Herzlich willkommen zum Podcast der EFH Stuttgart mit Jörg Lackmann und Thomas Powileit.
Unser Podcast möchte zum praktischen Christsein herausfordern und zugleich zum theologischen Denken anregen.
Als Gemeinde haben wir ein Jahresmotto gewählt: „Komm und Sie.“ Wie es zu diesem Gemeindemotto kam und wie wir es gemeinsam umsetzen können, darüber sprechen wir jetzt miteinander.
Thomas, vielleicht zuerst einmal: Warum haben wir dieses Jahresmotto gewählt – „Komm und sieh“?
Wir haben uns im November bewusst Zeit genommen, als Leitungskreis einen ganzen Tag zu verbringen, um über die Entwicklung unserer Gemeinde nachzudenken. Dazu hatten wir der Gemeinde selbst eine Aufgabe gegeben. Sie sollten in einer Umfrage eintragen, welche Bereiche in der Gemeinde ihrer Meinung nach mehr Aufmerksamkeit brauchen. Dabei ging es nicht nur darum, welche Bereiche wichtig sind, sondern speziell darum, welche mehr Aufmerksamkeit benötigen. Das ist ein wichtiger Unterschied.
Es war wichtig, dass jeder selbst darüber nachdenkt und seine Meinung in die Befragung einträgt. Auf dem Klausurtag des Leitungskreises haben wir uns dann dieselbe Frage gestellt: In welchem Bereich der Gemeinde sollten wir im nächsten Jahr, also 2024, einen Schwerpunkt setzen?
Jeder aus dem Leitungskreis hat für sich selbst entschieden und seinen Eindruck mit Klebepunkten auf einem Papier dokumentiert. Das Ergebnis war, dass wir den Bereich Evangelisation in diesem Jahr zum Schwerpunkt machen sollten.
Erst nachdem wir diese Entscheidung getroffen hatten, haben wir uns angeschaut, was der Gemeinde wichtig geworden ist. In deren Befragung gab es zwei Spitzenreiter: Der absolute Spitzenreiter war Seelsorge. Die Gemeinde hat gesagt, dass ihnen dieser Bereich sehr wichtig ist und betont werden soll. Der zweitmeistgenannte Bereich war dann Evangelisation.
Das heißt: Wenn wir unseren Schwerpunkt nehmen und den Schwerpunkt der Gemeinde vergleichen, haben wir die erste große Übereinstimmung bei der Evangelisation. Deshalb haben wir diesen Bereich als Schwerpunkt gewählt.
Das ist das eine. Die andere Frage war: Warum „Komm und sieh“?
Wir haben das Jahresmotto so genannt, weil in Johannes 1,46 Philippus Nathanael zu Jesus einlädt. Nathanael, der zunächst skeptisch ist, antwortet: „Kann denn aus Nazaret etwas Gutes kommen?“ Philippus lässt sich davon nicht entmutigen, sondern sagt einfach: „Komm und sieh!“ Damit lädt er Nathanael zu Jesus ein und sagt ihm im Grunde: „Komm und sieh selbst!“
Ich finde spannend, was dann passiert: Nathanael spricht selbst mit Jesus und erkennt, dass Jesus nicht nur der Sohn Gottes ist, sondern auch der König. Im weiteren Verlauf des Johannesevangeliums kann man sogar lesen, dass Jesus auch das Opferlamm ist.
Ich finde diese Passage sehr ermutigend. Man muss nicht alle theologischen Bücher im Kopf haben oder zehn Seminare besucht haben, um zu wissen, wie man Menschen mit dem Evangelium überzeugt. Ich glaube, es ist gut, sich einzugestehen, dass ich niemanden überzeugen kann. Aber Gott kann das.
Deshalb ist es so wichtig, dass ein Mensch selbst mit Gott ins Gespräch kommt – so wie Nathanael. Was ich tun kann, ist zu sagen: „Komm und sieh!“
Mir geht gerade noch etwas durch den Kopf, das ich loswerden muss. Entschuldigung, ich muss ein bisschen zurückspringen. Wenn die Gemeinde Seelsorge als erstes Gebiet übernimmt, was passiert dann damit?
Wir werden ja auch im Bereich Seelsorge vorankommen, und zwar im Rahmen der Mission „Evangelium für alle“. Dabei wird ein neues TFM für Seelsorge entstehen. Im Zuge dessen werden wir auch in der Gemeinde ein Seelsorgeteam neu installieren.
