Sehr interessant: Die Josefsgeschichte ist vom Umfang her eine äußerst ausführliche Erzählung.
Darüber möchte ich später noch ein Wort verlieren und erklären, warum das im Wort Gottes so wichtig ist.
Wir haben zwar auch ausführliche Erzählungen über David, aber bei Josef fällt sofort auf, wie viel dort berichtet wird. Das gilt natürlich auch für Abraham.
Die Offenbarung der Versöhnung und Gottes Führung
Jetzt hatte Josef seine Brüder erschreckt. Wir sprachen über die Seelsorge Gottes an uns, und als bei den Brüdern ein Sinneswandel zu beobachten war, gab sich Josef seinen Brüdern zu erkennen.
Da konnte Josef nicht länger an sich halten. Vor allen, die um ihn herumstanden, rief er: „Lasst jedermann von mir hinausgehen!“ Niemand blieb bei ihm, als er sich seinen Brüdern offenbarte. Er weinte laut, sodass es die Ägypter und das Haus des Pharao hörten. Dann sprach er zu seinen Brüdern: „Ich bin Josef, lebt mein Vater noch?“
Seine Brüder konnten ihm nicht antworten, so erschraken sie vor seinem Angesicht. Er aber sprach zu ihnen: „Tretet doch her zu mir!“ Sie traten heran, und er sagte: „Ich bin Josef, euer Bruder, den ihr nach Ägypten verkauft habt. Nun sorgt euch nicht und denkt nicht, dass ich euch deswegen zürne, dass ihr mich hierher verkauft habt. Denn um eures Lebens willen hat mich Gott vor euch hergesandt.“
„Denn es sind nun zwei Jahre, dass Hungersnot im Land herrscht. Es sind noch fünf Jahre, in denen weder Pflüge noch Ernten sein werden. Aber Gott hat mich vor euch hergesandt, damit er euch übriglasse auf Erden und euer Leben erhalte zu einer großen Errettung. Und nun, ihr habt mich nicht hergesandt, sondern Gott.“
Das ist doch falsch, dachten sie, ihr habt mich doch hergesandt! Nein, in allem ist es Gott. Obwohl es natürlich stimmt, dass sie schuld daran waren, dass es so gekommen ist, sieht Josef doch nur die Führung Gottes auch in diesem schweren Geschehen.
Gott hat ihn dem Pharao zum Vater gesetzt und zum Herrn über sein ganzes Haus sowie zum Herrscher über ganz Ägyptenland. „Eilt nun und zieht hinauf zu meinem Vater und sagt ihm: ‚Das lässt dir Josef, dein Sohn, sagen: Gott hat mich zum Herrn über ganz Ägypten gesetzt. Komm herab zu mir, säume nicht! Du sollst im Land Gosen wohnen und nahe bei mir sein, du und deine Kinder und Kindeskinder, dein Kleinvieh und Großvieh und alles, was du hast. Ich will dich dort versorgen, denn es sind noch fünf Jahre Hungersnot, damit du nicht verarmst in deinem Haus und allem, was du hast.‘“
„Siehe, eure Augen sehen es und die Augen meines Bruders Benjamin, dass ich leibhaftig mit euch rede. Verkündet meinem Vater alle meine Herrlichkeit in Ägypten und alles, was ihr gesehen habt. Eilt und kommt herab mit meinem Vater hierher!“
Dann fiel er seinem Bruder Benjamin um den Hals und weinte, und Benjamin weinte auch an seinem Hals. Josef küsste alle seine Brüder und weinte an ihrer Brust. Danach redeten seine Brüder mit ihm.
Als das Gerücht in das Pharaohaus kam, dass Josephs Brüder angekommen seien, gefiel es dem Pharao und allen seinen Großen. Der Pharao sprach zu Josef: „Sage deinen Brüdern: Macht es so! Beladet eure Tiere und zieht hin. Wenn ihr ins Land Kanaan kommt, nehmt euren Vater und alle, die euch gehören, und kommt zu mir. Ich will euch das Beste in Ägypten geben, das ihr essen sollt – das Fett des Landes.“
Er befahl ihnen: „Macht es so! Nehmt Wagen aus Ägyptenland für eure Kinder und Frauen, bringt euren Vater mit und seht euren Hausrat nicht an. Denn das Beste des ganzen Landes Ägypten soll euer sein.“
Die Söhne Israels taten so. Josef gab ihnen Wagen nach dem Befehl des Pharao und Verpflegung für den Weg. Allen gab er ein Festkleid, Benjamin aber gab er dreihundert Silberstücke und fünf Festkleider. Seinem Vater sandte er zehn Esel mit den besten Sachen aus Ägypten beladen und zehn Eselinnen mit Getreide und Brot sowie Verpflegung für seinen Vater auf dem Weg.
