Auch in Kolossä gab es besondere Probleme. In jeder Gemeinde treten Herausforderungen auf. Paulus hat bereits im ersten Kapitel beschrieben, wofür er bittet. Dabei verfolgte er sehr ehrgeizige Ziele: Er wollte, dass die Gläubigen den Willen Gottes erkennen und daran wachsen. Es sollte nicht nur eine intellektuelle Erkenntnis bleiben, sondern das Leben prägen. Sie sollten würdig vor dem Herrn wandeln.
Diese Aufforderung gilt für alle Gemeinden zu allen Zeiten. Davon werden wir noch viel lesen. Doch in Kolossä gab es auch ein spezielles Problem. Am Anfang des Briefes wird es noch nicht genannt. Es ist interessant zu sehen, wie Paulus vorgeht, um dieses Problem anzugehen.
Es handelt sich um eine Art Irrlehre, die ziemlich dreist war. Das macht den Kolosserbrief auch für unsere Zeit sehr aktuell. Denn das, was sich dort einschleicht, ist typisch gefährlich und bedroht viele christliche Gemeinden in verschiedenen Zeiten.
Bemerkenswert ist, dass Paulus hier nicht zuerst das Problem nennt. Stattdessen tut er das, was immer das Wichtigste ist, wenn es in Gemeinden Schwierigkeiten gibt: Er stellt zuerst Jesus in den Mittelpunkt. Er macht Jesus groß, so dass klar wird, wer das Zentrum ist.
Von diesem Mittelpunkt aus werden dann alle kleinen und großen Schwierigkeiten und Herausforderungen in der Gemeinde beurteilt.
Genau an diesem Punkt sind wir heute. Wir lesen Kolosser 1,15 und die folgenden Verse.
Und das ist vielleicht einer der – obwohl das ein bisschen fragwürdig ist, wenn man so etwas überhaupt bewerten kann – kompaktesten, wichtigsten und zentralsten Texte der Bibel überhaupt.
Es ist aber auch ein Text, der in der Christenheit hierzulande heutzutage nur eine sehr, sehr nachgeordnete Rolle spielt. Das werden Sie gleich sehen. Sie können sich ja selbst prüfen: Wer ist Jesus für mich? Geben Sie eine schnelle Antwort. Was würden Sie ganz spontan sagen, wer Jesus ist? Und dann prüfen Sie das für sich. Ich frage Sie nicht ab, Sie müssen das nicht offenbaren, sondern können es nur für sich selbst prüfen.
Wir gehen noch einmal die gehörten Sätze durch, wir buchstabieren das. Jesus, von dem ich rede, ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes. Das ist der erste Satz. Das heißt, in ihm können wir Gott sehen – und zwar nur in ihm können wir Gott sehen.
Hat Jesus das im Johannesevangelium ja eindeutig gesagt. In Johannes 14, wo auch der große Satz steht: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, da steht in Vers 9: „Wer mich sieht, sieht den Vater.“ Das ist im Grunde der zentrale Offenbarungssatz.
Er sagt dann im Kapitel 10 des Johannesevangeliums: „Ich und der Vater sind eins.“ Das waren auch die provozierendsten Sätze. Denn das ist entweder wahr oder es ist Wahnsinn. Oder es ist die Wahrheit oder es ist Betrug.
Man kann sagen: Gut, das kannst du moralisch nicht bewerten. Wenn jemand krank ist und sich für den Heiligen Geist hält oder für Gott selbst, dann muss er zum Psychiater gehen. Aber das kann man nicht verurteilen. Wenn er bewusst lügt, ist das etwas anderes.
Aber eigentlich gibt es ja Jesus gegenüber angesichts der Aussagen, die wir in den Evangelien lesen, nur diese drei Reaktionsmöglichkeiten: Er ist entweder wahnsinnig, oder er lügt, oder es ist wahr.
Deshalb ist es sehr schwer, Jesus gegenüber so nette Positionen zu bewahren wie: „Ich glaube zwar nicht so, dass er Gottes Sohn ist, aber irgendwie war er doch ein bedeutender Mensch, der sehr starke Wirkung in der Geschichte gehabt hat.“ Also Respekt, Respekt.
Viele trauen sich ja kaum, mal so richtig negativ über Jesus zu reden. Aber das geht eigentlich nicht. Das kann man nur tun, wenn man alles, was in der Bibel über Jesus steht, grob missachtet oder überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt.
Dann kann man so einen Quatsch reden, was Jesus sein könnte. Wenn man sich an dem orientiert, was da über ihn steht, was er getan hat oder gesagt haben soll – so würden die Kritiker ja formulieren –, dann kannst du nur eine von den drei Möglichkeiten annehmen.
Das ist natürlich hier in diesem Text ein Christushymnus. Vermutlich war es das, können wir nicht genau verstehen, denn es steht ja keine Melodie dabei. Aber diejenigen, die Griechisch sorgfältig kennen, sagen, dass dies ein so rhythmisch starker Text ist, dass Paulus hier möglicherweise ein Christuslied zitiert, das in den Gemeinden gesungen wurde und bekannt war.
An das erinnert er jetzt noch einmal. Das ist eine historische Vermutung, und es hängt nicht so viel davon ab, ob das stimmt oder nicht. Aber es unterstreicht noch einmal, dass der Text gewichtig ist. Er ist schon äußerlich gewichtig formuliert.
Der erste Satz lautet: Jesus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes. Dabei sehen wir zunächst einmal ein Problem: Für uns ist die Unsichtbarkeit Gottes ein Problem. Wir denken immer, dass das, was ich nicht sehe, auch nicht existiert. Das, was ich sehe, gibt es. Jedenfalls empfinden wir die Wirklichkeit als problematisch, wenn wir etwas nicht sehen. Das ist ja die Quelle unserer Zweifel.
Dass wir Christen es schaffen, praktisch so zu leben, als wären wir Atheisten – also durch den Alltag gehen, als wäre Gott nicht da, uns verhalten, als wäre Gott nicht da – kommt daher, dass wir ihn nicht sehen. Wir sind zutiefst geprägt von der Vorstellung: Was ich nicht sehe, das gibt es nicht.
