Zweiter Timotheus Kapitel 4
Ich beschwöre dich vor Gott und vor Christus Jesus, der da richten wird die Lebenden und die Toten bei seinem Offenbarungstag und seiner Königsherrschaft: Verkünde das Wort, stehe dazu, sei bereit, es zu jeder Zeit zu predigen, sei geduldig und ermahne mit aller Geduld und Lehre.
Denn es wird eine Zeit kommen, da sie die gesunde Lehre nicht ertragen werden, sondern nach ihren eigenen Begierden sich selbst Lehrer aufhäufen werden, die ihnen nach den Ohren kitzeln.
Sie werden die Ohren von der Wahrheit abwenden und sich zu den Mythen wenden.
Du aber sei nüchtern in allem, ertrage Leiden, tue das Werk eines Evangelisten, erfülle deinen Dienst.
Denn ich werde schon bald geopfert werden, und die Zeit meines Abschieds ist nahe.
Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt.
Von nun an liegt für mich die Krone der Gerechtigkeit bereit, die mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird – nicht nur mir, sondern auch allen, die seine Erscheinung lieb gewonnen haben.
Halte dich an das, was du von mir gehört hast, im Glauben und in der Liebe, die in Christus Jesus sind.
Bewahre das gute Gut, das dir anvertraut ist, durch den Heiligen Geist, der in uns wohnt.
Du weißt, dass alle, die in Asien sind, mich verlassen haben, unter ihnen Phygelus und Hermogenes.
Der Herr aber sei mit dem Geist deines Dienstes. Erbarme dich meines, dass ich frei werde von der Hand derer, die mich verfolgen.
Bring Markus mit, denn er ist mir nützlich zum Dienst.
Ich habe Tychikus gesandt nach Ephesus.
Wenn du kommst, so bring die Bücher mit, besonders die Pergamente.
Alexander, der Kupferschmied, hat mir viel Böses getan; der Herr wird ihm vergelten nach seinen Werken.
Sei wachsam auf dich selbst und auf die Lehre. Halte dich an das, was du gelernt hast, denn wenn du das tust, wirst du sowohl dich selbst als auch die, die dich hören, retten.
Grüße Priszilla und Aquila und das Haus des Onesiphorus.
Der Herr gebe ihm, dass er Gnade finde bei dem Herrn an jenem Tag!
Du weißt sehr wohl, wie viel Dienst er in Ephesus für mich geleistet hat.
Es grüßen dich Eubulus und Pudens und Linus und Klaudia und alle Brüder.
Der Herr sei mit deinem Geist! Amen.
Das Vermächtnis des Paulus und die Dringlichkeit des Auftrags
Man merkt, dass Paulus am Ende noch einmal richtig Druck macht. Wir haben hier die letzten Abschnitte vor uns, die Paulus wahrscheinlich überhaupt geschrieben hat. Diese Texte bekommen immer mehr den Charakter eines Vermächtnisses.
Im zweiten Timotheusbrief, Kapitel 4, Vers 1 und folgende heißt es: "So beschwöre ich dich nun vor Gott – ein ganz starker Ausdruck – ich bezeuge vor dir inständig, ich beschwöre dich vor Gott und Christus Jesus, der da kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten, und ich beschwöre dich bei seiner Erscheinung und bei seiner Königsherrschaft: Predige das Wort!" Diesen Abschnitt wollen wir Stück für Stück besprechen.
Ich habe schon in den Bibelarbeiten gesagt, dass im Neuen Testament sehr viel häufiger vom Gericht Gottes die Rede ist, wenn Mitarbeiter und Christen angesprochen werden, als wenn diese Gerichtsbotschaft Nichtchristen gegenübergesagt wird. Warum? Einer, der sowieso nicht an Gott glaubt, für den ist das Gericht Gottes ohnehin kein Argument. Und der Mensch ist durch Drohungen sehr wenig zu bewegen.
Was gewinnt, was befreit und überzeugt, ist der Beweis der Liebe Gottes, der den Menschen sucht. Mit ganz starker Deutlichkeit redet die Bibel den Mitarbeitern gegenüber vom Gericht Gottes. Wir, die wir Gott kennen, wissen doch, wie ernst die Lage ist, dass es um Tod und Leben geht, dass Gott ein heiliger Gott ist. Leute, die Gott nicht kennen, können Gottes Heiligkeit nicht ernst nehmen. Das ist nicht weiter verwunderlich, das ist normal.
Aber wer Jesus kennengelernt hat, der hat seine Heiligkeit kennengelernt – oder er kennt ihn im Grunde nicht. Deshalb drängt Paulus hier und sagt: Wir arbeiten im Angesicht des kommenden Richters. "Ich beschwöre dich", sagt er, "ich beschwöre dich vor Gott und Christus, der da kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten."
Alle missionarische Arbeit, alle Jugendarbeit geschieht letzten Endes aus dem Wissen heraus, dass Menschen ohne den gekreuzigten Jesus in Ewigkeit verloren gehen. Und sie wird nur zur missionarischen Arbeit, wenn wir als Mitarbeiter dies wirklich sehen.
Wenn missionarische Arbeit und Aktivität zur Förderung des Gemeindelebens wird, weil Nachwuchs kommen muss oder weil die Gemeinde oder Kirche neue Impulse braucht oder weil eine gewisse Großwetterlage religiöse Bedürfnisse angeraten sein lässt, dann haben wir Zielsetzungen, die einfach nicht durchtragen. Das ist nicht das Motiv der Mission.
Ich muss heute noch lachen, wenn ich daran denke, wie mich vor ein paar Jahren ein verantwortlicher Theologe der Hamburger Kirche ansprach, ob ich nicht zu ihm kommen und eine bestimmte Aufgabe übernehmen wolle – in Hamburg. Sie wollten mich als Evangelisten dort in irgendeiner Form einsetzen.
Als ich dann die Motivation hörte, bekam ich fast einen Schreikrampf und sagte: "Ja, wir in Hamburg, wir haben in der Kirche, ich weiß nicht, schon 30 Prozent der Leute, die nicht mehr Kirchenmitglieder sind, und die Austrittswelle nimmt rapide zu, und so müssen wir uns jetzt ganz neu auf das volksmissionarische Element besinnen." Wir haben gesagt: Das sind die letzten Gründe, die Kirchensteuern gegen die Flöten, jetzt werden wir missionarisch. Das ist die letzte Motivation.
In anderen Fällen ist es ein bisschen weniger drastisch. Da sagt man: Die Gemeinde braucht Belebung. Wir müssen mal evangelistisch missionarisch werden, damit die Gemeinde wieder lebendig ist. Wir sind doch kein Rudi-Carrell-Verschnitt. Wir sind da, um die Gemeinde zu beleben, um interessanter zu machen.
Im Angesicht des Gerichts Gottes sagt Paulus dem Timotheus: "Predige!" Wir wissen, dass Menschen verloren gehen können. Deshalb liegt Dringlichkeit hinter der Botschaft. Wir verkündigen dann nicht vor allem das Gericht Gottes, sondern die rettende Liebe Gottes. Aber wir wissen, dass wir sie verkündigen, weil Menschen verloren gehen, wenn sie sie nicht erfahren.
Diese Beschwörung, im Angesicht Gottes zu arbeiten, bezieht sich auch auf die Arbeitsweise des Mitarbeiters. Sei dir bewusst, dass du vor Menschen alle Motive kaschieren kannst; die kann man verstecken. Lasst uns so arbeiten, so miteinander umgehen, so reden und handeln, dass wir vor Gottes Angesicht damit treten können! Er wird uns richten.
Nun, ich habe jetzt nicht die Zeit, all die anderen Stellen aufzuschlagen, wo Paulus ganz ähnlich argumentiert. Vor allem 2. Korinther 5 ist ein ganz wichtiges Kapitel, das uns weiterhilft. Das könnt ihr ja dann für euch mal lesen. Das ist das Erste: Arbeiten im Angesicht Gottes.
Jetzt heißt es hier in Vers 2: "Also, ich beschwöre dich, jetzt predige das Wort, stehe dazu, sei zur Zeit oder zur Unzeit, es komme gelegen oder ungelegen, weise zurecht, drohe, ermahne mit aller Geduld und Lehre."
Denn es wird eine Zeit sein, da werden sie die gesunde – das heißt auch immer gesund machende – Lehre nicht leiden, sondern nach ihren eigenen Begierden werden sie sich selbst Lehre aufladen, wonach ihnen die Ohren kitzeln. Sie werden die Ohren von der Wahrheit wenden und sich den Mythen zuwenden.
Du aber sei nüchtern, allenthalben leidewillig, tue die Arbeit des Evangelisten, richte deinen Dienst redlich aus. Das ist dein Auftrag zunächst, dann gehen wir weiter.
Einen Augenblick will ich dabei verweilen und fragen: Was ist eigentlich Verkündigung? Hier in diesem Abschnitt kommen zwei Ausdrücke für Verkündigung vor. Luther übersetzt sie beide Mal mit dem verhängnisvollen Wort "Predigt". Das ist eine ganz schlechte sprachliche Entwicklung gewesen.