Damit entließ er seine Brüder, und sie zogen hin. Er sprach zu ihnen: „Das hat eure Mutter sicher auch immer gesagt: Zankt euch nicht auf dem Weg!“ So zogen sie hinauf von Ägypten und kamen ins Land Kanaan zu ihrem Vater Jakob.
Sie verkündeten ihm und sprachen: „Josef lebt noch und ist Herr über ganz Ägyptenland.“ Aber sein Herz blieb kalt, denn er glaubte ihnen nicht. Da sagten sie ihm alle Worte, die Josef zu ihnen gesagt hatte.
Als er die Wagen sah, die ihm Josef gesandt hatte, um ihn zu holen, wurde der Geist Jakobs, ihres Vaters, lebendig. Israel sprach: „Mir ist genug, dass mein Sohn Josef noch lebt. Ich will hin und ihn sehen, ehe ich sterbe.“
Die historische und theologische Bedeutung der Josefsgeschichte
Wir reden ja auch immer zwischen den Bibelstunden miteinander, und das ist immer wieder gut. Es ist schön, auch von Ihnen ein wenig zu hören, was Sie beim Bibellesen interessiert und bewegt.
Zunächst einmal: Diese Geschichten sind wirklich so passiert. Die Ereignisse, die in der Bibel beschrieben werden, passen in die ägyptische Geschichte, auch wenn wir nicht genau datieren können, wann genau sie stattfanden. Die Ägypter haben ja nie ihre Niederlagen beschrieben, deshalb wissen wir auch nicht genau, wann der Auszug der Kinder Israel war. Wer jedoch in Luxor steht, kann an den dortigen Abbildungen der in Ägypten wohnenden Volksstämme auch die Erinnerung an Israeliten erkennen – sowohl im Gesicht als auch durch die spätere Erwähnung Israels. Es gibt also mit all dem, was wir in den Urkunden aus Ägypten haben, nichts, was dem biblischen Bericht widerspricht.
Aber das kann ja nicht genug sein: nur Geschichten zu lesen. Sonst könnten wir genauso gut griechische Geschichte, mesopotamische Geschichte oder andere historische Berichte lesen. Die Bibel ist Gottes Wort, Gottes Offenbarung. Was offenbart Gott in diesen wirklich geschehenen Abläufen? Er offenbart sein Handeln – und das ist jetzt wichtig.
Gott handelt durch die Zeiten hindurch so, wie er bei Abraham gehandelt hat, wie er bei Noah gehandelt hat. Gott ändert sich nicht. Er bleibt sich selbst treu, und das ist entscheidend. An diesem Wort Gottes haben wir eine große Hilfe, Gott zu erkennen.
Jetzt kommt noch etwas hinzu: Über dem Umstand, dass Gott immer wieder gleich handelt, werden viele Dinge typisch für Gott. Zum Beispiel ist es hochinteressant, wie anders die Geschichte erzählt wird, als Abraham seinen Sohn Isaak opfern soll. Wenn man auf den Berg Moriah geht, ist es bemerkenswert, dass es später den Tempelberg gibt, den Berg Moriah in Jerusalem. Dort, wo heute der Felsendom steht – diese Moschee.
Je länger wir diese Geschichte lesen, desto mehr merken wir, dass Gott das Opfer von Abraham gar nicht wirklich will. Aber Gott hat ja später selbst das Opfer gebracht, indem er seinen Sohn Jesus geopfert hat. Plötzlich erkennen wir, dass das eine Beziehung zu dem hat, was erst in der Fülle der Offenbarung kam. Das, was wir bei Abraham sehen, ist schon in Andeutungen vorhanden.
Deshalb ist es wirklich so passiert. Weil Gott eben der gleiche ist, hat er schon etwas gezeigt. Das merken wir ganz besonders im Neuen Testament, bei den Briefen des Paulus oder des Petrus. Sie legen großen Wert darauf zu sagen, dass man aus der Bibel heraus viel im Neuen Bund verstehen kann. Zum Beispiel macht der Hebräerbrief immer wieder deutlich, dass alles eine Vorabschattung des Kommenden ist. Also wie ein Schattenumriss, nur andeutungsweise zu sehen.
Gott hat sein Volk schon vorbereitet. Man konnte eigentlich schon das Erbarmen Gottes, seine Liebe erkennen, weil Gott eben der gleiche ist. Aber die richtige Fülle wurde erst in Jesus sichtbar.
So wird zum Beispiel auch gesagt, dass die Opfer oder der Tempeldienst heute gar nicht mehr notwendig sind, weil sie eigentlich nur Hinweise waren. Auch der Priesterdienst ist ein solcher Hinweis.
