Einführung: Zwei Perspektiven einer Geschichte
Liebe Freunde, ich habe einmal einen Film gesehen, der hieß „Meine Tage mit Pierre, meine Nächte mit Jacqueline“. Es ging darin um Missverständnisse, Streit, Tränen, Trennung und Krach. Also war es ein Liebesfilm.
Im ersten Teil wird die Geschichte aus der Sicht der Frau erzählt. Plötzlich beginnt ein zweiter Teil, in dem die gleiche Geschichte noch einmal von vorne erzählt wird – diesmal aber aus der Perspektive des Mannes. Es ist also zweimal dieselbe Geschichte, aber aus zwei verschiedenen Blickwinkeln.
So machen wir es heute Abend auch. Ich erzähle euch die gleiche Geschichte, die ich euch beim letzten Mal erzählt habe. Damals berichtete ich von dem jungen Mann, der von zu Hause wegläuft. Diese Geschichte steht in der Bibel, im Lukas-Evangelium, Kapitel 15, unter der Überschrift „Der verlorene Sohn“.
Heute erzähle ich euch dieselbe Geschichte noch einmal, aber diesmal aus der Sicht des Vaters. Die Überschrift lautet: „Der verliebte Vater“.
Die Herausforderung des Vaterbildes
Nun weiß ich natürlich, dass es riskant ist, vor so vielen jungen Menschen das Wort „Vater“ auszusprechen. Denn die meisten von euch denken dabei natürlich an das Exemplar, das sie zu Hause haben. Und was ihr da denkt, kann ich mir schon vorstellen.
Was ist der Durchschnittsvater? Das ist ein alter Muffel, der immer bei allem dagegen ist, immer meckert, immer nölt, immer verbietet, der mit seinen Erfahrungen prahlt und mit dem Geld geizt. Den man nie stören darf, der nie Zeit hat und dessen drei Lieblingssätze lauten: Erstens, „Ich bin auch mal jung gewesen“, zweitens, „Als wir so jung waren wie ihr, da haben wir uns das nicht erlauben dürfen“ und drittens, „Ich möchte endlich mal meine Ruhe haben“.
Manche sehen ihren Vater überhaupt nur als ein versoffenes Etwas. Mir hat mal eine erzählt, dass ihr Vater immer auf Arbeit ist. Wenn er zu Hause kommt, liegt er wie ein Faultier auf dem Sofa, trinkt ein paar Bierchen, lässt sich von der Mutter bedienen und dann gibt es zwischen den beiden Krach.
Ja, so ist das in tausenden Familien. Aber warum ist das so? Die beiden haben sich doch auch mal lieb gehabt. Doch sie haben ihre Liebe im Lauf des Lebens verbraucht. Und sie brauchten neue Liebe, zum Beispiel deine.
Wie wäre es, wenn du nicht immer nur für dich etwas erwartest, sondern anfängst zu begreifen, dass auch deine Eltern Erwartungen an dich haben? Du verlangst von der ganzen Welt, vor allem von deinen Eltern, dass sie auf deine Launen und Probleme eingehen und Rücksicht auf dich nehmen. Das Gleiche erwarten die Eltern von dir.
Der Vater und der Sohn: Ein unerwartetes Verhalten
Also zurück zu unserer Geschichte: Da ist ein Vater, der mit seinem Sohn keine Probleme hat. Zwischen den beiden gibt es keine Nervereien, keinen Streit. Alles ist vollkommen okay.