Jetzt hat man sozusagen ein Sonderwort gefunden, "Predigt". Das ist alles, was fromm geredet wird, im Unterschied zu anderer Rede. Es geschieht hier in der deutschen Sprache genau das Gegenteil von dem, was in der griechischen Sprache geschehen ist.
Denn Paulus und die Zeugen des Neuen Testaments haben für die Verkündigung des Evangeliums kein frommes Sonderwort geprägt, um zu sagen, das ist etwas ganz Besonderes, und deshalb müssen wir jetzt ein spezielles Vokabel dafür reservieren. Stattdessen haben sie ganz bewusst weltliche Ausdrücke aus der weltlichen Kommunikation, aus dem Medienbereich genommen, um zu verdeutlichen, was Verkündigung ist.
In Vers 2 heißt es: "Predige das Wort." Dort steht der Ausdruck "Kerüksis" im Neuen Testament, oder "Kerússo", das heißt "Herold sein". Und in Vers 4 heißt es: "Tue die Arbeit eines Evangelisten", "euangelistés".
Nun haben wir da schon Gedankenverbindungen. Ich muss euch deshalb erklären, was im römischen Reich Herolde und Evangelisten waren.
Es gab Kasernen in Rom mit solchen Leuten, und sie wurden jeweils eingesetzt, wenn die kaiserliche Regierung mal wieder etwas offiziell zu verkünden hatte. Es gab noch keine Printmedien und kein Fernsehen, also musste man andere Möglichkeiten benutzen, um das, was nun offiziell beschlossen war in der Regierung in Rom, im ganzen Reich von Spanien bis in den Irak hinein bekannt zu machen.
Das war eine riesige Aufgabe. Sie mussten in Ägypten bis Aswan runter und in Britannien die Nachrichten verbreiten, die in Rom entschieden worden waren. Zum Beispiel eine Steuererhöhung um zehn Prozent, weil die Trüffel teurer geworden waren und in Rom die Gelage sonst nicht mehr liefen, oder für die Aufrüstung.
Dann wurden mit den Peschen Herolde – verrückterweise nannten sie die auch Evangelisten – ausgesandt, die das Evangelium ins Land brachten. Denn die Herrscher waren immer überzeugt, dass das, was sie verkündeten, das Evangelium war, die Frohe Botschaft, zumindest für sie selbst. Für die anderen war es meist eine Schreckensbotschaft: Steuererhöhung, die Kaiserin hat ein Kind bekommen, das Elend geht weiter, hieß es im Dorf.
Wir, die in Rom sagten, wir bleiben noch an der Macht, oder so. Das ist schon fast ein bisschen ironisch.
Das waren die Evangelisten. Ihre Aufgabe war eine doppelte, oder ihr Auftrag war durch zwei Kennzeichen beschrieben:
Erstens: Sie waren keine Hausierer, sie kamen im offiziellen Regierungsauftrag. Sie sprachen mit offizieller Beauftragung. Das war so, als wenn bei uns Gesetze im Bundesgesetzblatt veröffentlicht sind. Das ist ein amtliches Blatt. Wenn das dort veröffentlicht ist, tritt es in Kraft.
So war es, wenn ein Herold auf dem Marktplatz auftrat und die kaiserliche Botschaft verkündete: Dann war jeder juristisch verpflichtet, sich danach zu richten. Man konnte sich nicht mehr herausreden. Das war eine offizielle regierungsamtliche Mitteilung, und jetzt galt das.
Sie kamen nicht mit einer Privatmeinung und sagten: "Hätte ich nicht mal Lust, hier zu hören" oder so, sondern das war Befehl der kaiserlichen Regierung. Dieses Offizielle ist das Kennzeichen der Herolde und Evangelisten. Sie haben eine Bevollmächtigung. Sie sprechen wie Botschafter im Namen der Regierung.
Zweitens: Die Evangelisten bringen diese Botschaft in Bereiche, in denen sie noch nicht bekannt ist und wo man sich noch nicht darauf einstellen konnte. Deshalb gehört zum Wesen der Evangelisation immer die Bemühung um Grenzüberschreitung.
Es sollen ein Stück weit mehr die erfahren, die sich noch nicht darauf einstellen konnten. Diese beiden Elemente gehören dazu.
Das muss man manchmal sehen. Das Erste vor allem: Wir reden nicht als Propagandisten, wir sind keine Hausierer, sondern wir sprechen im Auftrag des Herrn. Wir haben eine offizielle Mission.
Vom Hören unseres Wortes hängt etwas ab. Wie man sich dazu stellt, entscheidet über Leben und Tod. Es ist nicht unsere Privatmeinung, die wir da unverbindlich sagen. Wir sprechen im Namen des Königs.
Nicht wir machen die Botschaft, sondern der König aller Könige hat die Tatsachen geschaffen. Wir gehen hin und rufen seine Herrschaft aus: "Jetzt kehrt um, stellt euch darauf ein, werdet Untertan dieses Königs, folgt ihm nach." Das ist Verkündigung.
Drittens: Wie soll die Verkündigung geschehen? Wie?
Wir schauen in Vers 2 rein: Zunächst, also verkündige das Wort wie ein Herold. Stehe dazu, sei zur Stelle, gelegen oder ungelegen. Mal haben wir Rückenwind, mal Gegenwind, mal lobt man uns und klatscht Applaus, mal schimpft man und bespuckt uns.
Seid zur Stelle, sagt Paulus. Das ist das Erste.
Wir dürfen uns freuen, dass Gott uns auch immer wieder barmherzige Zeiten schenkt, in denen wir spüren, dass sein Wort die Gewissen erreicht. Es ist eine Offenheit da, und die Menschen nehmen es auf und erfahren die neuschaffende Kraft.
Ich bin so dankbar, dass Gott uns Mitarbeitern nicht eine Situation aufzwingt, wie er sie dem Jesaja zum Beispiel aufgezwungen hat. Wenn ihr das mal lest in der Berufungsgeschichte in Jesaja Kapitel 6: Jesaja, der bei seiner Berufung gleich dazu geliefert bekam, dass es keinen Sinn hatte.
Seine Verkündigung war ein Vollzug des Gerichts Gottes: "Predige, damit sie nicht hören und sich nicht bekehren." Am Hören und der Ablehnung des Wortes Gottes durch Jesaja vollzog sich das Gericht Gottes – die Verstockung, die Verhärtung.
Das heißt, er verkündigte das Wort Gottes sein Leben lang unter Einsatz seines Lebens und wusste von vornherein, dass er es von Gott her tun musste, aber es nichts als Ablehnung, als steigende Ablehnung bewirken würde.
Das muss eine furchtbare Lebenssituation sein. Gut, dass uns ein solcher Auftrag nicht zugemutet wird. Gott ist immer auch barmherzig und lässt uns erfahren, wie sein Wort rettend wirkt, Menschen herumbringt und Frucht schafft. Das ermutigt einen ja auch.
Aber wir dürfen daraus keine falschen Rückschlüsse ziehen. Diese Bestätigung durch das Annehmen des Wortes ist nicht die Motivation zur Verkündigung.
Die Gefahr ist so groß, dass wir sagen: "Ja, wenn die Situation günstig ist, wenn die Leute es wollen, dann sage ich es." Oder: "Wenn sie zustimmen, wenn sie annehmen, dann habe ich es richtig gesagt. Wenn sie dagegen sind, dann habe ich es irgendwie noch nicht richtig gesagt, dann müssen wir noch einen anderen Trick finden."
Was für ein Unsinn! Meint ihr, es gäbe eine Methode, wie man den Menschen das Evangelium unterjubeln könnte? Wir müssen uns bemühen, so sehr uns die Liebe Gottes treibt, es verständlich zu machen, es deutlich zu vermitteln, einzuladen.
Aber es gibt keinen Weg, der garantiert, dass die Botschaft von Christus angenommen wird. Einladend, werbend und klar soll sie gesagt sein, aber sie bewirkt dann Annahme und Ablehnung, Öffnung und Verhärtung.
Das ist auch für die Mitarbeiter eine harte Sache. Das erträgt man nur schwer. Es schlägt uns nieder, wenn wir spüren, dass sich plötzlich eine Wand schließt und man rennt dagegen. Es dringt nicht durch. Die Feindschaft steigt.
"Predige", sagt Paulus dem Timotheus, und bitte: Wenn er es jetzt nicht mehr mit dem Wort "predigen" hört, sondern mit "Herold sein", dann bezieht er es auch nicht mehr nur auf die offiziellen Tätigkeiten von Pfarrern, wenn sie Talare tragen oder im Gottesdienst oder sonst irgendwo.
Dieses Heroldsein geschieht jetzt, sage ich euch, viel mehr in euren Klassen und an Arbeitsstellen als in Veranstaltungen, die wir Evangelisationen nennen.
