Einführung und persönliche Vorstellung
Ich sollte mich vielleicht noch vorstellen, da gerade einige gekommen sind und ich jetzt ein bisschen Zeit von euch in Anspruch nehme für dieses Hauptreferat.
Mein Name ist Volker Gäckle. Ich bin Studienleiter im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen. Dort begleiten, unterrichten und betreuen wir evangelische Theologiestudentinnen und -studenten auf einem sehr herausfordernden Weg durch das Studium. Derjenige, der hier am Klavier spielt, ist einer davon.
Im Ehrenamt bin ich außerdem Mitarbeiter im CV, dem Landesverband in Württemberg, und dort als Vorsitzender tätig.
So, in aller Kürze – das muss reichen: Erwecke die Gabe, die in dir steckt – wie Jesus Nachfolge dynamisch wird.
Der Traum der Grenzüberschreitung in der Gesellschaft
Es ist immer gut, wenn man ein Thema gestellt bekommt, hat mir Winrich Schäffbuch aufgeschrieben: „Volker, du machst das.“ Und es war toll, dass ich das mal richtig machen musste, dass ich mich da reinhängen musste.
Mir sind dabei ein paar Dinge aufgefallen. Es gibt ja diesen uralten Traum der Menschheit, der in allen Kulturen nachweisbar ist. Dieser Traum besteht darin, dass wir durch irgendein Zaubermittel unsere menschlichen, irdischen Grenzen ausdehnen wollen. Überall wird dieser Traum geträumt: Ich möchte die Grenzen, die mir als Mensch gesetzt sind, gerne ausweiten.
Jeder Mensch hat ganz bestimmte Grenzen, zum Beispiel im Blick auf seine Lebenszeit. Heute gibt es Anti-Aging-Kampagnen, die das Altern hinauszögern und das Längerleben zum großen Motto machen. Aber wir haben auch Grenzen im Blick auf unsere Kraft, unsere Intelligenz, Leistungsfähigkeit, Ausdauer und so weiter. Bei dem einen sind die Grenzen weiter, bei dem anderen enger gesteckt.
Egal, wie weit oder eng unsere Grenzen sind, wir alle träumen eigentlich davon, diese Grenzen ausweiten zu können und weitere Möglichkeiten zu haben. Deshalb leben wir heute auch in einer ganz extremen Dopingkultur.
Ich weiß nicht, ob euch das einmal deutlich geworden ist, aber unsere Gesellschaft betreibt eigentlich eine Heuchelei. Wir zeigen mit dem Finger auf die Sportler, die spritzen statt schwitzen, auf die, die betrügen und belügen, auf die, die im Grunde ihre körperlichen und kräftemäßigen Grenzen mit Dopingmitteln ausdehnen. Sie wollen schneller laufen, weiter oder höher springen, schneller und ausdauernder Rad fahren und so weiter.
Aber wenn wir mit dem Finger auf die Sportwelt zeigen, vergessen wir manchmal, dass eine ganze Gesellschaft heute im Grunde mitmacht, weil sie diesen Traum träumt, die eigenen Grenzen auszuweiten. Wir leben in einer Dopingkultur.
Das kann ganz harmlos anfangen, zum Beispiel mit einer Packung Red Bull. „Red Bull verleiht Flügel“ – man möchte über die Grenzen hinauskommen. Es geht weiter, dass manche vor jeder Klassenarbeit kiffen, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern und irgendein Gras rauchen, um nachher in der Klassenarbeit ein weiteres Bewusstsein zu haben, um am Schuljahresende die Versetzung zu schaffen.
Für solche Leute bekommt das Lied „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer“ noch einmal eine ganz neue Bedeutung. Wir sind eine Dopinggesellschaft geworden. Wir versuchen, mit äußeren Zaubermittelchen unsere Grenzen zu weiten.
Das geht bis ins Aussehen hinein: Schönheitsoperationen, um die Figur zu verschönern. Ein bisschen Speck am Po weg oder bei Männern mehr so der Schwimmgürtel um den Bauch herum. Oder ein bisschen mehr Silikon in den Busen rein, um die Form etwas attraktiver zu machen, um die äußeren Grenzen schöner zu gestalten. Ein bisschen die Ohren anlegen, die Nase gerade biegen lassen und so weiter. Dann muss es doch klappen mit der Traumfrau oder dem Traummann.
Aber ich will ja nicht spotten – nicht jeder ist so schön wie ich. Also, von daher: Grenzen ausweiten.
Wir leben in einer Dopingkultur. Es gibt Labore, in denen Forscher schon längst nach dem Intelligenzgen suchen. Das wäre doch was: Kinder, die von vornherein auf den Nobelpreis gepolt sind, Grips aus dem Reagenzglas. Der IQ eurer Kinder könnte vielleicht mal bestellt werden. Der Sprössling ist dann vielleicht sozial unverträglich und völlig erziehungsresistent, aber er ist intelligent.
Tja, Dopingkultur.
Wir leben in einer Dopingkultur. Wir versuchen mit allen Mitteln, unsere menschlichen, irdischen Grenzen auszuweiten. Und wer da nicht mitmacht, der kann schon Angst bekommen, ob er da nicht etwas verpasst. Manchmal bekommt er den Vorwurf, dass er nicht ganz „knusper“ ist, wenn er sich dieser Mittel nicht bedient, die doch alle haben. Ob er morgen nicht auf dem Schrottplatz einer Gesellschaft liegt, die sich bis an die Grenzen des Möglichen gedoppt hat.
Wir leben in einer Dopingkultur. Und wisst ihr, diese Dopingkultur ist auch schon mitten in unsere Gemeinden eingedrungen. Diese Dopingkultur gibt es auch in der frommen christlichen Szene. Da sind wir überhaupt nicht unbeleckt davon.
Wo andere ihre Grenzen mit dem Kiffen von Gras oder mit dem Operieren ihrer Nase ausweiten wollen, versuchen wir es zum Beispiel mit dem Jabetz-Gebet. Da hat irgendjemand mal den Jabetz aus dem Alten Testament ausgegraben. Von dem gibt es ganze zwei Verse, ich weiß nicht, ob ihr die schon mal gelesen habt.