Du kannst dir vorstellen, wie geschockt der Vater ist, als der Sohn eines Tages bei ihm erscheint und ihm eiskalt eröffnet: „Ich gehe. Mich kotzt hier die Rolle des braven Söhnchens an. Nicht, dass ich etwas gegen dich im Prinzip hätte, aber mir hängt das hier alles zum Hals heraus. Ich fühle mich frustriert und eingeengt. Ich möchte meine Freiheit haben, mich selbst verwirklichen. Dazu brauche ich allerdings ein paar Mäuse. Deshalb schlage ich dir vor, du zahlst mir jetzt auf der Stelle mein Erbe aus. Erstens steht mir das rechtmäßig sowieso zu, und zweitens ist es ja im Prinzip egal, ob du den Kies gleich auspackst oder ob ich ihn erst kriege, wenn du über Jordan bist. Also sei kein Frosch und reich mal ein paar Bündel mit dem großen blauen Schein rüber.“
Jeder andere Vater hätte in diesem Moment einen Tobsuchtsanfall oder einen Schlaganfall bekommen. Jeder andere hätte den großen Briefbeschwerer seinem Sohn an den Nüchel geworfen oder den Kerl gleich rausgeschmissen. Jeder andere Vater hätte in diesem Moment eine Diskussion angefangen: „Ah, mein lieber Junge, was presst du denn? Ich tue doch alles für dich und bin auch bereit, das Taschengeld zu erhöhen. Aber warum denn gleich so radikal? Warum denn gleich fortgehen?“
Oder es käme die ironische, drohende Tour: „Du, ein Selbständiger? Das kann ich nicht ernst nehmen. Das geht schief, das kann ich dir jetzt schon sagen. Du schaffst das nicht alleine. Aber wenn du unbedingt willst, bitte, wenn du gehen willst, geh. Aber dann merke dir: Du brauchst gar nicht mehr wiederzukommen. Dann sind wir beschiedene Leute.“
Oder der Vater beleidigt seinen Sohn als Leberwurst und sagt: „Das hat man nun davon. Da schuftet man ein Leben lang für die Kinder. Man verzichtet auf alles, steckt es denen vorne und hinten rein, und was ist der Dank? Es passt dem Herrn Sohn nicht! Womit habe ich das verdient? Wie kannst du mir das antun?“
So reagieren normalerweise Väter.
Die Reaktion des Vaters: Liebe ohne Worte
Der Vater in unserer Geschichte reagiert ganz anders. Wortlos steht er auf, schließt den Kassenschrank auf, holt die Geldbündel heraus, zählt das Geld ab und blättert dem Sohn die Scheine schweigend auf den Tisch.
Er sagt kein einziges Wort. Keine Bitte, keine Frage, kein Vorwurf, keine Drohung, keine Szene – nichts. Er gibt, er gibt nach.
Einen solchen Sohnvater möchte mancher von euch auch mal haben, wird man denken. Ja, hast du doch. Mit dem Vater, von dem ich euch hier erzähle, ist ja Gott gemeint. Und Gott ist auch dein Vater.
Hast du dir schon mal überlegt, was du von ihm jetzt schon alles geerbt hast? Er hat dir alles gegeben, was du zum Leben brauchst: dein Leben, deine Gesundheit, deine Körperkräfte, deinen Verstand – überhaupt alles, was du hast und was du bist, hast du von Gott.
Nicht ein einziges Haar auf deinem Kopf hast du selbst gemacht, nicht eine einzige deiner Gehirnwindungen hast du selbst geschaffen. Die Frage ist nur: Was machst du mit all dem, was du von Gott bekommen hast?
Machst du es so wie der junge Mann in der Geschichte, der von seinem Vater Geld anfordert und annimmt, als ob das selbstverständlich wäre, und sich nicht einmal dafür bedankt? Der sich bei seinem alten Herrn bedient, die Scheine in die Taschen steckt, sich mit einem oder zehn Zehnmarkscheinen etwas kauft und dann in die große, weite Welt aufbricht?
Nach seinem Vater sieht er sich nicht ein einziges Mal um. Für ihn ist der Vater erledigt. Er hat ihn im wahrsten Sinn des Wortes hinter sich gelassen – so wie viele von euch sagen: "Gott, also den habe ich hinter mir. Ich bin erwachsen, ich bin mündig, ich bin wissenschaftlich gebildet, und diese primitiv-kindliche Vorstellung von einem Gott hat sich für mich erledigt."
Ja, aber du hast dich deswegen nicht für Gott erledigt. Er liebt dich immer noch, so wie der Vater in unserer Geschichte seinen Sohn immer noch liebt – auch dann, als der ihm den Rücken zudreht. Dann erst recht.
