Einstieg ins Gebet: Die Sehnsucht nach einem lebendigen Gebetsleben
Sind Sie mit Ihrem Gebetsleben zufrieden?
In den letzten beiden Jahren war ich jeweils Anfang Januar für eine Woche in England. Mein Gastgeber war ein ehemaliger Pastor, ein älterer Herr über achtzig Jahre, der ein sehr aktives Gebetsleben hatte. Während dieser Woche hörte ich immer wieder die Worte: Wenn wir über irgendetwas sprachen, das entweder zu Lobpreis führen sollte oder wo wir Gottes Hilfe brauchten, sagte er immer wieder: „Matthias, we must pray.“
In seiner Gegenwart wurde mir klar, wie viel ich noch über das Gebet lernen muss. So ähnlich erging es einst einem Jünger Jesu.
Darüber berichtet das Lukasevangelium in Kapitel 11. Dort sieht ein Jünger Jesus beten. Als Jesus aufgehört hatte, bat der Jünger ihn: „Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte.“
Heute, zu Beginn der Allianz-Gebetswoche, wollen wir uns dieser Bitte anschließen. Wir wollen den Herrn bitten, uns zu belehren und zu lehren, damit unser Gebetsleben besser und lebendiger wird.
Ich möchte genau darum den Herrn bitten, bevor ich weiterrede und predige. Ich bete: Lieber Vater, du bist ein großartiger Gott, gepriesen seist du.
Herr, wir wollen dich bitten, dass wir jetzt in dieser Predigt, in der du großgemacht wirst, auf dich schauen als den Gott, dem unsere Anbetung gebührt. Wir bitten dich, dass du uns hilfst, in unserer Not so zu beten, wie es dir gefällt und wie es gut ist. Lass uns mehr beten und darauf vertrauen, dass Gebet etwas bewirkt.
Herr, wir bekennen dir, dass wir oft nicht so beten, wie wir es sollten, dass wir oft nachlässig im Gebet sind. Herr, vergib uns und verändere uns. Tu das, indem du nun zu uns sprichst durch dein Wort. Amen!
Unser Predigttext heute Morgen steht im Lukasevangelium, Kapitel 11, die ersten dreizehn Verse. Ich werde den Text nicht ganz vorlesen, sondern ihn abschnittsweise betrachten. Es hilft sicherlich, den Predigttext vor sich zu haben. Er findet sich auf Seite 85 im Neuen Testament in den ausliegenden Bibeln, also Lukas 11,1-13.
Jesus als Vorbild im Gebet
Zu Beginn dieses Abschnitts sehen wir Jesus nicht als Lehrer, der Worte zu seinen Jüngern spricht, sondern als jemanden, der durch sein Vorbild lehrt. Jesus selbst ist im Gebet. So heißt es zu Beginn: „Und es begab sich, dass er, und das ist Jesus, an einem Ort war und betete.“ Das allein ist faszinierend. Der Sohn Gottes, dem unsere Anbetung gebührt, ist im Gebet.
In der Tat zeigt uns das Lukasevangelium Jesus immer wieder im Gebet. Schon in Kapitel 3, Vers 21, sehen wir, dass Jesus bei seiner Taufe betet. In Kapitel 5, Vers 15 und 16, zieht sich Jesus, als er sehr populär ist und die Massen zu ihm strömen, zurück, um zu beten. In Kapitel 6, Vers 12, wird berichtet, dass er sich am Abend vor der Berufung der zwölf Apostel auf einen Berg zurückzieht, um zu beten.
In Kapitel 9, unmittelbar vor dem Christusbekenntnis des Petrus und dem beginnenden Weg zum Kreuz, sehen wir Jesus im inständigen Gebet. Später in Kapitel 9 nimmt Jesus Petrus, Johannes und Jakobus mit auf einen Berg, um dort zu beten. Dort wird er dann verklärt. Jesus wird immer wieder im Gebet gezeigt, auch kurz vor seiner Gefangennahme im Garten Gethsemane betet er inständig und immer wieder.
Ohne jeden Zweifel war Jesus selbst ein Mann des Gebets. Der Hebräerbrief beschreibt Jesus mit den Worten: „Er hat in den Tagen seines irdischen Lebens bitten und flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte, und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt.“ Jesus ehrt seinen himmlischen Vater und betet zu ihm.