Das heißt, Seelsorge wird durchaus in der Gemeinde verankert sein, ist aber eher beim Netzwerk oder bei der Mission „Evangelium für alle“ angesiedelt und nicht so stark bei uns. Trotzdem sind auch dort Leute von uns stark involviert.
Das bedeutet nicht, dass Seelsorge unwichtig wäre. Es ging vielmehr darum, worauf wir uns konzentrieren wollen, also in welchem Bereich wir wirklich Fortschritte machen müssen. Das andere war schlicht und einfach schon geplant und sollte intensiviert werden.
Nachdem du das Thema angesprochen hattest, und ich weiß ja, welche Erwartungen meine Rolle mit sich bringt, wurde ich im Nachhinein gefragt, warum ich diesen Bereich nicht übernommen habe. Ich habe dann erklärt, dass es nicht darum geht, was wichtig ist, sondern darum, worauf wir uns konzentrieren wollen. Das ist der Unterschied.
Ich musste mich also ein bisschen rechtfertigen, deshalb erwähne ich das jetzt noch einmal im Nachhinein. Aber gut: Bei der Evangelisation sind wir wirklich mit der Gemeinde und auch der Gemeindeleitung auf derselben Linie. Seelsorge haben wir ebenfalls im Blick.
Das Motto „Kommen Sie“ finde ich sehr praktisch. Aber wie setzt man das im Alltag um? Es ist ja wohl nicht so gemeint, dass ich jetzt auf jeden Zug auf die Straße gehe oder Ähnliches. Man hat manchmal bestimmte Vorstellungen davon, was Evangelisation bedeutet. Das sind oft Veranstaltungen oder Aktionen, bei denen man auf die Straße geht. Für mich klingt „Kommen Sie“ erst einmal eher nach einem privaten Motto. Oder ist das schon zu sehr eingeengt, was ich jetzt heraus höre?
Es ist beides: ein privates Motto und auch etwas für die Gemeinde. Ich gehe ja nicht einfach auf irgendwelche Leute auf der Straße zu und sage: „Komm und sieh.“ Logischerweise ist es eher eine Einstellung. Es geht darum, dem anderen zu erzählen, wie ich Jesus zum Beispiel kennengelernt habe. Und ich finde es sehr wichtig, zu erzählen, wie ich Jesus ganz praktisch in meinem Alltag erlebe. Genau das ist ja dieses „Komm und sieh“.
Jemand hat mir einmal vor längerer Zeit erzählt, dass ein Freund, den ich auch kenne, einen Bauplatz gesucht hat. Menschlich gesehen hatte der einfach nicht viele Chancen, gerade in diesem Gebiet dort zu bauen. Doch dann war es so, dass er auf wundersame Weise diesen Bauplatz doch bekommen hat. Er konnte sein Haus in dieser Baulücke bauen, die es dort noch gab. Ich fand es schon beeindruckend, dass dieser neue Hausbesitzer, der ebenfalls Christ ist, mit meinem Gesprächspartner vor seinem Haus stand und sinngemäß fragte: „Also, was sagst du? Ist das Gott oder ist das Gott?“ So nach dem Motto: „Hey, das habe ich jetzt mit Gott erlebt. Er hat mir dieses Haus einfach geschenkt. Das ist ganz klar Gottes Handschrift.“
Das waren zwei Christen, die sich da unterhalten haben. Aber ich denke, es ist wichtig, auch einem Nichtchristen davon zu erzählen, was ich mit Gott erlebt habe. So dass der andere merkt: „Hey, dieser Gott scheint tatsächlich irgendwie zu leben.“ Dabei muss ich nicht immer die vier geistlichen Gesetze anführen oder gleich die Aufforderung geben: „Und jetzt musst du dich bekehren.“ Ich glaube, es ist ein Weg, Jesus kennenzulernen.
Im Rahmen dieser Podcast-Reihe haben wir auch einmal über die Engels-Gala gesprochen. Die Hörer können sich das entsprechend raussuchen. Diese Beispiele zeigen, dass es wirklich ein Weg ist, auf dem ich unterwegs bin. Zuerst müssen Leute oft überhaupt erst glauben, dass es einen Gott gibt. Deshalb ist es wichtig, dass ich immer wieder, wenn ich ungläubig bin, Menschen höre, die sagen: „Ich habe diesen Gott ganz praktisch erlebt, und zwar so und so.“
Ich glaube, hier sollten wir als Christen viel selbstbewusster auftreten. Wir haben die beste Botschaft der Welt: Gott liebt mich, ich kann eine Beziehung zu ihm bekommen – zu dem lebendigen Gott. Mir geht es überhaupt nicht darum, irgendetwas anderes zu haben. Aber irgendwie sind wir uns dessen gar nicht bewusst, wie atemberaubend es ist, mit diesem Gott unterwegs sein zu dürfen.
