Einleitung und Schlüssel zum Verständnis der Simson-Geschichte
Hier zeigt sich in gewisser Weise ein Schlüssel zum Verständnis der Simson-Geschichte.
Bevor wir darauf eingehen, möchte ich mit einer kleinen Begebenheit einleiten. Es ist schon einige Jahre her, da strandeten in einer kleinen Bucht dreihundert große Wale. Zoologen untersuchten den Vorfall und kamen zu dem Ergebnis, dass die Wale im blinden Eifer einen Schwarm Sardinen gejagt hatten. Dabei gerieten sie in zu flaches Wasser. Das Ende war eine Katastrophe: Dreihundert Wale strandeten.
Wir werden heute sehen, dass es Simson im Grunde ähnlich erging.
Lesen wir noch einmal Richter 13,5: Dort heißt es, dass durch den Engel, der den Eltern von Simson erschien, Folgendes angekündigt wird: „Denn siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären. Ein Schermesser soll nicht auf sein Haupt kommen, denn der Junge soll ein Naziräer Gottes sein, ein Gottgeweihter von Mutterleib an. Er wird anfangen, Israel aus der Hand der Philister zu retten.“
Simson sollte also ein Gottgeweihter sein. Das war Gottes Wunsch für sein Leben.
Das Nasiräer-Gelübde im Alten Testament
Bitte schlagt noch eine Stelle im Alten Testament auf, 4. Mose, Kapitel 6. Wir haben das letzte Woche nur kurz erwähnt, aber nicht gelesen. Das müssen wir heute zugrunde legen.
4. Mose, Kapitel 6, die ersten acht Verse enthalten das Gesetz über einen Abgesonderten, eben über diesen Nasir oder Nasiräer.
4. Mose 6, Vers 1: Der Herr redete zu Mose und sprach: "Redet zu den Söhnen Israel und sagt ihnen, wenn jemand, ein Mann oder eine Frau, etwas Besonderes tut, indem er das Gelübde eines Naziräers gelobt, um für den Herrn geweiht zu sein. Dann soll er sich des Weins und des Rauschtranks enthalten. Essig von Wein und Essig von Rauschtrank soll er nicht trinken, und keinerlei Traubensaft soll er trinken. Auch Trauben, frische oder getrocknete, soll er nicht essen, nicht einmal Rosinen, getrocknete Trauben.
Alle Tage seiner Weihe soll er von allem, was vom Weinstock bereitet wird, von den Kernen bis zu den Schalen, nichts essen. Alle Tage des Gelübdes seiner Weihe soll kein Schermesser auf sein Haupt kommen. Bis die Tage erfüllt sind, die er sich für den Herrn geweiht hat, soll er heilig sein. Er soll das Haar seines Hauptes frei wachsen lassen.
Alle Tage, die er sich für den Herrn geweiht hat, soll er noch ein Drittes nicht tun: Er soll sich keiner Leiche nähern. Wegen seines Vaters und wegen seiner Mutter, wegen seines Bruders und wegen seiner Schwester – auch ihretwegen – soll er sich nicht unrein machen, wenn sie sterben. Denn die Weihe seines Gottes ist auf seinem Haupt. Alle Tage seiner Weihe ist er dem Herrn heilig."
Hier wird uns gesagt, dass Männer oder Frauen in Israel dieses Nasirea-Gelübde auf sich nehmen konnten. Und zwar freiwillig, wenn jemand das tun wollte – als Dank für eine bestimmte Sache oder aus einem anderen Grund. Dann musste er sich allerdings an diese Dinge halten, die wir gerade gelesen haben.
Er sollte nichts vom Weinstock zu sich nehmen, keine Rauschmittel. Das bedeutet keine Zügellosigkeit, sondern er sollte einfach leben. Alles, was vom Weinstock geerntet wurde, war auch ein Symbol für ein gewisses Leben im Wohlstand. Wein trinken und die Frucht des Weinstocks genießen – das wird im Alten Testament oft gebraucht als Zeichen für Wohlstand. Wenn jemand unter seinem Weinstock und seinen Feigenbaum saß, hatte er seinen eigenen Besitz.
Dann Vers 5: Kein Schermesser sollte auf sein Haupt kommen. Das lange Haar war das äußere Zeichen seines Gelöbnisses. Daran sollte man es erkennen, zumindest beim Mann. Außerdem sollte er keine Toten berühren, wörtlich: nicht zu der Seele eines Toten hineingehen. Er sollte sich nicht durch den Kontakt mit Toten verunreinigen, also kultisch verunreinigen.