Das merken wir auch an diesen Abenden. Dort, wo man im Beruf und in der Schule steht, ist man viel weiter draußen im Bereich der Leute, die es noch nicht gehört haben und sich noch nicht auf die Herrschaft Jesu Christi einstellen konnten.
Bis man in so einer Veranstaltung, wie wir sie abends machen, die Leute reinkriegt, die Jesus nicht kennen, merkt man, wie wahnsinnig schwer das ist. Wie viele sind eingeladen worden auf den Straßen in diesen Tagen und wie wenige davon haben sich einladen lassen.
Ihr macht doch die Erfahrung.
Ich halte es für richtig, dass solche Veranstaltungen ihren Sinn haben. Sie haben Höhepunktcharakter, Ermutigungscharakter und Festcharakter. Der eine oder andere Randsiedler wird erreicht.
Aber die Speerspitze der Mission ist das nicht.
Deshalb ist es verhängnisvoll, Evangelisation schon nur als Ausdruck für solche Wochen zu verwenden, wie wir sie abends machen.
Biblisch gesprochen ist Evangelisation das Überbringen der offiziellen Nachricht von der Königsherrschaft Gottes hinein in Bereiche, in denen man sich noch nicht darauf einstellen konnte.
Das heißt: Wenn du in deiner Klasse bist, dann bist du der Evangelist.
Wenn du nur Christen um dich hast, vielleicht zwei, drei oder fünf, ich weiß nicht, vielleicht bist du ganz alleine in deiner Klasse, da bist du Evangelist. Das ist die typische Evangelistensituation.
Auf dem Marktplatz, wo man noch nicht weiß, was der König zu sagen hat, hier sprich. Das ist der Vorposten. Sei zur Stelle, ob gelegen oder ungelegen, mal Rückenwind, mal Gegenwind.
Was ist zu tun? Das ist jetzt der nächste Punkt: Wie soll die Verkündigung geschehen?
Wir haben gesagt: Erstens, sei zur Stelle. Zweitens, was ist zu tun?
Drei Dinge werden hier genannt in Vers 2: Weise zurecht, drohe, ermahne mit aller Geduld und Lehre.
"Weise zurecht" ist ein Ausdruck aus der Gerichtssprache und heißt einfach überführen, einen Schuldigen seiner Tat überführen, so wie der Staatsanwalt oder Richter in einem Verhör mit Argumenten oder Beweisen jemandem zeigt, dass er schuldig ist.
Das meint Paulus hier: Weise zurecht, überführe, decke Sünde auf! Rede davon, warum das Leben zugrunde geht, was Trennung von Gott bedeutet.
Der Mensch weiß von Natur aus nichts von der Sünde, sein Gewissen ist zerstört. Deshalb überführe!
Das nennt Paulus als Erstes. Ich halte das für sehr wichtig, weil ich bei mir selbst spüre, wie ich dieser Aufgabe gerne ausweiche.
Ich möchte Jesus gerne nur ganz positiv anbieten. Leute, ich weiß, dass niemand sich gerne gefallen lässt, dass man mit ihm kritisch redet und sagt: "Du, da lebst du ganz falsch."
Wir möchten bestätigt und nicht in Frage gestellt werden. Im Augenblick, wo ich in Frage gestellt werde, kommt ein ungutes Gefühl über mich, und dann versuche ich mich zu verteidigen.
Das macht die Sache schwer.
Deshalb möchten wir gerne Jesus ganz positiv anbieten. Aber über Sünde und Verlorenheit redet ein anständiger, vornehmer Christ eigentlich nicht.
Paulus sagt dem Timotheus: "Ich beschwöre dich, überführe, überführe!" Es ist ein Reden zu den Gewissen, dass Gottes Geist dieses Reden gebraucht und einem Menschen seine Verlorenheit zeigt. Die weiß er von Natur aus nicht.
Dann heißt es da: "Drohe." Das ist natürlich nun wirklich der letzte Heuler. Das ist ja das, was man nicht darf. Man darf ja nicht mit dem Höllenhund in den Himmel treiben.
Das ist auch der Paulus, der hier "drohe" sagt.
Es geht jetzt nicht ums Angstmachen, sondern um Ernüchterung von Besoffenen. Darum geht es.
Es geht nicht um Angstmachen. Wenn das die Absicht ist, dann ist da nicht eine große Gefahr drin, dass man Angst ausbeutet.
Hier geht es darum, dass die selbstgefällige, selbstgerechte, selbstsicher-besoffene Art des Menschen, die in tausend Problemen und Gefahren lebt und nichts wahrnimmt, überhaupt nichts sieht, sagt: "Was ist denn? Ist da alles okay?" – dass der mit der Wirklichkeit, auch der bedrohlichen, bedrückenden Wirklichkeit konfrontiert wird.
Nüchtern sein, das ist es, was sich durch das ganze Neue Testament zieht: nüchtern werden.
Ernüchterung ist oft eine unangenehme Erfahrung. Im Rauschleben ist ein angenehmes Feeling, aber es ist betrügerisch, gefährlich und manchmal sogar tödlich.
Deshalb geht es auch hier um diese kritische Möglichkeit: "Drohe."
Zunächst einmal ist das ein Auftrag innerhalb der Gemeinde. Timotheus hat ja Dienst zu tun in verschiedenen Gemeinden in Kleinasien.
Da geht es darum, ihnen zu sagen, dass Gott ein heiliger Gott ist. Denkt daran, dass man mit ihm nicht spielt. Er ist der Vater, in Jesus geworden, aber er ist noch längst nicht unser Kumpel, mit dem wir Schlitten fahren können.
Manche Leute, manche Christen leben und reden mit Gott, als wäre er ein Kumpel.
Dass er auch in der Gemeinde der Heilige Gottes ist, das beobachten wir an Geschichten in der Urgemeinde, etwa der schrecklichen Geschichte von Ananias und Saphira.
Gott in seiner Heiligkeit ist seinen eigenen Leuten gegenüber konsequenter als den Draußenstehenden. Das ist auch berechtigt.
Die Draußen können ja nicht wissen, wie es um Gott steht. Die, die ihn in seiner Liebe kennen, darf er erwarten und erwartet er, dass sie ihn auch in seiner Heiligkeit ernst nehmen.
Deshalb richtet er seinem eigenen Volk, in seiner Gemeinde, oft so radikal.
Ananias und Saphira ist so eine erschreckende Geschichte.
Dann ist es: Ermahne und ermutige.
In Vers 2 am Ende heißt es: "Ermahne." Ich habe euch schon verschiedentlich gesagt, dass dieser Ausdruck auch den Ausdruck "Tröster" beinhaltet. Das ist das Gleiche: ermahnen, ermutigen, trösten.
Im Johannesevangelium wird der Heilige Geist der Tröster, der Paraklet genannt.
Dieses Wort steht hier für ermahnen, ermutigen, trösten.
Die Lagen können verschieden sein, die Situationen der Leute können verschieden sein, aber tu dies!
Der eine braucht, dass man ihm anständig ins Gewissen bläst, sodass ihm bleich wird im Gesicht.
Dem anderen muss man ein paar geistliche Streicheleinheiten geben, damit er aufgerichtet wird.
Da geht es nicht nach Schema F, sondern je nach seelsorgerlicher Situation, was nötig ist.
Und das alles mit Großmut, heißt es da, mit Geduld und im Rahmen biblischer Lehre.
Wie soll Verkündigung geschehen?
Wir sagten: A) Sei zur Stelle. B) Was ist zu tun? Rede ins Gewissen, drohe, ermutige, ermahne.
Dann heißt es, dass solche Evangelisation, solche Verkündigung unpopulär wird.
Ja, das ist eine Sache.
Da ist man verführt, sich nicht darauf einzulassen, zu versuchen zu analysieren, was wir heute in der Jugendarbeit und in Gottesdiensten, in allen Kirchen – ich meine jetzt alle Denominationen – für Vorstellungen von Verkündigung haben.
Ich rede jetzt von den Gemeinden, von den Erwartungen im Blick auf die Verkündigung.
Da sagt Paulus: "Es werden Zeiten kommen, da werden sie sich an der Verkündigung kitzeln lassen, und sie werden Spaß haben an ganz bestimmten Verkündigungsweisen, geistreich und etwas, das ihnen einfach liegt."
Sie werden keine Freude an der Verkündigung des gekreuzigten Jesus haben. Das wird nicht laufen.
An der Verkündigung der Königsherrschaft Jesu, an dem Ruf zur Umkehr, wenn sie keinen Spaß haben.
Sie werden sich andere Prediger aufladen.
Ich finde es so interessant, was Paulus daraus für eine Schlussfolgerung zieht.
Er sagt nicht: "Also, wenn sie dann wollen, dann lasse ich es."
Sondern er sagt: "Sie werden kommen, und deshalb beschwöre ich dich vor Gott: Leg den Zahn zu! Leg den Zahn zu! Du weißt nicht, wie lange sie dich überhaupt noch reden lassen."
