Einführung und Überblick über den Abschnitt
Ich möchte heute Abend zunächst das Kapitel 2. Korinther 7 in unserer Betrachtung zu Ende führen, und zwar ganz knapp. Dabei geht es nicht um Vers 6 allein, sondern um das gesamte Kapitel.
Anschließend werde ich vom letzten Wort oder Satz dieses Abschnittes ausgehen, um einen besonderen Punkt hervorzuheben und zu behandeln. Es geht um die Frage der Gottesfurcht und darum, wie Gnade und Gottesfurcht zusammenhängen.
Wir haben im Zweiten Korintherbrief Kapitel 3 und 4 die herrliche Botschaft betrachtet. Dann haben wir in Kapitel 4, Vers 7 bis Kapitel 5, Vers 10 diese gewaltige Botschaft in schwachen Gefäßen gesehen. Das muss so sein, damit deutlich wird, dass es Gottes Kraft ist, die durch diese Botschaft heil wirkt.
Anschließend haben wir von Kapitel 5, Vers 11 an bis Kapitel 7, Vers 1 einen weiteren Abschnitt betrachtet. Ich glaube, ich sagte gestern noch Vers 3, aber ich nehme das zurück. Es ist nicht ganz das Gegenteil, aber doch etwas anderes. Der Abschnitt geht von Kapitel 5, Vers 11 bis Kapitel 7, Vers 1. Ab Vers 2 in Kapitel 7 beginnt ein neuer Gedanke.
Diese schwachen Gefäße sind auch geheiligte Gefäße und müssen es sein. Das Erste, was uns in diesem Abschnitt vor Augen gestellt wird, ist: Da wir nun den Schrecken des Herrn kennen oder die Furcht des Herrn kennen, also wissen, dass der Herr zu fürchten ist, sollen wir gottesfürchtig leben.
Heiligung und Absonderung als Ausdruck der Gottesfurcht
Und dann geht es weiter mit verschiedenen Aspekten des Geheiligtseins: Hingabe und Bereitschaft, in der Hand des Herrn ein Gefäß zu sein, das sich einsetzen lässt, arbeitet und dient.
Das sahen wir in Kapitel 6, in den Versen 1 bis 10. Jetzt lesen wir von Vers 11 an bis Vers 7,1 folgende Verse:
„Unser Mund ist zu euch aufgetan, ihr Korinther, unser Herz ist weit geworden; ihr seid nicht verengt in uns, sondern ihr seid verengt in eurem Innern. Zur gleichen Vergeltung aber, ich rede also als Kinder: Werdet auch ihr weit! Seid nicht in einem ungleichen Joch mit Ungläubigen, denn welche Gemeinschaft hat Gerechtigkeit mit Gesetzlosigkeit? Oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis? Und welche Übereinstimmung hat Christus mit Belial? Oder welches Teil hat ein Gläubiger mit einem Ungläubigen? Und welchen Zusammenhang hat der Tempel Gottes mit den Götzenbildern? Denn ihr seid der Tempel des lebendigen Gottes, wie Gott gesagt hat: Ich will unter ihnen wohnen und wandeln, und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein. Darum geht aus ihrer Mitte aus und sondert euch ab, spricht der Herr, und rührt nichts Unreines an! Und ich werde euch aufnehmen, und ich werde euch zum Vater sein, und ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein, spricht der Herr, der Allmächtige. Da wir nun diese Verheißungen haben, Geliebte, so lasst uns uns selbst reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes, indem wir die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes.“
Dieser ganze Abschnitt spricht ganz deutlich das Thema Absonderung und Heiligung an. In Vers 11 heißt es: „Unser Mund ist euch aufgetan.“ Paulus hat deutlich geredet, den Mund aufgetan und klare Worte gefunden. Man darf deutlich reden, wenn man ein weites Herz hat für die, zu denen man spricht. „Unser Herz ist auch weit.“
Hier stellt Paulus einen ganz interessanten Zusammenhang her: Ein weites Herz führt dazu, dass wir für Gott abgesondert leben – abgesondert von den Götzen, von der Welt, von der Finsternis. Meistens denkt man ja, Absonderung sei eng und einschränkend. Paulus sagt das Gegenteil: „Unser Herz ist weit“, und er hofft, dass auch sie ein weites Herz bekommen (Vers 13). Für ihn und für Gottes Sache sollen auch sie weit werden.
Dann spricht er von Absonderung. Das zeigt uns, dass Paulus – oder durch Paulus das, was Gott uns sagt – ganz anders urteilt, als wir von Natur aus urteilen. Wir empfinden Absonderung von diesen Dingen meist als Einengung. Nein, das bedeutet erst wahre Freiheit: ein weites Herz für Gott und seine Sache. Darum gibt es keinen Platz, keine Gemeinschaft und keine Übereinstimmung mit Dingen, die Gott und seinem Wesen fremd sind.
Zum Schluss kommt die Aufforderung: „Da wir diese Verheißungen haben, Geliebte, lasst uns uns selbst reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes.“
Mit „Befleckung des Fleisches“ ist Ausschweifung gemeint – Fressen, Saufen, Huren, so wie Luther das ungefähr übersetzt, damit es jeder versteht. Also Befleckung des Fleisches bedeutet Ausschweifung, sich in den Lüsten des Fleisches gehen lassen.
Aber auch die Befleckung des Geistes ist eine Befleckung: Stolz, Hochmut, Bosheit sind genauso Befleckungen. Das sind Dinge, die wir meistens nicht so sehr als Befleckung sehen. Wir denken meist eher an die krassen Sünden des Fleisches, wo man seinen Lüsten die Zügel schießen lässt. Aber hier sehen wir, dass auch Sünden des Geistes Befleckungen sind: Hochmut, Einbildung, auf andere herabzuschauen, sie zu verachten oder zu richten. Von alldem sollen wir uns reinigen.
