Ich freue mich, heute Abend wieder bei euch zu sein. Ich hätte euch gerne allen ein Stück von der Hochzeitstorte mitgebracht, aber dann hätte es wahrscheinlich nicht mehr für alle anderen Gäste gereicht, die ebenfalls da waren.
Es war eine schöne Hochzeit. Es ist ja meistens so: Es ist schön zu feiern, wenn ein Paar sich gefunden hat und gemeinsam durchs Leben gehen möchte. Besonders, wenn sie das unter dem Schutz Gottes tun wollen. Das war auch ihr Anliegen. Deshalb haben sie auch ungläubige Freunde und Bekannte eingeladen, die gekommen sind, um am Gottesdienst und an der Feier danach teilzunehmen.
Es handelt sich um eine ehemalige Schülerin, die in meiner Klasse war und vor zwei Jahren ihren Abschluss gemacht hat. Ihr Name ist Esther Schulz, beziehungsweise jetzt nicht mehr Schulz, sondern seit heute Vollmer. Sie ist in Bochum in der SMD, der Studentenmission für Deutschland, aktiv und hat heute dort geheiratet.
Die Hochzeitsfeier fand in einer freien evangelischen Gemeinde statt. Anschließend ging es weiter in einem Freizeitheim der landeskirchlichen Gemeinschaft bei Bochum. Wer mehr darüber erfahren möchte oder Esther vielleicht aus einem der Urlaube der vergangenen Jahre kennt, kann sich gerne später bei mir erkundigen.
Einführung in das heutige Thema: Wundertaten Jesu im Matthäusevangelium
Wir wollen uns heute, wie bereits angekündigt und wie ihr heute Morgen vermutlich auch im Austausch während der stillen Zeit hattet, mit einem weiteren Abschnitt aus dem Matthäusevangelium beschäftigen. Dabei handelt es sich um Berichte von Wundertaten, die Jesus hier auf der Erde vollbracht hat.
Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen den Wundern, die Jesus getan hat und mit denen wir uns gestern beschäftigt haben, und denen, die heute im Fokus stehen. Gestern ging es um eine Dämonenaustreibung. Zwei Menschen, die besessen waren, wurden durch Jesu übernatürliche Kraft von diesen dämonischen Belastungen geheilt. Das fand sich in Matthäus 8,28 bis zum Ende des Kapitels.
Heute gehen wir etwas weiter. Wir sind jetzt in Kapitel 9. Dazwischen gibt es keinen großen Bruch; hier ist ein Aufbau erkennbar, in dem das Handeln Jesu und seine Predigt beschrieben werden. So finden wir in Matthäus 9,1 die Heilung eines Gelähmten, dann die Berufung von Matthäus, dem Schreiber des Matthäusevangeliums, der zuvor Zöllner war. Jesus lehrt seine Jünger außerdem etwas über das Fasten.
Anschließend kommen wir zu drei Wundern, die Jesus am Ende von Matthäus Kapitel 9 getan hat – von Vers 18 bis Vers 38. Wenn wir diesen Abschnitt betrachten, lässt er sich grob in zwei Bereiche unterteilen: Zum einen geht es um Krankenheilungen, zum anderen um die Bitte, Menschen in die Nachfolge und Mission zu rufen, also dazu zu bewegen, anderen vom Evangelium zu erzählen.
Die Wundertaten Jesu, die Heilungen betreffen, sind drei verschiedene. Zuerst die Heilung der Tochter des Jairus. Im Matthäusevangelium wird der Name Jairus nicht genannt. Aber in den Parallelberichten im Markus- und Lukasevangelium – Markus 5,21-43 und Lukas 8,40-56 – erfahren wir den Namen dieser Person und können sicher sagen, dass es sich um dieselbe handelt.
Direkt danach folgt die Heilung der sogenannten blutflüssigen Frau. Am Ende werden noch zwei Blinde und ein Stummer geheilt. In dieser Reihenfolge wollen wir auch vorgehen: Zuerst die Tochter des Jairus, dann die Frau, die Jesus anrührt und geheilt wird, und schließlich die beiden Blinden.
Die Bitte des Synagogenvorstehers um Heilung seiner Tochter
Wir lesen in Vers 18: „Als er dies mit ihnen geredet hatte“ – dies bezieht sich auf den Einschub zur Lehre über das Fasten, wo Jesus vorhin mit seinen Jüngern gesprochen hatte. Da kam einer von den Vorstehern der Gemeinde, fiel vor ihm nieder und sprach: „Meine Tochter ist eben gestorben, aber komm und lege deine Hand auf sie, so wird sie lebendig.“
Hier wird von einem Vorsteher der Gemeinde gesprochen. Ein Vorsteher war damals ein verhältnismäßig hohes Amt. Das griechische Wort, das damit gemeint ist, bezeichnet im Normalfall den Vorsitzenden einer Synagoge. Man könnte sagen, es handelt sich nicht um eine Art Prediger, wie wir das vielleicht in unseren Gemeinden kennen, sondern um jemanden, der für die Verwaltung der Synagoge zuständig ist und zugleich geistliche Leitungsqualitäten besitzt.
Das bedeutet, er war beispielsweise dafür verantwortlich, zu entscheiden, wer in einem Synagogengottesdienst aus den Schriften des Alten Testaments vorlesen durfte, wer beten durfte und wer die gesetzgebende Gewalt in der Synagoge innehatte. Diese Person gehörte zu dem großen Kreis von Menschen, die wir in den Evangelien häufig zusammengefasst als Pharisäer und Schriftgelehrte finden. Es handelt sich also um einen dieser Vorsteher.
Es erstaunt uns, dass diese Person zu Jesus kommt. Allerdings merken wir auch sofort, dass der Mann nicht sofort zu Jesus gekommen ist. Wahrscheinlich musste er sich innerlich erst überwinden. Es ging ihm vermutlich ähnlich wie manch anderen, die mit Jesus lange diskutierten.
Wir erkennen, dass intellektuelle Diskussionen und theologische Auseinandersetzungen oft zurücktreten, wenn es um ganz persönliche Not und Betroffenheit geht. Es ist sicherlich Spekulation anzunehmen, dass er von Anfang an gegen Jesus eingestellt war. Allerdings weist darauf hin, dass er Jesus erst aufsucht, als seine Tochter bereits tot ist – das ist eigentlich viel zu spät.
Wir merken, dass das Geschehen in der Nachbarschaft stattfindet, also nicht weit entfernt. Er musste nicht kilometerweit laufen, sondern Jesus war innerhalb kurzer Zeit bei ihm zu Hause. Später lesen wir sogar, dass schon die Klageweiber bestellt waren – das wurde alles schon veranlasst, bevor er zu Jesus aufbrach.
Da fragt man sich: Warum kommt er nicht früher, wenn seine Tochter krank ist? Wahrscheinlich, weil er alles Mögliche andere ausprobiert hat, um sie wieder gesund zu bekommen. Doch nichts hat geholfen. Jetzt ist Jesus der letzte Hoffnungsträger, der Notnagel. Der Mann ist sich selbst nicht mehr ganz sicher. Deshalb lässt er sogar die Totenklage anstimmen.
Wenn er wirklich großen Glauben gehabt hätte, hätte Jesus die Tote sofort lebendig gemacht. Warum sind also die Klagweiber da? Warum sind diejenigen, die Flöte spielen, wie wir später noch sehen werden? Offenbar ist er sich nicht ganz sicher, ob es wirklich klappt. Aber es ist doch diese Hoffnung, die ihn antreibt. Er hat so viel von Jesus gehört. Selbst wenn innerlich Zweifel bestehen, geht er zu dem, dem er das höchstens noch zutraut, und bittet ihn, seine Tochter vom Tod zurückzuholen.
Er hat eine hohe Erwartung, er ist in großer Not. Im alltäglichen Leben gibt er sich nicht damit zufrieden, dass seine Tochter endgültig tot ist. Er hofft, dass Jesus etwas daran ändern kann.
