Gemeinschaft und Verbundenheit im Glauben
Ich möchte zunächst meine Freude zum Ausdruck bringen. Was bedeutet es, wenn wir uns an einem Sonntagmorgen aus ganz verschiedenen Gegenden und Straßen versammeln, um gemeinsam zu hören, was unser Herr uns heute sagen möchte? Es ist schön, miteinander zu singen und darüber nachzudenken, was Jesus in unserem Leben bedeutet.
Es ist sehr wichtig, dass wir zueinanderfinden und erkennen, dass Menschen neben uns sitzen, die ähnlich empfinden wie wir. Menschen, die auf der Suche sind, die selbst durch schwere Prüfungen gehen und dennoch denselben Herrn lieben.
Wir sind auch verbunden mit denen, die über das Tonband mit uns verbunden sind. Es ist erfreulich, dass sich diese Verbindung immer weiter ausweitet. So können auch diejenigen, die aus Gesundheitsgründen nicht bei uns sein können, die ganze Woche über teilhaben und mit uns verbunden bleiben.
Wir lesen gemeinsam die Passionsgeschichte. Diese zieht sich durch die Passionsandachten bis hin zum Ostermontag. Ich habe mir extra vorgenommen, alle diese Gottesdienste selbst zu halten, damit eine Kontinuität gewährleistet ist.
Die Themen finden Sie im Gemeindebrief auf der Rückseite. Wer den Gemeindebrief heute nicht hat, kann ihn gerne mitnehmen. Das Thema lautet: „Der Verrat des Judas“, Lukas 22,1-6.
Wenn Sie ein kleines Taschentestament besitzen, bringen Sie es bitte mit und lesen Sie mit.
Die Bedeutung des Passafestes und die Planung des Verrats
Es war nahe das Fest der ungesäuerten Brote, das Passa genannt wird, oder nach Lutherübersetzung Ostern heißt. Die Hohenpriester und Schriftgelehrten trachteten danach, wie sie ihn töten könnten.
Hier laufen zwei Linien zusammen. Die Hohenpriester wussten nicht, was sie taten. An Passa wurde ein Lamm geschlachtet, immer für eine Hausgemeinschaft. Seit der Zerstörung Jerusalems kurz nach dem Tod Jesu wird jedoch kein Lamm mehr geschlachtet, weil die nötigen Vorrichtungen fehlen und der Tempel zerstört ist.
Gerade Jesus wird unfreiwillig zum Passalamm, ohne dass sie wissen, was sie tun. Denn sie fürchteten sich vor dem Volk. Es war aber der Satan, der in Judas, genannt Ischariot, wirkte. Judas war einer der Zwölf. Er ging hin und redete mit den Hohenpriestern und den Hauptleuten, wie er Jesus an sie übergeben wollte.
Sie wurden froh und versprachen ihm Geld. Er sagte zu und suchte eine Gelegenheit, Jesus ohne Aufsehen zu übergeben.
Prüfe uns durch diese schwere Geschichte, was in unserem Herzen ist. Amen.
Das Bild des Agenten und die Rolle Judas'
Liebe Gemeinde,
durch den Stadtpark schleicht ein Mann. Den Kopf tief in die Schultern eingezogen, den Hut ins Gesicht gezogen – obwohl Morgennebel herrscht – trägt er eine Sonnenbrille mit dicker Hornfassung. Eine Zeitung hat er unter dem Arm geklemmt. Er dreht sich nach rechts und nach links, ängstlich, bevor er auf die alte Eiche zusteuert und dort einen Zettel in einem sogenannten toten Briefkasten versteckt. Sie wissen, was das ist.
So zeichnen unsere Filme und Krimis einen Agenten – 007 oder wie sie heißen: Menschen, die im Dienst einer fremden Macht stehen. Hier wird uns ein Agent gezeichnet, der äußerlich ganz anders aussieht. Doch trifft auf ihn all das zu, was wir von einem Agenten wissen, der im Dienst einer fremden Macht steht.
Es ist Nacht, als sie ihre Spesen miteinander verrechnen. Er nutzt die vertrauliche Atmosphäre – dieser Mann, von dem hier die Rede ist, dieser Judas. Es soll recht lautlos zugehen. In Wirklichkeit hat er einen anderen Auftraggeber, als er vorgibt.
Erlauben Sie mir, dass ich heute über Judas predige.
Die Enttäuschung als Ausgangspunkt des Verrats
Ein Mann wurde Agent im Dienst einer fremden Macht. Meiner Gewohnheit treu möchte ich dies an drei wichtigen Punkten zeigen.