Diese drei Bereiche – warum sollte er, wenn er so ein Nazireer-Gelübde, so ein Gottesweihe-Gelübde auf sich nahm, diese drei Bereiche meiden? Nun, er sollte nicht der Sünde dienen, durch Zügellosigkeit im Trinken usw. Er sollte nicht sich selbst leben. Und er sollte sich auch nicht durch natürliche Bande abhalten lassen, Gott zu dienen.
Die Weihe Gottes war auf seinem Haupt. Er sollte ganz für Gott zur Verfügung stehen und mit seinem ganzen Leben zeigen: Ich gehöre Gott und ich diene ihm. So einer sollte auch Simson sein.
Simson als unwilliger Nasiräer und seine Verstöße
Ein Unterschied besteht bei dem Gelübde Simsons im Vergleich zu dem, was wir eben in 4. Mose 6 gelesen haben. Simson war eigentlich ein Nasir, ein Gottgeweihter. Fast könnte man sagen, wider Willen. Er konnte sich das nicht aussuchen; es wurde schon vor seiner Geburt bestimmt, dass er so einer sein sollte. Es kam nicht ganz freiwillig aus seinem eigenen Herzen. Über ihm lag das eher wie eine Last. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum er dieses Gelübde nicht wirklich erfüllt hat. Er hat es in allen Bereichen gebrochen, wie wir sehen werden.
Er sollte abgesondert sein vom Bösen, von der Sünde, vom rein weltlichen Leben. Er sollte völlig hingewandt sein zu Gott, sein Herz sollte ungeteilt bei dem Herrn sein. Er sollte Gott zur Verfügung stehen. Bei Simson bedeutete das, dass er sich für eine ganz bestimmte Aufgabe in den Dienst nehmen lassen sollte, nämlich Israel aus der Hand der Philister zu erretten. Diese waren damals die Feinde, die Israel stark dominierten.
Simson war dazu bestimmt, ein Nasir zu sein. Er sollte sich von allem Unreinen absondern und ganz für Gott zur Verfügung stehen. Doch er brach das Gelübde in allen Punkten.
Schauen wir in Richter 14,8-9. Darüber haben wir heute vor einer Woche lange nachgedacht. Dort gibt es die Geschichte, als er den Löwen zerrissen hatte. Das war in Ordnung; das konnte er tun. Der Löwe hatte ihn ja auch in gewisser Weise bedroht, und Simson zerriss ihn mit seiner starken Kraft. Das war okay. Aber als er zurückkam, hatte sich im Kadaver des Löwen ein Bienenschwarm eingenistet und Honig hineingelegt. Simson nahm davon, und das war nicht möglich, ohne mit dem Leichnam, mit dem Aas des toten Löwen in Berührung zu kommen.
Er sollte nichts Todes anrühren, doch hier tut er es schon zum ersten Mal, weil der Honig so verlockend war – der Honig aus dem Bauch des toten Löwen.
In Kapitel 15 lesen wir weiter. Das können wir jetzt nicht im Einzelnen verfolgen, das könnt ihr selbst nachlesen, wenn ihr wollt. Dort machte er einen Racheakt. Die Philister hatten seine Frau, die er in Timna sich genommen hatte, umbringen lassen. Daraufhin fing er dreihundert Füchse oder Schakale – das Wort kann auch beide Tiere bedeuten. Beide Tiere waren unrein. Was hat er mit den unreinen Tieren zu schaffen? Er fängt diese unreinen Tiere, bindet sie aneinander und jagt sie in die stehende Frucht der Philister. Alles wird angezündet.
In Richter 15,15 steht noch etwas Interessantes: „Und er fand einen frischen Eselskinnbacken, und er streckte seine Hand aus und nahm ihn, und er schlug damit tausend Mann.“ Wieder ein Gewaltakt des Simson: Er schlägt tausend Philister mit einem Eselskinnbacken. Aber fällt euch auf, wieder verunreinigt er sich mit dem Knochen eines toten Esels. Das sollte er nicht anrühren, und er macht es trotzdem.
Er verunreinigt sich aber auch noch auf andere Weise. Wenn man zurückgeht zu Richter 14,10, kann man das vielleicht in unseren Übersetzungen gar nicht so genau erkennen. Dort heißt es: „Und sein Vater ging zu der Frau hinab, und Simson veranstaltete dort ein Festmahl, denn so pflegten es die jungen Männer zu tun.“ Das ist die Hochzeit, die er mit der Philisterin in Timna feiert. Festmahl heißt es hier, ist aber geschönt übersetzt. Im Hebräischen steht dort, dass er ein Trinkgelage veranstaltete – ein Trinkgelage! Es ist sehr wahrscheinlich, dass Simson auch mitgetrunken hat. Er sollte sich enthalten von Rauschdrank, doch er veranstaltet ein Trinkgelage.