Dagegen ist natürlich der Satz „Wer mich sieht, sieht den Vater“ eine Provokation und zugleich ein wunderbares Angebot. Gott, der für unsere Sinne nicht wahrnehmbar ist, für unsere Augen nicht sichtbar ist, lässt sich herab und macht sich sichtbar, indem er in Jesus Mensch wird. Das ist an sich ein Wunder. Doch das ist gar nicht das eigentliche Problem.
Das eigentliche Problem ist nicht die Unsichtbarkeit Gottes oder die Unzulänglichkeit unserer Sinne. Wir sind leider nicht in der Lage, mit unseren Augen die Wirklichkeit Gottes zu sehen. Das eigentliche Problem liegt vielmehr darin, dass wir es nicht ertragen würden, ihn zu sehen.
Als Jesaja im Tempel die Herrlichkeit Gottes sah – die Herrlichkeit heißt in der Bibel immer die Kabot Jahweh, also die Herrlichkeit Gottes – offenbart sich Gott. Er gibt sich spürbar und sichtbar zu erkennen in dieser Welt der Tischolbänke. Als Jesaja im Tempel diesen Lichtglanz sieht, erschrickt er und ruft: „Weh mir, ich vergehe!“ Er erkennt seine unreinen Lippen und die unreinen Leben in seinem Volk. Er erträgt diese Offenbarung nicht.
Im Neuen Testament heißt es im Hebräerbrief, zwölftes Kapitel: Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer. Das passt nicht so recht in das Vorstellungssammelsurium vieler religiöser Menschen heutzutage hierzulande. Viele haben eine bestimmte Vorstellung von Gott und sagen: So kann ich mir Gott nicht vorstellen. Als ob es darauf ankäme, ob wir uns Gott vorstellen können.
Schon das ist eine Entlarvung des arroganten Menschen und seiner Dummheit. Er meint tatsächlich, wenn er sich Gott nicht vorstellen könnte, dann dürfte Gott nicht so sein. Nun ist klar: Es kann ja sein, dass Gott nicht so ist, wie ich ihn möchte, und dass die Wirklichkeit Gottes vielleicht schrecklich ist.
In der Bibel steht ausdrücklich: Es ist schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Diese Aussage findet sich übrigens nicht im Alten Testament, sondern im Neuen Testament. Manche sagen, im Alten Testament sei Gott der Gott des Zorns und der Gewalt, im Neuen Testament hingegen der Gott der Liebe. Das ist aber auch ein Kokolores.
Im Neuen Testament steht: „Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“ Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer. Paulus schreibt im ersten Timotheusbrief noch etwas, das uns zeigt, wie mächtig Gott ist. Er sagt dort: Er ist der König aller Könige und der Herr aller Herren (1. Timotheus 6,15-16).
Er allein hat Unsterblichkeit, und er wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann. Keiner hat ihn gesehen und kann ihn sehen. Ihm sei Ehre und ewige Macht. Amen.
Zweierlei ist hier enthalten: Zum einen das Licht, in das niemand kommen kann. Dieses Licht ist das Unerträgliche, das wir nicht aushalten, das uns verbrennt.
Wir kennen das bereits aus der Natur, aus der geschöpflichen Wirklichkeit. Es kann ein derartig grelles Licht geben, dass ich, wenn ich hineinschaue, geblendet werde. Es ist unerträglich. Doch dieses Licht existiert bereits innerhalb der Welt. Paulus erlebt das vor Damaskus, als Jesus ihm begegnet – in seiner Herrlichkeit. Er wird danach blind, weil er die drängende Wirklichkeit des geoffenbarten auferstandenen Jesus körperlich nicht erträgt. Das ist also das hier Gemeinte.
Natürlich gehört dazu auch noch das andere: die Alleinunsterblichkeit. Es heißt, alles, was sichtbar ist, vergeht. Es ist vergänglich – manches ganz schnell, in wenigen Minuten, Stunden oder Jahren; anderes in Jahrzehnten oder Jahrtausenden. Aber alles, was sichtbar ist, ist vergänglich.
Insofern ist es logisch und für das Denken eigentlich völlig klar: Wenn Gott, der Schöpfer, existiert, dann ist er nicht Teil der geschaffenen Schöpfung, die sichtbar und vergänglich ist. So sagt es die Bibel: Er ist der Unvergängliche, allein Unsterblich, der in einem Licht wohnt, in das niemand kommen kann. Keiner hat ihn gesehen, noch kann ihn jemand sehen.
Vor diesem Hintergrund gilt es, dies doppelt zu bedenken. Wir Menschen neigen dazu zu glauben, dass das, was wir nicht sehen, nicht existiert. Deshalb leben wir praktisch als Atheisten. Das tiefere Problem, so sagt uns die Bibel, ist jedoch: Du kannst Gott gar nicht sehen, denn du würdest im Glanz seiner Heiligkeit verbrennen.
Umso größer und zentraler ist dieses Wunder: Jesus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes.
Darf ich noch einmal zurückspulen auf alles, was wir heute Morgen in der Predigt zum Himmelfahrtstag über Psalm 47 gehört haben, von Andreas Schäfer? Alles zielt darauf ab, dass allein in Christus Gott erkannt werden kann. Wer nicht von Jesus redet und trotzdem meint, von Gott sprechen zu können, hat nichts Zutreffendes über Gott zu sagen. Nur in Jesus ist es möglich, Gott zu sehen und zu erkennen.
Buchstabierend weiß weiter: Er ist der Erstgeborene vor aller Schöpfung. Was ist das für eine merkwürdige Formulierung? Ich werde Ihnen gleich ein altes Glaubensbekenntnis aus dem Jahr 325 von Nicäa zeigen, denn damals ging es schon um die Frage: Wer ist Jesus wirklich?
Es gab den Arius, einen Presbyter in einer Gemeinde, dem war wichtig zu sagen: Jesus ist doch Mensch geworden, ja, das ist die Wahrheit des Evangeliums – Gott wird Mensch. Aber er sagte, Jesus sei ganz Mensch, da sei nichts mit Gott, er sei rein menschlich. Die Gemeinden lasen die Bibel und widersprachen: Das ist nicht die Wahrheit. Jesus ist ganz Mensch, aber in ihm ist auch Gott da.
