Persönliche Erfahrungen mit Gottesfurcht und Gottes Zorn
Gute Seiten an Gottes Zorn – so heißt mein Predigtitel heute. Und ihr merkt schon, es ist nicht das, worauf man gespannt ist nach all dem, was ich gerade gesagt habe oder was wir alle so gesungen haben.
Ich möchte euch mit einem Defizit bekannt machen, das mir in meinem eigenen Leben früh aufgefallen ist. Ich weiß, dass ich es ein Stück weit aus meiner Kindheit mitgenommen habe. Als Kind habe ich Erziehungsberechtigte tendenziell immer als aggressive Menschen erlebt, die wenig Interesse daran hatten, wie es mir wirklich geht. Mir war relativ früh klar, dass ich eigentlich kaum jemandem wirklich am Herzen liege.
Von daher kannte ich zwar Angst vor Gewalt – das war mir schon irgendwie ein Begriff –, aber wirkliche Furcht, diese Mischung aus Respekt auf der einen Seite und Ehrfurcht auf der anderen, die man einem Vater oder einer Mutter gegenüber hat, die es wirklich gut mit einem meint, habe ich in dem Sinn nie gelernt.
Dann bin ich Christ geworden und hatte relativ wenig Probleme mit der Aussage „Gott hat mich lieb“. Das hatte vorher keiner gesagt, insofern dachte ich: Na klar, wenn es dann einen gibt, der mich liebhat, wunderbar. Warum sollte man sich dagegen wehren? Man muss ja mal ganz nüchtern sagen: Ja, kriegst du umsonst, nimmst du mit.
Jetzt habe ich festgestellt, dass die Bibel Gott darstellt, wenn ich ihn mal auf zwei Kernbausteine reduzieren würde. Einerseits steht da: Gott ist Liebe. Andererseits gibt es eine zweite Seite, die heißt: Gott ist ein verzehrendes Feuer. Also nicht nur „Gott ist Liebe“, wie man das gerne denkt, sondern nach viel Mühe und viel Bibellesen bin ich inzwischen zum Schluss gekommen: Es ist wirklich so, wie es im Neuen Testament steht – „Gott ist Liebe und Gott ist ein verzehrendes Feuer“. Ein Bild für Heiligkeit, für Gericht, für das ernste, ernsthafte Moment Gottes.
Diese beiden Punkte, Liebe und Heiligkeit, treffen sich auf vollkommene Weise in der Person des Gottes, dem ich folge. Und jetzt, als ich das dann verstanden habe, merkte ich auch: Dieser zweite Punkt stellt für mich aufgrund meiner Herkunft ein Problem dar.
Irgendwann musste ich mir ehrlich eingestehen: Jürgen, es mangelt dir an Gottesfurcht. Damit meine ich, ich schaue mir meine Kinder an, die anders erzogen wurden. Sie haben erlebt, was es heißt, in dieser Spannung zu leben, in einer guten Familie groß zu werden, wo Liebe da ist – bedingungslose Liebe – und auf der anderen Seite auch klare Grenzen von einem Vater, der wirklich liebt, aber an der Stelle, wo eine Grenze ist, auch eine Grenze setzt und bereit ist, diese Grenze einzuhalten.
Ich sehe, wie meine Kinder mit Gott leben, und merke, dass ihnen zum Beispiel der Umgang mit Geboten viel leichter fällt als mir. Sie sagen: „Es ist ein Gebot, ja, kennen wir von zu Hause, ja, das macht man nicht, und gut ist das.“ Da ist etwas angelegt, eine innere Orientierung daraufhin.
Ich merke bei mir: Bei jedem einzelnen Gebot, das ich in der Bibel lese, wächst immer so ein kleiner Rebell in mir, der erst einmal „Nein“ schreit. Dann muss ich mit allem, was ich habe, dagegen ankämpfen und sagen: „Nee, das ist falsch, komm, mach das endlich, das ist gut für dich.“ Und ich komme nicht so einfach dahin, Gott in einer positiven Weise einfach mal zu fürchten und einfach mal zu tun, was er sagt, weil er ein ehrfurchtgebietender Gott ist.
Ich möchte heute über dieses merkwürdige Thema sprechen: Gute Seiten an Gottes Zorn. Denn mich belastet dieser Mangel, den ich habe. Er belastet mich, weil ich Gott folgen möchte, weil ich mit Gott leben möchte. Und weil ich merke, dass, wenn man Gott einseitig auf „Gott ist Liebe“ reduziert, bestimmte Dinge, gute Dinge im Leben einfach fehlen.
Ich habe nicht vor, hier eine Höllenpredigt zu halten, okay? Es geht mir um etwas ganz anderes. Es geht mir darum, euch zu schildern, wie ich selber in einem Defizit drinstecke, das ich noch nicht überwunden habe, aber merke, dass ich mich herausentwickeln möchte.
Ich möchte gerne selbst ein umfassendes Bild vom Charakter Gottes bekommen. Und ich merke, wenn ich dieses Thema an mich heranlasse – das Thema Zorn Gottes, die Seite Gottes, die wir eher als eine dunkle Seite bezeichnen würden, eine Seite, die man sich nicht so gerne anschaut –, dann stoße ich in der Bibel auf Geschichten, in denen diese Seite sich deutlich manifestiert.
Man bekommt fast ein schlechtes Gewissen dabei und möchte am liebsten gleich weiterblättern. Wenn man schon weiß, dass diese Geschichte kommt, liest man sie am liebsten gar nicht erst und denkt: „Nein, das passt irgendwie nicht zu dem Gott, dem ich folge.“
Und dafür, dass es doch zu ihm passt, will ich heute einfach meine Lanze brechen.