Du musst die Botschaft vom gekreuzigten Jesus sagen, ob sie populär ist oder nicht, ob es gelegen kommt oder nicht. Sag sie ihnen!
Interessant ist: Die Untergrabung der Botschaft von Jesus beginnt nicht in der gottlosen Welt, sondern sie beginnt in der Gemeinde der Christen.
Paulus redet hier von Christen, die sich Prediger aufladen wollen, die ihnen predigen, worauf sie Spaß haben, die ihnen nach dem Munde reden, die so predigen, dass ihr Lebensstil bestätigt wird.
Dass man sich nicht ändern muss, dass ihre ethischen Vorstellungen bestätigt werden, dass das, was man tut, wie man mit Geld umgeht, wie man mit Besitz umgeht, wie man mit Sexualität umgeht, dass das alles bestätigt wird.
Sonst werden sie sagen: "Das ist zu intolerant, das ist zu eng, das ist altmodisch, das wollen wir nicht hören."
"Das wird kommen", sagt Paulus dem Timotheus.
Deshalb: Mit aller Leidenschaft und Entschlossenheit, beeil dich, tu was, tu was!
Denn ich werde jetzt Vers 6 lesen:
"Denn ich werde schon geopfert, die Zeit meines Abscheidens ist schon da. Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Treue gehalten."
Der griechische Ausdruck für Glaube und Treue ist derselbe, wisst ihr?
"Ich habe Treue gehalten."
Hinfort ist mir bereit die Krone der Gerechtigkeit, der Siegeskranz ist gemeint, dieser Olivenzweigkranz, der bei Olympischen Spielen und so in Griechenland verliehen wurde.
Der ist hier gemeint, der Siegeskranz der Gerechtigkeit.
Welche mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird, nicht mir allein, sondern auch allen, die seine Erscheinung, sein Kommen lieb haben.
Da wäre so manches zu sagen.
Ich will hier an diesem Punkt nur eines herausgreifen, weil ich meine, dass das in das ganze Bild passt, das wir jetzt in diesen Tagen miteinander durchwandert haben.
Achtet bitte einmal darauf, wie bewusst und zielstrebig Paulus sterben kann.
Er wartet auf seine Hinrichtung, darum geht es hier, und davon redet er.
Einen Philippabrief hat er dann geschrieben: "Ich habe Lust, abzuscheiden und mit Christus zu sein."
Wenn ich weiterleben muss, sagt er, gut, ich möchte Christus verherrlichen, es sei durch Leben oder durch Sterben.
Ein Psychologe hat mal gesagt, es gibt eine gegenläufige Bewegung.
Vor 50, 60 Jahren war Sexualität in der Öffentlichkeit tabu.
Aber wenn die Oma zu Hause gestorben war, dann wurde sie drei Tage im Wohnzimmer, im Schlafzimmer aufgebahrt, in der eigenen Wohnung.
Und selbstverständlich starb man zu Hause.
Alle Kinder waren ums Sterbebett versammelt, und die Beerdigung fand von der Wohnung aus statt.
Der Tod war in der Mitte der Menschen, und da starb man auch.
Es ist schon nachdenkenswert, wie sich die Tabus verdrehen.
Dieser Psychologe meinte, ob da ein Zusammenhang bestünde, wäre mal interessant zu untersuchen.
Wir leben in einer Zeit, in der Sexualität absolut nicht mehr tabu ist. Man kann über alles ganz öffentlich reden.
Aber wir leben zugleich in einer Zeit, in der der Tod tabu ist.
Ich lerne 40-, 50-jährige Menschen kennen, die zum ersten Mal einen Toten sehen.
Ich weiß nicht, wie viele von euch je überhaupt einen Menschen beim Sterben gesehen haben.
Dabei stirbt in jeder Sekunde ein Mensch, in jeder Sekunde.
In diesem Augenblick wird hundert- und tausendfach in unserem Land gestorben, millionenfach in der Welt.
Aber man kann Jahre und Jahrzehnte leben, ohne überhaupt einmal einen Sterbenden zu sehen.
So haben wir langsam ein Wirklichkeitsbewusstsein auch unter den Christen geschaffen.
Natürlich weiß man theoretisch, dass es den Tod gibt und dass jeder mal stirbt.
Aber praktisch ist das ausgeklammert.
Praktisch gibt es das nicht.
Man stirbt auf Intensivstationen keimfrei, an zig Apparaturen angeschlossen.
Und aus hygienischen Gründen müssen die Verwandten draußen bleiben.
Nicht wenige sind ganz dankbar dafür.
Wenige stellen sich an die Sterbebetten ihrer Verwandten, wenige halten es durch.
Woher kommt das eigentlich? Ich kann das nicht vertiefen.
Ich will euch nur darauf aufmerksam machen, dass zum Leben mit Christus, dem Leben mit dem Auferstandenen, diese Kostbarkeit gehören darf, dass ich ganz bewusst weiß: Mein Leben hat ein Ziel, Jesus bringt mich zum Ziel.
Und dass ich in einer Situation wie der unseren heute anfange zu beten: Herr, lehre mich bedenken, dass ich sterben muss, damit ich klug werde.
Wir haben einen Bildungsnotstand, wir leiden an Volksverdummung.
Und die Volksverdummung schreitet nicht deshalb voran, weil die Volkshochschule und das Erwachsenenbildungsprogramm der Kirche nicht ausreichend finanziert werden, sondern weil wir den Tod ausgeklammert haben.
Im Psalm heißt es: "Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden."
Die Wissenschaftler des Mittelalters, große Geister, hatten auf ihrem Schreibtisch einen Totenkopf.
Einen echten, liegen konnte man damals noch, Plastik gab es ja nicht.
Memento mori.
Das waren nicht Leute, die mit dem Leben nichts anfangen konnten und die immer düstere Friedhofsgärtnerperspektiven hatten.
Nein, die Friedhofsgärtnerperspektive – wir hätten nur einen unter uns, der seinen Ferienjob auf dem Friedhof macht – war nicht gemeint.
Sie sagten, dass uns klein das Kleine werde und das Große groß erscheine, Ewigkeit hell in die Zeit hineinleuchte.
Mit dem Ziel, dass uns klein das Kleine und das Große groß erscheine.
In dem Maße, wie wir als Christen verdrängen, dass Jesus unser Leben zu einem Ziel führt, werden wir keine Maßstäbe mehr haben für das, was wichtig und vorrangig ist.
Wir werden uns verlieren an Kinkerlitzchen.
Wir werden Nebensächlichkeiten überschätzen, unser Leben vertun mit Randfragen und Wesentliches gar nicht zu Gesicht bekommen.
Herr, lehre mich bedenken, dass ich sterben muss, damit ich klug werde.
Das ist eine Frucht.
Ich meine, ich verstehe Leute, die keine Hoffnung haben, für die der Tod nur der große Räuber ist, der total abräumt.
Die sagen: "Was soll ich tun? Ich kann auch nicht mit Problemen leben, die ich nicht lösen kann."
Dann verdrängt man.
Das ist die Frucht der Auferweckung Jesu, dass ich weiß: Niemand kann mich von Jesus scheiden.
Dass ich der Endlichkeit meines Lebens ganz bewusst ins Auge sehe.
Das hat man nicht per Entschluss, das muss man tatsächlich lernen.
Und weil man es in unserer Gesellschaft, in unserer Welt nicht mehr beigebracht bekommt, einfach weil das nicht passiert.
Da hatten es meine Mutter noch einfacher.
Es war selbstverständlich, dass sie als zehnjähriges Mädchen am Sterbebett ihres Vaters zuhause stand und die drei Tage, die er dort zuhause aufgebahrt war, die ganze Familie mit im Haus war.
Man wohnte – man muss sich das mal vorstellen – überall ganz normal mit der Leiche des Verstorbenen unter einem Dach.
Da kriegen Leute heute den Brechreiz, wenn man daran denkt, dass das passieren könnte.
Augen zu, Desinfektionsmittel in den ganzen Bauraum gesprüht und ab in den Kühlschrank.
Ich bin sehr wesentlich geprägt worden in meinem Glauben und habe viel Hilfe bekommen durch meinen väterlichen Freund William Busch, der einer meiner Vorgänger in der Essener Arbeit war.
Auf dessen Todesanzeige stand dieser Vers, der mich ungeheuer überrascht hat:
"In Jesus habe ich hier das beste Leben, und sterb ich, wird er mir ein besseres geben."
Normalerweise ist es gar nicht möglich, dass man das Beste noch steigert, aber so muss man es formulieren:
"In Jesus habe ich hier das beste Leben, und sterb ich, wird er mir ein besseres geben."
Wir haben in den letzten zehn Monaten viel Schlimmes lernen müssen in unserer Arbeit – zehn Monate lang, in denen ein Leiter aus unserem Leiterkreis, 18, 19 Jahre alt, an Knochenkrebs starb, wissend, was er hat.
Das war für uns alle in unserem Mitarbeiterkreis eine schlimme Schule Gottes.
