Gemeindliche Zukunftsperspektiven und das Thema Verfolgung
Ich saß Anfang des Jahres mit einem Freund in so einem Kaffeeladen, also einem Kaffeetrinkladen, wo man richtig guten Kaffee bekommt. Wir haben uns dort vor der Arbeit getroffen, weil wir über Gemeinde sprechen wollten.
Wir stellten uns die Frage: Gemeinde für die kommenden Jahre – also eine ganz grundlegende Perspektive – wo muss der Schwerpunkt liegen? Manchmal treffen wir uns einfach und reden über solche Themen, losgelöst von dem, was gerade aktuell in der Gemeinde passiert. Wo muss es hingehen?
Wir hatten ein Thema vor Augen und waren ein bisschen erschrocken. Das Thema heißt Verfolgung. Uns war irgendwie klar, wenn wir als Gemeinden weitergehen wollen, dann müssen wir uns darauf vorbereiten, dass es schwieriger wird. Dass man in Deutschland, wenn man als evangelikaler Christ einfach nur mit Jesus leben will, nicht mehr so ernst genommen wird. Vielleicht erfährt man auch Ausgrenzung, wird in eine Ecke gestellt und es wird erst einmal keine Rolle spielen, ob man da hingehört oder nicht.
Als uns das klar wurde, dachten wir: Was könnte eine Gemeinde tun, um sich auf so ein Thema vorzubereiten? Das, was eine Gemeinde vorbereitet, ist im Neuen Testament am meisten im ersten Petrusbrief behandelt. Dieser Brief setzt sich intensiv mit diesem Thema auseinander.
Diesen Brief wollen wir gemeinsam betrachten in dieser Bibelwoche, die heute beginnt. Ich möchte mit euch lesen: 1. Petrus 1,1. Heute werden wir so einen Einstieg in diesen Brief wagen, damit ihr ein kleines bisschen versteht, worum es dabei geht.
Die Adressaten des ersten Petrusbriefs als Fremdlinge
Da heißt es: Petrus, Apostel Jesu Christi, an die Fremdlinge der Zerstreuung in Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien, die auserwählt sind.
Petrus schreibt an Christen und nennt sie „Fremdlinge“ – Fremdlinge aus Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien. Wenn ihr nicht genau wisst, wo das liegt: Man kann dort auch heute noch Urlaub machen, nur nicht unter diesem Namen. Es liegt in etwa in der Gegend der heutigen Türkei, am Schwarzen Meer. Wenn ihr dorthin reist, seid ihr genau dort, wo diese Menschen damals lebten.
Wenn Petrus von Fremdlingen spricht, meint er das in einem doppelten Sinn. Er sagt: Ihr seid Fremdlinge. Im bildlichen Sinn bedeutet das, ihr gehört als Christen nicht wirklich zu dieser Welt. Ihr habt, wie jemand es einmal ausdrückte, eine doppelte Staatsbürgerschaft.
Doch besonders interessant ist, dass diese Leute, die den Brief erhalten, im wörtlichen Sinn Fremdlinge sind. Dazu muss man Folgendes wissen: Die Römer haben im ersten Jahrhundert alle Gebiete kolonisiert, die sie erobern konnten. Wenn sie eine neue Kolonie hatten, musste diese auch besiedelt werden.
Wie besiedelt man eine römische Kolonie? Die römischen Kaiser waren, wie ich fand, wenig einfallsreich, aber sehr effektiv. Man siedelte einfach in den neuen Kolonien an. Dort gab es bereits Städte, und es lebte schon jemand. Man siedelte also Menschen an, die man hatte: freigelassene Sklaven zum Beispiel, freiwillige Veteranen, die im Krieg gekämpft hatten.
Wenn man merkte, dass eine Provinz noch nicht voll genug war, dann wies man einfach eine unliebsame Gruppe aus Rom aus. Man überlegte sich, wen man in der Stadt schon lange loswerden wollte. Das waren im Jahr 49 nach Christus die Juden unter Kaiser Claudius. Claudius sagte: „Ihr lieben Juden, tschüss, raus!“
Weil man damals noch nicht sauber zwischen Judenchristen und Heidenchristen unterschied – das Christentum wurde von außen betrachtet als eine jüdische Splittergruppe angesehen – mussten alle Judenchristen im Jahr 49 nach Christus Rom verlassen. Sie mussten dorthin ziehen, wo man sie angesiedelt hatte, ob sie wollten oder nicht.
An die zwangsumgesiedelten Fremdlinge in Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien, also an Christen, die sich plötzlich in einer ganz neuen Umgebung wiederfanden, in der sie nicht willkommen waren, schreibt Petrus.