Dann steht hier: „Indem wir die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes.“
Der Abschnitt begann also mit „Furcht Gottes“ (Vers 11) und endet hier ebenfalls mit „Furcht Gottes“.
Die Verbindung von Gnade und Gottesfurcht
Und jetzt stellt sich folgende Frage: Ist die Rettung aus Gnade? Ja.
Wird uns die Gnade Gottes in diesem Brief zugesagt und gewünscht? Ja. Im Kapitel 1, Vers 2 heißt es: „Gnade euch und Friede von Gott.“ Das fast letzte Wort in diesem ganzen Brief ist wiederum „Gnade“ – die Gnade des Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen (Kapitel 13, Vers 13).
Unsere Frage ist nun, wie Gnade und Gottesfurcht zusammenhängen. Sind das nicht zwei Dinge, die sich gegenseitig ausschließen? Es scheint, dass manche so denken. Gottesfurcht, das Zittern vor diesem großen Gott, werde eher dem Alten Testament zugeordnet und als etwas Naives angesehen. Einige Propheten hätten auch so gesprochen – also eher alttestamentlich, aber nicht so sehr im Neuen Testament.
Das Neue Testament verbindet jedoch Gnade mit Gottesfurcht, und zwar an einer Stelle ganz direkt, im Hebräerbrief, Kapitel 12, Vers 28: „Deshalb, da wir ein unerschütterliches Reich empfangen haben, lasst uns Gnade haben, durch welche wir Gott wohlgefällig dienen mögen mit Frömmigkeit und Furcht.“
In den Gedanken des Apostels verbinden sich also Gnade und Gottesfurcht. Das sind zwei Dinge, die zusammengehören, Geschwister sozusagen, Dinge, die Gott zusammengefügt hat. Wir sollen sie nicht voneinander trennen.
Es ist eine ganz elende und verkehrte Sache, wenn man anfängt, solchen Gedanken nachzugehen, ob wir durch Gnade errettet sein können und danach ein lockeres, loses Leben führen dürfen. Das sind ganz theoretische Fragen, aber solche Fragen stellt die Bibel eigentlich gar nicht. Die Bibel setzt vielmehr selbstverständlich voraus, dass die Gnade Gottes die Kraft Gottes ist, die uns von der Sünde befreit und an Gott bindet. So hängen Gnade und Gottesfurcht zusammen.
Die Bedeutung der Gottesfurcht in der frühen Gemeinde
Wir sehen, wie in der frühen Gemeinde die Gottesfurcht einen ganz zentralen Platz hatte. In Apostelgeschichte 5,11 heißt es: „Es kam große Furcht über die ganze Versammlung und über alle, die es hörten.“ Dort offenbarte sich inmitten der Geschwister der heilige Gott, und in der Versammlung entstand große Furcht.
Auch in Apostelgeschichte Kapitel 9, Vers 31 wird deutlich, wie die Gemeinden lebten: „So hatten denn die Versammlungen durch ganz Judäa und Galiläa und Samaria hin Frieden und wurden erbaut und wandelten in der Furcht des Herrn und wurden vermehrt durch den Trost des Heiligen Geistes.“
Paulus beschreibt seine Haltung gegenüber den Korinthern mit den Worten, dass er unter ihnen diente „mit Furcht und Zittern“, ganz sicher nicht aus menschlicher Kraft. In 1. Korinther 2,3 sagt er: „Ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und in vielem Zittern.“ Das zeigt seine Haltung vor Gott, nicht geprägt von Selbstsicherheit, sondern vom Bewusstsein, völlig auf Gott angewiesen zu sein. Paulus wusste, dass er ohne Gottes Beistand nichts vermochte.
Auch Christen in Philippi wird geraten, so zu leben. Im Philipperbrief Kapitel 2, Vers 12 heißt es: „Daher, meine Geliebten, gleichwie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein in meiner Gegenwart, sondern jetzt vielmehr in meiner Abwesenheit, bewirkt eure eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern.“ Wieder wird Furcht und sogar Zittern genannt. Dieses Zittern überkommt uns, wenn wir erkennen, dass wir nichts aus eigener Kraft vermögen, wenn wir hilflos und kraftlos sind.
In Hebräer 11,7 wird von Noah gesagt, dass er durch Furcht bewegt die Arche baute. Das zeigt, wie Gottesfurcht Handeln bewirkt.
1. Petrus 1,17 fordert dazu auf: „Wenn ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person richtet, so wandelt die Zeit eurer Fremdlingschaft in Furcht, nach eines jeden Werk.“ Auch hier wird die Haltung der Gottesfurcht als Lebensprinzip betont.
Gottesfurcht als Merkmal des Gerechten und Fehlen der Furcht als Merkmal der Gottlosen
Umgekehrt zeigt uns das Neue Testament, dass das Fehlen der Gottesfurcht ein Merkmal der Gottlosen ist.
Im Römerbrief heißt es: „Es ist keine Furcht Gottes vor ihren Augen“, was die Gottlosen kennzeichnet (Römer 3,18). Der Gerechte, der durch Gnade gerechtfertigt ist, zeichnet sich dadurch aus, dass er die Furcht Gottes vor seinen Augen hat.
Auch der Judasbrief beschreibt in Vers 12 natürliche Menschen, falsche Brüder, die ohne Furcht sind und sich unter die Gläubigen mischen. Dort heißt es: „Diese sind Flecken bei euren Liebesmahlen, in denen sie ohne Furcht festtesend mit euch halten, sich unter euch mischen, ohne Furcht, fürchten Gott nicht, seine Heiligkeit nicht, sein Haus nicht und mischen sich so unter die Heiligen“ (Judas 12).