So provoziert Jesus quasi die Frage des Jüngers, diese Frage, diese Bitte: „Herr, lehre uns beten.“ Vielleicht können wir uns kurz Jesus als Vorbild nehmen und uns fragen: Wie ist das eigentlich mit uns? Nehmen Menschen in deinem Umfeld wahr, dass du eine lebendige Beziehung zu Gott hast? Willst du jemand sein, zu dem andere kommen, um etwas zu lernen – über Gebet, darüber, was es heißt, Christ zu sein?
Ich möchte uns in besonderer Weise Eltern herausfordern, besonders diejenigen unter uns, die vielleicht noch jüngere Kinder haben. Wir wissen, dass unsere Kinder mehr von uns durch das, was wir tun, lernen als durch das, was wir sagen. Was bringen wir unseren Kindern durch unser Vorbild bei? Was lehren wir sie über Gebet und die Nachfolge des Herrn Jesus Christus?
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich glaube nicht, dass unser geistliches Leben in erster Linie dazu da sein sollte, dass es für andere ein Vorbild ist. Nein, es sollte etwas sein, das wir ganz bewusst tun, um unsere Beziehung zu unserem Herrn zu pflegen. Und doch sollten wir danach streben, so zu leben, dass es auch ein Vorbild für andere sein könnte – ein Leben, das Fragen provoziert.
Jesus lebte so ein Leben. Deshalb kommt diese Frage, und ich denke, sie ist bedenkenswert: Ein Jünger sieht Jesus beten und sagt: „Das will ich auch können, lehre mich!“ Wie ist das bei uns? Gibt es Menschen in unserem Umfeld oder in der Gemeinde, die mehr Leben, mehr Lebendigkeit haben? Die etwas haben, was ich gern hätte? Sind wir dann bereit, zu diesen Menschen hinzugehen und zu sagen: „Lehre mich!“?
Ganz ehrlich: Ich kenne mein stolzes Herz. Ich prahle lieber mit dem, was ich kann und weiß, als dass ich mich demütige und zugebe, dass ich lernbedürftig bin. Ich muss mich immer wieder überwinden, meinen Stolz bewusst zu überwinden, um in mir selbst die Bereitschaft zu fördern, mich belehren zu lassen. Wie ist das bei Ihnen?
Ich denke, heute Vormittag sollte es uns allen relativ leichtfallen. Ich habe wenige Menschen bisher kennengelernt, die mit ihrem Gebetsleben komplett zufrieden sind. Vor allem, wenn der Lehrer nicht einer unter uns ist, sondern der Herr Jesus selbst, dann wollen wir zuhören. Und das wollen wir jetzt tun.
Was wir beten sollen: Die Lehre Jesu zum Vaterunser
Wir wollen uns dem Text zuwenden und sehen, was Jesus auf diese Bitte hin zu sagen hat. Dabei erkennen wir, dass Jesus tatsächlich zwei Dinge anspricht.
Zuerst lehrt Jesus in den Versen 2 bis 4, was wir beten sollen. Anschließend zeigt er uns in den Versen 5 bis 13 anhand von zwei beispielhaften Geschichten, wie wir beten sollen.
Das sind die beiden Hauptpunkte dieser Predigt, mit einigen Unterpunkten. Grob gesagt geht es um Lukas 11,2-4: Was wir beten sollen, und dann um die Verse 5 bis 13: Wie wir beten sollen.
Zuerst zur Lehre darüber, was wir beten sollen. Jesus hatte bereits im Rahmen der Bergpredigt das Vaterunser gelehrt. Hier nun lehrt er in diesen Versen eine leicht veränderte, etwas gekürzte Fassung dieses Gebets.
Ich denke, allein die Tatsache, dass die Wortwahl nicht identisch ist, zeigt, dass es Jesus nicht darum geht, dass wir genau diese Worte beten. Daran ist nichts falsch. Ich hatte sogar vorgeschlagen, das Vaterunser im Gottesdienst zu beten. Aber es geht nicht um die exakten Worte. Vielmehr will Jesus uns grob Kategorien geben, wie wir beten sollen. Deshalb gibt es eben auch diese leichten Unterschiede.
Schauen wir uns kurz den Text dieses leicht revidierten, veränderten Vaterunsers im Lukas-Evangelium, Verse 2 bis 4, an:
Jesus sprach zu ihnen: »Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, unser tägliches Brot gib uns Tag für Tag, und vergib uns unsere Sünden, denn auch wir vergeben allen, die an uns schuldig werden, und führe uns nicht in Versuchung.«
Sind deine Gebete so strukturiert? Entsprechen die Inhalte diesem Gebet?