Ich habe euch sechs Punkte mitgebracht, die ich in der Bibel entdeckt habe. Vielleicht gibt es noch viel mehr. Ein Amerikaner, Kevin DeYoung, hat dazu etwas geschrieben, und er hat mich auf den Gedanken gebracht, überhaupt mal länger darüber nachzudenken. Von ihm habe ich einige Punkte übernommen – zumindest die, die ich für richtig hielt.
Vielleicht ist es für euch komisch, über dieses Thema nachzudenken. Aber geht mal mit mir ein Stückchen den Weg, okay?
Ich finde es ja auch merkwürdig, darüber zu predigen. Aber nachdem ich das letzte Mal über Humor gepredigt habe und wie viel Humor Gott hat, dachte ich mir: Ich kann auch mal das andere predigen. Dann ist das halbwegs ausgeglichen, und niemand wirft mir vor, ich sei immer nur der, der hier vorne mit den bösen Themen arbeitet.
Die Notwendigkeit eines klaren Blicks auf Gottes Zorn
Die Ehrlichkeit des Evangeliums bewahren
Also schauen wir uns das mal an. Wir brauchen einen klaren Blick auf Gottes Zorn, weil wir erstens ehrlich bleiben müssen im Blick auf das Evangelium.
Eine für mich sehr markante Geschichte findet sich in der Apostelgeschichte, Kapitel 24, Vers 25. Dort kommen Felix und Drusilla – nein, kein Witz darüber – zu Paulus. Sie bitten ihn, mit ihnen über das Evangelium zu sprechen.
Es heißt dann in Apostelgeschichte 24, Vers 24: „Nach einigen Tagen aber kam Felix herbei mit Drusilla, seiner Frau, die eine Jüdin war, und ließ den Paulus holen und hörte ihn über den Glauben an Jesus.“
Jetzt ist es total spannend, was Paulus an dieser Stelle predigt. Als er über Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit und das kommende Gericht redete, wurde Felix mit Furcht erfüllt. Er antwortete: „Für jetzt, geh hin; und wenn ich aber gelegene Zeit habe, werde ich dich rufen lassen.“
In der Präsentation des Evangeliums kommt also ein Punkt, an dem Paulus über Dinge spricht wie Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit – das heißt schlicht und ergreifend, dass man Sünden nicht tun soll – und ein kommendes Gericht, das auf die Menschen zukommt und alles andere als nett ist.
Der erste Punkt, den ich hier ansprechen möchte, bedeutet einfach: Wenn wir den Zorn Gottes nicht mehr glauben, wenn Gott diesen Aspekt nicht mehr in sich trägt, dann verliert das ganze Evangelium an Brisanz.
Dann können wir zwar darüber reden, wie sehr Gott die Welt geliebt hat, dass er seinen einzigen Sohn gab, um diese Welt zu retten. Und wir können uns auf dieses freundliche Angebot einlassen, das irgendwie all denen gilt, die glauben. Aber das Angebot selbst ist nur freundlich, nur nett, weil dahinter ein heiliger Gott steht, der sagt: Wenn du das ablehnst, wenn du das nicht haben willst, dann tut es mir zwar leid, aber für dich bleibt tatsächlich nur mein Zorn übrig.
Oder anders ausgedrückt: Das Liebesangebot Gottes, das Gottes Liebe wirklich ernst meint, ist nur deshalb von Relevanz, weil sein Zorn genauso ernst ist.
Ich glaube, wir werden dem Evangelium inhaltlich nicht gerecht, wie es hier geschrieben steht. Wir bleiben nicht ehrlich, wenn wir uns nicht ab und zu dieser Tatsache stellen: Das Evangelium ist die frohe Botschaft einer Rettung – einer Rettung vor dem Zorn Gottes. Und die Menschen, denen wir das Evangelium vorenthalten, müssen ehrlich damit konfrontiert werden, dass das kein Spaß ist, sondern unglaublich ernst.
Vergebung durch das Bewusstsein von Gottes Zorn
Zweiter Punkt: Wir brauchen einen klaren Blick auf den Zorn Gottes, um unseren Feinden vergeben und sie lieben zu können. Woher nehme ich das? Ich nehme es aus Römer 12.
Der Zorn Gottes ist der Grund, den der Apostel Paulus benutzt, um es uns leichter zu machen, unseren Feinden zu vergeben. Dort heißt es nicht nur, ihnen zu vergeben, sondern ihnen auch nichts nachzutragen und auf liebevolle Weise mit ihnen umzugehen.
In Römer 12, Vers 19 steht: „Rächt euch nicht selbst, Geliebte!“ Das ist ein Gebot – du sollst dich nicht rächen. Wenn du etwas gegen jemanden hast, wenn dir die Galle hochkommt oder du am liebsten eine scheuern würdest – oder machen wir es etwas einfacher, wir sind ja kultiviert – wenn du mit einem Schimpfwort mit einem anderen antworten möchtest, so nach dem Prinzip „Du hast, ich habe“, dann steckst du in dieser Geschichte drin.
Und wenn dir jemand wirklich wehgetan hat – denn wenn dir jemand nur sagt, du bist ein Arsch, das geht ja noch. Aber wenn dir jemand richtig weh tut, so sehr, dass du es nicht einfach mit einem Lächeln abtun kannst, wo es ganz tief geht – du lebst in einer Welt, in der das passiert, und es wird dir passieren. Sollte es dir nicht passieren, bist du die große Ausnahme.
Was machst du in dem Moment, in dem das passiert? Wie kannst du jemandem begegnen, der dir wirklich wehgetan hat, bei dem du nicht weißt, ob er überhaupt reuig ist? Wahrscheinlich ist das gar nicht der Fall, vielleicht ist die Person noch nicht einmal Christ. Wie kannst du dem begegnen?
Da hilft mir das, was hier steht: „Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorn.“ Der Zorn Gottes ist eine Macht, und ich darf diesem Zorn, dieser Macht, Raum geben.