Am Anfang steht eine Enttäuschung darüber, dass Menschen in den Dienst einer fremden Macht gehen und das Vertrauen brechen. Ja, wir sind alle so, dass wir uns zuerst entrüsten und sagen: „So ein Mann wie Judas – wie ist es überhaupt möglich, dass er diese Freundschaft durchbricht? Wie kommt es dazu, dass jemand zu einem solchen Verrat fähig ist?“
Ganz einfach, und es ist in der Bibel angedeutet und durchaus erkennbar, warum Judas zu diesem Verrat fähig war. Am Anfang stand eine große Enttäuschung. Judas war noch vor seiner Enttäuschung ein begeisterter Fan von Jesus gewesen. Mit Feuer und Flamme folgte er Jesus nach.
Was in dieser ersten Jüngerschar an Dienstbereitschaft da war, das ahnen Sie wohl kaum: an Freude und Hingabe hat ein Judas für Jesu Willen mehr aufgegeben, als man sich vorstellen kann. Er hat seine Heimat verlassen, seinen Beruf, wahrscheinlich auch seine Familie. Er hat sein Geld zurückgelassen und alles hergegeben, weil ihm Jesus mehr wert war. Ach, mein Jesu, wenn ich dich nicht hätte!
Er war so gepackt von dem Wort, das Jesus sprach. Wenn er nur ein Wort spricht, dann geschieht es, wie der Sturm auf dem Meer, der sich legt. Das ist unser Jesus, der Stürme stillen kann. Und als die kranken Menschen kamen, legte Jesus die Hand auf sie und machte sie gesund. Es gab Hoffnung in der Welt. Man konnte sich freuen und verstehen, warum Judas mit Jesus zog.
Dann kam eine maßlose Enttäuschung – nicht nur bei Judas allein. Im Evangelium heißt es, dass von dem Tag an viele seiner Jünger sich von ihm abwandten. Sie kehrten um und sagten: „Schluss, ich gehe nicht mehr mit Jesus.“
Genau auf dem Höhepunkt des Erfolges, als die Menschen Jesus zujubelten und bereit waren, ihn sogar zum König anstelle von Herodes einzusetzen, ging Jesus in die Stille und betete. Er hatte seine Jünger auch vorher gewarnt: „Tut Buße, kehrt um, denkt um, seid vorsichtig. Meine Wege sind anders als die Wege dieser Welt.“
Und Judas verstand es nicht. Nicht nur er – sogar Petrus ärgerte sich an Jesus, als dieser sagte: „Das widerfahre dir nur nicht, dass du den Weg ins Leiden gehst.“
Am Anfang stand die maßlose Enttäuschung an Jesus.
Die Versuchung und das Wirken der Grossmacht
Der Judas wird uns immer näher und sympathischer. Am Anfang unseres Weges mit Jesus erleben wir große Erfahrungen und wunderbare Erlebnisse. Wir erfahren erhöhte Gebete, spüren, wie Jesus mit uns geht, wie er uns befriedigt und Freude schenkt.
Doch dann kommt plötzlich der Knick. Jesus führt uns auf einen Weg, der uns nicht mehr passt. Er sagt ausdrücklich: „Meine Wege sind nicht eure Wege, meine Gedanken sind nicht eure Gedanken.“ Judas ist enttäuscht, maßlos enttäuscht. Von diesem Tag an ist die Wende in seinem Leben da.
Das zweite, was ich von den Stationen dieses Agenten sagen möchte: Er wurde von einer Großmacht umworben. Das wissen wir aus vielen neuen Erzählungen über Geheimdienste. Die einzige Chance, einen Agenten anzuwerben, besteht darin, unzufriedene Menschen zu suchen. Ein Agent braucht ein Feld, auf dem er Vertrauen genießt, Einfluss hat und anerkannt ist. Dort kann er seine Geheimnisse ausplaudern.
Deshalb sitzen die Anwerber in Cafés oder an anderen Orten und suchen nach einsamen, unglücklichen und unzufriedenen Menschen. Dann kommt ein Großagent, der seine jungen Agenten anheuert. Er sucht genau diese Menschen und sagt: „Hör mal, ich hätte einen Auftrag für dich.“ Dabei versucht er, an die Stelle einzudringen, wo das erste Misstrauen ist.