Wir sehen auch, dass erwähnt wird, dass er vor Jesus niederfällt. Er ist sich nicht zu schade dazu. Er ist eigentlich ein Würdenträger, vor dem andere zu Boden gefallen sind und den viele verehrten, ein Vorbild für viele andere. Doch hier zeigt sich: In der persönlichen Betroffenheit ist er nicht zu stolz. Er demütigt sich vor Jesus und bittet ihn, in sein Haus zu kommen, um seine Tochter wieder gesund zu machen.
In Vers 19 lesen wir dann: Jesus diskutiert nicht lange. Er steht auf und folgt ihm mit seinen Jüngern. Dann folgt eingeschoben die Heilung der blutschüssigen Frau, die wir nur kurz überfliegen, weil wir gleich noch darauf zurückkommen.
Jesus kommt, hört die Not und fragt nicht lange: „Glaubst du wirklich? Bist du dir ganz sicher? Habe ich nicht schon einmal mit dir gesprochen? Warum kommst du eigentlich so spät?“ Solche Vorwürfe Jesu gibt es nicht.
Wir können daraus etwas lernen: Wenn wir mit Jesus sprechen und ihn um Hilfe bitten, ist er bereit, in jeder Notlage zuzuhören, zu antworten und uns zu helfen. Wir müssen keine besonderen geistlichen Qualifikationen mitbringen, wenn wir Jesus um Hilfe bitten. Er ist bereit, in der Not zu helfen und mit uns zu gehen.
Das Eintreffen im Haus und die Atmosphäre der Trauer
Wir lesen weiter ab Vers 23: Als Jesus in das Haus des Vorstehers kam, sah er die Pfeifer und das Getümmel des Volkes und sprach: „Geht hinaus!“ Danach sagt er weiter.
Die Szene spielt sich so ab: Jesus geht einen Spaziergang, umgeben von einer großen Volksmenge. Ähnlich ist es bei der Frau, die an Blutfluss leidet und von hinten noch den Rand seines Gewandes berührt. Es herrscht also ein Gedränge. Die Leute sind schaulustig und wollen miterleben, was genau vor sich geht.
Dann betritt Jesus das Trauerhaus. Ich habe bereits erwähnt, dass hier gerade das stattfindet, was damals im Orient, besonders im Nahen Osten, üblich war. Das Haus war wahrscheinlich ein größeres Gebäude, denn es sind viele Menschen anwesend. Es heißt hier „Getümmel des Volkes“ im Haus, also war es nicht nur eine kleine Hütte, sondern es kamen viele Leute hinein.
Es wird von Pfeifern im Plural gesprochen, also mehreren Pfeifern. Normalerweise gehörten zu solchen Trauerfeiern auch sogenannte Klageweiber. Diese befanden sich zu diesem Zeitpunkt sicher ebenfalls dort, denn im Normalfall wurden Pfeifer und Klageweiber zur selben Zeit gerufen. Es war üblich, dass selbst eine arme Familie mindestens zwei Pfeifer und mindestens eine Klagefrau engagierte, die dann die Trauer und die Totenklage anstimmten.
Das geschah normalerweise sofort nach dem Tod einer Person. Warum? Weil man nicht lange warten konnte, um die Person zu beerdigen. In Israel setzt die Verwesung relativ schnell ein. Die Menschen wurden meist innerhalb von 24 Stunden, oft sogar schneller, begraben.
Vor der Beerdigung wurde allerdings getrauert. Dabei musste man sich nicht zurückhalten oder gefasst wirken, sondern durfte seinen Schmerz laut hinausschreien. Um das Ganze zu unterstützen und zu verstärken, wurden berufsmäßige Trauerer engagiert. Das mag uns heute etwas seltsam erscheinen.
Wenn jemand auf Knopfdruck weint, wirkt das nicht echt. Deshalb wirft Jesus diese Trauernden auch hinaus, weil sie keine echte Trauer zeigen.
Normalerweise begann das Weinen mit dem Rufen des Namens des Verstorbenen. Die Trauernden hatten sich vorher erkundigt, um eine Atmosphäre der Trauer zu schaffen. Das Schreien war laut und sollte bis auf die Straße und in die Nachbarschaft hörbar sein.
Neben dem Schreien gab es Flötenmusik, die traurige und schrille Melodien spielte. Es war also nicht so ruhig und gelassen, wie wir uns heute vielleicht eine Aufbahrung vorstellen, bei der jeder still hereingeht und nur ein paar Kerzen brennen.
Damals gab es in Israel ein richtiges Getümmel. Man war laut und wollte den Schmerz herausschreien. Äußere Dinge wie das Weinen und die Musik sollten diesen Schmerz verstärken.
Außerdem gab es genaue Regeln für die Trauerkleidung. Wenn ein Angehöriger starb, zerriss man aus Trauer die Kleider. Das wird hier nicht erwähnt, war aber für die damaligen Leser des Evangeliums selbstverständlich. Viele von ihnen kamen aus dem jüdischen Glauben und waren Christen.
Man zerriss die Kleider vor Publikum, um den Schmerz zu zeigen. Dabei gab es eine abgestufte Symbolik: Wenn ein weiterer Angehöriger starb, zerriss man das Kleid an der rechten Seite, ungefähr über der Brust. Die langen Gewänder wurden so aufgerissen, dass man hindurchschauen konnte.
Bei einem sehr nahen Angehörigen, wie Eltern oder Kindern, riss man das Kleid an der linken Seite auf, also dort, wo das Herz sitzt. Das zeigte, dass der Schmerz besonders tief sitzt und das Herz zerrissen ist.
Man trug diese zerrissene Kleidung mehrere Tage oder auch länger, je nach Trauerzeit. So war man auf der Straße als Trauernder erkennbar.
Natürlich stellte sich die Frage, ob das nicht unzüchtig sei, besonders bei Frauen, wenn sie so entblößt herumliefen. Dafür gab es genaue Gesetze: Die Frau sollte das Unterkleid zerreißen und es umgekehrt tragen. Vor Publikum sollte nur das Oberkleid zerrissen sein, sodass man nicht ganz hindurchsehen konnte. Auch an solche Details wurde gedacht.
So müssen wir uns die Szene vorstellen: Die Nachbarn kommen herbei, es gibt lautes Tröten, Wehklagen und das Schreien des Namens. Jesus betritt das Haus, man versteht ihn kaum.
Um Ruhe einkehren zu lassen und mit dem Mädchen sowie den Angehörigen in Ruhe sprechen zu können, schickt Jesus zunächst alle Trauernden hinaus. Man könnte sagen, Jesus ist das oberflächliche und zum Teil gespielte Trauern zu viel. Sicherlich betrifft das nicht die Angehörigen, aber viele aus der Nachbarschaft und die professionellen Klager stehen einfach nur herum.
Deshalb schickt Jesus sie hinaus. Dann sagt er weiter: „Geht hinaus, denn das Mädchen ist nicht tot, sondern schläft.“ Doch sie verlachten ihn.
Die Bedeutung von Jesu Aussage „Das Mädchen schläft“
Nun fallen uns mehrere Dinge auf. Zum einen stellen wir uns die Frage: Irrt sich Jesus hier denn? Er ist doch der Sohn Gottes und müsste eigentlich wissen, dass das Mädchen tot ist. Oder war sie vielleicht gar nicht tot, sondern nur scheinbar tot?
Wenn wir die Parallelstellen lesen, merken wir, dass sie schwer krank war und dann gestorben ist. Hier müssen wir ein wenig ins Griechische zurückblicken. Im Griechischen gibt es zwei Worte für Sterben beziehungsweise Totsein. Das Wort, das hier benutzt wird, wurde im griechischen Umfeld ebenfalls für Tote verwendet.
Wir kennen das auch aus dem Deutschen, zum Beispiel die „Totenruhe“. Manchmal sagt man auch, jemand sei „eingeschlafen“ oder „entschlafen“. Das zeigt, dass wir auch im Deutschen das Wort „schlafen“ durchaus benutzen, wenn jemand gestorben ist, obwohl wir ganz bewusst wissen, dass die Person tot ist.