Am Ende, in Kapitel 16, verlor er auch das sichtbare Zeichen seiner Weihe, nämlich das lange Haar.
Gründe für Simsons Versagen und seine Schwäche für das andere Geschlecht
Ich habe darüber nachgedacht, warum Simson es nicht schaffte, wie ein Gottgeweihter zu leben. Warum gelang es ihm nicht? Wahrscheinlich gibt es viele Gründe.
Einen Grund haben wir letzte Woche bereits betrachtet: Simson tat sich schwer damit, Autorität anzuerkennen. Als ihm das Mädchen in Timna gefiel, hörte er nicht auf Gott, sondern wollte sie unbedingt haben. Gott hatte gesagt: Nein, keine Partner aus einem Volk, das nicht zum Volk Gottes gehört, also nicht von den Juden ist. Trotzdem tat er es. Er nahm sich von den Ausländern, von den Nichtjuden, die damals nicht zum Volk Gottes gehörten, ausgerechnet dieses Mädchen – und zwar von den Feinden Israels.
Wir finden dieses Verhalten auch heute immer wieder: Menschen, die gläubig sind oder es sein wollen und es auch bekennen, unterwerfen sich an diesem Punkt nicht Gottes Autorität. Stattdessen wählen sie einen Partner, der nicht Gott gehört, der Gott nicht liebt und im Grunde ohne ihn oder sogar gegen ihn lebt. Das kann man nicht rechtfertigen. Die Bibel sagt ganz klar, dass dies nicht nach Gottes Willen ist.
Simson hatte Probleme mit Autorität. Er hörte auch nicht auf seine Eltern, die ihn warnten. Sie meinten es gut, so wie auch die Ältesten und andere Leiter in der Gemeinde gut meinen, wenn sie Menschen warnen. Doch Simson hatte Probleme mit Autorität. Er hörte weder auf Gott noch auf die Autorität seiner Eltern.
Ein zweiter Grund, warum Simson sich so schwer tat, das Gelübde eines Gottgeweihten zu erfüllen, war, dass er keine Selbstdisziplin übte. Das werden wir heute besonders sehen: Simson übte keine Selbstdisziplin.
Er hatte eine große Schwäche für das andere Geschlecht. Zuerst heiratete er gegen die Ermahnung seiner Eltern eine Philisterin aus Timna. Simson fragte nicht nach den Grundsätzen Gottes, sondern wählte nur nach dem Äußeren: „Diese gefällt mir, die nehme ich.“
Dann ging er zu einer Hure nach Gaza, wie im 16. Kapitel, Vers 3 beschrieben. Was hat ein Gottgeweihter bei einer Hure zu suchen? In Kapitel 16, Verse 1 bis 3 steht: Simson ging nach Gaza, sah dort eine Hure und ging zu ihr hinein. Das berichtete man den Gazitern und sagte: „Simson ist hierher gekommen.“ Daraufhin lauerten sie ihm auf und so weiter.
Simson geriet dadurch in große Schwierigkeiten. Doch noch einmal gelang es ihm zu entkommen. Er packte die Flügel des Stadttores mit beiden Pfosten (Vers 3), riss sie aus und legte sie auf seine Schultern. Dann trug er sie auf den Gipfel des Berges, der nach Hebron liegt.
Übrigens ist das sportlich gesehen wahrscheinlich die größte Leistung, die es je in der Menschheitsgeschichte gegeben hat. Er trug dieses Stadttor dreißig bis sechzig Kilometer durch die Gegend. Das muss man sich mal vorstellen!
Eine unglaubliche Kraft, aber seinen Geist beherrschte er nicht. Die Sprüche sagen: Es ist besser, jemand beherrscht seinen Geist, als dass jemand eine Stadt erobert. Simson hatte unbändige Kräfte, aber er konnte sie nicht bezwingen. Er konnte keine Selbstdisziplin üben, hatte sich selbst nicht in der Gewalt und unter Kontrolle.
Und schließlich verliebte er sich in Delilah.
Die Verführung durch Delilah und der Verlust der Kraft
Richter 16, Vers 4: Danach gewann Simson eine Frau im Tal Sorek lieb. Ihr Name war Delilah. Erinnert ihr euch an die großen Wale, die blindlings den kleinen Sardinen nachgeschwommen waren und gestrandet sind? Hier sehen wir ein ähnliches Bild. Simson hatte auch immer so ein paar Sardinen, hinter denen er herschwamm. Dann ging es auf trockenes Land, und dort musste er stranden. Simson und Delilah.