„Gebt Raum dem Zorn, denn es steht geschrieben: ‚Die Rache gehört mir, ich will vergelten, spricht der Herr.‘“ Gott ist ein Gott, der die Rache übernimmt. Gott ist nicht nur im billigen Sinn der Liebe Gott, sondern er sagt: „Hey, ich garantiere dir, jede Sünde auf dieser Welt ist entweder am Kreuz gesühnt oder sie wird von mir geahndet.“
Das sind die beiden Optionen. Wenn du in eine Situation kommst, in der man dir wirklich wehgetan hat, dann kannst du die Gewaltspirale, in der Menschen oft gefangen sind, unterbrechen. Du kannst sagen: „Stopp, ich will mich nicht rächen, ich will anders leben, ich will das einfach nicht tun.“
Und wenn du dafür innere Stärke brauchst, dann kannst du daran denken, dass Gott sich um deinen Sinn für Gerechtigkeit kümmern wird. Du musst dich nicht rächen, weil Gott tatsächlich ein Rächer ist, ein zorniger Gott.
Mut zum Leben für Jesus durch das Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit
Dritter Punkt: Wir brauchen einen klaren Blick auf Gottes Zorn, um unser Leben für Jesus zu wagen.
Wenn man die Bibel liest, trifft man manchmal auf Figuren, die einem zunächst fremd oder ungewöhnlich erscheinen. Beim ersten, zweiten oder dritten Lesen denkt man sich: "Was sind das für Leute?" Solche finde ich zum Beispiel in Offenbarung Kapitel 6 bei den Märtyrern unter dem Thron – ganz merkwürdige Typen. Offenbarung 6,9-11 beschreibt sie so: „Und als es das fünfte Siegel öffnete, sah ich unter dem Altar die Seelen derer, die geschlachtet worden waren um des Wortes Gottes und um des Zeugnisses willen, das sie hatten.“
Diese Seelen befinden sich unter dem Thron, das heißt in der Gegenwart Gottes, dort, wo Gott regiert. Sie rufen mit lauter Stimme: „Bis wann, heiliger und wahrhaftiger Herrscher, richtest und rächst du nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen?“ Jedem von ihnen wurde ein weißes Gewand gegeben. Ihnen wurde gesagt, dass sie noch eine kurze Zeit abwarten sollten, bis auch ihre Mitknechte und Brüder vollendet seien, die ebenso wie sie getötet werden sollten.
Ich habe euch das oft gesagt: Beim Bibellesen gibt es diese Aha-Momente, in denen man etwas liest und denkt: „Hä? Da schreien Leute, 'räche mich!'“ Und dann kommt nicht die göttliche Antwort im Sinne von: „Was seid ihr denn für komische Heilige? Wisst ihr nicht, dass Gott Liebe ist? Rache wünschen, pfui, das macht man doch einfach nicht.“ Das steht da nicht. Dort steht: „Ey, wartet noch eine Weile.“
Wenn man weiterliest in der Offenbarung, weiß man, dass am Ende der Offenbarung tatsächlich der König der Könige in die Schlacht reitet. Er richtet sein Reich auf. Am Ende gibt es wirklich einen großen weißen Thron, vor dem all die ungläubigen Seelen gerichtet werden. Das sind die, die dagegen waren, die hier auf der Erde umgebracht haben und damit durchgekommen sind. Wie die Texte sagen, werden sie in den Feuersee geworfen. Das ist die Antwort Gottes auf das Blut der Märtyrer.
Warum also soll ich das Äußerste für Jesus und das Evangelium wagen? Wenn du sagst: „Aus Liebe“, dann bekommst du mein volles Ja. Ja, mach es aus Liebe! Gib alles, gib dein ganzes Leben für Gott, aus Liebe, aus Liebe für die Menschen, aus Liebe für Gott, aus Liebe für das Evangelium. Aber was machst du, wenn es Momente gibt, in denen du aus dieser Motivation heraus keinen Schritt mehr weitergehen kannst? Was machst du dann?
Ich lese euch einfach die schrecklichste Meldung vor, die ich jemals in meinem Leben in einer Zeitung gelesen habe. In der Welt, im Oktober 2006, schreibt Thomas Krapf, ein Nahost-Experte: Im Oktober 2006 wurde in Bagdad ein zwei Monate alter Säugling entführt. Es handelt sich um eine christliche Familie. Die Mutter konnte das Lösegeld nicht aufbringen. Enthauptet, geröstet und auf Reis gebettet wurde ihr die Leiche zugestellt.
Ich habe nie in meinem Leben eine grausamere Nachricht gelesen. Kannst du dir das vorstellen? Du machst die Tür auf, bist seit Wochen in Sorge um dein Kind, du weißt, du hast es nicht geschafft. Und dann siehst du: Du bist arm, jemand hat dir Essen gebracht, und obendrauf ist dein Kind geschlachtet – wie ein Tier geröstet. Soll ich dir was sagen? Den nächsten Schritt im Glauben gehst du nicht aus Liebe. Du tust es einfach nicht.
Wenn du noch einen Schritt weitergehst im Glauben, dann tust du es, weil du weißt: Im Himmel sitzt einer, der dieses Unrecht sieht, der die Mörder kennt und der sich darum kümmern wird. Ich weiß, dass wir nicht in dieser Situation leben. Deshalb fällt es uns so leicht, immer nur von Liebe zu sprechen. Aber ich habe mir, als ich das las, vorgestellt, wie es mir gehen würde. Und ich bin zu dem Schluss gekommen: Ich würde mir wünschen, dass Gott das Böse straft.
Vielleicht bin ich kein guter Christ in den Augen mancher. Vielleicht wirst du sagen: „Du bist viel zu alttestamentlich.“ Kann sein. Aber ich sage dir eins: Ich fühle mich ziemlich nahe verbunden mit Jesus an dieser Stelle. Zum Beispiel in Matthäus 23, wo Jesus seine Weherufe gegen die Pharisäer richtet. Diese Menschen verführten eine ganze Generation, führten sie in die Irre und verschlossen ihnen das Reich Gottes mit ihrem Leben und ihrer Lehre.