Ganz besonders finden wir solche Hinweise beim David, zum Beispiel das Königtum Davids. David sagt ja selbst, dass noch ein ganz anderer König nach ihm kommen wird. David ist erst der Vorläufer, weil Gott noch weiteres tun wird und sein Heil schaffen wird.
Auch bei Mose ist das ganz wichtig. Alles zeigt Spuren zum Kreuz Jesu. Zum Beispiel bittet Mose für das schuldig gewordene Volk nach dem Opfer, nachdem sie das goldene Kalb angebetet hatten. Immer wieder betete Mose, und dann heißt es: Einen Propheten wie mich wird der Herr erwecken. Da wird noch jemand kommen, der das noch viel größer macht als Mose.
Sie wissen, dass die Juden auch im Elija den kommenden Messias erwarten. Das ist heute eine große Erwartung in Israel. Bei jedem Fest wird ein Platz freigehalten, falls Elija kommt – als der Messias. Wir sagen, hier ist Elija schon gekommen. Die Schrift im Alten Bund weist auf Christus hin.
Jetzt wollen wir das nicht so machen, dass wir alles zu sehr drücken und drängen. Aber es ist ganz auffallend, zum Beispiel in den Brüderversammlungen – Sie wissen, was das sind, die Brüderversammlungen an der Neckarstraße. Es gibt eine Brüderversammlung der Darbisten, deren Zentrum in Dillenburg liegt. Sie haben auch Bücher, eines davon heißt einfach „Vorbilder“. Darin zeigen sie seitenlang an der Gestalt Josephs, wo überall Hinweise auf Christus sind.
Ich möchte Sie nicht mit der Fülle jetzt ermüden, aber das ist hochinteressant. Je mehr man in der Bibel forscht, desto mehr entdeckt man. Ich denke, wir haben erst ganz wenig entdeckt, dass die Bibel ein wunderbares Geheimnis birgt. Nämlich, dass viele Dinge sichtbar werden, je länger man sich mit der Bibel beschäftigt.
Wir wollen heute Abend nur ganz kleine Dinge erkennen, wirklich nur Bruchstücke. Und Sie können beim Bibellesen noch viel, viel mehr entdecken.
Schuld und Vergebung als zentrale Themen der Josefsgeschichte
Zuerst ist die Geschichte von Josef für uns wichtig. Was will sie uns zeigen? Was ist ihr Inhalt? Was will Gott uns dadurch vermitteln? Man kann mit Schuld nicht leben, mit Schuld.
In unserer heutigen Zeit ist Schuld oft kein Thema mehr. Viele Christen sind der Meinung, über Schuld spricht man nicht. Das hat vielleicht Martin Luther noch bewegt, aber mich interessiert das nicht mehr. Ich habe selten so eine Reaktion auf eine Predigt erlebt wie am vergangenen Sonntag, als es um das Zusammenleben und unser Schuldigwerden an unserem Nächsten ging. Das ist eigentlich ein zentrales Thema.
Ich denke, Schuld ist unser wichtigstes Problem heute. Wir können nur nirgendwo darüber reden, weil kaum jemand darüber spricht. Das ist sehr schlimm, denn wenn man heute nicht ständig über das Problem spricht, belastet es uns im Umgang mit Gott. Wir können gar nicht gut mit Gott umgehen, weil die Schuld da ist.
Über Schuld kann man nicht streiten. Schuld muss der Geist Gottes aufdecken. Und das ist die Geschichte von Josef, eine großartige Geschichte. Die Brüder sagen noch voller Überzeugung: „Wir sind ehrliche Leute.“ Doch wenn wir allein sind, wissen wir genau, wie viel Schlimmes in unserem Leben ist. Oft verstehen wir uns selbst nicht, aber wir können mit niemandem darüber reden, weil wir Angst haben, was der andere über uns sagen könnte.
Das Große ist doch, dass wir Christen ständig darüber reden können und Vergebung bekommen. Zuerst muss die Schuld weggeräumt werden. Aber wie kann man Schuld erkennen? Schuld kann man erst erkennen, wenn der Geist Gottes sie aufdeckt. Das ist ein langer Prozess, bis man die Schuld wirklich so sieht, wie sie war.
Wir wissen das auch von anderen Gottesmännern. Zum Beispiel hat David lange Zeit seine Schuld nicht gesehen, als er sich an der Frau Uriahs, Batseba, versündigt hat. Er dachte einfach, was ich getan habe, ist richtig. Das kann selbst bei gläubigen Menschen vorkommen: Sie sagen, ich habe mir nichts vorzuwerfen. Andere meinen, das kann doch nicht sein, dass gläubige Leute so verblendet sind.
Dann deckt Gott plötzlich die Schuld auf, und man kann nicht mehr weiterleben. Schuld bedrückt einen so sehr, dass man nicht mehr damit fertig wird. Schuld kann man nicht selbst bewältigen.