Delilah heißt auf Deutsch „die Leidenschaftliche“ oder „die Schmachtende“. Man sieht hier, was für ein Gespann das ist: der Gottgeweihte und die Verführerin. Die Geschichte von Simson und Delilah ist eine der bekanntesten Geschichten der ganzen Bibel. Ihre Mischung aus Liebe, Sex, Gewalt und Verrat enthält alle klassischen Elemente der Tragödie. Deshalb wurde diese Geschichte oft nachgespielt, verfilmt, in Liedern besungen und ist in die gesamte Literatur der Weltgeschichte eingegangen: Simson und Delilah.
Delilah ist hier ein Bild der Verführung zum Bösen. Nicht die Frau an sich wird in der Bibel als Symbol für Verführung gebraucht, sondern eine bestimmte Art von Frau, nämlich die zuchtlose Frau. Sie ist in der Bibel ein Bild für die böse Macht, die uns von Gott wegbringen will. Es gibt eine andere Gestalt, die in ähnlicher Weise gebraucht wird: die Säbel. Sie wird ebenfalls als Bild für Verführung verwendet.
Der Gottgeweihte ist bedroht – damals und heute. In dieser gefallenen Welt gibt es Kräfte, die uns von Gott wegziehen wollen. Luther nannte diese Kräfte Chaosmächte: Sünde, Tod, Teufel, Hölle und Welt. Das sind die Mächte, die uns von Gott wegbringen wollen. Sünde, Tod, Teufel, Hölle und Welt ziehen uns weg. Diese Kräfte wollen den Gottgeweihten binden.
Lesen wir Vers 5: „Da gingen die Fürsten der Philister zu ihr hinauf und sagten zu ihr: Betöre ihn, und erfahre, wodurch seine Kraft so groß ist und wie wir ihn überwältigen können, damit wir ihn binden und bezwingen.“ Diese Kräfte wollen den Gottgeweihten binden. „Betöre ihn! Was ist das Geheimnis seiner Kraft? Wir wollen ihn binden, wir wollen ihn bezwingen!“
Schaut, ein Gottesmensch, der in der Kraft Gottes lebt, kann eigentlich nicht bezwungen werden. Der Epheserbrief sagt uns: „Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke.“ Wenn wir in der Kraft des Herrn leben, können wir nicht bezwungen werden. Aber keiner von uns lebt vollkommen in der Kraft Gottes – das ist unser Problem. Erst wenn wir uns betören lassen und unsere Kraft verlieren, können wir gebunden und bezwungen werden. Das ist natürlich die Strategie des Feindes auch bei uns.
In Vers 6 lesen wir: „Wir wollen dir jeder elfhundert Schekel Silber geben.“ Da sagte Delilah zu Simson: „Vertrau mir doch an, wodurch deine Kraft so groß ist und womit man dich binden muss, um dich zu bezwingen.“ Vertrau mir doch dein Geheimnis an, sagt sie, und damit legt sie ihm Worte in die Ohren.
Vers 7: Simson sagte zu ihr: „Wenn man mich mit sieben frischen Sehnen bindet, die nicht ausgetrocknet sind, dann werde ich schwach werden und wie ein anderer Mensch sein.“ Sieben frische Sehnen.
Vers 10 bis 12: Da sagte Delilah zu Simson: „Siehe, du hast mich getäuscht und Lügen zu mir geredet. Vertrau mir doch jetzt an, womit man dich binden muss.“ Er sagte zu ihr: „Wenn man mich ganz fest mit neuen Stricken bindet, mit denen keine Arbeit getan worden ist, dann werde ich schwach werden und wie ein anderer Mensch werden.“ Also neue Stricke – die Bindung wird schon dicker. Zuerst nur sieben Sehnen, jetzt neue Stricke.
Lesen wir Vers 13 und 14: Da sagte Delilah zu Simson: „Bisher hast du mich getäuscht und Lügen zu mir geredet. Vertrau mir doch endlich an, womit man dich binden muss.“ Er sagte zu ihr: „Wenn du sieben Haarflechten meines Kopfes mit den Kettfäden am Webstuhl verwebst.“ Und sie machte das so. Und immer wieder rief sie den Ruf: „Philister, über dir, Simson!“ Hier sind wir jetzt schon ganz nah dran. Das äußere Zeichen seiner Gottesweihe ist schon im Gespräch, und der Countdown läuft weiter.