Gottes Schweigen und die Freiheit des Menschen
Ich stelle mir vor, wie der Vater in der Haustür steht und seinen Sohn davonlaufen sieht. Vielleicht laufen ihm dabei die Tränen über die Wangen. Er schaut ihm nach und schweigt.
Wenn dieser Vater Gott ist, stellt sich die Frage: Warum schweigt er eigentlich? Warum unternimmt er nicht wenigstens den Versuch, den Jungen zurückzurufen? Der Vater, also Gott, ist doch allwissend. Er weiß ganz genau, dass sein Sohn gerade in vollem Tempo ins Unglück rennt. Wie kann er das zulassen? Kann er das überhaupt? Muss er das nicht verhindern? Er ist doch allmächtig.
Warum verbietet Gott nicht einfach, warum wendet er keinen Zwang an? Weil Gott die Freiheit genauso liebt wie du und weil er dich liebt. Er möchte, dass du ihn liebst. Und Liebe kann man nun mal nicht erzwingen. Deshalb kann Gott auch keinen Menschen zwingen. Wenn jemand nicht mit ihm leben will, dann kann Gott ihn nur laufen lassen.
Gott will aber nicht, dass du davonläufst, sondern dass du mit ihm lebst und ihn liebst. Deshalb begegnet Gott dir nicht als Diktator mit Zwangsmaßnahmen, sondern als Vater. Er kann nur um dich werben und auf dich warten, dass du freiwillig zu ihm kommst – ohne Zwang.
Zwang entwürdigt den Menschen. Gott respektiert deine Menschenwürde, indem er dir die Freiheit der Entscheidung lässt. Auch dann, wenn du ihm den Rücken zukehrst und seine Liebe verschmähst.
Die Erfahrung von Liebeskummer als Spiegel göttlichen Schmerzes
Kannst du dich noch an die Tage erinnern, oder steckst du vielleicht gerade mitten in einer solchen Situation? Du bist hemmungslos verliebt in jemanden, doch diese Liebe wird nicht erwidert. Du bist verknallt in einen Menschen, der dich einfach nicht beachtet. Wer so etwas durchmacht, dem zerreißt es das Herz.
Jetzt weißt du, wie es Gott geht, wenn er dich sieht. Welchen Schmerz Gott empfindet, wenn du seine Liebe nicht erwiderst. Gott dreht sich das Herz im Leibe um, wenn er dich durchs Leben gehen sieht und du ihm die kalte Schulter zeigst. Wenn du ohne ihn lebst, brauchst du gar nichts Besonderes gegen ihn zu tun.
Dein polizeiliches Führungszeugnis kann einwandfrei sein. Vielleicht bist du gebildet, hochstehend, moralisch ein guter Mensch. Trotzdem bist du ein Sünder, einer, der Gott wehtut.
Die eigentliche Sünde besteht nicht nur darin, dass man mal irgendwo eine Lüge sagt – auch das ist Sünde. Aber das ist die Folge einer Einstellung. Die eigentliche Sünde ist die Einstellung des Menschen: Ich brauche keinen Gott, ich bestimme mein Leben selbst, ich weiß, was gut und richtig ist, und er interessiert mich nicht. Ich brauche ihn nicht.
Verstehst du? Gottes Liebesangebot zu verschmähen, indem du einfach sagst: „Interessiert mich gar nicht“, das ist Sünde. Und damit tust du Gott weh. Gott ist doch kein Klotz, kein Gesetz oder irgendetwas Ähnliches. Er ist ein Vater, der ein Herz hat, das Schmerz empfindet.
Ein Beispiel aus dem Leben: Väterliche Sorge und Unruhe
Ich war einmal unterwegs mit Jörg Swoboda. Damals war er noch jung, und wir waren oben an der Küste in Schwerin. Eines Tages musste er unbedingt zu einer angeblich ganz wichtigen Sitzung nach Berlin fahren – ein paar hundert Kilometer hin und zurück.