Manche lesen ja nur die Flut von Literatur und die Bücher, aber von diesen zwei Versen ist eins ein Gebet. Dieses Gebet ist jetzt ganz nett, aber verglichen mit dem Psalm oder so wirklich nicht der Brüller.
Was in diesem Gebet aber heraussticht, ist, dass Jabetz um die Ausweitung seiner Grenzen bittet. Und einzig und allein deshalb ist dieses Jabetz-Gebet heute der absolute Renner. Deshalb ist es wirklich der Renner auf allen Büchertischen.
Einzig und allein, weil Jabetz um die Weitung seiner Grenzen bittet, ist das Gebet für unsere fromme Dopingkultur interessant: mehr Raum, mehr Gebiet, weitere Grenzen, weitere Möglichkeiten.
Das Jabetz-Gebet wird heute als frommes Dopingmittel auf den Büchertischen angepriesen. Es passt ja wie die Faust aufs Auge auf diese Kultur der Grenzausweitung: „Ich will mehr.“
Gottes Wirken im Leben – eine andere Perspektive als Doping
Im Untertitel dieses Seminars heute steht: „Wie Jesus Nachfolge dynamisch wird“.
Wenn du heute Morgen jedoch geistliche Doping-Tipps erwartest, also Hinweise darauf, wie du deine geistlichen Wirkungsmöglichkeiten ausdehnen kannst, muss ich dich enttäuschen. Ich werde heute nicht darüber sprechen, wie du mehr geistliche Dynamik in dein Leben bringen kannst. Auch nicht darüber, wie du dich geistlich „dopen“ kannst.
Stattdessen möchte ich heute Morgen über die Ausweitung von Gottes Wirkungsmöglichkeiten in deinem Leben sprechen. Es geht darum, wie Gott in deinem Leben mehr Raum bekommen kann. Das ist etwas ganz anderes, etwas fundamental Verschiedenes.
Es macht einen großen Unterschied, ob du mehr Möglichkeiten für dein Leben haben möchtest oder ob Gott mehr Raum in deinem Leben bekommen kann. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.
Ich möchte dies an zwei Bibelversen erklären, die in einem alten Brief stehen. Dieser Brief wurde etwa hundert Jahre geschrieben, nachdem Obelix der Gallier in den Zaubertrank gefallen war und seinem Leben dadurch eine umfassende Weite gegeben wurde.
Der Apostel Paulus schrieb einige Zeilen an seinen Mitarbeiter Timotheus. Wenn ihr möchtet, könnt ihr eure Bibel herausholen und mitlesen.
Ich lese jetzt zwei Verse aus dem Zweiten Timotheusbrief, ziemlich am Ende der Bibel, und zwar Kapitel 1, Verse 6 und 7.
Paulus schreibt an Timotheus folgende Worte:
„Ich erinnere dich daran, dass du die Gabe Gottes erweckst, die in dir ist, durch die Auflegung meiner Hände. Denn Gott hat uns nicht gegeben einen Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2. Timotheus 1,6-7)
Die wahre Bedeutung der Gabe Gottes
Erwecke die Gabe, die in dir steckt – nicht nur auf den ersten Blick oder den ersten Höreindruck.
Das klingt hier vielleicht wie eine Art frommes Doping, so nach dem Motto: „Weck den Tiger in dir“ oder „Hol raus, was in dir steckt, dann hast du mehr vom Leben.“ Doch wie gesagt, das wäre – und davon bin ich überzeugt – ein Missverständnis. Es geht hier um etwas ganz anderes.
Ich möchte das in zwei Punkten, in zwei Akzenten verdeutlichen. Die Gabe, von der hier die Rede ist, ist der Heilige Geist. Paulus ruft dazu auf, diesen Heiligen Geist, der in dir steckt, zu erwecken.
Der Heilige Geist vermehrt nicht unbedingt deine eigenen Möglichkeiten, sondern er vermehrt Gottes Möglichkeiten mit dir. Das ist ein entscheidender Unterschied.
Der Heilige Geist vermehrt nicht einfach deine persönlichen Fähigkeiten. Sicher schenkt der Heilige Geist auch Gaben, das ist unbestritten. Aber vor allem vermehrt er Gottes Möglichkeiten in deinem Leben.
Als Warnung sei gesagt: Wer dem Heiligen Geist Raum gibt, erlebt nicht unbedingt eine Ausweitung seiner irdischen Kraft. Er erlebt nicht unbedingt eine Steigerung seiner Leistungsfähigkeit, nicht unbedingt eine Stärkung seiner Gesundheit und schon gar keine Vermehrung seines Besitzes.
Der Heilige Geist ist kein frommes Dopingmittel, damit in meinem Leben alles glattläuft. Das wäre ein dramatisches Missverständnis.
Diesen Eindruck könnte man vielleicht durch einige Lieder gewinnen, die man immer wieder singt. Doch wenn man die Bibel liest, erkennt man etwas ganz anderes.
Ich möchte das am Beispiel des Apostels Paulus beschreiben, der diese Zeilen geschrieben hat.
Das wahre Bild vom Apostel Paulus
Viele Menschen stellen sich den Apostel Paulus als einen besonders begabten, mitreißenden Evangelisten vor. Man denkt sich: Das muss eine faszinierende Persönlichkeit gewesen sein. Wenn er an die Bushaltestelle kam, haben sich alle bekehrt, er hat mitgerissen, er hat irgendwie alle berührt. Paulus, so müsste man sein.
Viele haben in Paulus einen dynamischen Missionar vor Augen, der unglaublich viele Gaben hatte, fantastisch predigen konnte und der sofort immer wusste, wo es langgeht und wie es weitergeht. Viele stellen sich Paulus als einen starken Typ vor, wie man selbst gern einer sein möchte. Anders, so denken viele, kann er gar nicht gewesen sein.
Aber wenn man ganz genau in der Bibel nachschaut, wer Paulus wirklich war, stellt man fest, dass die Menschen, denen Paulus damals begegnet ist, einen ganz anderen Eindruck von ihm hatten.
