Herzlich willkommen zum Podcast der EFH Stuttgart mit Thomas Powileit und Jörg Lackmann. Unser Podcast möchte zum praktischen Christsein herausfordern und zugleich zum theologischen Nachdenken anregen.
Flugzeuge, Busse und Bahnen stehen still, selbst säkulare Juden fasten. Das ist Yom Kippur, der höchste jüdische Feiertag.
In diesem Podcast betrachten wir die Bedeutung von Yom Kippur im heutigen Judentum sowie im Tempeldienst des Alten Testaments. Außerdem gehen wir darauf ein, was es für uns als Christen in unserem Glaubensleben bedeutet, Yom Kippur zu feiern.
Ja, im Jahr 2023 fand am 25. September Yom Kippur statt. Das ist also noch gar nicht lange her. Man nennt diesen Tag, wie schon eingangs erwähnt, den großen Versöhnungstag.
Jörg, wie wird dieser Feiertag in Israel begangen? Nimm uns doch mal mit hinein.
Ja, es ist das Pendant zu Weihnachten im christlichen Bereich. An diesem Tag passieren Dinge bei Juden, die sonst nie in die Synagoge gehen, die plötzlich auftauchen. Man kann sich das kaum vorstellen. Der Verkehr kommt zum Erliegen, kein Fernsehen, kein Radio. Die arabischen Viertel werden sicherheitshalber mit Betonblöcken abgesperrt, damit dort niemand Auto fahren kann. Das habe ich gerade diese Woche gelesen, weil es ja genau diese Woche war.
Das ganze Leben fährt herunter. Es ist eine Zeit, in der viele sich besinnen und Buße tun. Es ist Teil eines ganzen Festzyklus, der schon zehn Tage früher beginnt, nämlich bei Neujahr.
Wir sind übrigens nach jüdischer Zeitrechnung gerade im Jahr 5784 nach der Schöpfung. Das heißt, Neujahr ist nicht am 1. Januar, sondern war vor ein paar Tagen, ungefähr am 15. September dieses Jahres. Wegen des Sabbats wurde es, glaube ich, auf den 16. verschoben.
An Neujahr gibt es das große Posaunenblasen. Nach dem Verständnis der Rabbis geht man in sich, tut Buße, und in diesen zehn Tagen zwischen Neujahr und Yom Kippur entscheidet sich dann auch, ob man im nächsten Jahr noch leben wird, so die Tradition, und ob die guten oder die schlechten Taten überwiegen.
Also ist es eine Bußzeit, die mit dem Versöhnungstag abgeschlossen wird. Zehn Tage später folgt dann das Laubhüttenfest. Das ist ein ganzer Festzyklus im siebten Monat nach der jüdischen Zählung und wirklich etwas, was man sich kaum vorstellen kann.
Am Vorabend gibt es einen sehr langen Gottesdienst. Viele ziehen weiße Gewänder an als Zeichen der Buße. An dem Feiertag selbst verbringt man oft zehn Stunden im Gebet. Es wird das Buch Jona vorgelesen, ein Buch, in dem ebenfalls Buße gepredigt wird. Morgens wird Jesaja 58 über das Fasten vorgelesen, denn es ist auch ein Fastentag.
Das Ganze kommt aus der Bibel und ist dort verankert, zum Beispiel in 3. Mose 23.
Ich lese da mal kurz vor:
„Und der Herr redete mit Mose und sprach: Am zehnten Tag in diesem siebten Monat ist der Versöhnungstag. Da sollt ihr eine heilige Versammlung halten und fasten und dem Herrn Feueropfer darbringen und sollt keine Arbeit tun an diesem Tag, denn es ist der Versöhnungstag, euch zu entsühnen vor dem Herrn, eurem Gott.“
Das ist eine Sache, die ganz tief geht.
Was ich interessant fand, ist, dass ich letztlich gelesen habe, dass ein Katechismus, denke ich, vielen bekannt ist. Das ist so eine Frage-Antwort-Sammlung, die christliche Lehre vermittelt. Im Judentum ist der Kalender deren Katechismus. Der Kalender mit all den Festen ist praktisch eine Sammlung von Gegenstandslektionen über Gott.