Jesus sagt dort Dinge wie: „Wehe aber euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler!“ (Matthäus 23,13). In Vers 15 heißt es: „Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler, denn ihr durchzieht Meer und Land, um einen Proselyten zu machen; und wenn er es geworden ist, macht ihr ihn zum Sohn der Hölle doppelt so schlimm wie ihr.“ In Vers 16: „Wehe euch, ihr blinden Führer!“ Und in Vers 29: „Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler! Denn ihr baut die Gräber der Propheten und schmückt die Grabmäler der Gerechten und sagt: Wären wir in den Tagen unserer Väter gewesen, so hätten wir uns nicht an dem Blut der Propheten schuldig gemacht. So gebt ihr euch selbst Zeugnis, dass ihr Söhne derer seid, welche die Propheten ermordet haben. Und ihr macht das Maß eurer Väter voll, ihr Schlangen und Otternbrut!“
Ich denke, es wird einen Punkt geben, an dem wir nur weitergehen können, wenn wir uns darüber im Klaren sind, dass Gott für das, was uns angetan wird, eintritt. Ich wünsche uns, dass wir in solche Momente kommen – Momente, in denen wir alles gewagt haben, in denen wir an der realen Schuld und Sünde dieser Welt zerbrechen, so wie Jesus zerbrochen ist. Er hat sich selbst ganz gegeben und konnte weitergehen, weil er wusste, dass das „Wehe“ nichts anderes als ein Fluchwort ist. Der Fluch Gottes liegt über denen, die ihn ablehnen.
Jesus ließ sich wirklich wie ein Verbrecher ans Kreuz schlagen, wehrte sich nicht, tat seinen Mund nicht auf – wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Denn er wusste, es gibt einen, der an seiner Stelle eintritt, der sich darum kümmert.
Heiligung durch Gottes Zorn als Motivation
Wir brauchen einen klaren Blick auf Gottes Zorn, um ein heiliges Leben zu führen. Versteht mich nicht falsch: Liebe soll die Motivation in deinem Leben bleiben. Aber vielleicht geht es dir ähnlich wie mir: Trotz aller Liebe kommt irgendwann ein Punkt, an dem die Motivation nachlässt.
Dann hilft es mir, zu wissen, was im Galaterbrief Kapitel 6, Vers 7 steht: „Irrt euch nicht!“ Das ist immer so ein freundliches „Irrt euch nicht“. Es gibt die Gefahr, dass man sich irrt. Galater 6,7 sagt: „Irrt euch nicht, Gott lässt sich nicht verspotten.“ Nein, das tut er wirklich nicht.
Wenn Gott nur eine Karikatur wäre, ein immer nur allseits lieber Gott, dann könnte man ihn verspotten. Aber das geht nicht. Gott will dich – mit allem, was du bist. Er liebt dich durch und durch. Aber bitte, verspotte ihn nicht. Tu es einfach nicht.
Ich liebe meine Töchter durch und durch. Sie können alles von mir bekommen – mein Leben inklusive. Aber ich sage ihnen auch: „Reizt mich nicht, es gibt eine Grenze.“ So ist das einfach. Ich bin wirklich so lieb, wie es nur geht, zu meinen Kindern. Wenn sie sagen, sie brauchen noch ein bisschen Geld, versuche ich, es möglich zu machen.
Trotzdem sage ich: „Reizt mich nicht.“ Seid vorsichtig, es gibt eine Grenze. Eine Grenze, an der ich sage, da kann ich nicht mitgehen. Ich bin gebunden – gebunden durch die Heiligkeit des Lebens, das ich leben möchte. Ich mache nicht alles mit.
Deshalb, wenn meine zwei Töchter sich streiten – und das tun sie auch mit 19 und 21 Jahren manchmal – wenn so Zickenterror ausbricht, dann ist bei mir eine rote Alarmstufe erreicht. Dann sage ich: „Nicht mit mir.“ Ich habe sie wirklich lieb, aber ich erlaube mir, sie aus dem Zimmer zu schicken und zu sagen: „Das klärt ihr jetzt.“ Ganz ehrlich, das mache ich so.
Ich will keine Sünde in meiner Familie, keinen Zickenterror. Ich will es einfach nicht. So ist Gott auch einer, der sagt: „Ich will mich nicht verspotten lassen.“ Und wenn du es trotzdem tust, wenn du dein Ding durchziehst und sagst: „Nee, mich interessiert das nicht, was du denkst,“ dann gilt Galater 6,7: „Gott lässt sich nicht verspotten, denn was ein Mensch sät, das wird er ernten.“
Du erntest, was du säst. Warum? Weil Gott dir aus der Fülle seiner Liebe und seiner Heiligkeit das gibt, was du haben möchtest. Wenn du sagst: „Mich interessiert Gott nur, wenn ich etwas von ihm bekomme,“ und dort, wo er in mein Leben tritt und fordert, will ich nichts mit ihm zu tun haben, wenn du bewusst Gebote ignorierst – und ich rede hier von mir, das ist mein Defizit, nicht eures –, dann muss ich mir darüber im Klaren sein, dass Gott sagt: „Hey, das stimmt, was hier steht, Jürgen. Wisst ihr nicht? Irrt euch nicht, Gott lässt sich nicht verspotten. Du wirst ernten, was du säst.“
Und dann Vers 8: „Denn wer auf sein Fleisch sät, der wird vom Fleisch Verderben ernten.“ Wer also seinen sündigen Impulsen folgt und nur nach seinem eigenen Ego lebt, der wird vom Verderben ernten. Gott würde mich davor nicht retten – nein, das würde er nicht tun.
