1. Mose 37 beschreibt die Träume von Joseph. In diesem Kapitel erzählt die Bibel, wie Joseph, der Sohn Jakobs, zwei bedeutende Träume hat, die seine Zukunft und seine besondere Stellung innerhalb seiner Familie ankündigen.
Im ersten Traum sieht Joseph und seine Brüder Garben auf dem Feld. Josephs Garbe steht aufrecht, während die Garben seiner Brüder sich vor seiner Garbe verneigen. Dies symbolisiert, dass Joseph eines Tages über seine Brüder herrschen wird.
Im zweiten Traum sieht Joseph die Sonne, den Mond und elf Sterne, die sich vor ihm verbeugen. Die Sonne und der Mond stehen dabei für seine Eltern, und die elf Sterne repräsentieren seine Brüder. Auch dieser Traum deutet darauf hin, dass Joseph eine herausragende Position innerhalb seiner Familie einnehmen wird.
Diese Träume lösen bei seinen Brüdern Neid und Hass aus, da sie befürchten, dass Joseph über sie herrschen will. Auch bei seinem Vater Jakob sorgen die Träume für Unbehagen, obwohl er sie ernst nimmt.
Das Kapitel endet mit der Entscheidung der Brüder, Joseph zu verkaufen, nachdem sie ihn als Bedrohung ansehen. Joseph wird von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft, was den Beginn einer neuen Phase in seinem Leben markiert.
Einleitung und Hintergrund der Geschichte
Jakob wohnte im Land, in dem sein Vater ein Fremdling gewesen war, im Land Kanaan. Dies ist die Geschichte von Jakobs Geschlecht.
Es ist interessant zu bemerken, dass es sich hier nicht um die Geschichte von Joseph handelt. Vielmehr geht es in den Erzählungen über Joseph um die Nachkommen Jakobs. Wie entwickelt sich also die Geschichte von Jakobs Geschlecht weiter?
Joseph war siebzehn Jahre alt und hütete mit seinen Brüdern die Schafe. Er war ein Hilfsknecht bei den Söhnen Bilhas und Silpas, der Frauen seines Vaters. Wenn etwas Schlechtes über sie geredet wurde, brachte Joseph es seinem Vater zur Kenntnis.
Israel aber hatte Joseph lieber als alle seine anderen Söhne, weil er der Sohn seines Alters war. Er machte ihm einen bunten Rock. Als nun seine Brüder sahen, dass ihr Vater Joseph lieber hatte als alle anderen, wurden sie ihm feindlich gesinnt und konnten ihm kein freundliches Wort sagen.
Josephs Träume und die Feindschaft der Brüder
Dazu hatte Josef einmal einen Traum und erzählte ihn seinen Brüdern. Daraufhin wurden sie ihm noch feindlicher gesinnt. Denn er sprach zu ihnen: „Hört doch, was ich geträumt habe! Siehe, wir banden Garben auf dem Feld, und meine Garbe richtete sich auf und stand. Eure Garben aber stellten sich ringsumher und neigten sich vor meiner Garbe.“
Da sprachen seine Brüder zu ihm: „Willst du unser König werden und über uns herrschen?“ Deshalb wurden sie ihm noch mehr feindlich gesinnt, um seines Traumes und seiner Worte willen.
Josef hatte noch einen zweiten Traum, den erzählte er seinen Brüdern. Er sprach: „Ich habe noch einen Traum gehabt. Siehe, die Sonne, der Mond und elf Sterne neigten sich vor mir.“
Als er das seinem Vater und seinen Brüdern erzählte, schalt ihn sein Vater und sprach zu ihm: „Was ist das für ein Traum, den du geträumt hast? Soll ich und deine Mutter und deine Brüder kommen und vor dir niederfallen?“ Seine Brüder wurden neidisch auf ihn.
Das ist ein Schlüsselwort in der Geschichte. Bei solchen Erzählungen muss man besonders auf die Schlüsselworte achten. Hier heißt es, dass sie neidisch auf ihn wurden. Doch sein Vater behielt diese Worte im Herzen.
Joseph wird zu seinen Brüdern geschickt
Als nun seine Brüder hingegangen waren, um das Vieh ihres Vaters in Sichem zu weiden, sprach Israel zu Joseph: „Hüten nicht deine Brüder das Vieh in Sichem? Komm, ich will dich zu ihnen senden.“
Joseph antwortete: „Hier bin ich!“
Israel sagte: „Geh hin und sieh nach, ob es deinen Brüdern und dem Vieh gut geht, und berichte mir dann, wie es sich verhält.“
So sandte er ihn aus dem Tal von Hebron, und Joseph kam nach Sichem.