Im 2. Korintherbrief spricht Paulus an einer Stelle über die Eindrücke, die Menschen von ihm hatten. In Korinth gab es eine Fraktion, die sagte: „Nee, Paulus, also mit dem wirklich nicht, mit dem können wir absolut nichts anfangen. Paulus kann sich in der Pfeife rauchen.“ Paulus zitiert diese Gegner und was sie über ihn denken.
In 2. Korinther 10,10 schreibt er: „Denn seine Briefe“, so sagen sie seine Gegner in Korinth, „die wiegen schwer und sind stark. Briefe schreiben kann er,“ sagen sie, „die Briefe sind okay, ja, echt stark. Aber wenn er selbst anwesend ist, dann ist er schwach, und seine Rede ist kläglich.“
Wisst ihr, welche Noten die Korinther ihm ausgestellt haben? Ich bin sicher, wir wären mit ihnen einig gewesen: Persönliches Auftreten mangelhaft – Note fünf, Redegewandtheit ungenügend – Note sechs.
Und Paulus sagt ganz offen: „Ihr habt Recht, ihr habt komplett Recht, genau so bin ich.“ Paulus bemüht sich nicht, diesen Eindruck im 2. Korintherbrief zu widerlegen. Er will ihn gar nicht korrigieren, sondern sagt: Ja genau, genau das ist die Wirklichkeit.
Paulus sagt: „Wisst ihr, ihr habt es schon richtig gesehen mit euren Augen, ich bin nicht der brüllende Redner. Ich bin nicht der ultimative Partyhengst, der auftritt und alle schauen auf mich.“ Nein, aber was ihr nicht begriffen habt, ist die Art und Weise, wie Gottes Geist in mir wirksam ist.
Gottes Geist wirkt in mir nicht durch meine großartige Begabung. So schön und gut es ist, wenn Gott Gaben schenkt – Gottes Geist wirkt in mir, Paulus, nicht durch eine gigantische Begabung. Sondern er wirkt in mir gerade in meiner erbärmlichen Schwachheit.
Da wirkt Gottes Geist in mir. „Wenn ich schwach bin,“ sagt Paulus, „dann bin ich stark.“ Und Jesus hat zu mir gesagt, so Paulus, „Mensch, meine Gnade genügt dir, meine Kraft ist mitten in deiner Schwachheit wirksam.“ Nicht in deiner überbordenden Begabung, wenn du sie hättest, nein, sondern in deiner Begrenzung, innerhalb deiner engen Grenzen wirke ich in dir.
Die Realität göttlichen Wirkens und das falsche Bild von Helden
Wir machen uns oft ein falsches Bild von den Menschen, die Gott berufen hat. Wir denken immer, sie müssten Helden sein, so wie wir sie in manchen frommen Biografien oder auf manchen Büchertischen finden. Vergesst diese Bücher! Wenn das Leben eines Nachfolgers Jesu zu einer Heldenbiografie gemacht wurde, dann ist dieses Buch fast immer eine Lüge.
Ich ärgere mich über Bücher, in denen über fromme Menschen eine Heldenbiografie geschrieben wurde, um sie fast wie Helden in den Himmel zu heben. Wenn die anderen Seiten, die Schattenseiten, die kümmerlichen Seiten dieser Menschen nicht geschildert werden, dann ist das eine Lüge.
In der Bibel stehen nirgends Heldenbiografien. Die Bibel spricht auf eine faszinierend ehrliche Weise über die Stärken, aber auch über die Schwächen von Menschen.
Wir machen uns oft ein falsches Bild vom Wirken Gottes. Wir denken häufig, Gott fängt nur dann etwas mit mir an, wenn er mir vorher große Gaben gibt. Wir glauben, Gott beginnt nur dann mit mir zu wirken, wenn er mir vorher Gaben schenkt, meine Grenzen ausweitet oder mein Gebiet erweitert – Stichwort Jabetz.
Wir denken, nur wenn ich eine große Redegabe habe, eine Heilung vollbringen kann oder ein Wunder wirke, dann kann Gott mit mir wirken. Aber das ist ein falsches Bild, das wir haben.
Noch schlimmer ist, dass wir uns an diesem falschen Bild messen. Wir vergleichen uns mit diesen Heldenbiografien und verlieren dabei immer. Wir kommen zu dem Eindruck, dass wir nie etwas zu melden haben, dass wir keine Chance haben, mitzuhalten. Verglichen mit diesen Heldinnen und Helden in den Büchern haben wir nichts zu bieten.
Dann überkommt uns dieser Geist der Verzagtheit: „Oh Gott, mit mir kannst du nichts anfangen, mich kannst du vergessen, ich bin klein, mein Herz sagt nein, ich kann niemals ein Nachfolger Jesu sein.“ Tragisch!
Gott hat uns aber nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Gott ist anders.
Gottes Wirken durch Begrenzung und Schwäche
Gott weitet seine Möglichkeiten in unserem Leben oft gerade dadurch, dass er uns den Raum nimmt. Er vergrößert die Möglichkeiten im Leben seiner Menschen häufig nicht, indem er ihnen mehr Raum gibt, sondern indem er ihn einschränkt.
Wisst ihr, dass Paulus mindestens vier Jahre seines Dienstes im Gefängnis verbracht hat? Gott kann es sich leisten, den Handlungsspielraum seiner Mitarbeiter einzuschränken, um seine Möglichkeiten zu erweitern.
Marie Durand, eine Hugenottensäugin, saß siebenunddreißig Jahre lang eingesperrt im Gefängnis. Gott hat diese siebenunddreißig Jahre der Begrenzung gebraucht und genutzt, um durch ihr Leben seine Grenzen weit über das Übliche hinaus auszudehnen.
Gott weitet seine Möglichkeiten in unserem Leben oft auch, indem er unsere Gesundheit einschränkt. Auch das war bei Paulus der Fall. Ihm wurde ein „Stachel im Fleisch“ gegeben. Er bat Gott darum, diesen zu nehmen, dass Jesus ihn heilt, doch das geschah nicht. Jesus sagte ihm: Gerade dadurch wirke ich durch dich.
