Einführung: Die Versuchung des Fingerzeigens
Okay, es geht heute Morgen um diese Handbewegung, die wir manchmal gerne machen: Wir zeigen auf andere. Das liegt uns als Menschen so nahe, manchmal auch als Christen, dass man schnell sagen kann: Die da, die sind schlechter als ich.
Damit sage ich natürlich auch: Hey, ich bin besser. Das Gute daran ist, ich muss gar nicht besser werden, das ist nämlich ganz praktisch. Wenn ich in der Schule mit Vieren unterwegs bin, kann ich auf die zeigen, die Fünfen haben, und sagen: Hey, die sind schlechter als ich. Und ich muss gar nichts dafür tun, vielleicht eine Drei zu schreiben. Das geht ganz automatisch, dass ich mich besser fühle.
Aber es geht heute Morgen nicht im Wesentlichen um Schulnoten, sondern um einen Lebensstil, der mich gerecht vor Gott macht. Das ist ja das Thema des Römerbriefes: Wie bekomme ich Gottes Gerechtigkeit?
Gerade dann, wenn ich in meinem Leben herausgefordert werde, zum Beispiel durch das Lesen der Bibel, wie wir es gesehen haben, Dinge zu ändern, dann bin ich versucht, auf den anderen zu zeigen und zu sagen: „Hey, der macht es doch auch nicht.“
Was ich aber beim Fingerzeigen vergesse, ist, dass der Daumen nach oben zeigt. Das bedeutet, dass Gott meine Motivation hinterfragt. Meine Motivation kann ja nicht sein, dass der andere schlechter ist als ich. Vielmehr muss meine Motivation sein: Was sagt Gott eigentlich dazu, was ich tue?
Und was mir vielleicht auch gar nicht so auffällt: Wenn ich so auf den anderen zeige, dann zeigt ein Finger auf den anderen, aber drei Finger zeigen auf mich zurück. Das heißt, ich bin im günstigsten Fall nicht besser als der andere, sondern eher schlechter.
Der Predigttext im Überblick: Römer 2,1-16
Und um diese Thematik geht es heute Morgen in Römer 2, Verse 1 bis 16. Lest es abschnittsweise: Römer 2, Verse 1 bis 16.
Da heißt es:
„Deshalb bist du nicht zu entschuldigen, Mensch, jeder, der da richtet. Denn worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst. Denn du, der du richtest, tust dasselbe. Wir wissen aber, dass das Gericht Gottes der Wahrheit entsprechend über dir geht, die so etwas tun. Denkst du aber, du, Mensch, der du die richtest, die so etwas tun, und dasselbe verübst, dass du dem Gericht Gottes entfliehen wirst? Oder verachtest du den Reichtum seiner Gütigkeit und Geduld und Langmut und weißt nicht, dass die Güte Gottes dich zur Buße leitet? Nach deiner Störrigkeit und deinem unbußfertigen Herzen aber häufst du dir selbst Zorn auf für den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der einem jeden vergelten wird nach seinen Werken:
denen, die mit Ausdauer im guten Werk Herrlichkeit und Ehre und Unvergänglichkeit suchen, ewiges Leben;
denen jedoch, die von Selbstsucht bestimmt und der Wahrheit ungehorsam sind, der Ungerechtigkeit aber gehorsam, Zorn und Grimm, Bedrängnis und Angst über die Seele jedes Menschen, der das Böse vollbringt, sowohl des Juden zuerst als auch des Griechen;
Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden jedem, der das Gute wirkt, sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen, denn es ist kein Ansehen der Person bei Gott.
Denn so viele, die ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verloren gehen, und so viele, die unter Gesetz gesündigt haben, werden durchs Gesetz gerichtet werden. Es sind nämlich nicht die Hörer des Gesetzes gerecht vor Gott, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden.
Denn wenn Nationen, die kein Gesetz haben, von Natur dem Gesetz entsprechend handeln, so sind diese, die kein Gesetz haben, sich selbst ein Gesetz. Sie beweisen, dass das Werk des Gesetzes in ihren Herzen geschrieben ist, in dem ihr Gewissen Mitzeugnis gibt und ihre Gedanken sich untereinander anklagen oder auch entschuldigen.
An dem Tag, da Gott das Verborgene der Menschen richtet, nach meinem Evangelium durch Christus Jesus.“
Ich habe diese Predigt unter die Überschrift gestellt: „Lass dich selbst von Gott beurteilen, anstatt andere zu verurteilen.“ Das ist die Hauptaussage des Textes.
Man könnte diese ersten vier Verse, die wir uns gleich anschauen werden, auch durch eine zweite Überschrift ergänzen: „Weil du nicht besser bist.“ Also, wenn ich den gesamten Satz sage: Lass dich selbst von Gott beurteilen, anstatt andere zu verurteilen, weil du nicht besser bist.
Die Selbstgerechtigkeit der religiösen Menschen
Wie gesagt, es geht zunächst um diese ersten vier Verse. Paulus spricht hier überzeugte Juden an, für die Religion sehr wichtig ist. Was diesen Juden jedoch fehlt, ist eine Beziehung zu Jesus. Damit stehen sie stellvertretend für jeden, der versucht, nach ethischen Maßstäben zu leben, aber dabei an Gott vorbeilebt.
Diese ethischen Gutmenschen glauben oft, Gott müsse sie in den Himmel lassen, weil sie aus ihrer menschlichen Sicht so viel Gutes tun. Das ist ihre Überzeugung. Genau diese Menschen hat Paulus im Blick und legt ihnen seine Worte in den Mund. Doch Gott lässt sie nicht einfach so in den Himmel.