Wir denken vielleicht, eine Chefstelle zu bekommen oder ein super Haus zu besitzen, seien die größeren Lebensziele. Doch wichtiger ist, dass ich Gott in meinem Alltag erlebe und sicher weiß, dass ich ihm einmal im Himmel begegnen werde. Diese Freude, ihn dort zu erleben, ist unbeschreiblich.
Ich denke, da müssen wir unser Denken wieder neu biblisch justieren. Manchmal, anstatt von diesem Gott gepackt zu sein, beschäftigen wir uns mit allen möglichen politischen Themen, blasen ins Horn und jammern, wie schlecht die Welt ist und dass sie untergehen wird. Natürlich ist sie schlecht, und natürlich wird sie untergehen. Aber wenn ich mit Jesus unterwegs bin, dann habe ich ewiges Leben. Hier unten ist nicht mein Zuhause.
Ich habe meine Frau gekannt. Wenn sie auf der Straße gefragt wurde: „Haben Sie Zeit für eine Befragung?“ – ich mache dann immer den Linksblinker oder so – sie hat immer gesagt: „Klar, ich hab doch ewiges Leben, also hab ich Zeit.“ Sie war sich dessen bewusst.
Ich denke, wir sollten einfach dafür beten, dass sich andere mit meiner Begeisterung anstecken. Christentum als Virus, wenn ich das überspitzen will – ansteckend ist vor allem die Freude, die Begeisterung, die Ansteckung.
Übrigens eine Nebenbemerkung: Wer sich für die Engels-Gala interessiert, findet dazu in der Podcastfolge 110 weitere Informationen. Ich habe gerade nachgeguckt. Dankeschön.
Als kleine Serviceleistung: Ansteckung haben wir. Christen, ja, eigentlich kommen wir ja von Ihnen heraus. Richtig. Und dann ein paar Überlegungen, wie das praktisch aussehen kann. Denn wenn das eingerostet ist, sagen manche: „Ich würde ja gern, aber wie denn?“
Ich glaube, ganz wichtig ist, dass ich mit Menschen, die Jesus noch nicht kennen, rede und ihnen erzähle, wie ich Gott in meinem Alltag erlebe. Dabei ist es hilfreich, Leute zum Beispiel mal zum Essen einzuladen, einfach Zeit mit ihnen zu verbringen und sie auch erzählen zu lassen. Was ist ihnen wichtig? Es geht darum, Menschen wirklich als Persönlichkeit kennenzulernen und zu verstehen, was sie gerade bewegt.
Nicht immer nur in Reserve zu sitzen und zu denken: „Jetzt muss ich ihnen ganz schnell irgendwas sagen, damit ich das vor mir selbst rechtfertigen kann.“ Es ist ganz wichtig, wenn Menschen von Jesus angesteckt werden, wenn man merkt, dass da etwas passiert, auch für sie zu beten. Wir haben es ja schon gesagt: Ein Herz kann sich nicht aus eigener Kraft zu Gott bekehren, aber ich darf dafür beten, dass sie überhaupt mal in Gottes Nähe kommen.
Wir haben als Gemeinde eine Gebetskarte gemacht, auf der man aufschreiben kann, für wen man betet. Dort kann man fünf Personen eintragen. Wenn man niemanden kennt, ist das nicht schlimm. Dann kann ich doch beten: „Herr, du kannst mir jemanden aufs Herz legen, für den ich beten kann.“ Wichtig ist, diesen Fokus zu haben und zu sagen: „Gott kann das, ich will wirklich dafür beten und mich von ihm gebrauchen lassen.“
Ich glaube auch, um Menschen anstecken zu können, müssen wir einfach mit Gott leben als Christen. Wir leben in einer Zeit von Patchwork-Familien, Scheidungskindern und Hop-on-Hop-off-Beziehungen. Da ist es eine große Werbung für Jesus, als normale Familie normal zu leben. So kann ich zeigen: „Hey, es ist so super, mit Jesus unterwegs zu sein.“ Und auch verstehen, dass es ein Prozess ist, dass jemand zu Jesus findet – ganz kleine Schritte.
Oft überfordern wir unser Gegenüber. Vielleicht fängt der Prozess einfach damit an, dass ich den anderen anlächle, wenn ich ihn in der Straßenbahn treffe. Manchmal probiere ich das, und der andere lächelt zurück – das funktioniert meistens. Vielleicht komme ich mit jemandem ins Gespräch, wenn ich öfter in dieser Straßenbahn unterwegs bin.