Vers 15 bis 17: Hier sehen wir, wie steter Tropfen den Stein höhlt. Da sagte sie zu ihm: „Wie kannst du sagen, ich habe dich lieb, wo doch dein Herz nicht mit mir ist? Dreimal hast du mich jetzt getäuscht und mir nicht anvertraut, wodurch deine Kraft so groß ist.“ Und es geschah: Als sie ihn alle Tage mit ihren Worten bedrängte und ihn plagte, wurde seine Seele es zum Sterben leid. Er vertraute ihr sein ganzes Herz an.
Er verrät sein Geheimnis seiner Gottesweihe, warum er Kraft hatte. Er sagte zu ihr: „Nie ist ein Schermesser auf mein Haupt gekommen, denn ein Naziräer Gottes bin ich von Mutterleib an. Wenn ich geschoren werde, dann weicht meine Kraft von mir, und ich werde schwach wie jeder andere Mensch.“ Und genau das geschah natürlich.
Lesen wir auch den Rest, Vers 18 bis 21: Als Delilah sah, dass er ihr sein ganzes Herz anvertraut hatte, sandte sie hin und rief die Fürsten der Philister. Sie ließ ihnen sagen: „Kommt herauf, denn er hat mir sein ganzes Herz anvertraut.“ Das merkte sie sofort. Da kamen die Fürsten der Philister zu ihr herauf, und in ihrer Hand brachten sie das Geld mit – den Judaslohn. Sie ließen ihn auf ihren Knien einschlafen, dann rief sie den Mann und ließ die sieben Haarflechten seines Hauptes abscheren.
So begann sie, ihn zu bezwingen, und seine Kraft wich von ihm. Sie sagte: „Viel ist da über dir, Simson.“ Da wachte er auf von seinem Schlaf und sagte: „Ich werde davonkommen, wie es mir schon manches Mal gelang, und mich freischütteln.“ Dann kommt der erschütterndste Satz: Er wusste aber nicht, dass der Herr von ihm gewichen war.
Die Philister packten ihn, stachen ihm die Augen aus und führten ihn nach Gaza hinab. Dort banden sie ihn mit ehernen Fesseln, und er musste im Gefängnis die Mühle drehen – bis dahin. Hier sehen wir: Am Ende wich der Herr von ihm, und auch seine Kraft. Das ist nämlich identisch: Der Herr ist unsere Kraft. Der Herr selbst – in uns ist keine Kraft.
Die Gefahr eines kraftlosen Christentums und die Folgen von Kompromissen
Ihr Lieben, gebe Gott, dass niemals über unserem Leben stehen muss. Er wusste aber nicht, dass der Herr von ihm gewichen war und dass es zu einem kraftlosen Christentum kommt.
Dass wir keine Selbstdisziplin haben, kein Überwinderleben, dass wir gebunden werden können – zuerst mit kleinen goldenen Fädchen, und dann werden die Bindungen immer dicker und immer dicker. Am Ende sind es eiserne Fesseln. Lesen wir hier in der Simson-Geschichte: frische Sehnen in Vers sieben, neue Stricke in Vers elf, verwebte Haarflechten in Vers dreizehn, metallene Doppelfesseln in Vers 21.
Mit diesen schlichten Bildern beschreibt die Bibel das Wesen der Sünde, der Verführung und des Teufels. Sünde bindet, und der Herr Jesus sagt: Wer Sünde tut, der ist der Sündeknecht.
Wir dürfen uns nicht an Sünde gewöhnen, weder an Unversöhnlichkeit – dass es irgendwelche Leute gibt, mit denen wir nicht mehr reden, die wir nicht mehr grüßen, die wir am liebsten auf den Mond schießen würden ohne Rückfahrkarte, mit denen wir nichts mehr zu tun haben wollen, die für uns gestorben sind oder so.
Wir dürfen uns nicht an Unmoral gewöhnen, in keiner Form, auch nicht an Lüge, an Geiz, an Heuchelei, an versteckte Geldliebe. Sünde ist Sünde und muss ans Licht und unters Kreuz. Dort werden, neutestamentlich gesprochen, die Fesseln gelöst – nur unter dem Kreuz Jesu Christi.
Das Geheimnis der Kraft und die Bedeutung der Gottesweihe heute
Wollen wir uns noch eine Sache anschauen, bevor wir uns dem Ende der Geschichte nähern? Simson verlor seine Kraft, als er das Geheimnis seiner Gottesweihe preisgab. Die Frage ist: Was ist das Geheimnis unserer Kraft heute? Und wie bewahren wir diese Kraft? Negativ ausgedrückt: Wie verlieren wir diese Kraft?