Das ist auch der Grund, warum wir Christen uns damit beschäftigen sollten, neben dem geschichtlichen Interesse oder dem Interesse am Judentum. Das sind alles Gegenstandslektionen, von denen wir lernen können. Das ist wirklich eine große Sache.
An diesem Tag, da es ein Fastentag ist und man keine Arbeit tut, wie wir gerade im dritten Mose gelesen haben, wird das auch so gehandhabt. Man trägt zum Beispiel keine Lederschuhe, weil das als Luxus gilt und man fasten soll. Man verzichtet auf bestimmte Speisen, die als höherwertig gelten, und auf andere Dinge. Also sehr umfassend.
Was es auch gibt: Da es ja keinen Tempel mehr gibt – darauf kommen wir gleich noch im Versöhnungsdienst –, braucht man eigentlich Tieropfer. Einige ultraorthodoxe Gemeinden schlachten am Vortag einen Hahn und lassen ihn dreimal über den Kopf kreisen, um den Tempel zu ersetzen.
Denn eigentlich braucht diese große Versöhnung Tierblut, und das gibt es seit 70 nach Christus nicht mehr. Und es ist auch ein ganz bestimmtes Tierblut.
Ja, auch das nicht vom Hahn, nebenbei. Das ist nur ein Ersatz, vielleicht auch absichtlich, nehme ich mal an.
Wie gesagt, dieser Tag ist auch ein Tag des Gerichts, an dem die Leute sagen: Da wird festgelegt, ob du im nächsten Jahr weiterleben wirst. Das ist eine Traditionssache.
Es ist ein Tag des In-sich-Hineingehens. Wenn Gott sich an diesem Tag mit dem Volk versöhnt hat, geht es zwischen Gott und dem Volk wieder weiter. Das kommt aus der Geschichte heraus.
Was natürlich auch noch heutzutage eine Rolle spielt: Wir haben jetzt gerade das 50-jährige Jubiläum des Jom-Kippur-Krieges von 1973. Am 6. Oktober griffen die Feinde Israels an, genau an dem Tag, an dem eigentlich alles stillstand – kein Radio, kein Verkehr und so weiter – als Israel am verwundbarsten war.
Das ist auch heute noch ein bedeutendes Ereignis in der Geschichte.
Du hast gesagt, dass vieles aus der Tradition des Judentums stammt, und es ist manchmal gar nicht so einfach, die Tradition von dem zu trennen, was wirklich biblisch ist. Du hast vorgelesen, dass der Versöhnungstag in der Bibel steht und dass vieles davon übernommen und miteinander verflochten wurde. Die Frage ist: Was ist Tradition und was ist biblisch, wenn man das auseinanderhalten möchte?
Vieles, was Tradition ist, hängt natürlich damit zusammen, dass es den Tempel nicht mehr gibt. Deshalb müssen bestimmte Dinge einfach anders praktiziert werden. Andere Aspekte finde ich gar nicht so falsch. Zum Beispiel das Buch des Lebens oder die Buße – diese Themen sind zwar nicht immer ganz deutlich im Text erwähnt, aber ich denke, man kann sie sehr wohl daraus ableiten. Ich finde das nicht weit hergeholt.
Vielleicht sollten wir ein bisschen den Tempeldienst erklären, um den Versöhnungstag besser zu verstehen. Ich mag die Stiftshütte als Vorläufer des Tempels oder des Tempeldienstes sehr, weil man dort die Stationen eines geistlichen Lebens oder des geistlichen Näherkommens zu Gott ganz konkret erklärt bekommt.
Heutzutage sagen die meisten Leute, dass Tieropfer unmöglich und nicht mehr zeitgemäß sind. Ich sehe das eher anders. Ich sage, jetzt verstehe ich endlich, was da geistlich eigentlich passiert, anhand dieser konkreten Dinge.
Wenn du mir erlaubst, würde ich gerne die Stiftshütte einmal durchgehen. Sie besteht aus sieben Stationen.
Das Problem war damals so: Gott war zuerst im Garten Eden mit den Menschen. Er war noch in Gemeinschaft mit ihnen und verbrachte jeden Tag zusammen mit ihnen. Dann kam die Sünde in das Leben, und Gott war nicht mehr auf der Erde.