Ich kenne Dutzende Christen, die dachten, Sünde sei nicht so schlimm, und machten es einfach so ein bisschen. Ich dachte mir: „Das kann doch nicht sein. Wie geht das? Wie kann man so lebensmüde sein?“ Du wirst ernten, was du säst. Warum? Weil Gott in seiner Heiligkeit, nenn es seinen Zorn, dir das gibt, was du haben wolltest.
Es ist ganz einfach: Du wirst vom Fleisch Verderben ernten.
Wer aber auf den Geist sät, also dem Heiligen Geist folgt und Liebe lebt, der wird vom Geist ewiges Leben ernten.
Ich gebe euch noch einen Vers, der mich in diesem Zusammenhang sehr betroffen gemacht hat. Jesus sagt in Matthäus 10, Vers 28 zu seinen Jüngern: „Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht zu töten vermögen.“
Das bedeutet: Habt keine Angst vor Menschen. Sie können euch äußerlich umbringen, mehr aber nicht. Das ist schon schlimm genug. Aber es ist gut zu wissen, dass sie nur das eine können. Sie sind relativ schwach.
Könnt ihr denken: „Super, dann brauche ich ja niemanden fürchten.“ Falsch! Der Vers geht weiter: „Fürchtet euch vielmehr vor dem, der sowohl Seele als Leib zu verderben vermag in der Hölle.“
Und das ist nicht der Teufel – nur falls jemand denkt, das sei der Teufel. Nein, der Teufel hat keine Macht. Der Teufel landet in der Hölle. Hier ist Gott gemeint.
Jesus sagt zu seinen Jüngern: Fürchte Gott!
Und das ist mehr als Ehrfurcht. Es ist ein heiliges Erschrecken vor einem Gott, der tatsächlich deine Seele in der Hölle verderben kann.
Das ist das Argument, das Jesus ins Feld führt, um die Furcht vor Menschen zu überwinden.
Könnt ihr euch das vorstellen? Jesus macht das, nicht ich.
Jesus sagt: „Jürgen, wenn du das nächste Mal Angst hast, mich vor Menschen zu bekennen, dann habe ich ein Argument für dich: Fürchte Gott mehr als diese Menschen. Habe mehr Angst davor, was Gott mit dir anstellen könnte, als vor diesen Menschen. Habe einfach mehr Angst.“
Vielleicht denkt jetzt jemand: „Das kann man doch nicht predigen. Man kann doch nicht Furcht als Motivation für Heiligung bringen.“
Aber was, wenn Jesus das tut und kein Problem damit hat? Und wenn es anscheinend funktioniert?
Was, wenn wir uns nicht mehr vor Gott fürchten wollen – im wirklichen Sinne von Fürchten – weil unser Gottesbild eine Schlagseite bekommen hat?
Ich predige euch das, weil mein Gottesbild an dieser Stelle in Gefahr ist, eine Schlagseite zu bekommen, aufgrund meines Defizits. Ich muss mir das immer wieder vor Augen führen, weil es mir so leicht entgleitet.
Barmherzigkeit nur im Kontext von Gottes Zorn verstehen
Fünfter Punkt
Wir brauchen einen klaren Blick auf Gottes Zorn, um zu verstehen, was Barmherzigkeit eigentlich bedeutet.
Ich ärgere mich gerade – nicht über mich selbst, sondern mal wieder über die evangelikale Szene. Denn wir erleben gerade einen neuen Allversöhnungshype. Es gibt ein neues Buch von Rob Bell über Allversöhnung. Für diejenigen, die noch nie davon gehört haben: Allversöhnung ist die Lehre, dass am Ende irgendwie alle in den Himmel kommen. Dass Gottes Zorn nicht wirklich ernst ist, sondern eher eine halbe Sache. Dass immer dann, wenn Jesus von der Hölle gesprochen hat, er eigentlich nicht die Hölle meinte, sondern etwas anderes. Und dass es nach dem Leben kein endgültiges Gericht gibt, sondern jeder noch genug Chancen bekommt, doch noch in den Himmel zu kommen.
Das ist Allversöhnung. Ihr merkt schon, das entspricht nicht unbedingt dem, was die Bibel sagt. Trotzdem ist diese Lehre gerade wieder im Kommen.
Ich kann verstehen, warum man das mag. Die Lehre ist natürlich unglaublich tröstlich, wenn man irgendwann mal Freunde verloren hat, die man sehr liebte. Oder wenn meine Schwiegereltern jetzt dabei sind zu sterben – in den nächsten Jahren werden sie sterben, mein Schwiegervater wahrscheinlich in diesem Jahr. Ich mag ihn wirklich sehr. Und wenn ich glauben könnte, dass er nach dem Tod nicht vor Gericht kommt, sondern dass es noch eine Chance gibt, dann wäre das total schön. Das würde ich wirklich wollen. Aber ich glaube es nicht. Ich glaube es deshalb nicht, weil Jesus anderes gesagt hat.
Ich glaube, dass Gottes Zorn kein kleines Zörnchen ist, kein kindischer Wutanfall – so wie ein Kind, das sich im Supermarkt vor dem Süßigkeitenregal auf den Boden wirft und mit den Fäusten hämmert. Nein, das ist nicht Gott. Wir müssen aufpassen, dass wir das nicht vermischen.
In dem Moment, in dem wir Gottes Zorn nicht mehr ernst nehmen, verlieren Dinge wie Rettung, Barmherzigkeit, Gnade, Erlösung und Vergebung völlig an Wert. Wenn es keinen Zorn Gottes gibt, wenn ich nicht wirklich vor dem Zorn Gottes erlöst werde, wenn dieser Zorn gar nicht wirklich existiert, dann kann ich das gigantische Wunder in meinem Leben nicht in seiner ganzen Tiefe verstehen: Dass tatsächlich der Engel des Todes an mir vorbeigegangen ist und ich jetzt aufbrechen darf ins ewige Leben.