Das wirkt anders als eine Bibelarbeit, wenn du da stehst an dem Bett eines Jungen, der nur noch Haut und Knochen ist, und dann wegstirbt.
Plötzlich werden die Prioritäten anders, nicht wahr?
Plötzlich lebst du nicht mehr mit dem Gedanken: Na ja, wenn ich achtzig bin und so.
Dass uns klein das Kleine werde und das Große groß erscheine.
Schade, dass ich nicht mehr so viel sagen kann.
Ich erinnere euch nur noch an Demas und an Markus.
Bitte schaut mal rein, zum Schluss kommen nämlich jetzt persönliche Notizen.
Herrlich, wie bei den gewaltigen Aussagen dann zwischendurch plötzlich der Hinweis kommt: "Ich habe doch meinen Mantel da in Troas vergessen."
Packt den doch mal ein.
Ich finde es tröstlich.
Ich unterstelle einfach mal, dass Paulus den Mantel aus Versehen vergessen hat.
Vielleicht war es auch eine Transportfrage, das Gewicht des Abwärts.
Dann musste er ja die Pergamente – die Membranen heißt es – mitbringen, schreibt er im griechischen Text.
Das waren die Schriftrollen.
Man muss sich mal vorstellen, wenn er die Briefe schrieb, wenn er mal nur auf Diener vier Bögen mit der Hand den ersten und zweiten Timotheusbrief abschrieb oder gar die sechzehn Kapitel des Römerbriefes – da kannst du mal gucken, wie viel Papier du brauchst.
Was meint ihr, was die geschleppt haben an Pergamentrollen, um das zu schreiben?
Junge, Junge, da baust du mit deinem Container auf den Rücken, um das zu kriegen.
Na gut, aber davon wollte ich ja nicht reden.
Ich wollte euch nur auf Demas hinweisen, Vers 10:
Denn Demas hat mich verlassen und diese Welt lieb gewonnen, diesen Äon – das ist Welt im Sinne nicht der schönen Schöpfung Gottes, sondern Welt im Sinne der gottfeindlichen Macht.
Mich tröstet das ein bisschen.
Ich mache mir manchmal Gedanken, dass aus unserer Jugend so mancher abschwimmt.
Da sage ich: Mensch, was sind wir doch schlechte Seelsorger, dass wir den nicht halten können.
Und da muss ich mich dann manchmal trösten lassen: Das ist auch Paulus passiert, mit dem engsten Mitarbeiter Demas.
Der hatte plötzlich keine Lust mehr.
Dem war dieser dauernde Kampf um Jesu willen einfach zu viel.
Der wollte mal angepasst leben, wollte einfach mal wegtauchen, und dann ist er weggetaucht.
Wilhelm Busch schrieb Anfang der fünfziger Jahre mal ein paar heiße Artikel über die Jugendarbeit.
Damals fing man an zu sagen, man muss ja nicht in jeder Gruppenstunde ein biblisches Wort und eine Andacht sagen.
Wir kommen von der Peripherie zum Zentrum.
Wir machen erst mal einen Tanztee, und wenn die Leute uns dann auf unsere gläubigen Augen hin ansprechen, aus welchen Motiven wir tanzen, dann sagen wir ihnen auch, dass wir vom Evangelium herkommen.
Diese Sprüche wurden damals erfunden. Sie sind inzwischen ja radikal geworden.
Da schrieb Wilhelm Busch einen Artikel unter dem Motto: "Wird der schmale Weg verbreitert?"
Im Vorwort gesteht er, dass er eigentlich einen anderen Titel vorhatte, aber den dann doch nicht gewählt hat.
Er hieß: "Demas wird Jugendpfarrer."
Ja, es ist immer noch so.
Aber lasst mich als Letztes euch den Markus in Erinnerung rufen.
Der ist nämlich ermutigend, Vers 11:
"Eine Flasche wird doch noch ein brauchbarer Mitarbeiter."
Das ist eine Sensation.
Markus war eine richtige fromme Flasche.
Er war nämlich in die christliche Mischpoke der Topmannschaft der damaligen Kirche – Paulus, Barnabas und Co. – reingerutscht, weil er eine einflussreiche Mutter hatte, Maria, in deren Haus sich in Jerusalem die Gemeinde traf.
Dann nahmen Paulus und Barnabas den Jungen mit auf die erste Missionsreise.
Unten an der türkischen Küste bekam er Durchfall.
Da hat er sich bei Nacht und Nebel abgesetzt und ist zu Mama nach Hause gefahren.
Und Paulus war stocksauer.
Beim zweiten Ansatz stand es wieder zur Diskussion, ob man den Jungen noch mal mitnimmt.
Paulus sagte: "Bei mir nicht mehr. Bei mir ist er nicht mehr im Team."
Barnabas sagte: "Aber bei mir."
Denn der war der Onkel von Johannes Markus. Die waren verwandt – echte gute geistliche Vetternwirtschaft in der Gemeinde, edelste Gesichtspunkte unter den führenden Aposteln.
Dann zerstritten sich die beiden leitenden Evangelisten der Urkirche, Paulus und Barnabas.
Barnabas zog mit seinem Neffen Markus los, und Paulus sagte: "Der soll mir einen Kopf blasen."
Er nahm Silas und fand später Timotheus.
Da war etwas zerbrochen.
Markus war eine Flasche, ein Mitarbeiter mit großer Klappe, aber nicht viel dahinter.
Er formulierte dauernd Statements auf dem Papier, aber wenn er sechs Wochen hintereinander mal regelmäßig eine Gruppenstunde machen sollte, ging ihm die Luft aus.
So von dem Kaliber war das.
Der hätte gut auch in unsere Jugendarbeitslandschaft gepasst.
Das ist so ein Kernproblem, das wir haben: Senkrechtstarter, Leute, die unwahrscheinlich abheben, aber nicht durchhalten.
Und jetzt finde ich es prima, dass Paulus zum Schluss sagt: "Den Markus bringe mit zu mir."
Denn er ist ihm, da heißt es sogar, sehr nützlich zum Dienst.
Im Griechischen steht nicht nur "nützlich", sondern "gutnützlich", sehr hilfreich, sehr brauchbar zum Dienst.
Was für ein hoffnungsvoller Ausblick!
Eine Flasche entwickelt sich zum zuverlässigen, hilfreichen Mitarbeiter.
Dann ist ja für uns alle noch Hoffnung.
Wir wollen beten:
Herr, wir bitten dich herzlich darum, dass du uns brauchbar machst, dass wir in Treue und Liebe, in Hingabe und Fleiß den Dienst an den Menschen und zu deiner Ehre tun.
Und wir bitten dich, wie du es uns aufgetragen hast: Sende Mitarbeiter in die Ernte!
In diesem Bereich von Schleswig-Holstein, in unser ganzes Land, in der Bundesrepublik.
Herr, erwecke dir treue Mitarbeiter, die Tausende und Abertausende von jungen und alten Menschen erreichen, die ein verzerrtes Bild von dir haben!
Erwecke und sende dir Mitarbeiter für die Weltmission!
Herr, wir rufen dich an und danken dir, dass du versprochen hast, Gebet zu erhören.
Amen.
Die Haltung und Methoden der Verkündigung
Drittens: Wie soll die Verkündigung geschehen? Wie?
Wir schauen in Vers 2 hinein: Zunächst heißt es: Verkündige das Wort wie ein Herold. Stehe dazu, sei zur Stelle, egal ob gelegen oder ungelegen, ob es passt oder nicht. Mal haben wir Rückenwind, mal Gegenwind. Mal wird uns Beifall gespendet, mal wird geschimpft und wir werden sogar bespuckt. Sei zur Stelle, sagt Paulus – das ist das Erste.
Wir dürfen uns freuen, dass Gott uns auch immer wieder barmherzige Zeiten schenkt, in denen wir spüren, wie sein Wort die Gewissen erreicht. Dann ist Offenheit da, und die Menschen nehmen es auf und erfahren die neuschaffende Kraft. Ich bin so dankbar, dass Gott uns Mitarbeitern nicht eine Situation aufzwingt, wie er sie dem Jesaja zum Beispiel auferlegt hat.
Wenn man die Berufungsgeschichte in Jesaja Kapitel 6 liest, sieht man, dass Jesaja bei seiner Berufung gleich dazu geliefert bekam, dass es keinen Sinn hatte. Seine Verkündigung war ein Vollzug des Gerichts Gottes. Er sollte predigen, damit die Menschen nicht hören und sich nicht bekehren. Durch das Hören und die Ablehnung des Wortes Gottes vollzog sich das Gericht Gottes, die Verstockung und Verhärtung.
Das heißt, Jesaja verkündigte das Wort Gottes sein Leben lang unter Einsatz seines Lebens. Er wusste von Anfang an, dass er es von Gott her tun musste, aber dass es nichts als Ablehnung bewirken würde – sogar eine zunehmende Ablehnung. Das muss eine furchtbare Lebenssituation gewesen sein.