Später, schon nach der Sintflut, baute Gott sich wieder eine Wohnung auf Erden, nämlich die sogenannte Stiftshütte oder das Zelt der Begegnung. Der Begriff „Stiftshütte“ stammt zwar aus dem 16. Jahrhundert, aber das Zelt der Begegnung beschreibt gut, dass Gott dem Menschen begegnet.
Das geschah, als das ganze Volk gerade aus Ägypten herausgezogen war. Die Stiftshütte wurde mitten im Lager aufgebaut, und die verschiedenen Stämme lagerten drumherum. Im Zentrum stand dieses Zelt der Begegnung, in dem man Gott begegnen konnte.
Dieses Zelt hatte einige Kennzeichen. Zum einen war es rundum umzäunt. Damals war alles noch transportabel, weil das Volk dauernd unterwegs war und umgezogen ist. Das zeigt, dass man Gott nicht einfach so nahen kann. Es gibt eine Wand zwischen uns und Gott. Man hört, was drinnen vorgeht, aber man kann es nicht sehen. So haben wir heute auch eine Ahnung von Gott, aber letztendlich sehen wir ihn nicht.
Es gibt einen Eingang, ein Tor, durch das man zu Gott gehen kann. Hier lässt sich schon eine Anwendung auf heute machen: Jesus sagt, er sei die Tür. Er ist also dieser Eingang, um zu Gott zu kommen. Für uns ist er der einzige Zugang zu Gott.
Nach dem Hebräerbrief ist das alles ein Bild auf geistliche Wahrheiten im Himmel oder im Leben mit Gott. Diese Bilder sollen uns helfen, besser zu verstehen, wie der Himmel ist oder wie Gott ist. Es gibt also nur eine Tür, nicht zehn oder fünfzig. Es gibt keinen Notausgang, den wir brauchen, weil wir ja bei Gott sind und keinen Notausgang wollen. Diese Tür ist Christus nach dem Neuen Testament.
Wenn man hineingeht, sieht man als normaler Jude zuerst den sogenannten Brandopferaltar. Dort wird ein Opfer dargebracht, um unsere Schuld zu tilgen. Das ist nach Ansicht der Bibel das größte Problem. Der moderne Mensch denkt darüber oft anders, vor allem in der westlichen Welt. In anderen Teilen der Erde ist das anders. Aber in der westlichen Welt fragt man sich oft: Schuld, Gott, Sühne, Sünde – was soll das?
Das ist jedoch das Zentrale, was uns von Gott trennt, und es muss gelöst werden: unsere Schuld. Christus ist für uns gestorben, und das Opfertier auf dem Altar steht stellvertretend für ihn, der für uns gestorben ist.
Dann gibt es ein Waschbecken im Vorhof, bevor man in das eigentliche innere Zelt kommt. Dort werden wir gereinigt, damit wir in unserem täglichen Leben rein vor Gott sein können.
Wenn man ins Zelt hineingeht, gibt es einen Bereich, in den nur die Priester dürfen. Dort sieht man links einen Leuchter, rechts Brote und Wein und geradeaus einen Räucheraltar.
Der Leuchter steht für Licht. Er symbolisiert, dass uns etwas erleuchtet und wir etwas verstehen. Es war ja alles dunkel dort drinnen. Christus sagt von sich: „Ich bin das Licht.“
Rechts sind die Brote. Christus sagt auch: „Ich bin das Brot.“ Das steht für geistliche Nahrung.
Der Räucheraltar symbolisiert nach Offenbarung 6 die Gebete, und zwar durch Christus. Die Kohlen vom Räucheraltar stammen vom Brandopferaltar. Man kann also nur richtig zu Gott beten, wenn Christus vorher für einen am Brandopferaltar gestorben ist. Die Kohlen liegen darüber, und die Gebete steigen auf.
Es gibt aber ein großes Problem, und hier kommt der große Versöhnungstag ins Spiel. Es gibt einen Vorhang, der das Allerheiligste vom Rest trennt. Das Allerheiligste war der Ort, an dem Gott im Alten Testament gegenwärtig war. Er erschien dort als Wolke. Gott ist Geist, aber äußerlich wurde er als Wolke gesehen, die ihn verbarg.