Dort traf ihn ein Mann, der ihn fragte: „Wen suchst du?“
Joseph antwortete: „Ich suche meine Brüder. Kannst du mir sagen, wo sie das Vieh hüten?“
Der Mann sagte: „Sie sind von hier weggezogen, denn ich hörte, dass sie sagten: ‚Lasst uns nach Dothan gehen.‘“
Daraufhin zog Joseph seinen Brüdern nach und fand sie in Dothan.
Dothan ist ein Tal, das heute nicht mehr besucht werden kann, da es auf der Westbank liegt.
Der Anschlag der Brüder und Rubens Eingreifen
Als sie ihn nun von ferne sahen, ehe er nahe zu ihnen kam, machten sie einen Anschlag. Sie töteten ihn jedoch nicht sofort, sondern sprachen untereinander: „Seht, der Träumer kommt daher. Lasst uns ihn töten und in eine Grube werfen. Dann können wir sagen, ein böses Tier habe ihn gefressen. So wird man sehen, was seine Träume wert sind.“
Als Ruben das hörte, wollte er Josef aus ihren Händen erretten. Er sagte: „Lasst uns ihn nicht töten!“ Weiter sprach Ruben zu ihnen: „Vergesst das Blut nicht, sondern werft ihn in die Grube hier in der Wüste und legt die Hand nicht an ihn!“ Er wollte Josef aus ihrer Hand retten und ihn seinem Vater wiederbringen.
Als Josef nun zu seinen Brüdern kam, zogen sie ihm seinen Rock aus, den bunten Rock, den er anhatte. Dann nahmen sie ihn und warfen ihn in die Grube. Die Grube war jedoch leer und enthielt kein Wasser. Danach setzten sie sich nieder, um zu essen.
Verkauf an die Ismailiter und Täuschung des Vaters
Indessen hoben sie ihre Augen auf und sahen eine Karawane von Ismailitern kommen, aus Gilead, mit ihren Kamelen. Diese trugen kostbares Harz, Balsam und Myrrhe und zogen hinab nach Ägypten.
Da sprach Juda zu seinen Brüdern: „Was hilft es uns, wenn wir unseren Bruder töten und sein Blut verbergen? Kommt, lasst uns ihn den Ismailitern verkaufen, damit sich unsere Hände nicht an ihm vergreifen, denn er ist unser Bruder, unser Fleisch und Blut.“ Und sie gehorchten ihm.
Als aber die midianitischen Kaufleute vorüberkamen, zogen sie Josef heraus aus der Grube und verkauften ihn um zwanzig Silberstücke an die Ismailiter, die ihn nach Ägypten brachten.
Als nun Ruben wieder zur Grube kam und Josef nicht darin fand, zerriss er sein Kleid und kam zurück zu seinen Brüdern. Er sprach: „Der Knabe ist nicht da, wo soll ich hin?“
Da nahmen sie Josefs Rock, schlachteten einen Ziegenbock und tauchten den Rock ins Blut. Sie schickten den bunten Rock hin und ließen ihn ihrem Vater bringen mit der Botschaft: „Diesen haben wir gefunden. Ob es deines Sohnes Rock sei oder nicht.“
Jakob erkannte ihn aber und sprach: „Es ist meines Sohnes Rock. Ein böses Tier hat ihn gefressen, ein reißendes Tier hat Josef zerrissen.“
Da zerriss Jakob seine Kleider, legte ein hehrendes Tuch um seine Lenden und trug lange Zeit Leid um seinen Sohn. Alle seine Söhne und Töchter kamen zu ihm, um ihn zu trösten, aber er wollte sich nicht trösten lassen.
Er sprach: „Ich werde mit Leid hinunterfahren zu den Toten, zu meinem Sohn.“ Und sein Vater weinte um ihn.
Praktische Lebensweisheiten aus der Geschichte
Die Bibel ist ein ganz besonderes Lebensbuch. Aus jeder Geschichte können wir viele praktische Ratschläge ableiten.
Ich weiß nicht, wie tief Sie in die Geschichte von Josef eingetaucht sind. Wir könnten jetzt darüber sprechen und sagen: Es ist nicht gut, wenn Eltern Lieblingskinder haben, so wie Jakob. Übrigens war das Problem schon da, als Jakob jung war. Denn Isaak und Rebekka hatten ebenfalls Lieblingskinder. Rebekka bevorzugte Jakob, Isaak hingegen seinen Sohn Esau.
Doch darum geht es in der Geschichte wohl nicht. Trotzdem können wir die Geschichte Schritt für Schritt durchgehen und viele praktische Dinge entdecken.
Vielleicht unterhalten wir uns jetzt im Hauskreis darüber, ob es richtig ist, schlecht über die Brüder zu sprechen, oder ob man das besser unter den Teppich kehren und dem Vater sagen sollte: „Ich habe nichts gehört.“ Die Feindschaft unter Geschwistern ist nicht schön. Besonders schlimm ist es, wenn Brüder sich so schlecht behandeln, dass sie ihren Bruder loswerden wollen.