Als er abends dann ankam, hat er mir kein Wort von dieser angeblich so wichtigen Sitzung erzählt. Stattdessen erzählte er mir, dass er mit seinem kleinen Sohn eine Auseinandersetzung gehabt hatte und dass er ihm ein paar Ohrfeigen geben musste oder so etwas in der Art.
Als Jörg mir das erzählte, lag der Kleine längst in Berlin in seinem Bettchen und schlief. Für ihn war die Sache erledigt. Aber das Herz des Vaters, verstehst du, das Herz des Vaters war noch unruhig wegen dieser Geschichte, weil es mit dem Sohn Zoff gegeben hatte.
So ist das auch mit Gott. Du lebst vielleicht ganz glücklich und zufrieden und ahnst gar nicht, dass du Gott wehtust – einfach dadurch, dass du seine Liebe verschmähst. Dass du dein Leben lebst, als ob es selbstverständlich wäre, indem du dich zum Beispiel nie bei ihm bedankst dafür, dass du lebst und gesund bist.
Undankbarkeit ist eine Sünde, sagt die Bibel. Vorhin im Gottesdienst waren hier ein paar Behinderte im Rollstuhl. Wann hast du dich das letzte Mal bedankt dafür, dass du gesund bist und nicht im Rollstuhl sitzen musst?
Du kannst auf zwei Beinen hier herein- und wieder hinausgehen. Du kannst die Sonne sehen, die Blumen riechen und die herrliche Natur wahrnehmen. Du hast alle Sinne von Gott bekommen. Und wann hast du dich dafür bedankt?
Die eigentliche Sünde: Verantwortungslosigkeit gegenüber Gottes Gaben
Die Sünde des jungen Mannes in unserer Geschichte beginnt nicht damit, dass er das empfangene Geld zum Fenster hinauswirft. Sie beginnt vielmehr, als er das Geld verlangt, obwohl er eigentlich nur ein Recht darauf hat, als ob er damit machen könnte, was er will.
Er hat nämlich etwas Wichtiges vergessen: Alles, was er besitzt – sein Leben, seinen Körper, seine kultivierten Kleidungsstücke, sein gutes Essen – hat er von seinem Vater erhalten. Es handelt sich dabei durchweg um an sich gute Dinge. Schöne Kleidung, gutes Essen, ein gesunder Körper – dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden.
Doch gerade diese an sich guten Dinge werden ihm schließlich zum Verderben. Denn er benutzt sie nur noch für sich selbst und nicht mehr in Verantwortung gegenüber seinem Vater.
Der Geschlechtstrieb, den Gott in dich gelegt hat, ist an sich etwas Gutes. Wenn du ihn jedoch benutzt, ohne die Gebrauchsanweisung Gottes zu beachten, machst du dich und andere unglücklich. Es ist eine der genialsten Ideen Gottes, dem Menschen das Geschenk der Sexualität zu geben. Und wenn jemand so etwas Geniales erfunden hat, sollte man ihm auch zutrauen, dass die Gebrauchsanweisung dazu ebenso genial ist.
Die Gebrauchsanweisung Gottes lautet: Sex gehört nicht vor der Ehe, nicht neben der Ehe, sondern in die Ehe.
Normalerweise sind wir als vernünftige Menschen so, dass wir die Gebrauchsanweisungen von jemandem beachten, wenn wir uns eine Waschmaschine oder ein Paar Schlittschuhe kaufen. Es wäre sinnlos, dem Erfinder der Schlittschuhe vorzuwerfen, dass es grausam von ihm sei, wenn er sagt: „Warte mit dem Schlittschuhlaufen, bis das Eis festgefroren ist, bis es Winter ist.“
Wer dann sagt: „Ja, da müsste ich ja bis zum Winter enthaltsam leben, das ist ja grausam“, der hat ein unvernünftiges Argument. Du musst warten, bis das Eis fest und gefroren ist, sonst brichst du ein.
Frühlingsgefühle sind keine Grundlage für Sex. Warte, bis eure Beziehung fest und tragfähig geworden ist.