Das sind kleine Schritte, die man tun kann. Es geht nicht in erster Linie darum, sofort dem anderen etwas zu verkündigen. Ich merke, es ist das Denken dahinter, den Druck irgendwo rauszunehmen.
Was mir gefällt, ist der Gedanke, den jemand ganz am Anfang nach der letzten Frage geäußert hat: Wir müssen nicht immer gleich alles erzählen, sondern erst mal zuhören. Oft ist es auch in anderen Lebensbereichen so: Ein Wort reicht manchmal schon, wenn es trifft. Und das Wort trifft oft, wenn man den anderen kennt.
Im Gegensatz dazu gibt es Leute, die reden unheimlich lange auf dich ein, aber sie reden an dir vorbei, weil sie nicht das sagen, was wichtig ist. Es ist eine Balance. Man kann sich auch mal etwas sagen, das den anderen vielleicht nicht interessiert, weil es von einem selbst kommt und überzeugend ist.
Ich fand den Gedanken gut, wirklich auf den anderen einzugehen und punktgenau zu sprechen. Das hat Philippus bei Nathanael letztlich auch gemacht. Er hat dessen Bedenken ernst genommen: „Was kann aus Nazaret Gutes kommen?“ Er hat nicht gleich erzählt, dass Jesus der Messias ist, oder alles erklärt, indem er sagte: „Jetzt schauen wir mal in die Schrift und dies und jenes.“ Sondern er hat einfach gesagt: „Du zweifelst, du glaubst, da kann nichts Gutes kommen. Prüf es einfach mal.“
Ich glaube, Jesus hat Nathanael auch gesagt: „Du bist ein Israelit ohne Falsch.“ Nathanael war ein Mann, der nachgedacht hat, deswegen saß er ja unter dem Feigenbaum. Das hat ihn angesprochen, und er sagte: „Ja, genau das mache ich jetzt.“
Ich fand das sehr treffend mit dem Beten und den anderen Dingen. Das bezieht sich jetzt auf die private Ebene. Dieses Motto haben wir aber auch als Gesamtgemeinde.
Wie ist das Thema nun als Gemeinde, also als größere Einheit, gedacht?
Das stimmt: In der Gemeinde gibt es verschiedene Dienstgruppen, zum Beispiel die Arbeit mit Frauen, das Männerfest, Hauskreise oder andere Gruppen. Unser Gedanke als Leitungskreis war, dass die einzelnen Dienstgruppen überlegen, wie sie ihre Treffen auch evangelistisch gestalten können. Es geht darum, die Zielgruppe mehr in den Blick zu nehmen, also Menschen, die Jesus noch nicht kennen.
Deshalb muss ich nicht meine gesamte Dienstgruppe oder Ausrichtung verändern. Ich kann zum Beispiel ein oder zwei Veranstaltungen so gestalten, dass sie evangelistisch ausgerichtet sind. Beim Männerfest könnte ich zum Beispiel am Anfang sagen: „Wie lerne ich Gott kennen?“ Das ist nur ein Beispiel.
Wir machen natürlich auch spezielle Veranstaltungen wie Thementage oder Impulsgottesdienste, also Gästegottesdienste. Diese werden wir weiterhin anbieten. Aber das Motto „Komm und Sieh“ soll nicht nur auf diese besonderen Veranstaltungen beschränkt sein. Auch bei den ganz normalen Treffen sollten wir Menschen im Blick haben, die Jesus noch nicht kennen.
Dafür gibt es sicher tausend und eine Idee. Die Dienstgruppen müssen untereinander besprechen, wie sie das umsetzen können. Wo kann man nichtchristliche Freunde mitbringen? Und natürlich gilt das auch für den Gottesdienst selbst.
Uns ist wichtig, dass man zum Gottesdienst ganz normal Menschen mitbringen kann und dass sie dort zumindest in Kurzform oder manchmal auch in Teilen das Evangelium hören.
Ich glaube, in der letzten Sitzung haben sich auch schon einige Leiter der Gruppen Gedanken dazu gemacht. Das ist auf jeden Fall geplant.
Okay, gut, dann habe ich ja doch noch etwas ausgelassen. Es bringt ja wenig, wenn man einfach ein Motto verkündet und nur ein- oder zweimal darauf hinweist. Man muss die Themen durchdringen – erst auf der privaten Ebene.
Und dann nicht nur bei ein paar geplanten Veranstaltungen, sondern auch in den Gruppen. Das war jetzt das Thema von dem Ganzen.