Sprachlich gesehen nennt man so etwas manchmal einen Euphemismus – „eu“ bedeutet „gut“. Es handelt sich also um eine positive Umschreibung für etwas eigentlich Negatives, damit der Schmerz bei uns nicht ganz so groß wird. So benutzt Jesus hier eine Sprechweise, die in der damaligen Welt durchaus üblich war. Man konnte sie benutzen, doch es war eben beides mit drin.
Jetzt stellt sich die Frage: Was wollte Jesus damit sagen? Warum hat er nicht einfach klar gesagt: „Die ist tot“? Er hätte vielleicht die Eltern auch einfach stehen lassen können mit den Worten: „Ihr seid zu spät gekommen, warum seid ihr nicht früher gekommen?“ Das hätte er tun können.
Eine andere Überlegung ist, dass Jesus dadurch eine Botschaft an die Trauernden richten wollte – eine Botschaft, wie wir sie auch bei Lazarus finden. Lazarus, den Jesus ebenfalls von den Toten auferweckt hat, steht symbolisch für die Macht Gottes über den Tod. Der Tod, vor dem wir uns fürchten und der uns unterdrückt, ist nichts anderes als der Schlaf.
Der Schlaf ist für uns nicht gefährlich, er ist nichts Schlimmes. Jesus will hier möglicherweise seine Macht in den Mittelpunkt stellen: So wie ihr jemanden aus dem Schlaf aufwecken könnt, so kann ich auch jemanden aus dem Tod auferwecken.
Der Tod ist keine endgültige Grenze, es gibt ein Zurück. Jesus sagt: „Ich habe die Macht über den Tod und über das Leben.“ Möglicherweise will er das damit betonen. Für ihn ist es so, als ob sie nur schläft. Seine Macht geht darüber hinaus. Die Menschen können das nicht tun, aber er kann es.
Manchmal gebraucht Jesus solche Ausdrücke, über die die Menschen erst nachdenken müssen. Denken wir an die Frau am Jakobsbrunnen. Jesus sagt zu ihr: „Ich kann dir lebendiges Wasser geben. Wenn du davon trinkst, musst du nie mehr durstig sein.“ Das klingt für uns zunächst unvorstellbar und verrückt. Die Frau denkt auch so und fragt neugierig nach.
Doch die Menschen in diesem Fall fragen nicht nach. Sie fragen nicht: „Was meinst du damit? Wieso schläft sie, ist sie nicht eigentlich tot?“ Stattdessen fangen sie an zu lachen. Warum sie lachen, wissen sie selbst nicht genau. Vielleicht ist es eine Übersprungshandlung.
Oder sie denken: Da kommt der große Meister, der sonst so vielen helfen kann. Und jetzt, statt zu sagen: „Na ja, sie ist tot, das ist traurig und schade, dass ich zu spät gekommen bin“, sagt er: „Sie schläft nur.“ Vielleicht ist das einfach eine Kurzschlussreaktion.
Jedenfalls sagt Jesus: „Sie schläft.“ Die Leute wollen das nicht glauben. Als das Volk hinausgetrieben wurde – also die, die hier auch lachen, sind in erster Linie die Leute aus dem Volk –, denn den Eltern war sicherlich nicht zum Lachen zumute, treibt Jesus das Volk hinaus.
Dann geht er hinein, ergreift das Mädchen bei der Hand, und sie steht auf. Hier merken wir: Jesus macht gar nicht viel. Das, was wir gestern schon festgestellt haben, wird deutlich. Es wird kein großes Spektakel veranstaltet. Jesus sucht auch nicht die große Zahl der Zuschauer, um sich in den Mittelpunkt zu stellen.
Das unterscheidet sich von manchen weltweit herumreisenden Heilungsevangelisten, die sich selbst stärker feiern lassen als das, was Gott dabei tut. Hier ist es etwas ganz anderes. Jesus verscheucht sogar das ganze Publikum, das ihn umso mehr bewundern könnte.
Er macht keine große Rede, etwa: „Seht mal hier, was ich jetzt doch machen kann.“ Stattdessen sieht er die Not der Eltern, ergreift das Mädchen bei der Hand, zieht sie hoch, und sie steht auf und lebt weiter. Diese Nachricht erscholl durch das ganze Land. Das finden wir immer wieder.
Es geht nicht nur um dieses Ereignis. Wir merken, dass zur damaligen Zeit spektakuläre Wunder geschahen, wie sie nie vorher und nie nachher in der Bibel berichtet werden. Schauen wir durch das ganze Alte Testament und auch die Zeit nach dem Tod Jesu: Wo gibt es eine Zeit, in der so konzentriert Wunder auftauchen, in der Menschen gesund werden, geheilt werden und Besessene ausgetrieben werden? Nirgends!
Warum? Wenn das zu allen Zeiten in derselben Weise geschehen wäre oder bis heute bei jedem geschehen würde, was wäre dann das Besondere an Jesus? Welches Zeichen wäre das noch als Beglaubigung seiner Messianität?
Das ist ja gerade das Zeichen, das er beispielsweise den Jüngern des Johannes nennt, die zu ihm kommen und fragen: „Bist du der, auf den wir warten?“ Dann sagt er: „Ja, schaut euch um! Blinde werden sehend, Lahme gehen, den Armen wird das Evangelium gepredigt.“ Das ist das, was im Alten Testament vorhergesagt ist.
So sehen wir, dass es weder im Alten noch im darauffolgenden Neuen Testament solche massiven Auftritte von Wundertaten Jesu gibt. Im Alten Testament finden wir hier und dort einige Heilungswunder, etwa bei Elija und Elisa. Wir denken an Naaman, den Feldherrn, der geheilt wird.
Wir finden vereinzelt Personen, die durch das übernatürliche Eingreifen Gottes geheilt werden. Das sind Ausnahmen, wenige Beispiele. Es tritt nicht so verstärkt auf und verteilt sich über viele Jahrhunderte, ja sogar Jahrtausende. Das Alte Testament umfasst mehrere Tausend Jahre. Jesu Wirken hingegen beschränkt sich auf etwa drei Jahre, in denen nur einzelne Beispiele seines Wirkens aufgeschrieben wurden.
Dies ist nun der erste Fall der Heilung. An anderen Stellen sehen wir, dass Jesus vielen Menschen ein Schweigegebot auferlegt. Sie sollen nicht davon erzählen.
Wir können uns natürlich auch die Frage stellen, warum er eigentlich will, dass darüber geschwiegen wird. Sicherlich spielen mehrere Motive eine Rolle. Zum einen will er nicht durch Sensationsmeldungen bekannt werden. Es geht ihm nicht darum, gefeiert zu werden aufgrund der Wundertaten, die Gott durch ihn wirkt.
Er will nicht, dass die Menschen in erster Linie von den Wundern fasziniert sind. Möglicherweise möchte er sich auch noch nicht als der Messias zeigen, weil er weiß, was ihm bevorsteht. Wir können nicht genau sagen, woran es liegt.
Die Heilung der blutflüssigen Frau
Wir sehen dann die Heilung der Frau, die ebenfalls krank ist. In Kapitel 9, Vers 20 heißt es: „Und siehe, eine Frau, die seit zwölf Jahren den Blutfluss hatte, trat von hinten an ihn heran und berührte den Saum seines Gewandes.“
Wir müssen uns vorstellen: Jesus wird von dem Vorsitzenden der Synagoge gerufen. Die Menschen drängen sich um ihn herum, sie wollen gerne dieses Wunder sehen und sind gespannt, wie Jesus reagiert. Sie drängen sich durch die engen Gassen einer kleinen jüdischen Stadt.
Plötzlich tritt von hinten eine Frau an ihn heran, die Jesus dabei gar nicht bemerkt. Wir können uns fragen, warum diese Frau von hinten an Jesus herantritt. Warum wagt sie es nicht, bis Jesus mit den anderen Wundertaten fertig ist? Warum hat sie ihn nicht besucht, als er irgendwo zuhause in seiner Wohnung saß? Vielleicht war sie gerade auf dem Weg und konnte nicht mehr abwarten. Vielleicht hatte sie Angst, nicht mehr an Jesus heranzukommen, wenn er erst einmal vorbei ist.
