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Heiliger Geist ist nicht nur in der Pfingstpredigt in Jerusalem, sondern immer dort, wo die großen Taten Gottes in kleine menschliche Worte gefasst werden. Wo Gott Feuer legt, Sturm schickt und Dampf macht, ist Freiheit statt Engstirnigkeit. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


Was Heiliger Geist ist, liebe Gemeinde? Denken Sie an Feuer. So wie in der Wüste der Busch gebrannt hat und Mose vor dem Feuerzeichen in die Knie ging, oder so wie auf dem Karmel die Opfertiere in Flammen standen und die Baalspriester vor dieser Feuersbrunst Reißaus nahmen, so gab es Feuer in Jerusalem: “Und es erschienen Zungen, zerteilt wie von Feuer”. Also kein Gasfeuer, auf dem wir unser Süppchen kochen könnten, kein Holzfeuer, an dem wir unsere Füße wärmen könnten, kein Kohlefeuer, mit dem wir abwarten und Tee trinken könnten. An Pfingsten legt Gott an ein verzehrend Feuer.

Was Heiliger Geist ist? Denken Sie an Sturm. So wie auf dem Meer der Süd-Ost-Passat gepfiffen hat und Jona in seiner Kajüte Schutz suchte, oder so wie auf dem See die Wellen hochgingen und die Jünger vor Angst aufschrien, so gab es Sturm in Jerusalem: “Es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind.” Also kein Lüftlein, das uns über die Stirn streichen könnte, keine Brise, die uns Erleichterung verschaffen könnte, kein Wind, der unsere Stube lüften könnte. An Pfingsten schickt Gott Sturm.

Was Heiliger Geist ist? Denken Sie an Dampf. So wie in Ägypten die Tür aufging und Israel über Nacht abdampfen konnte, oder so wie in Galiläa der Himmel aufging und der scheidende Christus seine Mannschaft unter Dampf setzte, so gab es Dampf in Jerusalem: “Sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist” und marschierten los. An Pfingsten macht Gott Dampf.

Wo aber Feuer gelegt, Sturm geschickt und Dampf gemacht wird, geht die Post ab, so wie in Jerusalem. Den Jüngern in der Tempelhalle wurde es warm. Sieben Wochen schon schnatterten sie in ihrer Angst. Den Gläubigen in dem Tempelgebäude wurde es heiß. Fast zwei Monate lang frieren sie in ihrer Furcht. Den Jesusanhängern in dem Tempelflügel brennt es unter den Füßen. Was fangen sie jetzt an, wenn der Heilige Geist als Exekutive Gottes Druck macht? Lukas berichtet: “Sie fingen an zu predigen.” Ist das alles, die Jünger reden? Ist das alles, was herauskommt, die Gläubigen predigen? Ist das alles, was es zu berichten gibt, die Jesusanhänger halten eine Predigt? Wenn es wenigstens eine vernünftige Predigt gewesen wäre, die mit unserem Verstand zu packen ist, aber sie ist ja höher als alle Vernunft. Wenn es wenigstens eine gerissene Predigt gewesen wäre, die einen vom Hocker reißt, aber sie erzählt von Unsichtbarem. Wenn es wenigstens eine kurze Predigt gewesen wäre, die man ohne Kirchenschlaf überstehen kann, aber zu allem Unglück dauert sie über dreißig Minuten. Trotzdem fangen sie an zu predigen.

Wenn der Herr Dampf macht, dann macht er keinen Krampf. Durch das Feuer wird die Zunge frei. Durch den Sturm wird die Verklemmung gelöst. Durch den Dampf kommt der Mut, von Jesus zu sprechen. Denken wir beim Heiligen Geist nicht dorthin, wo besondere und sonderbare Geistesgaben ins Rampenlicht gezerrt werden. Denken wir beim Heiligen Geist nicht dorthin, wo es der angeblich wahre Geist zu fremden und exotischen Blüten treibt. Denken wir beim Heiligen Geist nicht, und so hat es Hermann Bezzel gesagt, an den Rausch eines Fieberkranken, auch nicht an den Taumel der Unordentlichkeit, auch nicht an das wilde Aufschreien falscher Geistlichkeit. Heiliger Geist ist die feste Entschlossenheit für Christus zu reden.

Heiliger Geist ist die feste Entschlossenheit für Christus zu reden.

Also wo Jesu Wort laut wird, zum Beispiel am Anschluss an eine fetzige Jungscharstunde, dort ist der Heilige Geist. Also wo Jesu Wort zur Sprache kommt, zum Beispiel in der Mitte einer hitzigen Diskussion, dort ist der Heilige Geist. Also dort, wo Jesu Wort das Herz trifft, zum Beispiel mitten in einer Predigt oder seelsorgerlichem Gespräch, dort ist der Heilige Geist. Immer wenn die großen Taten Gottes in kleine menschliche Worte gefasst werden, damit sie andere erfassen können, dort hat der Herr Feuer gelegt, Sturm geschickt und Dampf gemacht.