Unser gesamter Text zielt auf die Aussage in Vers 4. Dort heißt es, dass die Güte Gottes dich zur Buße leitet. Das ist das Ziel, das Paulus deutlich machen will. Gott möchte ihnen zur Umkehr verhelfen. Er will denjenigen helfen, die denken: „Hallo, ich bin doch so gut unterwegs“, zu ihm zurückzukehren.
Paulus sagt mit diesen Sätzen: Wenn du in diesem Modus unterwegs bist, bist du nicht zu entschuldigen. Das haben wir bereits gelesen. Hier haben wir es noch einmal: Du bist nicht zu entschuldigen. Das ist der Ansatz von Paulus und das Ziel, nämlich dass die Güte Gottes dich zur Buße führt.
Du bist nicht zu entschuldigen, wenn du andere richtest. Warum nicht? Weil du damit deine eigene Verurteilung unterschreibst. Das muss man erst einmal annehmen und verstehen.
Die Gleichheit von Juden und Heiden vor Gott
Kapitel zwei, mit dem wir uns heute Morgen beschäftigen, knüpft an den letzten Sonntag an, an Kapitel eins. Die thematische Überschrift über Kapitel eins lautet: „Die Heiden sind verloren“.
In Kapitel zwei geht es nun darum, dass auch die Juden mit all ihren moralischen Leistungen oder der ethisch hochstehende Mensch ganz genauso verloren sind. Das ist die zentrale Aussage hier. Es kommt eben auf den Maßstab an.
Die Gutmenschen in diesem Kapitel vergleichen sich mit denen aus Kapitel eins und meinen: „Wenn wir uns mit denen vergleichen, dann können wir auf sie zeigen und kommen dabei sehr gut weg.“ Wir erinnern uns noch einmal an Kapitel eins. Dort sagen sie also: „Ich weiß gar nicht, was du willst, ich lebe nicht in homosexuellen Beziehungen, ich bin nicht habgierig, ich bin nicht böse, ich bin nicht voller Neid und Mord, ich bin nicht treulos, nicht unbarmherzig“ – um nur einige der Punkte aus Kapitel eins zu nennen, die in der Anklageschrift Gottes standen.
Und es stimmt äußerlich vielleicht auch, was hier gesagt wird. Aber Gott kommt es ganz wesentlich auf meine Motivation an. Es gibt ja diesen klassischen Vers in 1. Korinther 4, Vers 5, der deutlich macht: Gott wird am Schluss die Absichten meines Herzens offenbaren.
Es geht also nicht nur darum, was ich tue oder was andere tun, sondern er wird zeigen, was meine Motivation ist (1. Korinther 4,5 – falls ihr es mitschreiben wollt). Gott geht es um meine Gedanken.
Wenn ich das so reflektiere, über den Tag, was ich so denke – mal ganz ehrlich – kann ich dann noch auf den anderen zeigen, ihn verurteilen und sagen: „Hey, der ist aber schlecht“? Paulus gibt selbst die Antwort und sagt hier: „Worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst.“
Die Bergpredigt als Illustration der Selbstverurteilung
Eine sehr eindrückliche Illustration genau dieses Satzes findet sich zum Beispiel in der Bergpredigt. Dort zeige ich auf den anderen, ohne zu merken, dass ich innerlich oft dreimal so schlimm bin. Ich deute auf den anderen und sage: „Hey, der hat jemanden umgebracht, der ist schlecht.“ Natürlich ist es schrecklich, wenn jemand jemanden umbringt. Doch der Herr Jesus dreht die Perspektive um.
Das ist die Anwendung dieses Satzes. Er fragt: „Und wie steht es mit dir? Hast du in deinem Herzen noch nie jemanden umgebracht?“ Übrigens kann ich heute Morgen nicht ausführlich auf diese Stelle in der Bergpredigt eingehen. Sehr interessant an dieser Stelle ist jedoch, dass der Herr Jesus sagt: Wer leiblich tötet, der kommt vors Amtsgericht. Wer aber zu seinem Glaubensbruder „verachtender Dummkopf“ sagt, der muss vor den Bundesgerichtshof.
Das bedeutet, dass die Verletzung mit Worten vor einem höheren Gericht verhandelt wird als die Verletzung des Körpers. Das ist ein ganz interessanter Text. Diese Worte stammen direkt aus dem Mund des Herrn Jesus selbst. Er scheint einen ganz anderen Maßstab anzulegen als wir.
Natürlich kann man gemäß der Bergpredigt auf den anderen zeigen und sagen: Da steigt jemand mit einer fremden Frau, mit der er nicht verheiratet ist, ins Bett. Man muss sagen: Natürlich ist außerehelicher Geschlechtsverkehr Sünde, das steht ganz klar in der Bibel. Aber dann sagt der Herr Jesus: Wenn du eine Frau begehrlich ansiehst, mit der du nicht verheiratet bist, dann hast du ganz genau so gesündigt.
Das heißt also, dass die drei Finger auf mich zurückzeigen. Das ist die Anwendung. Ich verdamme den anderen und richte ihn. Doch dadurch, dass ich das tue, muss ich den Maßstab auch auf mein eigenes Leben anwenden. Deshalb verdamme ich mich selbst.