Ich glaube aber, dass all das nicht der Grund für ihr Verhalten ist. Der Grund liegt in der Art und Weise ihrer Erkrankung. Im Alten Testament, zum Beispiel in 3. Mose 15,25, wird über solche Fälle berichtet. Dort heißt es, wenn eine Frau einen Blutfluss über eine lange Zeit hat, zu ungewöhnlicher Zeit oder über die gewöhnliche Zeit hinaus, so wird sie unrein, solange sie den Blutfluss hat. Jedes Lager, auf dem sie liegt, gilt als unrein, ebenso alles, worauf sie sitzt. Wer davon etwas anrührt, wird unrein und muss seine Kleider waschen und sich mit Wasser abwaschen. Er bleibt unrein bis zum Abend. Wenn die Frau von ihrem Blutfluss rein wird, soll sie sieben Tage zählen und danach rein sein. Am achten Tag soll sie zwei Turteltauben opfern.
Im Gesetz des Alten Testaments finden wir also den Hinweis, dass diese Frau nicht nur krank war wie jemand mit einem gebrochenen Bein, mit dem man Gemeinschaft pflegen konnte. Mit dieser Frau durfte man keine Gemeinschaft pflegen, wenn man nicht die Gefahr eingehen wollte, unrein zu sein.
Für die Juden war und ist bis heute die kultische Reinheit vor Gott eine der wichtigsten Sachen. Deshalb gibt es auch die Speisegebote. Ihr wisst ja, es gibt sehr viele jüdische Speisegebote, was man essen darf und was nicht.
Während meines Studiums arbeitete ich in Basel in einem Hotel, in dem im Sommer häufig jüdische Reisegruppen zu Gast waren. Mit ihnen hatte ich einige Erfahrungen, unter anderem auch beim Essen. Es gab dort eine Hotelküche, aber wenn es streng religiöse Gruppen waren, rührten sie keinen Teller an, obwohl er sauber war. Das war ein Fünf-Sterne-Hotel, das Essen war also sehr gut, aber es war möglicherweise nicht koscher.
Warum nicht? Weil die Heiden, so wie die Juden uns sehen, zum Beispiel Fleisch und Milch zusammen essen. Und fragt ihr euch, na ja, muss man nicht unbedingt, aber nehmt ihr mal ein Stück Fleisch mit einer Soße, in der Milch ist, das geht für einen Juden nicht. Man darf nicht einmal vom selben Geschirr Fleisch und Milch essen, das gilt als unrein.
Deshalb aßen sie immer mit eigenem Geschirr und ließen sich aus einem koscheren Restaurant in der Nähe Essen kommen. Reinheit war für die Juden also sehr wichtig.
Wir müssen uns die Situation dieser Frau vorstellen: Seit zwölf Jahren hatte sie diesen Blutfluss. Kaum jemand hatte Kontakt mit ihr. Wahrscheinlich wohnte sie etwas abgeschieden, denn sobald sie jemand anfasste, galt dieser als unrein. Er musste sich schnell waschen und durfte niemanden mehr anfassen, weil dieser sonst auch unrein wurde. Erst am Abend, nach einem Tauchbad, einer Art Taufe, durfte er wieder Kontakt haben.
Wir merken, dass hier auch eine soziale Krankheit vorliegt. Wahrscheinlich schleicht sich diese Frau von hinten an Jesus heran, weil sie in dem Dorf, in dem Jesus sich befindet, und in der Menge nicht erkannt wird. Die vielen Menschen stoßen, sie wollen nur voran. Würde man sie erkennen, würde man sie wegdrängen. Keiner will, dass sie an Jesus kommt. Sie könnte Jesus verunreinigen oder die anderen, die mit Jesus ziehen.
Deshalb schleicht sie sich mehr oder weniger von hinten an, spricht Jesus nicht einmal an, weil es dann schon zu spät sein könnte. Sie zieht ihm nur, wie wir lesen, an dem Saum seines Gewandes.
Der Saum des Gewandes – das Wort bedeutet eigentlich die Quaste seines Gewandes. Das hat wieder etwas mit dem Alten Testament zu tun. Dort ist es den Juden aufgetragen, an den Spitzen ihrer Gewänder Quasten zu tragen. Meistens waren diese auch farbig, eine Art Trotteln oder lange Fäden, die herunterhingen. Man sieht das heute noch während des Gebets. Es gibt verschiedene Regeln, die die Juden einhalten mussten. Eine davon waren diese Quasten.
Wir lesen das zum Beispiel in 4. Mose 15,37: „Und der Herr sprach zu Mose: Rede mit den Israeliten und sprich zu ihnen, dass sie und ihre Nachkommen sich Quasten machen an den Zipfeln ihrer Kleider und blaue Schnüre an die Quasten der Zipfel tun.“ Diese Quasten sollten dazu dienen, dass man beim Ansehen an alle Gebote des Herrn denkt und sie tut. So soll man sich nicht von seinem Herzen oder seinen Augen verführen lassen und abgöttisch werden, sondern an alle Gebote denken und heilig sein vor Gott.
Diese Quasten hatten also eine Bedeutung: Sie sollten an die Gebote erinnern. An diesen Quasten sehen wir, dass Jesus hier ein gesetzestreuer Jude ist. Er sieht nichts, was dagegen spricht, und will nicht rebellieren. Er kleidet sich, wie es für einen Juden üblich war.
Das bedeutet wahrscheinlich auch, dass er, im Gegensatz zu vielen heutigen Bildern, recht bärtig war. Für einen Juden war es normal, bärtig zu sein. Die Rabbiner sprachen davon, dass man die fünf Ecken des Bartes nicht beschneiden soll, was man bei orthodoxen Juden bis heute sieht.
Jetzt frage ich mich natürlich, wo denn die fünf Ecken meines Bartes sind. Das ist schwierig, denn die meisten Kinnladen sind eher dreieckig. Aber die meisten Juden tragen Schläfenlocken, das sind die anderen beiden Ecken des Bartes. Dort baumeln lange Haare herunter. Diese Schläfenlocken sind also die anderen beiden Ecken, damit man alle fünf Ecken zählt.
Wir müssen uns Jesus also ähnlich vorstellen: wahrscheinlich mit einem langen Bart und den Quasten am Gewand. Dann kommt diese Frau und fasst das an.
Wir lesen in Vers 21: „Denn sie sprach bei sich selbst: Könnte ich nur sein Gewand berühren, so würde ich gesund.“
Als ich das zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich: Liebe Frau, bist du nicht ein bisschen abergläubisch? Ist das nicht etwas Ähnliches, was wir in der mittelalterlichen Kirche finden, wenn man Reliquien der Heiligen hatte und meinte, in deren Nähe bekomme man besonders die Kraft Gottes?
Das gibt es heute auch noch an Wallfahrtsorten, wo man meint, dass Gott ganz besonders an bestimmten Orten gegenwärtig ist. Wenn ich mich an diese Orte begebe oder in Trier den Heiligen Rock berühre, dann heilt mich Gott, dann ist mir der Segen Gottes gegenwärtig.
Da habe ich mich gefragt: Sind wir Menschen heute nicht manchmal ganz ähnlich? Ist uns das selbst als gläubige Christen nicht ganz fern?
Ich erinnere mich an ein Quiz im idea Magazin kurz vor Weihnachten. Der Hauptpreis war ein Abendessen mit Peter Hahne. Das ist doch etwas Ähnliches, oder? Die Nähe zu einem heiligen oder zumindest bekannten Menschen wird als besonders wertvoll angesehen.
Manche würden sagen: „Sonst esse ich auch zu Mittag, aber gerade mit dieser Person!“ Oder stellt euch vor, ihr wärt von Billy Graham getauft worden oder er hätte euch in die Ehe eingeführt. Viele würden sagen: Da ist doch was dran.
Das merken wir auch, wenn wir hier eine Konferenz haben. Vor zwei Jahren oder letztem Jahr hatten wir als Redner der Frühjahrskonferenz Werner Gitt. Plötzlich waren wesentlich mehr Besucher da, weil es Werner Gitt war. Der bekannte Redner – da muss ich doch in seiner Gegenwart sein, da bekomme ich besonders viel mit. Selbst wenn er genau dasselbe sagt wie jemand anderes.