Wo hat unsere Generation heute eine Möglichkeit, Schuld zu bewältigen? Psychologen wissen das auch nicht. Sie sagen nur, das ist nicht so schlimm oder damit musst du leben. Aber es gibt keinen Platz für etwas so Gewaltiges wie Vergebung.
Das zeigt uns die Geschichte von Josef als Nächstes: Es gibt Vergebung. Es ist völlig unglaublich, dass Josef diese Vergebung so überströmend herzlich verkündet. Das ist in der Welt sonst nie passiert, außer bei Josef und im Handeln Gottes. Niemand kann so vergeben. Das gibt es gar nicht.
Die Blutfehden in Jugoslawien werden noch über Generationen weitergegeben. Dort gibt es keine Vergebung, sondern neues Blutvergießen. Das kennen wir von vielen Völkern. Und wir wissen, wie das in unserem eigenen Leben ist. Vergeben ist ein ganz, ganz großes Wunder.
Josef handelt so mit seinen Brüdern. Vielleicht kam es Ihnen am letzten Dienstagabend so vor, als würde Josef mit seinen Brüdern spielen. Das ist nicht der Fall. Es ist das Heilhandeln Gottes.
Nun müssen wir uns fragen: Wie geht Gott mit uns um? Ich kann nur hoffen, dass Gott Ihnen die Augen für Ihre Schuld öffnet. Dass Sie sagen: Seit einiger Zeit sehe ich manches in meinem Leben so, dass ich darüber belastet bin. Das ist wunderbar. Dann kommen Sie schnell zur Vergebung Gottes, denn das will Gott nur.
Gott will Sie nicht demütigen, er will den Menschen nicht schlecht machen. Wo hat Jesus das getan?
Ich kann Gott nur über diesen Doppelschritt erkennen. Ich kann Gott immer nur erkennen – das ist ein Grundgesetz des Reiches Gottes – über der Schuld kann ich seine Liebe erkennen. Ich kann die Liebe Gottes nicht erkennen, wenn ich meine Schuld nicht vorher gesehen habe.
Das ist ein ehrendes Gesetz. Sie können Kindern die Liebe Gottes erklären, aber das bleibt ein Witz, das geht nicht tief. Ein Mensch kann die Liebe Gottes erst erfahren, wenn er sie über die Vergebung erlebt hat.
Das ist tief im ersten Buch Mose schon enthalten. Und das ist auch Paulus’ Predigt im Römerbrief. Dort sagt er, wie er unter dem Gesetz Gottes zusammenbricht und dann das Wunder der Versöhnung in Jesus erlebt. Christus hat mich gerecht gemacht und mein Leben neu gemacht.
Die Freude des Glaubens kann nur dort entstehen, wo ich die Schuld erkannt habe. Und darüber wird mir das Handeln Gottes groß. Darum ist Gott natürlich auch ein Richter.
Die Herausforderung der Verkündigung von Schuld und Gnade
Jetzt, wie kann ich das predigen? Ich kann es nicht auf eine bestimmte Weise predigen. Es ist interessant: Wenn heute ein Mensch zum Glauben kommt, sagt er oft, zum ersten Mal wurde mir das Evangelium gepredigt. Das stimmt gar nicht! Er hat es bestimmt schon tausendmal oder hundertmal gehört. Er hat es nur nicht verstanden.
Wenn der Groschen fällt, und das kann nur der Heilige Geist bewirken, dann sagt man plötzlich: Ja, aber jetzt? Seien Sie gewiss, das ist ein Geheimnis. Da wird man manchmal ungerecht und denkt: Warum haben die mir das vorher nicht gepredigt? Die haben doch so gepredigt, aber man hat nicht zugehört. Man konnte es nicht verstehen.
Die Brüder Joses konnten es auch nicht begreifen, bis der Geist Gottes es ihnen deutlich machte. Und wie ist das bei anderen? Vielleicht ist das nur durch eine Krankheit möglich, durch eine bittere Lebenserfahrung oder einfach durch einen besonderen Moment, in dem Menschen plötzlich das begreifen.
Wir hatten damals in unserer Freizeit in Korsika einen Arzt, der in einem benachbarten deutschen Wanderverein tätig war. Erst mit 75 Jahren kam er zum neuen Leben und sagte: Wie konnte ich ein ganzes Leben daran vorbeilaufen? Erst dann habe ich gemerkt, was Gott meinem Leben gibt. Für uns war das faszinierend. Er erzählte auf jeder Wanderung von seiner ersten Freude, als er zum Evangelium durchbrach. Alles war plötzlich sonnenklar für ihn. Er sagte: Wie konnte ich so blind sein? Jetzt verstehe ich es.