Ja, die Gottesfurcht ist auch für den Christen der Anfang aller Weisheit. Das bedeutet zugleich, dass sie der Anfang aller rechten Beziehung zu Gott ist. Wenn wir zu Gott gebracht worden sind, sind wir erst in eine Beziehung zu ihm gesetzt worden.
Unsere Beziehung zu Gott kann jedoch nicht ohne Furcht sein. Natürlich gehören auch Trost, Freude, Dankbarkeit und Gewissheit dazu, aber niemals darf die Furcht fehlen. Diese Stellen machen uns das deutlich.
Zitat von John Bunyan zur Gottesfurcht
Ich habe hier ein Zitat von John Bunyan, den ich übrigens sehr bewundere. John Bunyan hat weit mehr geschrieben als nur die Pilgerreise oder „Ewigen Seligkeit“ beziehungsweise „selige Ewigkeit“.
Er war zwölf Jahre im Gefängnis, und während dieser Zeit verfasste er mehrere Werke, darunter auch theologisch anspruchsvolle Texte, eines nach dem anderen. In diesen Werken stellt er das Heil in Christus auf wunderbare Weise dar. Wenn man sie liest, wird das Herz einfach froh und in Gott sowie in seiner Gnade verankert.
Er schrieb Folgendes zur Gottesfurcht: „Ich nenne die Gottesfurcht die höchste Pflicht, denn sie ist nicht allein für sich genommen eine Pflicht, sondern gewissermaßen das Salz, das jede Pflicht würzt. Denn es gibt keine von uns erledigte Pflicht, die Gott irgendwie annehmen könnte, wenn sie nicht mit Gottesfurcht durchsetzt ist.“
Gottesfurcht bedeutet also, zu erkennen und anzuerkennen, dass wir in Gottes Hand sind. Gleichzeitig bedeutet es, zu verstehen, dass Gott nie in unserer Hand ist, dass wir völlig auf ihn angewiesen sind, während Gott nicht auf uns angewiesen ist. Wir brauchen Gott, aber er braucht uns nicht.
Genau das lehrt uns die Gnade, wenn wir sie richtig verstehen.
Schwierigkeit des Verständnisses der Gnade und Fehlinterpretationen
Allerdings glaube ich, dass wir uns gestern bereits einige Gedanken dazu gemacht haben: Die Gnade ist etwas, das wir mit unserem natürlichen Auffassen und Urteilen sehr schwer verstehen können. Deshalb sind wir immer wieder anfällig dafür, die Gnade Gottes umzudeuten und daraus falsche Schlüsse zu ziehen.
Ein besonders naheliegender Schluss – und ich meine, dies ist der herrschende Fehlschluss unserer Zeit – ist, dass die evangelikale, bibelgläubige Christenheit die Gnade Gottes als Anlass sieht, Gott nicht fürchten zu müssen. Man nimmt Gottes Heiligkeit und seine Gebote nicht mehr so ernst, auch die Sünde wird nicht mehr ernst genommen. So sind wir dabei, die Gnade Gottes in Ausschweifung umzuwandeln.
Darauf weist Judas im Judasbrief hin, und zwar im vierten Vers. Dort kündigt er an, dass die Gemeinde, das Zeugnis der Gemeinde und die Träger der Botschaft des Heils durch Menschen durchsetzt werden, die die Gnade nicht leugnen, sondern davon sprechen. Doch sie ziehen daraus ganz andere Schlüsse: Man könne so leben, wie es einem gefällt.
Im Judasbrief, Kapitel 1, Vers 4 heißt es: „Gewisse Menschen haben sich heimlich eingeschlichen, die schon längst zum Gericht vorherbestimmt sind – gottlose Menschen, die die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verkehren und unseren einzigen Herrscher und Herrn Jesus Christus verleugnen.“
Durch ihren Einfluss wird die Tatsache verleugnet, dass Jesus Herr und Gebieter ist. Die Herrschaft Jesu Christi über das Gewissen und die Herzen der Gläubigen wird dadurch geschwächt oder neutralisiert. Das ist eine Gnade, die in Ausschweifung verkehrt wird.
Drei wesentliche Erkenntnisse über die Gnade
Nun, was lehrt uns die Tatsache der Gnade? Ich habe mir nur drei Dinge aufgeschrieben. Wir könnten viel mehr dazu sagen, aber die Dinge, die mir heute im Nachdenken über diesen Gegenstand als die vordringlichsten und gewichtigsten erschienen, sind diese.
Erstens: Gnade – ja, ich frage euch mal, wenn ihr das Wort „Gnade“ hört, was ist der erste Gedanke, der sich bei euch einstellt? Gottes Gnade, Geschenk, Unverdient, Gericht – wer sagte das? In welcher Weise? Gott ohne Gericht, keine Gnade. Ja, Gnade gibt es nur für Sünder. Da klingen viele Dinge an, die tatsächlich die Gnade kennzeichnen und charakterisieren. Wir werden auf all diese Dinge noch eingehen.
Ich habe hier als Erstes aufgeschrieben, was die Gnade uns lehrt: Errettung aus Gnade. Gnade bedeutet, Gott ist am Anfang der ganzen Sache. Nicht der Mensch! Gnade bedeutet, dass die ganze Sache der Errettung von Gott ausgeht, dass er der Urheber ist. Wieso denn? Weil Gnade Gottes Handeln an Sündern bedeutet, nicht um der Sünder willen, nicht weil irgendjemand es verdient hat, sondern Gott handelt aus sich heraus, aus seinem freien Wollen und Entschluss heraus. Gott im Anfang.
Und ich wiederhole, was ich schon einmal gesagt habe: Das ist die grundlegendste, wichtigste Wahrheit überhaupt, zu allem rechten Denken und Urteilen über Gott, den Menschen und die Welt: Gott im Anfang. Es gilt für alles, in der Schöpfung und auch in der Erlösung: Gott im Anfang.