Die Urangst einer Mutter ist: „Meine Kinder werden es doch nicht so weit treiben, dass sie sich so sehr streiten und so viel Krach miteinander haben.“ Das Leid in der Familie ist groß.
Diese Geschichte ist also eine Quelle von Lebenserfahrung und Lebensweisheit. Sie gibt Ratschläge, wie man Kinder geschickt erzieht. Aber warum steht eigentlich so eine Geschichte in der Bibel?
Die Schrift als Zeugnis auf Christus
Jetzt müssen Sie an ein Wort denken, das Jesus gesagt hat. Wenn Jesus von der Schrift sprach, meinte er das Alte Testament. Er sagte, die Schrift zeuge von ihm.
Sie kommen in der Bibel wirklich nur im Alten Testament weiter, wenn Sie erkennen, dass es über das allgemeine Verständnis hinausgeht. So wie ich sonst ein Geschichtsbuch lese und mir manche Tipps aus Welterfahrungen oder aus der bunten Allerlei-Zeitung hole, ist das Wort Gottes etwas anderes. Es ist eine Offenbarung Gottes, ein Zeugnis, das auf Christus hinweist.
Dabei dürfen wir nichts verklemmen. Das ist wichtig. Verändern wir etwas oder bleibt es das wahre Zeugnis der Schrift?
Zunächst sollte man festhalten: In allem, was die Bibel erzählt, will sie berichten, wie die Segensgeschichte Abrahams weiterläuft. Es ist keine Geschichte von irgendwelchen Personen, sondern die Geschichte von Abraham, Isaak und Jakob.
Diese standen unter der Verheißung Gottes. Sie wurden aus der Welt herausgegriffen. Es sind Leute, die nicht den Weg der Welt gehen, nicht den Weg des Heidentums, das sie umgibt.
Das Volk Gottes und die Dramatik im Glaubensleben
Das Urbild der Gemeinde ist Abraham, Isaak und Jakob, die erste alttestamentliche Gemeinde. Diese wird später erweitert durch die Kinder Israels, die aus Ägypten ausgezogen sind. Sie bilden die Gemeinde des alten Bundes, damals noch ganz komprimiert in einer zwölfköpfigen Familie.
Jetzt wird es interessant: Das ist keine Weltgeschichte, sondern die Geschichte vom Volk Gottes. So ergeht es dem Volk Gottes – das wussten sie nur nicht. So geht es auch in der Kirche zu, so geht es unter den Frommen zu. Die Geschichte erhält dadurch eine besondere Dramatik. Es ist doch bemerkenswert, dass nichts verdrängt wird, und genau das ist in der Bibel gemeint.
Jakob war es sehr wichtig, den Segen seines Vaters Isaak zu bekommen. Er hat alles unternommen, um diesen Segen zu erlangen. Wir wissen, wie es war, als ihm Gott selbst begegnet ist, als sie am Jabokfluss gerungen haben: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Wie geht dieser Segen weiter auf die Kinder?
Zunächst muss man einfach festhalten: Gott kann sehr verschieden mit Menschen sein. Warum war Josef ein ganz besonders Auserwählter? Ich weiß es nicht. Warum hat Gott David aus der Familie Isais besonders herausgegriffen? Ich weiß es nicht. Das ist wichtig: Wir können nichts unterschieben oder sagen, er war vielleicht bevorzugt. Vielleicht gab es etwas bei David, wie Gott ihn erwähnte, vielleicht gab es etwas bei Josef. Ganz klar gab es bei Josef etwas. Josef war anders als seine Brüder. Hat Gott das Herz seiner Brüder geändert?
Zum Beispiel sehen wir das im nachfolgenden Kapitel. Wir sind dann immer so fair und überschlagen das bei der Bibellese. Denn schon im Vers 5 kommt die Geschichte von Onan, von Juda und von Vergewaltigung, Mord und vielem mehr. Dann wird ein Kind geboren. Dieses Kind steht im Stammbaum Jesu. Gott schreibt seine Heilsgeschichte mit unheiligen Menschen. Das ist eine dramatische Sache der Bibel.
Das Kapitel 38 ist heute nicht dran, das überspringen wir auch. Solche Themen breiten wir oft nicht breit aus. Aber es ist eine ganz wichtige Sache, dass Gott trotz der massiven Sünde etwas tut. Juda, einer der Brüder, war eben anders als Josef. Von Josef kennen wir solche Geschichten nicht wie von Juda. Das ist etwas ganz Besonderes: Josef war ein Mann nach dem Herzen Gottes, ein Auserwählter und ein Mann, den der Herr bestimmt hat, um etwas ganz Besonderes zu tun.