Das Wunder des Pfingstgeistes ist und bleibt die Pfingstpredigt. Schauen wir uns die erste in diesem Kapitel näher an. Ich möchte Ihnen nur drei Entdeckungen weitergeben.

1. Der Geist verträgt keine schlechte Luft

In Jerusalem gab es einen harten Jüngerkern. Das waren die elf Apostel, die durch eine Stichwahl wieder auf den Zwölferkreis aufgestockt worden waren. Dazu gehörte der unverwüstliche Haudegen Petrus genauso wie der sensible Lieblingsjünger Johannes und der treue Marschierer Markus. Aber die Pfingstbotschaft wurde nicht im harten Kern, gleichsam im Vorstand verhandelt. Dann gab es eine treue Kerngemeinde von Nachfolgern. Das waren Freunde und Verwandte, die sich dem Jüngerzug angeschlossen hatten. Die Mutter Jesu gehörte genau so dazu wie die Maria Magdalena und die Brüder des Herrn. Aber die Pfingstbotschaft wurde nicht nur in der Kerngemeinde, gleichsam im Mitarbeiterkreis besprochen. Dann gab es eine stattliche Versammlung von Christen. Das waren die 120 Persönlichkeiten, die an den Herrn als Sohn Gottes glaubten. Dazu gehörte der Ratsherr Nikodemus genauso wie der Grundbesitzer Barnabas und Josef von Arimathia. Aber die Pfingstbotschaft wurde nicht nur in der Versammlung, gleichsam in der Mitgliederversammlung, verkündigt. Da ist von Persern und Medern und Elamitern die Rede. Das ist von Phrygiern und Pamphyliern und Ägyptern die Sprache. Da ist nicht einmal das halbwilde Kretervolk keusch verschwiegen. Asiaten hörten die großen Taten Gottes, Europäer, Afrikaner, Asiaten hörten die großen Taten Gottes reden. Ein weiter Horizont tat sich auf. Die ganze Welt kam plötzlich in Sicht.

Warum ist es uns nur so herzlich wohl im Konfirmandenclub, wie wir uns alle so prächtig verstehen? Warum ist uns so kuschelig warm im eigenen Hauskreis, in dem nur sympathische Menschen sind? Warum bringt uns das eigene Gotteshaus so viel, als ob die Umfassungsmauern die Grenzen des Reiches Gottes wären? Die Pfingstpredigt öffnet Fenster und Türen. Der Pfingstgeist ersetzt den Mief frömmelnder Rechtschaffenheit mit dem Duft der großen weiten Welt. Das Pfingstwunder schenkt Fernweh nach den Brüdern und Schwestern. Ich kannte eine Frau, die täglich ihre Hände über der Weltkarte faltete: Herr, die Hausgemeinde in Nanking braucht chinesische Bibeln. Die Missions­station in Papua-Neu Guinea muss neu gebaut werden. Der schwarze Bruder in Südafrika leidet unter der Rassentrennung.

Was sind wir für kleinkarierte Leute! Die kleinen Karos passen nicht mehr in unser Denken. Dem pfingstlichen Sturm und Drang sind keine Grenzen gesetzt. Seine Leute verhöhnen jede Vereinsmaierei und gehen bis an die Enden der Welt. Bei uns ist zu viel verhockt. Vom Frühling, der sein blaues Band flattern lässt, ist so wenig zu spüren. Ein Mief zieht durch viele Räume. Nur Jesus kann das ändern, denn dieser Herr ist der Geist, wo aber der Geist ist, da ist Freiheit von Engstirnigkeit.

Nun eine zweite Entdeckung:

2. Der Geist verträgt keinen grauen Nebel

In Jerusalem gab es keinen Beifall. Als die Jünger vom Gekreuzigten redeten, der für unsere Schuld sein Leben lassen musste, blieben die Hände in den Hosentaschen. In Jerusalem gab es keine Bravo-Rufe. Als die Apostel vom Auferstandenen predigten, der dem Tod den tödlichen Biss genommen hat, knirschten sie mit den Zähnen. In Jerusalem gab es keine Blumen. Als die Prediger vom Wiederkommenden redeten, der Buße und Umkehr will, stampften sie mit den Füßen. In Jerusal­em gab es etwas ganz anderes. Es gab helles Entsetzen. Was will das werden? Wo treibt das hin? Und es gab beißenden Spott: Die sind total betrunken, das riecht man über die Straße. Und es gab abgrundtiefen Hass. Weg mit diesen Typen! Ärger haben wir genug. Kurzum, es gab Sperrfeuer, das mit scharfer Munition diese Unbequemen auf Abstand hielt und mit Nebelgranaten die eigenen Konturen verwischte.