Ein weiteres Beispiel ist Johann Hinrich Wichern, der Begründer der Inneren Mission im 19. Jahrhundert. Er litt sein ganzes Leben lang unter starken Migräneanfällen, konnte tagelang nichts tun und arbeitete an guten Tagen höchstens sechs Stunden. Dennoch benutzte Gott diesen Mann, um sein Reich auszubreiten.
Gott erweitert seine Möglichkeiten in unserem Leben oft auch dadurch, dass er uns den starken Auftritt nimmt. So war es bei Paulus und auch bei Ludwig Hofacker.
Ich war mir bewusst, dass die Jumiko von der Ludwig-Hofacker-Konferenz veranstaltet wird. Wer war dieser Ludwig Hofacker? Er war ein schwäbischer Pfarrer Anfang des 19. Jahrhunderts, der gerade einmal, ich sage, dreißig Jahre alt wurde.
Er war sein ganzes Leben lang krank. Ab seinem siebzehnten Lebensjahr hatte er als Student schwer getrunken und war ein ziemlich ausschweifender Mensch. Dann erlitt er einen Schlaganfall und bekehrte sich – entweder davor oder danach. Jedenfalls war er krank.
Er konnte nur drei bis vier Jahre als Pfarrer tätig sein. In seinem Leben hielt er vielleicht nie mehr als zweihundert Predigten. Doch zu diesen Predigten kamen Tausende von Menschen. Mit dreißig Jahren starb er.
Gott setzte ihm sehr enge Grenzen, und gerade diese engen Grenzen brauchte Gott, um sein Leben groß und weit wirken zu lassen.
Die Bedeutung der Berufung und der Heilige Geist in der Nachfolge
Vielleicht merkst du jetzt schon, dass deine Entscheidung, heute zu Yumiko zu kommen, eine folgenschwere Entscheidung für dich werden könnte. Vielleicht ahnst du, dass deine mangelhafte Begabung keine Entschuldigung mehr für dich ist. Im Gegenteil: Sie ist eine Voraussetzung dafür, dass der Heilige Geist in dir wirken kann.
Die Wirklichkeit ist, dass Gott nicht die Begabten beruft. Das war das starke Zeugnis unserer beiden Missionare hier. Nicht die Begabten werden berufen, sondern er begabt diejenigen, die berufen sind. Er schenkt Menschen, die denken: „Wer bin ich?“, Gaben für einen Dienst.
Ich bin immer wieder erstaunt über unsere Mitarbeiter im CVM, da kenne ich mich ein bisschen aus. Dort haben wir oft das Problem, wie sonst auch irgendwo, wenn ein altgedienter Vereinsvorsitzender abtritt. Dann gibt es keinen mehr, der die Aufgabe übernehmen will. Die Aufgabe scheint riesig, übermäßig groß, und wer kann das tun? Der Vorgänger hat es super gemacht, und dann traut sich keiner mehr.
Alle sagen: „Ich kann das nicht, ich schaffe das nicht, ich packe das nicht, ich habe keine Gaben dafür. Jedenfalls ich nicht. Ich bin klein, mein Herz sagt nein, ich kann niemals auf Erden ein Vorsitzender sein.“ Und dann passiert etwas ganz Verrücktes und Wunderbares.
Es ist wie bei diesem kleinen David. Ihr kennt vielleicht die Geschichte, als David von dem Propheten Samuel berufen wird. Samuel schaut sich die ganze Reihe der Söhne Isais an: acht starke junge Männer, jeder schöner, stärker und patentierter als der andere. Samuel denkt auf den ersten Blick: „Ja klar, der Erste, super, den nehmen wir.“ Doch Gott sagt: „Nein.“ Und so geht die ganze Reihe weiter. Gott sagt immer wieder Nein.
Heutzutage sagt nicht Gott Nein, sondern meistens die angefragten Leute. Zu wenig Zeit, zu wenig Gaben, zu wenig Lust – es kann vieles sein. Am Ende bleibt der Königsjob beim Jüngsten und Kleinsten hängen. So ist es oft im CVM, so ist es vielleicht bei euch im Jugendkreis, in der Gemeinde oder in der Gemeinschaft. Keiner will es machen, und am Ende bleibt es bei dem einen hängen, den am Anfang keiner auf dem Schirm hatte.
Dieser eine ist der einzige oder die einzige, die die Bereitschaft und den Mut hatte. Solche Leute werden dann von Gott gesegnet. Sie werden auf einmal von Gott begabt – in einer Weise, die sich keiner, am allerwenigsten sie selbst, hätte vorstellen können. Der Heilige Geist gestaltet und erfüllt sie auf eine Art und Weise, die niemand erwartet hat.
Nachfolge wird dynamisch, wenn wir dem Heiligen Geist Raum in unserem Leben geben. Wenn wir nicht zuerst fragen: „Herr, weite meinen Raum aus, gib mir, damit meine Möglichkeiten größer werden“, sondern sagen: „Herr, ich will gehen und weite deine Möglichkeiten in meinem Leben aus. Weite deine Möglichkeiten in meinem Leben aus – und wenn es sein muss, auch dadurch, dass du mir meine Möglichkeiten einengst. Wenn es sein muss, auch dadurch, dass du meinem Leben noch engere Grenzen setzt. Wenn nur deine Möglichkeiten in meinem Leben größer werden, dann will ich glücklich sein.“
So wird Nachfolge unglaublich dynamisch.
Berufung als Grundlage für das Wirken des Heiligen Geistes
Ein zweites und letztes: Der Heilige Geist wirkt nicht in dir, wenn du begabt bist, sondern wenn du berufen bist. Auch das lässt sich an zwei Versen zeigen.
Ich lese nochmal den ersten Vers vor: „Ich erinnere dich, Timotheus, daran, dass du die Gabe Gottes erweckst, die in dir ist, durch die Auflegung meiner Hände.“
Wir wissen wirklich nicht viel über diesen Timotheus, dem Paulus hier diesen Brief schreibt. Wir wissen nur, dass er eine fromme Oma und eine gläubige Mama hatte – wohl dem, der so etwas hat. Aber Timotheus hatte wahrscheinlich auch erhebliches Muffensausen. Jedenfalls muss Paulus ihm ständig Mut machen. Die beiden Briefe an Timotheus sind echte Mutmachbriefe, heute würde man Motivationsimpulse dazu sagen. Auch in diesen Briefen muss Paulus ihn ermutigen.