Er entdeckte im neuen Lebenszentrum erst, was das Evangelium wirklich ist. Natürlich hatte er es oft vorher gehört, aber nicht entdeckt.
Beim Glauben ist es oft so: Man kann dabei sitzen und gelangweilt denken, warum schreit der so? Versteht der überhaupt, worum es geht? Dabei geht es doch um mich. Das kann man nicht einfach erklären, und man sieht es bei den Brüdern, die es einfach nicht verstehen. Erst durch ein ganz anderes Erlebnis kommen sie dahin, ihre Schuld zu sehen und zu begreifen.
Man kann also nicht so predigen, dass man jemanden ängstigt. Das hat gar keinen Wert. Man kann gottlosen Menschen alles Mögliche über die Hölle erzählen – sie lächeln nur noch mehr darüber.
Das, was Menschen am meisten überführt, auch vor dem heiligen Gott, ist das Kreuz Jesu. Gerade die Liebe Jesu überwältigt die Menschen, das Passionsgeschehen. Ich habe Ihnen ja schon erzählt, dass die Grönland-Eskimos davon am meisten bewegt waren.
Ich kann nur unter dem Kreuz Jesu wirklich begreifen, was Glaube bedeutet. Es muss uns immer wieder deutlich werden. Ich schildere es anschaulich und bezeuge es über mein Leben anderen Menschen.
Fangen Sie bitte nie an, Menschen zu drohen oder mit bösen Worten zu sprechen. Das hilft gar nicht. Das ist nicht gemeint mit Gesetz. Es ist ein ganz zartes Wirken des Heiligen Geistes, dass Menschen erschrecken.
Wenn ich an Beispiele in der Bibel denke, dann ist das wunderbarste Beispiel Petrus. Was ist denn bei Petrus passiert? Jesus hat gepredigt. Jesus hat bestimmt keine Drohworte gebraucht. Er hat sein Evangelium verkündet und Geschichten erzählt. Dann hat er Petrus hinausgeschickt, und dieser hat das Netz ausgeworfen. Was ist passiert? Das Netz war voller Fische, so dass sie es kaum aus dem See ziehen konnten.
Und dann steigt Petrus aus und sagt: Herr, geh weg, ich bin ein sündiger Mensch. Verstehen Sie? Über einer Wohltat geschieht dieser Zusammenbruch.
Und dann geht es ganz wunderbar weiter: In diesem Augenblick greift Jesus nach ihm und sagt: Petrus, komm her, du bist doch mein Menschenfischer! Genau das Gleiche macht Gott mit uns. Er sucht nicht mehr als unsere Zerknirschung, als dass wir endlich sagen: Ja, Herr, das bin ich.
Und dann dürfen wir seine Liebe auf überwältigende Weise fassen.
Die Versöhnung als Höhepunkt der Josefsgeschichte
Aber jetzt gehen wir noch einmal den Bibelabschnitt entlang. Die Ausleger tun das natürlich gern, ein wenig in der Bibel entlangzugehen. Das darf man, aber das ist dann persönliche Überzeugung. Zum Beispiel sagt ein Bibelausleger: So ist es ja auch wirklich, wie Josef alle wegschickt. Dies kann man nur mit Jesus allein erleben. Es zeigt sich, wie Josef sich mit seinen Brüdern versöhnt, wenn Jesus uns seine ganze Liebe schenkt. Wenn man plötzlich erkennt: Jesus ist da.
Entschuldigen Sie, wenn ich es immer gleich so übertrage, aber noch einmal: Bleiben wir zuerst bei Josef stehen. Josef hat in dem Augenblick, in dem er merkt, dass seine Brüder in ihrem Herzen – das heißt in ihrem innersten Denken und Meinen, ihrem Personenkern – eine große Wandlung vollzogen haben, reagiert. Das haben wir ja bemerkt. Zum ersten Mal stehen sie für ihren Bruder ein. Sie sehen alles und übernehmen Verantwortung für den Vater. Da muss Josef sich erbarmen.
Er weint hemmungslos. Das ist nicht bloß irgendeine Gefühlsaufwallung, sondern sein Innerstes. Er hat noch mehr unter der Sturheit seiner Brüder gelitten. Merken Sie sich: Es ist Josef schwergefallen, seinen Brüdern gegenüber hart zu sein. Wahrscheinlich hätte er schon viel lieber das Geheimnis gelüftet, weil er sie ja nicht quälen will. Nicht, dass man meint, das sei Sadismus, als ob er sie so lange wie möglich foltern wollte. Nein, sie müssen doch zur Umkehr kommen.