Gottes Gericht und die Verantwortung des Richters
Paulus sagt in Vers 2: „Ich muss es mal ganz kurz suchen. Genau, wir wissen aber, dass das Gericht Gottes der Wahrheit entsprechend über dir kommt, der so etwas tut.“
Paulus macht deutlich, dass Gott richten wird. Du musst dir also keinen Stress machen und überlegen, welche Strafe Gott für den anderen vorgesehen haben könnte. Das ist nicht deine Aufgabe. Du brauchst deshalb keine schlaflosen Nächte zu verbringen, denn das ist nicht deine Sache.
Natürlich bin ich gefordert, wenn es zum Beispiel in der Gemeinde Sünde gibt. Wenn es Irrlehre gibt oder bei Leuten, die ich kenne, dann muss ich das vom Wort Gottes her benennen und ganz klar Stellung beziehen. Dabei geht es mir nicht darum, den anderen zu verurteilen. Vielmehr möchte ich, dass der andere wieder zurechtkommt.
Das ist ein Beurteilen, zu dem die Bibel mich herausfordert, und kein Verurteilen, von dem Paulus hier in Römer 2 spricht. Zum Beispiel schreibt Paulus dem Timotheus im Gebet, dass die Irrlehrer Gottes Wahrheit erkennen und wieder nüchtern werden sollen, um zu sehen, dass sie dem Teufel in die Falle gegangen sind.
Paulus schreibt das nicht, um jemanden zu verurteilen. Er will, dass diese Irrlehrer wieder aus der Falle herauskommen, in die sie hineingelaufen sind. Wir sollen also beurteilen – es geht mir um die Sache. Das werde ich mit einem Herzen tun, das sich bewusst ist, dass auch ich ein Sünder bin.
Wenn mir diese Sünde noch nicht passiert ist, steckt das Potenzial dafür hundertfach in mir. Verurteilen aber, so wie es hier gemeint ist, bedeutet, von oben herab zu urteilen. Dabei stelle ich mich auf ein Podest über den anderen, nur um Recht zu behalten.
Dann bin ich tatsächlich überzeugt: „Weißt du was? Ich bin besser als der andere.“
Die Not hinter der Fassade und die Bedeutung von Ehrlichkeit
Wenn du heute in Jerusalem im orthodoxen Viertel Mea Shearim unterwegs bist, erlebst du eine eindrucksvolle Vorstellung davon, was Judentum ist. Bereits morgens um vier Uhr wird dort gebetet, was du natürlich nicht weißt. Du hast ein gewisses Kontingent, und je eher du anfängst, desto eher bist du auch fertig. Für dich wirkt das auf jeden Fall sehr interessant.
Ich habe mit jemandem gesprochen, der länger in der Nähe oder sogar in diesem Viertel gelebt hat. Er sagt, wenn du hinter die Fassade schaust, entdeckst du die Not, in der diese Leute stecken. Aber sie dürfen diese Not nicht zugeben. Ich habe gedacht, vielleicht geht es uns als Gemeindeglieder manchmal auch so.
Es ist ganz wichtig, dass wir dem anderen ein gutes Image geben. Deshalb fällt es uns oft schwer, wirklich ehrlich zu sein. Hauptsache, niemand merkt, dass ich versagt habe. Dann könnte ich mit jemand anderem zusammen beten, die Vergebung des Herrn erleben und fröhlich weitermachen, oder? Aber das geht nicht, wegen meines Images. Was ist denn mit dem Image?
Wenn ich zugeben kann, dass ich versagt habe, wird der andere auch merken: „Mensch, der hat genau da Probleme, wo ich auch Probleme habe.“ Ich bin also kein hoffnungsloser Fall. Das würde Mut machen, miteinander Nein zur Sünde zu sagen und sich gegenseitig zu bestärken.
Ehrlichkeit in einer Gemeinde schafft ein Klima des Vertrauens. Imagepflege dagegen lässt mich, wie hier in Kapitel zwei, mit meiner Not allein. Ich kann ja niemandem mein wahres Gesicht zeigen.
Schade, dass ich nicht verstanden habe: Vor Jesus muss ich doch nicht mehr als ehrlich sein. Was mich vor ihm gerecht macht, das muss ich nicht leisten – das hat er am Kreuz getan. Ich muss mein Versagen nicht verstecken, weil es Vergebung gibt.
Es geht nicht darum, Gott oder Menschen zu beeindrucken. Es ist so befreiend, wenn ich das kapiert habe. Ich glaube, dass man gerade, ich sage es mal ganz allgemein, in der Gemeinde Jesu zur Heuchelei neigt. Man ist mehr Schein als Sein. Warum? Weil man so hohe Ansprüche hat.
Wenn ich von vornherein so tiefe Ansprüche habe, ist das doch gar kein Problem, oder? Zum Beispiel: Wenn mein Anspruch ist, in der Stadt so schnell zu fahren, wie das Auto hergibt, solange keine Radarfalle da ist, dann mache ich das auch.
Aber wenn mein Anspruch ist, immer korrekt zu fahren, dann ist es natürlich peinlich, dass ich mein Auto nie auf den Namen eines anderen anmelde, denn den Strafzettel bekommt ja dann dieser andere. Man kann diesen Anspruch nicht erfüllen, und die anderen sollen wenigstens glauben, ich erfülle biblische Ansprüche.
Die Frage ist nur: Wem nützt das? Mir hilft es nicht, und dem anderen auch nicht. Aber machen tue ich es doch.
Gottes gerechtes Gericht und die Folgen der Selbstgerechtigkeit
Ich komme noch einmal auf den Vers zurück, in dem Paulus sagt: Wir wissen, dass das Gericht Gottes der Wahrheit entsprechend über die ergeht, die so etwas tun. Das heißt auch, Gott wird am Ende Recht sprechen, und das sollte mir genügen.
