Herzlich willkommen zum Podcast der EFH Stuttgart mit Jörg Lackmann und Thomas Powileit. Unser Podcast möchte zum praktischen Christsein herausfordern und zugleich zum theologischen Denken anregen.
Im letzten Podcast haben wir einen Blick in den Rückspiegel der Geschichte geworfen und uns mit der Zeit der frühen Christen beschäftigt. Dabei haben wir einiges entdeckt, was wir von ihnen lernen können. Zum Beispiel waren ihnen die Glaubensfundamente, die aus dem Wort Gottes stammen, sehr wichtig.
Sie lebten in einer Gemeinschaft, in der ihre gegenseitige Liebe auch ihr nichtchristliches Umfeld stark beeindruckte. Außerdem nahmen sie Buße – also die Umkehr zu Gott und die Abkehr von ihrem alten Leben – sehr ernst.
Heute wollen wir uns weiter mit dem Leben der frühen Christen beschäftigen und steigen deshalb gleich ins Thema ein.
Thomas, wenn man etwas über frühe Christen liest, stößt man relativ schnell auf den Begriff Apologetik, also die Verteidigung des Glaubens. Das scheint in den ersten Jahrhunderten ein großes Thema gewesen zu sein, oder?
Ja, das war es tatsächlich. Apologetik war ein großes Thema – schon deshalb, weil es sehr viele Irrlehren gab, denen man entgegentreten musste. Zum Beispiel gab es Markion, der seinen eigenen Bibelkanon aufgemacht hat und den Gott des Alten Testaments klar vom Gott des Neuen Testaments getrennt hat. Heute wäre Markion so der typische bibelkritische Professor.
Dann gab es Arius, der lehrte, dass Jesus nicht Gott ist. Sein berühmter Satz über Jesus lautet: „Es gab eine Zeit, in der es ihn nicht gab.“ Arius wäre heute der Vorläufer der Zeugen Jehovas. Außerdem gab es Montanus, dem es um neue Offenbarungen ging – er war der Charismatiker der damaligen Zeit. Also hat es all das schon irgendwie gegeben.
Es gab also genug Möglichkeiten, den Glauben an Jesus zu verteidigen, wenn man das mal so positiv sieht. Allein gegen Markion hat Herr Tullian fünf Bücher geschrieben. Da merkt man, der Angriff auf den Glauben war keine Randerscheinung.
Ja, Markion und die anderen waren schon eine Bedrohung, so haben sie es wahrgenommen. Auch die Glaubensbekenntnisse, von denen wir das letzte Mal gesprochen haben, machen deutlich, dass sie ihren Glauben irgendwie formulieren mussten.
Aber Apologetik richtete sich nicht nur auf die Verteidigung des Glaubens. Es ging ihnen auch darum, ihr nichtchristliches Umfeld zu gewinnen. Dabei gab es, wie auch heute, Missverständnisse. Die Gesellschaft hatte viele Missverständnisse über die Christen. Deshalb waren Christen tatsächlich bemüht, den Glauben so zu erklären, dass Nichtchristen ihn verstanden und Missverständnisse, wo es ging, aus dem Weg geräumt wurden.
Ich glaube, da können wir echt von den Apologeten lernen. Es gab einige Leute, die nannte man sogar Apologeten, weil sie das als ihre Hauptaufgabe angesehen haben.
Denn auch heute treffen wir auf viele Zeitgenossen, die gar keine Ahnung haben, was in der Bibel steht. Viele haben eine Bibel noch nie in der Hand gehabt. Sie wissen nicht, wie sie als Christen leben sollen, erst recht nicht, wie sie Gott kennen können.
Die Denkarbeit der Apologeten hat es auch den Christen selbst einfacher gemacht, mit den Vorbehalten der Nichtchristen umzugehen. Es gab also zwei Stoßrichtungen: einmal direkt mit den Nichtchristen, aber auch die eigenen Geschwister wurden angesprochen.
Genau. Wenn ich das nicht so durchdringe vom Denken her, dann denke ich: Hey, da ist der Julian, der hat das echt durchdrungen. Dann sage ich: Ja, genau, da kann ich meinem Nachbarn vielleicht irgendwie helfen, mit dem Argument, das er sagt. Und wenn ich nicht wusste, was ich darauf antworten soll, war das etwas ganz Wesentliches.