Auch Elija war einer. Manche hat Gott schon im Mutterleib bestimmt, wie Simson. Manche waren ihrer Berufung untreu, wenn wir an die Richterzeit denken. Aber es ist ganz wichtig zu erkennen, dass Gott eine Heilsgeschichte hat.
Die Berufung und das Leiden als Vorbereitung
Im Neuen Bund ist es wichtig zu erkennen, dass Gott uns eine Berufung gegeben hat, die in Jesus Christus deutlich wurde. Jetzt liegt es an uns, diese Berufung zu ergreifen.
Joseph ist ein Beispiel dafür: Der Herr wollte, dass er den Segen Jakobs, Abrahams und Isaaks weitergibt. Joseph ist der Träger dieses Segens, ein ganz besonderer aus der Familie. Im Neuen Bund hingegen sind alle Gläubigen Teilhaber des Segens – das ist ein entscheidender Unterschied. Im Alten Bund war es meist nur eine Person, und später wurde der Segen auf die Gemeinde ausgeweitet. Doch Joseph hatte eine ganz besondere Stellung.
Wichtig ist auch, dass Gott seine Leute im Leiden zubereitet. Joseph ist genau so ein Beispiel: Er wurde im Leiden vorbereitet. Es ist kaum zu fassen, was Joseph alles ertragen musste. Keiner seiner Brüder hat so viel durchgemacht. In diesem Leiden ist er gereift. Wenn man die Jahre zählt, die er im Gefängnis verbrachte, und die Behandlung durch seine Brüder bedenkt, erkennt man, wie außergewöhnlich sein Weg war.
Trotz allem hat er sich nicht versündigt. Deshalb steht Joseph für uns als ein großartiges Beispiel. Er ist ein wunderbarer Mensch, geschaffen nach dem Ebenbild Gottes, ein herrlicher Typus. Er zeigt uns, wie Gott seine Leute erzieht. Das möchte ich heute Abend als praktischen Punkt mitgeben: Gott erzieht diejenigen, die er besonders liebt und mit denen er viel vorhat, durch Leiden – nicht durch Wunder.
Am Ende des Leidens steht eine Herrlichkeit und ein Dienst, der vielen Menschen zugutekommt. Joseph öffnet sich in die Weide, das heißt, er wird zum Segen für viele. Wenn das bei Gott Methode hat, wie wir am Sonntag ausleiten werden, dann gilt das besonders für das Leiden des Gottesknechtes Jesus. Auch er wurde vom himmlischen Vater im Leiden zubereitet und musste den tiefen Leidensweg gehen.
Das, was wir heute Abend sehen, ist ein Modell des Leidenswegs Jesu, das sich am Josef vorabbildet. Gleichzeitig ist es für alle Gläubigen ein Hinweis darauf, dass Gott seine Leute im Leiden zubereitet und Großes aus ihnen macht. Gott muss zuerst an uns arbeiten. Wer sich diesem Prozess nicht aussetzt, kann von Gott nicht richtig gebraucht werden.
Die Methode der Berufung und der Zurüstung erfolgt im Leiden, doch der Weg führt ins Licht. Joseph ist ein großer Heiliger geworden. Wir werden noch darauf eingehen, aber es war ein langer Weg.
Josephs Charakter und das Verhältnis zu seinen Brüdern
Jetzt müssen wir noch ein paar Dinge klären, weil es in dem Vers vielleicht zu Missverständnissen kommen kann. Wenn wir Josef als einen Mann nach dem Herzen Gottes herausstellen, könnte man denken, dass es ein negativer Charakterzug von ihm ist, dass er seine Geschwister bei seinem Vater verpetzt. Das macht man doch nicht. Ich weiß nicht, ob das die richtige Sichtweise ist.
Ist Josef nicht vielmehr jemand, der leidet, wenn ihm Unrecht geschieht? Zum Beispiel in Kapitel 38, wo sein Bruder eine Frau vergewaltigt – soll Josef da den Mund halten? Oder ist er nicht eher wie Mose, der für das sündige Volk auf die Knie geht und sagt: „Herr, lass die Sünde nicht auf ihnen liegen!“?
Es kommt darauf an, wie man die Sache betrachtet. Vielleicht lesen wir zu schnell etwas Negatives hinein, um uns selbst besser darzustellen. Jedenfalls zeigt Kapitel 2, dass Josef, ähnlich wie Jesus, unter der Sünde des Volkes gelitten hat. So wie Jesus mit seinem Vater darüber sprach, sprach auch Josef mit Jakob darüber.
Ich kann mir auch vorstellen, dass die Liebe des Vaters zu Josef keine bloße Bevorzugung war. Vielleicht hatte Jakob im Alter eine andere Sichtweise als als junger Mensch. Im Alter sieht man manches anders. Er liebte Josef besonders wegen der Eigenschaften, die ihm selbst immer viel Kummer bereitet hatten.