Er schreibt ihnen, weil er genau weiß, dass sie es an dem Ort, an dem sie leben, nicht leicht haben. So geht es Fremden nun einmal. Man wollte sie einerseits in Rom nicht haben, aber auch dort, wo sie der Kaiser hinschickt, werden sie nicht mit offenen Armen empfangen. Niemand sagt dort: „Schön, dass ihr endlich da seid, wir haben immer auf euch gewartet.“ Das ist nicht so.
Die Schreibabsicht des ersten Petrusbriefs und die Ermutigung in Verfolgung
Frage: Was ist die Schreibabsicht des ersten Petrusbriefs?
Dazu möchte ich mit euch ganz ans Ende des Buchs gehen. Die Schreibabsicht in biblischen Büchern findet man oft ganz am Anfang oder am Ende, selten mittendrin. Beim ersten Petrusbrief finden wir die Schreibabsicht ganz am Schluss. Wir müssen dazu einfach im fünften Kapitel die letzten drei Verse lesen, um zu verstehen, warum Petrus diesen ganzen Brief schreibt.
Dort sagt er: „Durch Silvanus, den treuen Bruder, wie ich denke, habe ich euch mit wenigen Zeilen geschrieben.“ Das ist lustig, denn der Brief umfasst fünf Kapitel und mehrere Seiten, aber Petrus spricht von wenigen Zeilen. Er fährt fort: „Ich habe euch ermahnt und bezeugt, dass dies die wahre Gnade Gottes ist, in der ihr steht.“
Dann grüßt er: „Es grüßt euch die Miterwählte in Babylon, und Markus, mein Sohn, grüßt euch. Grüße einander mit dem Kuss der Liebe. Friede sei mit euch allen, die in Christus sind.“
Worum geht es in dem ganzen Brief? Petrus sagt: „Ich schreibe euch, damit ihr eine Sache versteht.“ Wenn ihr in eine Lebenssituation kommt, die geprägt ist von Ärger, Misstrauen oder vielleicht noch Schlimmerem, wenn ihr ungerecht behandelt werdet und leidet, obwohl ihr doch eigentlich nur das tut, was Jesus sagt, dann stellt sich die Frage: Ist das wirklich Gnade? Ist das der Wille Gottes, was ich hier gerade durchmache? Bin ich noch richtig, wenn mir das alles passiert?
Die Antwort von Petrus lautet: Ja. Er möchte seine Leute ermutigen und ihnen sagen: Bleibt standhaft. Das, was euch passiert, auch wenn es sich vielleicht erst einmal nicht so anfühlt, ist die wahre Gnade Gottes. Ihr habt nichts falsch gemacht, ihr habt nichts falsch verstanden. Macht weiter so.
Deshalb schickt er durch Silvanus diesen Brief. Silvanus kennt ihr aus der Apostelgeschichte unter seinem griechischen Namen Silas. Am Ende hängen Grüße an, die für uns heute ganz kryptisch klingen: „Es grüßt euch die Miterwählte in Babylon.“
Dann wird auch Markus erwähnt, wahrscheinlich der Johannes Markus aus der Apostelgeschichte. Wenn Petrus sagt, dass er sein Sohn ist, meint er eher seinen geistlichen Sohn als seinen leiblichen Sohn.
Babylon als Symbol für Exil und Fremdsein
Miterwählte in Babylon – das muss ich euch erklären. Was ist damit gemeint? Es geht hier um eine Gemeinde, und zwar die Gemeinde, in der sich Petrus aufhält. Er selbst hält sich nicht wirklich in Babylon auf; Babylon ist vielmehr ein Bild für das Exil, für den Zustand, nicht zuhause zu sein.
Vielleicht wissen die Empfänger, wo Petrus sich befindet, vielleicht auch nicht. Er deutet es jedenfalls nur an, denn er ist selbst ein Fremdling. Er schreibt als ein Fremdling an Fremdlinge.
Wenn ihr die Apostelgeschichte gelesen habt, wisst ihr, dass Petrus im Gefängnis war. Er ist aus dem Gefängnis geflohen und muss selbst aufpassen, wie er mit seinem Leben klarkommt. Er ist ein Fremdling, die Empfänger sind Fremdlinge, wir sind Fremdlinge. Wir haben ein Bürgerrecht im Himmel und gehören eigentlich dorthin. Für eine Weile sind wir jedoch hier auf der Erde.
Der erste Petrusbrief dreht sich um die Frage, wie wir Christen uns verhalten sollen, wenn wir abgelehnt werden. Wenn man uns als Fundamentalisten oder vielleicht als Ewiggestrige beschimpft, wenn man unser Denken und unseren Glauben verspottet, wenn man uns ausgrenzt oder uns medial durch den Kakao zieht. Wenn eine Gesellschaft immer unverhohlener zum Ausdruck bringt, dass wir eigentlich nicht gewollt sind.