Gut, dass uns ein solcher Auftrag nicht zugemutet wird. Gott ist immer auch barmherzig und lässt uns erfahren, wie sein Wort rettend wirkt, Menschen umbringt und Frucht schafft. Das ermutigt einen, aber wir dürfen daraus keine falschen Rückschlüsse ziehen. Diese Bestätigung durch das Annehmen des Wortes ist nicht die Motivation zur Verkündigung.
Die Gefahr ist groß, dass wir sagen: „Ja, wenn die Situation günstig ist, wenn die Leute es wollen, dann sage ich es.“ Oder: „Wenn sie zustimmen, wenn sie annehmen, dann habe ich es richtig gesagt. Wenn sie dagegen sind, dann habe ich es irgendwie noch nicht richtig gesagt, dann müssen wir noch einen anderen Trick finden.“
Was für ein Unsinn! Meint ihr, es gäbe eine Methode, wie man den Menschen das Evangelium unterjubeln könnte? Wir müssen uns bemühen, so sehr uns die Liebe Gottes treibt, es verständlich zu machen, es deutlich zu vermitteln und einzuladen. Aber es gibt keinen Weg, der garantiert, dass die Botschaft von Christus angenommen wird.
Einladend, werbend und klar soll sie gesagt sein. Doch sie bewirkt dann Annahme und Ablehnung, Öffnung und Verhärtung. Das ist auch für die Mitarbeiter eine harte Sache. Das erträgt man nur schwer. Es schlägt uns nieder, wenn wir spüren, dass sich plötzlich eine Wand schließt und man rennt gegen diese Wand. Es dringt nicht durch. Die Feindschaft steigt.
„Predige“, sagt Paulus dem Timotheus. Und wenn er es jetzt nicht mehr mit dem Wort „predigen“ meint, sondern mit „herolden“, dann bezieht er das auch nicht mehr nur auf die offiziellen Tätigkeiten von Pfarrern, wenn sie Talare tragen oder im Gottesdienst oder sonst irgendwo.
Dieses Herolden geschieht, sage ich euch, viel mehr in euren Klassen und an Arbeitsstellen als in Veranstaltungen, die wir Evangelisationen nennen. Das merken wir auch an diesen Abenden. Dort, wo man im Beruf und in der Schule steht, ist man viel näher bei den Leuten, die es noch nicht gehört haben und sich noch nicht auf die Herrschaft Jesu Christi eingestellt haben.
Bis man in so einer Veranstaltung, wie wir sie abends machen, die Leute reinkriegt, die Jesus nicht kennen, merkt man, wie wahnsinnig schwer das ist. Wie viele sind eingeladen worden auf den Straßen in diesen Tagen, und wie wenige davon sind der Einladung gefolgt? Ihr macht doch die Erfahrung.
Ich halte solche Veranstaltungen für sinnvoll. Sie haben Höhepunkt-, Ermutigungs- und Festcharakter. Der eine oder andere Randsiedler wird dadurch erreicht. Aber die Speerspitze der Mission ist das nicht.
Deshalb ist es verhängnisvoll, Evangelisation nur für solche Wochen zu verwenden, wie wir sie jetzt abends machen. Biblisch gesprochen ist Evangelisation das Überbringen der offiziellen Nachricht von der Königsherrschaft Gottes in Bereiche, in denen man sich noch nicht darauf einstellen konnte.
Das heißt: Wenn du in deiner Klasse bist, dann bist du der Evangelist. Wenn du dort nur Christen hast, vielleicht noch einen zweiten, drei oder fünf, oder vielleicht ganz alleine in deiner Klasse bist – da bist du Evangelist. Das ist die typische Evangelistensituation.
Auf dem Marktplatz, wo man noch nicht weiß, was der König zu sagen hat, dort sprich. Das ist der Vorposten. Sei zur Stelle, ob gelegen oder ungelegen, mal mit Rückenwind, mal mit Gegenwind.
Die Inhalte und Formen der Verkündigung
Was ist zu tun? Das ist nun der nächste Punkt: Wie soll die Verkündigung geschehen?
Wir haben bereits gesagt: Erstens, sei zur Stelle. Zweitens, wie ist es zu tun, was genau ist zu tun? Drei Dinge werden hier in Vers 2 genannt: Weise zu Recht, drohe, ermahne mit aller Geduld und Lehre.
Weise zu Recht – das ist ein Ausdruck aus der Gerichtssprache und bedeutet einfach, einen Schuldigen seiner Tat zu überführen. So wie ein Staatsanwalt oder Richter in einem Verhör oder mit Argumenten und Beweisen jemandem zeigt, dass er schuldig ist. Das meint Paulus hier: Weise zu Recht, überführe, decke Sünde auf! Rede davon, warum das Leben zugrunde geht und was Trennung von Gott bedeutet.
Der Mensch weiß von Natur aus nichts von der Sünde, sein Gewissen ist zerstört. Deshalb nennt Paulus das als Erstes: Überführe. Ich halte das für sehr wichtig, weil ich selbst spüre, wie ich dieser Aufgabe gerne ausweiche. Ich möchte Jesus gerne nur ganz positiv anbieten.
Doch niemand lässt sich gerne kritisieren und hören, dass er falsch lebt. Wir möchten bestätigt und nicht in Frage gestellt werden. Sobald ich in Frage gestellt werde, entsteht ein ungutes Gefühl in mir. Dann versuche ich mich zu verteidigen. Das macht die Sache schwer. Deshalb möchten wir Jesus gerne nur ganz positiv anbieten. Aber über Sünde und Verlorenheit redet ein anständiger, vornehmer Christ eigentlich nicht. Paulus sagt zu Timotheus: Ich beschwöre dich, überführe!
Es ist ein Reden zu den Gewissen, das Gottes Geist gebraucht, um einem Menschen seine Verlorenheit zu zeigen. Das weiß er von Natur aus nicht.
Dann heißt es: Drohe. Das ist natürlich der letzte Ausweg. Man sagt ja, man darf nicht mit dem „Höllenhund“ in den Himmel treiben. Doch Paulus sagt hier: Drohe! Es geht nicht ums Angstmachen, sondern um die Ernüchterung von Betrunkenen. Darum geht es: What shall we do with a drunken sailor?
Das Problem ist nicht, Angst zu machen. Wenn das die Absicht wäre, bestünde die Gefahr, Angst auszubeuten. Hier geht es darum, dass der selbstgefällige, selbstgerechte, selbstsichere Mensch, der in vielen Problemen und Gefahren lebt, nichts wahrnimmt, nichts sieht und sagt: „Was ist denn? Ist da alles okay?“ Dieser Mensch soll mit der Wirklichkeit, auch der bedrohlichen und bedrückenden Wirklichkeit, konfrontiert werden.
Nüchtern sein – das ist ein Thema, das sich durch das ganze Neue Testament zieht. Ernüchterung ist oft eine unangenehme Erfahrung. Das Leben im Rausch ist angenehm, aber betrügerisch, gefährlich und manchmal sogar tödlich. Deshalb geht es hier um diese kritische Möglichkeit: Drohe!
Zunächst einmal ist das ein Auftrag innerhalb der Gemeinde. Timotheus hat seinen Dienst in den verschiedenen Gemeinden Kleinasiens. Er soll ihnen sagen, dass Gott ein heiliger Gott ist. Man darf nicht mit ihm spielen. Gott ist der Vater, der in Jesus Mensch geworden ist, aber er ist noch lange nicht unser Kumpel, mit dem wir Schlitten fahren können.
Manche Christen leben und reden mit Gott, als wäre er ein Kumpel. Doch Gott ist auch in der Gemeinde der Heilige. Das sehen wir an Geschichten aus der Urgemeinde, etwa der schrecklichen Geschichte von Ananias und Saphira. Gott ist in seiner Heiligkeit seinen eigenen Leuten gegenüber konsequenter als gegenüber Außenstehenden. Das ist auch berechtigt. Die Außenstehenden können ja nicht wissen, wie es um Gott steht. Die, die ihn kennen und seine Liebe erfahren haben, dürfen und sollen ihn auch in seiner Heiligkeit ernst nehmen.
Deshalb richtet Gott an sein eigenes Volk in der Gemeinde oft so radikal. Die Geschichte von Ananias und Saphira ist ein erschreckendes Beispiel.
Dann heißt es: Ermahne und ermutige. Am Ende von Vers 2 steht: Ermahne. Diesen Ausdruck habe ich schon verschiedentlich erklärt. Er ist verwandt mit dem Wort „Tröster“. Im Johannes-Evangelium wird der Heilige Geist als der Tröster, der Paraklet, bezeichnet. Hier bedeutet es: ermahne, ermutige, tröste.
Die Situationen der Menschen können verschieden sein. Deshalb gilt: Tu dies! Der eine braucht, dass man ihm klar ins Gewissen redet, sodass ihm bleich wird im Gesicht. Den anderen muss man geistliche Streicheleinheiten geben, damit er aufgerichtet wird.
