Einführung zur Auseinandersetzung mit dem ersten Timotheusbrief
Ja, wie ich mitbekommen habe, habt ihr hier in der Kirche in Bonn in den letzten Wochen und Monaten die Sitte gehabt, eine Vortragsreihe durchzuführen. Dabei habt ihr euch intensiv mit einem Teil der Bibel auseinandergesetzt, insbesondere mit dem Neuen Testament. Im Fokus stand der erste Brief von Paulus, einem der engen Anhänger und Nachfolger Jesu, an seinen Mitarbeiter Timotheus.
Paulus schrieb zwei Briefe an Timotheus, und in diesen Briefen finden sich zahlreiche Anregungen für das Gemeindeleben der christlichen Gemeinden und Kirchen vor etwa 2000 Jahren. Natürlich könnte man sagen, dass uns das heute nicht mehr so sehr betrifft, da 2000 Jahre eine lange Zeit sind. Doch wenn wir genauer hinschauen, merken wir, dass sich die Menschen in diesen 2000 Jahren nicht grundlegend verändert haben. Einige Grundfragen unseres Menschseins sind damals wie heute dieselben.
Darüber hinaus ging Paulus damals davon aus, dass er nicht nur seine Überlegungen zu Psychologie und Organisation weitergibt. Er beansprucht, dass er das aufgeschrieben hat, was er direkt von Gott empfangen hat. Das ist ein erheblicher Anspruch. Wenn wir diese Briefe lesen, sollten wir sie auch unter diesem Anspruch verstehen. Es handelt sich also nicht nur um gute Ratschläge eines Menschen, der vor langer Zeit lebte, sondern um Worte, durch die Gott zu uns sprechen möchte.
Lesung und erste Gedanken zum Abschnitt über Mitarbeiter in der Gemeinde
Ich lese jetzt zunächst einen Abschnitt aus dem Brief des Paulus an seinen Mitarbeiter Timotheus vor, und zwar aus dem fünften Kapitel. Ich beginne ganz am Anfang. In diesem Abschnitt geht es insbesondere um die Frage von Mitarbeitern in der Gemeinde, vor allem um weibliche Mitarbeiter in der Kirche.
Ich lese zuerst den Text vor und gebe danach einige Gedanken dazu.
1. Timotheus 5,1-16:
Ein älterer Mann soll nicht hart zurechtgewiesen werden, sondern man ermahne ihn wie einen Vater. Jüngere Männer sollen wie Brüder behandelt werden, ältere Frauen wie Mütter und jüngere Frauen wie Schwestern – und zwar in aller Keuschheit.
Ehre die Witwen, die wirklich Witwen sind. Wenn aber eine Witwe Kinder oder Enkel hat, sollen diese zuerst lernen, im eigenen Haus gottesfürchtig zu handeln und den Eltern gegenüber dankbar zu sein. Denn das ist gut und wohlgefällig vor Gott.
Eine echte und vereinsamte Witwe aber setzt ihre Hoffnung auf Gott und bleibt beständig im Flehen und Gebet, Tag und Nacht. Eine genusssüchtige Witwe soll man jedoch abweisen, denn sie ist lebendig tot.
Sprich das offen aus, damit sie untadelig sind. Wenn aber jemand, besonders für seine Hausgenossen, nicht sorgt, hat er den Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Ungläubiger.
Eine Witwe soll nur in die Liste eingetragen werden, wenn sie nicht jünger als sechzig Jahre ist, die Frau eines Mannes war und ein Zeugnis guter Werke hat. Dazu gehört, dass sie Kinder aufgezogen, Gastfreundschaft geübt, die Füße der Heiligen gewaschen, Bedrängten geholfen und sich jedem guten Werk gewidmet hat.
Jüngere Witwen aber soll man abweisen. Denn wenn sie gegen den Willen Christi begehrlich geworden sind, wollen sie heiraten und kommen damit unter das Urteil, dass sie die erste Treue gebrochen haben. Zugleich lernen sie, untätig zu sein, indem sie in den Häusern herumlaufen. Dabei sind sie nicht nur untätig, sondern auch geschwätzig und neugierig und reden, was sich nicht gehört.
So will ich nun, dass jüngere Witwen heiraten, Kinder gebären, den Haushalt führen und dem Widersacher keinen Anlass zur Lästerung geben. Denn etliche haben sich schon abgewandt und sind dem Satan nachgefolgt.