Es bedeutet zudem, dass für alle gleiches Recht gilt. Wenn ich auf den anderen zeige, der offen in der Sünde lebt, während ich genau dasselbe tue – nur verborgen, sodass es niemand mitbekommt – dann darf ich mir einer Sache absolut sicher sein: Gott wird mich nicht übersehen. Man könnte sagen, so ein Pech auch.
Es ist eine bekannte Wahrheit, dass Menschen, die gegen bestimmte Sünden stark wettern, oft genau in diesem Bereich selbst Probleme haben. Das kann man häufig beobachten.
Eine weitere Strategie ist, durch Anklagen in einem Lebensbereich von einem anderen abzulenken. Es hilft einem wirklich, das schlechte Gewissen zu verdrängen, wenn man zum Beispiel über die Ökumene schimpft, was das Zeug hält, und gleichzeitig genau weiß, dass man als Christ immer wieder auf Pornoseiten unterwegs ist.
Oder man ereifert sich darüber, was jemand liest, etwa die "Hoffnung für alle", obwohl man selbst so sehr in der Habsucht gefangen ist, dass einem jeder Cent und jede Minute fürs Reich Gottes leid tun. In solchen Fällen braucht man einfach ein Gebiet, auf dem man richtig ablästern kann und versucht, dem anderen etwas reinzudrücken.
Gottes Güte als Einladung zur Umkehr
Typisch für Paulus, auch in diesen Versen, ist, dass er den Leser nicht im Regen stehen lässt. Er sagt nicht einfach: „Das war jetzt die Dusche, jetzt bist du nass, sieh mal zu, wie du wieder trocken wirst.“
Ich habe es am Anfang schon gesagt: Seine Lösung heißt hier, dass die Güte Gottes dich zur Buße leitet. Buße bedeutet, ins Licht zu kommen, sich grundsätzlich zu bekehren. Damit macht Paulus deutlich, dass diejenigen, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, die Sünden anderer ins Scheinwerferlicht zu stellen, während sie selbst im Dunkeln sind und keine Beziehung zu Gott haben, dennoch eine gute Nachricht bekommen.
In den Worten, die Paulus hier sagt, liegt er ganz auf der Linie von 2. Petrus 3,9. Dort heißt es, der Herr verzögert nicht seine Verheißung, dass er wiederkommt. Der Satz geht weiter: Er ist langmütig euch gegenüber, weil er nicht will, dass jemand verloren geht, sondern dass alle Buße tun. Genau das steht am Ende dieses Textes. Das ist Gottes Ziel.
Gott hat einen langen Atem mit uns selbsternannten Richtern, die anderen super Moralpredigten halten können, aber nicht verstanden haben, wie sie selbst vor Gott gerecht werden können. Gottes Güte soll mich zur Umkehr bewegen. Ich soll verstehen: „Hey, ich bin dieser Dummkopf, ich verurteile den anderen.“ Dabei merke ich gar nicht, dass ich mir selbst das Urteil spreche.
Gott schaut oft jahrelang zu, was ich da so immer wieder treibe, und gibt mir die Gelegenheit, umzukehren. Aber dieser Text sagt auch: Wenn ich seine Güte und Geduld verachte, dann muss ich mit den Konsequenzen leben.
Gott hat einen langen Atem. Aber irgendwann ist Schluss. Ich sollte niemals den Fehler machen, Gottes Güte als Schwäche zu verstehen.
Gottes Schweigen und die Ankündigung des Gerichts
Es gibt einen sehr markanten Vers in Psalm 50, Vers 21, der uns wirklich weiterhilft. Dort sagt Gott: „Diese Sünden hast du alle getan“, also die im Psalm aufgeführten Sünden. Und dann heißt es: „Ich schwieg.“
Jetzt folgt die Schlussfolgerung: „Und du dachtest, ich sei ganz so wie du.“ Weil Gott geschwiegen hat, hast du gedacht: „Ah, da kommt kein Echo, ich kann weitermachen, wie ich will.“
Doch Gott sagt weiter: „Ich werde dich zurechtweisen und es dir vor Augen stellen.“ Das bedeutet, dass du es schon wissen wirst, denn Gott kündigt es dir an. Wenn Gott schweigt, heißt das keinesfalls, dass es ihm egal ist, was du tust.
Und es bedeutet schon gar nicht – wie ich eben gesagt habe –, dass Gott es nicht übersehen wird. Gott wird deine Sünde richten. Darauf kannst du dich gefasst machen, wenn du Jesus nicht als deinen Retter erkannt hast.
Die ersten vier Verse zeigen mir: Ich bin nicht besser als andere. Deshalb habe ich kein Recht, mich über andere zu stellen. Aus diesem Grund trug die erste Überschrift sehr bewusst den Titel: „Lass dich selbst von Gott beurteilen, anstatt andere zu verurteilen, weil du nicht besser bist.“
Es ist so wichtig, dass ich Gottes Maßstab vor Augen habe und nicht meinen eigenen.
Handeln zählt mehr als Wissen
Und deshalb kommen wir jetzt zu den nächsten Versen. Ich habe sie überschrieben mit „Lass dich selbst von Gott beurteilen, anstatt andere zu verurteilen, weil dein Handeln mehr zählt als dein Wissen“. Dein Handeln zählt viel mehr als dein Wissen.
Hier haben wir Vers fünf: „Nach deiner Störrigkeit und deinem unbußfertigen Herzen häufst du dir selbst Zorn auf für den Tag des Zorns.“ Das beschreibt den Zustand der Menschen, die hier angesprochen sind.