Dieses Gebet hat grob drei Teile, was relativ leicht zu erkennen ist. Es beginnt mit der Bitte, dass wir uns selbst ganz auf Gott ausrichten wollen: »Vater, dein Name werde geheiligt, dein Reich komme.« Ein sehr gottzentriertes Gebet.
Gottzentrierte Ausrichtung im Gebet
Beginnen wir unsere Gebete ganz bewusst damit, dass wir uns vollständig auf Gott ausrichten. Herr, du bist unser Vater, du bist es wert, gelobt, gepriesen und geliebt zu werden. Geheiligt werde dein Name in aller Welt – das ist unser Anliegen, durch unser Leben und durch alle Menschen.
„Dein Reich komme, Herr, bringe Menschen zu dir, damit sie dich in deiner ganzen Herrlichkeit erkennen.“ Herr, das ist unser erstes Anliegen.
So kommen wir nicht als Bittsteller oder Auftraggeber zu Gott mit der Bitte: „Tu das für mich.“ Stattdessen kommen wir als Anbeter. Wir besinnen uns darauf, wofür wir wirklich leben. Wie Jesus an anderer Stelle lehrt, trachten wir zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit. So wird euch alles andere zufallen. Genau das lehrt er hier auch.
Bevor wir auf uns selbst schauen, unsere Nöte und Bedürfnisse bedenken, sollten wir auf Gott schauen – auf unseren himmlischen Vater. Ihn anbeten und nach seinem Reich streben, das ist der erste Aspekt des Vaterunsers. Es ist ein gottzentriertes Gebet, ein Gebet, in dem wir uns ganz bewusst auf ihn ausrichten und nicht auf uns selbst schauen.
Das tägliche Brot als Ausdruck der Abhängigkeit
Nachdem wir diese Beziehung hergestellt und auf ihn geschaut haben, ihn als den erkannt haben, der im Zentrum aller Dinge steht, lehrt Jesus, dass wir ihm auch unsere Nöte bringen sollen. Das ist der zweite Teil des Gebets.
Jesus lehrt, dass wir beten sollen: „Unser tägliches Brot gib uns Tag für Tag.“ Das ist bedenkenswert. Hier wird uns nicht gesagt, dass es verboten sei, für längerfristige Bedürfnisse oder größere Dinge zu beten – ganz sicher nicht. Aber wir sollten täglich um das bitten, was wir wirklich brauchen. So besinnen wir uns Tag für Tag darauf, dass alles, was wir haben, von Gott kommt.
Ich kenne mein eigenes Herz und weiß, wie es bei mir funktioniert. Oft nehme ich viele Dinge für selbstverständlich hin, die ich bereits habe, und denke, dafür brauche ich Gott nicht. Stattdessen bitte ich ihn für das Extra, für das Besondere. Doch Jesus lehrt hier: Selbst unser tägliches Brot kommt von Gott. Natürlich hast du einen Arbeitgeber, verdienst Geld und kaufst dir damit etwas. Aber letztendlich ist alles, was du hast, von Gott.
Bedenke das täglich und bitte ganz bewusst Gott darum, dir zu geben, was du brauchst – wohlgemerkt, was du wirklich brauchst. Hier geht es nicht um ein Gebet für Kaviar und Porsche, sondern um unser tägliches Brot.
Ich denke, das ist die große Herausforderung unserer Zeit. Uns wird ständig eingeredet und suggeriert, was wir alles brauchen. Ja, nicht nur brauchen, sondern auch verdienen – das Grundbedürfnis nach Kaviar und Porsche. Vielleicht nicht Kaviar und Porsche, aber zumindest Schokolade und einen VW Golf.
Unser tägliches Brot gibt uns heute, wenn wir uns darauf besinnen, was wir wirklich brauchen. Dass der Herr uns gibt, was wir wirklich brauchen, wird unser Herz verändern. Denn dann sind wir nicht undankbar für all die vielen Dinge, die wir nicht haben, sondern dankbar für das, was wir wirklich brauchen.
So kommen wir dankbar vor Gott. Gott ist ein ganz großzügiger Gott und gibt uns oft viel mehr, als wir brauchen. Dafür sollten wir ihn loben und preisen. Aber das soll nicht der Fokus unseres Gebets sein. Wir sollten beten für das, was wir Tag für Tag brauchen. Das ist der zweite Teil des Gebets.