In Deutschland haben wir natürlich eine Gesellschaft, die sich nicht so sehr auf das Gesellschaftliche konzentriert hat. Das Evangelium ist hier nicht so ein Tagesgespräch. Im Gegensatz zum Orient oder anderen Gebieten der Welt, wo man sofort im Gespräch auf Religion zu sprechen kommt, ist das hier nicht der Fall.
Ich habe den Eindruck, dass sich das ein bisschen ändert. Aber was würdest du sagen bei diesem Kommen und Gehen? Wie begegnet man der Tatsache, dass es den Leuten doch immer noch recht gut geht und sie Gott überhaupt nicht in ihren Gedanken haben?
Ich glaube, das stimmt, was du sagst: Sie haben Gott überhaupt nicht in den Gedanken. Ich habe mal einen Satz gelesen, den ich gut fand: Die Menschen haben vergessen, dass sie Gott vergessen haben. Also nicht an Gott zu glauben ist in unserer Gesellschaft gesetzt, das ist eben das Normale, und das wird gar nicht mehr hinterfragt. Warum glaubst du nicht an Gott? Weil ich eben fortschrittlich bin, deswegen glaube ich nicht an Gott oder so.
Dabei sind es gar nicht so viele Menschen. Ich habe mal gelesen, dass Leute, die nicht an Gott glauben, also keine Religion haben – das ist nochmal etwas anderes – nur etwa eine Milliarde von acht Milliarden Menschen sind. Also die Minderheit, die deutliche Minderheit. Und die meisten Religionen sind in anderen Gebieten der Welt deutlich präsenter als bei uns.
Richtig, richtig. Und das merken wir gar nicht mehr so.
Absolut exakt. Weltweit sind die Atheisten sozusagen in der Minderzahl. Aber da wir als Europäer denken, bei uns laufen alle Fäden der Welt zusammen, denken wir, das ist einfach gesetzt und wir sind den anderen voraus. Das ist eine typisch europäische Denke, aber es stimmt: Das Interesse am Glauben geht bei uns sehr oft gegen null. Man sieht gar nicht, warum es wichtig ist, an Gott zu glauben oder an sonst irgendetwas zu glauben.
Ich habe ein Buch von Philipp Bartholomä gelesen. Da schreibt er mal: Der Glaube juckt die Menschen nicht mehr. Ihm ist ganz wichtig, dass wir als Christen auch verstehen, dass das so ist. Also darf ich dann von dem anderen nicht erwarten, dass er glaubt, so nach dem Motto: „Wie, du glaubst nicht?“ Das ist einfach so gesetzt.
Wir sind als Christen auch nicht mehr die Mitte der Gesellschaft, sondern der Rand. Und es ist gar nicht mal so, dass man uns nur toleriert. Wenn man dann anfängt, vom Glauben zu reden, ist manchmal sogar eine leicht aggressive Haltung da. Da wird gesagt: Wie kannst du nur an Gott glauben? Dann werden alle möglichen kirchengeschichtlichen Ereignisse ausgegraben.
Man wird also nicht mehr gleichgültig angeschaut. Es ist schon wichtig, dass wir in dieser neuen Wirklichkeit ankommen. Das ist eine neue Realität, in der wir stehen, und damit müssen wir einfach umgehen.
Du hast jetzt so zwei Strömungen angesprochen: einmal die Gleichgültigkeit, dass Gott gar nicht mehr die Rolle spielt, und dann teilweise so eine Aggressivität, Gegenglauben. Wir merken beides.
Ich merke im Persönlichen mehr die Gleichgültigkeit. Wobei wir letzte Woche auch über einen Lehrer gesprochen haben, der unbedingt gegen Religion und Gott immer schießen muss. Das ist irgendwie seit Jahren sein Thema, seitdem er nicht das erste Kind von uns an der Schule war. Deshalb kriegen wir das mit.
Was macht man, wenn einem Gleichgültigkeit begegnet? Die überwindet man am besten mit Begeisterung. Wie willst du sonst jemanden aufwecken, der keinerlei Interesse hat? Da muss man selbst brennen, und dann überlegt der andere sich vielleicht mal: Och, könnte ja doch interessant sein.
Was ist mit Ablehnung? Wenn Ablehnung einem entgegenkommt, hatte die Christenheit das ja schon von Anfang an, sogar Verfolgung. Und Verfolgung ist in vielen Teilen der Welt noch sehr präsent.
Für mich ist wichtig, wenn ich Aggressivität erlebe, dass ich es nicht persönlich nehme. Die Leute lehnen mich ab, weil ich mit Jesus unterwegs bin und weil sie schlussendlich Jesus hassen. Ich stehe in einem geistlichen Kampf.