Hier geht es nicht nach Schema F, sondern je nach seelsorgerlicher Situation darum, was nötig ist – und das alles mit Geduld. So heißt es dort: mit aller Geduld und im Rahmen biblischer Lehre.
Die Unbeliebtheit der Verkündigung und die Konsequenz daraus
Wie soll Verkündigung geschehen? Wir sagten, A sei zur Stelle, B, was ist zu tun? Rede ins Gewissen, drohe, ermutige, ermahne.
Dann heißt es, dass solche Evangelisation, solche Verkündigung unpopulär wird. Ja, das ist eine Sache. Da ist man verführt. Aber ich kann mich jetzt nicht darauf einlassen, zu versuchen zu analysieren, was wir heute in der Jugendarbeit, in Gottesdiensten, in allen Kirchen – ich meine jetzt alle Denominationen – eigentlich für Vorstellungen von Verkündigung haben.
Ich rede jetzt von den Gemeinden, von den Erwartungen im Blick auf die Verkündigung. Da sagt Paulus: Es werden Zeiten kommen, da werden sie „Kitzeln in den Ohren“ haben. Sie werden Spaß haben an ganz bestimmten Verkündigungsweisen – geistreich und etwas, das ihnen einfach liegt. Sie werden keine Freude haben an der Verkündigung des gekreuzigten Jesus. Das wird nicht laufen.
An der Verkündigung der Königsherrschaft Jesu, am Ruf zur Umkehr, wenn sie keinen Spaß haben, werden sie sich andere Prediger aufladen. Ich finde es so interessant, welche Schlussfolgerung Paulus daraus zieht. Er sagt nicht: „Also, wenn sie das wollen, dann lasse ich es.“ Sondern er sagt: „Das kommt.“ Deshalb beschwöre ich dich vor Gott: Leg den Zahn zu, leg den Zahn zu! Du weißt nicht, wie lange sie dich überhaupt noch reden lassen.
Du musst die Botschaft vom gekreuzigten Jesus sagen, ob sie populär ist oder nicht, ob es gelegen kommt oder nicht – sag sie ihnen.
Interessant ist: Die Untergrabung der Botschaft von Jesus beginnt nicht in der gottlosen Welt, sondern sie beginnt in der Gemeinde der Christen. Paulus redet hier von den Christen, die sich die Prediger aufladen wollen, die ihnen predigen, worauf sie Spaß haben. Die ihnen nach dem Munde reden, die so predigen, dass ihr Lebensstil bestätigt wird.
Dass man sich nicht ändern muss, dass ihre ethischen Vorstellungen bestätigt werden, dass das, was man tut, wie man mit Geld umgeht, wie man mit Besitz umgeht, wie man mit Sexualität umgeht, dass das alles bestätigt wird. Sonst werden sie sagen: „Das ist zu intolerant, das ist zu eng, das ist altmodisch, das wollen wir nicht hören.“
„Das wird kommen“, sagt Paulus dem Timotheus. Deshalb: Mit aller Leidenschaft und Entschlossenheit! Beeil dich, tu was, tu was! Denn ich werde jetzt Vers 6 lesen, wir lesen weiter.
Paulus’ Lebensrückblick und die Hoffnung auf die Krone der Gerechtigkeit
Denn ich werde schon geopfert; die Zeit meines Abschiedens ist schon da. Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Treue gehalten.
Der griechische Ausdruck für Glaube und Treue ist derselbe, wisst ihr? Ich habe Treue gehalten. Hinfort ist mir bereit die Krone der Gerechtigkeit, der Siegeskranz ist gemeint – dieser Olivenzweigkranz, der bei den Olympischen Spielen und ähnlichen Wettkämpfen in Griechenland verliehen wurde. Genau dieser ist hier gemeint: der Siegeskranz der Gerechtigkeit.
Welchen mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird – nicht mir allein, sondern auch allen, die seine Erscheinung, sein Kommen lieb haben.
Da wäre so manches zuzusagen. Ich will jetzt an diesem Punkt nur eines herausgreifen, weil ich meine, dass das in das ganze Bild passt, das wir in diesen Tagen miteinander durchwandert haben.
Achtet bitte einmal darauf, wie bewusst und zielstrebig Paulus sterben kann. Er wartet auf seine Hinrichtung, darum geht es hier, und davon redet er. Einen Philippabrief hat er dann geschrieben: „Ich habe Lust, abzuscheiden und mit Christus zu sein.“ Wenn ich weiterleben muss, sagt er, gut, ich möchte Christus verherrlichen – sei es durch Leben oder durch Sterben.
Ein Psychologe hat mal gesagt, dass es eine gegenläufige Bewegung gibt. Vor 50, 60 Jahren war Sexualität in der Öffentlichkeit tabu. Aber wenn die Oma zu Hause gestorben war, dann wurde sie drei Tage im Wohnzimmer oder Schlafzimmer aufgebahrt, in der eigenen Wohnung, und selbstverständlich starb man zu Hause.
Alle Kinder waren ums Sterbebett versammelt, und die Beerdigung fand von der Wohnung aus statt, über der der Tod war, in der Mitte der Menschen. Und dort starb man auch. Es ist schon nachdenkenswert, wie sich die Tabus verdrehen.
Dieser Psychologe meinte, ob da ein Zusammenhang bestünde, wäre mal interessant zu untersuchen. Wir leben in einer Zeit, in der Sexualität absolut nicht mehr tabu ist; man kann über alles ganz öffentlich reden. Aber wir leben zugleich in einer Zeit, in der der Tod tabu ist.
Ich lerne 40- oder 50-jährige Menschen kennen, die zum ersten Mal einen Toten sehen. Ich weiß nicht, wie viele von euch je überhaupt einen Menschen beim Sterben gesehen haben. Dabei stirbt in jeder Sekunde ein Mensch – in diesem Augenblick hundert- und tausendfach in unserem Land, millionenfach in der Welt.
Aber man kann Jahre und Jahrzehnte leben, ohne überhaupt einmal einen Sterbenden zu sehen. So haben wir langsam ein Wirklichkeitsbewusstsein auch unter den Christen geschaffen. Natürlich weiß man theoretisch, dass es den Tod gibt und dass jeder mal stirbt. Aber praktisch ist das ausgeklammert. Praktisch gibt es das nicht.
Man stirbt auf Intensivstationen keimfrei, an zig Armaturen angeschlossen, und aus hygienischen Gründen müssen die Verwandten natürlich draußen bleiben. Nicht wenige sind sogar ganz dankbar dafür. Wenige stellen sich an die Sterbebetten ihrer Verwandten, wenige halten es durch.
Woher kommt das eigentlich? Ich kann das nicht vertiefen. Ich will euch nur darauf aufmerksam machen, dass zum Leben mit Christus, dem Leben mit dem Auferstandenen, diese Kostbarkeit gehören darf: dass ich ganz bewusst weiß, mein Leben hat ein Ziel, Jesus bringt mich zum Ziel.
Und dass ich dann in einer Situation wie der unseren heute anfange zu beten: Herr, lehre mich bedenken, dass ich sterben muss, damit ich klug werde.
Wir haben einen Bildungsnotstand, wir leiden an Volksverdummung. Und die Volksverdummung schreitet nicht deshalb voran, weil die Volkshochschulen und die Erwachsenenbildungsprogramme der Kirche nicht ausreichend finanziert werden, sondern weil wir den Tod ausgeklammert haben.
Im Psalm heißt es: Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden.
Die Wissenschaftler des Mittelalters, große Geister, hatten auf ihrem Schreibtisch einen Totenkopf. Einen echten, liegen konnte man damals noch – Plastik gab es ja nicht.
Memento mori – das waren nicht Leute, die mit dem Leben nichts anfangen konnten und die immer so düstere Friedhofsgärtnerperspektiven hatten. Nein, die Friedhofsgärtner-Perspektive, wir hätten nur einen unter uns, wäre es, der seinen Ferienjob auf dem Friedhof macht. Ja, der ist ja immer ganz fröhlich, ich meine da bei den Blumen auch.
Sondern sie sagten, dass uns klein werde das Kleine und das Große groß erscheine, Ewigkeit hell in die Zeit hineinleuchte.
Mit diesem Ziel: dass uns klein werde das Kleine und das Große groß erscheine. In dem Maße, wie wir auch als Christen verdrängen, dass Jesus unser Leben zu einem Ziel führt, werden wir keine Maßstäbe mehr haben für das, was wichtig und vorrangig ist.
Wir werden uns verlieren an Kinkerlitzchen, wir werden Nebensächlichkeiten überschätzen, unser Leben vertun mit Randfragen und das Wesentliche gar nicht zu Gesicht bekommen.
Herr, lehre mich bedenken, dass ich sterben muss, damit ich klug werde. Das ist eine Frucht.
Ich meine, ich verstehe die Leute, die keine Hoffnung haben, für die der Tod nur der große Räuber ist, der total abräumt. Die fragen sich: Was soll ich denn tun? Ich kann auch nicht mit Problemen leben, die ich nicht lösen kann. Dann verdrängt man.