Ich kann es anders formulieren: Der Gutmensch ist dickköpfig und will partout nicht zu Gott umkehren und seine Schuld zugeben. Eine Sache begreift er nicht: „Hey, ich sammle gerade Payback-Punkte für das Zorngericht Gottes.“ So steht es eigentlich in diesem Vers, wenn man es moderner ausdrückt.
Von diesem Zorngericht haben wir ja schon in 1. Korinther 1,18 gelesen, und wissen, was das bedeutet. Vor diesem Zorngericht Gottes wird der dickköpfige Gutmensch genauso stehen wie der Schlechtmensch. Beide stehen dort.
Der Gutmensch, der mit dem Finger auf den Schlechtmenschen zeigt, steht also vor dem Thron Gottes. Nur einer fehlt dort – und der wird dort nicht stehen. Das ist nämlich der Schlechtmensch, der Gottes Angebot angenommen hat und in seine Arme gelaufen ist. Er ist zum Gerechten geworden. Deshalb steht er dort nicht.
Gute Werke als Kennzeichen des Glaubens
Aber die beiden anderen stehen dort. Ab Vers sieben wird es besonders spannend, denn es wird von guten Werken gesprochen. In Vers sechs heißt es, dass jedem nach seinen Werken vergolten wird. In Vers sieben wird die Folge davon deutlich: Was bringen diese Werke? Paulus greift das in Vers zehn noch einmal auf.
Das bedeutet, die Belohnung für diese Werke ist ein Platz in Gottes Herrlichkeit, Ehre und Frieden. Diese Verse sind spannend, weil sie die Frage aufwerfen: Werde ich durch Werke gerettet? Wenn ich das so lese, lerne ich in Vers sieben, dass wer gute Werke tut, das ewige Leben erhält. Das ist eigentlich die Aussage dieses Verses.
Dieser Vers ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, dass man nicht nur einen einzelnen Vers aus der Bibel herausnehmen und lesen darf, um daraus eine Aussage zu machen. Man muss den unmittelbaren Zusammenhang betrachten und auch den biblischen Gesamtzusammenhang. Die Bibel macht deutlich: Gute Werke helfen mir nicht, in eine Beziehung zu Gott zu kommen, aber sie sind ein Kennzeichen dafür, dass ich bereits eine Beziehung habe.
Jesus sagt einmal, die Menschen sollen unsere guten Werke sehen. Dann sagen sie: „Das ist ein toller Mensch.“ Aber Jesus sagt, sie sollen durch unsere guten Werke den Vater im Himmel preisen. Das heißt, dieser Mensch muss eine Beziehung zum Vater im Himmel haben, wenn der Herr Jesus sagt, dass er gute Werke tut.
Paulus sagt im Titusbrief, dass Gott mich zu seinem Eigentum gemacht hat, damit ich eifrig sei in guten Werken. Genau die gleiche Reihenfolge: Erst werde ich zu seinem Eigentum gemacht, und dann soll ich eifrig sein in guten Werken.
So muss ich auch Vers sieben verstehen: Ich bekomme das ewige Leben nicht durch meine Werke. Ich habe dieses Leben, und dieses Leben wird deutlich an dem, was ich tue und an den Prioritäten, die hier in meinem Leben angesprochen sind.
Übrigens macht Vers sieben und später auch Vers zehn sehr deutlich: Es ist nicht egal, wie ich lebe. Mein Leben hat Auswirkungen auf die Ewigkeit. Das sagt der Vers auch sehr klar. Mein Leben ist kein Testlauf.
Manchmal machen wir beim Film einen Test: „Test, Test, Test“, und irgendwann heißt es: „Jetzt geht die rote Lampe an, jetzt ist wirklich Aufnahme.“ So ist es nicht. Alles, was du tust, zählt schon für die Ewigkeit. Es ist bereits Ernstfall.
Ich habe nur ein Leben, ein einziges. Die Frage ist: Wofür setze ich es ein? Das ist eine Frage, über die ich immer wieder nachdenken sollte. Am besten stelle ich mir vor, ich stehe vor Jesus, und er fragt mich: „Thomas, was hast du mit dem Leben gemacht, das ich dir anvertraut habe?“ Das ist eine sehr gute Hilfe, gerade um die Prioritäten richtig zu setzen.
Mir hat letztens jemand erzählt, er hatte eine Anfrage aus einem anderen Land, um einen Dienst für Jesus zu tun. Es gab nur einen Haken: Wenn er so spontan in dieses Land ausgereist wäre, dann hätte er eine völlig ungeklärte Rentenversicherungssituation gehabt. Es war nicht klar, wie es mit seiner Rente weitergehen würde. Das hat ihn zurückhaltend gemacht. Er dachte, das müsste man erst klären, dann könnte er gehen. Aber das war eine längere Geschichte.
Er sagte, er war so überzeugt, dass das ein guter Weg ist. Bis er sich vorstellte, Jesus könnte in zwei Jahren wiederkommen. Dann stünde er vor ihm, und Jesus würde ihn fragen: „Sag mal, du hast es genau gewusst, warum hast du es nicht gemacht?“ Und wenn er dann sagt: „Sorry, Herr, meine Rentenversicherung war nicht geklärt“, dann käme das ziemlich schlecht.
Das hat ihn bewegt zu sagen: Egal was passiert, ich werde ausreisen. Er hat es gemacht. Heute hat er auch eine Rentenversicherung. Aber der Herr hat ihn in diesem Land gebraucht und braucht ihn dort noch immer.