Auch der Körper, den Gott dir gegeben hat, ist an sich etwas Gutes. Wenn du aber denkst, du kannst mit deinem Körper machen, was du willst – zum Beispiel als Sportler – dann irrst du dich.
Die Bibel sagt: „Wisst ihr denn nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?“ Ein Tempel, nicht ein Tümpel.
Oder die Begabung, die Gott dir gegeben hat – vielleicht kannst du wunderbar Gitarre spielen. Das ist an sich etwas Gutes. Wenn du diese Gabe aber nur dazu benutzt, dir Namen und Geld zu machen und dich von Massen beklatschen zu lassen, wirst du arrogant und eitler Angeber.
Das Geld, das du hast, ist an sich etwas Gutes. Wenn du es aber nur dazu benutzt, dir selbst ein schönes Leben zu machen, wirst du am Ende ein unbarmherziger und geiziger Mensch.
Das Haus, das du dir mit deiner Frau baust, ist an sich etwas Wunderschönes und Gutes. Wenn du es aber nur für dich baust und nicht für andere Menschen und die Gemeinde öffnest, wirst du mit deiner Frau in dieser Falle verkümmern.
Die Schönheit, die Gott dir gegeben hat, ist an sich etwas Gutes. Wenn du sie aber nur dazu benutzt, möglichst viele Männer zu verführen, verführt dich deine eigene Schönheit zum Größenwahn, zur Selbstbewunderung und Selbstüberschätzung.
Und was machst du, wenn deine Schönheit verblüht und du alt wirst? Dann siehst du eben alt aus. Wenn die Frauen verblühen, verschwinden die Männer. Dann hat es keinen Zweck mehr, in den Schönheitssalon zu rennen.
Treffen sich zwei Frauen auf der Straße. Sagt die eine: „Na, guten Tag, wie geht’s?“ „Ach, mir geht’s gut“, sagt die andere, „ich komme gerade aus dem Schönheitssalon.“ „Na und?“, fragt die erste, „bist du nicht dran gekommen?“
Ein Mädchen, das an jedem Finger zehn Kerle hat, hat am Ende meistens keinen einzigen, der ihr die ganze Hand hält.
So ging es dem jungen Mann in unserer Geschichte. Am Ende hat er keinen einzigen mehr, der zu ihm hält.
Nachdem er sich nur in der Gesellschaft von lockeren Vögeln und verführerischen Frauen herumgetrieben hatte, landet er schließlich in der Gesellschaft von Schweinen.
Ich habe es euch erzählt: Er musste den Beruf eines Schweinehirten übernehmen.
Die Trennung vom Vater hat ihm kein Glück gebracht. Diese bittere Erfahrung hätte er sich ersparen können, wenn er beim Vater geblieben wäre.
Kritik an der Vorstellung von "Lebenserfahrung"
Mir hat einmal jemand gesagt, dass das, was der junge Mann getan hat, eigentlich ganz richtig war: dass er von zu Hause weggelaufen ist. Man müsse schließlich im Leben seine eigenen Erfahrungen machen. Um mitreden zu können, müsse man erst alles selbst erlebt haben.
Aber was heißt hier „alles mitgemacht haben“? Muss man wirklich erst einen Krieg erlebt haben, um zu wissen, wie furchtbar das ist? Hat denn jemand von euch schon einmal eine Flasche Riesenussöl ausgetrunken, nur um danach persönlich bezeugen zu können, dass man davon Durchfall bekommt? Das ist doch Unsinn!
Ein junger Mann erzählte mir einmal, dass er genau dieser Meinung sei: Man müsse Lebenserfahrung sammeln und alles mitmachen. Er berichtete, was er alles erlebt habe. Ganz stolz sagte er sogar, dass er auch im Bordell gewesen sei.
Doch was er so stolz als „Lebenserfahrung sammeln“ bezeichnete, nennt die Bibel ganz schlicht und einfach Sünde.