In das Allerheiligste durfte nur einmal im Jahr der Hohepriester eintreten, und zwar an diesem großen Versöhnungstag. Dieser Tag wird heute noch gefeiert, und das ist wichtig, denn es ist der wichtigste Tag. Es ist der einzige Tag im Jahr, an dem ein Mensch ins Innere des Tempels, später des Heiligtums, eintreten durfte, um Gott zu begegnen.
Wir kommen also vom Yom Kippur-Tag her. Du hast gerade kurz beschrieben, was den Tempeldienst ausmachte und wofür die einzelnen Dinge standen. Wir sind noch nicht beim eigentlichen Tag angekommen, aber wir nähern uns dem langsam und verstehen so den Kontext, in dem er gefeiert wurde.
Deshalb ist es wichtig, den Kontext zu verstehen, um die Bedeutung des Tages zu begreifen. Letztendlich ist das alles ein Bild dafür, wie wir Gott begegnen können.
Ein großes Problem laut der Bibel ist deine Sünde, die irgendwie wegkommen muss. Dafür gab es damals den Opferdienst. Dabei nahm man ein Opfertier, legte die Hände darauf und übertrug so bildlich seine Sünde auf das Tier. Dieses wurde dann geschlachtet – unschuldig – und jemand starb symbolisch für deine Sünden, so wie später Christus für uns am Kreuz starb.
Interessant ist, dass trotzdem einmal im Jahr der Hohepriester ins Allerheiligste gehen musste, um das Heiligtum zu entsühnen. Denn es hatte im Laufe des Jahres Sünde auf sich geladen. Das zeigt, dass der Weg nicht wirklich frei war. Jeder Jude konnte wissen: Das ist nur ein Symbol, meine Sünde ist nicht wirklich weg. Sonst könnte er jederzeit ins Allerheiligste gehen. Aber das durfte er nicht. Dadurch war klar: Es muss noch mehr kommen.
Die verschiedenen Riten, besonders den großen Versöhnungstag, kann man in 3. Mose 16 nachlesen. Das ist der Tag im Jahr, an dem zweierlei passiert. Zum einen kamen unter dem Jahr die Juden mit ihren Sünden zum Heiligtum, luden die Sünden auf die Opfertiere und waren damit ihre Sünden los. Doch das Heiligtum wurde dadurch kultisch verunreinigt. Es musste gereinigt werden, denn wie sollte man Gott nahen, wenn das Unreine noch da ist? Auch wenn die Sünde von dir persönlich weg ist, bleibt sie am Volk und an allem anderen haften.
Diese Reinigung geschah einmal im Jahr durch den Hohepriester. Zum anderen gab es an diesem Tag zwei bestimmte Riten, durch die die Sünde des Volkes komplett für dieses Jahr weg war. Der Hohepriester bestätigte damit, dass all das, was im Laufe des Jahres geschehen war, an diesem Tag Wirklichkeit wurde. Deshalb wurde wohl auch gesagt, man lebe jetzt noch ein Jahr weiter, weil Gott an diesem Tag angenommen hat, dass die Schuldbezeugungen des Jahres wirklich von ihm angenommen wurden. Das sieht man an diesem Tag sehr deutlich.
Was passierte genau? Ich gehe nicht auf alle Details ein, obwohl sie sehr spannend sind. Der Hohepriester nahm zuerst ein Tauchbad – ein vollständiges Bad, was ungewöhnlich war. Normalerweise wuschen sie nur Hände und Füße, um zu zeigen: Du musst rein sein, bevor du zu Gott kommst. Danach zog er weiße Gewänder an, nicht seine normalen bunten, sondern weiße, um Buße zu symbolisieren.
Daraus erklärt sich auch die Tradition, an diesem Tag mit weißen Gewändern in die Synagoge zu gehen. Übrigens sind das die zukünftigen Totengewänder der Person. Manche benutzen das auch heute noch. Ich habe davon gelesen, auch wenn es nicht jeder macht. Es ist ein Bußgewand, das später das Totenhemd oder Totengewand werden soll. Das finde ich sehr passend. Es ist zwar nicht vorgeschrieben, kommt aber von der Kleidung des Hohenpriesters.