Was sollen wir dann tun? Wie geht man damit um? Das müssen wir begreifen: Der erste Petrusbrief will uns mitgeben, dass wir sicher sein können, wenn solche Dinge passieren. Wir sind nicht aus der Gnade gefallen. Wir können sicher sein, dass nichts geschieht, wo Gott plötzlich etwas durch die Finger gleitet und seine Gemeinde nicht mehr festhalten kann.
Das, was wir da erleben, ist – noch einmal zitiert – die wahre Gnade Gottes, in der wir stehen. Es ist keine leichte Botschaft, der erste Petrusbrief, aber eine sehr ehrliche Botschaft.
Deshalb beginnt Petrus am Anfang mit dieser Spannung, die er in 1. Petrus 1,1-2 beschreibt – eine Spannung, die fast größer nicht sein könnte. Ich lese noch einmal 1. Petrus 1, Verse 1 und 2:
Die Spannung zwischen Fremdsein und Auserwähltheit
Petrus, Apostel Jesu Christi, richtet sich an die Fremdlinge der Zerstreuung aus Pontus, Galatien, Kabadozien, Asien und Bithynien, die auserwählt sind. Nach der Vorkenntnis Gottes, des Vaters, in der Heiligung des Geistes, sind sie zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi berufen. Gnade und Friede werde euch immer reichlicher zuteil.
Muss man viel über Petrus sagen? Ich glaube nicht. Petrus gehört zu den Charakteren in der Bibel, die einfach besonders sind. Er war ein Jünger der allerersten Stunde, Teil des engsten Kreises der Jesusnachfolger. Kaum ein Ereignis in den Evangelien, bei dem Petrus nicht dabei ist.
Petrus, der Fels, auf dem Jesus seine Gemeinde bauen will, zeigt diese herausragende Stellung deutlich. Wir haben das vor ein paar Wochen erst in der Predigt besprochen. Er beweist es an Pfingsten, wenn er die Pfingstpredigt hält – die erste und die zweite. Wenn gleich nach der ersten Predigt 3000 Menschen zum Glauben kommen, merkt man: Boah, was für ein Mann!
Auf der anderen Seite bringt er zwar das Evangelium in die Welt, sogar über die Schwelle des Heidentums, als er Cornelius, den römischen Hauptmann, besucht. Gleichzeitig ist er aber auch ein sehr sympathischer Typ, weil er nicht immer alles sofort versteht.
Er sagt schon mal Dinge, die ihm zu schnell herausrutschen, und bekommt dann eine verbale Ohrfeige, wenn Jesus zu ihm sagt: „Tritt hinter mich, Satan!“ Er ist jemand, der sagt: „Wenn alle dich verleugnen, ich verleugne dich nicht. Ja, ich kriege das schon auf die Reihe, mach dir keinen Kopf. Ja, ich bin der Gute hier.“ Und dann muss er merken, dass das doch nicht so ist.
Ich finde ihn unglaublich sympathisch. Ich mag ihn, weil ich an ihm sehen kann, wie Gott mit Menschen umgeht, die sich manchmal ganz falsch einschätzen und nicht immer alles durchblicken, so wie man es sich wünschen würde. Gott baut mit solchen ganz normalen Menschen Gemeinde.
Die Realität von Verfolgung und das Herz von Petrus
Wir hatten als Gemeinde letztes Wochenende eine Gemeindefreizeit. Dabei haben wir einen Missionar von New Tribes Mission eingeladen. Er war so ein ganz einfacher Typ und hat uns als Gemeinde einfach begeistert.
Er erzählte: "Wisst ihr, ich bin nichts Besonderes. Es fällt mir gar nicht so leicht, zu euch zu reden. Ich bin hier so, bin Handwerker, ein Typ, der Maschinen repariert. Und ich habe mir auch nicht leicht getan mit dem Sprachenlernen. Aber wir haben es gemacht und sind dann in den Busch gegangen. Irgendwie waren nach ein paar Jahren alle gläubig."
Man denkt ja: Hallo, es ist doch schön, wenn man solche Normalos erlebt, die Gott benutzt. Menschen, die sich erlauben dürfen, an einer bestimmten Stelle zu versagen und Fehler zu machen. Denn Gott sagt: Darauf kommt es mir gar nicht an. Ich sehe dein Herz, und das ist viel interessanter.