Fühlen wir das nicht manchmal selbst? Stellt euch vor, Billy Graham predigt in eurem Nachbarort. Und wenn ihr seine Predigten lest, sind sie oft ganz einfach. Das sind Sachen, die man theoretisch genauso predigen könnte. Aber wie viele von uns würden sagen: „Heute Abend muss ich unbedingt zu der Bibelstunde gehen.“ Oder: „Heute Abend ist der Film im Fernsehen, eigentlich will ich die Füße hochlegen.“ Aber wenn die Bibelstunde von Billy Graham gehalten wird, oder wenn Hudson Taylor noch leben würde und käme, dann wäre das etwas Besonderes.
Ich nenne mal ein paar Heilige der Freikirchen, von denen man sagen würde, man muss unbedingt hingehen. Da merken wir, so etwas steckt in uns Menschen drin.
Oder stellt euch vor, ihr hättet eine Bibel, in der ein Prediger Randbemerkungen geschrieben hat, und ihr habt sie in der Liste. Da habt ihr etwas von der Person gegenwärtig.
Viele Menschen reagieren ja auch so mit Popheiligen. Da wird für eine stinkende Socke von Madonna oder ähnlichem viel Geld bezahlt. Die könnte man bei C&A für fünf Mark oder noch weniger bekommen. Aber diese Socke hat Madonna getragen, oder das letzte zerrissene Gitarrenstück von Elvis. Solche Dinge haben einen besonderen Wert, weil man sich der Person dadurch nahe fühlt.
So können wir das vielleicht nachempfinden. Das ist zwar nicht ganz in Ordnung, aber es steckt irgendwie in uns Menschen drin. So empfindet auch diese Frau. Deshalb meint sie: Wenn sie etwas berührt, was Jesus anhat, dann kommt etwas von seiner Kraft und Nähe auch für sie und hilft ihr.
Das ist das, was dahintersteckt. Sie hat großes Vertrauen. Vielleicht würden wir ähnlich reagieren.
Dann sehen wir die Reaktion Jesu. Er könnte sagen: „Frau, warum hältst du mein Kleid fest? Ich bin gerade dabei, jemanden vom Tod aufzuwecken. Deine Kleinigkeit hier, dein Blutfluss, interessiert mich nicht.“ Oder er könnte sagen: „Du machst mich unrein, ich wusste ja, dass du diesen Blutfluss hast.“ Oder: „Was hätte ich sonst machen können? Warte, ich gebe dir morgen um neun Uhr einen Termin, dann kann ich dich gesund machen.“
Das tut er nicht. Wahrscheinlich steht Jairus schon da, der sich auf die Füße tritt und denkt: „Was macht Jesus jetzt? Warum bleibt er stehen? Warum spricht er noch mit der Frau?“
Wir sehen etwas Besonderes, das Jesus eigen ist und uns herausfordern kann. Jesus wendet sich immer dem Menschen zu, mit dem er gerade zu tun hat. Er lässt sich nicht ablenken, selbst wenn eine Volksmenge um ihn herum ist. Er lässt seinen Terminplan durcheinanderbringen, wenn er weiß, dass das gerade der Mensch ist, den Gott ihm in den Weg gestellt hat.
Da sind wir natürlich herausgefordert: Wie gehen wir damit um? Wie ist das, wenn wir abends von der Arbeit kommen, müde und kaputt sind, und unser Nachbar klingelt und sagt: „Du hast doch mal gesagt, mit dem Glauben und so, kannst du heute Abend noch?“ „Ach nee, heute Abend geht nicht, ich bin völlig kaputt.“
Wie wäre das? Wie sieht das aus? Natürlich würden wir so etwas nicht tun, sagen wir. Aber wie ist es, wenn du weißt, der Nachbar hat frei, heute wäre die richtige Situation, aber du bist müde?
Ich fand auch das Beispiel der Frau am Jakobsbrunnen toll. Jesus wanderte durch die Gegend, hatte es eilig, nach Jerusalem zu kommen. Es war Mittagshitze, er schwitzte. Er ging nicht einmal mit in die Stadt, sondern schickte seine Jünger los, weil er völlig erschöpft war. Dann kam die Frau. Anstatt ihm Wasser zu geben, bringt sie ihn in ein Gespräch hinein. Jesus denkt nicht mehr daran, sich auszuruhen. Er spricht, als wäre das das Wichtigste auf der Welt, jetzt mit dieser Frau zu sprechen, die, wie wir später wissen, eine Sünderin ist.
Auch hier nimmt sich Jesus Zeit für den Menschen, der ihm gerade gegenübersteht. Das ist etwas Tolles.
Wir sehen, dass er das auch bei Menschen tut, die kein hohes Ansehen haben. Wir würden ihm vielleicht sagen: „Na gut, wenn der Bürgermeister kommt, dem würden wir auch nicht die Tür vor der Nase zuschlagen.“ Aber vielleicht bei Leuten, die nicht viel Ansehen genießen in unserer Gemeinde oder Nachbarschaft?
Wie sieht es damit aus? Sind wir so wie Jesus, dass wir bereit sind, unsere Zeit zu investieren, auch wenn wir dringend andere Sachen vorhaben? Wenn wir spüren oder wissen, dass das die Person ist, die Gott uns in den Weg gestellt hat?
Jesus wandte sich um, sah die Frau an und sprach: „Sei getrost, meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen!“ Und die Frau wurde gesund zu derselben Stunde.
„Tochter“ ist hier eine normale Anrede für eine jüngere Frau. Es bedeutet nicht, dass sie seine leibliche Tochter war.
Wir wollen später noch einmal auf die Frage eingehen: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Das kommt bei den Heilungen Jesu immer wieder vor. Sicherlich stellt sich für manche von uns die Frage: Was ist an dem Glauben so wichtig? Wie muss man glauben? Welche Menge von Glauben braucht man, damit so etwas passiert?
Diese Fragen wollen wir später noch behandeln.
Zuerst wird dieser Frau geholfen. Es heißt: „Zu derselben Stunde.“ Wir können uns fragen: Ist das langsam passiert? War sie erst nach einer Stunde gesund?
Damals hat man im Nahen Osten nicht so genau auf die Zeit geschaut wie wir heute. Hier würde man sagen: Jesus hat sie sofort geheilt – zur selben Minute, zur selben Sekunde.
Das meint genau dasselbe. Die Leute damals hatten keine Armbanduhr, um die Minute genau zu sehen. Es war ungefähr so.
Das bedeutet: Im selben Moment, als Jesus mit ihr sprach, war sie gesund. Von einem Schlag auf den anderen. Jesus hat nicht Stück für Stück geheilt, sondern zack – die Frau war gesund. Und sie gingen weiter.
Heilung der Blinden und des Stummen
Wir lesen dann in Vers 27 und den folgenden noch das dritte Heilungsereignis Jesu in diesem Abschnitt.
Als Jesus von dort weiterging, folgten ihm zwei Blinde, die schrien: „Ach, du Sohn Davids, erbarm dich unser!“ Sohn Davids war damals der populäre Titel für den Messias. Man war sich sicher, dass der Messias ein Nachkomme Davids sein sollte, der ein Königtum aufbauen würde, wie David es gehabt hatte. Deshalb die Bezeichnung „Sohn Davids“. Allerdings wurden damals viele so genannt, manche, die man beschwichtigen oder von denen man hoffte, sie könnten Befreier des Volkes sein.
Die Blinden schreien Jesus nach, sie wollen, dass er nicht weggeht. Sie sehen, dass er gerade Menschen gesund gemacht hat, und hoffen, auch für sich selbst Hilfe zu bekommen. Blindsein war damals gleichzusetzen mit Betteln, denn ein Blinder konnte nichts anderes tun. Es gab keine blinden Schulen, keine Werkstätten und keine anderen Möglichkeiten. Blindsein bedeutete normalerweise, betteln zu müssen.