Sie haben der Gemeinde erklärt, welche guten Argumente sie verwenden konnten, um den Glauben zu verteidigen. Das hat den Christen auch geholfen, tiefer in ihren Glauben einzutauchen.
Wenn ich zum Beispiel verstehe, wie massiv die Bibel die Auferstehung des Herrn Jesus unterstreicht, dann hilft mir das auch zu sagen: Ja, ich glaube wirklich an einen auferstandenen Herrn. Es geht mir also nicht nur darum, meinem Nachbarn gute Argumente zu erzählen, sondern ich nehme das auch persönlich für mich an.
Und dann gab es ja noch etwas, das hatte ich vorhin schon angedeutet: Es ging um Missverständnisse und Vorwürfe gegenüber Christen. Davon gab es eine ganze Menge.
Zum Beispiel wurde Christen vorgeworfen, sie seien Atheisten, weil sie die althergebrachten Götter ablehnten. Man sagte, sie glaubten gar nicht an Gott oder Ähnliches. Auch die Einstellung der Christen zum Tod sorgte bei ihren Zeitgenossen für Kopfschütteln. Cicillus schrieb zum Beispiel: „Die Christen sterben auf Erden ohne Furcht, fürchten aber einen Tod nach dem Tod. So täuscht sie eine Hoffnung hinweg über die Angst.“ Damit machte er deutlich, dass die frühen Christen sich diese Hoffnung nur einredeten. Doch weil sie an diese Hoffnung glaubten, konnten sie das Sterben ziemlich gut aushalten. Das war seine logische Argumentation, und sie ist nachvollziehbar. So dachte er eben.
Den Christen wurde außerdem viel Sittenlosigkeit vorgeworfen. Sie nannten sich Brüder und Schwestern. Und wer so vertraut miteinander umgeht, so lautete die Unterstellung, habe ganz sicher auch eine sexuelle Beziehung miteinander. Hier könnte man auch sagen: Willkommen im Heute! Wenn heute jemand in der Straßenbahn jemanden als Bruder anspricht, ist es ziemlich naheliegend, was die anderen denken – nämlich, dass die beiden eine homosexuelle Beziehung haben. Ich finde deshalb auch sinnvoll, dass sich der „Brüderbund“ beispielsweise in „Christusbund“ umbenannt hat.
Wobei mit den vielen kulturellen Ausnahmen im Osten der Begriff „Brüder“ dort durchaus wieder gebräuchlicher geworden ist. Vielleicht muss man sagen: Das hängt bestimmt von der Altersgruppe ab. Naja, ich weiß, was du meinst.
Was ich auch spannend fand: Den frühen Christen wurde Kannibalismus vorgeworfen. Das ging aus Johannes 6 hervor, wo Jesus sagt, sie sollen Fleisch und Blut essen. Daraus entstand die Unterstellung, dass bei der Aufnahme neuer Mitglieder in die Gemeinde eine Feier veranstaltet wurde, bei der kleine Kinder gegessen und ihr Blut getrunken wurde. Das hat in der Gesellschaft eine ziemlich antichristliche Stimmung hervorgerufen. Missverständlich, ja.
Deshalb haben Apologeten wie Tertullian die direkte Konfrontation gesucht. Sie haben gesagt: „Ihr sagt das.“ Und dem haben sie dann entgegengehalten, um diese Gerüchte zu entkräften. Das erinnert mich an den kürzlich ermordeten Charlie Kirk, der ebenfalls die direkte Konfrontation suchte. Er hat das wirklich so gemacht. Die Apologeten damals waren ähnlich. Wobei Kirk noch eine starke politische Komponente hatte, was die damaligen Apologeten wohl nicht hatten. Aber von der Konfrontation her gibt es eine Parallele.
Heute ist es sicher nicht immer gut, auf alles sofort reagieren zu müssen. Aber ich glaube, dass es in Zukunft viel wichtiger wird, den Glauben mit ganz natürlichen Worten erklären zu können und auch auf Missverständnisse einzugehen. Wenn man heute schon das Wort „Fundamentalismus“ hört, sollte man zurückfragen: „Was verstehst du denn darunter?“ Und nicht einfach sagen: „Ja, ja, das bin ich“, ohne zu wissen, in welches Denken man da hineingerät.