Das Herz von Petrus stimmt. Er hat ein Herz, das für Menschen schlägt. Für Menschen, die in Verfolgung stecken und unter Druck geraten sind. Er merkt: Hoffentlich halten die das aus, die haben alles zurücklassen müssen.
Ihr dürft euch das nicht so modern vorstellen, dass man einfach seinen Umzugswagen packt oder, wenn man weiter reist, eine große Metallkiste mit Hausrat mitnimmt, die dann per Lkw transportiert wird. Sondern es ist das, was auf einen Esel passt. Der Rest bleibt irgendwie zurück.
Man kommt nicht irgendwo an, um sich ein schönes Häuschen zu kaufen oder einen Makler zu suchen, der einem ein Haus besorgt. Stattdessen kommt man auf einem Marktplatz an und denkt sich: Hm, super.
Man kommt nicht alleine an, sondern mit all den anderen, die dort auch ankommen. Man muss sich alle irgendwie zurechtfinden, und alle machen einem klar: Wir brauchen euch nicht, wir haben auch vorher ohne euch ganz gut gelebt. Super!
An solche Leute, bei denen Petrus merkt: Ich bin auch so ein einfacher Mensch, der weiß, wie es sich anfühlt, wenn man Fehler macht. Ich weiß, wie sich ein normales Leben anfühlt. Ich bin nicht in einem Elfenbeinturm, wo ich theologisch theoretisieren kann.
Ich bin da draußen, einer von euch, auch irgendwie auf der Flucht. Ich weiß, wie es ist, von Gemeinde zu Gemeinde zu gehen und nicht zu wissen, ob es klappt oder nicht. Ich weiß, was es heißt zu hungern. Ich weiß, was es heißt zu beten und nicht zu wissen, ob die Rechnung mit Gott aufgeht.
Ich schreibe euch als ein solcher, um euch zu ermutigen, in einer schwierigen Situation durchzuhalten.
Dabei schreibt er natürlich mit der Gewissheit: Petrus, Apostel Jesu Christi. Er ist ein Apostel. Der Begriff Apostel ist mit Autorität verbunden.
In der frühen Kirche hatte nichts die Autorität eines Apostels. Auch die Kirchenväter, die nach den Aposteln schrieben, machten immer klar, dass sie eine niedrigere Stellung und Autorität hatten als die Apostel.
Das, was ein Apostel gesagt hat, war von allergrößtem Gewicht.
Die Dichte des Briefanfangs und die Spannung des Fremdseins
Und jetzt beginnt Petrus hier. Vielleicht ist euch das schon mal aufgefallen: Der Anfang von Briefen ist manchmal schwer zu verstehen. Er ist fast zu dicht. Es gibt manchmal – ich weiß nicht, ob ihr das kennt – Lutschbonbons, auf denen man ewig lang herumlutschen kann. Die sind so hart, dass es einfach lange dauert, bis sie weggehen.
Oder es gibt Schokobonbons, die so hart sind, dass man sie erst weich lutschen muss, bevor man langsam die Zähne hineinbeißen kann. Das ist einfach zu dicht.
Ich hatte letzten Donnerstag Geburtstag, und meine Tochter hat mir einen Kuchen gebacken, weil ich mir einen Schokokuchen gewünscht hatte. Sie brachte also einen ganzen Schokokuchen, lächelte mich an und sagte: „Zwei Esslöffel Mehl.“ Der Rest war Schokolade, Zucker und Fett. Davon kann man nur ganz wenig essen. Drei Gabeln voll mit einem Glas Milch reichen, und man denkt sich: „War lecker, viel mehr vertrage ich jetzt nicht.“
So geht es manchmal auch mit Texten. Wenn ein Brief so anfängt, ist das wie eine dichte Packung, vollgestopft. Man könnte auf zwei Versen problemlos zwei, drei Stunden herumkauen und immer noch etwas herauslutschen. Wir haben aber nur den Rest dieser Predigt dafür Zeit. Deswegen müssen wir fast ein bisschen durchhuschen.
Wenn du denkst: „Der sagt eigentlich viel zu viel“, dann stimmt das. Er sagt wirklich viel zu viel, weil er eine enorme Spannung aufbauen möchte. Eine Spannung zwischen zwei Seiten: Auf der einen Seite seid ihr wirklich Fremdlinge. Ihr seid Fremdlinge nicht nur im abstrakten Sinn als Christen auf der Erde, die darauf warten, dass das Himmelreich irgendwann anbricht, dass diese Zeit endlich vorbei ist, dass der Herr wiederkommt und sein Reich sichtbar aufrichtet. Dann können wir einmal durchatmen und sagen: „Boah, geschafft!“
Sondern hier sind Fremdlinge in dem Sinne, dass sie an einem Ort wohnen, wo sie kein Bürgerrecht besitzen. Jeder Dödel kann mit ihnen machen, was er will. Sie wissen genau: Wir werden hier nicht fair behandelt, weder auf dem Markt, wo wir einkaufen, noch vor dem Richter, wo wir unsere Sache zur Sprache bringen – nirgendwo. Wir sind in der Nahrungskette ganz unten. Wir sind die, die man nicht haben will.