Das drücken sie dann hier in diesem Text aus: Er ist der Erstgeborene vor aller Schöpfung. Er ist nicht geschaffen, sondern im Glaubensbekenntnis heißt es „geboren“ oder „gezeugt“ aus Gott. Das bedeutet, er ist mit Gott ein Wesen. Er gehört auf die Seite Gottes, des Schöpfers, bevor etwas geschaffen wurde. Denn durch ihn wurde alles geschaffen.
Das kommt jetzt: „Denn in ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare.“ Und das ist jetzt mal die Testfrage: Was haben Sie für ein Bild von Jesus? Woran denken Sie, wenn Sie an Jesus denken? Was hat er für eine Bedeutung für Sie?
Wir denken doch oft so: Das Glaubensbekenntnis hat drei Artikel. Ich glaube an Gott, den Vater, den Schöpfer – das ist der erste. Ich glaube an Jesus, den Sohn, der gekommen ist zur Erlösung und Versöhnung, der auferstanden ist und wiederkommen wird zum Gericht – das ist der zweite Artikel.
Aber hier im Wort Gottes heißt es, dass Jesus in den ersten Artikel gehört. In ihm ist alles geschaffen, was im Himmel ist. Das heißt jetzt nicht nur der meteorologische Himmel. Himmel hat in der Bibel ja zwei Bedeutungen. Hier ist mit Himmel die unsichtbare Wirklichkeit Gottes gemeint.
Es sagt also auch – das wird gleich noch ausdrücklich betont – dass die Wirklichkeiten innerhalb der unsichtbaren Welt Gottes, also Engel, ebenfalls Geschöpfe Gottes sind. Das ist übrigens der Grund, warum das hier erwähnt wird.
Denn – um es vorwegzunehmen – in Kapitel 2 haben wir es verlesen: Es gab Tendenzen in Kolossä, weil es dort Christen gab, die sagten, auch Engel müsse man verehren. Das ist interessant, denn in Deutschland glauben etwa 70 Prozent der Menschen an Engel, obwohl die durchschnittliche Statistik sagt, dass nur etwa 50 Prozent an die Existenz Gottes glauben.
Das heißt, Engel sind in Deutschland beliebter als Gott. Das ist leicht erklärbar: Wir haben viel Angst, das Leben ist gefährlich, und wir sehnen uns nach Bodyguards. Aber Bodyguards sollen uns beschützen, sie sind nicht unsere Chefs. Nein, wir sind die Chefs.
Mit Gott ist das anders. Er will uns immer reinreden ins Leben. Er ist uns willkommen, solange er uns hilft, beschützt und stärkt. Wenn er sozusagen der oberste Chef-Bodyguard ist, hat niemand etwas gegen Gott. Wenn er aber die letzte Instanz ist, die in unserem Leben das Sagen hat, die bestimmt, wer ich bin und was ich tun soll, dann ist das höchst problematisch. Dann fühlen wir uns fremdbestimmt.
Und bei den Engeln sagt das Bekenntnis hier ausdrücklich: In Jesus ist alles geschaffen, nicht nur in der sichtbaren Welt, was wir sehen. Das ist schon ungewöhnlich für unseren heutigen Jesusglauben.
Wir denken oft, Jesus habe das repariert, erlöst und wieder zurechtgebracht. Er wirkt in der Zukunft, heute sei alles gut. Aber dass alles durch ihn geschaffen wurde, das ist eine der zentralen Aussagen des Neuen Testaments.
Das Johannesevangelium beginnt damit: Gottes Wort wird Mensch, wird Fleisch. In ihm und durch dieses Wort ist alles geschaffen, was ist. Oder im Hebräerbrief, der auch so beginnt: Gott hat auf mancherlei Weise durch die Propheten geredet, in der letzten Zeit endlich durch den Sohn, durch den er alles gemacht hat.
Auch Paulus sagt im ersten Korintherbrief 8,6: Er hat alles gemacht – eine zentrale Aufgabe. Man fragt sich: Woher kommt Jesus eigentlich? Glauben wir das? Haben wir das ausgeblendet? Haben wir es gar nicht auf dem Schirm, dass Jesus der Schöpfer von allem ist – sowohl der unsichtbaren geschaffenen Wirklichkeit als auch der sichtbaren?
Interessanterweise nennt Paulus Throne, Herrschaften, Mächte und Gewalten. Es ist alles durch ihn geschaffen. Dann sagt er gleich: „Zu ihm hin geschaffen.“ Das heißt, Jesus ist der Schöpfer und zugleich das Ziel und der Zweck von allem.
Was ist der Sinn? Warum ist das da? Warum ist das geschaffen worden? Jesus – alles für Jesus. Er ist das Ziel, auf das alles zuläuft, was in der sichtbaren und unsichtbaren Schöpfung ist.
Testfrage: Haben Sie das je gedacht? Ist das Ihrem Herzen nahe? Leben Sie so? Gehen Sie so durchs Alter, sehend, dass alles, was Sie sehen, und alles, was da herumläuft, durch Jesus geschaffen ist und sein Ziel in Jesus hat?
Was ich hier schon vorwegnehme, weil wir es erst morgen Abend behandeln, ist Folgendes: Paulus begründet hier, warum Engelverehrung nichts für den christlichen Glauben ist. Das ist zwar typisch für die Spiritualität in Deutschland, dass man es mit den Engeln sehr ernst nimmt und sie wichtiger sind als Gott und Jesus.
Aber das ist ein altes Problem, das in Kolossä schon offensichtlich war. Paulus baut massiv vor und sagt: Ihr habt vergessen, dass alles durch Jesus geschaffen ist, dass er auch die Herrschaften, Mächte und Gewalten geschaffen hat. Alles ist durch ihn, und sie haben alle in ihm ihre Zweckbestimmung.
Also: Nicht zu viel Respekt, vor allem keine Anbetung, keine Gebete zu ihnen, den vorletzten Geschöpfen. Denn die Anbetung des Geschaffenen, der Glaube an alles Geschaffene, ist Götzendienst, wenn das Geschaffene anstelle des Schöpfers verehrt wird.
Paulus sagt in Römer 1: Darum ist der Zorn Gottes über die Menschen gekommen, weil sie das Geschaffene geehrt haben anstatt den Schöpfer. Diese Verdrehung ist die Ursünde des Menschen.