Dieser geistliche Kampf ist, ich sage es mal biblisch, von Satan manipuliert, und seine Lügenmaschine läuft Tag und Nacht. Wenn ich das immer wieder höre als jemand, der Jesus nicht kennt, dann wird es irgendwann natürlich auch mal mein Gedankengut.
Trotzdem ist es so, dass Gott die Ewigkeit in unser Herz gelegt hat, so sagt die Bibel es ja mal. Und das ist das, was Bartholomä als Juckreiz bezeichnet. Wenn er sagt, der Glaube juckt nicht mehr, können sich die Menschen dem Juckreiz der existenziellen Fragen und Sehnsüchte nicht entziehen.
Ich habe Probleme mit dem Bild, aber ich schaue da mal drüber weg. Ich verstehe, was gemeint ist.
Also das heißt, jeder will irgendwie doch ein erfülltes Leben. Wer mir da auch hilfreich ist, ist Tim Keller. Er sagt, ich höre im säkularen New York immer wieder Sätze wie: Ich muss nicht an Gott glauben, um ein erfülltes Leben zu haben. Aber wenn jemand das sagt, dann sehe ich ja die Sehnsucht, ein erfülltes Leben haben zu wollen.
Oder wenn jemand sagt: Ich muss nicht an Gott glauben, um einen ethischen Kompass zu haben. Genau das Gleiche – ich will irgendwie doch einen ethischen Kompass haben.
Und Tim Keller sagt mal, die vier Sehnsüchte des Menschen sind: Gerechtigkeit, Spiritualität, Beziehungen und die Suche nach Gutem und Schönem. So hat er das mal definiert.
Darüber kann man streiten, aber ich finde, das hat schon auch Wahres. Das heißt im Grunde genommen: Ewigkeit ist ins Herz gelegt, da ist Sehnsucht in mir. Deshalb ist es wichtig.
Du sagst ja, wie gehe ich um mit Leuten, die mir aggressiv gegenüberstehen? Auch diesen Leuten zuzuhören und zu verstehen, wonach sie eigentlich suchen, worauf sie hoffen, was ihnen letztlich Sicherheit gibt, was für sie Quellen tiefer Freude und Zufriedenheit sind.
Sie sind vielleicht nicht offen für den Glauben an Jesus, aber sie haben Sehnsüchte. Vielleicht kann ich da anknüpfen. Vielleicht ist das ein guter Weg zu sagen: Ja, die Sehnsucht ist ja richtig, ich verstehe dich. Aber ich habe den Eindruck, du bist auf dem halben Weg stehen geblieben.
Jesus kann dir im Grunde genommen geben, was du suchst. Dabei finde ich es auch wichtig, ehrlich zu sein: Es ist ja nicht so, dass Christen in jedem Bereich ihres Lebens Erfüllung erleben.
Auch als Christ habe ich Bereiche in meinem Leben, wo ich mir wünsche, mehr Erfüllung zu haben. Aber das Eigentliche, diese Beziehung zu Jesus – um es mal richtig zu sagen, die spirituelle Qualität – das ist etwas, was Jesus mir geben möchte: die Beziehung zu ihm.
Das ist ein Bereich, der viele andere Bereiche in meinem Leben überstrahlt. So kann ich auch jemandem, der aggressiv ist, am Schluss sagen: Jesus möchte deine tiefe Sehnsucht stillen.
Diese Sehnsucht – wir haben natürlich nicht die Antwort auf alle Fragen, das hast du ja gerade schon gesagt.
Alle Antworten auf alle Fragen? Ja, die Antwort ist nein. Gut, genau umgekehrt. Ich habe mich letztens auch mal in der Predigt versprochen und habe mich danach gefragt, was ich falsch gesagt habe. Dann habe ich gemerkt, ich habe nur umgedreht. Irgendwie wusste ich es richtig, war ich dann froh drum im Nachhinein.
Okay, also wieder mal ein typischer Versprecher, der nicht rausgeschnitten wird. Wenn wir jetzt darüber reden, dass wir nicht Antworten auf alle Fragen haben, können wir ja nicht die Sachen rausschneiden, wenn wir mal einen Fehler machen. Das geht ja nicht.
Das macht ja dann einen Schein, der nicht da ist in Wirklichkeit. Das wollen wir nicht.
Also man hat natürlich nicht alle Antworten. Man erlebt auch Schicksale, wo man mitfühlen kann, aber nicht alles weiß.