Das machen die Apostel sehr deutlich, indem sie sagen, dass Gott uns von Anfang an erwählt hat zum Heil. Das sagt Paulus den Korinthern und den Thessalonichern. Im ersten Thessalonicherbrief, im zweiten Thessalonicherbrief, Kapitel 2, Vers 13: „Wir sind schuldig, Gott allezeit für euch zu danken, ihr geliebten Brüder, dass Gott euch von Anfang erwählt hat zur Seligkeit, in Heiligung des Geistes und im Glauben an die Wahrheit.“
Im Anfang war Gott, der uns erwählte. Paulus sagt im Epheserbrief, dass Gott uns auserwählt hat in ihm. Epheser 1,4: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus, wie er uns auserwählt hat in ihm vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und tadellos seien vor ihm in Liebe.“
Gott hat uns in Christus auserwählt. Das heißt, er handelt um Christi Willen, nicht um unseren Willen. Er hat uns auserwählt vor Grundlegung der Welt. Das heißt, die Ursache der Erwählung liegt nicht in der Schöpfung. Es geht hier nicht um ein zeitliches Vorher, sondern um ein ursächliches Vorher. Ehe Gott irgendetwas schuf, erwählte er in Christus die zum Heil, die errettet werden sollten.
Und das bedeutet, dass der Anlass dazu nur in Gott gewesen sein kann. Der Anlass kann nicht in uns gewesen sein. Wir können uns nicht irgendwie Gott empfohlen haben durch unsere Gesinnung, unseren guten Willen oder unseren Glauben. Gott hat uns in Christus erwählt aus seinem freien Entschluss heraus.
Ja, wir verdanken damit alles Gott. Wenn wir darüber nachdenken und wenn diese Tatsache, diese Wahrheit beginnt, unsere Herzen zu ergreifen und zu regieren, dann werden wir gleich vor Gott demütig und lernen, diesen großen Gott zu scheuen, zu fürchten und zu lieben – beides gleichzeitig. Wir fürchten ihn und wir lieben ihn. Wir fürchten, wir fallen vor ihm nieder. Und doch sind wir nirgends so gerne wie vor ihm auf dem Angesicht. Wir lieben ihn, weil er uns so geliebt hat, wie er es getan hat.
Zitat von Georg Whitfield zur Demut vor Gott
Georg Whitfield sagte im Jahr 1768, zwei Jahre vor seinem Tod, in einer Predigt: „Ich weiß, dass keine andere Wahrheit den Menschen wirklich demütigen kann. Entweder muss Gott uns erwähnen oder wir erwähnen Gott. Beides kann nicht wahr sein. Entweder sind wir am Anfang oder Gott ist am Anfang.“
Das klingt sehr ähnlich an das, was Luther in seiner Schrift über den unfreien Willen schrieb. Dort zeigt er, dass der Mensch wirklich auf Gottes Gnade angewiesen ist. Es ist Gott, der frei wählt, nicht wir Sünder, die wir gebunden sind. Gott erwählt uns zum Heil.
So hat Luther in dieser Schrift unter anderem geschrieben: „Der Mensch kann nicht eher bis ins Innerste gedemütigt werden, als bis er weiß, dass seine Seligkeit ganz und gar außerhalb seines eigenen Vermögens, Planens, Eiferns, Wollens und Wirkens steht. Dass sie ganz und gar hängt an dem Gutdünken, Planen, Wollen und Wirken eines anderen, nämlich Gottes allein.“
Das demütigt uns erst und zeigt, dass wir völlig auf Gott angewiesen sind, vollständig. Wir sind ganz in seiner Hand, und Gott ist nie in unserer Hand.
Zitat von Donaton Edward zur Abhängigkeit von Gott
Donaton Edward, ein Freund und Zeitgenosse Whitfields, hielt bereits im Jahr 1738 in Boston als relativ junger Verkündiger eine Predigt mit dem Titel „Gott verherrlicht durch die völlige Abhängigkeit des Menschen von ihm“ („God glorified by the dependence of man“).
Er betonte, dass Gott die ganze Sache der Errettung so gewirkt und eingerichtet hat, dass uns in allen Stücken, bei jedem Schritt deutlich wird: Wir sind völlig von Gott abhängig. Die Errettung beginnt mit Gott. Alles geht von Gott aus, und das zeigt uns, dass wir völlig auf ihn angewiesen sind.
Diese Erkenntnis lehrt uns, Gott zu fürchten. Ganz bewusst heißt Gnade, dass Gott handelt, um seines Willens willen.
Ursprung des Wortes Gnade in der Bibel
Wer weiß, wo das Wort Gnade zum ersten Mal im Alten Testament vorkommt, also überhaupt in der Bibel? Bei Noah, ganz richtig. Wenn wir das einmal nachlesen, wird uns das deutlich.
Im 1. Mose, Kapitel 6, wird in den Versen 1 bis 7 die Sünde, die Sündhaftigkeit und die Bosheit der Menschen beschrieben. Diese Bosheit kam aus ihrem Herzen, aus ihrem Innersten. Es geht also nicht nur um böse Taten, sondern um einen bösen Antrieb in ihnen, der nur Böses hervorbrachte.
Dann steht dort: Noah aber fand Gnade in den Augen des Herrn. Das macht uns sehr deutlich, was Gnade bedeutet. Gott handelt um seines Willens willen, nicht weil jemand es verdient hat.