Und darum geht es hier. Positiv: Jesus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor der Schöpfung. In ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare. Es seien Throne, Herrschaften, Mächte oder Gewalten – es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen, und er ist vor allem.
Und jetzt kommt noch eine neue Testfrage: Ist das bei Ihnen auf dem Schirm? Es besteht alles in ihm. Nicht nur, dass er es geschaffen hat und dass er das Ziel ist, sondern er erhält es auch.
Da ist noch ein weiterer Punkt, bei dem wir total anders denken. Seit über 300 Jahren gibt es etwas, das man Deismus nennt. Das ist der Gottesglaube, der seit dem Aufkommen der Naturwissenschaft entstanden ist. Man konnte plötzlich erklären, wie Blitz und Donner entstehen, und sagte dann, das könne man auch naturwissenschaftlich erklären. Man müsse nicht unbedingt sagen, Gott habe das gemacht. Das war damals eine Krise.
Dann stellte man die Frage: Wie ist das mit Wundern? Lassen die sich auch anders erklären? Gibt es überhaupt Wunder? Daraus entstand ein Weltbild, bei dem man dachte, man könnte damit Gott „retten“. Man stellte sich so einen sogenannten Uhrmachergott vor. Man sagte: Gott ist wie ein Uhrmacher, der diese Maschine gebaut hat. Das ist kompliziert, natürlich hochanspruchsvoll, und dann ist sie fertig. Und dann läuft das Ding.
Heute ist das noch mehr vereinfacht: Die Uhr muss nicht mal mehr aufgezogen werden, da ist eine Batterie drin. Solange die Batterie läuft, funktioniert die Maschine. Niemand von uns hat je mit dem Uhrmacher seiner Uhr zu tun gehabt. Wenn du eine teure, schöne Uhr hast, kannst du bewundern, dass ein toller Uhrmacher sie gemacht hat. Aber es hat überhaupt keine Bedeutung. Man muss den Uhrmacher nicht kennen, man kennt ihn nicht und lernt ihn nie kennen – es sei denn, man braucht jemanden, der die Uhr repariert. Und das ist in der Regel nicht der, der sie gemacht hat.
Dieses Denken vom Uhrmachergott im sogenannten Deismus – „Deus“ heißt auf Lateinisch Gott – ist die Vorstellung, dass Gott am Anfang etwas gemacht hat und dass die Maschinenschöpfung nach den von Gott angelegten Gesetzen automatisch läuft.
Das Problem war: Was sind jetzt Wunder? Muss Gott da jetzt in die Schöpfung eingreifen, also außerhalb der Regeln? Das war in der klassischen Physik völlig undenkbar. In der klassischen Newtonschen Physik dachte man, alles sei im Ursache-Wirkungszusammenhang erklärbar. Nur was im Ursache-Wirkungszusammenhang erklärbar ist, gilt als tatsächliche Wirklichkeit.
Seit der Quantenphysik weiß man: Das gilt für große Teile der Natur, aber nicht für alles im Mikrokosmos. In der Quantenphysik gibt es Ereignisse, die nach Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten passieren, aber nicht strikt vorhersehbar sind. Das hat das Weltbild gestürzt und total verändert.
Es ist so kompliziert, dass die meisten das, obwohl es sich schon vor hundert Jahren durchgesetzt hat, bis heute nicht wahrgenommen und verstanden haben. Auch die meisten Theologen nicht, weil sie scheinbar überwiegend in Mathe eine Fünf hatten und Physik schlecht waren.
Es gibt aber auch wenige Theologen, die sich wirklich damit beschäftigt haben. Karl Heim war einer der bedeutendsten in Tübingen. Er hat schon in den 1920er-Jahren diese moderne Physik auf die Theologie angewandt. Er war ein evangelischer Leiter der Studentenmission, der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung damals, und später ein bedeutender Professor in Tübingen. Seine Bücher sind bis heute ganz kostbar. Zum Beispiel „Wandlungen im naturwissenschaftlichen Weltbild“. Ich habe sie verschlungen und mir antiquarisch gekauft, als ich Student war. Damals waren sie schon nicht mehr in Buchhandlungen erhältlich.
Wilhelm Busch sagte mir: „Lies Karl Heim, wenn du mit der Naturwissenschaft klarkommen willst.“ Also ist das alles kein ganz so neues Problem. Aber da die meisten die Problematik und die Entwicklungen der Zeit gar nicht richtig verfolgen, und man muss ja auch nichts von Physik verstehen, um durch Jesus gerettet zu werden, hilft es doch, um sich gegen die Dummheiten unserer Zeit zu wehren. Denn mancherlei Kritik ist auch dumm. Zum Beispiel die Vorstellung, ein Gottesbild zu entwickeln, das so gefährlich ist, dass wir Christen uns da reinziehen lassen und praktisch wie Atheisten leben – ein Weltbild wie Atheisten.
Wir sagen: Ja, Gott hat am Anfang das mit dem Urknall gemacht. Das ist genial, und die ganzen Gesetze sind toll, wie er das gemacht hat. Aber jetzt läuft die Maschine so. Und jetzt haben wir ein Problem: Bete ich jetzt? Wie passieren Wunder? Dahinter steckt die Vorstellung, dass der Schöpfer jetzt in Rente gegangen ist. Jesus ist nach der Himmelfahrt sozusagen in Urlaub gegangen, pensioniert worden und sitzt im Jenseits mit gefalteten Händen. Er tut nichts und schaut zu, wie die Maschine läuft.
Wir denken jetzt: Greift er zwischendurch mal ein? Das geht aber doch nicht. Hier steht aber etwas ganz anderes: Es besteht alles in ihm. Er erhält alles. Auch andere Aussagen im Neuen Testament zeigen, dass die Welt in jedem Bruchteil jeder Sekunde, in jedem Molekül bestehen bleibt. Der Kosmos, die geordnete Wirklichkeit, zerfällt nicht ins Chaos. Das ist aktives Handeln des auferstandenen, erhöhten Jesus zur rechten Zeit. Ohne das gäbe es keine Erhaltung der Welt. Alles besteht in ihm.