Das heißt, er hat sich gedanklich an diesen Punkt gestellt: Ich bin hier verantwortlich. Ich stehe hier verantwortlich vor dem Herrn. Das ist sehr hilfreich, solche Punkte in der Stille mit dem Herrn zu besprechen. So bleibt Herrlichkeit, Ehre und Unvergänglichkeit mein Ziel.
Ich möchte nicht, wie wir es in dem Anspiel gesehen haben, im Klein-Klein des Alltags untergehen und dann für Ziele leben, für die ich eigentlich niemals leben wollte.
Gesetz hören und tun: Die Gerechtigkeit der Täter
Gehen wir zu Vers 12. In Vers 12 eröffnet Paulus eine neue, spannende Diskussionsrunde, denn in Vers 13 sagt er etwas Wichtiges. Kommen wir also zu Vers 13. Es ist nämlich nicht so, dass die Hörer des Gesetzes vor Gott gerecht sind, sondern die Täter des Gesetzes werden gerecht. Da haben wir es wieder – das ist eine solide katholische Lehre, oder? Und das noch im Römerbrief.
Ich saß erst einmal da, kratzte mich am Kopf und dachte: Das ist ein spannender Vers. Man könnte natürlich über solche Verse ganz fromm predigen, hoffen, dass es niemand merkt, und es auch so nett lassen, ohne es zu sagen. Aber ich dachte, das wäre nicht ganz ehrlich: Die Täter des Gesetzes werden gerecht.
Dann braucht man einen gesamtbiblischen Zusammenhang. Der sagt zum Beispiel in Galater 3,11: Paulus schreibt, durch das Gesetz wird niemand vor Gott gerecht. Das ist jetzt peinlich, denn es ist der gleiche Autor. Einmal heißt es, die Täter des Gesetzes werden gerecht, und an anderer Stelle, es wird niemand durch das Gesetz gerecht. Was stimmt denn nun?
Römerbrief oder Galaterbrief? Könnte uns noch retten, dass wir sagen, der Galaterbrief sei nicht wirklich von Paulus, sondern von jemand anderem geschrieben – daran merkt man die Fälschung. Aber das würden wir als evangelikale Christen nicht machen.
Was ist also die Antwort? Es stimmt, die Täter des Gesetzes werden gerecht. Das Problem ist nur, dass niemand das Gesetz vollständig halten kann. Das ist so, als wenn ich sage: Wer 400 Meter in 20 Sekunden läuft, hat für alle Zeiten den Weltrekord. Das stimmt. Das Problem ist nur, dass das keiner schafft. Der schnellste Läufer, der es geschafft hat, war Michael Johnson mit 43 Sekunden. Stell dir das mal vor: 43 Sekunden für 400 Meter – wow! Das war 1999. Schneller ist bis dahin keiner gewesen, nicht einmal der Hundertste.
Deshalb ist es wahr, wenn Paulus hier sagt, die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt. Aber es hat bis heute noch niemand geschafft, in dieser Disziplin die geforderte Mindestzeit zu erreichen. Alle sind disqualifiziert.
Nach Vers 12 verlieren also beide: die, die ohne Gesetz gesündigt haben, und auch die, die jeden Sabbat und jeden Sonntag das Gesetz gehört haben. Sie gehen genau so verloren. Das ist ja sein Zielpunkt: Er sagt, das Hören allein macht nicht gerecht.
Typisch für Paulus ist, dass er Gegenargumente aufgreift und versucht, diese, die er schon von seinen Lesern hören kann, zu entkräften. Das macht er auch hier. Später, in Römer 4,15, sagt er: Wo kein Gesetz ist, da gibt es keine Übertretung.
Klar: Wenn du auf der Autobahn, wo keine Geschwindigkeitsbeschränkung gilt, mit 200 km/h fährst und die Polizei hält dich an und sagt: „Hey, Sie dürfen hier nicht so fahren!“, und du sagst: „Wo ist hier ein Schild?“, dann gibt es kein Gesetz und du kannst keiner Übertretung beschuldigt werden. Logisch: Wo kein Gesetz ist, gibt es keine Übertretung.
Deshalb ist die Frage, die Paulus hier stellt, sehr spannend: Warum gehen Menschen verloren, die kein Gesetz haben? Wenn die Polizei niemanden dingfest machen kann, weil es kein Gesetz gibt, warum sollen dann Menschen verloren gehen, die gar kein Gesetz haben? Das erscheint doch ungerecht!
Das berührt die spannende Frage, die uns viel mehr als unser eigenes Seelenheil beschäftigt: Was ist mit den Menschen, die noch nie das Evangelium gehört haben? Werden sie gerettet oder gehen sie verloren?
Das ist in Diskussionen immer die Frage: Bin ich gerettet? Dabei muss ich nicht von mir selbst reden. Das ist auch eine spannende Frage, über die ich länger nachgedacht habe.
Paulus sagt ein paar Verse später in Römer 5,14: Auch die Menschen, die das Gesetz nicht gekannt haben, sterben. Das zeigt, der Tod hat Macht über sie, auch wenn sie nie eine Bibel in der Hand gehabt haben. Das Gesetz des Todes wirkt bei ihnen, auch wenn sie es nie kannten.
Aber sie kennen Gottes Wort doch nicht. Wie kann das sein? Paulus greift die spannende Frage ab Vers 14 auf. Es ist meines Wissens die einzige Stelle in der Bibel, in der dieses Thema angesprochen wird.