Wir müssen uns vorstellen, dass sie am Rande der Straße saßen und dort ihren Blechnapf oder eher einen Holznapf hatten, um Geld zu sammeln. Dasselbe sehen wir auch in Kapitel 15, Vers 14 und folgende: „Denn sie sind die Blinden, die Blindenführer.“ Dort ist von den Pharisäern die Rede. In Kapitel 23, Vers 17 lesen wir noch einmal, dass Blinde, mit denen Jesus zu tun hat, im Normalfall Bettler sind.
Dass Blinde geheilt werden, ist eine Erfüllung des Alten Testaments. So lesen wir in Jesaja 29, Vers 18, und Jesaja 35, Vers 5, dass der Messias, den Gott senden wird, auch den Blinden das Augenlicht geben wird. Möglicherweise denken die Pharisäer bei dem Ruf „Sohn Davids“ an diese Verheißung des Alten Testaments. Sie wollen Jesus damit auffordern: Du bist der Einzige, der das tun kann, denn das ist im Alten Testament vorhergesagt worden.
Als Jesus heimkam, traten die Blinden zu ihm. Sie liefen ihm scheinbar nach und schrien ihm nach. Jesus geht nach Hause und unterhält sich dort mit ihnen. Er sprach zu ihnen: „Glaubt ihr, dass ich das tun kann?“ Sie antworteten: „Ja, Herr!“
Ich denke, Jesus will hier noch einmal ganz genau sichergehen: Wollt ihr überhaupt gesund werden? Sprecht das jetzt regelrecht auch einmal aus! Wir merken, dass Jesus das bei allen Heilungswundern so tut. Er heilt nicht einfach so. Wir würden natürlich sagen, es ist selbstverständlich, dass wir gesund werden wollen. Aber wie finden wir beispielsweise in der Bergpredigt, dass Gott schon weiß, was wir brauchen und es uns geben will, trotzdem will er, dass wir ihn darum bitten und es aussprechen.
Genauso ist es auch hier. Jesus will, dass wir vor ihm unseren Bankrott erklären und ihm sagen, dass wir ihn brauchen. Dann will er darauf hören. Bei den Blinden kommt möglicherweise noch der Aspekt dazu, dass viele in der damaligen Zeit gar nicht so versessen darauf waren, ihre Blindheit loszuwerden.
Punkt eins: Viele dieser Blinden waren seit langer Zeit blind und wussten gar nicht mehr, wie es ist, zu sehen. Darüber hinaus hatten sie einen gewissen Sonderstatus genossen. Manche verführt das vielleicht dazu zu sagen: Warum soll ich arbeiten? Jeden Tag ist es doch viel bequemer, ich setze mich in die Sonne, habe genügend zu essen und zu trinken und genieße das Leben einfach als eine Art Aussteiger. Das genossen manche damals.
Darüber hinaus ist in den Quellen des Judentums überliefert, dass es sogar einige blinde Bettler gab, die relativ wohlhabend wurden. Einige hatten sogar Diener, die sie fuhren und zurückbrachten. Wie kam das zustande? Wenn man einen besonders geeigneten Platz gefunden hatte, waren die Leute gerne bereit zu spenden. Im Alten Testament war ihnen ja aufgetragen, Almosen zu geben.
So gab es beispielsweise feste Plätze vor dem Tempel in Jerusalem, an denen die Bettler saßen. Um diese Plätze wurde sogar gekämpft. Je mehr Leute dort vorbeikamen – wir können uns vorstellen, täglich Tausende – desto mehr Almosen fielen ab. Davon konnte man durchaus gut leben.
Stell dir vor: Zack, dein Augenlicht ist wieder da, kein Mitleid mehr von den Leuten, du bekommst kein Geld mehr, und jetzt musst du arbeiten. Deshalb gab es durchaus einige, die sich mit dem Blindsein angefreundet hatten.
So ist die Frage Jesu nicht nur: Vertraust du mir vollkommen? Sondern auch: Willst du jetzt wirklich gesund werden, oder ist das nur ein Mitschreien mit dem Volk? Jesus berührte ihre Augen und sprach: „Euch geschehe nach eurem Glauben!“ Ihre Augen wurden geöffnet. Jesus drohte ihnen und sprach: „Seht zu, dass es niemand erfahre!“
Hier merken wir dasselbe, was wir auch schon bei anderen Heilungen gesehen haben: Jesus will nicht als Wunderheiler verehrt werden, sondern als derjenige, der den Menschen das ewige Leben bringt. Das sehen wir auch hier.
Weiter lesen wir: „Als diese hinausgingen, brachten sie zu ihm einen Menschen, der stumm und besessen war.“ Wir haben uns ja gestern mit Besessenheit auseinandergesetzt. Hier sehen wir, dass Besessenheit auch körperliche Auswirkungen haben kann, beispielsweise Stummheit. Denn wir merken danach, dass der Geist ausgetrieben wird und der Stumme plötzlich wieder reden kann. So führt Besessenheit offenbar auch zu Stummheit.
Als der böse Geist ausgetrieben war, redete der Stumme. Das Volk verwunderte sich und sprach: „So etwas ist noch nie in Israel gesehen worden!“
Hier merken wir zweierlei: Einerseits sehen wir, dass moderne Versuche, Wunder in Gemeinden zu erzwingen, nicht mit der Realität zu tun haben. Die Leute sagen ganz deutlich, so etwas hat es früher noch nie in Israel gegeben. Auch wenn die Juden wussten, dass Gott ab und zu Wunder getan hatte, gab es diese massive Häufung von Wundern in dieser Art nicht.
Das heben sie hier hervor. Und das war nicht nur in Israel so, sondern auch darüber hinaus gab es solche Wunder nicht, jedenfalls nicht in der Häufung, wie sie bei Jesus fast täglich vorkamen. Später in der Apostelgeschichte und in den folgenden Büchern des Neuen Testaments tauchen wieder vereinzelte Wunder auf, aber nicht mehr in dieser Häufung.
Die Pharisäer sprachen, er treibe die bösen Geister aus durch ihren Obersten, oder an anderen Stellen durch Beelzebub. Das heißt, sie neiden Jesus sein Ansehen. Sie sind so misstrauisch, sozusagen die Skeptiker der damaligen Zeit. „Das darf nicht stimmen!“ Sie mussten eine Alternative finden. Sie konnten ihm nichts nachweisen, weder Tricks noch dass die Leute nicht wirklich gesund geworden seien.
Wir merken, einige überlegen später bei der Wiederauferweckung des Lazarus, ihn umzubringen. Ich weiß nicht, ob ihr das mal gelesen habt: Dort steht, sie planten, Lazarus umzubringen, damit nicht bekannt wird, dass er sogar Tote auferweckt. Die Pharisäer sind bereit, zu harten Bandagen zu greifen, und das hier sind auch harte Bandagen.
In der Parallelstelle lesen wir, dass Jesus direkt danach von der Sünde gegen den Heiligen Geist spricht. Warum? Weil die Pharisäer hier die Sünde gegen den Heiligen Geist begehen, indem sie den Heiligen Geist lästern und die Tat Gottes als die Tat des Teufels ausgeben.
Das ist ein bewusstes Wenden gegen eine Offenbarung, die Gott dem Menschen gibt. Das ist die Sünde gegen den Heiligen Geist. Diese wird hier von den Pharisäern begangen. Wir merken, sie wollen es einfach nicht glauben.
Diese Menschen werden aber nicht gesund durch Einbildung. Glauben heißt an dieser Stelle nicht Einbildung. Wir wollen zur Frage des Glaubens noch einmal zurückkommen. Glauben heißt im Griechischen „pisteuo“, was auch so viel wie Vertrauen bedeutet.
Glauben hat nichts mit Einbildung zu tun, sondern mit Vertrauen. Nicht derjenige wird von Jesus geheilt, der sich das am stärksten einbilden kann. Wir denken an die Heilung, wo Jesus nach dem Glauben fragt und der Hauptmann von Kapernaum sagt: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“
Was ist mit ihm? Oder wenn wir hier mehrere Leute sehen, die geheilt werden – haben die alle gleich geglaubt? Hat der eine vielleicht stärker geglaubt, sich stärker eingebildet oder weniger eingebildet? Wenn sie nach ihrem Glauben geheilt worden wären, müsste doch der eine vielleicht halb gesund geworden sein, weil er weniger Glauben hatte, der andere dreiviertel gesund und der andere ganz. Oder vielleicht der eine sofort, weil er stark glaubte, und der andere erst in zwei Wochen.