Die Bitte um Vergebung und Befreiung von Versuchung
Und dann folgt der dritte Teil des Gebets, eine Bitte um etwas, das wir alle noch dringender brauchen als unser tägliches Brot. In Vers vier lesen wir: „Vergib uns unsere Sünden, denn auch wir vergeben allen, die an uns schuldig werden, und führe uns nicht in Versuchung.“
Dies ist der dritte Teil des Gebets, das der Herr uns lehrt. Ist das ein Bestandteil deines Gebets? Ein Bekenntnis deiner Sünden? Lieber Vater, vergib mir, vergib mir ganz konkret die Dinge, die ich heute getan habe, die ich gestern getan habe, die ich gesagt habe, ja, die ich gedacht habe, die dich nicht geehrt haben, die deinen Namen nicht gepriesen haben. Dinge, die dir nicht gefallen können. Und vergib mir auch all das, was ich hätte tun und sagen sollen, es aber nicht getan und nicht gesagt habe. Herr, vergib mir!
Wenn du dieses Gebet noch nie gebetet hast, dann hast du wahrscheinlich überhaupt noch nie richtig gebetet. Nur wenn wir unsere Sünden vor Gott gebracht haben und bei ihm Vergebung für unsere Sünden gefunden haben, können wir ihn überhaupt als unseren Vater ansprechen. Das ist die Grundlage für diese Vater-Sohn-Beziehung. Die Grundlage allen Gebets ist die Bekehrung zu Gott hin.
Wir müssen umkehren. Wir alle brauchen diese Umkehr auf einen neuen Weg, den Weg des Glaubens an Jesus Christus als den Retter und Herrn. Jesus Christus ist primär Mensch geworden – nicht in erster Linie, um unser Vorbild zu sein oder uns zu lehren. Nein, primär ist er gekommen, um uns aus unserer selbstverschuldeten Trennung von Gott zu befreien und uns in eine ganz innige Vater-Sohn-Beziehung mit Gott zurückzubringen.
Nach dem Sündenfall war diese Beziehung zerstört. Nicht aufgrund der Rebellion der ersten Menschen im Garten Eden gegen das eine gute Gebot Gottes waren diese Menschen von Gott getrennt, sondern sie wurden von ihm weggeschickt. Doch Gott liebt seine Schöpfung, Gott liebt uns, und deswegen ist er zu uns gekommen. Da, wo wir von ihm getrennt waren, ist er zu uns gekommen, um diese Beziehung wiederherzustellen.
Deshalb wurde er Mensch, deshalb hat er vorbildhaft gelebt, deshalb hat er gelehrt und ein Leben geführt, das vollkommen frei war von aller Schuld. Jesus musste dieses Gebet nie beten: „Vergib mir meine Sünden.“ Und dann ging er ans Kreuz, um dort eben nicht seine Schuld zu bezahlen, sondern als stellvertretendes Opfer zu sterben.
Er hat dort eine Strafe auf sich genommen, die wir verdient haben, weil wir alle Sünden in unserem Leben haben. So starb Jesus am Kreuz, damit wir mit Gott versöhnt sein können, damit unsere Schuld, die uns von Gott dem Vater trennt, weggenommen wird und wir wieder Zugang zu unserem Vater haben.
Am dritten Tag ist er auferstanden und hat bewiesen, dass dieses Opfer genügt hat. Gott, der Vater, hat es akzeptiert. Er hat seinen Sohn, der mit aller Schuld der Welt beladen war, freigesprochen. Die Schuld war nun gesühnt, der Sohn kommt zum Vater. Und wir dürfen wissen: Der Weg ist frei – auch für uns, für alle, die sich ihm zuwenden und von ihrem Leben in der Sünde umkehren.
Deswegen ist dieses Gebet so wichtig: „Vergib uns unsere Sünden und führe uns auf einem neuen Weg in deiner Herrschaft, führe uns hin in dein Reich.“ Wenn du dieses Gebet noch nie gebetet hast, möchte ich dich einladen, es heute zu tun – vielleicht direkt im Anschluss an diese Predigt. Dort werden wir eine Zeit haben, in der wir uns noch einmal in aller Ruhe mit diesen Worten des Vaterunsers beschäftigen wollen.
Vielleicht ist das eine Gelegenheit für dich, in aller Ruhe vor Gott zu treten. Sprich danach gerne jemanden an – Herrn Lars Göl, mich oder einen der Ältesten –, damit wir mit dir weiter darüber ins Gespräch kommen können.