Das ist die Frucht der Auferweckung Jesu, dass ich weiß: Niemand kann mich von Jesus scheiden. Dass ich der Endlichkeit meines Lebens ganz bewusst ins Auge sehe.
Das hat man nicht per Entschluss, das muss man tatsächlich lernen. Und weil man es in unserer Gesellschaft, in unserer Welt nicht mehr beigebracht bekommt – einfach weil das nicht passiert.
Da hatten es meine Mutter noch einfacher. Es war selbstverständlich, dass sie als zehnjähriges Mädchen am Sterbebett ihres Vaters zuhause stand und die drei Tage, die er dort zuhause aufgebahrt war, dann war die ganze Familie mit im Haus.
Man wohnte – man muss sich das mal vorstellen – ganz normal mit der Leiche des Verstorbenen unter einem Dach. Da kriegen Leute heute den Kotz übel, wenn man daran denkt, dass das passieren könnte.
Augen zu, Desinfektionsmittel in den ganzen Bauraum gesprüht und ab in den Kühlschrank.
Ich bin sehr wesentlich geprägt worden in meinem Glauben und habe viel, viel Hilfe bekommen durch meinen väterlichen Freund William Busch, der einer meiner Vorgänger in der Essener Arbeit war. Auf dessen Todesanzeige stand dieser Vers, der mich ungeheuer überrascht hat:
„In Jesus habe ich hier das beste Leben, und sterb ich, wird er mir ein besseres geben.“
Normalerweise ist es gar nicht möglich, dass man das Beste noch steigert. Aber so muss man es formulieren: In Jesus habe ich hier das beste Leben, und sterb ich, wird er mir ein besseres geben.
Wir haben in den letzten zehn Monaten viel, viel Schlimmes lernen müssen in unserer Arbeit. Zehn Monate lang starb ein Leiter aus unserem Leiterkreis, 18, 19 Jahre alt, an Knochenkrebs, wissend, was er hat.
Das war für uns alle in unserem Mitarbeiterkreis eine schlimme, schlimme Schule Gottes. Das wirkt anders als eine Bibelarbeit. Wenn du da stehst, an dem Bett eines Jungen, der nur noch Haut und Knochen ist und dann wegstirbt, werden die Prioritäten plötzlich anders, nicht?
Plötzlich lebst du nicht mehr mit dem Gedanken: na ja, wenn du achtzig bist und so.
Dass uns klein werde das Kleine und das Große groß erscheine.
Persönliche Hinweise und Ermutigungen zum Schluss
Schade, dass ich nicht mehr so viel sagen kann. Ich erinnere euch nur noch an Demas und an Markus. Bitte schaut mal rein, denn zum Schluss kommen jetzt – das müsst ihr für euch lesen – diese persönlichen Notizen. Herrlich, wie bei den gewaltigen Aussagen dann zwischendurch plötzlich der Hinweis kommt: „Ich habe doch meinen Mantel da in Troas vergessen.“ Packt den doch mal ein! Ich finde das ja tröstlich. Ich unterstelle einfach mal, dass Paulus den Mantel aus Versehen vergessen hat. Vielleicht war es auch eine Transportfrage, das Gewicht der Habseligkeiten, und dann musste er ja die Pergamente mitnehmen – die Membranen, wie es im griechischen Text heißt. Das waren die Schriftrollen.
Man muss sich mal vorstellen, wenn Paulus die Briefe schrieb, wenn er zum Beispiel die beiden Timotheusbriefe mit ihren jeweils vier Bögen oder gar die sechzehn Kapitel des Römerbriefes von Hand abschrieb. Da kannst du mal schauen, wie viel Papier du dafür brauchst. Was meinst du, was die an Pergamentrollen geschleppt haben, um das zu schreiben? Junge, Junge, da baust du mit deinem Container auf dem Buckel für, um das zu kriegen.
Na gut, aber davon wollte ich ja nicht reden. Ich wollte euch nur auf Demas hinweisen, Vers 10: „Denn Demas hat mich verlassen.“ Und diese Welt ist ihm lieb geworden – diesen Äon, das heißt Welt nicht im Sinne der schönen Schöpfung Gottes, sondern als gottfeindliche Macht. Mich tröstet das ein bisschen. Ich mache mir manchmal Gedanken, dass aus unserer Jugend so mancher abschwimmt. Da sage ich mir: Mensch, was sind wir doch schlechte Seelsorger, dass wir den nicht halten können. Und da muss ich mich dann manchmal trösten lassen: Das ist auch einem Paulus passiert, mit seinem engsten Mitarbeiter Demas. Der hatte plötzlich keine Lust mehr. Dem war der dauernde Kampf um Jesu willen einfach über. Er wollte mal angepasst leben, einfach mal wegtauchen – und dann ist er weggetaucht.
Wilhelm Busch schrieb Anfang der fünfziger Jahre mal ein paar heiße Artikel über die Jugendarbeit. Damals fing man an zu sagen, man müsse ja nicht in jeder Gruppenstunde ein biblisches Wort und eine Andacht sagen. Man komme von der Peripherie zum Zentrum, mache erst mal einen Tanztee, und wenn die Leute einen dann auf die gläubigen Augen hin ansprechen, aus welchen Motiven man tanze, dann sage man ihnen auch, dass man vom Evangelium herkomme. Diese Sprüche wurden damals erfunden und sind inzwischen ja radikal geworden. Wilhelm Busch schrieb einen Artikel unter dem Motto „Wird der schmale Weg verbreitert?“ Im Vorwort gesteht er, dass er eigentlich einen anderen Titel vorhatte, den er dann aber doch nicht gewählt hat. Er lautete: „Demas wird Jugendpfarrer.“
Ja, es ist immer noch so.
Aber lasst mich als Letztes euch den Markus in Erinnerung rufen, der ist nämlich ermutigend, Vers 11. Eine Flasche wird doch noch ein brauchbarer Mitarbeiter. Das ist eine Sensation. Markus war eine richtige fromme Flasche. Er war in die christliche Mischpoke der Topmannschaft der damaligen Kirche – Paulus, Barnabas und Co. – reingerutscht, weil er eine einflussreiche Mutter hatte, Maria, in deren Haus sich in Jerusalem die Gemeinde traf.
Dann nahmen Paulus und Barnabas den Jungen mit auf die erste Missionsreise. An der türkischen Küste bekam Markus Durchfall und setzte sich bei Nacht und Nebel ab, um zu Mama nach Hause zu fahren. Paulus war stocksauer. Beim zweiten Versuch stand es wieder zur Diskussion, ob man den Jungen noch mal mitnimmt. Paulus sagte: „Bei mir nicht mehr, bei mir ist er nicht mehr im Team.“ Barnabas aber sagte: „Bei mir schon.“ Denn er war der Onkel von Johannes Markus, sie waren verwandt – echte gute geistliche Vetternwirtschaft in der Gemeinde, edelste Gesichtspunkte unter den führenden Aposteln.
Dann zerstritten sich die beiden leitenden Evangelisten der Urkirche, Paulus und Barnabas. Barnabas zog mit seinem Neffen Markus los, und Paulus nahm Silas und fand später Timotheus. Da war etwas zerbrochen.
Markus war eine Flasche, ein Mitarbeiter mit großer Klappe, aber nicht viel dahinter. Er formulierte dauernd Statements auf dem Papier, aber wenn er sechs Wochen hintereinander mal regelmäßig eine Gruppenstunde machen sollte, ging ihm die Luft aus. So von dem Kaliber war das. Er hätte gut in unsere Jugendarbeitslandschaft gepasst. Das ist so ein Kernproblem, das wir haben: Senkrechtstarter, Leute, die unwahrscheinlich abheben, aber nicht durchhalten.
Jetzt finde ich es prima, dass Paulus zum Schluss sagt: „Den Markus bringe mit zu mir, denn er ist mir“, da heißt es sogar, „sehr nützlich zum Dienst.“ Im Griechischen steht dort nicht nur „nützlich“, sondern „gutnützlich“, also sehr hilfreich und brauchbar zum Dienst. Was für ein hoffnungsvoller Ausblick! Eine Flasche entwickelt sich zum zuverlässigen, hilfreichen Mitarbeiter. Dann gibt es ja für uns alle noch Hoffnung.
Wir wollen beten: Herr, wir bitten dich herzlich darum, dass du uns brauchbar machst, dass wir in Treue, Liebe, Hingabe und Fleiß den Dienst an den Menschen und zu deiner Ehre tun. Wir bitten dich, wie du es uns aufgetragen hast: Sende Mitarbeiter in die Ernte! In diesem Bereich von Schleswig-Holstein, in unser ganzes Land, in der Bundesrepublik. Herr, erwecke dir treue Mitarbeiter, die Tausende und Abertausende von jungen und alten Menschen erreichen, die so ein Zerrbild von dir haben! Erwecke und sende dir Mitarbeiter für die Weltmission! Herr, wir rufen dich an und danken dir, dass du versprochen hast, Gebet zu erhören. Amen.