Stellen wir uns das nicht manchmal so vor? Es ist auch die Menge, wie ein Liter Glauben, zwei Liter Glauben. Wenn wir besonders stark glauben, zweifeln wir nie. Doch das hat damit eigentlich wenig zu tun.
Hier steht nirgends, dass einer sich mehr eingebildet hat oder weniger, oder dass es unterschiedliche Formen des Glaubens gab. Das Wesentliche ist, was alle diese Leute getan haben. Deshalb spricht Jesus sie auch an: Sie haben Jesus ihr Vertrauen erklärt, egal wie stark ihr Glaube war.
Sie haben gesagt: Jesus, von dir erwarten wir, dass du uns heilst. Wie sicher sie sich waren, ob der eine noch sicherer war oder der andere vielleicht ein stilles Zweifeln hatte, das finden wir nicht. Das ist auch nicht entscheidend.
Wir brauchen nicht versuchen, Gott zu zwingen, indem wir uns möglichst stark einbilden, dass etwas passiert. Zum Beispiel: Ich bete, Jesus, ich will im nächsten Monat den doppelten Lohn bekommen. Jetzt sage ich das doppelte Wort, jetzt ist meine Lohnrechnung offen, und jetzt steht da so und so viel Tausend Mark drauf. Dann mache ich noch ein paar Suggestionen, Selbstsuggestionen.
Das gibt es heute, psychologische Suggestionen, sogenannte NLP (Neurolinguistisches Programmieren), besonders für Manager, die erfolgreich sein wollen. Die hören sich Kassetten an, auf denen sie sich jeden Morgen zehnmal vor dem Spiegel sagen: „Du bist erfolgreich, du bist erfolgreich.“ Irgendwann glauben sie das wirklich.
Was passiert, wenn sie einen Fehler machen? Wenn sie plötzlich sagen: „Du bist ein Versager!“ Das ist schlimm. Oder wenn sie sagen: „Du bist ein Esel!“ und plötzlich wachsen ihnen die Ohren. Da merken wir: Realität kann man so nicht verändern. Esel sind sie dann vielleicht tatsächlich.
Hier verlassen sich die Leute auf die Realität. Das hat nichts mit Einbildung zu tun, sondern damit, dass wir Jesus unser Vertrauen ausdrücken. Und das ist es, was er will – auch wenn wir ihn darum bitten.
Wenn ihr krank seid – hier geht es um Krankheit – dann geht es nicht darum, sich so fest wie möglich einzubilden: Ich will gesund werden, ich will, ich will, und Jesus muss das tun, und jetzt bin ich schon gesund. Das hat nichts mit biblischen Aussagen zu tun.
Diese Leute – was haben die gemacht? Haben sie so etwas gemacht? Nein, sie kamen zu Jesus und sagten: „Bitte, mach du mich gesund!“ Das ist alles, und Jesus tut es.
Oder lesen wir im Jakobusbrief etwas darüber, wo wir die neutestamentliche Anweisung für die Gemeinde finden, wie man mit Krankheit umgehen soll. Dort steht nicht, dass ein Wundertäter sofort kommt und heilt, sondern dass, wenn jemand krank ist, er die Ältesten rufen soll.
Wir merken dasselbe Muster wie hier: Die Leute kommen zu Jesus, Jesus ruft sie nicht auf. Er hat den Blinden am Straßenrand gesehen, aber er geht nicht auf ihn zu und sagt: „Willst du nicht vielleicht doch noch mal gesund werden? Überleg doch mal, es ist doch gut, gesund zu werden!“
Das tut er nicht. Er wartet, bis die Leute ihm ihr Vertrauen aussprechen, bis sie ihre Bankrotterklärung ihres Lebens ausdrücken und sich ihm anvertrauen und von ihm Heilung erwarten.
Das ist genau dasselbe auch im Jakobus 5. Dort steht, es soll die Initiative vom Kranken ausgehen, der Kranke soll sich an die Ältesten wenden. Zuvor steht noch, einer soll dem anderen seine Schuld bekennen, wenn Krankheit durch Sünde verursacht ist. Dann sollen sie für ihn beten und ihn salben, und dann soll es ihm besser gehen.
Ihr kennt die Stelle wahrscheinlich alle, oder? Sonst könnt ihr sie nachlesen, Jakobus 5, wo es in mehreren Versen um die Heilung von Kranken geht.
Das ist eine Realität, mit der wir heute rechnen sollen. Wie sieht es aus bei Menschen um euch herum, die krank sind? Es ist nicht so, dass man nur sagt: „Naja, man muss ja auch beten, und nachdem wir alles getan haben, hilft nur noch beten.“ Gibt es den Ausdruck nicht? Ist das für uns als Christen richtig, nur noch beten hilft? Heißt das, Beten ist nur der Notnagel, den wir benutzen, wenn nichts mehr geht?
Nein, es sollte umgekehrt sein. Wenn wir wirklich daran glauben, dass Jesus Herr über Leben und Tod ist, dass unser Leben in seiner Hand liegt und wir keinen Einfluss darauf haben außer dem Willen Gottes, dann sollten wir zuerst zu Gott gehen und ihn um Heilung bitten. Wir sollten nicht in erster Linie nach anderen Sicherheiten suchen.
Heute gibt es ja alles, was man versichern kann. Besonders in Deutschland, in der Schweiz habe ich gemerkt, sind die Menschen noch mehr darauf versessen, sich abzusichern. Viele versichern sich für irgendwelchen Unsinn.
Manche Versicherungen finde ich vom Namen her schon eigenartig, zum Beispiel die Lebensversicherung. Das ist eigentlich Quatsch, oder? Normalerweise sagt man, man versichert sich, damit das Unheil nicht eintritt. Bei der Lebensversicherung bekommt man aber das Geld erst, wenn man tot ist. Kann man sein Leben zurückversichern? Nein, kann man nicht.
Natürlich ist es manchmal gut für die Angehörigen, aber es gibt heutzutage alles, was man versichern kann. Letztes Jahr habe ich in der Freizeit einen Versicherungsmakler getroffen, mit dem ich ein interessantes Gespräch hatte.
Wir waren am See spazieren, und er sagte: „Ich empfehle den Leuten immer, keine Versicherung abzuschließen.“ Er war überzeugt, dass Versicherung eigentlich unbiblisch sei, weil wir auf Gott vertrauen müssen. Wenn Gott will, dass uns etwas passiert, passiert es, egal ob Versicherung oder nicht.
Ich fragte ihn, wie er das macht, ob er nicht pleitegeht als Versicherungsvertreter, was er den Leuten noch empfehlen will. Er sagte, seitdem er so handelt, läuft sein Geschäft genauso gut, aber er kann den Leuten ehrlich abraten von überflüssigen Versicherungen.
Manche Versicherungen fand ich zwar nicht überflüssig, aber es war eine Herausforderung, neu darüber nachzudenken, inwiefern wir uns wirklich auf Jesus verlassen oder meinen, alles irdisch absichern zu müssen.
Viele meinen, Jesus gar nicht mehr zu brauchen, weil sie Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung, Lebensversicherung, Invalidenversicherung, Vollkaskoversicherung, Haftpflichtversicherung und vieles mehr haben. Wofür brauchen wir Gott eigentlich noch?
Wir können uns fragen: Sollen wir nicht zu leichtfertig sein? Auf der anderen Seite entschuldigen wir uns manchmal zu schnell mit dem Argument, dass wir ja Versicherungen haben und deshalb Gott nicht brauchen. Wo ist unser Vertrauen tatsächlich in der Praxis? Wenn wir bekennen, Jesus ist über Leben und Tod, glauben wir das auch und praktizieren es?
Deshalb möchte ich vorschlagen, dass wir am Schluss in unseren kleinen Gruppen zusammenkommen und bewusst für Menschen beten, von denen wir wissen, dass sie krank sind, gerade weil wir hier über Krankenheilung gesprochen haben.