Das ist die eine Seite. Und jetzt hält Petrus dagegen: Dem Begriff „Ihr seid auserwählt.“ Wow! Also auf der einen Seite Bürger zweiter oder dritter Klasse, Unerwünschte, das Gegenteil vom Traumschwiegersohn, in der Welt ein absoluter Niemand – aber vor Gott auserwählt, auserwählt.
Die Bedeutung von Auserwähltheit im Neuen Testament
Ich muss etwas zum Begriff „Auserwählt“ sagen, damit wir ihn klarer verstehen. Im Neuen Testament hat „auserwählt“ viel damit zu tun, dass jemand in den Augen eines anderen unglaublich kostbar und wertvoll ist.
Wenn ich von meiner Frau spreche als meiner Auserwählten, dann will ich nicht sagen: Ich hatte da fünf und habe mich halt entschieden. Nein, wenn ich sage, meine Frau ist meine Auserwählte, dann bringe ich zum Ausdruck, dass sie für mich der Schatz meines Lebens ist. Sie ist die Eine, die ich liebe, die mein Herz gefangen hat und die ich nie wieder loslassen möchte. Das heißt „auserwählt“.
Im gleichen Sinne verwendet das Alte Testament diesen Begriff in Jesaja 42,1, wenn der Messias beschrieben wird und das Verhältnis von Gott dem Vater zu Gott dem Sohn dargestellt wird. Wir finden das auch im Neuen Testament, wenn der Vater zum Sohn sagt: „Du bist mein geliebter Sohn.“ Vielleicht erinnert ihr euch, das sagt er dreimal: „Herr, du bist mein geliebter Sohn!“ Im Griechischen kann man das auch übersetzen mit „Du bist mein auserwählter Sohn“. Das steht dort.
Zweimal wird gesagt „Du bist mein geliebter Sohn“ und einmal „auserwählter Sohn“, weil die Begriffe „etwas zu lieben“ und „etwas ist auserwählt“ ganz eng beieinanderliegen. Das ist quasi dasselbe.
Hier Jesaja 42,1: „Siehe, mein Knecht, den ich halte, mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat.“ Hier spricht Gott, der Vater, über Gott, den Sohn, und sagt: Wenn ich den Sohn betrachte, wenn ich den Messias betrachte, dann fällt mir einfach nichts anderes ein – der hat mein Herz geraubt, dem gehört meine ganze Liebe.
Wenn das mitschwingen darf, sprechen wir an dieser Stelle davon, dass etwas auserwählt ist. Das finden wir auch in 1. Petrus 2, wo steht, dass wir auserwählt und kostbar sind.
Jetzt verstehen wir auch, warum Gott uns als Auserwählte ansprechen kann: Weil Jesus der Auserwählte ist. Wenn wir an Jesus glauben, dann passiert in diesem Moment in unserem Leben ein Wechsel.
Vor dem Glauben sind wir Menschen, die vor Gott stehen, aber keinen Frieden mit ihm haben. Wir gehören nicht zur Familie Gottes. Es gibt eine Distanz zwischen mir und Gott – das ist meine Sünde.
In dem Moment, in dem ich glaube, Jesus in mein Leben einlade und sage: „Herr Jesus, komm!“, wird diese Distanz zwischen Gott und mir aufgehoben. Ich werde plötzlich Teil der Familie Gottes.
Gott sagt dann: Ich sehe in dir all das, was mein Sohn Jesus getan hat. Ich sehe seine Heiligkeit in dir, ich sehe seine Gerechtigkeit in dir. Wenn ich dich anschaue, liebe ich dich so, wie ich ihn liebe. Du bist mir so kostbar, so auserwählt und wertvoll wie mein eigener Sohn. Du bist Teil dieser Familie. Mach dir das immer wieder klar.
Wir merken, das fällt manchmal schwer, besonders wenn es im Alltag nicht so gut läuft. Wenn man denkt, hier ist keiner, der mich liebt, hier bin ich immer derjenige, der den Kürzeren zieht.
Deshalb baut Petrus am Anfang diese Spannung auf. Ich weiß nicht, wie es dir als Christ im Alltag geht. Vielleicht ist das, was ich denke, was vor uns liegt, nie Realität. Aber vielleicht kommt es schneller, als wir denken.