So geht es uns auch wie Ruth. Wenn Gottes Gnade uns erfasst hat, uns ins Licht gestellt hat und in unseren Herzen den Glauben an den Sohn Gottes geweckt hat, so dass wir an den Sohn Gottes glauben konnten, dann fallen wir nieder und fragen wie Ruth: „Wer bin ich, was bin ich, dass du mich eine Fremde ansiehst? Dass ich Gnade gefunden habe in deinen Augen.“
Wir können es nicht begreifen, wir können nur sagen: „Du großer Gott, weil du gnädig warst, darum habe ich Gnade gefunden.“ Gott handelt um seinen Willen, und das lässt uns niederfallen vor Gott.
Paulus sagt: „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.“ Er war wirklich davon überzeugt.
Unterschiedliche Auffassungen von Gnade: Römisch-katholisch vs. biblisch
Oh, wo habe ich jetzt dieses schöne Büchlein? Ach, ich habe vergessen, es mitzunehmen. Daher wollte ich es noch vorlesen. Ja, es ist dieses schmale Büchlein von Wilhelm Busch. Es ist ein blaues Büchlein und sollte dort auf dem Tisch liegen.
Und dann drittens zur Gnade: Die Gnade lässt mich auch begreifen, warum die Errettung Gnade sein muss. Es hat doch etwas mit uns zu tun. Wir sind so böse, so verderbt und so unwillig, dass es gar keine andere Möglichkeit gibt. Alles, was Gott tut, tut er aus seinem freien Antrieb heraus. Das ganze Werk der Errettung ist Gottes Werk.
So ist die ganze Errettung tatsächlich so eingerichtet, dass wir mit Paulus fragen können: Wo bleibt der Ruhm? Er ist ausgeschlossen worden. Oder so, dass wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn. Wir können nur Gott dafür die Ehre geben.
Nun, in welcher Weise wird diese Tatsache, dass die Gnade Gottes uns Gottesfurcht lehrt, in dem Abschnitt, den wir vor uns haben, deutlich? Im 2. Korintherbrief Kapitel 5,6. Das wollen wir uns jetzt an einem Gedanken, der hier behandelt wird, vor Augen führen.
Ich bin jetzt also beim dritten Punkt zu dieser biblischen Wahrheit angekommen: der völligen Verderbtheit des Menschen. Gestern haben wir uns ein wenig darüber unterhalten, wie die Kirche von Rom anfängt, sich – nein, wir müssen anders sagen – wie sie das schon lange gemacht hat, die protestantischen Kirchen umwirbt und wie die protestantischen Kirchen sich immer mehr Rom nähern.
Jetzt ist man so weit, dass man schon öffentlich deklarieren kann, man glaube dieselben Punkte: Gnade und Glauben, Rechtfertigung aus Gnade und aus Glauben.
Darum ist es so wichtig, dass wir wissen, was die Bibel über Gnade sagt. Denn das römische Verständnis von Gnade ist etwas ganz anderes. Es nähert sich mehr dem, was in diesem Buch steht. Ich will hier das eine oder andere daraus vorlesen.
Hier haben wir eher den römisch-katholischen Gnadenbegriff, so wie ihn dieser Mann hier, Charles Spurgeon, versteht. Nämlich Gnade als etwas, das dem Menschen zur Hilfe kommt und ihn befähigt, so zu leben, wie er gerne leben will oder denkt, dass er leben sollte.
Nun, so krass ist es nicht, ich habe es jetzt etwas überspitzt formuliert. Aber nach römisch-katholischem Gnadenbegriff ist Gnade etwas, das Gott dem Menschen guten Willen gibt, damit er Gott gefallen könne.
Wir haben gesehen: In der Bibel ist Gnade etwas ganz anderes. Sie zeigt uns, dass Gott handelt, um seinetwillen handelt, dass er allein handelt und dass es so sein muss, weil der Mensch so verderbt ist, so hoffnungslos böse und sein Wille gegen Gott gerichtet ist.
Gott muss alles tun. Gott muss uns zuerst willig machen, Gott muss zuerst an uns wirken, Gott muss an unserem Herzen arbeiten. Sonst sind wir nie willig, ihn und sein Heil anzunehmen.
Auch das ist etwas, das durch die ganze Reformation, in den Jahren der Reformation und durch den Kampf der Reformatoren deutlich wurde. Hier war eigentlich die Front. An diesen Wahrheiten entspann sich der ganze Kampf.
Denn die Kirche von Rom sagte: Ja, der Mensch ist zwar gefallen, durch die Sünde ist er beschädigt, aber er hat noch einen guten Willen. Und da setzt Gott ein. Wenn du guten Willens bist, dann hilft dir Gott.
Dann kommen auch die Sakramente, die Hilfe der Kirche, die Gebete der Priester und so weiter dazu, und dann wirst du das Heil erlangen.
Die Reformatoren aber haben die biblische Lehre von der völligen Verderbtheit des Menschen neu gesehen, gelehrt und verkündigt – so wie wir das sehr schön in einem Zitat von Luther finden. Das gehört zum Herzen und zur Kraft des Evangeliums. Es gehört zum Evangelium.
Darum ist es so wichtig, dass wir das sehen. Der Römerbrief beginnt ja damit, dass er drei Kapitel lang die völlige Bosheit und Verderbtheit des Menschen zeigt. Erst auf diesem Hintergrund verstehen wir die Lehre der Rechtfertigung aus Glauben und aus Gnade.
Die stellvertretende Bedeutung des Todes Christi
Ja, jetzt weiter mit Korinther 5. In den Versen 14 und 15 steht: Die Liebe des Christus drängt uns, indem wir also geurteilt haben, dass einer für alle gestorben ist und somit alle gestorben sind. Er ist für alle gestorben, damit die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist und auferweckt wurde.
Wenn wir dazu 1. Timotheus 2 aufschlagen, dann sehen wir, dass es tatsächlich so ist: Christus gab sich zum Lösegeld für alle (1. Timotheus 2,5-6). Im Griechischen wird hier das Wort „hyperpanton“ verwendet, und das bedeutet „mit Blick auf alle“.