Doch Jesus lehrt dieses Gebet nicht nur für Menschen, die ihn noch nicht kennen. Er lehrt es als ein modellhaftes Gebet für seine Jünger, für uns. Denn wir alle brauchen das täglich. Wir brauchen das Bewusstsein, dass wir Sünder sind, dass wir ihn wirklich brauchen und dass er für uns da ist – jeden Tag.
Jesus fordert uns dazu auf, zu bedenken, wie abhängig wir von ihm sind und wie gut er es mit uns meint, wie sehr er uns liebt. Auch das verändert uns – dieses ständige Besinnen darauf, dass wir bei ihm in der Tat diese Antwort finden: „Vergib uns unsere Sünden.“ Und er sagt ja, der Herr sagt ja in Jesus Christus.
Interessant ist, dass Jesus deutlich macht: Wir sollen nicht nur Empfänger von Vergebung sein, sondern auch bereit sein, anderen zu vergeben. Tatsächlich wird dies hier quasi als Voraussetzung genannt oder zumindest als eng damit verbunden dargestellt.
Das heißt: Wenn wir die Gnade Gottes erleben und sie für uns in Anspruch nehmen, also Vergebung unserer Schuld vor dem heiligen Gott, dann sollten wir bereit sein, allen Menschen – wohlgemerkt allen Menschen –, die sich gegen uns versündigt haben, zu vergeben.
Ich möchte dich fragen: Kannst du dieses Gebet auch hier und heute mitbeten? „Vergib mir meine Sünden, denn auch ich vergebe allen, die an mir schuldig geworden sind.“
Das ist vielleicht für uns Christen eine Gelegenheit, nachher noch einmal ganz bewusst vor Gott zu treten, in aller Stille. Unser Herz zu erforschen und zu sagen: Ja, ich möchte so leben, als ein Mensch, der Gnade erfahren hat und diese Gnade anderen gegenüber widerspiegelt.
Schließlich lehrt uns Jesus noch etwas Letztes: Wir sollen nicht nur unsere Sünden vor Gott bringen und uns darauf besinnen, dass wir nicht nur Vergebung empfangen, sondern auch weitergeben. Nein, wir sollen auch beten: „Und führe uns nicht in Versuchung.“
Betest du aktiv gegen Versuchungen an?
Das Gebet als Kampf gegen Versuchung und der Umgang mit Gottes Willen
Am Freitag habe ich meinen fünfzehnten Geburtstag gefeiert. Vorgestern, vor fünfzehn Jahren, bin ich zum Glauben gekommen. Einige Tage davor war ich mit einem Christen unterwegs, und ich wusste, dass der Herr mich zieht. Noch zögerte ich, noch widerstand ich, aber ich wusste, worum es ging, und ich hatte viele Fragen.
Eine ganz wichtige Frage für mich war damals: Wie weit darf ich als Christ noch gehen? Was muss ich tun, und was darf ich nicht mehr tun, wenn ich Christ werde? Ich bekam eine sehr weise Antwort, die mir damals sehr geholfen hat und die mir auch heute noch hilft.
Die Antwort war: Die Frage, lieber Matthias, ist nicht, wie weit du gehen darfst. Wenn du wahrhaft ein Kind Gottes bist, dann darfst du wissen, dass Gottes Gnade immer größer ist als deine Sünde. Die Frage ist, ob du wirklich Glauben hast, ob du darauf vertraust, dass Gott dich liebt und es wirklich gut mit dir meint.
Weißt du, Matthias, wenn du das von Herzen glaubst, dann wirst du anfangen, Sünde zu hassen und deshalb ganz aktiv und intensiv gegen Versuchung zu kämpfen. Du wirst sie nicht mehr wollen. Du wirst nicht ausloten, wie weit du gehen kannst, sondern du wirst sie verabscheuen.
Ein guter Test für mich bis heute ist, wo mein Herz ist. Im Gebet „Und führe uns nicht in Versuchung“ offenbart sich unser Vertrauen darauf, dass ein Leben im Gehorsam gegenüber Gott besser und erstrebenswerter ist als ein Leben, in dem ich guter Dinge bin, dass Gott mir schon vergeben wird.
Ich möchte uns ermutigen, dieses Gebet immer mehr zur Vorlage für das zu machen, was wir beten. Ich habe das immer mal wieder in meinem christlichen Leben in den letzten 15 Jahren getan. In den letzten zwei Wochen habe ich es ganz bewusst jeden Morgen gemacht und mir mehr Zeit genommen, durch diese Kategorien zu beten.