Es ist interessant, dass unsere Gefühle im Alter oft von unseren eigenen Charakterschwächen bestimmt werden. Jakob hat wohl erkannt, dass in Josef ein anderer Geist ruht. So jemanden hätte er als junger Mensch gern selbst sein wollen. Deshalb liebte er ihn.
Was die Bevorzugung betrifft: Dass Jakob nur Josef den besonderen bunten Rock schenkte und die anderen leer ausgingen, steht ja im Text. Auch die Träume, die Josef hatte, sind erwähnt. Aber das kann ich vielleicht an einem eigenen Punkt erklären.
Ich möchte meine Gedanken immer ein wenig untergliedern, auch zur Selbstzucht, damit ich klarer formulieren und Unterschiede deutlicher machen kann.
Der Riss im Volk Gottes
Ein Riss geht durch Gottes Volk. Wenn wir dabei bleiben, sehen wir, dass die zwölf Söhne Jakobs das Urbild der alttestamentlichen Gemeinde sind. Wie geht es in diesem Volk zu? Neid, Eifersucht und Hass herrschen vor – bis zu dem Punkt, dass man den anderen aus dem Weg räumen will.
Es ist interessant, dass Bibelausleger aller Jahrhunderte an der Josefs-Geschichte immer wieder denselben Punkt herausgearbeitet haben. Sie haben gesagt, dies sei der uralte Gegensatz. Auch bei Luther finden wir diese Auffassung. Ein Beispiel ist Stephanus, der gesteinigt wurde. In der Rede, die zu seiner Hinrichtung führte, erzählte er hauptsächlich die Josefs-Geschichte. Er sagte: Merkt ihr nicht, dass euer Verhalten nichts anderes ist? Stephanus sprach von Neid und erklärte, dass ihr Jesus, den Vollendeten, nicht vertraut habt. Ihr habt ihn nicht angenommen und wolltet ihn aus eurer Mitte entfernen, weil er anders war als ihr. Er war doch Sohn des Vaters. Der Hass gegen Jesus ist der gleiche Hass, den Joseph von seinen Brüdern erfahren hat, so argumentierte Stephanus. Daraufhin hielten sich die Zuhörer die Ohren zu und stießen ihn hinaus. Sie waren neidisch.
Man muss das verstehen: Es gibt einen Gegensatz, und den werden Sie entdecken. Wenn ein Mensch mit Jesus lebt, regt sich nicht die Welt auf, sondern die Frommen regen sich auf. Der Hass gegen Jesus lebt in der Gemeinde, genauso wie der Hass gegen Joseph. Die Ausleger sagen, dass dies der geistliche Mensch ist, der vom Willen Gottes bestimmt wird. Die Brüder hingegen, die fleißig nach ihrer natürlichen Art denken, regen sich an Joseph auf und stoßen sich an ihm. Sie können das nur als Hochmut deuten. Meinst du, du wärst etwas Besseres? Es beginnt mit seinem Gewand, das er trägt, und mit seinen Träumen. Sie können es nicht anders verstehen, als dass sie sagen: Der bildet sich etwas ein. Dabei redet Joseph nur von den Aufgaben, die Gott ihm offenbart hat.
Schauen Sie, wie es schon im Alten Bund war: Mose wurde von seinen Brüdern gehasst. Warum? Warum wurde Isaak von Ismael gehänselt? Warum wurde David von Saul verfolgt? Saul verdankte seinen Thron eigentlich David, denn David hatte Goliath besiegt. Doch Saul brauchte nicht lange, um seinen Konkurrenten beseitigen zu wollen. Er merkte, dass in dem jungen David ein anderer Geist lebte.
Sie müssen wissen, dass das Volk Gottes – und das haben die Ausleger durch alle Jahrhunderte gezeigt – meist nicht von der Welt Widerstand gegen das Evangelium erfährt, sondern von den eigenen Glaubensbrüdern. Diese verschließen sich dem Geist Gottes, der Leben verändert. Das ist ein harter Vorwurf.
Die Josefs-Geschichte findet ihren Höhepunkt im Hass gegen Jesus. Wenn das typisch ist für Gottes Handeln, dann ist Jesus, der in die Welt kommt, das Ziel dieses Hasses. Sie konnten es nicht ertragen, als Jesus sagte: „Ich und der Vater sind eins.“ Sie empörten sich und beschuldigten ihn der Gotteslästerung. Sie wollten seine Rede nicht mehr hören. Die Feindschaft ging so weit, dass sie ihn nicht nur in eine Grube stießen, sondern ihn ans Kreuz nagelten. Sie zogen ihm die Kleider aus und bezahlten ihn mit Silberlingen.
