. Jesus sagt: “Ihr seid das Licht”. Keiner ist unwert. Keiner ist unnütz. Keiner ist ungebraucht. Und selbst wenn Sie nur ein ganz schwaches Lebenslicht haben und Sie befürchten, dass es jeden Augenblick ausgehen könnte. Einer kann durch Sie immer noch nach Hause kommen. Jesus greift nicht zu hoch und er übertreibt nicht, wenn er Ihnen persönlich sagt: “Sie sind das Licht der Welt.”

Amen.