Da wir heute keinen Tempel und keinen Hohenpriester mehr haben, hat sich einiges entwickelt. Was der Hohepriester früher tat, wird heute symbolisch auf den Einzelnen übertragen. Viele tragen heute die weißen Gewänder, wobei säkulare Juden das meist nicht tun.
Der Hohepriester musste fünf Opfertiere bereitstellen: einen Stier, um seine eigenen Sünden und die der Priester zu bekennen – denn nur so durfte er überhaupt ins Allerheiligste gehen. Das sage ich jetzt vereinfacht, denn später, übertragen auf Christus, war das natürlich sinnlos, er brauchte das nicht.
Dann nahm er die Räucherpfanne, der Vorhang zum Allerheiligsten ging auf – jetzt wurde es spannend, denn das war das einzige Mal im Jahr, dass jemand dort hineinging. Übrigens, bevor das alles begann, war das Zelt der Begegnung offen für Mose oder Josua, auch im Allerheiligsten. Doch ab dem Zeitpunkt durften nur noch einmal im Jahr der Hohepriester, nämlich Aaron, hineingehen.
Das geschah, nachdem Aarons Söhne Nadab und Abihu gestorben waren, weil sie mit falschem Feuer vor Gott traten. Das war ein Schutz für die Menschen. Fortan durfte nur noch einmal im Jahr jemand hineingehen. Die Sünde hatte das verursacht.
Der Hohepriester opferte zuerst für sich selbst, dann nahm er das Räucheropfer. Unter dem Schutz der Gebete Gottes trat er ins Allerheiligste und sah die Bundeslade mit dem Gnadenthron oben drauf. Er besprengte diesen siebenmal mit dem Blut seines eigenen Sündopfers.
Danach ging es zum Opfer für das Volk. Es gab zwei identische Ziegenböcke, und durch Los wurde bestimmt, welcher geopfert wurde und welcher als Azazel in die Wüste geschickt wurde. Der eine Bock wurde geschlachtet, sein Blut wurde ebenfalls ins Allerheiligste gebracht, später auch auf den Räucheraltar und den Altar – wobei das nicht alles in 3. Mose 16 steht, da gibt es noch weitere Details.
So wurde das Heiligtum von innen nach außen entsühnt: vom Gnadenthron im Allerheiligsten über den Räucheraltar bis hinaus. Bevor du Gott begegnen kannst, kannst du das selbst nicht tun. Es kann nur ein Hoherpriester für dich tun. Genauso kannst du nicht selbst gläubig werden, sondern Christus ist unser Hoherpriester, der das für dich tut.
Das ist eine große Lektion: Du kannst vor Gott nicht gerecht sein. Er muss den Weg freimachen und deine Gerechtigkeit werden. Du kannst nur durch den stellvertretenden Tod eines anderen, wie hier des einen Ziegenbocks für das Volk, Gott nahen.
Spannend finde ich, dass die beiden Ziegenböcke identisch sind – also gleich aussehen. Es sind zwar zwei verschiedene Tiere, aber für die eigene Sünde opferte der Hohepriester einen Stier, der größer war, und für das Volk einen Ziegenbock. Das hängt mit den Regeln der Opfer zusammen: Priester müssen höherwertige Tiere opfern, Fürsten auch, das Volk eher Schafe und Ziegen.
Das zeigt auch: Je höher deine Stellung, desto mehr Verantwortung trägst du. Das gilt auch für die anderen Opfer.
Mit dem Widder wird schließlich das Heiligtum für das Jahr entsühnt. Alle Sünden des Jahres sind damit weg. Das zweite ist interessant: Der zweite Ziegenbock, den wir heute Sündenbock nennen, hat eine etwas andere Bedeutung. Auf ihn werden die Sünden gelegt, indem man beide Hände auf ihn legt. Dann wird er in die Wüste geschickt und stirbt dort.
Das ist eine typische Formulierung: Er wird in die Wüste geschickt. Das hat bis heute eine symbolische Bedeutung. Der Sündenbock wird also in die Wüste geschickt – eine Praxis, die wir in anderer Form noch kennen.