Paulus sagt, es ist möglich, dass der Tod – also die Folge des Gesetzes – im Leben von Menschen wirkt, die niemals eine Bibel in der Hand hatten. Und es ist so, dass manche Nationen von Natur aus so handeln, wie das Gesetz es sagt.
Einzelne Menschen aus diesen Nationen, so lesen wir es in diesem Vers, töten niemanden, brechen nicht die Ehe und stehlen nicht. Das heißt, sie haben ein Gesetz in sich. Dieses Gesetz wirkt über das Gewissen.
Sie wollen etwas tun, und dann hören sie spontan die Stimme des Gewissens. Darauf reagieren sie – oder auch nicht.
Man muss zum Gewissen nur wissen: Mein Gewissen ist prägbar. Es ist wie ein Hund, der immer wieder bellt. Wenn ich den Hund, wenn er bellt, immer wieder schlage, hört er irgendwann auf zu bellen. Das heißt, ich habe dann an bestimmten Punkten kein Gewissen mehr.
Und das Gewissen ist auch eine spannende Sache, wenn ich gläubig werde. Manche haben ein Gewissen wie eine Briefwaage – also sehr feinfühlig –, andere eher wie eine Kofferwaage. Das ist einfach so. Ich hoffe, niemand von uns hat ein Gewissen wie eine Autowaage, die ganz schwergängig ist.
Aber das Gewissen ist verschieden. Wenn mein Gewissen reagiert oder auch nicht reagiert, ist das nicht zwangsläufig Gottes Stimme. Diese Gleichung darf ich nicht aufmachen. Wenn mein Gewissen schweigt, heißt das nicht, dass Gott meinem Weg zustimmt. Es ist garantiert nicht Gottes Weg.
Ab Vers 15 wird deutlich, dass Gott mein Gewissen benutzt, um seinen Willen zu offenbaren, sagt Paulus hier. Meine Gedanken klagen sich an und entschuldigen sich – und das wird mitprotokolliert, wie im Internet.
Es wird einen Tag geben, an dem Gott richten wird. Dann werde ich meine Gewissensmitschriften lesen können. Dann steht da: „Zehnter Mai zweitausendzwölf: Ich hasse sie, weil sie mich beleidigt hat.“ Mein Gewissen sagt mir: „Das hat sie unwissend getan, sie wollte mich nicht ärgern.“ Aber ich will sie hassen, und deswegen mache ich es.
„Zwölfter Mai zweitausendzwölf: Die Verkäuferin gibt mir zu viel Wechselgeld heraus. Ich behalte es, auch wenn mein Gewissen mir sagt, das ist nicht richtig, du musst ihr das Geld zurückgeben.“
Das ist praktisch: Die Gedanken entschuldigen sich, sie klagen sich an. Die einen werden von Gott gerichtet, weil sie auf die Stimme ihres Gewissens nicht gehört haben. Der Richter würde sagen: „Beweismittel: Gewissensmitschrift.“
Die anderen werden von Gott gerichtet, weil sie Gottes Gesetz übertreten haben, obwohl sie es wussten. Beweismittel: die Zehn Gebote und alle anderen ergänzenden Gebote Gottes. Die Beweismittel werden aus einer anderen Schublade gezogen, aber das Urteil ist das gleiche.
Gottes gerechtes Urteil für alle Menschen
Die Verse 14 bis 16 werden immer wieder herangezogen. Das war für mich in der Predigtvorbereitung wirklich ein Highlight, das zu erkennen.
Diese Verse werden oft bemüht, um deutlich zu machen, dass Gott bei den Heiden einen ganz anderen Maßstab anlegen wird. Und das stimmt auch. Er legt nicht das Gesetz an, sondern das Gewissen ist der Maßstab.
Aber diese Verse sagen nicht das, was ihnen immer wieder untergeschoben wird. Sie äußern sich nicht zu der Frage, was mit den Menschen ist, die noch nie etwas von Jesus gehört haben. Ich kann dazu nur sagen: Gott ist gerecht, und sein Urteil wird gerecht sein.
Wir haben in Kapitel 1,21 gelernt: Kein Mensch wird sich entschuldigen können, kein Mensch wird sagen können: „Sorry Gott, jetzt stehst du vor mir, und ich wusste gar nicht, dass es dich gibt.“ Das schließt Römer 1,21 aus.
Die Verse 14 und 16 zeigen, dass der Maßstab für Gottes Urteil ein anderer sein wird, wenn ich bibellos aufgewachsen bin. Aber kein Bibelloser wird sagen können: „Entschuldigung Gott, ich hatte keine Bibel, und deswegen kannst du mir keine Übertretung anrechnen.“ Das sagen die Verse.
Es gibt hier nur eine Gewissensmitschrift, und die gibt es tatsächlich. Ich habe einen Freund, der war so ein bisschen kriminell drauf. Dann hat jemand anders ihn geärgert – das kommt in dem Milieu manchmal vor. Und dann hat er sich allen Ernstes überlegt: Wenn der mich so doll ärgert, dann sollte ich ihn auch ärgern.
Er hat sich das richtig überlegt: Wer ihn ärgert, den werde ich umbringen. Ja, das hat er sich so ausgedacht. „Okay, ich werde ihn umbringen.“ Und er sagt: „Das hätte ich auch gemacht, ich war mir ziemlich sicher, die haben mich bei anderen Sachen auch nicht bekommen, also werden sie mich da auch nicht kriegen.“
Aber er sagt, er hatte irgendwo hinten in seinem Kopf den Gedanken: „Und wenn es doch einen Gott gibt, dann hast du ganz schlechte Karten.“ Und das war der Hauptgedanke, der ihn abhielt, sich ein Alternativmodell zu überlegen, das nicht gerade Mord ist.