Das ist nicht verkrampft gesehen, sondern es ist fast schon im Alten Bund vorgezeichnet. Wenn Gott immer wieder so handelt, dann ist das etwas, das man erkennen kann. Wir werden nicht alles wie Jesus erleben, aber wir können modellhaft sehen, was uns hier bei Joseph geschildert wird.
Ein weiteres Beispiel ist Elia, der den Hass der Baalspriester und die Feindschaft im Volk Gottes zu spüren bekam. Es bleibt ein Rätsel, warum sich das Volk Israel so heftig gegen ihren Sohn Jesus von Nazareth wehrte. Und wie vehement! Denn es gibt eine Feindschaft, wenn man zum Volk Gottes gehört und merkt: Wenn das wahr ist, was Jesus sagt, dann ist alles anders. Da entzündet sich Feindschaft und Spannung. Ein Riss geht durch das Volk Gottes, den man nie beseitigen kann.
Diesen Riss werden Sie immer wieder spüren. Andere sagen, die wollen besser sein, oder: Der meint, er sei mehr als wir. Vielleicht ist es auch Neid, weil jemand etwas hat, das man selbst nicht hat. Man gehört zwar zur Gemeinde Gottes, hat aber nicht die Segensspur, die Joseph hat. Sie kommen nicht und fragen: Wie können wir an deinem Segen teilhaben? Trotzdem geht Gott mit Joseph seinen Weg.
Das ist hochinteressant: Was Gott sich vorgenommen hat und was er erreichen will, das muss schließlich zu seinem Zweck und Ziel kommen. Gott geht ganz klar seinen Weg. Menschenterror, Menschenneid und die Machenschaften der Frommen können das Werk Gottes nicht umstürzen.
Es war zu allen Zeiten so, dass die Nachfolgegemeinde Jesu immer nur ein kleines Häuflein war. In der Reformzeit erstaunt es immer wieder, wie das Evangelium trotz wirrer Zeiten, kaiserlicher Macht und Reichstagen weiterging. Auch in der Aufklärung, als alles verdeckt war, blieben Spannung, Hass und Spott bestehen. Trotzdem geht Joseph seinen Weg.
Vor allem ist es eine Jesusgeschichte, die natürlich Auswirkungen bis zu uns hat.
Parallelen zwischen Joseph und Jesus
Auch interessant ist, wenn man an diese Dinge denkt: Es handelt sich hier nicht um eine allegorische Ausdeutung, sondern um viele Einzelheiten, die sichtbar werden. Joseph hat ein besonderes Verhältnis zu seinem Vater, und Ähnliches finden wir auch bei Jesus.
Das mit dem Kleid muss man nicht unbedingt auslegen, indem man sagt, es sei ein Bild der Gerechtigkeit oder Ähnliches. Wichtig ist mir der Riss, der zwischen den Brüdern und Josef tobt. Darüber müssen wir später noch sprechen. Es sind zwei Welten, die unvereinbar sind.
Die Brüder gehören zum Volk Gottes, aber sie verstehen nichts vom Handeln Gottes. Josef wird vom Vater auf die Weide in Sichem geschickt. Er packt seinen Rucksack und geht fröhlich hinaus, ohne zu ahnen, was ihm dort begegnet. Er ist arglos. Er freut sich darauf, wie sich die anderen freuen werden, wenn er den Rucksack auspackt.
Er ist im Feuereifer eines Siebzehnjährigen. Immer wieder wird bei Ruben das Wort „Knabe“ verwendet, auch im revidierten Text. Das ist ein altes Missverständnis. Das Wort „Knabe“ im Hebräischen kann bis zu dreißig Jahre umfassen. Wir wissen, dass Josef siebzehn war, also ein Halbstarker, man könnte sagen ein Teenager. Das passt zum Begriff „Knabe“.
Wissen Sie, warum das so wichtig ist? Weil in der Geschichte, als beim Elisa die Bären kamen und die Knaben lästerten, das natürlich keine Kindergartenkinder waren, die da schrieen, sondern eher Raufbolde. Es waren autonome Typen, die gerade die Schiene abmontierten, vergleichbar mit solchen Kumpeln in Niedersachsen. Sie haben Elisa ausgelacht, riefen „Glatzkopf, komm heraus!“ und wollten nicht, dass in Bethel, diesem schrecklichen Heiligtum, das Wort Gottes verkündet wird.
Man muss immer aufpassen mit dem Bibelwort „Knabe“, denn es ist oft missverständlich. Josef freut sich sehr, bis er endlich seine Brüder trifft. Er kommt auf sie zu, doch er begegnet nur Hass. Und es ist nicht nur menschlicher Hass, sondern Hass im Volk Gottes.