Es ist natürlich ein völlig anderes Weltbild, wenn ich Jesus ernst nehme und die Welt durch seine Perspektive betrachte. Jesus ist nicht nur das, was er natürlich ist: der Retter, der am Kreuz für unsere Sünden stirbt und uns mit Gott versöhnt. Das ist nur ein Teil von ihm. Wenn wir Jesus nicht vollständig sehen, wird auch unser Glaube bruchstückhaft sein.
Wenn wir die Wirklichkeit nicht im Verhältnis zu Jesus sehen, wie es die Offenbarung Gottes beschreibt – nämlich dass er der Schöpfer ist, der alles geschaffen hat –, dann verstehen wir vieles falsch. Es begegnet uns nichts in dieser sichtbaren und unsichtbaren Wirklichkeit, das nicht mit Jesus zu tun hat.
Als Christen neigen wir jedoch dazu, durch die Welt zu gehen und, wenn wir nicht gerade im Gottesdienst, im Hauskreis oder auf der Kanzel sitzen, zu denken, der Rest der Welt sei gottlos. Wir sagen: „Ich bin mit Jesus unterwegs, und alles andere ist gottlos.“ Aber dem ist nicht so. Kein Grashalm, kein Baum, kein Mensch begegnet uns, den Jesus nicht geschaffen hat – nicht einmal Atheisten. Diejenigen, die auf Jesus schimpfen, können nicht leben, ohne dass Gott großzügig ihren Herzschlag erhält und ihnen den Atem gibt, um ihre Meinung zu äußern. So ist Gott: Er hat einen ausgeprägten Humor und eine erstaunliche Großmut. Es kann einen schon verwundern, was er alles zulässt. Alles besteht in ihm.
Hier stellt sich natürlich die Frage: Nicht nur erkennen wir ihn und nehmen seine Wirklichkeit wahr, sondern was bedeutet das konkret? Wenn alles in ihm besteht, wie verhält sich das zu einem Thema, das heute überall, auch in der Politik, sehr prominent ist und uns alle in seinen Folgen aufregt? Wer erhält denn jetzt die Welt? Wie verhält sich die Aussage, dass Jesus die Welt erhält, bewahrt, geschaffen hat und vollendet, zu der Aussage im Schöpfungsbericht (1. Mose 2), dass der Mensch geschaffen ist, um die Welt – den Garten Eden – zu bauen und zu bewahren?
Auch nach dem Sündenfall heißt es: Baut den Acker, bebaut ihn. Wer erhält denn nun die Welt? Das Thema „Schöpfung bewahren“ ist heute auch in den Kirchen ein großes Thema und wird als große Aufgabe gesehen.
Es lässt sich wohl nicht bestreiten, dass wir vom Schöpfer her die Aufgabe haben, diese Erde, die er geschaffen hat, nicht zu zerstören, sondern sie zu bauen, zu bewahren und pfleglich zu behandeln. Die Geschichte ist jedoch die: Wenn wir zu weit gehen und uns anmaßen, die Welt retten zu müssen – wenn wir glauben, sie könnte ohne unser Zutun nicht bewahrt werden –, dann spielen wir Gott.
Das ist der Punkt, der viele Menschen in Angst versetzt. Wer Gott spielen will, der dreht durch. Das ist auch in zwischenmenschlichen Beziehungen so: Wenn eine Frau zu einem Mann sagt oder umgekehrt: „Du bist mein Ein und Alles“, sollte man sie sofort vor der Polizei in Handschellen abführen und zumindest des Totschlags anklagen. Denn keiner kann für den anderen Ein und Alles sein – das kann nur Gott.
An diesem Anspruch zerbrechen die meisten Liebesbeziehungen, weil man sich maßlos überfordert und die Erfüllung des Lebens von der Liebe des Anderen erwartet. Natürlich sollen wir einander lieben, das ist etwas ganz Kostbares. Aber wenn die Liebe des Anderen zur einzigen Quelle des Lebens wird, machen wir ihn zu Gott. Das ist Vergötzung des Menschen, und deshalb scheitern Beziehungen an der Liebe. Das ist Mord – im übertragenen Sinne.
Genauso werden wir als Menschen scheitern, wenn wir sagen: Wir haben nicht nur die Rolle von Geschäftsführern Gottes, von Beauftragten Gottes. Die Erde ist des Herrn, und was darin ist, gehört ihm (Psalm 24,1). Überall kam Jesus in sein Eigentum. Eigentümer ist Gott, und wir sind die beauftragten Geschäftsführer. Macht euch die Erde untertan, baut und bewahrt sie. Dafür segnet er uns. Das heißt, wir sind ausgestattet, wir haben eine große Verantwortung, einen Segen und die Kraft des Schöpfergeistes Gottes.
Aber wenn wir Gott spielen wollen und sagen, wir müssen es allein machen und von unserem Handeln hängt jetzt der Globus ab, dann spielen wir Gott. Es ist schwer, hier eine Balance zu finden. Die Haltung, zu sagen: „Ja, Gott erhält, Jesus erhält alles, da kannst du nichts machen, da musst du nur zusehen“, oder „Lass uns jetzt richtig Gas geben“, ist Quatsch. Das ist Missbrauch und Dummheit.
Man kann denken, und wenn man denken kann, sieht man auch, wo Gefahren liegen. Deshalb hat man die Verantwortung, zu bauen und zu bewahren. Der Eigentümer wird uns zur Rechenschaft ziehen für das, was wir mit seiner Schöpfung, mit unserem Leben, mit unserem Körper und mit der Welt gemacht haben. Wir sind verantwortlich – das ist unsere Würde. Aber wir sind nicht Gott!
Man kann da ganz schnell auf beiden Seiten ins Extreme fallen. Ich möchte jetzt nicht sagen, welche Seite heute mehr vertreten ist. Es gibt viele Christen, die eher auf der Seite stehen: „Jesus macht alles, er sorgt für alles, da brauchst du dir keinen Kopf zu machen.“ Diese Menschen sind oft verantwortungsscheu, manchmal auch ein bisschen denkfaul und wollen ein bequemes Leben führen, weil sie keine Lust haben, Verantwortung zu übernehmen. Wer will schon Verantwortung übernehmen?