Nur wenn ich den Zorn – wirklich den Zorn – und die Hölle – wirklich die Hölle – ernst nehme, dann macht das, was Jesus über Judas in Markus 14 sagt, Sinn.
Jesus sagt über Judas in Markus 14, Vers 21: „Der Sohn des Menschen geht zwar dahin, wie über ihn geschrieben steht.“ Jesus meint damit, dass er seinen Weg bis zum Schluss geht, so wie die Propheten es vorausgesagt haben.
Dann sagt er: „Wehe!“ – das ist nicht positiv, sondern ganz negativ. „Wehe aber jenem Menschen, durch den der Sohn des Menschen überliefert wird.“ Das ist Judas. Und dann kommt ein gruseliger Satz: „Es wäre jenem Menschen gut, wenn er nicht geboren wäre.“
Autsch, Autsch, Autsch! Merkt ihr etwas von dem Zorn? Jesus sagt: Hier ist ein Mensch, der dem Zorn Gottes begegnet. Dieser Mensch hätte einen Wunsch frei – und dieser Wunsch müsste sein, nie geboren worden zu sein.
Wenn es wirklich Hoffnung hinter dem Zorn gäbe, wenn die Hölle wirklich nicht ewig wäre, dann würde irgendwann der Punkt kommen, an dem auch Judas und andere bei Gott wären. Dann würden sie eine Ewigkeit bei Gott verbringen und irgendwann nicht mehr daran denken, dass sie einmal gerichtet wurden.
Aber es gibt diesen Punkt nicht. Deshalb sagt Jesus: Autsch, es wäre gut für diesen Menschen, wenn er nicht geboren wäre.
Ohne echten Zorn wird Gott zu einem Papiertiger, der nicht wirklich zubeißt. Und ich glaube, dann wird Rettung zu einem Etikettenschwindel.
Deshalb formuliere ich es jetzt bewusst positiv, weil ich das nicht glaube, und sage einfach mal:
Der fünfte Punkt lautet: Wenn wir verstehen wollen, was Barmherzigkeit, Rettung oder Gnade wirklich sind, dann müssen wir sehen, was dem gegenübersteht. Und das ist ein Gott, der wirklich zornig ist, der Sünde wirklich hasst, der sich wirklich dagegen aufgestellt hat und sagt: „Ich werde das nicht dulden. Ich bin mit der ganzen Tiefe meiner Persönlichkeit dagegen.“
Gottes Zorn als Motivation für soziale Liebe und Engagement
Ein letzter Punkt, den ich besonders merkwürdig finde, weil er in der Bibel so stark betont wird, überrascht mich sehr. Sechster Punkt: Wir brauchen einen klaren Blick auf Gottes Zorn, um hilfsbedürftigen Menschen mit Liebe zu begegnen.
Wir befinden uns jetzt im Bereich der Sozialdiakonie. Was hat Sozialdiakonie mit dem Zorn Gottes zu tun? Nun, wenn ich in der Bibel lese, stelle ich fest, dass Jesus mindestens zweimal ganz deutlich einen Mangel an sozialdiakonischem Engagement mit der Hölle verbindet. Interessant, oder? Zweimal heißt es also, dass Menschen in die Hölle kommen, weil sie sich nicht um andere gekümmert haben. Ganz offensichtlich.
Ich habe euch gleich die beiden Stellen gegeben. Ich frage mich: Könnte es sein, dass unsere Liebe zu anderen Menschen gar nicht so leicht zu motivieren ist? Könnte es sein, dass wir uns in unserem Herzen oft etwas vormachen, was unsere eigene Motivationsfähigkeit betrifft? Dass wir nicht alle das Herz einer Mutter Teresa haben, die zu Armen, Leprakranken, den Ausgestoßenen am Straßenrand fliegt und sie umarmt, mit ihnen eins sein will und ihr ganzes Leben in sie investiert? Dass wir uns wirklich kümmern wollen? Oder um mal Jakobus zu zitieren: Wir leben einen reinen und unbefleckten Gottesdienst, wenn wir Waisen und Witwen in ihrer Not besuchen.
Kann es sein, dass das nicht so natürlich aus uns herauskommt, wie wir uns das manchmal mit unserem Herzen voller Liebe wünschen? Dass wir, wenn wir zurückblicken und Bilanz ziehen, sagen müssten: Wie viele Waisen und Witwen haben wir eigentlich besucht? Ja, ich meine das etwas allgemeiner. Ich kenne keine Waisen. Gut, Witwen kennst du ein paar mehr. Eine sitzt da. Ich habe sie nicht besucht. Und du? Einfach mal besucht. Warum nicht?
Könnte es sein, dass wir mehr Motivation brauchen? Und ich spreche hier nur von mir. Mein Defizit ist, dass ich mich für jede Karte, die ich jemandem schreibe, der krank ist, überwinden muss. Ich muss es mir aufschreiben und mich dazu bringen. Das hat auch mit meiner Gabe zu tun: Ich habe nicht die Gabe der Barmherzigkeit. Das ist keine Ausrede, versteht ihr? Ich würde das gerne als Ausrede nutzen, so nach dem Motto: Ich bin halt nicht so begabt, eher der Prediger. Aber bei Jakobus steht nicht, dass alle, die Predigten halten, nicht Waisen und Witwen besuchen müssen. Dort steht: Wenn du einen reinen und unbefleckten Gottesdienst leben willst.