Das nächste Mal, wenn du den Eindruck hast, ein kleiner, unwichtiger Kümmerling zu sein – ein Niemand, über den man lacht und den man nicht ernst nimmt –, dann schau hierhin und sieh, wie Petrus sagt: Ja, das stimmt, ihr seid Fremdlinge. Daran kann man nichts ändern, ihr steckt in dieser Situation und das wird sich jetzt nicht ändern.
Aber ihr seid gleichzeitig Auserwählte.
Wenn du Gott fragen würdest: „Wie stehst du zu denen?“, dann würde Gott sagen: „Das sind meine Helden, das sind meine Kinder. Die schaue ich an, für die bin ich gestorben, für die werde ich leben. Für die werde ich einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen. Die sind mein Augapfel.“
Wehe dem, der es wagt, sie zu bedrücken! Ich stehe hundertprozentig auf ihrer Seite, und meine Liebe kann ihnen nie wieder genommen werden.
Das ist das, was Gott sagt – egal, wie wir uns fühlen.
Gottes Vorkenntnis und die tröstliche Gewissheit
Petrus bringt das noch etwas genauer zum Ausdruck. Er sagt, wir sind auserwählt nach der Vorkenntnis Gottes, des Vaters. Das bedeutet, dass Gott genau weiß, was wir durchmachen und was uns mit Sicherheit nicht gefällt. Und eigentlich heißt das noch mehr: Gott wusste es vorher.
Hier steht nicht, dass Gott es vorher bestimmt hat. Es geht vielmehr darum, dass Gott schon vor dem Geschehen weiß, was in deinem Leben passiert. Ich weiß nicht, ob das für dich tröstlich ist? Das ist so ein Zwiespalt, oder? Man könnte im ersten Moment denken, das ist gar nicht so tröstlich. Wenn Gott vorher weiß, was passiert, warum lässt er es dann zu? Hätte er nicht gleich eingreifen können? Ist das nicht die Frage, die aufkommt, wenn Gott alles vorher weiß?
Wir werden uns mit dieser Frage beschäftigen müssen. Denn im ersten Petrusbrief steht auch, dass manche Dinge, die uns nicht gefallen, notwendig sind beziehungsweise dem Willen Gottes entsprechen. Gott schickt uns in Situationen, die wir nicht freiwillig wählen würden, von denen wir sagen: „Das hätte ich nicht gern.“ Aber Gott sagt: „Ich schon.“ Und das, obwohl er kein Interesse daran hat, dass wir leiden.
Gott weiß vorher, was passiert. Für mich ist das tröstlich, weil ich dann sagen kann: Egal, was kommt, es wird niemals der Moment eintreten, in dem Gott sagt: „Das habe ich nicht gewusst, das habe ich übersehen, das tut mir leid.“ Stell dir vor, Gott würde sagen: „Echt? Das ist dir passiert? Davon habe ich gar nichts mitbekommen.“ Das wäre viel schlimmer, als wenn Gott sagt: „Ich wusste das vorher, und ich wollte es so, ich habe es bewusst zugelassen.“
Wenn wir mehr Zeit haben, kann ich dir in Ruhe erklären, wie das alles zusammenhängt. Im Moment ist einfach nicht die Zeit, das Ende dieser Gedanken darzulegen. Aber du kannst sicher sein: Nichts passiert, was Gott nicht vorher gewusst hat. Und mich tröstet das wirklich, weil ich mir sage: Wenn Gott weiß, was kommt, dann weiß er auch, wie er mich durch diese Zeit hindurchbringen kann.
Denn wenn man genau liest, heißt es ja: „Nach der Vorkenntnis Gottes, des Vaters.“ Das ist eine zweite Betonung. Gott ist nicht nur allwissend und kennt alles, was kommt, sondern er kennt es als Vater. Der Vater in der Bibel ist jemand, der Verantwortung für seine Familie übernimmt. Er ist jemand, der beschenkt, der bedingungslos liebt und der mir eine Perspektive im Leben gibt. Das ist biblisches Vatersein.
Wenn ich weiß, dass Gott mein Vater ist – und das ist übrigens ein Thema, bei dem viele moderne Christen Schwierigkeiten haben – dann ist das etwas Großes. Es ist erstaunlich, wie wenig Christen wirklich verstanden haben, was es bedeutet, einen Vater im Himmel zu haben. Einen Vater, der zutiefst um unser Wohl besorgt ist, der weiß, wie es uns in dieser verrückten Welt geht, und der gleichzeitig sagt: „Ich liebe dich mit einer Liebe, die absolut bedingungslos ist.“
Gott steht quasi immer mit offenen Armen da. Du kannst dich jederzeit in diese Arme werfen. Er möchte dir nur Gutes tun und dir genau das schenken, was du für dein Leben brauchst. Er ist derjenige, der dir Perspektive und Orientierung geben will, damit du deine Berufung findest.