Wir werden jetzt nicht hingehen und sie salben, das müssen sie ohnehin bei den Ältesten tun. Aber wir können für sie beten, und das wollen wir gleich tun.
Gedanken zur Frage der Wunder und deren Wahrnehmung
Bevor wir damit beginnen, möchte ich noch einen kleinen Einschub machen, der uns einige Denkanstöße zur Frage der Wunder geben soll. Oft haben Menschen um uns herum den Eindruck, dass es eigentlich gar keine Wunder gibt. Oder wir selbst haben diesen Eindruck. Manchmal fragen wir uns: Was ist eigentlich ein Wunder? Oder Menschen in unserem Umfeld sagen, sie hätten noch nie ein Wunder erlebt. Dann überlegen wir angestrengt: Wo haben wir eigentlich unsere Wunder erlebt? Wo war da etwas von uns?
Ich glaube jedoch, dass wir, wenn wir uns in unserer Umgebung und auch in unserem Leben umschauen, alle schon Wunder erlebt haben. Manche meinen, ein Wunder beginne erst dann, wenn etwas völlig Außergewöhnliches passiert, das vollkommen gegen jeglichen Sinn, Verstand und die Naturordnung verstößt. Aber muss das wirklich so sein?
Viele der Dinge, die wir in der Bibel lesen, auch die Wunder, die Gott tut, hängen nicht unbedingt damit zusammen, dass alle Naturgesetze außer Kraft gesetzt werden. Nehmen wir zum Beispiel ein Beispiel aus unserer Bibelschule: Anfang des Jahres, so im Februar oder März, hatten wir etwa hunderttausend Mark Schulden. Wir fragten uns: Was machen wir jetzt? Wir hatten keine Rücklagen und mussten trotzdem weiterleben. Die Bank gewährte uns einen kleinen Überziehungskredit.
Wir fragten uns, was wir tun sollten. Natürlich haben wir gebetet. Ich habe bereits erwähnt, dass wir uns jeden Tag mit Schülern, Lehrern und Mitarbeitern zum Beten getroffen haben. Und tatsächlich kamen vermehrt Spenden herein. Wir haben niemandem etwas davon gesagt. Wenn ich Ihren Rundbrief gelesen habe, stand da auch nichts darüber, oder? Ich weiß es nicht genau. Meistens machen wir das nämlich nicht, weil wir zuerst auf Gott vertrauen wollen und nicht Menschen irgendwie unter Druck setzen möchten.
Plötzlich kamen diese Spenden. Jetzt stellt sich die Frage: Ist das ein Wunder? Manche Skeptiker könnten sagen: Ach nein, das haben doch Menschen gegeben, das Geld ist doch nicht vom Himmel gefallen. Aber warum sollte Gott sich nicht Menschen bedienen? Warum sollte er nicht irdische Mittel nutzen und damit Wunder bewirken? Ist es nicht ein kurzsichtiger Materialismus, wenn wir das dahinter vermuten?
Nehmen wir mal ein theoretisches Beispiel: Wenn jemand jemandem eine Pistole aus der Hand nimmt, um zu verhindern, dass auf Menschen geschossen wird – ich tue das natürlich nicht, weil ich Christ bin und so etwas ablehne, aber nehmen wir es hypothetisch an – dann würde jemand sagen: Da ist ein Stück Blei ins Gehirn gedrungen, hat eine Gehirnzone zerstört und deshalb ist die Person gestorben. Ist das die vollständige Erklärung?
Man könnte noch weiter fragen: Woher kam das Bleistück überhaupt? Gab es eine Explosion? Eine Ausdehnung von Gasen, Schwarzpulver oder Ähnlichem? Das hat dann die Metallkugel angetrieben, die das Opfer getroffen hat. Und dann sagt man: Das ist die vollständige Erklärung, das ist die Wirklichkeit. Ist das wirklich so?
Wir merken, das ist eine vordergründige Erklärung, wenn wir sagen, da hat jemand das Geld gegeben. Das sind materielle Dinge. Nein, das Wichtigste ist das, was vorher in meinem Kopf passiert ist. Warum habe ich das getan? Was hat mich dazu bewegt? Das ist das Wesentliche, die treibende Kraft dahinter. Und so ist es auch bei Gott.
Wenn Gott einen Menschen benutzt, sehen wir zum Beispiel, wie Jesus nach Jerusalem einzieht und die Menschen jubeln. Er sagt: Wenn sie nicht jubeln würden, würden die Steine anfangen zu schreien. Das ist ein Wunder – dass die Menschen es erkennen, dass Gott ihnen das gezeigt hat. Aber er sagt auch: Wenn sie nicht jubeln, hat Gott andere Möglichkeiten.
Das Wesentliche ist die treibende Kraft Gottes, die dahintersteht. Das macht das Wunder aus. Gott kann sich natürlich aller Naturgesetze bedienen. Wir können vielleicht die Naturgesetze erklären, aber das erklärt nicht, was eigentlich passiert ist.
Stellt euch vor, ihr nehmt die Mona Lisa im Louvre. Ihr seid Chemiker oder Physiker und analysiert ganz genau: So viel Gramm rote Farbe, so viel Gramm grüne Farbe, verteilt in etwa so und so. Haben wir damit das Gemälde erklärt? Natürlich nicht. Wir können zwar hundertprozentig alles naturwissenschaftlich erklären: die Materie, die Zusammensetzung der Chemikalien, das Alter und so weiter. Aber haben wir damit die Faszination erklärt, die dieses Kunstwerk auslöst? Nein.
Das ist das Mehr, das Plus, das Besondere. Genauso ist es bei den Wundern Jesu. Das gilt auch für die Heilung. Wenn wir Gott um Heilung bitten, muss das nicht immer sofort und spektakulär geschehen. Es kann sein, dass Gott auch irdische Mittel benutzt. Das mindert das Wunder Gottes nicht.
Wenn wir auf das Eingreifen Gottes schauen, dürfen wir nicht erwarten, dass es immer spektakulär und unerklärlich sein muss. Wenn ich Bauchschmerzen habe, muss nicht plötzlich ein Feuerstrahl auf mich zukommen, der meinen Magen trifft und mir Wärme schenkt. So muss es nicht sein.
Gott kann sich der Naturgesetze bedienen, die er selbst geschaffen hat und die wir kennen. Das ist die Frage der Heilung. Wir haben heute gesehen: Jesus kann heilen, er hat die Macht darüber. Es geht nicht um die Kraft der Einbildung, durch die wir gesund werden. Es geht darum, dass wir Jesus unsere Bankrotterklärung geben. Dass wir sagen: Ich vertraue dir alles an, weil ich selbst nicht weiterweiß und nicht kann.
Das sollten wir nicht erst tun, wenn wir alles andere ausprobiert haben, wie Jairus im Evangelium. Wir sollten es früh und bald tun. Wir sollten unser Vertrauen nicht zuerst auf weltliche Absicherungen setzen, sondern zuerst auf Gott.
Wenn wir dann noch äußere Mittel in Anspruch nehmen, ist das in Ordnung. Gott kann dadurch wirken. Aber unser Vertrauen sollten wir zuerst auf Gott setzen.
Ich garantiere euch: Ihr werdet viel mehr mit Gott erleben. Die Blinden hätten nichts mit Jesus erlebt, wenn sie ihn nicht darum gebeten hätten. Hätten sie gesagt: Wir gehen erst mal zum Quacksalber, machen eine Kur, bekommen vielleicht eine Prothese oder einen Blindenstock, dann hätten sie nie erlebt, was Jesus bewirken kann.
Das wollen wir heute Abend auch sagen. Lasst uns ein paar Minuten Zeit nehmen. Das Einfachste ist, dass wir uns in Gruppen von vier oder fünf Personen zusammenstellen und austauschen, wo wir selbst leiden oder Menschen in unserem Umfeld, in der Nachbarschaft, Bekanntschaft oder Verwandtschaft leiden.
Lasst uns diese Anliegen direkt Gott gegenüber bekennen und ihm unser Vertrauen aussprechen: Du kannst dort etwas tun.