Und als endlich die erste Buße da war – das ist das entscheidende biblische Wort: Buße, Umkehr – das ist für Josef die größte Freude. Die Brüder kapieren es noch gar nicht. Er kann sich vor ihnen zu erkennen geben. Was hier abläuft, ist ein wunderbares Modell für das, was noch viel größer und wunderbarer stattfindet, wenn ein Sünder Buße tut und im Himmel Frieden mit Gott macht.
Wissen Sie, ob Jesus nicht herzerbrechend weint, wenn ein schuldiger Mensch in seinem Leben endlich Frieden mit Gott macht? Er muss sich doch erbarmen, er leidet doch mit dieser Welt. Was leidet er unter unserer Verstocktheit! Wann endlich kommst du heim? Warum hat Jesus vor Jerusalem geweint? Natürlich ist das schon abgebildet in dem, was kommt. Es wird nicht genau so passieren, trotzdem hat kein Mensch je anders gehandelt.
Wir weinen, wenn Schmerz zugefügt wird. Jesus weint, um den Verlorenen zu retten, euch Brüder. Die hat er doch geliebt. Endlich seid ihr da, und jetzt kann er die ganze Liebe schenken. Das, was immer wieder vom Erbarmen Gottes in der Bibel steht, dass ich mich seines Erbarmens bewusst sein muss. Ich kann doch Israel nicht dahingeben. Gott lässt sie dann in die Leidensgeschichte hineingehen. Das ist wieder übertragen für uns, damit wir in unserem Leben Augen dafür haben, wie Christus uns sucht und uns seine ganze Liebe geben will.
Und das ist so: Da braucht niemand zuzuschauen. Man muss es einmal in seinem Leben entdecken, wie Jesus sich unser erbarmt und uns liebhat. Das ist das Geheimnis, das wir in dieser Welt tragen dürfen, bis wir Jesus einmal von Angesicht zu Angesicht sehen. Das Geheimnis, das uns mit Jesus Christus verbindet: Er ist mein Bruder, mein Heiland und mein Erlöser.
Die Brüder konnten dieses Wort in dem Augenblick gar nicht verstehen, sondern sie erschraken. Und das ist ja auch genau so, wenn Menschen zum Glauben kommen und dann erleben, wie plötzlich die ganze Vergebung ihnen zugesprochen wird. Das ist nicht möglich, dass jetzt alles abgewischt ist. Sie stehen noch ganz unter dem Bann des Schweren, das geschehen ist.
Da merken Sie: Gott will uns die Schuld gar nicht so vorhalten, wie wir es vielleicht mit der Erziehung tun oder mit schwierigen Menschen. Man muss sagen: Schon vor ein paar Jahren habe ich es notiert und erinnere mich noch genau, wie böse du schon oft warst. Gott hat es wirklich weggetan. In der Vergebung ist es ausgelöscht, wird nie mehr vorgeholt.
Wir haben so oft im Gottesdienst von der Korinthen-Bohm erzählt. Es war ja immer ihre große Sache, wenn sie dort in Stuttgart gesprochen hat, dass sie von der Vergebung sprach. Das hat sie so überwältigend tun können: Wenn Jesus vergeben hat, dann ist es in der Meerestiefe versenkt, und da ist ein Schild am Ufer: „Fischen verboten.“ Er darf es nicht noch einmal herausziehen. Es ist weggetan.
Das will er. So wie Josef mit seinen Brüdern umgeht, so vergibt Jesus. Sofern der Morgen ist zum Abend, lässt er unsere Übertretung sein. Von uns an Ost und West holt er sie nie mehr ein. Sie sind unerreichbar getrennt. So macht es nur der Herr.
Aber wichtig: Es muss durch das Erschrecken hindurchgehen. Wenn Sie wissen wollen, wo die Schäden in der heutigen Verkündigung liegen, dann ist es heute, dass die Menschen nicht mehr erschrecken. Und dass man in der Verkündigung, im Hauskreis, oft Angst hat, darüber zu reden – vom Zorn Gottes, vom Erschrecken über Schuld.
Ich möchte Ihnen nur Mut machen, dass Sie zeugnishaft von Ihrem Leben anderen erzählen. Denn sonst kommt niemand je zum Licht. Ich kann Gott nicht finden, nur indem ich von Blümlein und Sonnenschein und von den Farben des Regenbogens erzähle. Ich muss davon reden, wie Gott unser Leben richtet und wie wir oft erst aus ganz tiefen Lebensführungen offen werden für das Wort des Evangeliums – aus der Buße, aus der Erkenntnis der Schuld.
Und das ist ein wichtiges Grundgesetz, das sich durch die ganze Bibel zieht, am meisten durch die Paulusbriefe.
Die Unfassbarkeit der göttlichen Vergebung
Sie konnten ihm nicht antworten. Dann erzählt er ihnen: „Ich bin doch Joseph, euer Bruder.“ Und wieder fragt er: „Habt ihr keine Angst?“ Später, nach dem Sommerabend, wird es noch den Vorschlag geben, den wir in den nächsten Dienstagen besprechen werden.