In diesen beiden Versen schreibt Paulus: „Gott hat dir, Timotheus, keinen Geist der Furcht und Verzagtheit gegeben.“ Deshalb, wenn dir das Herz in die Hose rutscht, dann ist das nicht der Geist Gottes, sondern ein anderer Geist. Nein, der Heilige Geist will Mut machen, Kraft geben und dich umhüllen mit der Liebe Gottes und mit Besonnenheit, schreibt Paulus.
Aber Timotheus wird vielleicht gefragt haben: „Lieber Paulus, woher weiß ich denn, dass der Geist in mir wirkt? Ich spüre oft so wenig von dieser Kraft, ich spüre oft so wenig von dieser Liebe. Und manchmal frage ich mich“, schreibt Timotheus vielleicht irgendwann zurück, „ob ich diesen Geist überhaupt habe.“
Jetzt ist interessant: Guckt noch mal ganz genau hin, woran soll sich Timotheus hier halten in seiner Angefochtenheit? Woran soll er sich halten in seinen Fragen und Zweifeln? Woher soll er wissen, dass der Geist Gottes in ihm wirkt? Das ist ja auch eine Frage, die wir alle haben.
Daran, dass er viele Gaben hat? Paulus sagt nicht: „Guck dich doch mal an, du bist ja so patent und fähig und hast so viele tolle geistliche Gaben.“ Nein, schreibt er ihm nicht. Paulus schreibt: „Du, Timotheus, hast den Heiligen Geist, weil ich dir meine Hände aufgelegt habe.“
Diese Formulierung des Händeauflegens ist ein Bild für die Berufung. „Du, Timotheus, hast den Heiligen Geist, weil ich dich im Namen Jesu Christi berufen habe.“ Das ist das Entscheidende.
Gott gebraucht nicht unbedingt die Begabten – das sicher auch –, aber vor allem gebraucht er die Berufenen. Das ist das Entscheidende. Für mich ist das ein ganz wichtiger Punkt in meinem Leben.
Wisst ihr, ich tue meinen Dienst nicht, weil ich begabt bin – ob als Studienleiter, Pfarrer oder Evangelist –, sondern weil ich berufen bin. Und das macht mich völlig unabhängig vom Erfolg meines Dienstes. Es ist völlig egal, wie viele Leute meine Predigten hören möchten, es ist völlig egal, wie oft ich eingeladen werde, es ist völlig egal, wo mich Gott hinstellt, wie bekannt und berühmt ich sonst auch sein mag. Völlig egal, wie viele Gaben mir geschenkt werden.
Der Grund, das Entscheidende und das Gewissmachende meines Dienstes ist, dass Gott mich berufen hat. Und so ist es bei dir auch. Deiner Jungschar, deiner Jungenschaft, deinem Jugendkreis, deiner Mädchenarbeit, deinem Schülerbibelkreis, deinem Zephal – eben was auch immer. Das Entscheidende deines Dienstes ist nicht, dass du riesig begabt bist, sondern dass du von Gott berufen bist.
Hinter meiner Berufung steht ja auch nicht nur irgendein christlicher Würdenträger, Dekan, Pfarrer oder Bischof, sondern hinter dir und mir steht der auferstandene Jesus Christus persönlich, weil er uns berufen hat. Deshalb wirkt der Heilige Geist in uns.
Hinter deiner Berufung steht ja auch nicht ein Kirchengemeinderat, ein CV- oder Gemeinschaftsinspektor, Missionsinspektor oder sonst was, sondern der auferstandene Jesus persönlich. So ist das. Und wenn Jesus dich berufen hat, dann wird auch sein Geist in dir wirken.
Auch wenn du es nicht immer spürst und oft lange nicht siehst: Das Entscheidende ist nicht deine Begabung, die du sehen kannst und die andere an dir wahrnehmen, sondern diese Berufung, die dir zuteil geworden ist.
Die Gemeinde Jesu lebt nie von begabten Menschen, sondern immer von Berufenden. Wir denken manchmal, die Begabten seien die ganz besonders Erfüllten und Gesegneten. Das ist nicht so.
Hermann Betzel, bayerischer Landesbischof, hat einmal sehr nachdenklich gesagt: „Die Kirche Jesu Christi geht zugrunde an ihren unberufenen Dienern.“ Und das können sehr begabte Menschen sein. Die Kirche Jesu Christi, die weltweite Mission und dein Jugendkreis werden zugrunde gehen an den unberufenen Dienern – nicht an den Unbegabten, sondern an den Unberufenen.
Verlass dich niemals auf deine Begabungen. Verlass dich niemals auf deine Fähigkeiten, sondern immer auf den, der dich berufen hat. Mit deinen Gaben bist du irgendwann am Ende. Du brauchst eine stärkere Energiequelle, die unabhängig ist von deinen Möglichkeiten.
Das ist mir mal gedämmert, als ich die große Chance hatte, einen Besuch in Afrika zu machen bei Uwe Kurz, meinem Freund, der da hinten sitzt. Da hatte ich ein Aha-Erlebnis.
Afrika ist heiß, man schwitzt und hat das große Bedürfnis nach einer Dusche. Es war Abend, stockdunkel, und es gab eine afrikanische Blechdusche. Ich bin reingestanden, der Raum war dämmerig beleuchtet, nur eine schwache Birne.
Man duscht, seift sich ein – richtig schön von oben bis unten eingeseift – und dann passiert das, was in Afrika oft passiert, was ich auch nicht wusste: Das Wasser bleibt weg. Richtig schön, das ganze Shampoo läuft einem gerade ins Auge, und das Wasser hört auf. Da kommt man in Versuchung zu fluchen.