Wenn du das glauben kannst – dass ich wirklich einen Vater im Himmel habe – dann ist das etwas Wunderbares. Vielleicht müssen wir uns von unseren eigenen Vatererfahrungen ein Stück weit lösen. Vielleicht waren unsere eigenen Väter nicht so, wie Gott es sich für Väter vorstellt. Und dann neigen wir dazu, unsere schlechten Erfahrungen auf Gott zu übertragen und zu sagen: „Wenn Gott so ist, dann will ich lieber nichts mit ihm zu tun haben.“
Aber wir müssen loslassen und wieder an bedingungslose Liebe glauben. Wir müssen daran glauben, dass jemand es wirklich gut mit uns meint, dass jemand weiß, was Sache ist, und dass jemand bereit ist, an unserer Seite durch jede Schwierigkeit hindurchzugehen.
Gestern hatten wir in der Jugendgruppe ein ganz anderes Bild: Da ist jemand bereit, mitten im Sturm, während um mich herum das Chaos tobt, zu sagen: „Komm, wir gehen da gemeinsam durch!“ Ich kann den Sturm nicht wegmachen, oder ich will ihn nicht wegmachen. Aber was ich will, ist dich zu befähigen, an meiner Seite auf übernatürliche Weise durch diesen Sturm zu gehen.
Ich will, dass du so wandeln kannst, wie ich gewandelt bin. Denn ich bin Gott, und du bist mein Kind. Ich werde dich hier durchbringen.
Das ist das, was wir begreifen müssen, wenn wir verstehen, dass wir auserwählt sind. Nichts, was uns passiert, überrascht Gott. In jeder Situation dürfen wir hundertprozentig sicher sein: Da ist jemand, der mich einfach nur liebt.
Die Heiligung durch den Geist und das Ziel des neuen Bundes
Er hat nicht nur die Perspektive des Vorwissens, sondern auch eine zweite Perspektive, die in der Heiligung des Geistes liegt. Diese Perspektive gefällt mir persönlich sehr gut.
Wir müssen uns die Frage stellen: Warum geschieht Leid auf der Welt? Welchen Sinn hat es, dass Christen leiden? Diese Frage können wir nur beantworten, wenn wir begreifen, dass Leid Teil eines größeren Prozesses ist. Gott hat mit uns nicht nur vor, uns irgendwie durch diese Welt zu bringen, sondern Er möchte dich an der Stelle, wo du bist, verändern und gebrauchen.
Das hat Er mit Jesus getan. Über Jesus heißt es in Hebräer 5,7-9: Der Herr Jesus hat in den Tagen seines Fleisches, als er auf der Erde lebte, Bitten und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen dem dargebracht, der ihn aus dem Tod erretten kann. Und er wurde um seiner Gottesfurcht willen erhört. Das ist ein sehr starkes Wort. Jesus hat auf der Erde gelitten, mit starkem Geschrei und Tränen. Wir sind in die Fußstapfen eines Messias getreten, der gelitten hat und seine Not zum Vater gebracht hat.
Dann heißt es weiter: „Und er lernte, obwohl er Sohn war, an dem, was er litt, den Gehorsam.“ Jesus hat also gelernt. Wenn man so will, stand Jesus in einem Lernprozess. Wir stellen uns Jesus manchmal als hundertprozentig perfekt vor, als jemanden, der der Welt immer ein bisschen überlegen war. Nichts überrascht ihn, in jeder Situation ist er völlig souverän. Das stimmt, er ist souverän. Aber der Text sagt, dass er an dem, was er litt, den Gehorsam lernte.
Wir haben in dieser Welt ebenfalls etwas zu lernen. Die Bibel nennt das Heiligung. Gott möchte dich verändern. Er möchte deinen Charakter formen und dich passend machen für deine Berufung. Das ist etwas, was der Heilige Geist in uns erst hervorbringen muss.
Deshalb sind wir Auserwählte. Wir sind solche, die vom Vater gekannt und geliebt werden. Gleichzeitig sind wir aber auch in einen Veränderungsprozess hineingestellt, in dem das Böse, das uns widerfährt, auch wenn es uns nicht gefällt, dazu beitragen muss, dass in uns geschieht, was Gott möchte.