Was sehen wir daraus? Ein Mensch kann Gott nicht selbst nahen, nicht ins Allerheiligste treten. Das muss der Hohepriester für ihn tun – in unserem Glauben ist das Christus für uns. Du bist getrennt von Gott, hast Schuld und kannst ihm nicht begegnen. Deshalb stirbt jemand für dich: damals ein Tier, später Christus.
Nicht nur deine persönliche Schuld muss weggenommen werden, sondern auch ein Weg zur Gemeinschaft mit Gott muss geschaffen werden. Deshalb wird das Heiligtum entsühnt, und deine persönliche Schuld wird weit weggetragen – wie es in Micha heißt: „in die äußersten Enden des Meeres versenkt“. Das ist genau das Bild.
Wir sind jetzt bei drei Tieren: Ich sagte, fünf werden geopfert. Danach opfert der Hohepriester Brandopfer für sich und für das Volk, jeweils Schafsböcke.
Was ist ein Brandopfer? Ein Brandopfer hat nichts mehr mit Schuld zu tun, sondern symbolisiert die Hingabe des Menschen an Gott. Das Tier wird vollständig verbrannt.
Bevor du dein Leben Gott hingeben kannst, muss zuerst die Sache mit der Schuld geklärt sein. Viele vermischen das. Viele denken, sie müssten Leistung bringen, Gott beeindrucken oder Buße tun. Das sind aber zwei verschiedene Dinge.
Erst muss jemand für dich den Weg zu Gott freimachen. Du musst das annehmen, indem du deine Sünde bildlich auf ein Tier überträgst oder heute an Christus glaubst. Danach kannst du heilig für ihn leben und dein Brandopfer bringen.
Aber zuerst muss das Problem der Schuld gelöst sein. Viele Religionen versuchen, selbst zu Gott zu kommen und ihn irgendwie zu besänftigen. Das ist ein ganz anderer Weg.
Hier haben wir ein sehr schönes Bild, wie wir zu Gott kommen können. Das ist eine Welt, die wir beim Lesen der Bibel natürlich begreifen, die kulturell aber weit von uns entfernt ist. Sehr weit.
Die Bilder helfen uns dennoch, neutestamentliche Wahrheiten zu verstehen. Das Neue Testament greift oft auf diese Opferriten zurück und macht deutlich, dass sie in Christus erfüllt sind.
Das würdest du dazu sagen?
Ich würde einfach mal etwas vorlesen, ohne das Große jetzt zu kommentieren, weil wir den Hintergrund schon haben, von dem Ganzen, was kurz erzählt wurde. Ihr könnt euch daheim mal Hebräer 7 bis 10 durchlesen. Ich lese jetzt aus Hebräer 9 einzelne Verse vor, und dann merken wir plötzlich, dass er ganz genau das hier zitiert.
Er erklärt zuerst, dass es einen Dienst gibt, eine göttliche Ordnung, die aber auf etwas anderes hindeutet. Dazu sagt er: „Da dies nun so eingerichtet ist“ (Hebräer 9,6), betreten zwar die Priester allezeit das vordere Zelt zur Verrichtung des Gottesdienstes, also das zweite Zelt, damit ist das Allerheiligste gemeint. Aber einmal im Jahr geht nur der Hohepriester hinein – das ist der Versöhnungstag.
Er bezieht sich hier auf den Versöhnungstag und will darüber mit uns reden. Also einmal im Jahr geht der Hohepriester herein, und zwar nicht ohne Blut, denn er bringt für sich selbst und für die Verirrungen des Volkes ein Opfer dar. Der Stier wird für ihn selbst geopfert, der Ziegenbock für das Volk.
Damit zeigt die Auslegung, die der Heilige Geist deutlich macht, dass der Weg zum Heiligtum noch nicht offenbart ist, solange das vordere Zelt Bestand hat. Der Weg zu Gott ist also nicht frei, denn jedes Jahr muss das erneuert werden. Das kann jeder Jude wissen. Im Bild weiß das jeder Jude, weil er auch weiß, dass Abraham zum Beispiel durch Glauben gerettet wurde. Es gibt so viele Bilder.