Nach dem Tod des Vaters, als Jakob starb, hatten sie Todesangst. Nun kommt die alte Rechnung wieder hoch. Joseph hat sicher nur gewartet, bis der Vater tot ist. Sie konnten es nicht glauben. Menschen können die große Vergebung Gottes oft nicht fassen, weil wir Menschen ein kleines Herz haben. Die Vergebung Gottes ist etwas so Großes, dass sie bei Menschen oft nicht vorhanden ist. Sie wird ausgelöscht und für alle Zeiten nicht mehr hervorgeholt.
Man stellt Petrus oft mit einem Schlüssel dar, den sogenannten Himmelsschlüssel. Das ist aber sehr falsch. Nicht Petrus hat den Himmelsschlüssel, sondern was Jesus und Petrus sagen, bezieht sich auf das Seelsorgeamt. Wenn jemand ihnen beichtet, dürfen sie im Namen Jesu sagen: „Vergeben und vergessen“ oder „Wir behalten deine Sünde.“ Wer sie behält, trägt sie mit sich. Menschen dürfen sich auch bewusst machen, wie schwer Schuld ist.
Sie haben den Schlüssel für Menschen, der die Tür zum Himmel öffnet oder verschließt. Das ist eine ungeheure Sache, die Jesus seinen Jüngern in die Hand gelegt hat. Sie können kaum glauben, dass Joseph so vergibt. Joseph geht so weit und sagt: „Mein ganzes Leben ist nur für eure Rettung gewesen, nur für eure Rettung. Gott hat mich hierher gesandt.“
Man hätte gedacht, bei Joseph wäre noch Stolz gewesen: „Wir sind die Champions. Ich bin ein Cleverle, ich habe es zu etwas gebracht, ihr seid alte Viehhirten. Ihr habt doch immer gewusst, dass ich besser bin als ihr.“ So etwas steckt doch in uns drin. Aber Josef denkt nur an seine Brüder. Sein ganzes Leben ist ein Dienst für sie. Kein Mensch hat je so gelebt wie Josef, nur so, wie der Sohn Gottes sich hingibt.
„Eure Rettung“, das hat ihn das ganze Leben bewegt. Wie kann ich euer Leben zurückbringen? Vielleicht werden wir es erst in der Ewigkeit verstehen können, dass Gott sich immer nur darum gesorgt hat. Wir haben uns vielleicht gesorgt, wie man die Kirche ein bisschen päppiger und modischer machen kann. Nein, Gott hat immer nur gefragt, wie er retten kann. Die ganze Art Gottes ist so einfach auf ein Ziel ausgerichtet.
Es gibt ein Thema, das wir Christen haben: Wir sollen andere Menschen retten. Dafür brauchen wir Leidenschaft in Liebe und Güte. Wir müssen allen Menschen sagen: „Das ist das Wichtigste in deinem Leben.“ Und wenn sie es ihren Enkeln oder Nachbarn sagen, dann geht es nicht um die Kirche oder das Singen aus dem Gesangbuch. Sondern darum, dass Gott dich liebt, dich sucht und dein Leben erneuern will.
Das wollen wir den Menschen vermitteln. Ich denke immer wieder: Wenn das in dir eine Leidenschaft wird, kannst du es auch erleben. Aber es geschieht auch, wenn du für andere Menschen betest. So steht es in Vers 7: „Dass er euch übriglasse auf Erden, euer Leben erhalte zu einer großen Errettung.“
Die Herausforderung der Ägyptenzeit und Gottes Führung
Israel zog nach Ägypten, doch dieses Ägypten wurde später zu einer großen Anfechtung. Israel kam dort fast von Gott ab. Die Schätze Ägyptens blieben für Israel ein Leben lang eine Versuchung. Ich sage immer wieder: Wenn wir im nächsten März die Ägyptenreise machen, ist es immer noch nicht belastend zu sehen, was von diesen riesigen Tempeln geblieben ist. Doch in diesem großen Gegensatz darf Israel immer wieder versuchen, sich zurück nach Ägypten zu sehnen: Dort hatten wir genug zu essen.
Nein, das Volk Gottes muss dorthin gehen, wo Gott es führt – durch die Wüste nach Kanaan. Das war der Weg der Verheißung. Der Weg, den Israel über Joseph nach Ägypten ging, wurde später sehr schwierig. Sie blieben etwa 30 Jahre oder länger in Ägypten, was sehr kompliziert war, bis Gott sie wieder herausführte. Später, in der Königszeit, versuchten sie immer wieder, ihr Vertrauen auf die Rosse Ägyptens zu setzen. Doch Gott sagt: Nein, euer Herz darf nicht an Ägypten hängen. Ägypten ist nichts, es dient nur zum Überleben. Gott wollte ihnen etwas ganz anderes zeigen: Sie sollten allein Gott gehören und sich von Ägypten trennen.