Ich muss sagen, mein Gebetsleben in den letzten zwei Wochen war so gut wie lange nicht mehr. Es hilft uns, uns von Gott belehren zu lassen. Jesus weiß tatsächlich, wie gut das Gebet geht. Das ist ja erstaunlich, nicht wahr?
Ich möchte Sie ermutigen: Lassen Sie uns von Jesus lernen, dass unsere Gebete Gott zentriert sein sollen. Gebete, in denen wir vertrauensvoll um das bitten, was wir wirklich brauchen, und in denen wir uns bewusst machen, wie sehr wir Gott brauchen und in Jesus Christus in der Vergebung unserer Schuld schon mehr bekommen haben, als wir uns jemals hätten erträumen können.
Lassen wir uns ganz bewusst auch gegen Versuchung anbeten. Das ist also das, was Jesus uns lehrt darüber, was wir beten sollen.
Wie wir beten sollen: Zwei Gleichnisse über Ausdauer und Vertrauen im Gebet
Im Anschluss erzählt Jesus zwei Geschichten, die auf den ersten Blick etwas seltsam erscheinen. Sie sollen uns lehren, wie wir beten sollen. Diese wollen wir zum Abschluss der Predigt nur kurz betrachten. Ich lese die längeren Texte vor und werde dazu einige Anmerkungen machen.
Wir beginnen in Vers 5, wo wir Folgendes lesen: „Und er, also Jesus, sprach zu seinen Jüngern.“ Er hört also nicht beim Vaterunser auf, sondern macht weiter:
„Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: ‚Lieber Freund, leih mir drei Brote, denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann.‘ Und er drinnen würde antworten und sprechen: ‚Ah, mach mir keine Unruhe, die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett. Ich kann nicht aufstehen und euch etwas geben.‘ Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann würde er es doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.“
Und weiter sagt Jesus: „Ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt, und wer da sucht, der findet, und wer da anklopft, dem wird aufgetan.“
Eine seltsame Geschichte, oder? Gott wird hier mit einem schläfrigen, widerwilligen Mann verglichen. Das müssen wir uns klar machen. Gott wird hier dargestellt als jemand, der nur deshalb der Bitte seines Freundes nachkommt, weil dieser ihn unverschämt bedrängt.
Was will uns das lehren? Letztendlich ist es wie in den meisten Gleichnissen: Es geht hier nicht darum, dass dieses Gebet zu einer ungünstigen oder auch unsere Gebete zu einer ungünstigen Zeit vorgebracht werden. Es geht nicht darum, dass wir Gott durch langes Drängen überreden können, unsere Gebete zu erhören.
Der Punkt, den Jesus hier macht, ist ein anderer und sehr wichtig: Bleibt hartnäckig im Gebet! Wenn schon dieser Freund nur aufgrund seines Drängens aufsteht und gibt, um wie viel mehr wird dann euer himmlischer Vater euch geben, wenn ihr ihn bittet und dranbleibt?
Natürlich könnte man jetzt fragen: Warum gibt Gott nicht gleich? Warum reicht nicht ein Gebet? Jesus gibt darauf keine direkte Antwort. Er ermutigt uns einfach, beharrlich zu sein im Gebet: Bittet, sucht, klopft, bleibt dran!
Nicht so wie Jakob mit dem Engel. Wollte Gott ihn eigentlich nicht segnen und hat es dann nur getan, weil Jakob so ein guter Ringkämpfer war? Nein. Gott wollte sehen, dass Jakob dranbleibt, dass er wirklich danach strebt und sich ganz darauf ausrichtet. Und dann bekommt er den Segen.
Eins ist dabei aber ganz wichtig: Wir sollten niemals das Was des Gebets vom Wie des Gebets trennen. Das heißt, wir können noch so inständig um etwas bitten. Wenn das außerhalb dessen liegt, was Gott will, was wir bitten sollen, dann dürfen wir froh und dankbar sein, wenn dieses Gebet nicht beantwortet wird.
Jesus lehrt uns zuerst, was wir beten sollen, und dann sagt er: Betet inständig, bleibt dran! Unser beharrliches Gebet soll sich also an den Inhalten orientieren, die Jesus uns lehrt. So versuchen wir nicht, unseren Willen bei Gott durchzusetzen, sondern bringen unsere Bitten immer mehr in Einklang mit dem Willen Gottes.
Dabei dürfen wir darauf vertrauen, dass er alles gut machen wird und uns geben wird, was wir wirklich brauchen.