Wegen der Sünde Adams und weil alle Menschen in der Sünde Adams gefangen sind, ist Christus gestorben. Er wurde zum Lamm Gottes, um die Sünde – nicht die einzelnen Sünden – abzuschaffen. Die Sünde der Welt soll weggenommen werden. Wegen der Sünde Adams musste Christus als Mensch sterben, wegen der Sünde aller Menschen.
Aber dann sagt Paulus in 2. Korinther 5, dass die, welche leben, es leben – also nicht alle. Es leben nicht alle. Christus starb mit Blick auf die Sünde aller Menschen, aber es leben nicht alle. Die, welche leben, sind aus der ganzen Menschheit herausgenommen, ein Teil.
So sagt er weiter, und jetzt schlagen wir Markus Kapitel 10 Vers 45 auf: „Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele“ (Markus 10,45). Hier steht „viele“, nicht „alle“. Im Griechischen wird hier ein anderes Wort verwendet, nicht „hyperpanton“, also „mit Blick auf alle“, sondern „antipolon“, was „stellvertretend für viele“ bedeutet.
Das heißt, Christus trug stellvertretend das Gericht nicht für alle, sondern für viele, nämlich für die, die glauben. Wir können auch sagen: für die, die Gott zum Glauben erwählt hat.
Nun, ich weiß, das sind Gedanken, denen man nicht so oft nachgeht. Irgendwie ist es uns lästig geworden, über solche Dinge nachzudenken. Wir finden es beschwerlich, solche Gedanken überhaupt zu erwägen.
Aber was hat das jetzt zu tun mit Gnade und mit Gottesfurcht? Folgendes: Wenn ich das hier begreife – ganz begreifen kann ich es auch nicht –, aber wenn ich das sehe, dann habe ich ein ganz anderes Verhältnis zur Gnade Gottes, zu diesem großen Gott, der zum Heil erwählt nach seinem Willen.
Ich stelle jetzt diese Sache ganz bewusst aus der Sicht Gottes heraus. Und dann werde ich in ganz anderer Weise Gott, das Evangelium und seinen Sohn ansehen.
Illustration aus der DDR: Eigentum und Verantwortung
Ich versuche das jetzt zu veranschaulichen. In den Jahren 1980, 1981 und 1982 war ich häufig in der DDR. Dort habe ich Geschwister besucht und Gemeinden kennengelernt. Dabei fiel auf, dass dort alles volkseigen war. Es gab volkseigene Betriebe, sogenannte VEBs, und auch Volksparks – alles war volkseigen.
Man sagte dort scherzhaft, dass es sich oft um ehemalige Betriebe handelte, was meistens auch stimmte. Das war genau so, wie es war: eine Art Bröckeln, eine Vorsicht des Zerfalls. Nun, was allen gehört, gehört damit niemandem. Niemand fühlt sich verantwortlich, und niemand kümmert sich darum. Entsprechend sah alles lieblos aus. Man merkte, dass alles irgendwie lieblos war. Es gehörte niemandem, gehörte allen und damit eigentlich niemandem.
Wir haben uns damals zu sehr nur mit diesen Gedanken beschäftigt und uns ganz darauf beschränkt, so sehr Gott die Welt auch geliebt hat. Jesus ist für alle gestorben, und wir haben vergessen, dass die Bibel auch davon spricht, dass Gottes Liebe aussondernd ist. Wir müssen wissen – und das ist die entscheidende Frage: Wenn jemand einfach sagt, „Ja, Gott liebt alle Menschen“, bedeutet ihm die Liebe Gottes dann wirklich etwas?
Was allen gehört, bedeutet dem Einzelnen oft nichts. Wir müssen wissen: Hat Christus mich geliebt? Hat Christus meine Schuld am Kreuz getragen? Christus sagt, dass er sein Leben als Lösegeld stellvertretend für viele gab. Das erfüllt mich mit Ehrfurcht und Furcht vor Gott. Ich trete vor sein Angesicht, suche es und bitte ihn, mir gnädig zu sein und mir die Sünden zu vergeben.
Nur er allein gibt mir die Gewissheit ins Herz, dass er vergeben hat, dass Christus, sein Sohn, auch für mich gestorben ist. Es hilft nichts, wenn wir den Menschen einfach schriftlich sagen und versuchen einzureden: Christus ist für alle gestorben, folglich auch für dich, er liebt alle Menschen. Ja, was hilft das, wenn ich es nicht glauben kann, in lebendigem Glauben erfassen kann?
Aber wie komme ich dazu, etwas im lebendigen Glauben zu erfassen? Ich kann mir den Glauben nicht einreden. Der Glaube hält nur so lange, wie ich Kraft habe, mir etwas einzureden. Den Glauben, dass Gott mich errettet hat und Christus meine Sünde getragen hat, schenkt Gott. Diese Gewissheit gibt der Heilige Geist.
John Bunyan hat das sehr meisterlich in seinem Buch „Der Heilige Krieg“ dargestellt. Der Titel klingt heute etwas anstößig, aber wir dürfen ihn nicht im Kontext unserer Zeit sehen. Der Heilige Krieg ist wirklich ein heiliger Krieg, weil er uns in allegorischer Form zeigt, wie eine Stadt, die den Menschen repräsentiert, von Gott geschaffen zu seiner Wonne.
Diese Stadt hat fünf Pforten, die die fünf Sinne des Menschen darstellen: Augenpforte, Ohrenpforte, Mund- oder Sprechpforte, Riechpforte und Tastpforte. Dann kommt ein gewisser Diabolus und belagert die Stadt. Durch die Augenpforte, die Ohrenpforte und die Mundpforte dringt er in die Stadt ein.