Sagen wir bitte nicht, dies gelte für unser Jahrzehnt und für unsere Breitengrade nicht. Diese Taktik ist Normalfall, nicht Sonderfall. Wer mit Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung kommt, der wird gefeiert. Wer aber mit Sünde, Buße und Rettung kommt, wird gefeuert. “Ihr seid doch aufgeblasen, arrogant, intolerant, als ob ausgerechnet ihr die Wahrheit für euch gepachtet hättet. Wir sind schon ordentlich, brav und fromm und haben alle miteinander ein gutes Herz.” Nein, großen Zulauf werden wir mit der Predigt Jesu nicht bekommen, aber seine Zusage: “Mein Wort wird nicht wieder leer zurückkommen”.

Damals durchschnitt es die Nebelwand, durchbrach den Sperr­gürtel und durchbohrte das Herz. Da wurde gelöchert. Da wurde getötet. Da wurde gemordet. Es starb der Hochmut, der mit Gott umgeht, als sei er im besten Fall die Notbremse für Krisenzeiten. Es starb der Gleichmut, der einem einredet, dass nicht so heiß gegessen wie gekocht wird. Es starb der Kleinmut, der einen zittern lässt, wenn ein Großhans auf die Pauke haut. Es starb die Schwermut, weil man glaubte, mit seiner Vergangenheit selbst fertig zu werden zu können. Es starb all das, was im letzten Grund Sünde ist. Pfingsttag ist Sterbetag der Schuld.

Der Heilige Geist will durch alle Nebel hindurch in unser Herz. Dort will er töten und neu machen. Aus der Rumpelkammer der Schuld kann eine Wohnung des Geistes werden. Keiner muss mit seinem beschwert­en Herzen weiterleben, keiner muss mit seinem leidenden Herzen seines Weges ziehen, keiner muss mit blutendem Herzen an die Arbeit zurückgehen. Jeder kann um dieses erneuerte und getroste Herz bitten: “So wird Geist und Licht und Schein, in dem dunklen Herzen sein.”

3. Der Geist verträgt keinen blassen Dunst

In Jerusalem gab es sicher Köpfe genug, die nach altgriechischem Vorbild intensiv dem Geist nachdachten, denn “Denken ist des Menschen würdigste Beschäftigung”, hat der alte Sophokles gesagt. Inmitten so viel Menschengeist muss doch ein Weltgeist am Werke sein, der alles in die richtige Richtung lenkt.

Die Kette derer, die darüber nachdachten, ist nie abgerissen, bis dann im Jahre 1806 der Tübinger Stiftskopf und Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel seine Fundsache lauthals verkündigte: Es gibt einen Weltgeist, der die Welt in immer herrlichere Zeiten vorwärts treibt und schließlich alles in einer allgemeinen Vergeistigung enden lässt. Übrigens finden Sie die verbilligte, verflachte, geradezu verhunzte Neuauflage dieser Gedanken in Fergusons Buch “Die Verschwörung im Zeichen des Wassermanns.” Der Jubel war groß, die Ernüchterung folgte auf den Fuß. Der Weltgeist entpuppte sich nicht einmal als blasser Dunst des wahren Geistes, sondern als Irrgeist, der ein paar Vordenker an der Nase herumgeführt hat, als Zeitgeist, der modischen Strömungen unterlegen war, als Ungeist, der immer schrecklichere Methoden des Mordens und Tötens erfand, als Lügengeist, der die Wahrheit auf den Kopf stellte. Heute noch von einem guten Weltgeist zu reden, wo wir die Geister nicht mehr loswerden, die wir riefen, ist doch sträflich weltfern.

Die Pfingstprediger künden den Heiligen Geist an, die Erfüllung des Joel-Wortes: “Ich will gießen von meinem Geist über alles Fleisch, spricht Gott.” Und dieser Geist will zu mir kommen. Er will bei mir die Türen öffnen. Er will in mir Wohnung nehmen. Der Heilige Geist, der so weltweit ist, will hautnah sein. Wir haben zu viel andere Geister im Haus. Bei wem wohnt nicht der Geist der Angst vor dem, was noch über uns kommen könnte? Bei wem wohnt nicht der Geist der Furcht vor dem, was Menschen an Unmenschlichem ersinnen können? Bei wem wohnt nicht der Geist der Bedrückung vor dem, was man an Schuld auf sich geladen hat? Bei wem wohnt nicht der Geist der Verzagtheit vor dem, was an Schmerzen, an Leiden, an Krankheiten noch auf uns wartet?

Die Pfingstpredigt sagt: Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. Dann gilt’s: “Weicht ihr Trauergeister, denn mein Freudenmeister, Jesus tritt herein”. Dann wird’s wahr: “Um Trost war mir sehr bange, aber du hast dich meiner Seele herzlich angenommen”. Dann steht’s fest: “Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht”.

Liebe Freunde, seit Pfingsten sind wir doch nicht mehr von allen guten Geistern verlassen. Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit von Geistern und von Schuld und von Engstirnigkeit. Der Herr ist der Geist, nur er, Gott sei Dank.

Amen


[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]