Ich glaube, wir müssen als Gemeinde darauf achten, dass wir sprachfähig für das Evangelium werden. Wir sollten das Evangelium erklären können und auch die Gegenargumente auf gute Weise behandeln. Für mich persönlich ist Timothy Keller sehr vorbildlich. Er hat das sehr gut gemacht, finde ich. Seine Bücher gibt es immer noch, und sie sind eine große Hilfestellung. Wie kann ich das Evangelium in dieser Welt weitersagen?
Wenn ich Keller richtig verstanden habe, war sein Vorbild die Rede des Paulus in Athen. Paulus zitiert dort gar nicht die Bibel, sondern bringt Beispiele und Zitate, die seine Zuhörer kannten. Keller hat das übertragen. In seinen Ansprachen brachte er zum Beispiel Zitate von Steve Jobs, die die Leute vor ihm kannten – etwa Programmierer. Dann sagte Keller: „Jobs hat etwas Wichtiges erkannt. Aber die Bibel geht noch weiter als das, was Jobs erkannt hat.“ Diesen Gedanken führte er weiter, bis er schließlich beim Evangelium ankam. Und das konnten seine Zuhörer verstehen.
Mir fällt auch auf, dass das ICF in München auf seiner Homepage Vorwürfe aufgreift, die man ihnen macht. Diese Vorwürfe besprechen sie sehr offen und gehen mit verständlichen Worten darauf ein. Im Grunde genommen machen sie das, was die Apologeten damals getan haben.
Ich glaube, davon kann man lernen. Wir gehen mehr und mehr in eine Zeit hinein, wie sie damals war: mit direktem Zugehen und Argumentieren. Nicht mehr so wie in den vergangenen Jahren, wo man eher ein Parallelleben führte und die Diskussion vermied.
Inwiefern war das erfolgreich, wenn ich das mal so ausdrücken darf? Denn Sie konnten dadurch nicht die gesamte Gesellschaft umwälzen. Warum haben sich dann Einzelne in diesem Dienst in dieser Zeit so stark verschrieben?
Das lag natürlich auch daran, dass sie den Gerüchten nicht einfach unwidersprochen die Bahn freimachen wollten. Sie widersprachen diesen Gerüchten immer wieder. Es ist ja so: Wenn man immer wieder seine Stimme erhebt, bewirkt das, dass auch Leute gewisse Dinge, die geäußert werden, nicht als bare Münze nehmen, sondern sagen: „Hm, habe ich gehört, aber stimmt vielleicht doch nicht so.“
Es stimmt, es waren nicht die Massen, die sich bekehrt haben. Doch wissen wir aus der Kirchengeschichte, dass einzelne Menschen, teilweise auch berühmte Persönlichkeiten, die zunächst gegen Christen waren, später selbst Christen wurden. Das waren Argumente, die sie überzeugt haben.
Es ist wichtig, den einzelnen Menschen im Blick zu haben. Die Apologeten konnten wirklich einzelnen Menschen dienen. Man sagt manchmal, Apologetik sei eine Art Vorevangelisation. Sie räumt Denkbarrieren aus dem Weg. Dadurch kann man sich überhaupt erst auf das Evangelium einlassen, wo man vorher sagt: „Nein, mit denen will ich eigentlich gar nichts weiter zu tun haben.“
Von daher glaube ich, war das ein ganz wichtiger Dienst.
Wenn wir über die apostolischen Väter oder die Kirchenväter nachdenken, fällt oft der Satz von Tertullian: „Der Same der Kirche ist das Blut der Märtyrer.“ Damals war natürlich Verfolgungszeit. Wäre das auch etwas, das du in dem Buch von Roland Werner gelesen hast?
Auf jeden Fall. Das ist eine ganz wesentliche Eigenschaft der frühen Christen. Ich nenne es mal die Kraft des Zeugnisses, denn „Zeuge“ heißt auf Griechisch „Märtyrer“. Wenn man Apostelgeschichte 1 richtig übersetzt, wo steht „Ihr werdet meine Zeugen sein“, dann heißt es eigentlich „Ihr werdet meine Märtyrer sein“. Das bedeutet nicht, dass jeder des Glaubens wegen gestorben ist, sondern es ist einfach das Wort dafür.
Die Christen haben ihren Glauben natürlich immer wieder weitergegeben. Sie haben ihn vorgelebt und darüber geredet, aber sie haben auch sehr massiven Widerstand erlebt. Das sieht man schon in der Apostelgeschichte: Stephanus wird zum Beispiel ermordet, nur weil er an Jesus glaubt. Oder Jakobus, der Bruder des Johannes, wird mit dem Schwert getötet.