Die andere Seite sind diejenigen, die christlich motiviert oder atheistisch sind und sagen: „Wir müssen die Welt retten.“
Ich will das gar nicht weiter ausmalen, denn Sie wissen sicher, dass man das leicht weiter ausmalen könnte.
So, Jesus ist der Schöpfer, das Ebenbild Gottes, der Erhalter und das Ziel aller Schöpfung. Alles Sichtbare und Unsichtbare, auch die Mächte, sind Geschöpfe, die nicht angebetet werden sollen.
Nun folgt ein beeindruckender Schluss: Jesus ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Dieser Jesus, der alles geschaffen hat und alle Mächte hält, ist der Kopf der Gemeinde. Das ist ein besonderes Bild der Gemeinde. Sie ist nicht irgendetwas Abgeschiedenes, eingemauert und isoliert. Vielmehr ist Jesus unser Haupt, von dem aus alles im Leib gesteuert wird. Er bestimmt unser Leben, von ihm hängt alles ab, und alles lebt aus der inneren Beziehung zu ihm.
Gleichzeitig ist Jesus der Schöpfer des Universums und der Erhalter der sichtbaren und unsichtbaren Welt. Was für eine Sicht der Welt und auch der Kirche ergibt sich daraus? Kirche verstehen wir hier als die weltweite Gemeinschaft des Leibes Jesu Christi, die Gemeinschaft der Heiligen, aller, die weltweit zu Jesus gehören, durch die Vergebung der Sünden versöhnt mit Gott sind.
Wer ist Jesus nun weiter? Das wird genauer ausgeführt: Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, damit er in allem der Erste sei. Das ist ein neuer Ansatz, der zeigt, wie fundamental Jesus ist. Er ist der Erstgeborene von den Toten, wie Paulus im 1. Korinther 15 sagt.
Paulus reagiert dort auf Zweifel an der Auferstehung der Toten. Viele damals verstanden die Auferstehung vielleicht symbolisch, ähnlich wie heute manche sagen, die Hoffnung stirbt zuletzt und der Tod habe nicht das letzte Wort. Solche Sprüche hört man oft bei Beerdigungen. Doch Paulus macht klar: Wenn Jesus nicht auferstanden ist, gibt es keine Auferstehung der Toten. Wenn es keine Auferstehung der Toten am Ende der Zeit gibt, ist auch Jesus nicht auferstanden. Dann ist der Glaube leer, und das Kreuz Jesu ist keine Versöhnung, sondern eine Niederlage.
Durch die Auferweckung hat Gott das Kreuz Jesu bestätigt und den Tod endgültig durchbrochen. Jesus wurde nicht nur wiederbelebt, um erneut zu sterben, sondern er hat den Tod überwunden und in Gottes schöpferischer Wirklichkeit verwandelt. Er ist der erste Akt der allgemeinen Totenauferstehung. Deshalb ist die allgemeine Auferstehung gewiss, denn der erste Akt ist bereits geschehen. Daran gibt es keinen Zweifel.
Paulus entfaltet dies im 15. Kapitel des 1. Korintherbriefs. Hier heißt es: Jesus ist der Erstgeborene von den Toten, damit er in allem der Erste sei. Es hat Gott gefallen, dass in Jesus alle Fülle wohne. Merken Sie sich diese Formulierung. Denn in Kapitel 2 werden wir darauf noch einmal zurückkommen. Der Begriff „Fülle“ spielt im Kolosserbrief eine besondere Rolle und ist auch heute hochaktuell für unsere Auseinandersetzung.
Ich will das heute nur ankündigen, denn morgen erkläre ich den Satz „In ihm ist die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“, der in Kapitel 2 steht, noch einmal genauer. Hier ist das Thema aber schon angerissen.
Dann heißt es weiter: „Und er hat durch ihn, durch Jesus, alles mit sich versöhnt, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.“ Der auferstandene Jesus ist der Beginn der neuen Welt und die Fülle Gottes in Jesus reinigt Gott. So erfolgt die Versöhnung des Kosmos. Er versöhnt alles im Himmel und auf Erden – auch hier wieder Himmel und Erde als sichtbare und unsichtbare Wirklichkeit.
Wie geschieht das auf Golgatha? Dort machte Jesus Frieden durch sein Blut am Kreuz. Warum betont Paulus das so? Prüfen Sie noch einmal Ihr Bild von Jesus. Das Kreuz und die Erlösung sind sicherlich zentral, wenn wir an Jesus denken. Das ist richtig. Doch warum haben wir alles andere, was ebenso zur Offenbarung gehört, ausgeblendet? Und welche Folgen hat das?
Die Folgen sind verheerend. Der Theologe Klaus Bockmühl, mit dem ich verbunden war, stammte aus der gleichen Essener Jugendarbeit wie ich, aus der Familie Busch in Essen. Er war später Theologieprofessor auf Creschona und dann am Regent College in Vancouver. Er ist inzwischen verstorben. Bockmühl hat einmal ein Buch geschrieben, das „Atheismus in der Christenheit“ heißt. Ich war sehr verwundert, denn es ist ein kompliziertes, aber wichtiges Buch, das vor Jahrzehnten geschrieben wurde.
Darin analysiert er messerscharf, wie wir es schaffen, steile Sätze über Gott und Jesus zu sagen und gleichzeitig atheistisch zu leben. Dabei sind diese Aussagen so abgehoben, dass sie nichts mit unserem Alltag zu tun haben. Das lässt sich daran ablesen, wie manche Menschen die Bäume und die Welt anschauen, ohne das Werk des Schöpfers zu erkennen. Wer die Welt betrachtet und nicht die Aktivität des erhaltenden Jesus Christus sieht, hat ihn verstümmelt.
So jemand glaubt nur an einen geschrumpften Jesus. Entsprechend ist dann auch der Glaube geschrumpft, verzagt, kleinmütig und unzerbrechlich nicht. Denn unser Glaube spiegelt wider, wem wir glauben. Wenn wir unseren Vorstellungen zufolge Jesus auf die Hälfte der Wahrheit schrumpfen lassen, schrumpft auch unser Glaube entsprechend. So leben wir ohne Hoffnung, ohne Zuversicht und ohne Tatkraft. Stattdessen sind wir vermessen, überfordert und töricht arrogant – obwohl wir Jesus eigentlich kennen und ihn ganz kennen sollten.