Aber wenn man sich dann richtig aufregt und ärgert, passiert die zweite Afrika-Erfahrung: Das Licht geht aus, der Strom ist weg. Da steht man später nackt, eingeseift von oben bis unten, in der Blechtusche und hat ein Problem.
Da wurde mir deutlich: Diese Missionsstationen laufen oft mit Notstromgeneratoren, mit eigenem Strom, und der fiel aus. Nichts ging mehr. In dieser Stunde, nackt eingeseift in Afrika, wurde mir klar: Unser Leben kann nicht mit hauseigenem Strom funktionieren.
Unser Leben mit hauseigener Stromversorgung kommt an seine Grenzen. Wir brauchen eine Energieversorgung, die unabhängig ist von unseren hauseigenen Möglichkeiten. Wir brauchen etwas, das stärker ist und weitergreift.
Mit unseren Gaben, Begabungen und Fähigkeiten werden wir im Dienst für Jesus, in der Mission oder zuhause an unser Ende kommen. Aber wenn der Geist in uns wirkt und wir diese Berufung erfahren haben, dann ist der auferstandene Herr Jesus Christus da.
Er steht hinter uns, führt uns, leitet uns, befähigt uns und hilft uns weiter – Schritt für Schritt, auch wenn unsere Begrenzung da ist.
Er erwartet vom Heiligen Geist nicht, dass er eure Möglichkeiten weitet. Das kann er tun, muss er aber nicht. Er erwartet vom Heiligen Geist nicht, dass er euch zu einer faszinierenden Persönlichkeit macht. Schön, wenn er es tut, aber dann hast du auch eine Aufgabe – das ist immer auch eine Versuchung.
Erwarte es nicht. Erwarte vom Heiligen Geist nicht, dass er euch vor Gesundheit strotzen lässt. Das kann er tun, muss er aber nicht. Erwarte vom Heiligen Geist nicht, dass ihr groß rauskommt.
Aber erwartet vom Heiligen Geist, dass er in euren engen Grenzen Gottes Möglichkeiten weitet, dass er in euren Begrenzungen wohnt, wenn ihr denkt, jetzt geht nichts mehr, und dass er dann seine Möglichkeiten weitet – so wie es bei Paulus war.
Vertraut nicht auf eure Gaben und Begabungen. Schön, wenn ihr sie habt, bildet euch aber nichts darauf ein. Charisma ohne Charakter ist immer eine Katastrophe.
Vertraut nicht auf eure Fähigkeiten und Erfahrungen. Schön, wenn man welche hat und macht, aber vertraut nicht darauf. Vertraut auf den, der euch berufen hat, und vertraut darauf, dass der, der euch berufen hat, euch zum Ziel bringt, dass er euch segnet in eurem Dienst und in eurem Leben.
So wird eure Nachfolge dynamisch.
Zeugnisse, Fragen und Antworten zur Berufung und Gaben
Ich danke euch fürs Zuhören. Amen.
Ein Zeugnis möchte ich sagen. Also nur kurz: Kommt irgendetwas von euch? Wer möchte noch etwas wissen oder eine Frage stellen? Ja, da ist ein Mutiger – das finde ich ganz stark.
Woher weißt du, dass du berufen bist? Das ist ein heikler Punkt. Das ist eine gute Frage. Du bist Christ. Als Christ bist du eigentlich in den Dienst gestellt. Und jetzt wünsche ich mir, dass wir das in unseren Gemeinden, Gruppen, CVM, Gemeinschaften oder was auch immer viel stärker wieder praktizieren – dass wir Menschen berufen.
Mein Problem – und dein Problem –, es war mein Problem vor dem Theologiestudium, dass niemand zu mir gesagt hat: „Studier Theologie.“ Ich habe zwar gefragt, aber mich hat niemand berufen. Es ist ein großes Problem von Missionaren und anderen, dass wir im Grunde diese Kultur des Berufens heute verloren haben.
Ich denke, es ist ein ganz wichtiger Punkt, dass wir das wieder einüben müssen. Gemeindeleiter müssen einen Blick für Menschen bekommen, die sie ganz konkret zu einem Dienst berufen. Es war in meinem Leben so, dass ich den Eindruck gewonnen habe, dass Gott mich auf diesem vollzeitlichen Dienst haben möchte und dass er diesen Weg in ganz vielfältiger Weise bestätigt hat.
Aber es wäre mir lieber gewesen, wenn es eine oder einen gegeben hätte, die oder der gesagt hätte: „Volker Gäckle, du gehst jetzt hin und machst eine theologische Ausbildung, und wir berufen dich als Gemeinde und senden dich aus.“ So wie Paulus diesen Timotheus berufen hat.
Gleichzeitig musste zu dieser äußeren Berufung auch noch eine innere Berufung kommen. Und da vertraue ich auf das Reden des Heiligen Geistes. Ich vertraue mich seiner Führung an. Und in einem Zusammenspiel mit dieser äußeren Berufung und Bestätigung sowie einer inneren Berufung vertraue ich mich dem an, der treu ist. Und dann gehe diesen Weg!
Ein Weg, der manchmal Umwege haben kann, ein Weg, der manchmal Sackgassen haben kann. Auch dann vertraue dich diesem Weg an und geh ihn!
Nehmt das mit: Wenn ihr mal in eine Leitungsfunktion kommt, habt ein Auge für Menschen und nehmt diese Aufgabe wahr, andere zu berufen. Bis in kleine Dienste hinein, bis in die Mitarbeit in der Jungenschaft, Jungschar, im Mädchenkreis oder im Jugendkreis. Beruft andere und macht ihnen deutlich: Wir berufen dich nicht in unserem eigenen Namen, sondern im Namen von Jesus Christus.
Dein Dienst hat deshalb eine unglaubliche Würde, aber auch eine große Verantwortung. Den kann man nicht einfach wieder hinschmeißen, wenn es einem gerade so passt. Sondern da hat man eine Berufung.
Gibt es noch eine Frage? Sonst will ich euch auch nicht zwingen, etwas zu fragen. Wenn ihr glücklich seid, wie ihr da sitzt und jetzt gebadet seid... Ja, da kommt noch mal einer, super!
Wie ist Paulus dazu gekommen, Missionar zu werden?