Schaut, Simson war ein Gottgeweihter. Er sollte nicht der Sünde dienen, nicht sich selbst leben und sich nicht durch natürliche Bande hindern lassen, Gott zu dienen. Er sollte Gott zur Verfügung stehen, der Herr sollte sein Lebensinhalt sein.
Im Alten Testament gab es nur sehr wenige Naziräer, von denen wir in dieser Weise hören. Simson war einer, Samuel war einer, Hanna hatte ihn gottgeweiht, schon vor seiner Geburt, und Johannes der Täufer war ebenfalls ein solcher Naziräer. Es gab einige wenige. Im Neuen Testament ist das anders.
Wisst ihr, dass eigentlich jeder Christ ein Gottgeweihter sein soll, ohne dass wir in dieser Weise ein Gelübde erfüllen und halten müssen? Das Neue Testament sagt uns eigentlich, dass jeder, der die Erlösung Jesu Christi erfahren hat, der freigemacht worden ist von der Sünde und herausgerettet ist aus einem verlorenen und weltlichen Leben, jetzt einer sein soll, der seinem Herrn durch Liebe, in der Liebe und Dankbarkeit dient.
Wir wollen doch nicht mehr der Sünde dienen, wir wollen nicht mehr uns selbst leben. Die Beziehung zu unserem Herrn soll Vorrang haben vor allen anderen Verbindungen. Wir wollen Gottgeweihte sein. Unser Leben soll dem Herrn gehören und ihn verherrlichen. Wir sind also im gewissen Sinne neutestamentliche Naziräer.
Darf ich an der Stelle mal so fragen: Ist das so? Kann das jeder von uns so nachsprechen? Ist der Herr Jesus deine Freude und deine Kraft? Ist er dein Leben geworden? Hat er dir sein Auferstehungsleben geschenkt? Lebt er sein Leben in dir? Bist du ein Gottgeweihter, dann lebe diese Weihe in der Liebe Christi und in der Kraft des Heiligen Geistes.
Pass auf, dass du deine Weihe nicht verlierst. Wir verlieren unsere Kraft nämlich genau auf dieselbe Weise wie Simson: durch Kompromisse mit der Sünde, durch Selbstleben und durch Selbstherrlichkeit.
Aber auch wir als Christen, als Ganzes – die gesamte Gemeinde Jesu Christi – sind Gottes Werkzeug in dieser Welt. Und die Gemeinde als Ganzes oder auch eine örtliche Gemeinde, wie sie hier in Hünfeld sich versammelt, kann ihre Kraft verlieren.
Die Frage ist: Wie kann eine ganze Gemeinde ihre Kraft verlieren? Nun, auf dem gleichen Weg. Auch in eine Gemeinde können sich Kompromisse einschleichen. Man kann anfangen, gewisse Dinge zu erlauben und zu dulden im Gemeindeleben. Ich will hier nicht zu sehr ins Detail gehen, ich glaube, wir können uns das alle vorstellen.
Aber es kann schon damit anfangen, dass die Gemeinde einen Kompromiss eingeht, indem sie sich mit dem Staat verbündet. Dieses unselige Bündnis von Staat und Kirche, von Thron und Altar – zeigt uns nicht die Kirchengeschichte, dass im vierten Jahrhundert nach Christus das Christentum sehr schnell degenerierte, nachdem die Christen mit dem damaligen römischen Staat ein Bündnis eingegangen waren? Es wurde ein saft- und kraftloses Christentum.
Doch der Herr hat auch in diesem Christentum immer wieder Menschen erweckt und ganze Gemeinden erweckt und herausgerufen. Es ist immer die gleiche Ursache wie bei Simson: Wenn die Gemeinde ihre Gottesweihe aufgibt, ihre Absonderung von der Welt, ihre völlige und alleinige Abhängigkeit von Jesus Christus, dann verliert sie ihre Kraft wie Simson.
Vielleicht merkt die Christenheit auch nicht, dass der Herr von ihr gewichen ist. Denn in der Christenheit ist der Herr nicht. Der Herr ist in den Menschen, die ihn in ihr Leben aufgenommen haben, die ihm den Platz gegeben haben, der ihm gebührt, die ihn Herr sein lassen. Und er ist auch in den Gemeinden, die ihn wirklich Herr sein lassen und ihm diesen Platz einräumen, der ihm gebührt.
Herausforderungen der heutigen Gemeindelandschaft und der Auftrag der Gemeinde
Machen wir noch einen kurzen Sprung in unsere Zeit. Die Gemeindelandschaft um uns herum verändert sich – eigentlich mit Lichtgeschwindigkeit, muss ich sagen.