In Römer 5 heißt es, dass wir uns sogar an den Schwierigkeiten und Trübsalen freuen können. Warum? Weil ich, wenn ich mit Gottes Hilfe durch eine Schwierigkeit gehe, Ausharren lerne. Wenn ich genug Ausharren gelernt habe, lerne ich Charakterstärke. Und wenn ich Charakterstärke, also echte Festigkeit in Gott, erlernt habe, dann wächst meine Freude im Blick auf das, was kommt, nur noch mehr.
In der Heiligung des Geistes arbeitet der Heilige Geist an dir. Petrus wird uns in seinem Brief zeigen, was das praktisch bedeutet.
Zum Schluss: Dass Gott an uns arbeitet, dass Er weiß, wie es uns geht, und dass Er heute an uns arbeitet, hat ein Ziel. Dieses Ziel wird hier mit Begriffen aus dem Alten Testament beschrieben – mit Gehorsam und der Blutbesprengung Jesu Christi.
Das Ziel Gottes in meinem Leben ist, dass ich Teil des neuen Bundes werde, ein lebendiger Teil des neuen Bundes. Im Alten Testament wurde der alte Bund folgendermaßen eingeweiht: Am Berg Sinai gab Gott die Gebote, dann kam das Volk zusammen und die Gebote wurden vorgelesen. Das Volk wurde gefragt: Wollt ihr das halten? Sie antworteten: Ja! Dann geschah etwas, das heute vielleicht eklig wirkt: Tiere wurden geschlachtet und Blut auf die Leute gespritzt.
Niemand hat euch Blut gespritzt, und ich habe das auch nicht vor, keine Sorge. Aber diese beiden Aspekte gehören zu einem Bund dazu: Erstens, dass ich sage: „Ja, Gott, ich will das tun, was du sagst.“ Und zweitens, dass Gott diesen Bund durch ein Opfer einsetzt, das im Alten Testament die Sünde bedeckt und im Neuen Testament sühnt.
Das heißt, die Tatsache, dass wir Auserwählte sind, hängt damit zusammen, dass wir von Gott gekannt und in die Heiligung hineingestellt sind – als lebendige Bestandteile des neuen Bundes. In unserer Taufe haben wir zum Ausdruck gebracht, dass wir ein neues Leben führen wollen, dass wir wirklich gehorsam leben wollen.
Wir haben das Bild der Blutbesprengung auf uns angewandt – nicht im wörtlichen Sinne, sondern in dem Bewusstsein, dass das Blut Jesu am Kreuz für uns geflossen ist. Wir haben uns auf dieses Blut eingestellt und gesagt: „Das ist das Blut, das meine Sünde wegnimmt, das mich reinigt, das Opfer, das Gott gebracht hat, damit ich mit ihm wieder Frieden finden kann.“
Jetzt kommt Petrus und sagt: Denkt daran, ihr seid unglaubliche Menschen, Menschen mit einem Ziel. Ihr seid Menschen, in denen der Geist Gottes wirkt. Ihr seid Menschen, die Gott, der Vater, kennt. Nichts, was euch geschieht, geht an Gott vorbei. Alles hat ein Ziel und ist eingebunden in dieses grandiose Ziel: Gemeinde zu sein, den neuen Bund mit Menschen zu bevölkern.
Er schließt diese einleitenden Gedanken mit den Worten: „Gnade und Friede werde euch immer reichlicher zuteil.“ Das ist mein Wunsch für euch und für uns, wenn wir gemeinsam den ersten Petrusbrief studieren.
Gnade – Gottes unverdiente Gunst, da wo Er uns beschenkt – möge euch immer reichlicher zuteilwerden. Lasst zu, dass ihr immer tiefer versteht, was für beschenkte Menschen ihr in einer verrückten Welt seid. Und Friede möge euch immer reichlicher zuteilwerden. Das ist Gottes Schalom, diese Ruhe, in die Gott uns hineinführt. Eine Ruhe, in der ich immer weniger abhängig werde von dem, was um mich herum passiert, und immer mehr meinen Frieden in Gott finde.
Aus der Stärke dieses Friedens heraus dürfen wir in der Kraft des Heiligen Geistes in eine Welt hineinwirken, die uns dringend braucht, obwohl sie uns ablehnt und nicht haben will.
Das wünsche ich uns. Ich wünsche uns, dass der erste Petrusbrief, wenn wir morgen Abend um 19:15 Uhr miteinander beginnen, uns das eine oder andere Licht aufgehen lässt. Dass er uns zeigt, dass das, was damals real war, der Gott, der damals gewirkt hat, derselbe ist, der heute noch unter uns ist. Und dass Er uns genauso zu Siegern machen will, wie Er damals die Empfänger dieses Briefes zu Siegern gemacht hat.
Amen.