Nachher ist diese Stadt, die Menschenseele, die der Allmächtige geschaffen hat, zu seiner Wonne, vom Diabolus unterworfen. Dann kommt Emanuel. Der Allmächtige sendet Emanuel, der mit seinen Heeren die Stadt belagert und einnimmt.
Dieser Gedanke ist uns heute fremd: dass Gott arbeiten muss, dass er gewissermaßen seine Heerscharen senden muss, um unseren Widerstand zu brechen. So findet eine lange Belagerung statt, bis die Stadt schließlich durch die Ohrpforte erbrochen wird. Dann marschiert Emanuel mit seinen Armeen in die Stadt ein.
Wir denken oft, der Mensch müsse nur das Evangelium hören, und dann werde er es annehmen. Die Bibel zeigt es ganz anders. Sie sagt, in uns ist Feindschaft gegen Gott. Wir sind gegen ihn, sein Wort und sein Wirken verschanzt.
Nachdem die Stadt erobert ist, sind die Bewohner der Menschenseele glücklich und dankbar. Sie erwarten, dass Emanuel in der Mitte der Stadt sein Quartier aufschlägt. Doch er tut es nicht, sondern bleibt vor der Stadt.
Eine Gesandtschaft aus der Stadt geht nacheinander hinaus. Was tun sie dort? Sie bitten Emanuel, in ihre Stadt zu kommen und unter ihnen zu wohnen. John Bunyan stellt das meisterhaft dar. Dabei wird einem bewusst: Das ist Gnade von Gott, dass er das tut.
Wir können von ihm nicht verlangen: Ich habe meine Sünde bekannt, du bist für mich gestorben, also kommst du in mir wohnen, musst mich führen, pflegen und erhalten. Gott schuldet uns das nicht. Er schuldet uns keine Errettung, er schuldet uns nicht, dass er uns die Sünden vergibt und vor der Hölle rettet. Er schuldet es uns nicht.
Wir haben uns angewöhnt, so zu denken, wie Heinrich Heine einmal sagte: „Dieu me pardonnera, c’est son métier“ – Gott wird schon vergeben, denn das ist sein Geschäft. Nein, so ist es nicht.
Einer, der hinausgeht – das steht so schön in diesem Buch, und wer Englisch kann, dem empfehle ich, es im Original zu lesen –, bittet Emanuel, in die Stadt zu kommen. Dann kehrt er zurück und legt den wartenden Bewohnern Bericht ab.
Er sagt über Emanuel: „Er ist von solcher Schönheit und Herrlichkeit, dass man ihn gleichzeitig lieben und fürchten muss.“ Da haben wir es wieder: lieben und fürchten – beides. Ja, es ist wirklich so.
Heilsgewissheit und die Rolle des Heiligen Geistes
Ich hörte vor einigen Monaten einen Verkündiger, der über echte und falsche Christen predigte. Das hat mich sehr gefreut, als er sagte, ich hätte es von ihm gar nicht erwartet.
Umso mehr freute mich, wie er betonte, dass die Sache der Heilsgewissheit gar nicht unsere Sache sei. Wir können uns keine Heilsgewissheit selbst geben. Heilsgewissheit gibt Gott durch sein Wort – aber nicht nur durch sein Wort, sondern durch sein Wort und seinen Geist.
Darum hilft es nicht, den Leuten zu sagen: „Schau, gehe diese vier Schritte durch! Erster Schritt: Sünde bekennen, zweiter Schritt: wissen, dass er vergeben hat, dritter Schritt: Gewissheit der Vergebung, vierter Schritt: Gewissheit des ewigen Lebens.“ Es funktioniert einfach nicht, zumindest nicht nur auf dem Papier.
Gottes Geist allein kann uns die Wahrheit des Wortes Gottes lebendig machen und uns Gewissheit geben. Gottes Geist gibt uns das Zeugnis, dass wir Kinder Gottes sind. Sein Geist gibt dieses Zeugnis. Gott selbst, Gott, der uns vergibt, gibt uns die Gewissheit der Vergebung.
Das wollte Bangen hier darstellen: Es hilft nicht, uns selbst einzureden: „Gott liebt uns, hat uns vergeben, Gott muss es uns persönlich sagen, damit wir dahin kommen, dass wir mit Paulus sagen können“ (Galater 2,20): „Christus, der mich geliebt hat.“
Ja, so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass sein Sohn für alle starb, im Blick auf alle. Aber wir müssen wissen: Du musst wissen, dass Christus für mich starb, dass er meine Schuld zog. Das müssen wir wissen.
Und dieses Wissen bekommen wir nur aus Gottes Mund. Er gibt uns diese Gewissheit. Wir können nicht über Gott verfügen, sondern Gott verfügt über uns.
Warnung vor falschem Verständnis von Freiheit und Herrschaft Jesu Christi
Ich möchte hier einen Satz aus diesem Buch vorlesen, der uns zeigt, wie sehr die Dinge bereits auf den Kopf gestellt wurden.
Dort steht: Vor unserem Hinwenden zu Jesus hatten wir keine Wahl. Wir kannten nur die Sünde, und unser ganzes Leben war von Unrecht geprägt. Als wir aber zum Kreuz kamen und Jesus das Recht gaben, über unser Leben zu herrschen, erhielten wir eine Entscheidungsmöglichkeit, die völlig neu für uns war.
Ich empfinde es als wirklich unerträglich, wie man das so sagen kann. Wir geben dem Herrn und Herrscher das Recht – dabei können wir ihm doch keine Rechte geben. Er hat alle Rechte. Wir können sie nur vor ihm niederwerfen und ihn bitten, mit uns zu tun, wie es ihm beliebt. Wir beugen uns vor ihm, denn er ist Herr und Herrscher – nicht wir.