Heute gibt es viele evangelikale Gemeinden. Dabei stehen Gemeindewachstumsmanagement, besucherfreundliche Gottesdienste, christliches Theater, psychologische Gemeindeberatung, mehr Spaßfreizeiten, christliche Tanzkurse mit Tanz bis zur Morgenandacht und vieles mehr auf dem Programm.
Die Frage ist: Wo gibt es noch kraftvolles Christentum? Gibt es das hier unter uns? Können wir sagen: Herr, wir wollen den Auftrag der Gottesweihe nicht verlieren, weder als Einzelne noch als Gemeinde?
Und wenn rund um uns herum die Gemeinden alle möglichen absurden Dinge tun, wollen wir uns nicht mit anderen vergleichen. Stattdessen wollen wir bei deinem Wort bleiben und bei deinen Grundsätzen. Was wir erkannt haben, wollen wir auch mit deiner Hilfe leben.
Das wäre wichtig für uns, dass wir als Gemeinde das auch erkennen. Wir haben einen Auftrag in dieser Welt. Das Heil der Gemeinde liegt nicht darin, sich anzupassen und so zu sein wie die Welt. Das Heil unseres Lebens liegt auch nicht darin, wenn Christen so sein wollen wie die Welt.
Vielmehr liegt das Heil darin, dass wir anders sind als diese Welt und dass unsere Gemeinde anders ist als die Dinge, die wir in dieser Welt finden.
Der letzte Höhepunkt der Simson-Geschichte und der Hinweis auf Christus
Lasst mich schließen, indem ich noch etwas sehr Schönes zum Ende erwähnen darf, nämlich die Simson-Geschichte, die ja noch einen gewissen Höhepunkt hat – einen positiven Höhepunkt.
Simson wurde trotz all seines vielen Versagens noch einmal in großartiger Weise von Gott gebraucht. Ihr wisst es: Er riss noch einmal die Säulen ein, als die Philister ein großes Fest feierten. Dreitausend Leute waren oben auf einem Dach, das auf Säulen getragen wurde. Simson nahm in seiner Kraft die Mittelsäulen und riss sie ein. Dabei kamen noch einmal dreitausend Philister, also dreitausend Feinde Gottes, um. So erreichte er wahrscheinlich in seinem Tod mehr für das Reich Gottes als in seinem ganzen Leben.
Mit dieser Handlung, die am Ende der Philister-Geschichte beschrieben wird (Kapitel 16, Vers 25 und folgende), haben wir es im Grunde noch einmal mit einem Hinweis auf unseren Herrn Jesus Christus zu tun. Auch Jesus erreichte in seinem Tod das Wesentliche, den eigentlichen Auftrag seines Lebens. Denn er hat in seinem Tod die Sünde, die Hölle, den Tod, den Teufel und die Welt besiegt – die Chaosmächte. So wie Simson die Säulen einriss, besiegte Jesus Sünde und Tod an seinem Sterben, dort am Kreuz von Golgatha.
In gewisser Weise ist Simson somit noch einmal ein schwacher Hinweis auf unseren Herrn Jesus Christus, der den größten Sieg vollbracht hat – in seinem Sterben und natürlich in seiner Auferstehung.
Aber wie war das möglich, dass Simson doch noch einmal eine solche Kraft bekam? Er, der so versagt hatte, der sich so verunreinigt hatte mit all den Dingen, die wir vorhin aufgezählt haben. Wie bekam er noch einmal diese Kraft?
Das Geheimnis lesen wir in Kapitel 16, Vers 22: „Aber das Haar seines Hauptes begann wieder zu wachsen, nachdem es geschoren worden war.“
Dieser Satz ist mir in der Simson-Geschichte sehr tröstlich geworden. Das Haar begann wieder zu wachsen – das heißt, Gottes Gnade war noch nicht zu Ende mit ihm. Obwohl er so versagt hatte, obwohl er in die Gewalt der Feinde gekommen war, obwohl sie ihn kahlgeschoren hatten, obwohl sie ihm die Augen ausgestochen hatten und er die Mühle bei den Philistern drehen musste – immer noch war Gottes Gnade da. Das Haar wuchs wieder und er wurde doch noch einmal von Gott gebraucht.
Bei der Vorbereitung dachte ich mir: Vielleicht ist auch jemand hier heute Morgen, der sich wie Simson fühlt. Weil er in letzter Zeit oft versagt hat in seinem Leben, weil ihm die Gottesweihe abhandengekommen ist, weil er unter die Räder geraten ist, weil die Sünde ihn gebeutelt hat. Und er denkt sich: Wie soll Gott noch etwas mit meinem Leben anfangen?