Wenn ein Gläubiger oder eine gläubige Witwe hat, soll er sie versorgen. Die Gemeinde soll nicht belastet werden, damit sie für die wirklichen Witwen sorgen kann.
Soweit der Text.
Sanfte Ermahnung und der Umgang mit Kritik
Also, der Hauptgedanke ist klar: Es geht hier um die Witwen, auch wenn die Geschichte mit den Witwen etwas seltsam ist. Aber darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
Zuerst ein kurzer Gedanke zum ersten Vers, zum ersten Satz in diesem Abschnitt. Dort wird gesagt: Timotheus, wenn du Leute ermahnen sollst, dann tue das sanftmütig. Mach es so, dass es gut ankommt. Oder wie meine Bibelübersetzung es ausdrückt: Fahre sie nicht hart an. Das heißt, hau ihnen nicht rechts und links um die Ohren, was du ihnen zu sagen hast. Stattdessen sag es so, dass sie es auch verstehen können.
Wir alle merken, wenn uns jemand etwas sagt, das uns nicht passt. Wenn uns jemand auf eine Schwäche oder ein Versagen anspricht, mögen wir das meistens nicht. Also ich zumindest nicht. Falls ihr Menschen seid, die das richtig gerne haben, dann fühlt euch glücklich. Besonders euer Ehepartner wird dann glücklich sein. Und als Ehepartner wisst ihr dann gleich, dass ihr zu Hause so richtig mal sagen könnt, was ihr immer über den anderen schon gedacht habt.
Bei mir ist das immer so: Wenn mir jemand sagt, „Das finde ich aber total mies, und das hast du ja vollkommen falsch gemacht“, ist meine erste Reaktion, mich verteidigen zu wollen. Ich will dann sagen: „Ja, ich habe das aus dem und dem Grund gemacht.“ Oder wenn ich schlecht drauf bin, reagiere ich so, dass ich schnell komme: „Ja, und du, was ist mit dir? Du hast ja auch versagt, du hast auch etwas falsch gemacht.“
Ich glaube, diese Reaktion ist nicht nur bei mir so. Ich habe das bei ganz vielen Menschen beobachtet. Wenn ich versuche, jemandem etwas zu sagen, geht das häufig erst mal in Selbstrechtfertigung oder Gegenangriff über: „Ich bin ja gar nicht so, was unterstellst du mir?“ Und das ist ein Problem.
Heute gibt es Psychologen und Seelsorger, die sagen: „Das Beste ist, sag einfach niemandem mehr, was er falsch macht.“ Man nennt sie unter anderem dialogische Seelsorger. Da kommt jemand in die Seelsorge und erzählt einfach, was er denkt. Der Seelsorger oder Psychologe antwortet dann: „Ja gut, alles richtig, alles ist gut, was du machst, alles in Ordnung.“
Ihr merkt, dass das in engen Beziehungen nicht funktioniert. Es sei denn, ihr trennt euch ständig von den Menschen, mit denen ihr zusammenlebt. Denn früher oder später gibt es Spannungen. Man kann nicht alles einfach nebeneinander stehen lassen. Bei manchen Dingen ahnen wir ja auch, obwohl wir sie tun, dass sie eigentlich nicht richtig sind.
Dann ist es nicht böse, wenn uns jemand sagt, dass etwas nicht richtig ist. Das ist ein Zeichen von Anteilnahme, ich würde sogar sagen von Liebe. Manche Leute sagen: „Ich liebe den anderen, deshalb sage ich ihm nie, was er falsch macht.“ Ich würde sagen, das ist kein Zeichen von Liebe, sondern von Gleichgültigkeit.
Die Leute, die mich nicht wirklich berühren, bei denen sage ich: „Okay, ich will mich nicht nerven, ich will nicht streiten, dann mach doch weiter, wie du willst.“ Dann gibt es keinen Stress. Aber wenn mir ein anderer Mensch wirklich wichtig ist, wenn es wirklich wichtig ist, dann werde ich ihn auf Dinge aufmerksam machen, bei denen ich den Eindruck habe, dass es nicht nur mein Geschmack ist, sondern dass es ein echtes Problem gibt.
Das ist so ähnlich, als wenn du jemanden siehst, der blind ist und mit dem Blindenstock geradewegs auf einen Abgrund zuläuft. Ihr seid irgendwo am See oder am Meer, und er läuft auf eine Klippe zu. Du schaust zu und sagst: „Übrigens, hier geht es gleich runter.“ Er sagt: „Ne, glaube ich nicht.“ Du antwortest: „Gut, jeder hat seine eigene Wahrheit.“ Und dann wartest du, schaust zu, zack, zack, zack, blopp.