Der Herr Jesus hat uns die Verfolgung vorausgesagt, deshalb sollte Verfolgung uns nicht überraschen. Sie ist Teil von Gottes Plan. Aber auch wenn wir das wissen, ist es trotzdem schwer, Verfolgung auszuhalten – vor allem, weil die Feinde des Evangeliums sich immer wieder neue Grausamkeiten ausdenken, damit die Christen Jesus absagen sollen. Das ist heute in manchen Ländern so, damals aber auch.
Plinius, der römische Statthalter, schreibt an Kaiser Trajan über seine Gerichtsverhandlungen. Er sagt, er habe die Christen gefragt, ob sie Christen seien. Die Beständigen habe er unter Androhung der Todesstrafe ein zweites und drittes Mal gefragt. Die Frage war: „Bist du Christ?“ Und der andere antwortete: „Ja, ich bin es.“ Plinius sagte: „Sei dir bewusst, ich werde dich umbringen.“ Doch die Antwort lautete weiterhin: „Ja, ich bin Christ.“ So ging es hin und her, und sie blieben dabei.
Plinius schreibt, die, die dabei blieben, ließ er abführen, denn er war der Überzeugung, dass, was auch immer es sei, was sie damit eingestanden, auf jeden Fall ihr Eigensinn und ihre Unbeugsamkeit bestraft werden müsse. Er sagte: „Wer so stur darauf besteht, ich bin Christ, obwohl er weiß, dass er stirbt, der muss auch sterben.“
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass manche diesem Druck nicht standhalten konnten und sich von Jesus losgesagt haben. Trotzdem finde ich Zeugnisse der Märtyrer sehr motivierend. Ich denke da an Polykarp von Smyrna, der Schüler des Apostels Johannes. Er wurde aufgefordert, Jesus zu verleugnen, und antwortete: „86 Jahre habe ich ihm gedient, und er hat mir nichts Böses getan. Wie könnte ich meinen König verleugnen, der mich erlöst hat?“
Dieses Originalzitat, das du gebracht hast, steht in diesem Zusammenhang. Tertullian schreibt: „Neulich, als ihr eine Christin zum Hurenhaus anstatt zur Löwengrube verurteilt habt, habt ihr damit das Geständnis abgelegt, dass bei uns eine Verletzung der Schamhaftigkeit für schlimmer gilt als jede Strafe und jede Todesart. Und doch nützt die ausgesuchteste Grausamkeit von eurer Seite nichts. Sie ist eher eine Verbreitung unserer Gemeinschaft. Wir werden jedes Mal zahlreicher, so oft wir von euch niedergemäht werden. Ein Same ist das Blut der Christen.“
Hier hat man also eine Christin zur Prostituierten gemacht, um sie besonders zu quälen. Tertullian sagt damit, dass sie einen höheren ethischen Maßstab als die Verfolger haben. So macht er das deutlich.
Dann gibt es den Märtyrertod von zwei Frauen: Perpetua, die aus einer wohlhabenden Familie kam, und Felicitas, eine Sklavin. Perpetua war mit ihrem Säugling im Gefängnis. Sie stillte ihn bis zuletzt und gab ihn dann ihrem Bruder. Felicitas war schwanger, und damals gab es tatsächlich den Kodex, dass eine hochschwangere Frau nicht in die Arena geschickt werden durfte.
Die Gläubigen beteten vor der Arenatür, dann bekam Felicitas eine Frühgeburt. Sie gab das kleine Kind ihrer Schwester, und die beiden gingen gemeinsam in die Arena, wo sie getötet wurden. Das fand ich beim Lesen spannend, es war mir vorher unbekannt.
Auch Ignatius von Antiochien wurde nach Rom gebracht, um dort zu sterben. Er schrieb Briefe an verschiedene Gemeinden, die sehr hilfreich waren. Schon im Voraus sagte er: „Ihr Römer, wenn ich nach Rom komme, lasst nicht zu, dass euer Beziehungsnetz spielt und ich am Ende in der Gemeinde lande, statt im Zirkus zerrissen zu werden.“ Das war ihm sehr wichtig. Tatsächlich wurde er dann dort zerrissen.