Auch das hat Jesus uns übrigens vorgemacht. Im Garten Gethsemane betet Jesus unmittelbar vor seiner Verhaftung und Kreuzigung: „Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“
Was für ein wunderbares Gebet, nicht wahr? Jesus bittet: Dein Wille geschehe. Also: Wenn du mich kreuzigen willst, dann tu es bitte. Nimm den Kelch von mir, wenn es möglich ist, aber dein Wille ist wichtiger.
Interessant ist, dass Jesus es nicht bei diesem einen Gebet belässt und dann abwartet, was passiert. Er geht immer wieder zurück, weckt die Jünger auf. Bei Lukas heißt es, dass dann ein Engel kommt und ihn stärkt. Weiter heißt es, Jesus rang mit dem Tode und betete heftiger.
Er betet und betet genau dieses Gebet. Dann ist er bereit. Er steht auf und weiß: Ich habe Gott inständig gebeten, ich habe gesucht, ich habe geklopft, ich habe alles getan. Jetzt weiß ich, dass Gott seinen Willen tun wird und dass das gut sein wird.
Jetzt ist Jesus bereit, ans Kreuz zu gehen.
Auch das ist etwas, was Gebet in uns tut.
Betest du so? Hast du im Gebet nachgelassen? Ich möchte ermutigen: Gib nicht auf! Lerne von Jesus, was du beten sollst, und dann bete und bete und bete!
Der berühmte Indianermissionar William Carey ging 1793 nach Indien. Er betete und evangelisierte. Eine Woche, zwei Wochen, ein Monat, zwei Monate, ein Jahr, zwei Jahre – und nichts passierte.
Aber er kannte dieses Gebet: „Vater, dein Name werde geheiligt, dein Reich komme auch hier in Indien.“ Und er macht weiter, er betet weiter.
Nach über sieben Jahren, Ende 1800, bekehrt sich der erste Mann, ein Hindu namens Krishna Pal, zum Glauben. Dann werden es immer mehr. Plötzlich beginnt eine Erweckung in Indien.
Gott erhört Gebet. Er tut es nicht immer so, wie wir es wollen, und nicht immer dann, wann wir es uns wünschen. Aber er tut es – und er tut es besser, als wir uns das vorstellen können.
Lasst uns ausharren im Gebet!
Vertrauen auf Gottes Güte: Die Zusage des Heiligen Geistes
Schließlich noch ein zweites Gleichnis, in dem uns Jesus etwas über das Wie des Gebets lehrt. Gebet soll ausharrend sein, das haben wir bereits gesehen. Jetzt lesen wir in den Versen elf bis dreizehn etwas Weiteres. Dort heißt es: „Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für einen Fisch bietet oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür gibt? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten?“
Die Geschichte ist ähnlich aufgebaut wie die erste, wiederum vom Kleineren zum Größeren. Menschliche Väter, so wie ich es zum Beispiel bin, sind nicht vollkommen gut. Meine Familie kann das bestätigen, meine Kinder können das bestätigen – sie müssten nur an gestern Abend denken. Und doch werde ich natürlich meinen Kindern nichts Böses tun oder ihnen großen Schaden zufügen.
Diese Bilder sind ein bisschen weit weg. Die Illustration, die ich hatte, habe ich dank meiner Frau gestrichen, weil sie ein wenig zu brutal war. Letztendlich dürfen wir aber bedenken: Der Skorpion ist ein tödliches kleines Tier, das ein Kind umbringen kann. Das Kind bittet um ein Ei und bekommt stattdessen so ein kleines Vieh, das großen Schaden anrichten kann. Das Kind bittet um einen Fisch und bekommt wahrscheinlich eine Giftschlange, die es töten kann. Absurd!
Wiederum nimmt Jesus hier ein Bild, das uns schockiert und uns denken lässt, dass Gott nicht so ist. Das ist uns schon irgendwie klar, genauso wie beim schläfrigen Mann, der keine Lust hat. Aber genau das will Jesus herausarbeiten. Er sagt: Schaut, das würde nicht einmal ein böser Mensch tun. Selbst wir menschliche Väter haben genug Liebe für unsere Kinder, dass wir so etwas nicht tun würden. Wenn doch, dann sprecht bitte mit mir nachher darüber.