Das ist übrigens ein treffendes Bild für das, was der Teufel tut. Kein einziger Mensch, niemand von uns, wäre je bereit, mit dem Teufel gemeinsame Sache zu machen. Aber in den Stunden, in denen wir von Jesus enttäuscht sind oder im Glauben nicht mit ihm klarkommen, steht die Großmacht bereits bereit, um ihren Fuß in die Tür zu setzen.
Deshalb erzählt Jesus selbst in der Versuchungsgeschichte, wie der Teufel kommt und diese Gelegenheit nutzen will. Jesus hat vierzig Tage gehungert, und der Teufel sagt: „Lass er doch da, der kann doch den Fuß reindrücken. Willst du nicht einen anderen Weg gehen, Jesus?“ Und er macht Angebote.
So heißt es hier ganz kurz und lapidar: „Der Satan war in Judas gefahren.“
Die Gefahr unerfüllter Sehnsüchte und Schwächen
Deshalb habe ich Ihnen vorher diesen Psalm vorgelesen: Habe deine Lust am Herrn!
Wenn es in unserem Leben unerfüllte Bereiche gibt, in denen Jesus uns nicht alles geben kann und nicht alles bedeutet, kann der Teufel die Tür aufstoßen und sich einnisten. Wenn Sie in der kommenden Woche Wege gehen, die Sie nicht mit Jesus im Gebet besprechen können und auf denen er nicht mitgehen kann, hat diese Großmacht bereits Möglichkeiten, jemanden anzuwerben und zu besitzen. Das geht dann sehr schnell.
Wenn uns unser Bibellesen und unsere Stille vor Gott nichts mehr geben, dann hat der Teufel Möglichkeiten, einzudringen. Die Großmacht umgibt uns und wirbt ihre Agenten an, ohne dass man weiß, woher das kommt.
Das heißt auch, dass im Evangelium bereits von Judas erwähnt wird, dass er eine Schwäche hatte. Jeder von uns hat seine Schwächen. Judas hatte sie im Bereich Geld. In den geschlechtlichen Dingen war er nicht so anzufinden wie beim Geld; bei anderen mag es umgekehrt sein. Genau an dieser Stelle setzt der Teufel an. Dort, wo es ums Geld geht, möchte er die Rolle der Welt spielen, denn darin versteht er sich.
Dass man einen guten Wagen haben kann, ein Haus besitzen und in der Welt etwas bedeuten kann, ist eine andere Sache als die Armut Jesu. Wir alle werden immer wieder davon angesprochen, dass wir von Jesus weggehen und aus seiner Führung ausbrechen, weil wir die große Tour reiten wollen.
Manchmal packt uns der Teufel mit der Ehre. Wie viele Gemeinden entfernen sich vom einfachen Gehorsam Jesu in ihrem Dienst, nur weil sie eine große Schau inszenieren wollen. Dabei ist doch die einzige Frage unseres Lebens: Was will Jesus von uns? Wohin führt er mich? Welchen Auftrag hat er für mein Leben?
Es ist bedrückend, wie Judas an einer Stelle in seinem Geldbeutel genau das lebt. Sein großes Leben und seine Pläne will er voll ausleben. Das ist die Großmacht, die ihn anheuert.
Vertrauen und das Ringen Jesu um Judas
Nur ein Letztes aus dem Leben dieses Agenten Judas. Er lebt von einem großen Vertrauen. Auch das gehört zum Bild eines Agenten. Ich habe dieses Wort gewählt, weil ich meine, das Wort Verräter ist nicht besser, aber das andere liegt uns heute näher und drückt noch deutlicher aus, worum es hier geht.
Jeder Agent braucht Vertrauen, und das hat Judas bis zum Schluss bekommen. Es ist fast unbegreiflich, wie Jesus diesen Judas in seiner Nähe duldet. Ganz früh sagt Jesus: „Schon einer von euch ist der Teufel“, und er lässt ihn in seiner Mitte stehen. Jesus durchschaut das, und es ist ganz unerwartet, dass Jesus sogar unsere Teufeleien in seine Reich-Gottes-Pläne einbauen kann.
Damit wird nichts beschönigt. Es heißt extra ganz deutlich: „Weh dem, durch den des Menschen Sohn verraten wird.“ Es wird keine Schuld von uns je entschuldigt werden können, wenn wir uns an Jesus vergehen. Dass in der Vergebung Jesu Schuld getilgt ist, bleibt eine Sache für sich. Doch es ist groß, dass Jesus es weiß und gerade durch den Verrat des Judas hindurch seinen Plan macht.