Jetzt lese ich ab Vers 11 weiter: „Als aber der Christus kam als Hoherpriester der zukünftigen Heilsgüter“ – also er ist unser Hoherpriester –, „ist er durch das größere und vollkommenere Zelt gegangen, das nicht mit Händen gemacht ist, das heißt nicht von dieser Schöpfung ist, auch nicht …“ Was ist das? Das ist der Himmel.
Also mit dem Blut von Böcken und Kälbern – ja, das kommt noch, das lege ich dann noch aus – aber er ist durch das größere Zelt gegangen, das also nicht mit Händen gemacht ist, nicht von dieser Schöpfung. Das ist der Himmel, der Ort, wo Gott wohnt.
Das Zelt, das auf der Erde war, also der Tempeldienst, zeigt nur, was im Himmel am Kreuz geschehen ist. Es ist eine Miniaturausgabe, sozusagen, sagt der Hebräerbrief hier ganz eindeutig.
Und es geht hier um den Versöhnungstag. Er kam nicht mit dem Blut von Böcken und Kälbern, sondern mit seinem eigenen Blut ein für alle Mal in das Heiligtum und hat eine ewige Erlösung erlangt. Das ist der große Unterschied.
Das andere war immer wieder, weil es eben nur ein Bild war. Er ist einmal in den Himmel gegangen. Er wurde auf Erden gekreuzigt, ist für uns gestorben, hat sein Blut vergossen und das war ein Brandopferaltar draußen. Dann ist er auferstanden, ist ins Heiligtum, in den Himmel gegangen. Dort hat er die Sühnung bewirkt.
Nach der Auferstehung, nach der Himmelfahrt ist er dorthin gegangen und hat die Sühnung bewirkt. Das Kreuz, das Geschehen war nicht nur unten, das ist praktisch der Vorhof, sondern er geht dann „hinein ins Allerheiligste“, in den Himmel. Das ist alles im Bild.
Denn wenn das Blut von Stieren und Böcken und die Besprengung mit der Asche der jungen Kuh die Verunreinigung äußerlich reinigt, also nur äußerlich etwas bewirken kann, wie viel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst durch den ewigen Geist als ein makelloses Opfer Gott dargebracht hat, euer Gewissen reinigen von toten Werken, damit ihr dem lebendigen Gott dienen könnt.
Und das ist, wie wir eben gelesen haben, eine ewige Erlösung. Einmal getan, und jetzt können wir Gott dort dienen.
Interessanterweise, als Jesus gestorben ist – Gott gestorben ist, stimmt ja –, ist der Vorhang zerrissen. Früher einmal im Jahr, und jetzt dürfen wir direkt zu Gott gehen. Das sagt der Hebräerbrief auch. Wir sollen zu ihm gehen, mit Zuversicht zum Gnadenthron, und dort um Barmherzigkeit bitten, dort zu ihm kommen.
Hebräer 9,14: „Darum ist er auch Mittler eines neuen Bundes, da sein Tod geschehen ist zur Erlösung von den unter dem ersten Bund begangenen Übertretungen, damit die Berufenen das verheißene ewige Leben empfangen.“
Da muss ich irgendwas vergessen haben, aber ich sehe es nicht. Gut.
Ich mache mal mit Vers 22 weiter: „Und fast alles wird nach dem Gesetz mit Blut gereinigt, und ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung.“ Das waren diese zwei Dinge, die am Versöhnungstag passieren: Gereinigt wird das Heiligtum, Vergebung geschieht für das Volk.
Also er diskutiert genau das und vergleicht immer Versöhnungstag und Christus, Versöhnungstag und Christus.
So ist es also notwendig, dass die Abbilder der im Himmel befindlichen Dinge hierdurch gereinigt werden, die himmlischen Dinge selbst aber durch bessere Opfer als diese, nämlich durch Christus.
Ganz klare Parallelen.
Jetzt machen wir unten am Schluss des Textes weiter, ab Vers 26: „Also das ist alles zur Aufhebung der Sünde durch das Opfer seiner selbst. Und so gewiss es dem Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht, so wird Christus, nachdem er sich einmal zum Opfer dargebracht hat, um die Sünden vieler auf sich zu nehmen, zum zweiten Mal denen erscheinen, die auf ihn warten, nicht wegen der Sünde, sondern zum Heil.“
Und das ist wieder das Bild. Jetzt kommt der Brückenschlag zur Zukunft.