Weil du dein Handy dabei hast, machst du gleich ein YouTube-Video und stellst es online. Dafür gibt es dann viele Klicks – eine Originalaufnahme. So machst du das, wenn du hartgesotten bist und dir die Leute nicht wirklich am Herzen liegen.
Wenn sie dir aber wirklich am Herzen liegen, wirst du sie zurückhalten und sagen: „Nein, geh da nicht hin, das schadet dir.“ Obwohl derjenige das in dem Moment nicht sieht.
Nun gut, die Situationen sind nicht immer so einfach wie mit dem Blinden. Aber an manchen Stellen, wenn wir darüber nachdenken, sehen wir, dass etwas schiefläuft. Dann sollten wir Menschen darauf aufmerksam machen.
Paulus schreibt dem Timotheus: „Aber pass auf, mit wem du sprichst.“ Denn mit einem Älteren musst du anders sprechen als mit jemandem in deinem Alter. Schon allein die Wortwahl muss anders sein.
Unterschiedliche Ansprache je nach Alter und Beziehung
Darüber hinaus werden wir alle merken, dass wir Vorurteile haben. Es ist generell so, dass die Älteren den Jüngeren gegenüber oft denken: „Die haben keine Ahnung.“ Das ist immer so. Manche sagen es deutlicher, andere weniger deutlich.
Wenn jemand mit 50 Jahren mit einem Vierzehnjährigen spricht, denkt er oft: „Der hat ja noch gar keine Ahnung, er ist noch nicht richtig ins Leben gestartet.“ Umgekehrt denkt der Vierzehnjährige meistens: „Du bist ja schon so verkalkt und vergreist, du weißt gar nicht mehr, wie die Welt heute läuft.“ Das ist häufig bei Jugendlichen zu beobachten.
Wenn dann die Eltern mit ihnen sprechen, sagen sie oft: „Du hast ja gar keine Ahnung. Weißt du schon, wie das neue iPhone aussieht? Hast du das mal gesehen?“ So gibt es zwischen Alt und Jung manchmal Spannungen.
Deshalb sagt Paulus hier dem Timotheus: Wenn du dem Älteren sagen musst, dass etwas nicht in Ordnung ist, dann denk daran, dass er dich eigentlich gar nicht ernst nehmen will, weil er denkt, er hat viel mehr Erfahrung. Also sprich doch mal zu ihm so, wie zu einem Vater.
Natürlich gibt es heute manche Leute, die zu ihrem Vater sagen: „Ey, Alter, hau mal ab!“ Das ist hier nicht gemeint. Gemeint ist vielmehr, dass du ein gutes Verhältnis zu deinem Vater hast. Wenn du denkst: „Okay, der hat schon den Durchblick und meint es auch gut mit mir“, dann wirst du anders mit ihm reden als mit irgendeinem anderen alten Menschen.
Hier sagt Paulus: Stell dir vor, du hast jemanden, den du schätzt, der etwas für dich getan hat, den du ernst nimmst. So sollst du mit einem Älteren reden, wenn du ihm mal etwas sagen musst, das unangenehm ist.
Und bei jemandem, der in deinem Alter ist, sollst du so reden wie mit einem Bruder. Also stell dich nicht über ihn, rede nicht von oben herab. Wenn er das merkt, hört er auch nicht gerne zu. Rede so, als ob ihr auf einer Ebene seid.
Aber wie gesagt, das ist nur ein Nebengedanke.
Die besondere Rolle der Witwen in der Gemeinde
Der Hauptgedanke hier dreht sich um die Witwen. Ich finde es etwas seltsam, wenn Paulus von den „richtigen“ Witwen spricht. Wenn man im Duden oder bei Wikipedia nachschaut, erfährt man, dass eine Witwe eine verheiratete Frau ist, deren Mann gestorben ist. Das ist die Definition einer Witwe. Warum gibt es dann „echte“ und „falsche“ Witwen?
Damit sind nicht etwa Frauen gemeint, deren Männer noch leben, aber vielleicht abgehauen sind. Paulus erklärt das ja auch selbst: Die wahren Witwen sind diejenigen, die in eine bestimmte Liste eingetragen werden.