Der Hass im Volk Gottes und seine Folgen
Ich muss Ihnen etwas sehr Hartes sagen: Der Hass im Volk Gottes ist so groß, dass man es kaum verstehen kann. Sonst könnte man nicht begreifen, wie viele schreckliche Untaten im Namen des Christentums und der Kirche an vermeintlichen Ketzern verübt wurden. Man kann es kaum in Worte fassen.
Die schreckliche Blutgeschichte allein der Mennoniten, die die Kindertaufe ablehnten, ist kaum vorstellbar. Sie haben doch etwas Richtiges erkannt, oder? Auch bei den Waldensern oder den Hussiten war es ähnlich. Was wollten sie? Sie wollten Jesus nachfolgen, nichts weiter.
Der Hass ist nicht nur irrational, er ist satanisch. Er kommt von Menschen, die zum Volk Gottes gehören, zur Gemeinde, aber dennoch den Segen Gottes nicht verstehen. Dieser Hass richtet sich gegen den, der den Segen Gottes verkörpert. Können Sie verstehen, warum der Hass auf Jesus so groß ist?
Ich habe in meinem Leben schon so oft, auch in christlichen Gruppen und Kreisen, Hohn und Spott erlebt. Es ist unheimlich, was man da hört. Nicht nur entgleiste Witze über den Heiligen Geist, sondern auch Verhöhnungen und Spott über das, was von Jesus und seiner Gemeinde ist.
Ich möchte jetzt gar nicht von Lüdemann oder anderen Leuten sprechen. Solche Erfahrungen kann man oft ganz schnell machen. Josef kann nur seinen Weg gehen, so wie Jesus in der Synagoge war und Paulus in der Synagoge Zeugnis ablegte. Dann brach es los.
Immer wenn es um die Christusfrage geht, kommt es zu Unruhe. Wenn es an anderen Punkten Streit gibt, müssen wir uns fragen, was los ist. Aber an einem Punkt kann man nie vorbeigehen: Es gibt Unruhe um Jesus. Diese Unruhe erregt den ganzen Weltkreis. Auch bei den Aposteln war das so.
Der Schrei kam aus der Synagoge, aus dem Volk Gottes, das die ganzen Verheißungen des Alten Bundes kannte. Das muss uns heute Abend nicht dazu verleiten zu sagen: „Aha, dann sind wir die Verfolgten.“ Wir sind ja gar nicht automatisch die Verfolgten. Aber es sollte uns stutzig machen.
Sind wir geistliche Menschen? Sind wir Menschen, in denen Jesus einen Weg geht? Sind wir Leute, die von seinem Geist erfüllt sind? Leben wir wirklich wie Josef? Oder wollen wir nur fleischlich etwas für Gott tun?
Das Besondere bei Josef ist, dass er eigentlich gar nichts tut. Er ist offen für Gott, lässt sich treiben und ist ein Werkzeug Gottes. Der Hass richtet sich gegen ihn, weil er so anders ist.
Ich weiß nicht, ob wir das so auf uns beziehen können. Bei Jesus sehen wir ganz deutlich, wie der Hass ihn traf. Und dann wollten sie ihn beseitigen. Sofort stand fest, dass sie ihn töten wollten.
Das kommt uns heute sehr hart vor. Natürlich ist das auch ein prophetischer Hinweis auf die Geschichte Jesu. Es geschieht sehr früh, und Jesus hat seine Jünger darauf hingewiesen: Er muss durch diese völlige Ablehnungsfront hindurchgehen.
Die Rollen von Ruben und Judah im Geschehen
Jetzt sind zwei Personen genannt, und es handelt sich wieder um zwei typische Handlungen. Ruben, ein netter Kerl, der Erstgeborene, hat noch immer das Pflichtbewusstsein, das Erstgeborene oft haben. Diese Kinder mussten früher die Geschwister betreuen, Kinderwagen schieben und Windeln wickeln. Sie wissen, was Verantwortung bedeutet. Ruben hat ein schönes Verantwortungsbewusstsein und versucht, mit einem Trick Josef zu retten.
In einer Auslegung, die ich gelesen habe, stand schön geschrieben: Man kann die Sache Jesu nicht mit falschen Mitteln retten. Es ist das Bekenntnis zu ihm gefragt und nicht, dass man mit Tricks versucht, die Sache Jesu irgendwie auszubügeln. Ruben will mit einem Trick die Feindschaft seiner Brüder überwinden. Er hat einen tollen Plan: Er sagt, man solle Josef doch in die Grube werfen. Später, wenn die Brüder weg sind und es Nacht ist, könne er ein Seil hinunterwerfen, um ihn herauszuholen. So wolle er Josef zeigen: „Das nächste Mal bist du nicht mehr so hochmütig und hast die Sache geritzt.“
Doch so einfach ist es nicht. Die Sache ist komplizierter. Viele haben schon gemeint, sie könnten sich vor einer Entscheidung drücken. Dass Josef nackt in die Grube geworfen wurde, ist schon ein Zeichen für die ganze menschliche Armseligkeit – dieses stinkende Loch. Ruben ist erschrocken, als er zurückkommt und merkt, dass Josef nicht mehr da ist. Seine tolle Idee ist gescheitert.