Wenn man Werke von Hieronymus oder Eusebius liest, schildern sie ebenfalls Märtyrer und wie diese umgekommen sind. Für die frühen Christen war es sehr normal, für Jesus zu sterben.
Manchmal wird der Begriff „Glorifizierung des Märtyrertodes“ verwendet. Das fällt auf, wenn man diese Dokumente liest. Ich denke, wenn man Jahrhunderte verfolgt wird, entwickelt man Mechanismen, um damit umzugehen. Vielleicht geht es dann auch in die Richtung, das Märtyrium anzustreben, weil man weiß, dass man es für Christus tut.
Ich würde aber sagen, wenn jemand freikommen kann, dann soll er freikommen. Paulus ist ja auch zwischendurch freigekommen und hat das genutzt. Das sehe ich nicht als Glorifizierung. Das ist natürlich ein zweischneidiges Thema, zu dem ich mich hier im bequemen Westen nicht abschließend äußern möchte.
Was ich noch spannend fand bei der Beschäftigung mit diesen Märtyriumsgeschichten ist, dass die Christen sehr intensiv für den römischen Staat gebetet haben. Das fällt in den Schriften auf. Tertullian gibt auch eine Begründung dafür.
Er schreibt an die Verfolger und sagt, es gibt für die Christen eine noch größere Nötigung: für den Kaiser und für den Beistand des Reichs überhaupt und den römischen Staat zu beten. Denn sie wissen, dass die bevorstehende gewaltsame Erschütterung der Erde und das mit schrecklichem Trübsal drohende Ende der Zeiten nur durch eine vom römischen Reich eingeräumte Frist aufgehalten werden.
Daher wünschen sie nicht, diese Zeit zu erleben. Indem sie um Aufschub dieser Dinge beten, fördern sie die Fortdauer Roms.
Jesus sagt ja einmal, dass der römische Staat den Durchbruch des Bösen aufhält, sodass Jesus noch nicht wiederkommt. Die Christen beten, dass der römische Staat so lange wie möglich bestehen bleibt, weil dann Menschen die Möglichkeit haben, zu Jesus umzukehren. Und dieser römische Staat hat sie verfolgt.
Das fand ich auch interessant, das von Tertullian zu lesen. Die Begründung wundert mich ein bisschen. Wir sollen ja für Frieden beten, wie im 1. Timotheusbrief geschrieben steht, das verstehe ich. Aber das Herauszögern der Endzeit zu wollen, das finde ich schwieriger.
Es ist ja nur ein Zitat, aber man merkt, wie sehr diese Vorstellungen in den Gemeindealltag und das Leben der Christen eingeflossen sind. Die Ausrichtung auf die Trübsalszeit mit dem Antichrist, der aus dem Volk kommt, das damals Jesus unterdrückt hat – sprich die Römer oder auf jeden Fall aus dem Nachfolgereich – war sehr präsent.
Diese eschatologische Sicht und das Märtyrertum sowie der Staat werden in diesen Schriften eng miteinander verwoben.
Märtyrertum hatten wir jetzt behandelt. Gibt es noch andere Bereiche, in denen dich die frühen Christen fasziniert haben?
Ja, einmal war da die Hoffnung – die Hoffnung auf die Ewigkeit. Deshalb waren sie auch bereit, den Märtyrertod zu sterben. Und doch, und das fand ich spannend, haben sie die Erde nicht vergessen. Sie haben sehr praktisch den Menschen um sie herum gedient. Diakonie ist hier das Stichwort. Sie haben Bedürftige mit Geld unterstützt.
Die frühen Christen erhielten dafür auch Vorwürfe. Das fand ich ebenfalls interessant. Man warf ihnen vor: „Ihr nehmt nicht mehr an den religiösen Festen teil und unterstützt die Tempel nicht mehr.“ Das war ein erheblicher Ausfall für die Gesellschaft, denn sie gaben kein Geld mehr für die Tempel.