Sie konnten sich nur deshalb von Ägypten trennen, weil die Ägypter sich von ihnen getrennt hatten. Die große Gefahr ist die Vermischung von Gottes Volk mit der Welt. Jetzt sagt Gott, sie dürfen im Land Gosen siedeln. Ich möchte kurz andeuten, dass es ein Problem war, als Joseph sagte, sie dürften im Land Gosen, dem besten Landesteil, wohnen. Man muss sich vorstellen, dass Ägypten keinen großen Raum hat. Rechts und links vom Nil ist nur ein schmaler Streifen Ackerland, alles andere ist Wüste. Und gerade dort, im Delta, im Mündungsgebiet, durften sie wohnen.
Joseph hatte den Pharao noch gar nicht gefragt, doch man sieht, welchen Einfluss Joseph hatte, dass er das einfach so sagen konnte. Später im Bericht wird deutlich, wie die Ägypter auf die Israeliten herabblickten, weil sie Viehhirten waren. Sie galten als Beduinen, nicht als sesshafte Menschen. Heute würde man sie vielleicht als Zigeuner bezeichnen. Für die Ägypter waren sie keine Kulturmenschen.
Trotzdem brachte Joseph den Vater Jakob dorthin. Wir haben gelesen, wie Jakob ein kaltes Herz hatte und es kaum glauben konnte. Erst an den schicken Wagen erkannte er, dass es wirklich so war. Vielleicht haben wir auch einen materiellen Sinn und können die Güte Gottes erst richtig begreifen, wenn wir sichtbare Wunder sehen. Das ist auch bei den Jüngern nach der Auferstehung so beschrieben: Sie konnten es kaum glauben. Glaube fällt uns schwer, weil wir alle Augenmenschen sind.
Wie zeigte Joseph seinen Brüdern seine Liebe? Mit einem Kuss, einem Wangenkuss – ein ganz besonderes Zeichen der Vertrautheit. Ich bin überzeugt, dass es auch ein Zeichen gibt, an dem sich der Herr in seiner Liebe zu erkennen gibt. Nicht durch einen Kuss, aber durch große Liebe und Vertrauen, sodass sie wissen: Ich bin angenommen, ich gehöre meinem Herrn. So wie Joseph zu seinen Brüdern kam, wirken sie wirklich erleichtert, obwohl sie noch wie vom Donner gerührt dastehen.
Es ist sehr schön, wenn man in der Seelsorge Menschen Mut machen darf, etwa in einem Beichtgespräch, und dann die Hände auflegen kann. Oft sind die Tränen noch nicht getrocknet, weil man sich selbst schämt und leidet. Dann ist die herrliche Vergebung etwas Wunderbares: Der Herr drückt einen zu sich und sagt: Du sollst mein sein, in meiner Nähe leben.
Entschuldigen Sie, dass ich hier die Brücke schlage. Ich kann die Geschichte von Joseph nicht anders lesen als eine Geschichte, die sich in Jesus noch viel wunderbarer ereignet hat – in der Lösung meiner Schuld und im Klären all meiner Probleme.
Ich möchte hier abschließen. Wir haben jetzt die Menge der Geschichte von Joseph durchgelesen. Wir werden noch weitermachen und sehen, was wir noch herausgreifen können. Ich hätte auch gern noch den Jakobssegen genommen, der auf jeden Fall über seine Söhne Ephraim und Manasse gesprochen wurde. Beim Sterben Jakobs war das ganz groß, wie er sich aufrichtete und sagte: Warte auf dein Heil! Dabei sah er schon den Messias. Es ist wunderbar, wie alles auf Christus hinweist.
Ich hoffe, dass Sie heute Abend eine Ermutigung erhalten haben, in dieser unvergleichlichen Vergebung die Herrlichkeit Gottes zu sehen. Schon bei Joseph war sie ganz wunderbar ausgebildet, noch viel herrlicher ist sie hoffentlich für Sie. Er ist der, der alle deine Sünden vergibt und alle deine Gebrechen heilt, der dein Leben vom Verderben erlöst.
Viele stehen noch ganz schockiert da und können das Wunder, das geschehen ist, kaum fassen. Gott will nichts anderes als seine Liebe versichern, keine andere Rache. Er will unsere Umkehr und unsere Errettung. Ohne das Bekenntnis meiner Schuld gibt es keine Errettung. So wenig kann der verlorene Sohn das Vaterhaus wiederfinden, ohne seine Schuld auszusprechen. Das ist der Schlüssel im Schloss – ohne ihn geht es nicht.