Das ist also ganz praktisch: Die Gedanken entschuldigen sich nicht. Selbst wenn er nie die Bibel in der Hand gehabt hätte, diese Gewissensmitschrift ist mitprotokolliert und wird als Beweismittel eingebracht.
Und das Ergebnis von beidem – und ich glaube, das sagt dieser Text sehr deutlich – ist hier der Tod. Denn das wird ja ab Vers zwölf sehr deutlich eingeleitet. Da heißt es: So viele ohne Gesetz gesündigt haben, werden ohne Gesetz verloren gehen, und so viele unter Gesetz gesündigt haben, werden durchs Gesetz gerichtet werden.
Man muss diesen Satz folgerichtig weiterführen: und verloren gehen. Also gilt das hier für beide. Aber weil Gott gerecht ist, unterscheidet er die Sünde. Das ist wie im richtigen Leben auch.
Wenn du als Ersthelfer zu einem Unfall kommst und du machst etwas falsch, dann kann dich erstens niemand wegen unterlassener Hilfeleistung belangen. Aber zweitens muss man sagen: „Okay, das war halt Pech des Verletzten.“ Ich hoffe, du bist nie der Verletzte.
Wenn ich aber genau den gleichen Fehler mache und eine Rettungssanitäter-Ausbildung habe oder sogar Arzt bin, dann sieht die Sache ganz anders aus. Dann sagt man zu dir: „Moment, das hättest du wissen müssen.“ Und dafür wirst du auch voll zur Rechenschaft gezogen.
Und das ist, was Paulus in diesem Text heute Morgen sagt: Es geht nicht ums Wissen allein im Blick auf das Wort Gottes. Aber mein Wissen auf der anderen Seite wird der Maßstab sein, nach dem Gott mich richtet.
Deshalb kann ich mir auch Gottes Wort zum Gericht hören. Es ist vollkommen folgerichtig, dass ich also Dinge weiß und nicht tue. Das kann man biblisch sehr leicht belegen, diese These. Einmal natürlich aus dem Text hier heraus, aber Jakobus 3,1 sagt zum Beispiel: Die Lehrer, die hier vorne stehen, werden ein schwereres Urteil empfangen.
Es ist also nicht gleich. Sie haben durch ihr biblisches Wissen eine höhere Verantwortung, und deshalb wird Gott an meinem Leben einen ganz anderen Maßstab anlegen als an deinem Leben.
Und wenn du das Gleiche tust wie ich, wirst du viel besser wegkommen als ich. Das ist, was Jakobus 3,1 sagt. Sehe ich das Entsetzen in den Augen derer, die auch immer hier vorne stehen?
Der Jesus bringt dieses Prinzip mal sehr praktisch auf den Punkt. Das könnt ihr vielleicht selber nachlesen in Lukas 12.
Er sagt: Der Knecht, der den Willen seines Herrn weiß und nicht danach gelebt hat, wird viele Schläge erleiden. Wer ihn aber nicht wusste, aber getan hat, was der Schläge wert ist, wird mit wenigem geschlagen werden (Lukas 12,47).
Und dann sagt er: „Jedem, dem viel gegeben ist, von dem wird viel verlangt werden, und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man viel fordern.“ Das sind nur andere Worte für das, was Paulus hier in Römer 2 sagt.
Das will er deutlich machen: Schläge bekommen beide, aber für die einen ist es erträglicher als für die anderen.
Das heißt, auch mein ethisches Verhalten, auch wenn ich Jesus nicht kenne, wird in der Ewigkeit belohnt werden. Aber es bringt mich nicht in den Himmel. Es scheint einen strafmindernden Einfluss zu haben.
Aber als jemand, der mit Jesus unterwegs ist, stelle ich mir natürlich die Frage: Was setze ich denn um von dem, was ich aus dem Wort Gottes erkenne? Wo widerstehe ich denn konkreter Sünde? Wo lebe ich Gottes Liebe? Wo redet mein Leben von der Hingabe?
Die Welt hat genug Worte gehört. Es ist Zeit, dass sie Menschen erlebt, die Gottes Kraft leben. Menschen, in deren Leben das Leben des Herrn Jesus im Alltag sichtbar wird.
Ein Leben, das ihm geweiht ist, überzeugt mehr als tausend Worte.
Schlussgedanken: Gottes Maßstab und unsere Verantwortung
Es ging heute Morgen also um das Thema: „Lass dich selbst von Gott beurteilen, anstatt andere zu verurteilen. Du bist nicht besser.“
Ich glaube, das sollten wir aus diesem Text mitnehmen. Auch wenn ich auf andere zeige, bin ich nicht besser. Und vergiss nicht: Dein Handeln zählt mehr als dein Wissen.
Aber eins ist auch wahr: Je besser du Gottes Wort kennst, desto strenger wird dein Urteil sein.
Und eines kann man ganz sicher sagen: Bei keinem von uns heute Morgen wird als Beweismittel nur eine Gewissensmitschrift vorliegen. Vielmehr wird bei jedem von uns das Gesetz Gottes als Beweismittel dienen. Das ist ein ganz anderer Maßstab.
Darauf können wir uns schon mal einstellen – auch mit Freude. Denn Gott möchte in meinem Leben wirken. Ich habe ja auch das Vorrecht, keine Angst davor zu haben.
Also darf ich mich heute schon auf diesen Tag vorbereiten, am besten nach dem Prinzip: Jesus anschauen, verstehen, wie er lebt, und nachmachen, was er tut.
Amen.