Ich möchte nun diese ganze Problematik, die sich neu entfaltet hat, auseinandersetzen: Wer ist Jesus? Das war immer die Kernfrage, auch bei „Wer ist Jesus?“. Es gibt das erste Bekenntnis von Nicäa, das sich weiterentwickelte. Nach 381 gab es das Konzil von Konstantinopel und 451 das von Chalcedon.
In manchen Gesangbüchern wird an großen Feiertagen in manchen Gemeinden, ich weiß nicht, ob das bei Ihnen so ist, das Nizäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis anstelle des apostolischen Glaubensbekenntnisses gesprochen. Ich weiß nicht, ob Sie das überhaupt kennen. Ich möchte Ihnen das hier einmal vorlesen. Ich habe den dritten Artikel ausgelassen, der ist nur ganz kurz.
„Ich glaube an den Heiligen Geist. Ich glaube an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren. Und an den einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, der als einzig Geborener aus dem Vater gezeugt ist.“
„Gezeugt“ heißt damals oder heute nicht „geschaffen“, sondern „geboren aus Gott“. Ein Wesen, sozusagen Gottes Natur. Das war ein großes Thema und eine wichtige Aussage. Er gehört ganz auf die Seite Gottes, eben nicht auf die Seite der Geschöpfe. „Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater, durch den alles geworden ist, was im Himmel und auf Erden ist.“
„Der für uns Menschen und wegen unseres Heils herabgestiegen ist, Fleisch geworden ist, Mensch geworden ist, gelitten hat, am dritten Tage auferstanden ist, aufgefahren zum Himmel und kommen wird, um die Lebenden und die Toten zu richten.“
Merken Sie, wie kompakt und zusammengefasst das ist? Manche Leute sagen, damals in der alten Kirche hätten sich die Synoden um fast unverständliche dogmatische Dinge gestritten. Das ist natürlich falsch. Wer so etwas sagt, hat wirklich keine Ahnung von dem, was die Bibel sagt.
Lesen Sie diesen Text und legen Sie ihn neben Kolosser 1,15-20. Dann erkennen Sie, dass die Glaubensväter in dieser Synode in der Abwehr arianischer Irrlehren kämpften. Die Arianer, zum Beispiel Arius, glaubten, Jesus sei nur ein Mensch. Sie fanden das toll, aber Gott habe keinen großen Einfluss gehabt. Die Väter des Glaubens haben mit Kolosser 1 gegen diese erste bedrohliche Irrlehre gekämpft, die die Kirche zu zerstören und zu vergiften drohte.
So, jetzt gehen wir noch ein Stück weiter.
Auch euch, die ihr einst fremd und feindlich gesinnt wart gegenüber den bösen Werken, hat er nun durch den Tod seines sterblichen Leibes versöhnt. Damit stellt er euch heilig und untadelig, makellos vor sein Angesicht.
Es gibt eine Bedingung: Wenn ihr nur im Glauben gegründet und fest bleibt und nicht von der Hoffnung des Evangeliums weicht, das ihr gehört habt. Dieses Evangelium ist allen Geschöpfen unter dem Himmel gepredigt worden, und ich, Paulus, bin sein Diener geworden.
Manchmal erscheint uns das schwer. Besonders Menschen, die in christlichen Familien aufgewachsen sind – im besten Sinne – haben oft Schwierigkeiten, so stark zwischen dem Einst und Jetzt zu unterscheiden.
Wenn jemand im Atheismus aufgewachsen ist und mit Alkohol, Drogen, Gewalt und einem gottlosen, unmoralischen Leben gelebt hat und sich dann bekehrt, kann er Geschichten erzählen, bei denen jeder den krassen Gegensatz zwischen einst und jetzt sieht. Das ist zwar so, und wir sollten dankbar sein, wenn wir Eltern hatten, die uns Jesus wichtig gemacht haben und wir unsere Kindheit in der Geborgenheit von Mutter und Vater erleben durften, die Jesus geliebt haben.
Natürlich ist man, wie ein ungeborenes Kind im Mutterleib, im Glauben der Mutter an Jesus, wenn sie an Jesus glaubt, hineingehört. Solange wir unmündige Kinder sind, sind wir im Glauben unserer Eltern mit hineingenommen, wenn diese an Jesus glauben und ihn lieben.
Aber das ändert nichts daran, dass irgendwann der Punkt kommt, an dem man mündig wird. Manchmal ist das ein sehr schmerzhafter Prozess der Abnabelung, des Widerstands und ganz anderer Wege.
Keiner wird als Christ auf Dauer in dem Sinne geboren, dass er es automatisch bleibt. Also muss man irgendwann eine Entscheidung treffen: So will ich Jesus folgen.
Es ist jedoch so, dass wenn man diese Kostbarkeit nicht erlebt hat, wirklich geborgen zu sein im Glauben jesusgläubiger Eltern, dann ist der Unterschied auch in den praktischen Lebensäußerungen größer.
Aber auch bei den fromm sozialisierten Menschen, sage ich mal so, gibt es ein Einst und Jetzt. Dabei kommen uns Worte wie: Wir waren eher als früher fremd und feindlich gesinnt.
Wenn Ihnen das zu stark vorkommt, machen Sie sich Folgendes klar: Man kann einem Menschen feindlich gegenüberstehen, indem man ihn beschimpft, bespuckt oder ihm Böses tut. Man kann einen Menschen aber auch wie ein Nichts behandeln. Du gibst es für dich, gib es für mich nicht. Das ist die tiefste Verletzung und Beleidigung eines Menschen, obwohl man ihm gar nichts Böses tut. Man tut nur nichts Positives ihm gegenüber. Du gibst es für mich nicht.
Übertragen Sie das auf unser Verhältnis zu Gott: Wie schnell passiert das, besonders wenn man traditionell aufgewachsen ist – im besten Sinne traditionell in einem christlichen Zuhause. Wie schnell macht man Traditionen mit, und dagegen zu sein, ist viel zu mühsam. Man hat viele Vorteile, wenn man mitschwimmt in diesem Klima. Dann sind alle glücklich. Wenn man opponiert, bekommt man Ärger, Diskussionen und nur Kopfschmerzen.