Ich könnte auch Jeremia 16 anführen: Wenn du Gott erkennen möchtest – was heißt das eigentlich? Bedeutet das nicht, dass ich mich um die kümmere, denen es schlecht geht? „Oh nein, das sollen mal die anderen machen. Es gibt doch die Einrichtungen. Die bringen das Essen, rufen an, und bestimmt kümmert sich jemand anderes in der Gemeinde darum.“ Vielleicht. Auf jeden Fall fällt mir Matthäus Kapitel 25 ein, das Gleichnis von den Schafen und den Böcken. Ich setze es einfach mal voraus: Jesus ist der Richter, und die Menschen werden in zwei große Gruppen eingeteilt: die Schafe auf der einen Seite, die Ziegenböcke auf der anderen. Die Ziegenböcke sind die Bösen, die Schafe die Guten.
Zu den Schafen wird gesagt: Ihr bekommt das ewige Leben. Zu den Ziegenböcken heißt es: Ihr geht in die ewige Pein. Ihr könnt euch vorstellen, dass die Ziegenböcke damit nicht einverstanden sind. Sie sagen nicht: „Super, da wollten wir immer schon hin.“ Stattdessen wagen sie einen kleinen Widerspruch, so ein bisschen „Hä, was soll das? Könnt ihr das nochmal erklären? Wir haben das gar nicht verstanden.“ Ich hätte erwartet – und erwarte das oft in der Bibel –, dass Jesus sagt: „Ja, weil ihr nicht geglaubt habt.“ Aber das steht nicht da.
Ich lese euch vor, was in Matthäus 25,41 steht: „Dann wird er auch zu denen zur Linken sagen, das sind die Ziegenböcke, die es nicht geschafft haben: ‚Geht von mir, Verfluchte, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln. Denn ich hungerte, und ihr gabt mir nichts zu essen, ich dürstete, und ihr gabt mir nichts zu trinken, ich war Fremdling, und ihr nahmt mich nicht auf, nackt, und ihr bekleidet mich nicht, krank und im Gefängnis, und ihr besuchtet mich nicht.‘“
Dann werden sie antworten und sagen: „Herr, wann sahen wir dich hungrig oder durstig, als Fremdling, nackt, krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? Wo soll das gewesen sein? Wir waren doch eigentlich ganz nette Leute.“ Dann wird er ihnen antworten: „Wahrlich, ich sage euch: Was ihr einem dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan.“ Ihr kennt diese Geschichte. Sie überrascht niemanden, man kennt sie seit der Kindheit. Für viele, die länger in diesem Verein sind, ist das nichts Neues.
Ich will hier nicht theologisch diskutieren, wer genau gemeint ist mit den Böcken und den Schafen. Lasst uns das mal beiseitelegen. Mir geht es nur um den Kern: Was ist der Schwerpunkt dieser Geschichte? Jesus sagt, dass Leute in die Hölle kommen. Warum? Weil es an Liebe zu Menschen gefehlt hat. Da stimmte etwas nicht. Und Jesus erzählt uns das nicht, damit wir wissen, dass irgendwann später mal Leute bestraft werden, die wir gar nicht kennen. Nein, er erzählt das jetzt und lässt es aufschreiben, damit wir darüber nachdenken: Ist Gottes Zorn für uns eine Motivation, ihm so zu dienen, wie es ihm gefällt?
Die zweite Geschichte steht in Lukas 16. Es ist die Geschichte vom armen Lazarus und dem reichen Mann. Dort ist eine ähnliche Situation: Lazarus liegt arm vor den Toren des Hauses, in dem der reiche Mann wohnt. Niemand kümmert sich um Lazarus. Er will eigentlich nur die Abfälle haben. Er freut sich, wenn das Personal etwas in die Biotonne wirft, denn dann wühlt er darin. Äußerlich ist er mit Geschwüren bedeckt. Die Hunde des reichen Mannes kümmern sich mehr um Lazarus als der reiche Mann selbst. Sie nehmen ihn wenigstens wahr. Dann sterben beide.
Interessant ist, wie die Geschichte aufgebaut ist. Der reiche Mann wacht an einem Ort auf, den man als Hölle oder Vorhölle bezeichnen kann. Theologisch ist mir das egal. Der Punkt ist: Es geht ihm schlecht. Er leidet so sehr, dass er sich wünscht, Lazarus, der auf der anderen Seite in Abrahams Schoß liegt, würde nur seinen Finger ins Wasser tauchen und seine Zunge benetzen. Das klingt nicht gut, sondern ziemlich übel.
Warum ist der reiche Mann dort? Was ist der Grund dafür, dass er auf der falschen Seite der Ewigkeit landet? Wenn ihr das Lukasevangelium studiert, werdet ihr feststellen, dass sich dieser Abschnitt immer um die Frage dreht: Was kommt, und wie kann ich mich darauf vorbereiten, auf der richtigen Seite zu landen? Der einzige Fehler des reichen Mannes war, dass er sich nicht um Lazarus kümmerte. Es gibt keinen anderen Fehler. Er hat nicht etwa nicht geglaubt. Da lag jemand in Not vor seiner Haustür, über die er jeden Tag stolpern musste. Er hat ihn einfach übersehen.
Das reicht völlig aus, damit Gott sagt: „Das ist kein Leben, mit dem ich einverstanden bin.“ Ich möchte ehrlich bekennen, dass ich mir an dieser Stelle mehr Furcht wünsche. Denn ich gehe zu leichtfertig an Menschen vorbei, denen es schlecht geht. Ich denke mir: „Das ist nicht mein Problem, das sollen Sozialarbeiter regeln, die werden dafür bezahlt.“ Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn mich in einem halben Jahr jemand fragt: „Hast du Hans Peter besucht?“ und ich es nicht getan habe. Damit könnte ich leben.
Jetzt kommen diese zwei Geschichten, und ich denke: Vielleicht ist die Idee eines heiligen, zornigen Gottes, der gegen mich sein könnte, der sagen könnte: „Nein, so habe ich das nicht gewollt, ich bin dagegen, wie du lebst, ich werde dir Segen entziehen, deine Gebete nicht erhören, mich gegen dich stellen“, vielleicht ist diese Vorstellung, die mir manchmal nicht gefällt, für mich persönlich der beste Antrieb, um mal eine Karte zu schreiben, mal jemanden zu besuchen, um mich wirklich über meine Komfortzone hinaus in das Leben eines anderen zu investieren.