Jetzt fragen sich vielleicht einige, um welche Liste es sich handelt. Offenbar gab es in den Gemeinden damals Listen von Witwen, die eine besondere finanzielle Unterstützung von der Gemeinde erhielten. Wenn wir das im Hinterkopf behalten, verstehen wir die ganze Argumentation dahinter besser.
Die Gemeinde hatte damals eine soziale Verantwortung – nicht nur für Menschen außerhalb der Stadt, sondern vor allem für diejenigen, die zur Gemeinde, zur Kirche gehörten und mitten im Gemeindeleben standen. Einige von ihnen erhielten finanzielle Unterstützung, weil sie sonst nicht überleben konnten.
Damals gab es weder Hartz IV noch andere staatliche Unterstützungen. Wer also nicht selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen konnte oder keine Familie hatte, der verhungerte. Niemand kümmerte sich um diese Menschen, und sie hatten keinen Ort, an den sie sich wenden konnten.
Die Gemeinde, also die Christen, übernahmen die Verantwortung für diese Menschen in ihren eigenen Reihen, um die sich sonst niemand kümmerte. Es geht also um diese Witwen.
Diese Witwen waren aber nicht nur Almosenempfängerinnen, die einfach Geld von der Gemeinde bekamen. Sie hatten auch eine feste Aufgabe in der Gemeinde.
Das ist hier besonders interessant: Im ersten Timotheusbrief lesen wir von den verschiedenen Aufgaben in der Gemeinde. Dort werden die Ältesten erwähnt, die Leiter der Gemeinde, und es wird genau beschrieben, welche Qualifikationen sie haben müssen.
Dann gibt es die Diakone, die eher für praktische Aufgaben zuständig waren. Die dritte Gruppe der aktiven Gemeindemitglieder waren diese Witwen – ein spezieller Dienst für Frauen in der Gemeinde.
Es heißt, sie sollen in die Häuser gehen und andere Frauen unterstützen. Sie sollen intensiv für die Gemeindeangelegenheiten beten, andere ermutigen und trösten.
Deshalb sollen sie bereits viel Lebenserfahrung haben. Es steht, sie sollen sich vorher geübt haben – zum Beispiel in Gastfreundschaft, in der Hilfe für Bedürftige und darin, anderen die Füße zu waschen. Das bedeutet, sie waren sozial engagiert und taten gute Werke.
Es geht also nicht um Frauen, die nur viel reden, sondern um solche, die genau wissen, was sie tun, und das Richtige tun.
Außerdem steht dort: Nimm keine Jüngeren dafür. Das ist kein Vorurteil gegen Jüngere, sondern Paulus weist auf eine typische Lebenssituation hin.
Viele jüngere Witwen – sagen wir, sie sind Anfang dreißig und ihr Mann ist gestorben – durchleben eine Krisenphase. Sie fragen sich: Wie geht es jetzt weiter? Was mache ich?
In solchen Situationen trifft man oft schnelle Entscheidungen: Man geht vielleicht schnell eine neue Beziehung ein oder engagiert sich leidenschaftlich in einer bestimmten Sache, um den Schmerz zu überwinden. Nach einiger Zeit merkt man dann oft, dass das nicht die eigene Berufung war, sondern nur eine Reaktion auf die Krise.
Paulus weiß das und sagt: Wenn eine jüngere Witwe im Normalfall wieder eine Partnerschaft sucht, dann soll sie das lieber gleich tun, anstatt vollzeitlich den Dienst als Witwe in der Gemeinde zu übernehmen.
Wenn sie diesen Dienst annimmt und ihn später nicht weiterführen kann, ist das frustrierend für die Gemeinde und für sie selbst.
Deshalb sollen es Frauen sein, die bereits ein gewisses Alter erreicht haben, bewährt und qualifiziert sind. Sie haben eine besonders wichtige Aufgabe in der Gemeinde.
Paulus beschreibt diese Frauen als Mitarbeiterinnen, die Tag und Nacht in Flehen und Gebet tätig sind. Für ihn ist das eine sehr wichtige Aufgabe.
Für die jüngeren Frauen sagt er hingegen: Sie sollen sich zunächst auf ihre Verantwortung in der Familie und im Alltag konzentrieren und sich dort engagieren.
Drei Herausforderungen für das heutige Gemeindeleben
Ich möchte hier drei kurze Hauptgedanken formulieren, die heute Morgen eine Herausforderung für dich sein sollen, wenn du an dieser Veranstaltung teilnimmst.