Ganz schnell wird man so zum Mitläufer und macht mit, ohne dass Gott eine wirkliche Bedeutung hat. Es kommt immer dann zum Bruch, wenn Gott oder sein Wort etwas sagt, was mir querkommt, was mich nicht bestätigt oder mein Verhalten kritisiert. Dann blendet man ihn aus. Das heißt, er ist mir fremd, und ich verhalte mich feindlich.
Das meint die Bibel, wenn sie sagt: Sünde heißt, feindlich gesinnt zu sein.
Nun aber sind wir versöhnt. So brauchen wir das.
Das ist auch in meiner Biografie so gewesen. Ich hatte solche Eltern, sehr positiv. Dann kam ich zum Glauben in der Jugendarbeit und in der Zeit der Pubertät, als ich mich abgelöst hatte und merkte: Mache ich das jetzt alles nur wegen der Eltern oder mache ich es wirklich für mich?
Das war meine eigene Geschichte. Nachdem ich eine Entscheidung getroffen hatte, Jesus zu folgen wie einem Freund, habe ich noch zwei Jahre gebraucht, bis ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich spürte, was Sünde und Schuld sind. Dass ich verloren bin und dass Jesus für mich am Kreuz gestorben ist.
Ich erkannte, dass ich ihm nicht nur folge, weil er ein guter Freund ist, sondern weil er mein Retter ist. Ohne Jesus geht in meinem Leben nichts, weder in der Zeit noch in der Ewigkeit.
Dafür brauchte ich eine besondere Erfahrung. Ohne diese Erfahrung kommt niemand wirklich durch, dass er versöhnt ist durch den Tod des sterblichen Leibes.
Mit dem Ziel will ich jetzt kurz etwas sagen: Er will uns untadelig und makellos vor seinen Angestellten darstellen. Da fragen wir uns: Kann man das überhaupt sein, wenn man nur im Glauben bleibt? Er sagt ja. Durch die Vergebung der Sünden werden wir so, als hätten wir nie eine Sünde getan.
Dazu komme ich in den nächsten Tagen noch einmal zurück und erkläre, was das bedeutet. Paulus nennt eine Bedingung: "Wenn ihr nur im Glauben bleibt, gegründet und fest." Man muss zwei Dinge zusammenhalten.
Die Versöhnung ist universal, hundertprozentig und hat kosmische Gültigkeit. Die Rechnung lautet nicht: Jesus ist am Kreuz für uns gestorben, er hat den einen Teil getan, und wenn du jetzt glaubst, kommen die letzten 0,5 dazu und dann bist du gerettet. Nein, Jesus hat alles getan. Auch 2. Korinther 5,19 sagt: "Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst." Da steht ausdrücklich "Kosmos", also eine abgeschlossene Handlung der Vergangenheit. Er hat die Welt mit sich selbst versöhnt – das ist der ganze Kosmos, das Ganze.
Hier steht ausdrücklich, dass er versöhnt hat. Vorher haben wir das gelesen: Himmel und Erde, in der sichtbaren und unsichtbaren Welt. Einige sagen natürlich: Dann ist ja alles gut, dann wird schon alles gut sein. Paulus ist der Meinung: Genauso wie die hundertprozentige Versöhnung gilt, gilt jetzt auch hundertprozentig, wer es annimmt, im Glauben wird gerettet.
2. Korinther 5 sagt, Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst. Das ist ja alles in Ordnung. Aber darum bitten wir an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott. Man kann auch darauf spucken und geht dadurch in Ewigkeit verloren.
Das ist die Dialektik, wie in der Bibel gedacht wird. Wenn das eine ist – wenn die Versöhnung so universal ist –, dann ist doch klar, dass es auf mich nicht mehr ankommt. Es ist ja besser, wenn ich es glaube, aber letzten Endes kommt es nicht darauf an. Nein, es hängt alles am Glauben.
Paulus erwähnt das hier nur knapp und kurz und rechnet damit, dass die Leute in Kolossä im Glauben nicht bleiben, nicht gegründet und nicht fest sind, und dass sie von der Hoffnung des Evangeliums abweichen, das sie gehört haben und das allen Geschöpfen gepredigt worden ist.
Aber das Dominierende und Einladende ist: Es gilt alles universal, da fehlt nichts. Deshalb braucht niemand Sorge zu haben, es würde ihn nicht erreichen – außer er meint, er braucht es nicht. Wenn jemand so denkt, wird Gott ihn dabei ernst nehmen. Denn Gott hat uns geschaffen zu Ebenbildern und nicht zu Marionetten.
Wir sind die einzigen Geschöpfe im Universum, zu denen Gott spricht und die eine Antwort geben können. Wort und Antwort bedeuten Verantwortung. Das Weltgericht ist die letzte Garantie für die Menschenwürde, wo Gott sagt: So habe ich dich geschaffen, das meinte ich ernst. Was hast du gemacht mit meiner Liebe, mit meinem Angebot?
Deshalb ist es so nötig, dass ihr gehört habt, dass es allen Geschöpfen gepredigt worden ist – auch im Himmel. Sein Diener bin ich geworden, Paulus. Deshalb werden wir im nächsten Gespräch darüber reden, wie dringend die Arbeit der Verkündigung ist.
Lass uns beten.
Ach Herr, wir preisen Dich und beten Dich an, Du, der Du alles in allem bist. Du hast das Sichtbare und das Unsichtbare geschaffen. Nicht nur hast Du es geschaffen, sondern Du erhältst es auch. Du bist das Ziel von allem, und alles läuft auf Dich zu.
So fülle unser Leben neu mit dieser Würde und Kraft. Stärke uns, damit wir Dir dienen und Dir die Ehre geben. Hilf jedem, an seinem Platz das zu tun, was Du von uns erwartest. Lass uns bauen und bewahren in Deiner Schöpfung.
Danke, dass Du uns nicht überforderst. Danke auch, dass Du uns nicht wegwirfst, weil Du uns nicht brauchst. Du willst uns gebrauchen, weil Du uns so sehr liebst.
Hilf uns, Herr, präge Du uns, damit nichts anderes uns prägen kann.