Da musste ich schon schmunzeln, als ich Tertullians Antwort gelesen habe. Er schrieb: „Sicher klagt ihr, dass die Tempelsteuern täglich mehr zusammenschmelzen, weil die Christen sich daran nicht beteiligen. Wie wenige geben noch Spenden in den Tempeln! Jawohl, wir sind nicht imstande, gleichzeitig den Betteleien der Menschen und denen eurer Götter Hilfe zu gewähren. Wir sind auch der Meinung, dass man nur denen etwas geben müsse, die darum bitten. So soll Jupiter erst einmal seine Hand ausstrecken, dann soll er etwas bekommen. Vorläufig gibt unsere mitleidige Gesinnung auf den Gassen mehr Geld aus als eure Religiosität in den Tempeln.“
Das ist schon dreist. Er sagt, Jupiter solle selbst vorbeikommen, dann würden sie ihm auch etwas geben. Aber es zeigt, dass die Christen die Leute wirklich unterstützt haben, die Hilfe brauchten. Sie gaben mehr Geld aus, um diese Menschen zu versorgen, als andere für ihre Götter.
Die frühen Christen setzten ihr Leben für den Dienst an anderen ein. Das war gelebte Barmherzigkeit. Sie wollten damit auch überzeugen. Ich habe diese Woche ein Papier gesehen, in dem jemand sagte, die christlichen karitativen Organisationen täten das nur, um durch Missionen zu manipulieren.
Ich glaube, diesen Gedanken gab es damals auch schon. Man nimmt an, dass die Christen das vom Kaiser Julian abgeschrieben haben. Er schrieb nämlich oft, die Armen hätten den Eindruck, von Priestern nicht beachtet zu werden. Die gottlosen Galiläer – also die Christen – würden sofort die Gelegenheit zur Wohltätigkeit nutzen.
Julian unterstellte ihnen also dasselbe. Aber ich glaube, die Christen halfen wirklich aus einem inneren Antrieb heraus. Natürlich wollten sie auch ihren Glauben bezeugen. Das sieht man bei ihnen sehr deutlich. Diakonie war eine mächtige Sprache, ein starkes Zeugnis für das Evangelium.
Julian machte das noch einmal deutlich, als er sagte: „Sie versorgen ja sogar unsere Leute und nicht nur ihre.“ Er verstand, dass Diakonie eine sehr deutliche Sprache ist. Er erkannte, dass die Versorgung der Menschen dazu führt, dass sie offen für das Evangelium werden.
Ich habe vor Kurzem ein Buch von Philipp Bartolome gelesen. Er fragt: „Wie erreichen wir Menschen heute?“ Einer seiner wesentlichen Punkte ist Gastfreundschaft. Das bedeutet, auf Leute zuzugehen, ihnen zu dienen und zu helfen.
Ich war vor kurzem in Ostdeutschland und fragte Christen dort, wie sie das in der DDR-Zeit gemacht haben – in einem Klima, das sehr kritisch und feindlich gegenüber Christen war. Sie sagten: „Gastfreundschaft.“ Also sehr auf die Menschen zugehen, mit ihnen reden und nicht erwarten, dass Massen kommen. Sie haben die Einzelnen gesehen.
Ich glaube, das kann man von den frühen Christen lernen. Diakonie war für sie etwas ganz Wesentliches. Und dann natürlich – das ist schon sehr beeindruckend – haben sie sich in den Pandemien unglaublich eingesetzt.
Es gab damals eine aggressive Variante der Pocken, die 24 Jahre lang wütete. Ein Viertel der Infizierten starb. Außerdem gab es eine Ebola-ähnliche Infektion. Ebola heißt: „Ich gebe dir die Hand, und ich weiß, morgen bin ich selbst hier Patient.“ Absolut aggressiv. Teilweise starben fünf Leute am Tag in Rom.
Die Christen sind nicht weggelaufen. Sie haben sich auch teilweise angesteckt. Aber sie sahen: „Okay, das ist jetzt unser Zeugnis für Jesus. Wir stehen hier und helfen.“
Ein Zitat von Cyprian beschreibt diese Krankheit eindrücklich. Er schreibt: „Beständiger Durchfall verzerrt die Körperkräfte. Das tief im Inneren lodernde Feuer wütet weiter und ergreift den wunden Schlund. Fortwährendes Erbrechen erschüttert die Eingeweide. Die Augen entzünden sich durch den Blutandrang. Manche Füße oder andere Körperteile werden von zerstörender Vollnis ergriffen und abgefressen. Durch die schwere Schädigung des Körpers tritt Ermattung ein, der Gang wird gelähmt, das Gehör abgestumpft und die Sehkraft getrübt.“
Das schildert sehr eindrücklich die Krankheit, mit der sie zu tun hatten.