Ich soll die Frage wiederholen? War das richtig? Hat es ihm jemand gesagt oder ist es ihm irgendwie so gekommen?
Paulus hatte ein sehr einschneidendes Erlebnis, wie es wahrscheinlich keiner von uns hat. Er war Christenverfolger von Beruf und war gerade dabei, die Gemeinde in Damaskus auszuräuchern – so auf dem Weg dorthin.
Dann begegnet ihm kurz vor Damaskus der auferstandene Jesus Christus persönlich. Er erscheint ihm in einem hellen Lichtstrahl. Und dann haut Paulus vom Gaul aufs Maul. Dann fragt ihn der Auferstandene: „Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?“ Und dann beruft ihn der Auferstandene gleichzeitig zum Heidenapostel.
„Du bist mein ausgewähltes Rüstzeug, um mein Evangelium allen Völkern zu bringen.“ Also der hat wirklich von Jesus persönlich eine Berufung erlebt. Das erleben von uns wahrscheinlich nur die allerallerwenigsten. Wenn jemand da ist, wäre es schön.
Aber ich glaube, die allermeisten von uns erleben die Berufung so, dass sie das Reden des Heiligen Geistes hören, dass sie angesprochen werden vom Wort Gottes. Und dass andere Menschen auf sie zukommen und sagen: „Du solltest diesen Weg gehen, und wir berufen dich.“ Es wäre schön, wenn ihr die Hände aufgelegt bekommt von eurem Gemeindeleiter und er euch im Namen Jesu beruft.
Aber bei Paulus war es wirklich so: Er konnte gar nicht mehr anders. Er wurde von Jesus sozusagen fast gezwungen – erstens zum Weg mit Jesus, dann zur Nachfolge und schließlich zu diesem Dienst als Apostel.
Frage zu den Gaben: Wie erwecke ich beziehungsweise entdecke ich die Gaben in mir?
Indem man sie ausprobiert. Also, ich muss die Frage wiederholen: Wie entdecke ich, wie erwecke ich die Gaben in mir? Indem ich sie einsetze, indem ich Gaben in meiner Gemeinde einsetze, indem ich Dienste tue. Seid euch nicht zu schade, auch für die kleinen Dienste.
Die großen Gaben entdecken wir immer nur, indem wir sie im Kleinen einüben. Es gibt Leute, die sagen: „Ich habe die Gabe der Predigt, aber ich fange nicht unter tausend Leuten an.“ Fangt in eurer Gemeindearbeit an und fangt hier auf der untersten Stufe an. Dann werden Menschen eure Gabe entdecken und euch sehr schnell in andere Dienste rufen.
Unterschätzt und verachtet auch nicht die kleinen Dienste. Übt eure Gaben dort ein, und ihr werdet merken – und andere werden es merken –, dass ihr eine Gabe habt. Und man würde auch merken, wenn ihr keine Gabe hättet.
Es ist ganz entscheidend, dass sich die Gabe der Selbstwahrnehmung in meinem Leben entwickelt. Wenn ihr die Gabe der Selbstwahrnehmung nicht habt, dann bittet Gott ganz dringend darum, dass ihr sie bekommt.
Das ist etwas vom Schmerzhaftesten in der Gemeinde, vom Schmerzhaftesten in der Mission: dass Menschen sich in ihrem Auftreten, in ihren Äußerungen und in ihrem Verhalten nicht wahrnehmen und ständig wie ein Elefant im Porzellanladen herumtrampeln, weil sie überhaupt nicht merken, wie sie sich bewegen und benehmen und dass sie vielleicht eine Gabe nicht haben.
Hätte ich mich jetzt hingesetzt und Klavier gespielt, hätte jeder in diesem Raum gemerkt, dass ich das nicht kann. Es gibt Leute, die merken das nicht. Und das ist ja immer sehr schwierig.
Also übt diese Gaben!
Da hinten ist noch eine Frage, ja.
„Erwecke die Gabe, die in dir steckt“ – sollte man nicht lieber sagen: „Erwecke die Berufung, die in dir steckt“?
Diese Gabe ist der Heilige Geist. Dieser Heilige Geist steckt in mir. Paulus sagt: „Wie steckt die in dir? Ich habe dich berufen.“ Deshalb steckt dieser Geist in dir. Und jetzt rufe diesen Heiligen Geist, dass er in dir seinen Raum weitet.
Diese Berufung ist die Gewissheit, die Vergewisserung, dass diese Gabe in dir steckt. Weil du berufen bist, darfst du wissen, dass sie in dir steckt. Und jetzt rufe diese Gabe auf, dass sie Raum in dir gewinnt, dass der Heilige Geist Raum in dir gewinnt.
Aber schreib ihm nicht vor, wie er das tun soll. Wir schreiben dem Heiligen Geist oft ganz genau vor, wie wir uns vorstellen, dass er in unserem Leben wirkt. Tu das nicht.
Sage stattdessen: „Herr Jesus, dein guter Geist – der soll in mir wirken, aber nicht so, wie es mir passt, wie ich es gern hätte oder wie ich es mir vorstelle, sondern so, wie du es für richtig hältst.“
Und dann wird er Raum nehmen und Raum weiten – auf eine Art und Weise, wie wir uns das am Anfang vielleicht gar nicht vorstellen können.
Das war toll bei diesem Zeugnis von Johannes, der sagte: Am Anfang hatte ich ganz wenig, und dann weitet Gott seinen Raum, wie er es sich am Anfang noch gar nicht vorstellen konnte.
Umgang mit Misserfolg und Treue im Dienst
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was ist, wenn man in seinem Dienst merkt, dass man keinen Erfolg hat, es nichts bringt und sich nichts tut? Das ist eine wichtige Frage, bei der man schon mal verzweifeln kann. Dabei gibt es zwei Aspekte.
Erstens: Es ist immer wieder gut, unseren Dienst zu überprüfen. Es ist sinnvoll zu fragen: Wie ist es mit dem Dienst, den ich tue? Tue ich den richtigen Dienst? Solche Fragen sind wichtig. Gleichzeitig ist eine der entscheidenden Gaben des Heiligen Geistes die Geduld.