Christus ist am Kreuz gestorben, hat sich geopfert, dadurch ist die Sündenproblematik gelöst. Das war im Brandopferaltar im Bild. Dann ist er auferstanden, ist in den Himmel aufgefahren und hat dort die Versöhnung gewirkt.
Ohne Auferstehung hätte das alles nichts genützt, auch sein Tod nicht. Die Versöhnung, auf die ich mich verlassen kann.
Genau.
Und jetzt muss der Priester ja wieder rauskommen, um dann den Segen zu spenden. Das ist, wenn er wiederkommt.
Und das steht hier auch: Er ist einmal gestorben, einmal hat er sich ein Opfer dargebracht, um die Sünden vieler auf sich zu nehmen. Zum zweiten Mal wird er denen erscheinen, die auf ihn warten, nicht wegen der Sünde, sondern zum Heil.
Die Opferung ist jetzt gemacht, der Sündenbock ist weg, unsere Sünden sind alle weg. Das Heiligtum ist gereinigt, und dann kommt er aus dem Himmel wieder. Das ist noch nicht geschehen. Das kommt, wenn er wiederkommt. Darauf warten wir noch.
Ja, und in Sacharja 14, wenn wer das nicht glaubt, liest er einfach ab Vers 16. Dort werden wir in Zukunft auch dieses Laubhüttenfest feiern. Das ist das Tausendjährige Reich.
Das kann man natürlich nur machen, wenn die Versöhnung am Versöhnungstag war. Deswegen ist dieser Festzyklus da: die Buße am Posaunenfest, am Neujahr, dann der große Versöhnungstag und nachdem das ist und er wiederkommt, wird erst das Friedensreich im Laubhüttenfest aufgerichtet.
Die drei Feste sind alle noch nicht erfüllt.
Aufgerichtet, nicht aufgerüstet – meinte ich, habe mich dann versprochen.
Das so grob, alles im Bild.
Ja, das heißt, wir können sehr viel aus den Opfern des Alten Testaments lernen. Wenn wir im dritten Buch Mose einfach nur schnell weiterlesen, berauben wir uns einer tieferen Einsicht in die Schrift. Es ist wichtig, sich mit diesen Opfern und allem, was dazugehört, zu beschäftigen – auch wenn wir heute keine Opfer mehr bringen.
Diese Opfer haben einen starken Symbolwert. Sie helfen uns, besser zu verstehen, auf welcher Grundlage unsere Erlösung beruht. So kann man es doch sagen, oder?
Wenn man ein Fazit ziehen möchte, dann ist es natürlich so, dass der große Versöhnungstag ein Sinnbild auf den Herrn Jesus ist. Er zeigt, wie tief die Erlösung ist, die Jesus uns gebracht hat. Gleichzeitig bringt er aber auch das Gericht über diejenigen, die diese Erlösung nicht in Anspruch genommen haben.
Denn wer diesen Tag nicht gefeiert hat, ist gestorben. Wer die Erlösung nicht annimmt, wird ins Gericht kommen. Das entspricht auch der jüdischen Tradition.
Außerdem weisen die jährlichen Rituale des Versöhnungstages auf die endzeitlichen Ereignisse im Heilsplan Gottes hin. Du hast gerade erwähnt, dass, wenn der Priester im Alten Testament kommt und segnet, das ein Bild für die Wiederkunft Jesu ist. Jesus wird uns dann auch segnen.
Das war es schon wieder vom Podcast der evangelischen Freikirche Evangelium für alle in Stuttgart. Wir hoffen, ihr konntet einen Impuls für euch mitnehmen. Vielleicht ist es ja, dass ihr im dritten Buch Mose nicht mehr so schnell vorbeigeht, sondern ganz genau hinschaut.
Wenn ihr Fragen habt, über die wir sprechen sollen, oder Anmerkungen zum Podcast, dann schreibt uns gerne unter podcast@efa-stuttgart.de. Wir wünschen euch Gottes Segen, Versöhnung und Nähe.