Cyprian fährt fort: „All das dient nur dazu, den Glauben zu erweisen und mit unerschütterlicher Geistkraft gegen die Anfälle der Zerstörung und des Todes zu kämpfen. Welch großen Mut zeigt das! Welche Erhabenheit verrät es, inmitten der Vernichtung des Menschengeschlechts aufrechtzustehen, anstatt mit denen am Boden zu liegen, die keine Hoffnung auf Gott haben!“
„Beglückwünschen dürfen wir uns viel mehr und es als Geschenk der Zeit begrüßen, wenn wir unsere Glaubensstandhaftigkeit zur Schau tragen. Wenn wir durch das Erdulden von Leiden auf dem engen Weg Christi zu Christus eilen und so den Lohn dieses Weges und des Glaubens nach seinem Urteil finden.“
„Der Tod ist allerdings zu fürchten, aber nur für den, der nicht aus Wasser und Geist wiedergeboren ist, sondern in den Flammen der Hölle verfallen ist. Den Tod möge fürchten, wer sich nicht auf Christi Kreuz und Leiden berufen kann. Den Tod möge fürchten, wer aus diesem nur zu einem zweiten Tod übergeht.“
Das ist ein langer Text, aber er zeigt, dass die frühen Christen sich von der Ewigkeit motivieren ließen, Barmherzigkeit in dieser Zeit zu leben.
Darin haben sie uns wirklich ein Vorbild hinterlassen, von dem man ganz sicher auch nach uns noch sprechen wird.
Wenn ich das noch einmal kurz zusammenfasse: Wir lernen von den frühen Christen, dass man den Glauben auch erklären muss. Diese Apologeten haben ihre Geschwister sprachfähig gemacht, damit sie sich gegenüber Nichtchristen behaupten können. Das wird heute immer wichtiger, weil wir uns in unserer Gesellschaft zunehmend vom Christsein entfernen. Gleichzeitig erleben wir dieselbe Feindlichkeit und Vorurteile, die damals auch schon vorhanden waren, immer stärker.
Das Zweite waren die Märtyrer, die Jesus so sehr geliebt haben, dass sie bereit waren, ihr Leben für ihn zu geben. Sie sind für ihre Überzeugung gestorben. Das stellt für uns heute natürlich die Frage: Für welche Überzeugungen wären wir bereit zu sterben? Ich denke, diese Hoffnung und Sehnsucht nach dem Himmel, die man bei den Märtyrern sieht, können wir ins Gebet mit aufnehmen. Oft sind wir noch nicht so sehr mit solchen Dingen beschäftigt, sondern vielleicht zu sehr mit dem Alltag und dem, was hier auf der Erde passiert – und weniger mit dem Himmel oder mit dem Zeugnis für Jesus.
Der letzte Bereich war der selbstlose Dienst, die Diakonie. Daraus entstanden später Krankenhäuser, Abenspeisungen und die großen diakonischen Werke, die wir heute kennen. Das sollte auch für uns eine Überlegung sein. Ich glaube, die Gesellschaft wird bald nicht mehr so viel Geld haben, sodass der Sozialstaat sich um alles kümmern kann. Dann werden wir wieder an einen Punkt kommen, an dem wir bestimmte Kriterien aufstellen müssen, wie es im 1. Timotheusbrief beschrieben ist. Dann werden wir Diakonie in diesem Sinne leben – nicht nur uns dienen lassen, wie es einmal heißt, sondern auch selbst dienen, so wie Christus gekommen ist, um zu dienen und sein Leben als Erlösung für viele hinzugeben.
Zusammengefasst: Das war nun der zweite Podcast über die Faszination der frühen Christen. Wir hoffen, dass ihr in diesen bestimmten Bereichen des Lebens der frühen Christen ein bisschen neugierig geworden seid.
An dieser Stelle noch einmal der Hinweis auf das Buch Faszination frühe Christen von Roland Werner, erschienen im Fondis Verlag. Das Buch findet ihr in den Shownotes, und dort könnt ihr noch einiges mehr über die frühen Christen entdecken.
Wenn ihr Fragen habt, über die wir sprechen sollen, oder Anmerkungen zum Podcast, schreibt uns gern unter podcast.efa.stuttgart.de. Wir wünschen euch wie immer Gottes Segen und dass wir auch eine Sache von den frühen Christen lernen – von denen, die den Weg vor uns gegangen sind.