Wisst ihr, der Prophet Jeremia hat 25 Jahre gepredigt – und schwäbisch gesagt, hat sich keine Sau bekehrt. Jeremia war der erfolgloseste Prophet, den es gab. Dagegen war Jona, der nach Ninive ging und eine ganze Stadt bekehrte, der erfolgreichste Prophet des Alten Testaments. War Jeremia also am falschen Platz? War er nicht berufen? Nein, Jeremia war berufen, und Gott hat ihn an seinen Platz gestellt.
Aber es ist uns nicht verheißen, dass wir immer und überall Erfolg haben, sondern dass wir treu sind. Es ist uns nicht verheißen, dass dein Jugendkreis oder dein Teenagerkreis, der heute vielleicht aus fünf Personen besteht, im nächsten Jahr explodiert und du 2000 Teilnehmer hast und Willow Creek bei dir in Hintertupfingen eröffnen kannst. Das ist uns nicht verheißen. Von den Mitarbeitern Jesu Christi wird nicht mehr erwartet.
In 1. Korinther 4,2 heißt es: Man erwartet nicht mehr von den Mitarbeitern Christi, als dass sie treu sind. Man erwartet nicht von dir, dass du im nächsten Jahr eine Mega-Church eröffnest. Man erwartet nicht, dass deine ganze Stadt durch dich zum Glauben kommt. Gott erwartet von dir Treue. Treue – das ist die Antwort.
Der Timotheus hatte Angst und war unsicher. Paulus musste ihn immer wieder ermutigen: Habe ich den Geist? Ist mein Dienst gesegnet? Paulus schreibt, dass er ihm die Hände aufgelegt hat und ihm damit den Auftrag gegeben hat. Deshalb darf Timotheus wissen, dass er berufen ist.
Und wie ist es bei uns? So ist es: Du darfst ganz sicher sein, dass, wenn du Jesus Christus als deinen Herrn bekennst, dein Leben ihm übergeben hast und dir deine Schuld vergeben wurde, du den Heiligen Geist hast. Für mich war es ein wichtiges Ereignis, konfirmiert worden zu sein. Ich habe meine Konfirmation als ein sehr bewusstes Ereignis erlebt – das macht nicht jeder so.
Da hat ein Pfarrer, der von Gott berufen war, mir die Hände aufgelegt. Ich habe gespürt, dass er das nicht in eigenem Namen tut, sondern im Namen Jesu Christi. Ich wünsche mir, dass wir Menschen, die zum Glauben kommen, in unserer Gemeinde oder vielleicht sogar durch unseren Dienst, das zusprechen. Dass wir ihnen die Hände auflegen und sie segnen mit diesem Schritt: Du bist jetzt ein Kind Gottes geworden. Wir segnen dich und legen dir die Hände auf. Du bist ein Kind Gottes und hast im Glauben die Gewissheit, dass der Geist Gottes in dir wohnt.
Das kann man auch durch ein äußeres Zeichen wie das Auflegen der Hände bekräftigen. Man kann das auch in Lebenskrisen tun, in der Seelsorge, um einem Menschen wieder die Gewissheit zu geben: Der allmächtige Gott ist mit dir, und sein Heiliger Geist wohnt in dir, auch wenn du es gerade nicht spürst. Auch wenn eigentlich alles dagegen zu sprechen scheint.
Es ist eine Wirklichkeit, die nicht davon abhängt, ob wir sie wahrnehmen, spüren oder Erfolg sehen. Es ist eine Wirklichkeit, die von Gott hergegeben ist.
Ja, Detlef, bitte!
Ein Punkt, den Volker Gäckler angesprochen hat, ist mir ganz wichtig geworden. Er hat gesagt, dass Krankheit manchmal unsere Grenzen beschränkt oder dass Gott durch Krankheit unsere Grenzen einengt. Bei mir ist das auch der Fall. Seit meiner Geburt habe ich eine seltene Krankheit, bei der mein Darm in einem gewissen Bereich nicht funktioniert. Als Kind hatte ich viele Operationen, die notwendig waren. Das hat mich eingeschränkt.
Oft habe ich, als ich den Gedanken hatte, in die Mission zu gehen, gesagt: Herr, ich kann damit nicht in die Mission gehen, das ist eine Einschränkung. Aber irgendwann wurde mir klar, dass das kein Hinderungsgrund für Gott ist. Gott kann auch das gebrauchen.
Ich denke, bei mir hat diese Krankheit mich in den 35 Jahren meines Lebens ganz nah bei Gott gehalten, dort, wo ich vielleicht abgewichen wäre. Das Schöne war, dass ich nach 35 Jahren zum ersten Mal einem Menschen begegnet bin, der genau die gleiche Krankheit hat – ein kleiner Junge in der Türkei, Sohn eines Pastors, der auch ganz entmutigt war. Die Eltern fragten sich: Wie machen wir das mit unserem Sohn? Was kommt da alles auf uns zu? Wird er überhaupt überleben?
Das war für mich eine große Ermutigung. Ich möchte euch auch ermutigen: Wenn vielleicht einige unter uns eine Krankheit haben, Diabetes oder Ähnliches, für Gott ist das kein Hinderungsgrund. Wo wir uns vielleicht selbst Grenzen setzen aus Angst oder anderen Gründen, da ist es für Gott kein Hindernis, auch durch uns zu wirken.
Danke für dieses Zeugnis.
So, ich denke, jetzt sind wir auch richtig gebadet für die erste Einheit. Nun machen wir eine Schicht im Schacht. Ich möchte noch mit uns beten, und dann seid ihr entlassen.
Herr Jesus Christus, danke, dass du berufst, aber vor allem danke, dass du berufst. Danke, dass du uns die Gewissheit schenkst, dass wir deine Kinder sind, weil dein Geist in uns lebt. Danke, dass du uns heute diesen Tag schenkst. Begleite uns jetzt, mach uns Mut in dem Dienst, in dem wir stehen. Berufe uns in neue Dienste und begleite uns mit deiner Treue. In deinem Namen, Amen.