Doch hier sehen wir die Gnade Gottes im Leben Simsons – das Haar wuchs wieder. Und auch bei dir, mein lieber Bruder oder meine liebe Schwester, kann das Haar wieder wachsen, bildlich gesprochen. Das heißt: Gott hat noch Gnade und er kann auch dich noch gebrauchen.
Voraussetzung ist, dass du Buße tust – über deine falschen Wege, über deinen Ungehorsam, über deine Sünde –, dass du Buße tust und dich neu zur Verfügung stellst. Dann kann der Herr dich wieder gebrauchen.
Simson im Neuen Testament und die Bedeutung der Gnade
Nun aber wirklich der Schluss: Ich möchte damit enden, euch darauf hinzuweisen, dass wir noch einmal von Simson im Neuen Testament lesen. In Hebräer 11, Verse 32 und 33, in dem großen Kapitel über die Glaubenshelden des Alten Bundes, wird tatsächlich auch Simson erwähnt.
Dort heißt es: „Die Zeit würde mir fehlen – mir fehlt sie jetzt auch –, ich kann nicht mehr ausführlich darauf eingehen, wenn ich von Gideon und Barak und Simson und Jephtha und David und Salomo und den Propheten erzählen wollte, die durch Glauben Königreiche bezwangen.“ Am Ende finden wir also Simson unter den Glaubenshelden des Alten Testaments.
Wie war das möglich? Wurde nach seinem großen moralischen Versagen einfach darüber hinweggesehen oder totgeschwiegen? Nein, das ist die letzte Wahrheit, die wir noch aufnehmen wollen.
Wir sind dankbar für die vergebende Gnade Gottes in unserem Leben. Am Ende seines Lebens wird Simson aus der Perspektive der Ewigkeit betrachtet. Er wird so gesehen, als hätte er schon vor dem Richterstuhl Christi gestanden, als wären alle seine bösen Werke und seine Sünden bereits gerichtet worden. Übrig bleibt nur das, was er im Glauben getan hat, was Gott in ihm und durch ihn gewirkt hat.
Das wird hier am Schluss noch erkannt. So erkennen wir in Simsons Geschichte auch, wie es mit unserem Leben sein wird. Am Ende bleibt nur das, was der Herr Jesus in uns und durch uns getan hat. Die Gnade Gottes hat alles vergeben, was den Herrn nicht geehrt hat.
Doch lass uns auch bedenken, dass es zeitliche Folgen hat, wenn wir uns der Sünde hingeben und Kompromisse eingehen. Diese zeitlichen Folgen hatte Simson im Leben zu tragen. Dennoch brachte ihn die Gnade Gottes zum Ziel.
Schlussgebet
Wollen wir miteinander aufstehen und beten?
Himmlischer Vater, wir danken Dir auch heute Morgen für Dein Wort. Wir danken Dir, dass es so lehrreich ist. Auch im Alten Testament finden wir diese schlichten Geschichten, Herr. Sie haben uns so viel zu sagen.
Im Grunde müssen wir bekennen, dass in jedem von uns – auch in mir – ein Stück von diesem Simson steckt, ebenso ein Stück von der Delila, Herr. Jeder von uns ist in der Lage, andere zum Bösen zu verführen. Jeder kann die Gottesweihe aufs Spiel setzen.
Herr, vielleicht haben wir auch schon versagt, so wie Simson, sei es in der letzten Woche oder irgendwann anders. Danke, dass wir Deine Gnade sehen dürfen. Deine Gnade ist so groß: Sie kann vergeben, reinigen, neu in den Dienst stellen und wieder gebrauchen. Am Ende wird sie triumphieren.
Herr, lass uns aus der Geschichte von Simson lernen. Lass uns heute Morgen neu sagen, dass wir unser Leben aus Liebe und Dankbarkeit Dir, dem Erlöser von Golgatha, zur Verfügung stellen wollen. Bewahre uns vor Kompromissen mit der Sünde in jeder Form. Gib uns, dass wir ungeteilten Herzens bei Dir sind und gebrauche uns, um Deinen Auftrag in dieser Welt auszuführen.
Bewahre uns auch als ganze Gemeinde vor Kompromissen. Bewahre uns davor, Deine Grundsätze zu verlassen oder zu verleugnen. Hilf uns, als Versammlung hier in Hünfeld bei Dir und Deinem Wort zu bleiben. Das bitten wir von ganzem Herzen. Amen.