Zum einen beschreibt der Text die Gemeinden, in denen Timotheus unterwegs war. Zum anderen stellt er eine Herausforderung für uns heute dar – egal, ob du hier in Bonn bist oder von woanders hergekommen bist.
Eine erste Herausforderung sehe ich darin, die eigenen Angehörigen nicht zu vergessen. Paulus schreibt das ganz deutlich: Wenn du dich nicht mehr um deine eigenen Angehörigen kümmerst, dann erzähle nicht viel davon, die Welt retten zu wollen.
Wenn du jeden Tag deine Nachbarn und Arbeitskollegen mit Themen wie Asylbewerbern oder Flüchtlingen im Mittelmeer nervst, aber deine eigene Mutter oder Großmutter seit einem Monat nicht angerufen hast, keine Karte geschrieben oder eine E-Mail geschickt hast, dann bist du ein Heuchler. Das sagt Paulus hier ganz klar. Er meint, das ist schlimmer als das Verhalten von jemandem, der mit dem Glauben gar nichts zu tun hat.
Manche Menschen reden viel über ihre soziale Verantwortung und haben alle Leute auf der Seele – aber nur in Worten. Wenn es dann darum geht, wirklich die Welt zu retten oder sich um Menschen zu kümmern, tun sie nichts. Die Herausforderung lautet also: Vergiss deine eigenen Angehörigen nicht!
Das sind die Menschen, für die du zuerst zuständig bist. Paulus sagt auch, wenn jemand eigene Angehörige hat, soll er sich zuerst um sie kümmern, bevor die Gemeinde einspringt. Das heißt: Hast du deine Großmutter, willst du vielleicht jemanden von der Gemeinde oder Kirche schicken, der sie besucht? Stattdessen solltest du selbst aktiv werden, anrufen oder dich melden.
Meine Frau engagiert sich ehrenamtlich und besucht zum Beispiel regelmäßig alte Leute – nicht nur ihre eigenen Verwandten. Sie besucht eine 85-jährige Frau, die einen Sohn im Haus hat, der aber nie vorbeischaut. Die Frau hat fünf Kinder, von denen sich niemand zeigt. Da merkt man, dass etwas nicht stimmt.
Paulus weist darauf hin, dass so etwas schnell passieren kann, weil es in der Familie Reibungen gibt. Man versteht sich nicht mehr gut, und plötzlich will man nichts mehr miteinander zu tun haben. Die Herausforderung bleibt: Vergiss deine eigenen Angehörigen nicht!
Heute geht es weniger darum, den Leuten Essen zu geben – die meisten Menschen in Deutschland, auch deine eigenen Angehörigen, haben genug zu essen. Die große Armut heute ist oft soziale Einsamkeit. Viele Menschen lernen nur noch, mit dem Fernseher oder dem Internet zu sprechen, statt echte soziale Kontakte zu pflegen.
Die zweite Herausforderung lautet: Vergiss die Menschen in deiner Stadt und Umgebung nicht, die wirklich leiden. Hier kommen zum Beispiel Asylbewerber ins Spiel. Die Kirche, zu der ich gehöre, in Detmold, bietet Deutschunterricht für Asylbewerber an. Jede Woche gibt es Unterricht, anschließend Kaffee und gute Gespräche. Das ist für die Menschen eine echte Hilfe.
Wir haben eine Verantwortung: Zuerst für die Menschen, die uns direkt verwandt sind und in unserer Umgebung leben. Vergiss sie nicht! Aber zweitens sollst du auch an die Menschen denken, die darüber hinaus Probleme haben in unserer Gesellschaft.
Es gibt viele Menschen, die psychisch auffällig sind und deshalb von anderen gemieden werden. Es gibt Fremde, um die sich niemand kümmert, und viele schauen einfach weg. Denke an diese Menschen und überlege, wo du dich einsetzen kannst. Wo will Gott dich gebrauchen, um ihnen ein freundliches Wort zu sagen?
Du kannst dir vornehmen, in deiner Nachbarschaft oder im Umfeld der Kirche auf solche Menschen zuzugehen. Sag ein freundliches Wort oder hilf ganz praktisch weiter. Das ist eine wichtige Aufgabe.
Drittens: Auch wenn du noch nicht weißt, wofür Gott dich später gebrauchen wird – wenn dir nicht klar ist, was dein Hauptjob im Leben ist, dann übe dich einfach in den Dingen, die direkt vor deiner Nase liegen.