Als der junge Mann aus unserer Geschichte nach Hause kommt, nachdem er sein Geld in Bordellen und Kneipen verschwendet hat, sagt er nicht: „Jetzt habe ich alles erlebt und bin ein kluger, gebildeter und reifer Mensch geworden.“
Stattdessen sagt er: „Ich bin ein Idiot, ein Sünder, ich bin kaputt und habe mich ruiniert.“
Er kommt zu seinem Vater niemals mit stolzen Worten und sagt: „Sieh mal, Vater, ich habe ohne dich Erfahrungen gesammelt. Jetzt bekommst du einen gebildeten, gereiften Sohn zurück.“
Stattdessen sagt er: „Ich habe gegen dich gesündigt, und ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.“
Die Rückkehr des verlorenen Sohnes
Und stelle dir einmal vor, wie dieser junge Mann nach diesem Leben wieder nach Hause zu seinem Vater zurückkehrt. Er ist zerlumpt und zerludert, ausgepumpt – ein menschliches Wrack, dessen Gesicht von Gier und Sorgen zerfurcht ist. Der ganze Kerl stinkt, ist verdreckt und überhaupt nicht mehr wiederzuerkennen. So kommt er in sein Heimatdorf, und niemand sieht diesem Landstreicher an, dass er der Sohn des Vaters ist. So sehr hat die Sünde ihn entstellt.
Ich frage dich: Sieht man dir eigentlich noch an, dass du ein Kind Gottes bist? Du bist doch geschaffen als Gottes Ebenbild. Das heißt, Gott hat dich in diese Welt gestellt, und du sollst wie ein Spiegel die Eigenschaften Gottes in diese Welt hinein spiegeln.
Güte, Ehrlichkeit, Treue, Freundlichkeit, Verlässlichkeit, Wahrhaftigkeit und Reinheit – sind das die Kennzeichen deines Lebens? Oder bist du gekennzeichnet durch Sturheit, Egoismus, Unzuverlässigkeit, Rechthaberei, Streitsucht und Ähnliches?
Vielleicht ist es noch schlimmer. Vielleicht sagen die Leute von dir, dass du ein widerlicher Kerl bist, ein Schläger, ein Flittchen, ein Säufer oder ein unzuverlässiger Kollege. Vielleicht sagen deine eigenen Eltern von dir, dass du ein Versager bist und ein Schandfleck für die ganze Familie.
Selbst wenn sie damit Recht haben, dann sage ich dir im Namen Gottes: Gott sieht in dir sein Kind. Hinter dem von der Sünde gekennzeichneten Gesicht von euch Mädchen, die ihr schon durch so viele Hände gegangen seid, sieht Gott, dass ihr euch nach Reinheit, Treue und Geborgenheit sehnt.
Und hinter der lässigen Miene von euch Jungs, die hier hereingeschwungen kommen wie Bud Spencer und so tun, als ob euch nichts im Leben umhauen könnte, sieht Gott, dass ihr ein Herz habt, das verwundbar ist und sich nach Liebe sehnt.
Leute, vor Gott braucht ihr doch kein Theater zu machen, so wie wir es gewohnt sind, das vor den Menschen aufzuführen. Ihr könnt zu Gott so kommen, wie ihr seid, mit eurer Schuld – und er wird euch nicht rauswerfen.
Die bedingungslose Annahme des Vaters
Als der junge Mann auf den Hof seines Vaters schleicht, erkennt zunächst niemand, wer sich hinter diesem Gesicht verbirgt. Doch der Vater erkennt ihn sofort. Hinter dem ausgebrannten Gesicht entdeckt er das Gesicht seines geliebten Sohnes.
Jetzt stellt sich der Vater nicht an die Haustür, reibt sich nicht die Hände und sagt: „Jetzt kommt dieser Gammler, und ich werde ihn mal ordentlich zurechtweisen.“ Er beginnt kein Verhör, fragt nicht: „Wie siehst du überhaupt aus? Wo kommst du her? Wo ist das ganze Geld?“
Es gibt keine Vorwürfe, keine Szene, keine Fragen und kein Wort. Der Vater schweigt.