Es gibt immer wieder das Missverständnis bei dieser Predigt über Judas, dass Menschen nachher sagen: „Der Judas musste das doch tun.“ Das steht nirgendwo in der Bibel. Das ist nicht wahr. Es war nur festgelegt von Gott, dass einer ihn verraten wird.
Die Jünger haben richtig geschaltet, als sie sagten: „Herr, bin ich es?“ Das könnte genauso in meinem Leben passieren. Der Verrat an Jesus, das Ärgern an Jesus, dass man gegen Jesus plötzlich arbeitet, unbewusst, aus Enttäuschung – das liegt in jedem von uns drin. Es war für Jesus nur vorherbestimmt, dass er das, was in jedem Leben von uns sich ereignet, an einem Beispiel durchleiten muss. Jesus muss das wirklich in der Praxis einmal erleben.
Wer es ist, ob es Johannes oder Petrus oder Judas ist, war doch nicht vorherbestimmt. Gott bestimmt doch keinen Menschen zum Bösen vor. Immer wieder geistert dieses unglückliche Wort durch die Köpfe, doch einen Anhalt gibt es dafür in der Bibel nicht. Im Gegenteil: Bis zum Ende ringt Jesus um diesen Judas. Er wäscht ihm die Füße, weil er ihm anbieten will: „Judas, sieh doch, ich kenne doch die Kämpfe deines Lebens, ich verstehe dich doch, und ich kann dir helfen.“
Jesus' Mitgefühl und die Einladung zur Umkehr
Sie müssen wissen, dass Jesus all das selbst an seinem Leib durchlitten hat, was Versuchungen bedeuten. Er hörte selbst die Sprache des Versuchers, der ihn anwerben wollte als Agent – Jesus selbst.
Deshalb ist es für uns heute eine große Tröstung, dass Jesus versteht, was in unserem Innern vorgeht. Er versteht einen Menschen, der heute Morgen mit Gott hadert und sich über die Wege ärgert. Jesus leidet mit.
Im Glaubensbekenntnis heißt es über die ganze dreijährige Wirksamkeit von Jesus nur ein Wort: „gelitten, gelitten unter Pontius Pilatus“. Kein Wort von den Wundern. Das, was ihm am wichtigsten war, war, dass er uns verstehen kann – an der Sünde, am Leiden, am Verrat.
Er hat Judas bis zum Schluss mitgetragen, weil er ihn noch herausziehen wollte. Judas wollte nicht. Und dann reicht Jesus ihm zum Schluss, in dieser letzten Nacht des Verrats, wenige Minuten vor dem Verrat, noch die Hand über den Tisch. Er reicht ihm das Brot und den Kelch, so wie Jesus uns später beim Abendmahl Brot und Wein reicht.
„Nimm und iss, mein Leben, mein Blut wird für dich vergossen.“ Und hier, nimm doch. Judas nimmt und isst, läuft weg und bleibt doch bei dem, was er hat.
Die Hoffnung auf Bewahrung und Zuversicht
Mir wird die Geschichte von Judas hier auf einmal sehr bedeutend: Sie zeigt, dass Jesus uns verstehen kann. Er leidet mit uns an den Herausforderungen unseres Glaubens, an den Enttäuschungen und an unseren Anfechtungen. Er allein kann uns bewahren und will es auch.
Lassen Sie mich mit einem fröhlichen Schlusswort enden. Am Dienstag haben wir in unserer Bibelstunde das Lied gesungen: "Stark ist meines Jesu Hand, und er wird mich ewig fassen." Dieses Lied hat mir viel bedeutet, besonders die Zeile, dass Jesus mich nicht loslässt. Mein Erbarmer lässt mich nicht los – das ist meine Zuversicht.
Ich kann mich nur an diese Hand Jesu halten, die auch Judas entgegenstreckt. Oder ich halte mich an meine Sehnsüchte und an meine unbefriedigten Wünsche, die abseits von Jesus liegen – und gehe so verloren. Oder ich halte seine Hand und lasse mich von ihm führen, auch durch die dunklen Nächte des Ärgerns und Leidens hindurch.
Die Hand ist ausgestreckt. Auch ein Judas wird von Jesus nicht aufgegeben. Keiner von uns wird aufgegeben. Denn Jesus will uns durch die kommende Woche tragen. Er will uns spüren lassen: „Ich lasse dich nicht los.“ Das ist ein Wort, mit dem man hoffnungsvoll in die neue Woche gehen kann. Amen!