Wie ist das dann bei Gott? Gott ist unser Vater – so haben wir das Gebet begonnen: Vater! Und er ist frei von aller Schuld, er ist perfekt, er ist heilig. Beten wir denn nicht so, dass wir voller Vertrauen zu ihm kommen? Wenn wir Gott um ein Ei oder einen Fisch bitten oder um unser tägliches Brot oder das, was wir wirklich brauchen, dann dürfen wir darauf vertrauen, dass unser Vater, der allmächtig ist und Zugang zu allen Dingen hat, uns in seiner Großzügigkeit, in seiner Liebe, in seiner Vaterliebe geben wird, was wir brauchen.
Das beinhaltet, dass Gott manchmal ebenso wie menschliche Väter weiß, dass das, was wir erbitten, nicht gut für uns ist. Ich gebe meiner Tochter Christi Rose nicht morgens, mittags und abends Schokolade, auch wenn sie mich noch so oft bittet, denn ich weiß, das ist nicht gut für sie. Sie kann das nicht abschätzen, sie denkt, das ist gut und lecker. Ich weiß, dass es nicht so ist. Und Gott weiß alles. Er weiß ganz genau, was gut für uns ist. Deshalb gibt er uns das, was wir brauchen.
Betest du so, voller Vertrauen in diesen absolut guten himmlischen Vater, der dich so sehr liebt, dass er dir seinen eigenen Sohn gegeben hat, damit dieser am Kreuz stirbt, damit du leben kannst? Glaubst du nicht, dass ein Gott, der dich so sehr liebt, dir immer geben wird, was du brauchst und was gut für dich ist?
Wie wäre es, wenn Gott dir nicht nur zusagt, dass du eines Tages alles haben wirst – Fülle, wunschlos glücklich sein wirst –, sondern dir auch jetzt schon einen Pfand, einen Unterpfand gibt? Genau das hat Gott getan. Er hat allen, die im Glauben zu ihm kommen, allen Gläubigen, seinen Heiligen Geist gegeben. Dieser Geist steht uns hier auf Erden in allen schwierigen Situationen bei – als Helfer, als Tröster, als Fürsprecher.
Über ihn heißt es im Epheser 1: Er ist das Unterpfand unseres Erbes zur Erlösung, damit wir sein Eigentum werden zum Lob seiner Herrlichkeit. Das bedeutet: Bis zur endgültigen Erlösung, bis zum Herauskommen aus dieser gefallenen Welt und dem Kommen in Gottes Gegenwart, in sein vollkommenes Reich, wo wir Fülle haben und keine Bitten mehr übrig bleiben werden, steht Gott uns hier bei.
Er lädt uns ein: Bringt mir alles, was ihr an Nöten habt, was ihr an Leid habt, bringt es vor mich im Gebet. Vertraut darauf, dass ich als euer guter Vater und als der allmächtige Gott für euch sorgen werde.
Betet so! Betet gottzentriert, betet vertrauensvoll um das, was ihr braucht. Betet im Eingestehen eurer Sünde und in der Bereitschaft, anderen zu vergeben und im Kämpfen gegen die Versuchung. Betet ausdauernd und betet mit kindlichem Vertrauen.
Wenn du nicht mehr weißt, was du in einer bestimmten Situation beten sollst, dann sei getrost: Er hat dir den Heiligen Geist gegeben, und er vertritt dich im Gebet. Nach Römer 8 heißt es: „Der Geist hilft uns in unserer Schwachheit. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie es sich gebührt, sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. Er erforscht die Herzen und weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist, denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt.“
Der Heilige Geist hilft uns im Gebet. Er hilft uns, das zu beten, was wir beten sollen. Gott ist ein guter Gott. Er sagt uns durch sein Wort, was wir beten sollen und wie wir beten sollen. Und durch seinen Geist hilft er uns, das zu erbitten, was wir wirklich brauchen und was Gott gefällt.
Einladung zur Gebetsgemeinschaft
Ich möchte uns nun zu einer Gebetsgemeinschaft einladen – zu einer etwas anderen Gebetsgemeinschaft.
Dazu lese ich uns die drei Überschriften, die drei Bereiche des Vaterunsers aus Lukas 11 vor. Anschließend geben wir uns jeweils Zeit, damit vielleicht zwei oder drei Personen unter jeder Rubrik beten können. Dabei geht es darum, gottzentriert zu beten, um das zu bitten, was wir brauchen, Schuld zu bekennen und Gott gegen Versuchungen anzubeten.
Ich lade uns ein, vielleicht einen Moment still zu werden. Danach werde ich uns durch diese Gebetsgemeinschaft führen.