Manchmal warten Menschen so lange auf ihre Hauptberufung, dass das Leben vorbei ist, bevor sie merken, was wirklich dran ist. Manche sind unsicher und tun deshalb gar nichts.
Woran ich das festmache? Im Text steht, dass die Frauen, die den besonderen Dienst als Witwen übernehmen sollten, sich vorher bewährt haben. Sie wussten oft nicht, dass das einmal ihre Hauptaufgabe in der Gemeinde sein würde. Sie haben im kleinen Bereich angefangen, da, wo sie etwas zu erledigen hatten, und es einfach getan.
Während sie aktiv wurden, haben sie erlebt, dass Gott sie gebraucht hat. Und irgendwann erhielten sie auch wichtigere Aufgaben.
Drei Dinge möchte ich dir zum Nachdenken mitgeben, die im Text deutlich angesprochen werden und auch heute noch gelten, obwohl wir in einer anderen Zeit leben:
Erstens: Vergiss deine eigenen Angehörigen nicht. Wenn du das bisher vernachlässigt hast, melde dich wieder bei ihnen. Du wirst merken: Gott segnet dich dabei, gibt dir Kraft, Mut und Freude.
Zweitens: Vergiss nicht die Menschen in der Gesellschaft, die zu den Verlierern gehören und wirklich leiden. Überlege, was du tun kannst, damit ihnen geholfen wird.
Drittens: Wenn du noch nicht weißt, was dein Hauptjob im Plan Gottes für die Gemeinde ist, dann fang einfach mit den Aufgaben an, die direkt vor dir liegen. Mach das, was gerade dran ist.
Du wirst merken, Gott bestätigt dich und sagt: Das ist gut! Du lernst, es besser zu machen. Es kommt nicht immer die große Berufung mit einem klaren Moment der Erkenntnis. Bei allen Menschen in der Bibel war es so, dass sie erst klein angefangen haben, ohne genau zu wissen, wohin der Weg führt. Das ist kein Problem.
Während du aktiv wirst, wird Gott dich lenken und dir zeigen, was dran ist – oder eben auch, was nicht dran ist.
Gebet und Abschluss
An dieser Stelle bete ich gerne. Wenn es okay ist, schaue ich hier vorne, weil ich das vorher leider nicht abgesprochen hatte. Sonst bete ich gern noch mit euch.
Warum? Weil ich denke, bei solchen Herausforderungen, wie ich sie jetzt genannt habe, brauchen wir immer auch Kraft von Gott. Denn allein werden wir das nicht hinbekommen. Deshalb bete ich gerne mit euch.
Vater im Himmel, danke, dass wir immer wieder zu dir kommen dürfen, wenn wir merken, dass etwas nicht so läuft, wie es laufen sollte. Gib uns die richtigen Worte, wenn wir mit Menschen sprechen und heikle Dinge ansprechen müssen, bei denen etwas nicht in Ordnung ist. Weil wir die Menschen lieben, wollen wir sie darauf hinweisen. Gib uns die Worte, damit es keine Verletzungen gibt, sondern weitergeholfen wird.
Gib uns auch den richtigen Blick, wenn wir in Gefahr sind, unsere eigenen Angehörigen – Brüder, Schwestern, Eltern, Großeltern – zu vernachlässigen. Zeige uns, wie wir ihnen nahekommen können, auch wenn die Beziehungen manchmal schwer sind und wir den Eindruck haben, es nervt immer nur. Lass uns den richtigen Weg finden, sie anzusprechen und die Verantwortung, die du uns gegeben hast, nicht einfach schleifen zu lassen, weil wir lieber an die Leute denken, die viel weiter weg sind.
Gib uns auch die richtige Einsicht, wie wir in kleinen Bereichen Menschen ermutigen und praktisch weiterhelfen können. Besonders denen, die zu den Verlierern der Gesellschaft gehören und leiden. Hilf uns, die kleinen Aufgaben im Alltag nicht zu übersehen, auch hier in der Kirche, bei den Geschwistern hier. Hilf uns, sie richtig anzugehen.
Danke, dass wir da nicht alleine sind, sondern dass du uns durch deinen Heiligen Geist Kraft gibst, das Richtige zu tun. Amen.
Wer direkt dazu Fragen hat, kann gerne hinterher noch zu mir kommen. Wer gerne liest, findet da hinten auch ein paar Bücher, die ich hingelegt habe. Ihr könnt sie euch gerne ansehen und, wenn ihr wollt, auch welche mitnehmen. Es sind Bücher zu verschiedenen Themen.