Vielleicht schaffe ich es anders nicht. Natürlich wäre es mir lieb, wenn das aus mir heraus fließen würde, wenn die Liebe Christi mich antreiben würde. Ja! Wenn das so ist, dann lass dich treiben, übertreiben, geh, mach, renn, spring! Aber ich erlebe bei mir das Gegenteil. Deshalb der sechste Punkt: Wir brauchen einen klaren Blick auf Gottes Zorn, um hilfsbedürftigen Menschen mit Liebe zu begegnen.
Schlussbetrachtung und Gebet
Lassen wir uns zum Schluss kommen. Vielleicht denkst du: Was für eine perverse Predigt. Wie kann man Christen durch Angst dazu bringen, das Richtige zu tun? Denn darum geht es ja eigentlich. Ich lasse mich auf die Seite Gottes ein, wo ich mich nicht zurücklehnen kann. So dieses Cocktail-Feeling: Ja, die Sonne scheint, wir haben einen Cocktail in der Hand, ich liege auf dem Balkon und schaue mal, was passiert. Dieses Gefühl wird ja überhaupt nicht durch dieses Thema vermittelt.
Müssten wir nicht, wenn wir Gott dienen, das Richtige immer aufrichtig machen? Immer aus freien Stücken, aus Liebe, ganz ohne Druck, so wie von selbst? Ich wache auf und tue immer das Richtige, ich fliege vom Richtigen zum Richtigen. Mann, das würde ich mir so sehr wünschen. Ich würde es mir wirklich so sehr wünschen.
Und das Gute ist: Es wird diesen Moment geben. Es wird diesen Moment geben, in dem ich einen neuen Körper habe, an dem Ort bin, wo es keine Sünde mehr gibt, keine Verführung mehr, kein Halbwissen mehr, keine Ablenkung mehr. Aber bis dahin – ich will euch ganz ehrlich sagen – ich brauche jedes Fuzzelchen Motivation für mein geistliches Leben, das ich kriegen kann.
Denn ich wache morgens in einem Körper auf, der sich als Erstes gegen Gebet wehrt, der von sich aus alles Dumme und Böse will. Da muss ich mich gar nicht anstrengen. Ich lebe in einer Welt, die mich ständig auf ihre Seite ziehen will. Und um darin zu bestehen, brauche ich jedes Fuzzelchen Motivation.
Ich glaube, dass viele Christen, vielleicht zu viele Christen, ihr persönliches Problem mit Gottesfurcht haben. Vielleicht haben sie auch den Begriff „Furcht Gottes“ in reine Ehrfurcht umgedeutet, und Ehrfurcht ist allemal out.
Ich glaube, dass die Folgen allgegenwärtig sind. Wir leben in einem Land voller – verzeiht mir dieses pessimistische Bild, aber das ist das, was ich einfach sehe – unheiliger Christen, die nicht mehr beten, die keine Liebe mehr zum Wort Gottes haben, keine Lust darauf, sich zu Jesus zu bekennen, die vergessen haben, was es heißt, echte Gemeinschaft zu leben. Auch das soziale Engagement geht nicht unbedingt nach oben, und wo Buße fehlt.
Ich sehe Christen, die gefangen sind in Sorgen und Reichtum, in Vergnügungen des Lebens, die irgendwie immer schwächer werden, immer einsamer werden, immer ungefährlicher werden. Ich frage mich, woran das liegt.
Ich entdecke bei mir diesen Mangel, und den wollte ich euch heute bekennen: einen Mangel an Gottesfurcht, von dem ich mir ehrlich wünsche, dass er verschwindet. Ich wünsche mir – und ich wünsche all denen, die jetzt innerlich damit einstimmen – dass wir es lernen, Gott zu fürchten. Dass wir es lernen, uns nicht selbst zu betrügen und am Ende zu glauben, wir seien geistlich reich und weit, während wir in Wirklichkeit wie die Gemeinden von Laodizea ganz arm sind. Und Jesus steht draußen und ist lange nicht mehr in unserer Mitte.
Lassen wir das Gebet zum Schluss sprechen:
Großer Gott, ich möchte Dich anbeten als den, der Liebe ist und Heiligkeit, als den Gott, der uns restlos mit seiner Trotzdemliebe einhüllt, uns ganz annimmt, uns alles vergeben hat, sich persönlich ins Zeug legt, damit wir ein Leben in Heiligung und Veränderung schon hier auf der Erde anfangen und zu Ende führen können. Dass dieser Transformationsprozess uns dahin bringt, dass wir wirklich dem Herrn Jesus ähnlich werden.
Und gleichzeitig möchte ich Deine Heiligkeit anbeten, Gott, und Dir sagen, dass ich es lernen möchte, vor Dir zu erschrecken. Dass ich Angst habe vor meiner eigenen Angstlosigkeit, weil sie sich nicht deckt, Herr Jesus, mit dem, wie Du geredet hast.
Ich bitte Dich darum, dass Du mir hilfst, Dich mehr zu fürchten, und dass Du jedem hilfst, der sich das auch wünscht. Dass wir ein neues heiliges Erschrecken finden, das uns motiviert zu einem Leben, das selbst von Heiligkeit und Hingabe, von tiefer Dankbarkeit und Engagement geprägt ist.
Herr Jesus, gib Gnade, dass wir den Vater in Dir erkennen. Gib Gnade, dass wir ein umfassendes Bild vom Vater haben und dass dieses Bild für uns, unsere Seele, einfach das Beste wird, was uns je passiert ist. Darum bitte ich Dich. Amen.