Was macht man in solchen Situationen, wenn das auch ein bisschen zu viel ist?
Ich glaube, das ist schon eine große Angst, wenn ich mit Leuten rede, die Jesus nicht kennen: Was gebe ich da für Antworten auf Fragen, die sie mir stellen und die ich vielleicht nicht beantworten kann?
Du hast schon angedeutet, es gibt auch Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Wenn ich ein persönliches Schicksal vor mir habe und jemand sagt: Warum hat Gott es zugelassen? Dann sollte ich mich davor hüten, zu sagen: Deshalb und deshalb hat Gott es zugelassen.
Ich glaube, da darf ich einfach Anteil nehmen und auch ehrlich sagen: Ich weiß nicht, warum Gott es zugelassen hat. Vielleicht ist es trotzdem auch ein Ruf Gottes an mein Leben, aber das kann ich nicht wirklich einschätzen.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich apologetische Fragen. Die apologetische Frage: Warum lässt Gott Leid zu? Das ist ein bisschen weiter weg vom persönlichen Schicksal, eventuell. Oder: Warum ist Jesus Gottes Sohn? Oder so in der Richtung.
Ich glaube, es ist gut, sich mit diesen Fragen auseinandergesetzt zu haben und Antworten geben zu können. Aber wenn jemand mir Fragen stellt und ich kann nicht antworten, dann kann ich das doch auch sagen.
Ich kann sagen: Im Moment habe ich da keine Antwort drauf. Aber wenn es dich wirklich interessiert, mache ich mich schlau und sage dir, was ich dazu weiß.
Da kann ich auch lernen durch solche Gespräche, dass ich immer wieder neue Fragen bekomme. Dann ist es ja doch so, dass immer wieder ein Stück weit die gleichen Fragen gestellt werden. So komme ich viel stärker rein.
Ich glaube, wichtig ist, was ich vorhin auch sagte: Immer wieder zu betonen, wie ich Jesus erlebe. Also dass es auch eine Herzensebene ist.
Ich glaube, ich werde niemanden nur mit dem Verstand erreichen. Ich habe das immer wieder erlebt, wo ich in Diskussionen den Eindruck hatte: Hey, mein Argument war jetzt richtig gut, und dann sagt der andere: Na ja, okay. Und geht.
Und du denkst: Hä? Hat das irgendeine Konsequenz? Also das ist doch persönlich, mein Herz wird berührt.
Ich fand es gut: Wir hatten letztens eine junge Frau an unserem Tisch sitzen, die da mit strahlenden Augen saß. Sie hat gesagt: Christ sein ist so ein Abenteuer. Sie war einfach fasziniert davon, wie Gott sie führt und was er alles in ihrem Leben initiiert.
Ich glaube, das weckt mehr Sehnsucht, Gott kennenzulernen, als die Schlacht um die richtigen Argumente und um die Wahrheit.
Und klar, Wahrheit ist wichtig. Das will ich ja gar nicht in Abrede stellen. Ich muss ja auch sagen: Das und das und das sagt die Bibel.
Aber ich glaube, es ist ein Stück weit auch eine Kombination. Es muss getragen sein von der Argumentation der Bibel, aber Gott muss das Herz des anderen erreichen.
Das muss eben auch mein Zielpunkt sein.
Im Grunde genommen ist es dieses „Komm und sieh“ – und ich rechne damit, dass Gott Herzen verändert.
Es ist ja spannend, wie Gott mich dann in diesen Rettungsplan irgendwie einbaut.
Jetzt gibt es ja nicht nur den Ausdruck „Komm und sieh“, wo ja auch ein Philippus vorkommt. Er hatte letztendlich, glaube ich, auch nicht die Antwort auf die Frage von Nathanael. Dann hat er gesagt, Nathanael solle selbst bei Jesus nachschauen. Er hat also nur eine Mittlerfunktion eingenommen. Das ist das eine: „Komm und sieh“.
Es gibt ja auch Anforderungen und Befehle an uns, wie zum Beispiel „Geht hin!“ Besteht da eine Spannung oder ein Widerspruch? Kann man das falsch betonen? Warum haben wir jetzt „Komm und sieh“ gewählt und nicht „Geht hin und macht alle Nationen zu Jüngern“? Das hätte man ja auch als Motto wählen können.
Richtig, ich glaube, das sind zwei Seiten einer Medaille. Man könnte auch sagen: „Geht hin und predigt!“ Das machen ja tatsächlich auch Leute bei uns. Es gibt zum Beispiel die Organisation „Werde Licht“. Die geht auf die Straße und spricht die Leute an. Ich sage immer, das hat eine Weg-Funktion. Leute gehen verträumt durch die Straße, werden angesprochen und mit dem Evangelium konfrontiert. Gottes Geist benutzt das natürlich.