Genau das beeindruckt mich an dieser Geschichte vom verliebten Vater am meisten. In der ganzen langen Erzählung, über die ich nun schon zum zweiten Mal hier predige, spricht der Vater kein einziges Wort. Erst am Schluss, nachdem er dem Jungen entgegengelaufen ist, die Arme ausgebreitet und ihn geküsst hat, sagt er etwas.
Er erklärt: „Dieser junge Mann hier ist mein Sohn. Er war verloren und ist jetzt wiedergefunden. Er war tot und lebt jetzt wieder.“ Dann lädt der Vater den Sohn ein: „Komm rein, jetzt wird gefeiert.“
Vergebung als Ausdruck göttlicher Liebe
Siehst du, das ist Vergebung – das ist Gott. Gott nörgelt nicht und macht dich nicht fertig, wenn du mit deiner Schuld vor ihn trittst. Er wartet nur darauf, dass du mit deiner Schuld zu ihm kommst und sie ihm gibst. Dann kann er dir vergeben und dir ein neues Leben schenken.
Geh mal irgendwo anders in dieser Welt hin und erzähle den Leuten, was in deinem Leben alles schiefgelaufen ist. Du weißt genau, was dann passiert: Du bist der Ausgeschlossene und der Dumme.
Wenn du jedoch zu Gott kommst mit deiner Schuld, wirst du weder ausgelacht noch verspottet oder fertiggemacht. Du wirst angenommen. Dort wird dir deine Schuld vergeben, weil es ein Ort ist, an dem einer ist, der dich liebt. Derjenige, der am Kreuz seinen eigenen Mördern vergeben hat, vergibt auch dir – egal, was du getan hast.
Deshalb bitte ich dich heute Abend, anstelle von Christus, der mit ausgebreiteten Armen am Kreuz hing: Lasst euch versöhnen mit Gott. Mensch, wie viel Schuld und wie viel Schutt hat sich auf dem Bauplatz deines jungen Lebens schon angesammelt? Gottes Vergebung ist wie eine Planierraupe, die all das beiseiteschiebt.
Ein Zeugnis der Hoffnung: Von der Verlorenheit zur Rückkehr
Ich erzähle euch jetzt noch eine Geschichte, die auch in dem Buch steht, das Rainer vorhin erwähnt hat.
Vor vielen Jahren, noch vor der Wende, haben wir in einem Gottesdienst das Lied gesungen, das wir vorhin vor der Predigt gesungen haben: „Gott ist ja dein Vater, du bist Gottes Liebe, er verliert dich nicht.“
In diesem Gottesdienst war entweder hier oder an einem anderen Ort ein Mädchen, das den Liedzettel mitgenommen hat, auf dem dieses Lied stand. Dieses Mädchen ist dann genauso abgestürzt wie der verlorene Sohn, von dem ich euch erzählt habe.
Zur Wendezeit ist sie in den Westen abgehauen, weil sie dachte, sie könne dort das große Geld machen. Am Ende landete sie als Prostituierte auf dem Strich. Jeden Abend, wenn sie nach Hause kam, in ihr Hotelzimmer, und jeden Morgen, wenn sie den ganzen Mist hinter sich hatte, öffnete sie ihre Handtasche.
Dort holte sie diesen zerknitterten, alten Liedzettel heraus, den sie jahrelang mit sich herumgetragen hatte, und las das Lied: „Du bist Gottes Liebe auf den ersten Blick. Er sorgt für dein Leben, dass es nicht zerbricht. Gott ist ja dein Vater, Vater hat dich lieb.“
Dieses Lied hat sie immer wieder gelesen. Eines Tages sagte sie sich: „Wenn das hier stimmt, dann will ich das jetzt erleben und beim Wort nehmen.“
Daraufhin verließ sie ihre Wohnung und suchte Christen auf, die sie einmal am Bahnhof irgendwo gesehen hatte. So fand sie Anschluss an Christen und begann ein Leben als Kind Gottes.
Du musst nicht so tief gesunken sein wie sie, als Prostituierte oder Ähnliches. Es ist ganz egal, wie weit du dich von Gott entfernt hast oder wie kaputt dein Leben inzwischen ist. Du kannst auf jeden Fall heimkommen.