Jetzt kommt Juda ins Spiel, und das ist eine andere Sache. Juda ist, so sagt ein Ausleger, ein Typ, der versucht, mit juristisch geschickten Überlegungen die schlimme Situation zu meistern. Aber auch er versäumt das, was eigentlich nötig wäre: das Richtige zu tun. Das Bekenntnis zu Josef wäre so einfach gewesen. Wie viel einfacher wäre das Bekenntnis zu Jesus gewesen!
Es dauert lange in der ganzen Josefsgeschichte, bis der Punkt erreicht ist, an dem sie sagen: „Das haben wir unserem Bruder angetan.“ Sie sehen ihre Schuld, erkennen, dass sie die Situation in Gang gesetzt haben. Zuvor haben sie nichts gesehen, waren nur die Folge; sie sagten: „Ich habe mir nichts vorzuwerfen, ich bin ein frecher Kerl.“ Schuld zu sehen und zu erkennen ist sehr schwierig.
Juda versucht es und sagt: „Kommt, lasst uns ihn den Ismailitern verkaufen.“ Das sind arabische Stämme, die auf Ismail, den Sohn Abrahams, zurückgehen. Er schlägt vor, Josef zu verkaufen, damit sich ihre Hände nicht an ihm vergreifen, denn er ist ihr Bruder. Jetzt kommt er mit einer sentimentalen Begründung und der Familienblutsverbindung. Er sagt also: „Bitte, unser Fleisch und Blut – wir töten ihn nicht.“ Man würde doch seinen eigenen Bruder nicht töten, sonst wäre es nicht so schlimm.
Sehen Sie, mit irgendwelchen Haarspaltereien versucht Juda, die Sache zu lösen, doch auch das geht schief. Er weiß gar nicht, was er tut, indem er den Bruder für zwanzig Silberlinge verkauft. Es ist immer auch etwas Makabres daran, was aus diesen Silberlingen geworden ist. Hatte Juda in seinem Leben jemals Freude an diesem Geld? Josef sagt später, dass das Geld in die Säcke gelegt wurde.
Man soll bei Geschichten nicht mehr hinzufügen, als da steht. Es wird deutlich, wie Gott handelt und wie er zu seinem Ziel kommt. Es zeigt sich, wie in dieser Welt – auch in seinem Gottesvolk – ein Hass gegen die Heilsgeschichte Gottes lebt. Wie unverständlich wir oft sind für das, was Gott tut. Vielleicht gehen wir heute auch oft an dem vorbei, was Gott uns gerade schenken will.
Dann machen sie noch diese schreckliche Sache: Sie nehmen den bunten Rock, den Josef getragen hat. Josef wird nackt als Sklave mitgeführt, um ihn zu entrechten, zu schmähen und zu schänden. Den Rock färben sie mit Blut und bringen ihn dem Vater. Der Vater kann nur seinen Sohn beweinen. Am Ende bleibt das als eine Not, die nicht aufzulösen ist.
Ausblick auf die weitere Geschichte und Bedeutung
Hier wollen wir heute abbrechen. Die Josefsgeschichte geht weiter in Kapitel 39. Dort erfahren wir, wie Josef zu Potifar kommt und wie er dort verkauft wird. Es ist eine ganz herrliche Geschichte. Trotzdem setzt das Leiden noch einmal viel, viel tiefer ein.
Es ist jedoch ganz wunderbar, dass das Leiden des Josef in Herrlichkeit endet. Josef wird zum Retter. Der Verachtete wird zum Eckstein. Später ist er derjenige, der allen das Brot verschafft. Alle können nur leben wegen dem einen, der für sie da war. Den, den alle gehasst haben, erkennen wir als den Erlöser und Retter.
Behalten Sie das einfach noch einmal: Alle Brüder gehören zum verheißenen Volk, alle Brüder gehören zum Segensvolk. Doch alle begreifen nicht, wo der Segen Gottes liegt, weil sie blind sind. Sie stoßen sich an etwas, das ihnen zum Heil wird.
Es ist etwas Wunderbares, wenn man die Josefsgeschichte noch einmal liest. Auch das andere ist nicht falsch: Wenn Sie manche praktischen Ratschläge für die Erziehung herauslesen oder sonst noch ein paar gute Entdeckungen machen, ist das immer auch schön.
Aber das Wunderbare ist, dass sie von mir zeugt. Die ganze Schrift im Alten Bund ist voller Spuren zum Kreuz Jesu, von den ersten Blättern der Bibel an. Auch hier bei Josef werden wir das noch mehrfach immer wieder entdecken.