Aber ich glaube, es ist nicht jedermanns Sache, auf die Straße zu gehen, dort Straßenpredigten zu halten und Leute anzusprechen. Aber „Komm und sieh“ kann jeder. Deswegen haben wir das als Gemeinde auch in gewisser Weise betont. Wenn wir Leute zum Gottesdienst einladen, hören sie natürlich auch Predigten. Aber was sie auch erleben, ist Begegnung, Herzlichkeit und Offenheit.
Mir persönlich liegt deswegen auch dieses „Komm und sieh“ eher näher. Wir haben es ja gemeinsam beschlossen, aber mir liegt es auch näher. Ich bin fasziniert von Leuten in der Gemeinde, die so eine Liebe ausstrahlen, dass sie zum Beispiel anderen in dieser Liebe praktisch helfen. Da kann man fast gar nicht anders, als Nutznießer zu sein. Man fragt sich: Warum machst du das eigentlich?
Leute sollen aufmerksam werden auf das Evangelium, wenn sie diese Liebe erleben – so wie Jesus es ja sagt. Er sagt: „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt.“
Was mich da fasziniert hat, ist Folgendes: Ich las von dem römischen Kaiser Julian. Er wollte, dass die Römer die Christen an Liebe übertreffen. Das fand ich sehr spannend. Er hat ein System zur Essensverteilung angeordnet und dazu Pensionen für Reisende, für arme Reisende, aufgebaut. Das hatte er bei den Christen gesehen.
In den Quellen kannst du nachlesen, dass er schreibt: „Begreifen wir denn nicht, dass die Gottlosigkeit am meisten gefördert wurde durch ihre Menschlichkeit?“ Dazu muss man wissen: Gottlosigkeit hat er den Christen zugeschrieben, weil sie eben nicht an die alten Götter glaubten. Man müsste den Satz eigentlich so lesen: „Begreifen wir denn nicht, dass das Christentum am meisten gefördert wurde durch die Menschlichkeit der Christen?“
Und dann heißt es weiter: „Ihr Glaube an Jesus wurde also am meisten gefördert durch ihre Menschlichkeit gegenüber den Fremden und durch ihre Fürsorge für die Bestattung der Toten und die angebliche Heiligkeit ihres Lebens“, schreibt Julian. Um fortzufahren: „Ich glaube, wir sollten wirklich und wahrhaftig jede dieser Tugenden ausleben, denn es ist beschämend, dass die gottlosen Galiläer nicht nur ihre eigenen Armen versorgen, sondern ebenso unsere. Alle sehen, dass unsere offenbar unserer Fürsorge mangeln.“
Also haben die Christen durch diesen diakonischen Einsatz so etwas wie eine Vorevangelisation gezeigt – dass Gottes Liebe auch ihnen gilt. Ich finde, das ist ein klassisches Zeugnis vom römischen Kaiser für die Christen. Er sagt, der Glaube wurde am meisten gefördert durch ihre Menschlichkeit.
Klar, ich darf dabei nicht stehenbleiben. Das ist ja immer die Gefahr, dass ich bei der Diakonie allein stehen bleibe. Aber diese praktische Liebe ist eine große Möglichkeit, Menschen zum Evangelium einzuladen – also mit meinem Leben zu zeigen: „Komm und sieh!“
Das war die Einführung in unser Jahresmotto, das wir dieses Jahr für die Gemeinde gewählt haben: „Komm und sieh!“
Man könnte jetzt mit Jakobus sagen: Ihr habt es gehört, jetzt schreiten wir auch zur Tat. Das könnte man nach jedem Podcast als Erinnerung für sich selbst mitnehmen. Aber gut, manchmal ist auch einfach nur das Hören dran. Man kann nicht jeden Impuls sofort umsetzen.
Ich denke jedoch, dass genau das zum Leben eines Christen gehört – zum Leben, solange er nicht tot ist.
Wir verabschieden uns an dieser Stelle von euch bei diesem Podcast der evangelischen Freikirche Evangelium für alle aus Stuttgart. Wir hoffen, ihr habt den einen oder anderen Impuls erhalten, den ihr vor allem in eurem Alltag leben könnt.
Wie immer könnt ihr eure Fragen oder Kommentare zu unserem Podcast unter podcast@efa-stuttgart.de loswerden.
Wir wünschen euch Gottes Segen und bis zum nächsten Mal!