Ja, ich habe diesen Vers einmal gelesen. Nun sollte ich erklären, warum wir aus diesem Vers oder aus der Tatsache, dass bei Gott Vergebung ist, folgern müssen, dass er in diesem Fall zu fürchten ist. Psalm 130, Vers 4 lautet: „Bei dir ist Vergebung, damit du gefürchtet werdest.“ Also nicht umgekehrt: Gott vergibt dir Sünden, deshalb muss man ihn nicht so fürchten und ernst nehmen, wie wir manchmal denken oder wie der natürliche Mensch denkt. Nein, bei Gott ist Vergebung, damit er gefürchtet werde.
Das ist so, als ob wir einen Arzt kennen, der eine sichere, tödliche Krankheit heilen kann – nur er kann sie heilen, zum Beispiel AIDS. Dann gehen wir zu ihm, und er verschreibt uns genau die Medizin und gibt uns genau die Anweisungen, die wir befolgen müssen. Wir würden uns hüten, ihm zu widersprechen oder so zu tun, als wüssten wir es besser. Wir könnten nicht einfach machen, was wir wollen. Wir wissen nur, dass er uns heilen kann.
Darum scheuen wir alles, was er sagt. Wenn wir begreifen, dass Gott der Einzige ist, der uns Sünden vergeben kann, dann werden wir uns hüten, ihm zu widersprechen. Dann werden wir ihn fürchten. Er gibt uns auch die Gewissheit der Vergebung. Gott ist nicht verpflichtet, uns diese Gewissheit zu geben.
Wenn Christen mit der Sünde spielen, habe ich große Sorgen um sie. Ich glaube an ewige Rettung – man muss an ewige Rettung glauben, wenn man an die Erwählung vor der Zeit glaubt. Aber wenn jemand, der sich Christ nennt, mit der Sünde spielt, habe ich große Sorgen um ihn.
Ich fürchte, dass ein Tag kommt, an dem er einfach sündigt, obwohl er weiß, was er tut. Er macht es, weil er Lust und Freude daran hat. Dann nimmt Gott ihm die Fähigkeit, die Sünde zu bekennen und an die Vergebung zu glauben. Genau so geschieht es ihm. Er dachte immer wieder, er könne sich freischütteln, doch eines Tages gelingt es nicht mehr.
Gott weicht von ihm. Und wenn Gott von uns weicht, was machen wir dann? Dann können wir nicht mehr glauben. Dann sind wir im Gefängnis. Dann sind wir wie Simson, gekettet mit doppelten Ketten, die Augen ausgestochen, sehen nichts und gehen im Kreis in der Mühle.
Psalm 130,4: „Bei dir ist Vergebung, damit du gefürchtet werdest.“
Zeugnis von Wilhelm Busch über Gottesfurcht und Gottes Zorn
Ich weiß, die Zeit ist vorbei, aber ich lese jetzt nicht noch drei Minuten weiter. Ich lese jetzt aus diesen Büchern hier vor. Ich finde es so wichtig, was Wilhelm Busch sagt: Freiheit aus dem Evangelium, meine Erlebnisse mit der geheimen Staatspolizei.
Er schreibt hier etwas, was wir gar nicht mehr gewohnt sind zu hören. Und zwar schreibt er über die Furcht Gottes. Nun muss ich erzählen, wie Gott mich von der Angst vor der Staatspolizei befreite – nämlich indem ich eine größere Angst kennenlernte.
Da saß ich das erste Mal im Gefängnis, anfangs in einsamer Verzweiflung, Angst und Not. Bis ich auf einmal merkte, dass Gott mit mir reden wollte. Dann fing Gott an, mit mir über mein Leben zu sprechen. Das habe ich bei jeder Haft so erlebt.
Als es still wurde, fing Gott an zu reden und nahm mein Leben mit mir durch: allen Hochmut, alle Unreinigkeit, Lüge, Lieblosigkeit. Auf einmal merkte ich, dass Gott zornig ist. Gottes Zorn, sagt die Bibel, entbrennt über alle sündigen Menschen.
Gottes Zorn loderte in meiner Zelle. Wenn Ihnen solche Gedanken kommen, dass Gott mit Ihnen reden will, dann laufen Sie meistens weg. Er sagte das in einem Vortrag, der aufgeschrieben wurde: Dann laufen Sie meistens weg, gehen ins Kino oder machen Betrieb. Hier konnte man nicht weglaufen.
Das war das Schauerliche und zugleich der Segen dieser Sache – dass Gott sagte: Deswegen rede ich mit dir. Ich weiß heute, wie es am Jüngsten Tag sein wird, wenn Gott Ihnen Ihr Leben vor die Füße wirft und Ihre Sünden völlig offen da liegen.
Irren Sie sich nicht: Gott lässt sich nicht spotten. Ich habe damals gelernt, was die Hölle ist. Die Hölle ist, dass man in Ewigkeit unter diesem Zorn Gottes bleibt. Ich weiß nicht, wie die Hölle aussieht, aber das weiß ich: Man ist weggeworfen, hinausgetan von ihm.
Ich lernte die Angst vor Gott. Darum verlor ich die Angst vor diesen lächerlichen SS-Leuten. Haben Sie schon einmal Angst vor Gott gehabt? Sonst haben Sie noch nicht angefangen, die Wirklichkeit zu sehen.
Dieser heilige Gott sieht uns, er umgibt uns. Seine Gebote können wir doch nicht mit Füßen treten. Vielleicht muss er uns auch einmal in die Stille führen, damit wir ihm nicht mehr weglaufen können.
Dann, als ich dachte: Mann, ich bin verloren, kam Jesus und zeigte mir seine Hände mit den Nägelmalen. Auf einmal begriff ich, was ich draußen immer gewusst hatte: Er hat meine Sünde weggetragen. Die Strafe liegt auf ihm, damit ich Frieden habe. Er macht mich gerecht vor Gott.